*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 74855 ***
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[Illustration: Cover]
Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden
Mitteilungen
Heft
3 bis 4
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
Band XV
_Inhalt_: Wermsdorf und seine Schlösser – Betrachtungen in
einer Töpferei – Die Letzte im Vogtland! – Unsere Rohrdommeln –
Gräberfelder der Lausitzer Kultur – Das Rätsel der Tulpenkanzel
im Freiberger Dom und Ulrich Rülein von Calbe – Anton Günthers
Leben und Schaffen – Der Hacksilberfund von Poppitz bei Riesa –
Vom Steinkreuz bei Großerkmannsdorf
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Dresden 1926
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Anmerkung: Wegen der Weiterlieferung der Schrift
»Bauberatung«
(zu vergleichen die zweite Umschlagseite Heft 1/2 dieses Jahres)
=berichten wir in dem nächsten Heft=.
Band XV Heft 3/4 1926
[Illustration: Landesverein Sächsischer Heimatschutz Dresden]
Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern
herausgegeben
Abgeschlossen am 31. März 1926
Wermsdorf und seine Schlösser
Von _Hugo Krämer_, Wermsdorf
Aufnahmen des Heimatschutzes
Wermsdorf, du Perle des Oschatzer Niederlandes, nicht mit Unrecht hat
dich der Volksmund so bezeichnet! Rauschende Wälder, im Sonnenschein
glitzernde Seen umrahmen dich. Über dir, auf sanft ansteigendem
Hügel, grüßt die majestätische Hubertusburg, und unten im Tale träumt
das alte Jagdschloß, umgeben von alten, hochgiebligen Häusern und
dem idyllischen Schloßpark, seinen Dornröschenschlaf. Die Linde im
Schloßhofe, der melodisch plätschernde Brunnen, sie wissen mancherlei
zu erzählen von vergangenen Zeiten, Zeiten des Glanzes und Zeiten
der Not, von fürstlichem Jagdgepränge und rauhen Kriegswirren.
Ja, du liebe, traute Linde! Wie oft habe ich sinnend unter deinen
breithängenden Zweigen gesessen! Und dann sind all die Bilder
vergangener Tage an meinem geistigen Auge vorübergezogen.
[Illustration: Abb. 1. =Schloß Wermsdorf.= Nordflügel. (Vorderansicht.)
Rechts unten König-Albert-Denkmal]
Vierhundert Jahre zurück! 1523 war es, als die beiden Brüder Dietrich
und Ernst von Starschedel neben Mutzschen auch mit Wermsdorf belehnt
wurden. Da, wo heute die Pferdeställe des Jagdschlosses stehen, erstand
ein Herrenhaus mit Getreidehaus, Scheunen und Stallungen, umgeben
von einem Wallgraben und blühenden Gärten. Ein ansehnlicher Bau,
der so manchen Edelsitz seiner Zeit in den Schatten stellte. Jedoch
nicht lange erfreuten sich die von Starschedel ihres Besitzes.
Kurfürst August I., gewöhnlich »Vater August« genannt, war von seinem
Regierungsantritt an bemüht, die Staatseinkünfte durch Errichtung von
Kammergütern und Erwerbung von Wäldern zu vermehren. So kaufte er auch
1565 das Rittergut Wermsdorf samt dem zugehörigen Wald, der damals
einen Flächenraum von etwa dreitausend Ackern einnahm. Später wurde
der Waldbesitz mehr und mehr vergrößert, und diesem Walde verdankt
Wermsdorf dann auch die Rolle, die es in der sächsischen Geschichte
gespielt hat. Denn wie das Leben am sächsischen Hof ohne Jagd nicht
denkbar war, so ist diese wiederum in Sachsen mit dem Namen Wermsdorf
aufs engste verknüpft.
[Illustration: Abb. 2. =Schloß Wermsdorf.= Rechts Ostflügel, erbaut
1618. Mitte Nordflügel, erbaut 1608. Links Stallungen: Hier stand das
ehemalige Starschedelsche Herrenhaus, das 1721 wegen Baufälligkeit
abgetragen wurde]
Schon August I. kam oft nach Wermsdorf, um dem edlen Weidwerk
obzuliegen, und der rein bäuerliche Ort – es gab damals hier zehn
Pferdner und vierzehn Gärtner – sah von da ab des öfteren hohe
Gäste. Bald erwies sich das Starschedelsche Schloß zur Aufnahme des
Kurfürsten und seines Gefolges als zu klein. Deshalb ließ er 1574 da,
wo jetzt die Oberforstmeisterei steht, ein neues Jagdhaus aufführen,
wahrscheinlich lediglich zur Unterbringung des Jagdgefolges und
Personals. Doch genügte auch das nicht auf die Dauer. Die Nachfolger
Augusts, Christian II. (1591 bis 1611) und Johann Georg I. (1611 bis
1656), die gleichfalls eifrige Jäger waren, stellten höhere Ansprüche.
Der Bau eines größeren Schlosses war geplant und wurde auch schon
1608 begonnen. Dabei mußten die Bauern des Ortes und der Umgebung
Frondienste leisten. Sie fuhren Ziegel von Trebsen und Püchau an und
erhielten nur während der Ernte vierzehn Tage Urlaub. Im Dezember
1610 wurde das neue Jagdschloß durch den Bauleiter Steger (den
Bauplan hatte Baumeister Simon entworfen) übergeben. Noch stand nur
der heutige Nordflügel. Er enthielt im Erdgeschoß, außer Flur und
Küche, des Kurfürsten Stube als Versammlungsort des Gefolges mit zwei
Kammern, die Stube des Jägermeisters v. Ziegesar mit drei Kammern und
Vorgemach, im Obergeschoß, das von Holzwerk mit Ziegeln durchsetzt
war, Stuben und Kammern. Die Einrichtung war äußerst bescheiden; denn
als Inventar werden angeführt Decken mit eingeschobenen Tafeln, an den
Wänden hinlaufende Bänke, Kleiderrechen, wenig Tische, ein Himmelbett
des Kurfürsten und Spannbetten für das Gefolge. Bald wurde auf Befehl
des Kurfürsten das Obergeschoß massiv aufgeführt und zwei neue Flügel
angebaut. 1626 war das Schloß in seiner jetzigen Gestalt fertig. Mitten
in dem furchtbaren Dreißigjährigen Kriege. Noch bis 1628 kam der
Kurfürst nach Wermsdorf, um zu jagen; dann mußte er, gezwungen durch
die widrigen Verhältnisse des Krieges, die Jagd aufgeben. Wiederholt
zog die sengende und mordende Soldateska auch durch Wermsdorf,
wiederholt war das Schloß der Plünderung preisgegeben. 1639 kamen
die Schweden und legten Feuer im Schloß an. Rasches, tatkräftiges
Eingreifen der Bewohner verhinderte ein weiteres Umsichgreifen des
Brandes, und notdürftig wurden die entstandenen Schäden repariert.
Als 1681 Mutzschen völlig abgebrannt war, mangelte es an Gelegenheit,
das Amtshaus unterzubringen. Durch kurfürstlichen Befehl wurde der
Nordflügel des Schlosses als Amtsexpedition und Wohnung für den
Amtsschösser eingerichtet. Erst 1685 kam Johann Georg III. mit seinen
Ministern und mit General Flemming wieder zur Jagd hier an.
Eine lange Pause von siebenundfünfzig Jahren lag zwischen diesem und
dem letzten Jagdaufenthalt eines sächsischen Kurfürsten. Beengter
denn je waren die Jagdgäste. Gefolge und Dienerschaft wurde im Dorfe
einquartiert, der Pfarrer allein mußte drei Kammern und Stallung
für fünf Pferde hergeben. In der Folgezeit kamen die Landesherren
wieder fast regelmäßig zur Jagd hierher, um so mehr, als seit 1698
der Statthalter Fürst Egon von Fürstenberg die Parforcejagd hier
einrichtete. Mit Fürstenberg beginnt für die Geschichte der Jagd
in Sachsen ein neuer Zeitabschnitt: die endgültige Einführung der
Parforcejagd nach französischem Vorbild. Der Fürst, ein Liebhaber der
Jagd, hatte jedenfalls während seines mehrjährigen Aufenthaltes in
Frankreich Geschmack an dieser Art zu jagen gefunden und hegte den
Wunsch, das bei Wermsdorf sehr günstige Gelände dazu einzurichten.
Der Wald wurde durch Alleen und Schneisen in Quadrate geteilt, das
Terrain durch Wege und Brücken zugänglich gemacht, Kähne angeschafft
zum Transport der Jäger und Hunde über die Teiche und endlich eine
Mauer zum Schutze der anliegenden Felder vor Wildschaden aufgeführt.
Nachdem die zum Jagen erforderlichen Pferde und Hunde aus Frankreich
und England und französische »Piqueurs« in Wermsdorf angelangt und in
dem von August dem Starken dem Schlosse gegenüber erbauten Jägerhofe
untergebracht waren, konnte 1699, obwohl die Geländearbeiten noch
keineswegs beendet waren, die erste Parforcejagd abgehalten werden.
Dauernd wurden aber noch Verbesserungen und Vergrößerungen am Gelände
und an der Jagdequipage vorgenommen; in Collm wurde ein Forsthaus und
ein neues Sauhaus, auf dem Collm von Karcher ein Jagdpavillon erbaut.
Der öftere längere Aufenthalt des Statthalters in Wermsdorf hatte auch
eine erhöhte Geselligkeit im Schlosse zur Folge. Viele bekannte hohe
Personen, auch der König, fanden sich immer wieder in Wermsdorf ein.
Die Glanzzeit für Wermsdorf war angebrochen und sollte sich noch immer
steigern.
Als Fürstenberg 1717 durch einen Schlaganfall dahingerafft worden war,
kaufte der König die gesamte Jagdeinrichtung für seinen jagdliebenden
Sohn, den Kurprinzen Friedrich August und machte alle möglichen
Anstalten zur Errichtung einer stattlichen Hofhaltung für diesen. Die
gesamte Equipage bestand damals aus zweiunddreißig Jagdbediensteten,
siebenundvierzig Pferden und zweihundert Hunden. Als der Kurprinz nach
längerer Abwesenheit 1719 aus dem Auslande zurückkehrte, übergab ihm
der König die Jagderlaubnis für den Wermsdorfer Forst und die gesamte
Einrichtung samt Benutzung des Schlosses. Graf Gall erhielt vom Prinzen
die Leitung des gesamten Jagdwesens übertragen.
Bereits im Oktober und November desselben Jahres weilte der junge
Kurprinz mit seiner Gemahlin, der Erzherzogin Maria Josepha von
Österreich, abermals in Wermsdorf. In diesem Jahre begann die sich mit
der Zeit zu einem Volksfest steigernde Feier des Hubertustages durch
eine mit größtem Luxus ausgeführte Parforcejagd am 3. November.
Über das Hubertusfest von 1721, das der König besuchte, liegen
spezielle Nachrichten vor. Nach der Ankunft des Königs am 2. November
früh ging man zur Messe, speiste und brachte den Rest des Tages beim
Spiel zu. Am 3. November stellte sich die Jagdparade früh neun Uhr
am Forsthause auf. Die Pferde von vierundzwanzig Kavalieren, der
kurprinzliche und königliche Reitstall gingen der Gesellschaft voraus,
die sich zum Jagen begab. Nur dreiviertel Stunden dauerte dieses, aber
es wird als eine »glückliche, lustige, kurze Parforcejagd« bezeichnet.
Am nächsten Tage besuchte man Mutzschen und erlegte des Nachmittags
beim Streifjagen ein großes Schwein. Das Fest ist deshalb von
besonderer Bedeutung, weil der König seinen Entschluß bekanntgab, »zu
besserer Bequemlichkeit Unseres Kgl. Printzen Lbd. einen Bau aufführen
zu lassen, der glanzvolleren Anforderungen entsprechen sollte«. Und
noch im selben Jahre war es, als auf dem Hügel südlich von Wermsdorf in
Gegenwart Friedrich August II., seines Sohnes, des Kurprinzen Friedrich
August und zahlreicher hoher Gäste der Grundstein zum Hauptgebäude des
neuen Jagdschlosses gelegt wurde. Hubertusburg ward es genannt, dem
Schutzpatron der Jagd, Hubertus, zu Ehren. Einen stolzen Plan hatte
der Ingenieur und Oberstleutnant Naumann entworfen, dem die Ausführung
dieses Baues übertragen wurde. Das größte und schönste moderne Schloß
auf Sachsens Boden, ein Prachtbau, wie er damals vielleicht in ganz
Europa nicht herrlicher zu schauen war, ging unter Naumanns Leitung
seiner Vollendung entgegen. Vier Kompagnien Infanterie schaufelten den
Grund, etwa siebenhundert Künstler, Maurer, Zimmerer und Handwerker
arbeiteten mit solcher Rüstigkeit, daß schon 1724 der Prinz mit seinem
Hofstaat das Schloß zum erstenmal bewohnen konnte.
Das Palais bestand aus einem Mittelgebäude, auf dessen achteckigem
Mittelteil ein origineller Turm mit einem riesigen vergoldeten Hirsch
als Wetterfahne thronte, und zwei Seitenflügeln. Dadurch war ein Hof
gebildet, der nur nach Osten offen war. Die Front des Palais war dem
Horstsee zugekehrt, und man überschaute von ihr aus den vom Kgl. Kunst-
und Lustgärtner Perisch sehr kunstvoll terrassenförmig eingerichteten,
mit vielen Bassins, Springbrunnen und Bildsäulen gezierten Garten, der
als einer der schönsten Sachsens bezeichnet wird. Links im Mittelbau
war eine katholische Kapelle eingebaut. Sie war dem Hubertus geweiht
und durch die über dem Altar von Balthasar Permoser in Stuckmarmor
dargestellte Bekehrungslegende geziert. Rechts befand sich im ersten
Stockwerk der durch zwei Etagen hindurchgehende, herrliche Hubertussaal
mit hohen Bogenfenstern. Breite Sandsteintreppen führten zu beiden
Seiten bis unter das gebrochene, mit Kupfer gedeckte Dach, von dem die
Götter des Olymp in zahlreichen Statuen herabblickten. Überall war
Glanz und Pracht. Dem Hauptschloß entsprechend waren die umfangreichen
Seitengebäude, die beiderseits am Hauptpalais beginnend, den großen
äußeren Schloßhof umgrenzten. Da waren die beiden ~H~-förmigen
langen Gebäudereihen parallel zum Hauptflügel des Schlosses, deren
Querverbindungen den Schmiedehof mit dem Wermsdorfer Tor im Norden und
im Süden den deutschen Jägerhof mit dem Reckwitzer Tor vom großen Hof
trennten. Als Gebäudeabschluß stand je ein schöner Pavillon, deren
einer später durch Graf Brühl bemerkenswert wurde und seinen Namen
»Brühlscher Pavillon« noch heute hat. Im Osten war die Haupteinfahrt,
das Oschatzer Tor mit der Zugbrücke, links und rechts weitere Gebäude
und Pavillons. In letzteren wohnten zumeist Offiziere, in den langen
Gebäuden waren unten Pferdeställe, Hundeställe und Wagenschuppen, oben
Räume für die Bediensteten. Links vom deutschen Jägerhof befand sich
der französische mit zwei einander parallel laufenden Reihen von Wohn-
und Stallgebäuden, und links vom großen Hof, hinter dem Schmiedehof,
lag der große Geschirrhof mit einem Waschhaus, einer Bauscheune,
Pagenställen, Wohnungen und dem Wasserhaus. Durch eine doppelte
Rohrleitung wurde das Wasser aus einer Entfernung von mehr als einer
halben Stunde in den Behälter des Wasserhauses geführt, und von hier
aus in die Bassins des Schlosses und des Gartens verteilt.
Bereits 1724 wurde also, wie oben erwähnt, das Hubertusfest im
neuen Schlosse prächtig gefeiert, und viele Verwandte des Prinzen,
sowie polnische Prälaten und Woywoden, deren Gunst der Kurprinz zur
dereinstigen Nachfolge in Polen erlangen sollte, hatten sich dazu
eingefunden. Infolge des größeren Umfanges der Räumlichkeiten konnte
auch die Jagdeinrichtung noch mehr vergrößert werden. Es wurde
bestimmt, daß ihr bis zu vierzig Personen, fünfundsechzig Pferden und
zweihundertfünfzig Hunden anzugehören hätten. An Galls Stelle trat
in der Leitung der Jagdequipage der später so berühmt gewordene Graf
Sulkowsky.
[Illustration: Abb. 3. =Im Schloßpark zu Wermsdorf=]
Seit dem Bestehen einer Hofhaltung in Wermsdorf war die Bewachung des
Schlosses durch eine Invalidenkompagnie versehen worden. 1729 wurde
an deren Stelle eine eigene Truppe zur Bewachung der Hubertusburg
eingerichtet. Keiner der einhundertvierzig, später zweihundertvierzig
Grenadiere und ihrer Vorgesetzten durfte unter fünfundsiebzigeinhalb
Zoll (= etwa ein Meter 80 Zentimeter) groß sein. Sie unterstand
völlig dem Kurprinzen und hatte ihren Sitz zunächst in Oschatz. Die
ablösende Wache mußte also einen fast dreistündigen Weg zurücklegen.
Die Uniformen dieser Leibgarde waren erst rot und gelb, später rot und
grün. 1744 wurde sie aufgelöst.
[Illustration: Abb. 4. =Hubertusburg.= Ostflügel, erbaut 1739]
Die seit 1727 oft leidende Gesundheit August des Starken erlaubte
ihm nur noch selten das ermüdende Vergnügen der Parforcejagd. Desto
eifriger pflegte sie der Kurprinz. Und wenn er auch immer zwischen
Hubertusburg, Dresden und Moritzburg wechselte, Hubertusburg blieb der
Hauptplatz der Jagden und sah alljährlich das glänzendste Hubertusfest.
Beim längeren Aufenthalte war die gleichfalls jagdfreudige
Kurprinzessin seine getreue Begleiterin, die der Parforcejagd im
Amazonenkleide zu Wagen zu folgen pflegte. Vom Jahre 1736 ist uns eine
sehr interessante Aufstellung des gesamten Jagdzuges erhalten, die ich
folgen lassen möchte. Zwei Förster und ein Oberförster ritten voran.
Ihnen folgten die Handpferde der Jagdpagen, Minister und Kavaliere;
der Jagdinspektor Seyffert; die Parforcepferde der Besuchsjäger sowie
des Barons von Feullner und des Grafen Sulkowsky; der Sattelknecht,
Roßarzt und Bereiter von der Jagdequipage; zwölf königliche Handpferde,
von Reitknechten zu Pferde geführt; der Sattelknecht, Roßarzt und
Bereiter vom königlichen Stall; ein Kosake; der Hoftaschenspieler
Fröhlich und Baron Schmiedel; die Piqueure; die Besuchsjäger mit den
Hunden; der Jagdpage von Nostitz; der Jagdjunker von Wehlen; Feullner,
Sulkowsky, der König, der Herzog von Sachsen-Weißenfels, Graf Moritz
von Sachsen und die Gesandten. An diesen pomphaften Zug schlossen sich
noch an die polnischen Herren, die Minister, Oberchargen, Generäle,
Kammerherren, Obersten, Kammerjunker; Oberforstmeister und andere
Kavaliere von Zivil und Militär, sämtlich zu Pferde. Im Wagen folgten
die Königin mit den zwei ältesten jungen Prinzen, die Hofdamen,
die Kavaliere der Königin und der Prinzen. Den Schluß machte der
Schirrmeister mit zwei Wurstwagen.
[Illustration: Abb. 5. =Hubertusburg.= Gartenfigur. (Der Herbst)]
Obgleich das Schloß für vollendet gelten konnte, wurden in ihm doch
immerfort Verschönerungen vorgenommen. Oberlandbaumeister Knöffel war
zumeist in Hubertusburg anwesend und richtete z. B. 1738 zwei Zimmer
mit kostbaren Spiegeln, wertvollen Bildhauer- und Vergoldungsarbeiten
ein. Aber der Nachfolger August des Starken, König Friedrich August
II., wollte die Hubertusburg noch großartiger gestalten, und Graf
Brühl schaffte unbedenklich die Mittel zur Vollendung des Baues aus
dem ohnehin schon arg verschuldeten Sachsenlande herbei. Da wurde
denn mit der Ausführung der neuen Pläne auch nicht lange gezögert.
1739 riß man plötzlich fast das gesamte Hauptschloß wieder ab und
führte einen neuen Hauptteil mit Turm auf der bisher unbebauten Seite
des inneren Hofes auf. Die beiden Seitenflügel führte man an dieses
heran und verband sie gegenüber dem neuen Hauptflügel wiederum. Der
innere Hof war somit allseitig von hohen Gebäuden umschlossen, ein
gewaltiger quadratischer Komplex erhob sich an Stelle des zierlicheren
Schlosses, das Naumann gebaut hatte. Entsprechend dem ovalen Risalit
des Hauptflügels, das der Turm krönte, schloß man den äußeren Hof
nach Osten zu durch zwei Rundflügel ab und baute entlang der Anfahrt
Kasernen für die Leibgarde. Hunderte von Arbeitern förderten das Werk
mit solchem Fleiße, daß bereits 1742 die neue Front mit dem zierlichen,
luftigen Turm fertig stand, auf dessen höchster Spitze wieder der stark
vergoldete Hirsch als Wetterfahne glänzt. Ein prachtvoller runder Saal,
der kleine Hubertussaal, mit glänzender Marmorwand und kunstreichen
Gemälden, lag in der Mitte über dem großen runden Portale, durch zwei
Etagen sich erhebend. Bis auf den marmornen Fußboden herab reichen
die großen Bogenfenster, die als Türen auf einen Altan führen, der
eine weite Aussicht nach der Oschatzer Gegend bietet. Weithin tönten
die harmonisch eingestimmten Glocken durch die großen bogenförmigen
Öffnungen des Turmes, dessen Seitenwände wie vier starke Säulen
dastehen und sich erst oben wieder vereinigen, um das Dach zu tragen.
Die große Uhr zu Füßen des Turmes wurde von vielen als großes Kunstwerk
gepriesen. Die ganze linke Hälfte des Hauptflügels war der katholischen
Kapelle gewidmet, welche Silvester, Torelli und Grone mit Kunstwerken
schmückten und die noch heute im gleichen Zustand erhalten ist. Zwei
hohe Säulengänge im Innern tragen die Emporen, alle Wände sind von
glänzendem Gipsmarmor. Der Hochaltar ist eins der besten Werke des
Lorenzo Mattielli, und die Kanzel bezeichnet Gurlitt als eines der
schönsten Stücke sächsischen Rokokos. Ein schwebender Engel scheint
sie zu tragen, zierliche Putten beleben das ganze Meisterwerk. Neben
dem Hochaltar, dessen Stufen von sächsischem (Crottendorfer) Marmor
sind, stehen noch zwei Seitenaltäre, deren einer das Bild des Hubertus
und des ihm mit dem Kreuz des Erlösers im Geweih erscheinenden weißen
Hirsches, deren anderer das Bild der Ida von Toggenburg mit dem ihr
leuchtenden Hirsche trägt. Beide Gemälde sind von Sylvester. Aus der
früheren Schloßkapelle wurden vier weitere treffliche Bilder des
Torelli übernommen. Das vielbewunderte Deckengemälde von Baptist Grone
stellt auf einer Fläche von vierhundert Quadratmetern die Hubertussage
dar.
[Illustration: Abb. 6. =Hubertusburg.= Blick auf den Schloßhof mit
Oschatzer Tor
Im rechten Rundflügel der Friedenssaal]
Rings um das ganze Schloß wurden in Höhe des Dachgeschosses Reliefs und
Standbilder angebracht. Vorn lagern links und rechts vom Turm Mars und
Minerva, in der Mitte prangt das Reichsvikariatswappen. (König August
war um diese Zeit Reichsvikar.) Im Hofe stehen inmitten prächtiger
Anlagen noch heute zwei schöne Steinvasen und Darstellungen der vier
Jahreszeiten (nach Gurlitt dem Permoser sehr nahestehende Arbeiten,
wahrscheinlich aber von Joh. Christ. Kirchner etwa 1720).
[Illustration: Abb. 7. =Hubertusburg.= Der Brühlsche Pavillon]
Auch während des Neubaues wurden sowohl die tageweisen Besuche des
Königs als auch die glanzvollen Frühjahrs- und Herbstfeste des Hofes
in Hubertusburg nicht unterbrochen. Nicht allein die Minister mit
ihren Gemahlinnen, der Hofstaat der Majestäten, die Prinzen und
Prinzessinnen, die Damen und Kavaliere, sondern auch das diplomatische
Korps, zahlreiche Eingeladene aus den ersten Kreisen der Gesellschaft
waren wochenlang anwesend, sämtlich in den Schloßräumen untergebracht,
festlich bewirtet und durch Jagd, Konzert und Theater unterhalten. In
einem Teil des Gartens hatte man den Opernsaal erbaut, der ein schöner,
sehr interessanter Holzbau gewesen sein soll. Leider ist heute kaum
noch bekannt, wo er gestanden hat. Dort klangen Kapellmeister Hasses
Töne von der Bühne, und seine Frau, die »göttliche« Faustina, entzückte
durch ihren himmlischen Gesang. An anderen Tagen wieder stellten die
~comici italiani~ ihre Burlesken dar. Bis auf das Hassesche Ehepaar,
das im Schlosse wohnen durfte, hatte die Künstlerwelt ihren Wohnsitz
in Wermsdorf, wo ihr Haus und das Kaffee, in dem sie verkehrten, noch
heute leicht als aus dieser Zeit stammend zu erkennen sind.
[Illustration: Abb. 8. =Inneres der katholischen Kirche Hubertusburg=]
Nach Sulkowskys Sturz 1738 hatte Baron von Feullner die erledigte
Kommandantenstelle übernommen, und Graf Brühl war im Staate an des
Ministers Stelle getreten. In Hubertusburg bewohnte Brühl den nach
ihm benannten Pavillon rechts vom Schloß, der durch einen verdeckten
Gang mit den Gemächern des Königs im Nordflügel verbunden war. Brühl
bemühte sich stetig, Verbesserungen der Jagdeinrichtung und am
Gelände einzuführen. Oberst Fürstenhoff mußte 1740 neue Jagdalleen
anlegen, »um uns des Parforcejagd-Plaisirs führohin mit mehrerer
Bequemlichkeit bedienen zu können«, und diese sollten 1741 bereits
fertig sein. Die schwierige Aufgabe wurde gelöst, und der Kurfürst
konnte sich überzeugen, daß auf den neuen Alleen »sicher zu reiten
und zu fahren fest und tüchtig« war. Ferner war beabsichtigt, den
Horstsee in das Gebiet des Schloßgartens einzufügen und Wasserspiele,
Feuerwerke und ähnliches auf ihm zu veranstalten. Jedoch der
ausbrechende Siebenjährige Krieg machte allen Erweiterungsplänen und
Jagdbelustigungen ein Ende. Im Jahre 1755 fand das letzte Hubertusfest
zu Hubertusburg statt. Als der König und die Königin 1756 von der
Leipziger Messe nach Dresden zurückreisten, übernachteten sie im
Schlosse, ahnungslos der traurigen Jahre, die da kommen sollten. Nicht
der König, nicht die Königin sahen ihr geliebtes Jagdschloß jemals
wieder, auch Graf Brühl hat es nie wieder betreten.
[Illustration: Abb. 9. =Hubertusburg.= Ehemaliges Arbeitshaus für
Frauen, später Landeshospital]
Friedrich der Große hatte 1759 Berlin aufgeben müssen, Kroaten und
Kosaken wüteten in den Straßen. Noch ärger trieben es leider aber die
Sachsen in Charlottenburg. Sie raubten dieses aus und schlugen in
Trümmer, was sie nicht mitnehmen konnten. Durch seinen Sieg bei Torgau
bekam Friedrich II. ganz Sachsen, außer Dresden, in seine Hand. Sein
Hauptquartier war in Dahlen. Es ist nicht zu verwundern, daß er sich
für die Zerstörung seines Lustschlosses zu rächen suchte und noch im
selben Jahre, 1760, den Befehl gab, das in der Nähe gelegene Jagdschloß
Hubertusburg zu plündern. Ein Freibataillon unter dem Oberbefehl des
Quintus Icilius (eigentlich Guichard aus Magdeburg, ein französischer
Offizier, der in Friedrichs des Großen Dienste getreten war) vollzog
diesen Befehl. Wagen auf Wagen rollte beutebeladen der preußischen
Grenze zu. Von den Kellern bis unter das Dach wurden sämtliche Vorräte
und Prunkgegenstände geraubt. Die herrlichen Gemälde, kostbaren Spiegel
und glänzenden Tapeten verschwanden von den Wänden. Die Habgier der
beiden Berliner Juden Ephraim und Itzig, an die Quintus Icilius
das geplünderte Schloß für zweiundsiebzigtausend Taler verkaufte,
vollendete die Zerstörung des Schlosses und des Gartens. Die großen
Glocken, die kunstvolle Uhr, das kupferne Dach, die mannigfachen
Statuen, alles wurde der Juden Beute. Aus dem gewonnenen Metall ließ
Ephraim einen Teil des nach ihm benannten schlechten Geldes prägen, mit
dem Sachsen damals überschwemmt wurde. Auch aus den Seitengebäuden,
namentlich aus dem prachtvoll eingerichteten Brühlschen Pavillon,
wurde alles Wertvolle weggenommen. Die stark vergoldeten Schlösser
und Bänder, Riegel und Beschläge der Türen und Fenster wurden
abgerissen und die schweren Vergoldungen an Türen und Verkleidungen
der Wände durch Berliner Arbeiter abgekratzt und chemisch zersetzt.
Die Zerstörungswut griff auch auf die von den Soldaten verschonte
Kapelle über. In der königlichen Loge hatte man begonnen, Schlösser,
Draperien und Goldleisten abzureißen. Da eilte der damalige Hofkaplan
Norbert Schubert nach Dahlen ins Hauptquartier und erreichte nach
langem Bitten die Erhaltung des Heiligtums. – Das kostbare Mobiliar des
Schlosses ward verkauft. Aus den Händen der Juden gingen die Schätze
der Hubertusburg in den Besitz der Meistbietenden über. In dem Schlosse
Carnin in Pommern wird ein Zimmer das »Hubertusburger« genannt, weil
dessen gesamtes Mobiliar aus Hubertusburg stammt.
Die Parforcejagdequipage war natürlich durch den Krieg ebenfalls in die
traurigste Lage geraten. Die Pferdeställe standen leer, der Bestand
des Hundezwingers ging immer mehr zurück, das Wild schossen feindliche
Soldaten und die Bauern schonungslos nieder, die Forstbedienung wurde
nach Warschau befohlen. Am Ende des Krieges war der Hundebestand
bis auf neun Hirsch- und drei Leithunde zurückgegangen, sodaß die
Equipage schließlich völlig aufgehoben wurde. – Als endlich 1762
Friedensverhandlungen angebahnt wurden, wählte man zur Abhaltung des
Friedenskongresses das Jagdschloß Hubertusburg, das nebst seinem
Gebiete durch eine öffentliche Verfügung für neutral erklärt wurde.
Im Dezember kamen die bevollmächtigten Minister von Preußen, Sachsen
und Österreich hier an; aber im ganzen Hauptpalais war kein Raum,
der sie hätte aufnehmen können. In der Mitte des dem Schlosse
gegenüberliegenden rechten Rundflügels fanden sie noch neben der
Amtswohnung des katholischen Geistlichen einen Saal, in dem sie
ihre Verhandlungen abhalten konnten. Bald nach der Unterzeichnung
des Friedens starb der König und sein Sohn und Nachfolger Friedrich
Christian auch zu bald nach ihm, als daß er bei der allgemeinen
Erschöpfung an die Wiederherstellung des zerstörten Friedensschlosses
hätte denken können.
Zunächst stand das Hauptgebäude nun lange Zeit leer; zu Jagdzwecken
wurde es nie wieder und die Nebengebäude erst nach 1815, aber selten
und nur kurze Zeit verwendet. Die zahllosen Räume des verwüsteten
Palais wurden ab 1791 als Militärmagazin eingerichtet. Mächtige
Getreidehaufen drückten die Fußböden, auf denen die Großen des Landes
so prächtig einhergeschritten, füllten die Räume, die nur Feste zu
sehen gewöhnt waren. Bis 1873 blieb Hubertusburg in diesem Zustand, mit
Ausnahme der Jahre 1813 bis 1815, während derer es als Lazarett diente.
Viel Elend hat es da sehen müssen. Freund und Feind lagen beieinander,
und nur wenige kamen wieder heraus, Tausende starben hier infolge
der oberflächlichen Behandlung an ihren Wunden oder Krankheiten. Man
scharrte sie ein, alle zusammen, im Lindigt unweit des Horstsees. Etwa
zehntausend sollen dort liegen, wohl meist Franzosen, wie der Platz,
der 1913 mit einem schlichten Denkstein geziert wurde, auch heute
noch den Namen »Franzosengrab« führt. Der Einrichtung Hubertusburgs
als Lazarett haben wir es sicherlich zu danken, daß es von weiteren
Verwüstungen verschont blieb. Denn die Tatsache, daß es Kranke barg,
genügte, vorüberziehende Truppen von seinen Toren abzuhalten. Auch
gelang es, wie schon 1760, glücklicherweise auch diesmal, die Kapelle
zu retten. Diese sollte mit Kranken belegt werden. Der Kapellendiener
Venus führte die maßgebenden Offiziere in den heiligen Raum, der in
hellem Kerzenglanze strahlte. Die Offiziere waren von dem Eindruck so
überwältigt, daß sie ohne weiteres die Schonung zusagten und den Bau
weiterer Holzbaracken auf dem Schloßhof befahlen.
Nach 1815 bekamen pensionierte Beamte und Offiziere in Räumen des
Schlosses und der Nebengebäude sogenannte Gnadenwohnungen angewiesen;
aber noch viel leerer Raum war vorhanden und verlockte zur Einrichtung
aller möglichen Institute. Zunächst verlegte man in die Gebäude
am Reckwitzer Tor ein Landesgefängnis, das vielfach politische
Gefangene barg. Unter anderen verbüßten Bebel und Liebknecht Teile
ihrer Strafzeiten hier. Auch wird erzählt, daß Ernst Keil seinen
Entschluß zur Herausgabe der Gartenlaube in einer Hubertusburger Zelle
faßte. Von 1834 ab wurden die verschiedensten Landesanstalten in den
Nebengebäuden untergebracht, z. B. ein Landeshospital, Landeskranken-
und Siechenhaus, eine Irrenversorganstalt, das Arbeitshaus für Frauen,
eine Erziehungsanstalt für blödsinnige Kinder, die sogenannten
»Pensionär-Korrektionär-Institute« zur Besserung verwahrloster Söhne
bemittelter Eltern und die Blindenvorschule. Die Strafanstalten
wurden jedoch im achten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts wieder
aus Hubertusburg verlegt, und heute sind nur noch Heil- und
Versorganstalten vorhanden.
Ehe wir jedoch auf die Schilderung des gegenwärtigen Zustandes
zukommen, müssen wir noch auf ein Unternehmen näher eingehen, das in
der Geschichte von Hubertusburg eine bedeutende Rolle gespielt hat: die
Steingutfabrik.
Nach dem Siebenjährigen Kriege war die Bevölkerung Sachsens so verarmt,
daß sie nicht mehr imstande war, für den täglichen Gebrauch das
teuere Porzellan zu verwenden. Man kaufte also, da in Sachsen nichts
anderes, billigeres, fabriziert wurde, meist von auswärts eingeführte
Steingutwaren, besonders die beliebte Delfter Fayence. Nun war es aber
einem Maler der Meißner Porzellanfabrik namens Tönnig nach eingehenden
Versuchen gelungen, ein dieser Delfter Fayence ähnliches Fabrikat zu
erzeugen. Er bat am kurfürstlichen Hof um Unterstützung zu weiterem
Ausbau seiner Erfindung, die ihm auch bereitwilligst gewährt wurde, da
man sofort erkannte, daß es sich dabei um eine neue Erwerbsmöglichkeit
für die Bevölkerung handelte. 1770 wurde ihm von Kurfürst Friedrich
August III. die Erlaubnis zuteil, sich in Hubertusburg niederzulassen
und einen Teil der Schloßgebäude, den Jägerhof und den daran gelegenen
Hundezwinger, zu Fabrikräumen umzuwandeln. Aber der gewünschte Erfolg
blieb aus. Die Geschirre bekamen zwar eine gefällige Form, aber das
Material zeigte viele haarfeine Risse und die Bevölkerung klagte
über zu leichte Zerbrechlichkeit der Gegenstände. Tönnig wollte das
Unternehmen schon aufgeben, als sich der Oberstallmeister Graf von
Lindenau seiner annahm. Der Mißerfolg lag daran, daß die hiesige
Tonerde nicht den Anforderungen entsprach, die an sie gestellt wurden.
Denn Lindenau entließ Tönnig und stellte einen Mann namens Förster ein,
der sich nicht auf das hiesige Material verließ, sondern von Dresden
Tonerde mitbrachte, und sein Werk daher mit dem schönsten Erfolg
begann. 1776 übernahm der Kurfürst die Fabrik, die unter der Leitung
des Grafen Marcolini mit Förster als Inspektor weitergeführt wurde. Aus
der ersten Zeit haben sich nur wenige buntbemalte Stücke von gelblichem
Material erhalten.
[Illustration: Abb. 10. =Hubertusburg.= Teil der ehemaligen
Strafanstalt für politische Gefangene
Vorn Wohnung des Strafanstaltsinspektors]
Inzwischen verdrängte das von Engländern erfundene Steingut die
Fayencewaren und damit auch das Hubertusburger Fabrikat vom Markte.
Förster gelang die Nachbildung der neuen Art nur unvollkommen, jedoch
konnte er jetzt gefälligere Formen bilden und stellte nach Meißner
Vorbildern, aber auch nach eigenen Mustern geschickter Arbeiter feine
Geschirre und Vasen her. Es kam soweit, daß sogar Meißen die Konkurrenz
Hubertusburgs fürchtete und beim Kurfürsten durchsetzte, daß dort nur
bestimmte Formen hergestellt werden durften.
[Illustration: Abb. 11. =Horstsee, Hubertusburg und Collm bei Oschatz=]
Nach Marcolinis Tode kam das Unternehmen unter die Direktion der
Meißner Porzellanfabrik, und stand während der Kontinentalsperre in
höchster Blüte; aber nach deren Aufhebung eroberten sich die Engländer
in geschickter Weise das verlorene Absatzgebiet zurück, zumal da die
kaufmännische Verwaltung der Hubertusburger Fabrik völlig versagte.
Auch die Klagen der Bevölkerung über leichte Zerbrechlichkeit und
unvorteilhaftes Aussehen durch die vielen Haarrisse des Steinguts waren
keineswegs verstummt.
[Illustration: Abb. 12. =Am Horstsee=]
Den letzten Ausschlag für das Eingehen des Hubertusburger Unternehmens
gab die entstehende Konkurrenz, die ihm über den Kopf wuchs. So taten
sich neue Fabriken auf in Colditz, Rochlitz, Dresden, Pirna und
Stegermühle (Nossen). Die Verwaltung der Fabrik ging noch durch mehrere
Privathände, bis 1848 der Betrieb völlig eingestellt werden mußte. Die
Fabrik hatte über hundert Familien dauernden Unterhalt geboten, dem
Staate hatte sie nichts eingebracht.
Schon 1850 wurden die Gebäude der Steingutfabrik mit Geisteskranken
belegt, und noch heute ist darin und in einigen etwas später erbauten
großen Gebäuden die Hauptanstalt Hubertusburgs untergebracht, das
Versorghaus für geisteskranke Frauen. Vor dem Kriege wurden über
eintausend Frauen hier verpflegt, und man baute zur Erweiterung 1913
außerhalb der Mauern ein neues schönes Gebäude für unruhige Frauen und
ein großes, modernen Anforderungen entsprechendes Küchengebäude. Auch
wurde seit 1880 schon mehr und mehr das Hauptschloß zur Unterbringung
der Frauen verwendet, das seit der Aufhebung des Militärmagazins leer
stand. Später, von 1893 an, gestaltete man die Anstalt im Hauptschloß
in eine Männeranstalt um, die vor dem Kriege etwa fünfhundert Insassen
barg. Allmählich wurden auch alle Strafanstalten nach anderen Städten
verlegt und die dadurch freigewordenen Räume als Krankenhäuser und
Landeshospital eingerichtet.
So hat das einst so stolze Jagdschloß ein völlig anderes Gesicht
bekommen. Die Gebäude sind die gleichen geblieben, aber bewohnt von
Ärzten, Beamten, Pflegern und belegt mit armen, hilfebedürftigen
Menschen. Nur die Kapelle noch legt ein beredtes Zeugnis ab von der
einstigen Pracht. Auch heute noch wird sie als Gotteshaus verwendet,
und Sonntags kommen aus weitem Umkreis die Katholiken zum Gottesdienste
herbei.
Es sei uns vergönnt, noch einen Blick auf das Schicksal des Wermsdorfer
Jagdschlosses zu werfen. Seine Bedeutung sank mit der Erbauung der
Hubertusburg, und es wurde fernerhin nur zur Unterbringung von
Jagdpersonal benutzt. Außerdem barg es, wie bereits erwähnt, die
Amtsexpedition, seit 1785 »Justizamt Mutzschen zu Wermsdorf« genannt,
und Wohnung des Amtsaktuarius. Das Gerichtsamt und ein ebenfalls 1785
eingerichtetes Rentamt wurden 1873 aufgehoben. König Albert, der auf
Schloß Hubertusburg verzichtete, erhielt dafür Schloß Wermsdorf und gab
es seiner ursprünglichen Bestimmung als Jagdschloß zurück. 1874 bis
1875 ward es durch den Hofbaurat Bernhard Krüger dazu hergerichtet,
der umgebende Garten parkähnlich angelegt. Links der Einfahrt,
gegenüber der Oberforstmeisterei, stand auf ehemaligem Gemeindeland
ein Haus mit Stallgebäuden, das sogenannte Kommissariatsgebäude, etwa
1755 erbaut, das wahrscheinlich landesherrlichen Kommissaren zur
Wohnung gedient hat. Dieses Gebäude ging zu Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts in Privatbesitz über. König Albert kaufte es 1879 und ließ
es niederreißen. Dadurch wurde der Garten abgerundet und der Blick auf
das Schloß freigelegt. 1902 wurde auf den Schuppen neben dem kleinen
Westflügel ein Obergeschoß gebaut und dem Schloßaufseher als Wohnung
angewiesen. Die Könige Albert und Georg sind alljährlich zum Jagen
nach Wermsdorf gekommen und haben wochenlang im Schlosse gewohnt,
während der letzte sächsische König, Friedrich August, nur sehr selten
hierher kam.
Die Revolution von 1918 machte auch der Bestimmung dieses Jagdschlosses
endgültig ein Ende. Die Möbel, die Jagdtrophäen usw. wurden entfernt
und im Hubertussaale der Hubertusburg untergebracht und gingen zum Teil
in Besitz der ehemaligen Königsfamilie über, oder wurden versteigert.
Die leeren Räume wurden zu Wohnungen eingerichtet. Heute bietet das
Schloß neun Familien Unterkunft, und nur noch äußerlich erinnert es an
seine einstige Bestimmung, die es nun vielleicht für immer verloren hat.
Aber wie der Wald einst die Fürsten anlockte, so zieht er auch heute,
und heute in besonderem Maße, die Menschen an, wenn sie Ruhe suchen
vor dem Hasten und Treiben der Großstadt. Zu Tausenden kommen sie
im Sommer, teils als Touristen, teils Genesung suchend in frischer
würziger Waldluft. Viele auch, um sich im schön angelegten Horstseebade
zu erfrischen. Wermsdorf ist durch die Nähe der Landesanstalt zu einem
stattlichen Dorfe von über zweitausend Bewohnern herangewachsen. Seine
wunderschöne Umgebung bürgt für seine gedeihliche Weiterentwicklung.
Sie hat es bewirkt, daß Wermsdorf heute eine mit alljährlich steigender
Frequenz aufgesuchte Sommerfrische ist.
Betrachtungen in einer Töpferei
Von _Edgar Hahnewald_
Denke an Persius’ Wort,
Du seiest Tonerde des Töpfers;
Nur durch beständigen Schwung
Wirst du zum schönen Gefäß.
Moritz von Egidy.
In beständigem Schwung kreist die Töpferscheibe durch die Jahrhunderte.
Sie ist heute noch das einfache Gerät wie seit historischen Zeiten:
eine Scheibe für den treibenden Tritt der Füße unten, eine Scheibe für
die formende Arbeit der Hände oben, beide durch eine vertikale Achse
verbunden. Es ist die gleiche Töpferscheibe, an der der Singhalese in
Hagenbecks Völkerschau und der Brauntöpfer in der sächsischen Lausitz
arbeitet. Sie ist Urgerät menschlicher Handfertigkeit.
Arbeitsmaterial des Lausitzer Brauntöpfers ist ein grauer, fettig sich
anfühlender Ton aus der Kamenzer Gegend, der während des Krieges, wie
andere Tone auch, zur Fabrikation von Tonseifen dienen mußte. Um ihm
die für die Töpferei nötige geschmeidige Gleichmäßigkeit zu geben, wird
er vorher im Tonzurichtewerk geschlemmt und durch den Tonschneider
getrieben, der ihn zwischen Messerwalzen gründlich durchknetet.
Gebückt auf der Bank sitzt der Töpfer vor der Scheibe. Die in der
für das einzelne Stück nötigen Größe zurechtgeballten Tonklumpen
liegen handgerecht aufgehäuft auf dem Brett. Sie erinnern an die
abgewogenen Teigstücke des Bäckers. »Kannenbäcker« nannte man ja
auch die rheinischen Töpfer, deren irdene Bartmannkrüge damals
Gefäß des Weines und Schankzeichen der rheinischen Weinwirtschaften
waren. Von solcher in gelinderem Feuer »gebackener« Ware mit mürbem
wassersaugenden Scherben unterscheiden sich aber die bei scharfem Feuer
von sechzehnhundert Grad gebrannten Lausitzer Töpfe; sie sind hart und
dicht in der Masse, und jede braune Schüssel klingt unterm Schlag mit
dem Fingerknöchel wie eine Glocke.
Mit einigen tretenden Schwüngen der nackten Füße setzt der Töpfer die
Scheibe in schnelle Drehung. Er hat das Gefühl für seine Arbeit auch
in den Füßen, die den formenden Händen dienen als drittes und viertes
Glied; es ist, als fühlten auch die vom Tone graubekrusteten Zehen die
geschmeidige Bildsamkeit des Tones.
Mit kräftigem Hieb haut der Töpfer einen Tonklumpen auf die rotierende
Scheibe, daß er sich fest und luftlos ansaugt. Und während nun die
Scheibe kreist und unten die Füße ruhend zur Seite treten und nur mit
einem leichten Schwunge nachhelfen, wenn die Drehung der Scheibe sich
verlangsamt, greift der Töpfer mit seiner nassen Hand formend in den
mit der Scheibe kreisenden Ton. Ein Napf rundet sich und zieht sich
hoch. Aus einer Grundform, die anfänglich entsteht, wächst das gewollte
Stück; sie weitet sich zum Topf, öffnet sich zur Schüssel, baucht
sich zum Kruge aus, engt sich über der fassenden Wölbung zum Halse
der irdenen Flasche ein. Unter einem Griff der Finger stülpt sich der
Rand des rotierenden Gebildes zum Rande des Topfes, des Kruges, der
Schüssel um; er wird gleichsam gesäumt. Unter einem leichten Druck
mit einem Formhölzchen faltet sich die Gußschnauze in den Rand des
Topfes; sie entsteht wie unter der Berührung mit einem Zauberstäbchen.
Einige streichende Griffe verwandeln eine Tonwurst in einen Henkel,
der sich dem Gefäß anschmiegt, als wisse der Ton längst den griffigen
Schwung, in dem er sich der fassenden Hand darzubieten hat. Man sieht
das alles entstehen, aber man errät nicht, wie es gemacht wird.
Scheinbar dieselben Handgriffe erzeugen alle Formen. Leichtes bildendes
Anschmiegen der Finger, manchmal nur ein Hintippen für eine schnelle
Umdrehung verwandelt die Gestalt. Eine Verwandlung geht in die andere
über; der Ton scheint unter der Hand des Töpfers zu fließen. Leicht
und willig fügt er sich in die gewollte Form. Ja, es scheint kaum die
menschliche Hand zu sein, die alle diese Wandlungen bewirkt; manchmal
mutet es an wie nur ein lenkendes Deuten, das, vom selber belebten
Material willig begriffen, seine Wandlung bewirkt. Und es ist doch die
sichere, an unendlichen Mengen von Gebilden geübte Geschicklichkeit des
Töpfers, die diese spielerisch fließenden Verwandlungen sicher und ohne
Fehlgriff zur endgültigen Gestaltung führt.
Die drei geschicktesten Töpfer dieser Werkstatt sitzen hintereinander,
die Fenster neben sich, in den Bänken. Freundlich zu einer kurzen
erklärenden Deutung ihres Tuns bereit, aber lieber schweigend, formen
sie immerfort die schwingenden Gefäße, heute diese, morgen jene. Sie
arbeiten in Akkord. In ununterbrochener Folge reihen sich Krüge, Töpfe,
Schüsseln vor ihnen auf dem Brett. Ist wieder ein Stück fertig, löst
es der Töpfer mit dem raschen geschickten Schnitt eines Drahtes von
der ruhenden Scheibe und hebt das gummiartig biegsame Gebilde auf das
Brett vor sich. Auch dieses Wegheben gelingt nur dem Geübten. Aber man
ahnt, wenn man es sieht, die Spannung, in die die schnelle Drehung der
Scheibe die Tonatome zusammendrängte, während der Töpfer das Gebilde
formte; sicher ist der Schwung der Töpferscheibe nicht gleichgültig,
sicher formt er mit und gibt, so vermutet man als betrachtender Laie,
dem Gebilde ein anderes Gefüge, anders, als es bei nur mechanischem
Eindrücken der Tonmasse in eine Gipsform sein würde. Vielleicht ist
das eine Täuschung, vielleicht ist der gepreßte Scherben ebensogut
wie der gedrehte; aber die Vorstellung, daß der Schwung mit bilden
helfe, stellt sich beim Betrachten des Vorganges ein. Es wirkt wie
ein organisches Werden; das Entstehen eines simplen Gefäßes auf der
Töpferscheibe hat manchmal Verwandtschaft mit pflanzenhaftem Wachsen,
und ein einfacher irdener Topf, der so leicht zerbrochen und so billig
zu ersetzen ist, erscheint, wenn man ihn entstehen sieht, als ein
Gewordenes, nicht einfach Gemachtes. Man glaubt, ihm den lebendigen
Schwung anzusehen, der ihn formte. »Nur durch beständigen Schwung
wirst du zum schönen Gefäß« – auch Egidy empfand wohl so, als er
dieses Epigramm prägte, und sicher hat er das fließende Aufblühen
der Form aus gestaltlosem Ton auf der kreisenden Töpferscheibe
gesehen. Ton ist Erde; Gebilde, einem für unsere stumpfen Augen noch
verborgenen, Verwandlungen herbeiführenden Schicksal unterworfen –
wissen wir, was wirklich vorgeht, wenn Kristalle sich bilden, Gestein
zu Ton verwittert? Gestein und Erde ist die dünne Kruste unseres
Himmelskörpers, der, um sich selber schwingend, im Weltenraume um eine
Sonne schwingt und dieser Bewegung wohl seine schwellende Gestalt
verdankt – die Gedanken schweifen weit über die Töpferwerkstatt hinaus
in ferne Räume, in denen fortwährend sich wandelnde Gestaltung sich
vollzieht, und die Töpferscheibe scheint kosmische Gesetze zu erfüllen,
wenn von ihrem Schwung irdene Gebilde sich lösen, die nun in der
wallenden Glut des Feuers zu fester Gestalt erhärten und dann Gefäß für
Speise und Trank sein werden, bis sie klirrend im Aufwaschfaß wieder
zerbrechen.
Das Brett ist mit fertigen Gebilden gefüllt und der Töpfer trägt es in
den Schragen, in dem die Gefäße »wasserhart« trocknen müssen, ehe sie
weiter ihren Weg gehen. Wie der Töpfer das Brett trägt, auf erhobener
flacher Hand, erscheint er, dessen Arbeitskleider dick mit Ton beklebt
sind wie mit Teig, wieder wie ein Bäcker, der seine Ware zum Backofen
trägt.
Die Gefäße stehen nun zum Trocknen. Je zwei werden genau
übereinandergepaßt aufgestellt und von Zeit zu Zeit umgedreht, damit
das Wasser gleichmäßig heraustrocknet, ohne daß die Form sich wirft. Es
ist viel mehr sorgfältige Arbeit um einen Topf, als die Frau in ihrer
Küche weiß.
In einer Wanne steht die Glasur bereit: eine appetitlich aussehende
Brühe von der Farbe guten Milchkaffees. Sie wird aus feinen
Lehmerden angerührt, die man in der Gegend von Elstra bei Kamenz
und bei Polnisch-Nettkow an der Oder gräbt. Beide Erden werden
vorher geschlemmt und in bestimmtem Verhältnis gemischt. Sie geben
der Töpferware die braune Farbe und die Glasur, jenes glänzende
durchsichtige Bleiglas, das aus der Verbindung des in den verwendeten
Erden enthaltenen Bleioxyds mit der Kieselerde des Tones entsteht und
bei richtiger Mischung in den gewöhnlichen im Haushalt vorkommenden
Säuren wie Essig nicht löslich ist. Das Glasieren geschieht so, daß
der Töpfer das Gefäß so in die Brühe taucht, daß auch das Innere
gleichmäßig überspült wird, die Unterfläche des Bodens jedoch trocken
bleibt. Gleich nach dem Tauchen wird der Rand des Gefäßes mit einem
Schwamm sauber wieder abgewischt – nicht damit die Hausfrau auf diesem
unglasierten Rand ihr Küchenmesser wetzen kann, sondern damit beim
Brennen die übereinandergestapelten Gefäße nicht zusammenbacken.
Jene innen weiß glasierten Gefäße werden statt mit Lehmglasur mit
weißem Halleschen Gußton ausgegossen und mit einer aus Meißen oder
Pilsen stammenden Spatglasur glasiert. Ein solcher brauner, innen weiß
glasierter Krug sieht höchst appetitlich aus; er riecht geradezu nach
reinlicher Kühle und ist wie vorbestimmt zur Aufnahme von Milch, mit
deren kühler Frische sein weißes, von brauner Rundung umschlossenes
Innere wetteifert. Ebenso wird bei weißer Ware verfahren, die meistens
unter Glasur bemalt oder mit farbigen Schwammtupfmustern verziert als
Lausitzer Bunttöpferei auf den Markt kommt.
Nun endlich ist die Töpferware für den Brennofen fertig. An die
Stelle der früher üblichen Holzfeuerung ist fast überall die
Brikettfeuerung getreten. In Königsbrück gibt es noch eine Töpferei,
in der der Langofen alter Bauart noch mit Holz gefeuert wird, mit
langen Kiefernscheiten, die pulvertrocken sein müssen. Zehn bis elf
Raummeter Holz werden für einen Brand in den Ofen geschoben; nach
sechsunddreißig bis vierzig Stunden ist der Brand fertig. Hinter
einer Schutzwehr alter, schon schlackig verglühter, mit eingebranntem
Aschenflug bekrusteter Töpfe steht die zu brennende Ware ineinander und
übereinander gestapelt, weißglühend, fast substanzlosen Erscheinungen
ähnlicher als irdenen Gebilden, im hellen Feuer, in das hineinzusehen
wie ein Blick in eine allzunahe lohend blendende Sonne ist. In
diesem Scharffeuer von sechzehnhundert Grad verwandelt sich der
milchkaffeebraune Lehmüberzug in das blanke Braun der Glasur. Aber auch
der Ton selbst gerät in ein leichtes Fließen, er verschmilzt in sich,
versintert, wie der technische Ausdruck das benennt, und der Scherben –
»Schorb« sagt der Töpfer – bekommt die klingende Festigkeit, die diese
scharfgebrannte Töpferware vor nur »gebackener« Ware auszeichnet.
Das Brennen im Holzfeuer ist teurer und langwieriger als die jetzt
übliche Braunkohlenfeuerung, gibt aber den Gefäßen einen schöneren
Glanz, ein Vorzug, der wohl auf dem Markt nicht mehr voll gewürdigt
wird. Der durchschnittliche Käufer kauft heute vielfach ohne gediegene
Warenkenntnis; die Billigkeit ist bestimmend. Und der Markt für
Töpferware ist ohnedies durch die blechernen Konkurrenten, durch
Emaille- und Aluminiumgeschirr geschmälert und eingeengt worden. In
allen diesen Lausitzer Kleinstädten, in denen die Töpferei ihren alten,
mit der heimischen Erde verwachsenen Sitz hat, in Pulsnitz, Kamenz,
Königsbrück, Elstra, Bischofswerda, Bautzen, Bunzlau, Naumburg am Queiß
ist die Zahl der Töpfereien zurückgegangen; wo einst in einem Städtchen
in zwanzig Werkstätten die Drehscheiben kreisten, gibt es deren noch
drei, vier oder noch weniger. Noch zwar breiten auf Jahrmärkten
im Lande die Lausitzer Töpfer ihre irdene Ware auf strohbelegten
Straßen aus, und die Transporte gehen weit; in jener Königsbrücker
Töpferei entstehen schöngeformte schnauzenlose Sauermilchkrüge, die
ins Rheinland geliefert werden; doch die Zeiten sind vorbei, in denen
die großen Planwagen der Töpfer die irdene Ware, in dicke Lagen Stroh
verpackt, von Stadt zu Stadt fuhren und die harten Taler graue pralle
Leinwandsäckchen füllten, in die die Töpferfrau hineingriff wie in
einen Beutel Salz.
Aber der alte Töpfer, der uns durch seine Werkstatt führt, liebt sein
Handwerk, und sein Sohn liebt es wieder; schon auf halbem Wege zu einem
anderen Beruf ist er umgekehrt und hat sich an die Töpferscheibe in der
väterlichen Werkstatt gesetzt, die ihm von Kindheit an vertraut war.
Sie reißen nach geratenem Brand und nachdem die Ware gut und langsam,
ohne Haarrisse in der Glasur abgekühlt ist, die Ziegelvermauerung
des Ofens auf. Trockene Hitze strömt in die Werkstatt, in der es
wie in einer Backstube heimelig ist, und aus dem Ofentor glänzt das
blanke braune Geschirr. Halbnackt kriecht der Geselle in den Ofen und
schleppt, gebadet in Schweiß, die gebrannte Ware heraus. Stück für
Stück wird nachgesehen, rauhgewordene Ränder werden glattgeraspelt,
mißratene Stücke ausgesondert. Der Brand ist gelungen, Reihe um Reihe,
in blanken Spiegeln glänzend, kommt das Geschirr aus dem Ofen. Hat die
in Sachsen übliche Redensart: »Er freut sich wie ein Töpper!« hier
ihren Sinn und Ursprung? Mit schmunzelndem Wissen um die Güte seiner
Ware stapelt der alte Töpfer das braune Geschirr auf dem Lagerboden
auf, der trotz allem immer wieder leer wird.
Es ist weit über alle Wohlfeilheit dieser Topfwaren hinaus eine
ästhetische Freude, auf den sauber gefegten Böden die wohlgeordneten
Mengen von Töpfen, Krügen, Schüsseln, Kannen und Pfannen aller Größen
und Formen zu sehen, glänzend in hellem weichem Braun, in grünlichem
Gelb, das durch Beimischung von Schlemmkreide zur Lehmglasur entsteht,
in tiefen kastanienbraunen Glasuren, in denen sich alles dunkel
und blank spiegelt, was rundum steht. An manchen Stücken geht das
Braun in kupferne, metallblau changierende Spiegelungen über, die
die Vorstellung von tönendem Metall erwecken, und wie metallene
Glocken tönt hell und klingend jedes Stück beim Anklopfen mit dem
Knöchel. Reinliche braune, innen weißglasierte Schüsseln erwecken
freundliche Vorstellungen von erfrischenden Sommergerichten: saure
Milch mit Heidelbeeren und Zucker; und man entdeckt geradezu die
»Ästhetik des irdenen Milchtopfes«, zumal alle diese Gefäße in
jahrhundertelangem Umgang mit der formenden und der sie gebrauchenden
Hand eine schöne Nutzform erhalten haben. Jedes Stück trägt die warme
Spur der menschlichen Hand; es ist in ihren Linien jenes geheime
Leben, das allem anhaftet, was aus der unmittelbaren Berührung mit der
menschlichen Hand hervorging; es ist Hand-Werk in einem Sinne, der
sich in engen innungspolitischen, antiindustriellen Bestrebungen nicht
erschöpft. Der bildsame Ton und der Schwung der Drehscheibe haben sich
in der Form dieser blanken braunen Gefäße verschwistert; Feuer hat sie
verbunden; die menschliche Hand hat sie beseelt. Und wenn man die Form
unter der bildenden Hand des Töpfers hat emporfließend entstehen sehen,
begreift man, warum es lockt, die Gefäße in die Hand zu nehmen und ihre
glatte Rundung zu fühlen; und man begriffe es auch, wenn die Hand des
Töpfers noch im Traume weiterformte.
Man erinnert sich, daß die Töpferei eine Erfindung der seßhaft
gewordenen Frau ist. An einem Gefäß aus einem Pfahlbaufund entdeckte
man menschliche Fingereindrücke; man goß sie aus und es erschien die
Plastik einer kleinen Frauenhand, die, als sie Ton zu Gefäßen knetete,
schon Bereiche künstlerischer Gestaltung berührte. Der Bildhauer,
der aus grauem Ton das Ebenmaß göttlich-menschlicher Glieder formt,
bildet aus Erde wie jene Frau in der Urzeit, wie dieser Töpfer im
lausitzischen Städtchen.
Prometheus spricht aus ihrem Tun: hier sitz ich und forme …
Prometheus formte Menschen. Formend und gestaltend formte der Mensch
sich selbst. Sein Schöpfertrieb bewegte ihn und trieb ihn aus der
tierischen Wiege in göttliche Machtbereiche – nirgends liegt die
Erinnerung an das prometheische Bild näher als hier in der Werkstatt
des Töpfers, der urzeitliches Tun in unserer maschinellen Gegenwart
forttreibt.
Sinnend nimmt man ein Klümpchen des bildsamen Tons zwischen die
Finger und knetet es spielend, ohne Vorstellung einer Form, nur des
Gefühles wegen, zu bilden. Und angesichts der kreisrund fließenden
Drehung der Töpferscheibe erweitert Egidys Wort vom beständigen
Schwung seinen philosophischen Sinn über das Moralische hinaus ins
Menschlich-Kosmische.
Die Letzte im Vogtland!
Von _Norbert Götz_, Ingenieur und Studienrat, Plauen i. V.
Gegen die _Windmühlen_ ist in den letzten Jahrzehnten im Vogtlande
wie auch anderwärts ein wahrer Vernichtungskrieg geführt worden. Die
Müllerei lohnte schlecht, und eine andere Verwertung der Windkraft
wußte man sich nicht, also: Weg mit dem alten Plunder! – Eine deutsche
_Bockwindmühle_ haben wir im Vogtland überhaupt nicht mehr. Soweit
wären wir glücklich. Die letzte stand in _Oberpirk_ bei _Mehltheuer_.
Sie war landschaftlich ein Juwel. Als ich ihrer zum ersten Male
ansichtig wurde, ging ich rund um das ehrwürdige Kunstgebilde herum,
suchte mir die günstigsten Beobachtungspunkte, weidete mich an der
prächtigen Schau und schied mit dem festen Vorsatze, bei passender
Gelegenheit mit Skizzenbuch und Meßwerkzeug ins Innere der Mühle
zu dringen. Richtig, am nächsten zweiten Feiertag tippelte ich
wohlgerüstet nach Oberpirk und schwelgte unterwegs im Vorgefühle
kommender Genüsse.
Ach, es kam anders als gedacht, aber sehr: Die Mühle war weg,
mauseweg! – Ich hätte Zornestränen weinen mögen. Die kräftigsten aus
dem Tierreich entlehnten Kosenamen warf ich diesen Vandalen, welche
gewinnsüchtig die Mühle abgebrochen hatten, im Geiste an den Grind,
aber, was halfs? Die Mühle war weg, war und blieb verschwunden, und ich
konnte mit Skizzenbuch und Meßwerkzeug wieder heimgehen. Um diese Mühle
trauere ich noch heute. –
Auch auf der _Syrauer Höhe_ drehte bis in die achtziger Jahre eine
deutsche Bockwindmühle ihre Flügel, betreut von einem Müller aus
der »Torjauer Jechend«. Ein Blitzschlag setzte die Mühle in Brand.
»Was haben Sie denn gemacht, wie da drüben das Knistern und Prasseln
losging?« – »Wat? Ick? Ick habe mir mit meiner Jattin uff der Bank
vors Häuschen hinjesetzt, und wir haben zujesehen, wie die Mühle
wegbrannte.« – Das war auch das Klügste, was der Mann machen konnte.
Zum Löschen fehlte es an Wasser, und zu retten war nichts.
Nach dem Brande wurde die Mühle wieder aufgebaut, nicht als
Bockwindmühle, sondern als »_Holländer_«. _Sie ist die letzte Windmühle
des Vogtlands!_ – Einer meiner ehemaligen Volontäre, Herr _Spörl_,
hat auf meine Veranlassung hin monatelang seine knappe Freizeit
darangesetzt, in allen Winkeln der Mühle herumzukriechen, zu messen und
zu skizzieren, und dann nach seinen Aufnahmen eine gute und wertvolle
Zeichnung von der Inneneinrichtung der Mühle anzufertigen. Hier ist
eine Teilansicht davon, an Hand deren sich auch der Laie ein Bild vom
Innenwerk einer Holländer Windmühle machen kann.
[Illustration: =Das Innere der Syrauer Windmühle=]
Die Drehung des Daches mitsamt der Flügelwelle erfolgt durch Drehen
einer Handkurbel, die auf eine Schneckenwelle aufgesteckt ist. Das
zugehörige Schneckenrad treibt eine stehende Welle an, die am oberen
Ende mit einem Stirngetriebe auf einen am Dachgebälk angeschraubten
Zahnkranz wirkt, und mit diesem gleichzeitig und gleichmäßig Dach,
Flügelwelle und Flügelkreuz dreht. Das ist doch fein, daß man auf
diese einfache Weise die Flügel nach der Windrichtung einstellen
kann! Jawohl, aber der Besucher darf nicht vergessen, daß sich der
Turm und seine Eingangspforte _nicht_ mit drehen, also: _Achtung beim
Hinaustreten aus der Mühle!_ – Wenn während der Anwesenheit eines
Besuchers in der Mühle die Flügel so gedreht werden, daß sie an der
Eingangspforte vorüberkreisen, so kann der achtlos und sorglos aus der
Pforte Heraustretende eine recht unangenehme Überraschung erleben,
nämlich die, daß ihm ein Windmühlflügel huldvoll und gnädig eine
Ohrfeige von so elementarer Wucht verabreicht, wie ihm noch keine
zuteil geworden ist. Also Vorsicht! Die Windmühlflügel verstehen
durchaus keinen Spaß und kennen kein Ansehen der Person. Haben sie
doch sogar dem edlen Ritter von der Mancha, dem tapferen Don Quixote,
benebst seinem Streitroß, der Rosinante, einen derartigen Schlenkerich
gegeben, daß Roß und Reiter weithin in den Sand flogen und übel
zugerichtet wie tot liegen blieben. –
Von der Syrauer Windmühle genießt man eine prächtige Rundsicht. Als wir
– ein Trupp Jungvolk – vor Jahrzehnten einmal dort oben mit Landkarten
und Feldstechern das Vogtland musterten, sagte, mitten in unsere
Unterhaltung hinein, der Windmüller: »Die Herren wollen doch nach
Syrau? Ja? Na dann beeilen sie sich, daß sie trocken in den Gasthof
kommen, denn in _zehn Minuten haben wir Regen_.« – Wir lachten hell
auf, denn kein Wölkchen stand am Himmel, und Mutter Sonne meinte es
gut, aber der Müller ließ sich nicht beirren, drängte zum Aufbruch,
und so folgten wir endlich und gingen dem Dorfe und dem Zaumseilschen
Gasthofe zu. – Wir gingen nicht lange langsam, wir gingen bald gar
nicht mehr: In schärfstem Dauerlauf nahmen wir die Strecke bis zur Bahn
und suchten unter dem Bogen, der den Fröbersgrüner Weg überspannt,
Schutz vor der niederprasselnden Flut. Ei, wie hat der Windmüller Recht
gehabt! Ei, wie kannte der Mann aus der »Torjauer Jechend« seinen
vogtländischen Himmel! – Der Mann war eine Natur. Wie oft sagte er mir:
»Ich bin hier oben König. Was ich rundum sehe, ist mein!« Dieser Geist
fängt an, uns bedenklich zu fehlen. –
Der Freundlichkeit des Müllers verdanke ich längeren Aufenthalt
unter dem Dach der Windmühle während eines Sturms, ein Kunstgenuß
furchtbarster Art. Jawohl Kunstgenuß, denn die grause Schönheit der
entfesselten Naturgewalt gemahnt an Michelangelo und Dante. Sie wirkt
auf Menschen mit Menschennerven geradezu zermalmend und ruinierend. Ich
warne Neugierige. –
_Die Letzte im Vogtland!_ Die Syrauer Windmühle dürfte erhalten
bleiben. Wer auf der Strecke Hof–Plauen zwischen Mehltheuer und Syrau
links zum Fenster hinausguckt, kann die letzten Flügel einstiger
Windmühlenherrlichkeit haspeln oder ruhen sehen: der Abschiedsgruß
eines untergehenden Gewerbes! Das Alte stürzt, es ändern sich die
Zeiten, und neues Leben blüht aus den Ruinen. Aber dieses »neue Leben«
ist gar nicht so »neu«, wie es den Anschein hat, und wie wir uns nur
allzugern einreden, oder allzuwillig einreden lassen. Leben ist ewige
Wiederkehr, für uns Menschen, wie für unsere Werke. Über ein Weilchen
werden auch die Windmühlen wiederkommen, wenn auch in anderer Form,
wenn auch zu anderem Zweck, vielleicht als irgendein Windmotor zur
Erzeugung von elektrischem Strom. Auf Wiedersehen dann!
Unsere Rohrdommeln
Von _Rud. Zimmermann_, Dresden
Mit Abbildungen nach Naturaufnahmen des Verfassers
Meine vogelkundlichen Studien in dem Oberlausitzer Niederungsgebiet
während der letzten Jahre brachten mich in nähere Berührung auch mit
zwei Vögeln, die ich zwar bereits früher schon kennen gelernt hatte,
bis dahin aber noch nie in einer so ausgezeichneten und eingehenden
Weise besonders auch an ihren Nestern beobachten durfte, wie hier.
Es sind dies unsere zwei Rohrdommeln. Sie führen ja beide eine sehr
versteckte Lebensweise, so daß sie auch der, der Teichlandschaften
regelmäßiger besucht, meistens weniger und sicherlich seltener zu
Gesicht bekommt, als so manche andere teichbewohnende Vogelart, während
sie den vielen anderen, die Teichgegenden nicht oder nur flüchtiger
kennen, in der Regel überhaupt unbekannte Erscheinungen sind. –
[Illustration: Abb. 1. =Brütende Zwergrohrdommel=]
Im zeitigen Frühjahr schon erfolgt an den sommersüber von ihr bewohnten
Stätten die Rückkehr der zuweilen auch bei uns überwinternden größeren
Art, der Großen Rohrdommel, die im Frühjahr 1925 in meinem Lausitzer
Beobachtungsgebiete bereits in den ersten Märztagen wieder an ihren
Brutplätzen eingetroffen war – ein im vorhergegangenem Jahr erbrüteter
und von mir beringter Jungvogel allerdings trieb sich noch Ende April
in Norditalien umher –, und etwas später als die Große kehrt – in der
Regel im April – die kleinere Art, die Zwergrohrdommel, in die Heimat
zurück. Die aus den Vorjahren erhalten gebliebenen dichten Bestände
alten Rohres und Schilfes bilden tagsüber die Aufenthaltsorte unserer
Vögel; selten nur, daß man einmal einen aus ihnen aufsteigen und über
einen Teich dahinfliegen sieht, die Kleine ihrer größeren Häufigkeit
entsprechend eher noch als die auch heimlichere Große. Dem aufmerksamen
Beobachter aber verraten sie ihre Anwesenheit bald durch ihre Stimmen.
Die zunächst nur gelegentlichen und einsilbigen, wenig auffallenden
und nicht besonders lauten, dumpfen Rufe der Großen Rohrdommel gehen,
nicht selten schon in der zweiten Märzhälfte, spätestens aber in den
ersten Apriltagen, in das bekannte, so oft schon geschilderte, kräftige
und stundenweit vernehmbare ui_hump ui_hump über. Und bald wird man es
vom frühen Morgen bis zum späten Abend und regelmäßiger noch während
der Nacht in fast ununterbrochener, pausenloser Folge hören können,
daß man sich oft fragt, ob denn unser Vogel nicht auch einmal der Ruhe
bedarf? Und in das ui_hump ui_hump der Großen klingt das freilich
weniger auffallende, leichter zu überhörende und wohl auch oft genug
schon überhörte Wrurr-wrurr der Zwergrohrdommel hinein, das eine große
Ähnlichkeit mit dem Gequarre manches Frosches besitzt und auch leicht
mit einer Froschstimme verwechselt werden kann.
[Illustration: Abb. 2. =Zwergrohrdommel sichernd auf dem Nest=]
Über das Vorkommen und die Häufigkeit der beiden Rohrdommelarten in
unserem sächsischen Vaterlande waren wir bis in die neueste Zeit hinein
nicht gerade sonderlich gut unterrichtet. Die Große bevölkert heute
ausschließlich nur ostelbische Landschaften, den flachen, teichreichen
Nordosten des Landes etwa von der Gegend von Königswartha an
ostwärts, ist hier erfreulicherweise aber durchaus noch keine seltene
Erscheinung. Ich bin überrascht von der Zahl der von mir während
der letzten Jahre verhörten rufenden Männchen und glaube nach den
Erfahrungen, die ich an anderen Orten des Vorkommens unseres Vogels
gemacht habe, daß eine wesentlich höhere Besiedelungsdichte in unserem
Gebiet auch kaum möglich ist. Westlich der hier gekennzeichneten
nordostlausitzischen Landschaften tritt unser Vogel nur vereinzelt und
wohl auch mehr gelegentlich auf. So wurden rufende Männchen 1924 an
dem Zschornaer und dem Grüngräbchener Lugteich, ein anderes sogar am
Dippelsdorfer Teich verhört. Früher allerdings scheint der Vogel auch
hier häufiger gewesen und regelmäßiger vorgekommen zu sein, scheint das
heute nur auf den Osten beschränkte Gebiet regelmäßigeren Vorkommens
sich in westlicher Richtung bis an die Moritzburg-Dippelsdorfer
Teiche ausgedehnt zu haben. Ob aber der Rückgang hier ausschließlich
nur auf die Nachstellungen zurückzuführen ist, denen unser Vogel
als »Fischereischädling« ausgesetzt gewesen ist und die, wenn man
aus den Erzählungen alter Förster und den Trophäen, die man in
so manchem Forst- und Jagdhaus findet, einen Schluß ziehen darf,
manchesmal allerdings sehr rücksichtslose gewesen sein mögen, möchte
ich trotz alledem noch bezweifeln; es scheinen auf ihn vor allem auch
Veränderungen in den Vegetationsverhältnissen, die heute viel weniger
dichte Bewachsung vieler der hier in Frage kommenden Teiche von großem,
ausschlaggebendem Einfluß gewesen zu sein. In der Nordostlausitz wird
unser Vogel von den dort angesessenen Grundherren erfreulicherweise
durchgängig geschont und ihm das Deputat an Fischen, das er erhebt,
gern gegönnt; es fällt ja auch gar nicht so sehr ins Gewicht bei dem
großen Anteil, den besonders auch wirtschaftlich wertlosere Fische
an ihm haben. Wenn hier ja einmal noch eine Rohrdommel einer Kugel
zum Opfer fällt, so geschieht dies nur ganz selten und auch nur
versehentlich auf einer Entenjagd oder – wovon ich mich im Vorjahre
selbst überzeugen mußte – auf Pachtrevieren, die ja selten Pflegstätten
des Naturschutzes sind.
[Illustration: Abb. 3. =Junge Zwergrohrdommel=]
Fast dürftiger noch als über das Vorkommen der Großen sind wir
zeitweise über das der Zwergrohrdommel unterrichtet gewesen, ist
sie von vielen doch häufig für seltener als ihre große Schwester
gehalten worden. Dank einer auf Freund Heyders Anregung hin von P.
Weißmantel vorgenommenen gründlichen Untersuchung des Vorkommens
der Zwergrohrdommel in Sachsen[1] wissen wir heute, daß sie ein bei
uns weitverbreiteter Vogel und in allen größeren Teichgebieten des
Landes mit ihr zusagender Vegetation eine regelmäßige und stellenweise
sogar recht häufige Erscheinung ist. Sie kommt in den westsächsischen
Teichlandschaften ebenso wie in den ostsächsischen vor und erreicht
in diesen letzteren ihre größte Häufigkeit in unserem sächsischen
Vaterlande. In dem Königswarthaer Gebiet sind mir alljährlich,
meistens ohne daß ich sonderlich danach gesucht habe, in fast allen
der von mir regelmäßig begangenen Teiche Nester, in vielen sogar in
größerer Anzahl, bekannt geworden (so z. B. 1925 in einem nur etwas
über einem Hektar großen allein drei, die so dicht beieinanderstanden,
daß man von den Anfängen einer Koloniebildung reden konnte). Und wie
um Königswartha selbst, so fand ich die Verhältnisse auch in dessen
weiterer Umgebung, ganz in Übereinstimmung mit Freund Weißmantels
längeren Lausitzer Erfahrungen.
»Wenn in den Apriltagen,« so schildert der Genannte unseren Vogel,
»junges Grün die fahlen Überreste der vorjährigen Schilfbestände
durchsetzt, stellen sich die ersten Zwergrohrdommeln ein. Längere Zeit
suchen sie dem Beobachter ihre Ankunft geheim zu halten. Weder ein
Ruf ist in den ersten Tagen ihrer Rückkehr zu hören, noch zeigt sich
ein Vogel für kurze Zeit über dem im lauen Frühlingswinde erwachenden
Rohrwalde. Erst, sobald die wärmende Frühlingssonne ihren Einfluß auch
auf die Nachttemperatur geltend machen kann, fängt es im Rohr an zu
rumoren. »Wrurr,« erst einzeln und leise, für den Unaufmerksamen kaum
hörbar, dann zwei bis dreimal hintereinander, bis zuletzt lange Reihen
daraus werden, so lockts im Röhricht. Die Zwergrohrdommel balzt …
Werden die Tageszeiten wärmer, liegt vor allem Gewitterstimmung in
der Luft, dann schweigt die Zwergrohrdommel auch am Tage nicht, dann
heißt es auch aufpassen. Unversehens und geräuschlos fliegt sie auf
fällt bald wieder ein oder wechselt von einem Schilfdickicht hinüber
zu dem des Nachbarteiches. Unvergessen steht mir da der 30. Juli 1923
in der Erinnerung. Ich saß mitten im ausgedehnten Teichgebiete von
Königswartha auf einem Teichschützen. Gewitterschwüle nötigte zum
Ausruhen. Vor mir wrurrte eine Zwergrohrdommel. Bald erklang derselbe
dumpfe Ruf von rechts und von links, von vorn und von hinten. Nicht
genug damit, eine ganze Anzahl Dommeln, vier bis sechs gleichzeitig,
hatten das schützende Röhricht verlassen. Dicht über das Dickicht
dahinstreichend, fielen sie nach kurzem Fluge an anderen Stellen
wieder ein … Selten gelingt es, die Zwergrohrdommel beim Fischen
zu beobachten. Am schönsten konnte ich dies in Döbra. Ebenfalls am
30. Juni, jenem großartigen Rohrdommeltag, stand ein alter Vogel
regungslos, den Körper fast wagerecht haltend, mit eingezogenem Halse
im seichten Wasser eines Brutteiches. Zeitweise bog er den Hals
langsam in eine schöne ~S~-Form, um ihn zuletzt blitzschnell schräg
nach vorn zu strecken, dabei den Schnabel, meist auch den Kopf ins
Wasser steckend. Nur Augenblicke dauerte es, dann kehrten Hals und Kopf
in die ursprüngliche Lage zurück, nur mit dem Unterschiede, daß ein
fingerlanger Fisch unter fortgesetztem Strecken und Zusammenziehen des
Halses hinabgewürgt wurde. Dreimal konnte ich das seltene Schauspiel
genießen und mich anschließend überzeugen, daß die Zwergrohrdommel
durchaus Feinschmecker ist. Die Fische waren halbwüchsige Schleien. Ein
leises Knacken von dürren Zweigen – ein Reh zog am Teichufer vorüber –
änderte das Bild. Augenblicklich kauerte die Zwergrohrdommel zusammen,
Rumpf, Hals, Kopf und Schnabel schnellten lotrecht empor. Kaum eine
Sekunde lang verharrte sie in dieser wunderlichen Stellung, dann flog
sie mit ängstlichem ›gät gät‹ in die nächste Rohrdickung.«
Von Ende Mai an, häufiger aber im Juni und selbst noch im Juli
findet man die in der Regel mit fünf bis sechs, aber auch mit sieben
reinweißen Eiern voll belegten Nester. Sie sind immer sehr versteckt
in dichtem, häufig von Weiden- und anderem Gestrüpp durchsetzten
Dickichten jungen und älteren Schilfes und Rohres zu finden, stehen
in der Regel über dem Wasser nahe des Ufers, können aber auch –
allerdings etwas weniger häufig – weiter im Innern der Teiche, dann
aber auch wieder selbst am Ufer über dem Lande, wenn dieses das dem
Vogel gut bergende und daher von ihm auch unbedingt verlangte dichte
Gestrüpp von Schilf und Rohr, strauchigen Weiden und anderen, ähnlich
hoch wachsenden Pflanzen trägt, angelegt sein. Das Nest ist ein nur
kleiner, flacher und locker geschichteter Bau aus alten Rohrstengeln,
Schilfblättern und ähnlichem Pflanzenmaterial, bald auf dürrem,
umgeknicktem Rohr aufgeschichtet, bald in das Gewirr der jungen, grünen
und der mehrjährig-dürren Stengel und Halme eingefügt, bald fast der
Wasserfläche aufsitzend, bald wieder bis zu einem halben Meter hoch und
vielleicht hin und wieder auch noch etwas darüber angelegt. – Häufig
und gern habe ich, gut gegen Sicht gedeckt, an den Nestern unseres
Vogels gesessen, und manchesmal, auch wenn an kühleren Tagen die im
Wasser stehenden Füße eine Gänsehaut überlief und fröstelnd auch der
übrige Körper erschauerte, stundenlang ausgeharrt, die immer wieder
neuen Reize bestrickendster Bilder voll auskostend. Der Vogel bietet
des Anziehenden ja so unendlich viel. Seine Scheu und Vorsicht und das
ihm eigene große Mißtrauen geraten in einen ganz eigenartig berührenden
Gegensatz zu seiner fast rührenden Anhänglichkeit an Nest und Gelege
oder der bereits ausgefallenen Brut, und so ergeben sich dann, wenn
der durch den Beobachter vom Neste geschreckte Vogel fast unmittelbar
nach dem Verlassen desselben wieder zu ihm zurückstrebt, sich ihm unter
ununterbrochenen Sichern und den phantastischsten Körperhaltungen und
Körperverrenkungen nähert, die wunderlichsten, fesselndsten Szenen, die
nur der verstehen kann, der sie schon einmal mit beobachten durfte.
[Illustration: Abb. 4. =Große Rohrdommel auf dem Nest=]
Und wenn gar die Jungen im Neste sitzen, diese graugelblichen und
flaumigen, abenteuerlichen Gestalten, und wütend den Beobachter
anfauchen oder wehrhaft nach ihm mit den spitzen Schnäbeln hacken, wenn
sie flüchtend, mit den unendlich langen Ständern weitausgreifend im
Rohre verschwinden, um aber, wenn die eingebildete Gefahr vorüber ist,
sofort wieder in das Nest zurückzukehren, wenn dann gar die Mutter mit
einem jungen Fische zurückkommt, die hungrigen atzend, da vergißt man
über dem Gesehenen auch gern einmal die besonders auf der materiellen
Seite liegenden Schattenseiten des freien Naturforscherlebens und freut
sich ungeschmälert eines Berufes, der einem mit jedem Tag in immer
engere Beziehungen zu der ewig-jungen Natur bringt. –
[Illustration: Abb. 5. =Große Rohrdommel brütend=]
Zeitiger als die Zwergrohrdommel, ihrer früheren Rückkehr an
die Brutplätze entsprechend, denkt die Große Rohrdommel an das
Fortpflanzungsgeschäft. Ich fand 1924 in meinem Königswarthaer
Beobachtungsgebiet zwei Nester, in denen die Vögel bereits im April mit
dem Legen begonnen haben mußten. Sie boten mir nicht nur Gelegenheit zu
ausgiebigen Beobachtungen über das in vielem noch recht wenig bekannte
Brutleben, sondern brachten mir auch die überhaupt ersten Nestaufnahmen
unseres bisher am Neste ja so wenig beobachteten Vogels. Ich habe
über meine Beobachtungen bereits ausführlicher an anderer Stelle
berichtet[2], möchte aber daraus hier für diejenigen vogelkundlich
interessierten Leser der Heimatschutz-Mitteilungen, denen meine Arbeit
nicht zugänglich ist, das folgende wiederholen:
»Beim Näherkommen an das Nest richtet in der bekannten Weise der Vogel
Kopf und Hals senkrecht empor (die beiden auch hier beigegebenen
Aufnahmen geben dies ja sehr schön wieder) und erhebt sich schließlich,
wenn ihm die Nähe des Beobachters zu gefahrdrohend wird, vielfach
deutlich zögernd, zum Abflug. ›Unbeweglich,‹ so notierte ich an
Ort und Stelle, ›verharrt beim Näherkommen der Vogel noch auf dem
Nest, flacher nur legt sich der Rumpf auf dieses, gestreckter und
dünner wird der höher und höher emporwachsende Hals, scharf blickt
das in seiner absoluten Unbeweglichkeit fast wie ein eingesetzter
glänzender Edelstein wirkende gelbe Auge, bis dann endlich Leben in ihn
kommt: langsam und ohne jede hastende Eile, ruckweise, mit deutlich
abgesetzten Bewegungen in den Gelenken, daß man an ein aufgezogenes
mechanisches Kunstwerk erinnert wird, erhebt er sich, macht eine
leichte Wendung zur Seite und fliegt ab, in gerader Richtung nach
einer etwa hundert Meter entfernten Stelle im Teichinnern, wo er im
Rohrbestande einfällt.‹ Dieses Einfallen erfolgte, sooft ich es sah,
ausnahmslos an der gleichen Stelle …, der nach dem Abflug vom Neste
eingefallene Vogel richtete sich sofort auf kurze Augenblicke sichernd
zur Pfahlstellung auf, hastete dann im Rohre kletternd und mit den
Ständern weit ausgreifend, daß diese viel länger schienen, als sie es
wirklich sind, einige Meter vorwärts, sicherte von neuem, und strebte
so, ununterbrochen zwischen hastigem Klettern und sicherndem, kurzem
Verweilen wechselnd, dem Neststandort zu, so daß er fast unmittelbar
nach seinem Abflug schon wieder in Nestnähe war und aufmerksam,
zum unbeweglichen Pfahl geworden, die Vorgänge an ihm verfolgte,
das Entfernen des Beobachters abwartete … Verschieden von dem eben
geschilderten Verhalten des noch brütenden ist dasjenige des seine
Jungen bereits betreuenden Vogels. Auf meinen beiden Nestern traf ich,
nachdem diese die bei meinen Besuchen allerdings schon einige Tage
alten Jungen enthielten, die alten Vögel überhaupt nicht mehr an; sie
hielten sich im Pflanzenbestand neben den Nestern auf und wurden nur in
Ausnahmefällen hoch. Ob vielleicht, von mir unbemerkt, erst vor meinem
Herankommen an die Nester die Vögel diese verlassen hatten, vermag
ich allerdings nicht zu sagen. Das erste Nest enthielt bei meinem
Besuche am 31. Mai drei Junge, ruppig aussehende und lebhafte, sich
äußerst wehrhaft gebärdende Kerlchen, die durch rauhes, krächzendes
Geschrei und unmöglich weites Aufreißen der Schnäbel – man glaubte, in
unergründliche Abgründe zu schauen – des Beobachters sich zu erwehren
versuchten oder durch Verschwinden und gewandtes Umherklettern im Rohr,
aus dem sie sich aber immer wieder ins Nest zurückfanden, sobald die
eingebildete Gefahr vorüber war, sich ihm zu entziehen trachteten.
Als ich eines der Jungen in die Hand nahm, verkündete mir ein rasch
aufeinanderfolgendes, nicht übermäßig lautes, rauhes ›Goak-goak‹, daß
der bisher von mir trotz aller darauf verwandten Aufmerksamkeit noch
nicht gesehene und sich auch jetzt dem Anblick entziehende alte Vogel
doch in unmittelbarster Nestnähe sein mußte. Erst als ich nochmals
eines der Jungen in die Hand nahm und ihn dadurch zu neuen Rufen
veranlaßte, entdeckte ich ihn. Drei bis dreieinhalb Meter nur von mir
entfernt, in der üblichen Pfahlstellung sich an einige Typhastengel
anklammernd, klebte er, mir zugeneigt, als ob er jeden Augenblick sich
auf mich stürzen wolle, und dabei in seiner Umgebung so aufgehend, daß
ich ihn trotz meiner dafür doch leidlich geschärften Augen bislang
übersehen hatte und es auch jetzt, wenn ich einmal die Blicke von ihm
abgelenkt hatte, immer wieder eines erneuten, sekundenlangen Suchens
bedurfte, um ihn in dem braunen Pflanzenbestand auszumachen. Die
Schutzfärbung des Tieres ist eine höchst vollkommene, und das Aufgehen
des Vogels in seiner Umgebung wirkt manchesmal direkt verblüffend.«
[Illustration: Abb. 6. =Große Rohrdommel fliegend=]
In unseren Naturgeschichtswerken kommen die beiden Rohrdommeln, vor
allem die Große, nicht immer gut weg. Zwar werden sie gern, in erster
Linie wohl ihrer wenig offenkundigen Lebensweise und des Dunkels wegen,
das noch über manchen ihrer Lebensäußerungen liegt, »interessante«
Geschöpfe genannt, umgekehrt aber als falsch und heimtückisch
bezeichnet und mit noch anderen ähnlichen, vom Menschen als häßlich
empfundenen Eigenschaften ausgestattet. Kann man aber einem Vogel, der
so wie unsere Rohrdommeln die Heimlichkeit liebt und aus diesem Grunde
schon mit einem gewissen Mißtrauen ausgerüstet ist und ausgerüstet sein
muß, es zum Vorwurf machen, wenn er, in die Enge getrieben, sich auch
einmal dem Menschen gegenüber zur Wehr setzt, wenn er, wohl gar durch
die ihm vom letzteren angetragene Kugel verwundet, diesem – seinem
Peiniger – seine in dem kräftigen und spitzen Schnabel bestehende Waffe
fühlen läßt? Wohl kaum! Ich würde dem, der mich auf die linke Wange
schlägt, auch meine »Rechte« darbieten, derb und kräftig, daß er sich
einen zweiten Schlag wohl überlegen würde, und ich würde es meinem
künftigen Biographen (der allerdings wahrscheinlich noch gar nicht
geboren ist) schon heute verübeln, wenn er mir deswegen Eigenschaften
andichten wollte, mit denen eifrige Naturgeschichtsschreiber unsere
Rohrdommeln belastet haben.
Mir sind sie jederzeit ungemein fesselnde und anziehende Vögel gewesen
und werden dies auch bleiben, solange Frühlingssonnenglanz mich noch zu
Teichexkursionen zu begeistern vermag.
Fußnoten:
[1] P. Weißmantel, Ueber Vorkommen und Lebensweise der
Zwergrohrdommel, ~Ixobrychus minutus~ (L.), in Sachsen.
Mitt. d. Ver. sächs. Ornithol. 1, 5. Heft (1925) S. 89–98.
[2] Rud. Zimmermann, Am Neste der Großen Rohrdommel, ~Botaurus
stellaris~ (L.). Pallasia, Ztschr. f. Wirbeltierkunde 2
(1924/25), S. 185–194.
Gräberfelder der Lausitzer Kultur
Von Dr. _Walter Frenzel_, Bautzen
Abbildungen aus dem Bildarchiv der Gesellschaft für Vorgeschichte und
Geschichte der Oberlausitz zu Bautzen
Im zweiten vorchristlichen Jahrtausend wohnte in Ostdeutschland
ein Volksstamm, dessen eigentlichen Namen die Wissenschaft mangels
schriftlicher Überlieferung noch nicht kennt. Da seine auffallendsten
Kulturüberreste, die Gräberfelder mit den Buckelurnen, doppelkonischen
und gehenkelten Näpfen zuerst in der Ober- und Niederlausitz gefunden
wurden, sprach man von der Lausitzer Kultur und dem Volke der Lausitzer
auch noch dann, als man mit dem Fortschritt der Forschung gefunden
hatte, daß diese Kultur bis an die Küste der Ostsee reicht, bis
weit nach Polen hinein sich erstreckt, über Elbe und Saale hinaus
westwärts vorgedrungen ist und im Süden einst die böhmischen und
ungarischen Gefilde als Wohnstätte sich auserkoren hatte. Wenn daher
eigentlich der Name »Lausitzer« zu eng gefaßt ist für die geographische
Verbreitung der Kultur, so wird er doch von der Wissenschaft weiterhin
fortgeführt, da man erkannt hat, daß diese Kultur in den beiden
Lausitzen Brennpunkte höchster künstlerischer Entwicklung zeitigten.
Nur einen kleinen Ausschnitt aus den ungeheueren Stoffmassen, die
für die Lausitzer Kultur bereits vorliegen, will ich hier aufzeigen
und einen Gegenstand behandeln, der selten breiterer Öffentlichkeit
zugänglich ist: _Grabformen_. Auch dieses Teilgebiet kann hier nicht
erschöpft werden, da im Laufe der einzelnen Jahrhunderte, während
der die Lausitzer Kultur blühte, sich zahlreiche Wandlungen auch
in den Grabbräuchen und nicht nur in den Gefäßformen entwickelten.
Überdies vermag heute die Wissenschaft noch nicht anzugeben, ob in
den verschiedenen Grabformen auch soziale, rechtliche und besondere
religiöse Anschauungen sich widerspiegeln.
[Illustration: Abb. 1. =Bautzen. Kriegersiedlung.= Grab 2]
Aus der mittleren Bronzezeit (1500 bis 1200 v. Chr.) ist in Abbildung
1 ein Grab von dem weitgedehnten Gräberfelde Bautzen-Kriegersiedlung
dargestellt. In jener Zeit war man voll und ganz zur Totenverbrennung
übergegangen. Wir finden daher in diesen Gräbern keine Skelette, wohl
aber die verbrannten und nachträglich noch zerkleinerten Knochenreste
der Toten. Aus einigen Merkmalen (Abnutzung der Zahnkronen,
Größenverhältnisse einzelner Skeletteile) kann man noch Rückschlüsse
auf Alter und Geschlecht des Toten ziehen.
[Illustration: Abb. 2. =Wessel= bei Milkel. Grab 10. Hinter der
Buckelurne mit abgebrochenem Ösenhenkel auf dem Erdkegel der
Spinnwirtel, durch den das Grab als einer Frau gehörig bezeichnet wird.
Rechts bei der Grabsetzung (absichtlich aus kultischen Anschauungen?)
zerbrochene Gefäße]
In Abbildung 1 sehen wir in der Mitte eine zerbrochene Deckschale,
welche auf die Knochenurne gestülpt war, diese steht aufrecht darunter.
Verschiedene Beigefäße stehen um diese her, sie sind umgestülpt und
stellen wohl Topfgerät dar, welches der Tote im Leben benutzte und
das ihm ins Jenseits mitgegeben wurde. Andere Gefäße wiederum stehen
aufrecht, sie enthielten zur Zeit der Grabsetzung die Totennahrung,
von der wir hin und wieder verkrustete Reste im Innern der
aufrechtstehenden Krüge und Kannen vorfanden. Das Grab selbst ist stark
beschädigt, es war einst mit Steinplatten bedeckt. Als man aber während
der Kriegs- und Inflationszeit hier Kleingärten anlegte, rodeten die
fleißigen Leute all die unbequemen Steine, die in zwanzig bis dreißig
Zentimeter Tiefe den Wurzeln die nötige Nahrung versagten, aus, und
zerstörten dabei die Gräber. Nur wenige kleinere Gefäße sind uns
erhalten geblieben – Abbildung 1: die bauchige Henkeltasse links und
die Tasse darüber. Die anderen Gefäße sind mehr oder weniger zerdrückt
und müssen erst in mühevoller Kleinarbeit zusammengefügt werden.
[Illustration: Abb. 3. =Niederkaina= bei Bautzen. Grab 1. Links Urne
mit Resten eines Kindes, in der Mitte Scherben von Beigefäßen, rechts
Urne mit Resten eines Erwachsenen, rechts davor eine verschobene
Wandplatte und darauf die nach rechts entführte Deckplatte der
Steinkiste]
Eine andere Art, das Geschlecht des Toten zu bestimmen, besteht in
der Beobachtung der Beigaben. In Abbildung 2 ist ein Frauengrab
dargestellt, das als solches durch die Beigabe eines Spinnwirtels (auf
dem Erdkegel hinter der Bildmitte) dargestellt ist. Die Knochenurne
steht am weitesten links, Hausgerätschaften sind in östlicher
Richtung davor aufgereiht. Die Bestimmung des Alters der Toten durch
Beobachtung der Größenverhältnisse der einzelnen Knochenreste führte
bei dem Grabe auf Bild 3 und 4 dazu, das wir folgende Feststellung
machen konnten: In dem schräg liegenden kleinen Gefäß auf der linken
Bildseite (angebrochene Deckschale), lagen die Reste eines Kindes,
dessen ungefähres Alter durch die Beigabe eines kleinen Fingerringes,
der den Umfang der Fingerweichteile widerspiegelt, festgelegt ist. In
der großen Knochenurne auf der rechten Bildhälfte war eine erwachsene
Person beigesetzt.
[Illustration: Abb. 4. =Niederkaina= bei Bautzen. Grab 1. Links Urne
mit Resten eines Kindes, schräg darüber die Deckschale. Rechts Urne mit
Resten eines Erwachsenen auf der Grundplatte einer sonst weggeräumten
Steinkiste]
Die bezeichnendste Grabform der Lausitzer Zeit ist die Steinkiste: Um
eine wagerecht liegende viereckige Grundplatte stellte man aufrecht
vier Wandplatten, setzte die Knochenurne und etwaige Beigefäße in
die so entstehende Steinkiste hinein und deckte das Ganze durch eine
Deckplatte zum Würfel ab. Auf Abbildung 3 sehen wir die durch den Pflug
zerstörten Reste der Steinkiste auf der rechten Bildfläche bei der Urne
mit den Überresten des Erwachsenen. In Abbildung 4 sind die Wandplatten
beiseite geräumt, die zerdrückte Urne ist freigelegt und steht auf der
granitenen Grundplatte. An ihrer rechten Seite gewahrt man ein kleines
Schälchen, das unter dem eingezogenen Leibe der Urne gerade noch Platz
gefunden hatte. Nur in Gebieten, wo der schalig klüftende Granit
ansteht, konnten regelmäßige Steinkisten errichtet werden. Aber die
Steinkiste ist nicht die Regel. Vom selben Gräberfelde stammt das Bild
5, welches eine Steinpackung darstellt, die allerdings durch Pflug und
Rodung aus ihrer sonst völlig pflastermäßigen Ordnung gebracht ist.
[Illustration: Abb. 5. =Niederkaina= bei Bautzen. Grab 3. Vom Pfluge
und durch frühere Waldrodung gestörte Steinsetzung]
Eine andere Grabanordnung mit reicheren Beigaben an Tonware bildet sich
beim Übergang zur jüngeren Bronzezeit in den nächsten Jahrhunderten
aus. Das Grab, welches in Abbildung 6 dargestellt ist, enthält nicht
weniger als neunzehn Gefäße der verschiedensten Art. Auch dieses
Grab ist durch den Pflug arg zerstört. Im Vordergrunde sieht man den
Bodenteil der Knochenurne, deren gehenkelter Oberteil nach der
Bildmitte zu verdrückt ist. Zwischen beiden liegen in einem wirren
Haufen die Reste des Toten.
[Illustration: Abb. 6. =Wessel= bei Milkel. Grab 18. Vom Pfluge
zerstört nach Abräumung der Steinsetzung darüber. 19 Gefäße sind
beigesetzt]
Aber nicht immer bettete man den Toten zur letzten Ruhe in einer Urne.
In Diehmen bei Gaußig fand ich in einer flachen Mulde die Knochen zu
unterst frei in der Erde liegend, darüber war die Holzkohleschicht, die
von der Totenverbrennung herstammte, geschüttet. Nicht ein einziger
Schorb war auf _dieser_ Grabstelle des bronzezeitlichen Gräberfeldes
Diehmen zu finden. Das Vorkommen derartiger Brandschüttungsgräber
erklärt uns aber auch die merkwürdige Tatsache, daß umfangreiche
Gefäßstellungen aufgedeckt werden, in denen nicht ein einziger
Knochenrest gefunden wurde. Ein solches Schein- oder Ehrengrab ist in
den Abbildungen 7 und 8 dargestellt. In der Mitte stehen übereinander
drei Gefäße, die zwei unteren aufrecht, das obere, welches stark
zerdrückt war und von dem sich der Boden und ein Henkel in der Mündung
des größeren Gefäßes zeigen, verkehrt. Ringsum aber waren sieben Krüge,
Tassen und Kannen verkehrt aufgestellt. Gefühlsmäßig möchte man eine
solche Grabstellung als Äußerung der Trauer ausdeuten.
[Illustration: Abb. 7. =Wessel= bei Milkel. Grab 2 ~G~. Schein- oder
Ehrengrab nach Wegräumung der Steinsetzung]
[Illustration: Abb. 8. =Wessel= bei Milkel. Grab 2 ~G~. In der Mündung
des aufrechtstehenden Mittelgefäßes ein halber Boden und ein Henkel
einer ursprünglich verkehrt darübergestülpten Henkeltasse]
Noch eine letzte Form der Totenbestattung sei hier gestreift und
durch Bilder erläutert. An der Südseite des Grabes, Abbildung 9,
sind deutlich die Gefäße in aufrechter bzw. verkehrter Stellung zu
erkennen. Nach Norden zu aber, in der Blickrichtung des Beschauers,
erstreckt sich eine dicke Lagerung von Holzkohlen und Steinen: Die
Verbrennungsstelle (Ustrine). Hier war der Tote niedergelegt und über
ihm ein Scheiterhaufen aus wagerechten Bohlen, die wir noch fanden, und
Hitzesteinen zum Aufspeichern der Wärme, errichtet. Diese sollten dazu
dienen, den zu verbrennenden Körper auszudörren, damit bei den wenig
heizkräftigen Brennmitteln jener Zeit der Körper verzehrt werde. Die
Hitzesteine sind infolge der starken und wahrscheinlich wiederholten
Erwärmung kantig zersprungen. Um das Grab äußerlich zu kennzeichnen,
wurde aber auch ein Grabmal errichtet: Man rammte einen Pfahl senkrecht
in die Erde, an dessen oberem Teile man irgendwelche Kennzeichnung
des Grabes oder des Toten, vielleicht auch seiner Verdienste, seiner
sozialen Stellung und wirtschaftlichen Lage anbrachte. Der Oberteil
des Pfahles ist naturgemäß restlos vergangen, aber in der Tiefe ist
er unter Luftabschluß verkohlt (wärme- und lichtlose Verbrennung).
In Abbildung 10, die vom gleichen Standpunkte aus hergestellt wurde,
zeichnet sich auf dem hellen Sandboden deutlich der Pfahlrest ab. In
Abbildung 11 ist er aus größter Nähe aufgenommen, während Abbildung 12
seine letzten Überreste nach Abgrabung einer Zwanzigzentimeterstufe
darstellt. Noch tiefer hinab kann man den Pfahl nicht verfolgen.
Die hier auftretenden Kohlereste sind durch Regenwürmer noch weiter
hinabgeführt, deren mit schwarzer Erde gefüllten Bohrlöcher man auf
Abbildung 12 unter Zuhilfenahme eines Vergrößerungsglases noch erkennen
kann.
[Illustration: Abb. 9. =Wessel= bei Milkel. Grab 15. Gefäßstellung
und anschließende Ustrine. In Richtung des Pfeiles zeichnet sich
der dunkle Fleck des Pfahles ab. Der gefiederte Pfeil zeigt auf die
Holzkohleschicht der Ustrine]
[Illustration: Abb. 10. =Wessel= bei Milkel. Unter dem Grabe 15
zeichnet sich im Sandboden der dunkle Kohlefleck des Grabpfahles ab]
Die vorgeführten Arten bronzezeitlicher Grabformen erschöpfen
jedoch bei weitem nicht die zahlreichen Bilder, die bei genauem und
wissenschaftlich einwandfreiem Graben sich im Erdboden zeigen. Eine
erschöpfende Darstellung war auch nicht beabsichtigt. Ich glaube aber
nachgewiesen zu haben, daß trotz des ungünstigen Erhaltungszustandes
– sämtliche vorgeführten Gräber waren durch Rodung oder Pflugbau
zerstört – eine genaue Untersuchung noch überaus aufschlußreiche
Ergebnisse zeitigen kann. Die Lehre aber, die man hieraus entnehmen
wolle, ist diese: Wer vorgeschichtliche Reste in der Erde findet und
seien diese noch so zertrümmert und unscheinbar, der wende sich an
den nächst erreichbaren Fachmann, der mit geschulter Hand selbst noch
so trostlos erscheinende Reste heimischen Altertums retten und der
Wissenschaft erhalten kann. Die Meldestellen für Sachsen sind: Leipzig,
Grassi-Museum, Dr. Richter; Dresden, Zwingermuseum, Dr. Bierbaum,
Fernruf 18020; Bautzen, Gesellschaft für Vorgeschichte und Geschichte
der Oberlausitz zu Bautzen, Stieberstraße 36, Fernruf 3773.
[Illustration: Abb. 11. =Wessel= bei Milkel. Die Pfahlreste aus
größerer Nähe. Grab 15]
[Illustration: Abb. 12. =Wessel= bei Milkel. Ausklingen der Pfahlreste
von Grab 15]
Das Rätsel der Tulpenkanzel im Freiberger Dom und Ulrich Rülein von
Calbe
Von _Otto Eduard Schmidt_
Im Sächsischen Altertumsverein hielt am 3. Dezember 1925 Dr. Walter
Hentschel, Assistent des Altertumsmuseums, einen mit vorzüglichen
Lichtbildern ausgestatteten, überaus anregenden Vortrag über den
»Meister H. W.« (siehe den Bericht von Dr. Naumann im Dresdner Anzeiger
vom 8. Dezember 1925). So nennt die Kunstgeschichte einen besonders
zwischen 1500 und 1525 in Sachsen wirkenden Meister der spätgotischen
Plastik, der zwei seiner Werke, das Altarwerk zu Borna vom Jahre 1511
und die »schöne Tür« im ehemaligen Franziskanerkloster zu Annaberg –
jetzt in der St. Annenkirche dieser Stadt – mit den Buchstaben H. W.
gezeichnet hat, die wir trotz langwieriger und sorgfältiger Forschungen
auch heute noch nicht zu seinem vollen Namen zu ergänzen vermögen.
Zu seinen leider nicht bezeichneten, aber durch ihre stilistische
Eigenart ihm mit ziemlicher Sicherheit zuzuweisenden Schöpfungen zählen
die beiden Pulthalter in der Stiftskirche zu Ebersdorf, die große
Holzskulptur der Geißelung Christi in der Schloßkirche (ehemalige
Klosterkirche) zu Chemnitz und vor allem die berühmte »Tulpenkanzel«
im Freiberger Dom. Sie ist eine der auffallendsten und merkwürdigsten
Erscheinungen in der bildenden Kunst überhaupt. Mitten hineingestellt
zwischen die himmelanstrebenden schlanken Steinpfeiler des Doms, der in
seinem ganzen Bau mit der starken Betonung des Schiffes und der fast
durchgeführten Losschnürung des Chors vom Schiff als »Gemeindekirche«
selbst eine Revolution gegen die althergebrachten Grundsätze der Gotik
darstellt, ist die »Tulpenkanzel« der Gipfel und die Bekrönung dieser
Revolution, entstanden in Jahren, wo der Sturmwind des neuen Geistes
vom Munde des Wittenberger Augustiners zu wehen begann. Das ist keine
Kanzel alten Stils, sondern eine steingewordene Riesenpflanze, die mit
elementarer Gewalt in drei sich übereinandertürmenden Gestaltungen
aus dem dürren Felsboden drängt, keine sanfte holländische Tulpe,
sondern die saftstrotzende, kraftvolle, stacheltragende deutsche
Distel, die oben in einem verhältnismäßig breitausladenden Blätter- und
Blütenknauf ausgeht, dessen Inneres sich dem Prediger als Sprechort
darbietet, wie wenn ein aus den Tiefen der Erde aufgestiegener Geist
den Gläubigen die emporquellenden Geheimnisse verkünden wollte. (Abb.
1.) Allerhand Phantasiegestalten durchschweben den Raum: unten Putten
in halber Bergmannstracht, oben die vier Kirchenfürsten Hieronymus,
Erzbischof Ambrosius mit Mitra und Krummstab, der greise Papst Gregor
und St. Augustin. (Abb. 2.) Blätter und Zweige schlingen sich um sie,
schlingen sich ineinander und durcheinander, und so stark ist das
Sausen des Sturmes, daß in zwei verschiedenen Höhen steinerne Seile
die Ranken umschnüren und zusammenhalten und ein junger, zugleich die
kühne Treppe tragender Berggesell diese Seile an das kahle, starke,
die Treppe stützende Astwerk zweier entlaubter, ineinanderverwachsener
Bäume verknotet. Was ist hier noch gotisch? Höchstens erinnern gewisse
Linien der Distelblätter an gotische Säulenkapitelle, aber der Geist,
der im Kunstwerke weht, gehört bereits der von den Fesseln der Gotik
befreiten Renaissance an, die sich hier zunächst in dem ausgesprochenen
Naturalismus der Gesamterscheinung und zweitens in der Symbolik ihrer
Teile offenbart. So steht die »Distelkanzel[3]« wie ich sie, ihre
wirkliche Erscheinung besser bezeichnend, nennen möchte, zwischen zwei
Zeitaltern als ein Werk von ganz besonderer, niemals wiederkehrender
Eigenart. Die Deutung des Ganzen auf eine Grundstimmung, die
Beziehung der Figuren zu der Zeit ihrer Entstehung, namentlich
aber die Benennung der zu Füßen der Treppe sitzenden eindrucksvollen
Mannesgestalt und des darüber, zwischen Treppe und Baumwerk
eingeklemmten Jünglings war bis vor kurzen ein ungelöstes Rätsel. Die
Erzählung vom Meister und dem Gesellen, der den Meister übertraf und
deshalb von ihm den Tod erlitt – ein öfters vorkommendes Motiv der
deutschen Sagenbildung – trägt den Stempel des Notbehelfs an sich.
Der Vortragende verwarf sie mit Recht und erklärte den sitzenden Mann
im Hinblick auf die um ihn kreisenden Löwen für eine Darstellung
des alttestamentlichen Propheten Daniel in der Löwengrube. Daniel
habe damals, allerdings nur kurze Zeit, in Sachsen als Patron des
Bergbaus gegolten, und da doch die Kanzel vermutlich eine Stiftung der
Freiberger Bergknappschaft sei, so habe der Meister hier den Propheten
Daniel als ihren Patron dargestellt. Den Zusammenhang der Kanzel mit
dem Bergbau und eine Beziehung der sitzenden Gestalt zum Propheten
Daniel konnte man dem Vortragenden zugeben, wie hätte man sonst die
den Mann bedrohenden brüllenden Löwen verstehen sollen? Aber unmöglich
konnte ich in dem sitzenden Manne die Persönlichkeit Daniels erkennen.
Wie kommt ein alttestamentlicher Prophet dazu, einen Rosenkranz in
der Hand zu halten? Aber auch das Gewand (Schaube), die Schuhe und
der Hut des Mannes sind durchaus zeitgenössisch, und nun vollends das
Gesicht! Wer würde wohl je in diesem vollkommen realistisch geformten,
vom Ohr bis zur Unterlippe ausrasierten Kopfe, der nur um das Kinn
seinen starken Bartwuchs trägt, einen Propheten sehen? Wäre das eine
Gestalt aus der Werkstatt der Phantasie des Meisters, so wissen wir
aus seinen Pultträgern und Madonnen, und auch aus den Büsten der
vier Kirchenfürsten im Blütenkelche der Distelkanzel, wie stark er
und nach welchen Richtungen hin er zu idealisieren pflegt. Nein,
die ganze herbe ungeschönte Erscheinung des Mannes, dazu auch seine
Stellung als Hörer der Predigt zeigt uns, daß wir es hier mit einer
Wirklichkeitsdarstellung, mit dem Bildnis eines Mannes von Fleisch und
Blut, mit einem Porträt zu tun haben. (Abb. 3.) Und wie ich nun, noch
während der Redner sprach, die nicht allzuvielen bekannten Freiberger
der Epoche von 1500 bis 1520 an meinem inneren Auge vorüberziehen
ließ, da durchzuckte es mich mit einemmal, und festumrissen stand eine
Persönlichkeit vor mir, mit der ich mich in anderem Zusammenhange schon
lange beschäftigt hatte, die einzige, die geeignet war, alle bisher
ungelösten Rätsel der Distelkanzel zu entschleiern und uns dabei noch
mit einem lange vermißten und lange gesuchten Bilde ihrerselbst zu
beschenken: Ulrich Rülein von Calbe[4].
[Illustration:
Aufnahme des Sächsischen Landesamts für Denkmalpflege
Abb. 1. =Gesamtansicht der »Tulpenkanzel« im Freiberger Dom=]
Ich kann hier nicht auf die Einzelheiten seines noch gar nicht
erforschten Lebens eingehen, aber in kurzen Worten sei die
Bedeutung, die er für Freiberg im allgemeinen und für den Bergbau
im besonderen gehabt hat, zusammengefaßt. Rülein von Calbe war im
Übergang vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert auf geistigem,
wie auf technischem Gebiete der Führer der aufstrebenden Freiberger
Bürgerschaft und Bergknappschaft. Er war Ratsherr, Bürgermeister,
Stadtarzt, Bergbauverständiger, Astrologe, Vermessungsingenieur und
Organisator eines neuen Bildungswesens in einer Person. Im Jahre 1496
entwarf er den Plan, nach dem die Bergstadt Annaberg erbaut wurde, 1497
erscheint er als Stadtarzt, 1505 hat er das erste bergwissenschaftliche
Buch der Welt verfaßt: »Ein wohlgeordnet und nützlich büchlein, wie
man Bergwerk suchen und finden soll«, 1509 wird er Ratsherr, von 1514
bis 1519 war er Bürgermeister und als solcher bewog er die beiden
tüchtigsten Humanisten der Leipziger Universität Johann Rhagius,
einen Meister der lateinischen Beredsamkeit, und den begeisterten
Apostel des Griechischen Peter Mosellanus nach Freiberg überzusiedeln.
So wurde 1515 in Freiberg das erste humanistische Gymnasium der
meißnisch-sächsischen Lande eröffnet. Gleichzeitig bekämpfte Rülein
erfolgreich die in Freiberg besonders heftig auftretende Pest und
schrieb 1521 ein längeres und ein kürzeres Büchlein über die Eindämmung
und Heilung dieser Krankheit, auch entwarf er den Plan für den Bau der
Stadt Marienberg, schmückte das Freiberger Rathaus mit »Gemälden der
himmlichen Zeichen« und starb 1523 in Leipzig. Man wird zugeben, daß
ein solches Universalgenie auch für den Meister H. W., dessen überaus
reger und selbständig pulsierender Geist aus seinen Werken spricht,
der wichtigste Mann in Freiberg war und daß es für den Meister eine
der lockendsten Aufgaben sein mußte, dieses Mannes Bild festzuhalten
und statt irgendeiner Idealgestalt diesen bedeutendsten Bürger der
Stadt in Zusammenhang mit seinem großartigen Kanzelwerk zu bringen.
Der augenscheinliche Beweis dafür, daß dies geschehen ist, findet sich
in dem oben erwähnten Bergwerksbüchlein. Der erste Druck desselben aus
Augsburg vom Jahre 1505 ist, wenn er überhaupt vorhanden ist, eine
große Seltenheit, ich konnte ihn in keiner sächsischen Bibliothek
auftreiben. Dagegen fand ich in der Sächsischen Landesbibliothek zu
Dresden wenigstens die zweite Ausgabe aus Worms 1518 (Abb. 4) und die
vierte von Augsburg 1534[5]. Und gleich auf der zweiten Seite des
Wormser Druckes leuchtete mir die Überschrift in die Augen: »_Daniel
der bergverstendig zum jungen Knappio_.« Also bezeichnete sich Rülein
selbst hier als den bergverständigen Daniel. Wie kam er darauf? Der
Prophet Daniel galt, wie der Joachimsthaler Pfarrer Johann Mathesius in
seiner »Bergpostilla« (Nürnberg 1578) Seite 40 bezeugt, den Bergleuten
für einen Bergmann, »weil er (im Kapitel 10) die vier Keiserthumb in
vier metallen abmalet und des Sons Gottes arm und füsse in einem gluwen
(glühenden) ertz oder kupffer oder glantzendem kiß oder marckasit
gesehen und gehört habe.« Die Stelle im zehnten Kapitel Daniel lautet:
»Sein Leib war wie ein Türkis, sein Antlitz sahe wie ein Blitz, seine
Augen wie eine feurige Fackel, seine Arme und Füße wie ein glühend Erz
und seine Rede war wie ein große Getöne«.
[Illustration:
Aufnahme des Landesamts für Denkmalpflege
Abb. 2. =Der obere Knauf der Kanzel mit den Büsten der vier
Kirchenfürsten=]
Rülein hat schon als Stadtarzt von Freiberg, ferner als Bürgermeister,
vor allem aber als Verfasser des Bergwerkbüchleins, viele Beziehungen
zur Freiberger Bergknappschaft und auch zu den Bergherren gehabt,
die, wie er, der Ansicht waren, daß die Erze nicht im Inneren der
Erde festliegen, sondern von Fall zu Fall unter besonderen, von Gott
bestimmten Verhältnissen im Berge wachsen und sich dem frommen,
geschickten und ernstlich strebenden Bergmanne »höflich zeigen«, d.
h. sich von ihm erbeuten lassen, während Gottlosigkeit und Ungeschick
der Bergleute es den finsteren Geistern der Tiefe ermöglichen, das Erz
wieder in Quarz und dergleichen wertloses Gestein zu verwandeln oder
dem Bergmanne zu entziehen. Rüleins Bergwerkbüchlein lehrte die Kunst,
den wachsenden Erzen richtig zu begegnen, kein Wunder also, daß er
auch deshalb wie ein Patron des Bergbaus erschien und an der von den
Bergleuten gestifteten Kanzel sein wunderbares Denkmal erhielt.
[Illustration:
Aufnahme der Sächsischen Kommission für Geschichte
Abb. 3. =Die unteren Teile der Kanzel mit der Treppe und der sitzenden
Gestalt des Ulrich Rülein von Calbe=]
Aber die Löwen, die ihn umkreisen, werden hierdurch noch nicht erklärt.
Denn sie können kaum, wie Dr. Hentschel will, als Symbole der Gefahren
des bergmännischen Berufs aufgefaßt werden. Erstens waren die Gefahren
in jener alten Zeit, wo die Gruben noch nicht so tief »geteuft« waren,
weit geringer als später und zweitens war doch Rülein kein aktiver
Bergmann und deshalb nicht so sehr von ihnen bedroht. Und doch war
er, der sich selbst als den bergverständigen Daniel bezeichnete, ein
»Daniel in der Löwengrube«, d. h. ein Mann, der fortwährend schwerer
Lebensgefahr ausgesetzt war. Denn er hat als Stadtphysikus nicht
nur durch seine Schriften, sondern auch als praktischer Arzt die
furchtbaren Pestepidemien bekämpft, die in den ersten Jahrzehnten
des sechzehnten Jahrhunderts Freiberg heimsuchten. Gerade im Jahre
1521 wütete die Seuche in Freiberg so furchtbar, daß Herzog Heinrich
und seine Hofleute auf die an der oberen Zschopau gelegene Feste
Wolkenstein entflohen und daß in Freiberg zum ersten Male, offenbar
auf Rüleins Antrag, zur Befreiung der Stadt von den furchtbaren
Verwesungsstoffen ein Friedhof außerhalb der Mauern, der noch heute
bestehende Donats-Friedhof, angelegt wurde. In seinen »Freiberger
Annalen« schreibt der Chronist Andreas Möller zum Jahre 1521: »Sonst
hat dieses Jahr die Pest gewaltig zu Freybergk regieret, also daß
von Bartholomaei bis ~Trium Regum~ (Dreikönigstag) über zweitausend
Personen gestorben, daher Hertzog Heinrich zu Sachsen nicht allein eine
gewisse Pestordnung publicieren lassen, sondern auch dem Rath befohlen,
für die Toten den Donatskirchhof für (vor) der Stadt zum Gottesacker
und -gemeinen Begräbnüs zuzurichten … Die Pestordnung ist Sonntags
~post Ascensionis Mariae~, war der 19. Augusti, der Gemeine fürgehalten
worden … deßwegen auch die Hofhaltung eine Zeitlang von hier auff
Wolckenstein geleget worden.« Daß bei der Aufstellung und Durchführung
der Pestordnung Dr. Rülein in seiner Doppeleigenschaft als Stadtarzt
und Bürgermeister die wichtigste Rolle spielte, ist selbstverständlich.
[Illustration: Abb. 4. =Titelblatt des Bergwerksbüchleins von Ulrich
Rülein von Calbe=, Worms 1518]
Der Meister H. W. hat den Ulrich Rülein von Calbe, als er seine
Distelkanzel für den Dom entwarf, zunächst wohl als den Repräsentanten
des Freiberger Stadtgeistes und als geistigen Patron des Bergbaus ins
Auge gefaßt, darüber hinaus aber gab ihm dessen selbstgewählter Name
Daniel die Veranlassung, als Symbol der furchtbaren Gefahren, die ihn
und die Bürgerschaft während der Pest umtobt hatten, die gräßlichen
Löwen an der Kanzel anzubringen und damit zu sagen: wie der Prophet
Daniel durch Gottvertrauen und Mut die Ungeheuer der Löwengrube
überwand, so hat Rülein, durch unerschrockene Hilfeleistung als Arzt
die Stadt von der Pest befreit. Demnach ist die Gestalt Rüleins, wie
er zu Füßen der Kanzel demütig der Dankpredigt lauscht, die seine und
der Bürgerschaft Errettung feiert, durch die ihn umkreisenden Löwen
zugleich ein Denkmal für das Heldentum, das er als Arzt bewiesen hat.
(Abb. 5.)
[Illustration:
Aufnahme der Sächsischen Kommission für Geschichte
Abb. 5. =Die Löwen an der Kanzeltreppe=]
Von diesem Gedanken aus verstehen wir erst den ganzen Sinn der
Stiftung: sie ist ein Denkmal der Errettung der Stadt von der
furchtbaren Seuche, dargebracht von der Bergknappschaft und
ausgeschmückt mit dem Bild ihres geistigen Führers und heldenmütigen
Arztes. Deshalb meine ich, daß die Distelkanzel nicht schon 1520 im
Dom aufgestellt sein kann, sondern erst 1521, und zwar erst gegen das
Jahresende. Erst unter dem Drucke der furchtbarsten Pestepidemie,
die Freiberg heimgesucht hatte, gewinnen die Löwen ihre prägnanteste
Bedeutung.
[Illustration: Abb. 6. =Bergwerkslandschaft aus dem Bergwerksbüchlein
von 1518=]
Aber es gibt noch mehr Beziehungen zwischen dem Bergwerksbüchlein und
der Distelkanzel. Das Baumwerk, an dem die Kanzel verankert ist, findet
sein Gegenstück in dem Baumwerk, das Rülein in einigen Zeichnungen
seines Bergbüchleins verwendet hat, um der Bergwerkslandschaft
ihr Gepräge zu geben. (Abb. 6.) Auch ähnelt die schuppenartige
Gesteinschichtung des Rüleinschen Goldwerkbildes auf dem Bogen ~C^V~ in
dem Augsburger Druck von 1534 (Abb. 7) sehr der Felsschichtung, aus
der sich die Distelkanzel des Freiberger Doms erhebt. Wer kann sagen,
ob diese Übereinstimmung, wenn sie nicht eine rein zufällige ist,
darauf hindeutet, daß der Meister H. W. den Rülein beeinflußt hat, oder
ob Rüleins technisch und künstlerisch gebildeter Geist den Meister H.
W. dahin beeinflußte, daß er seiner kühn naturalistischen Kanzel durch
Anlehnung und Verknüpfung an die entlaubten, ineinanderverwachsenen
Baumstämme Halt verlieh? Auch das Baumwerk am Portal der Chemnitzer
Schloßkirche, in das der Meister H. W. später seine Gestalten
hineingestellt hat, ist eine Weiterbildung des bei der Distelkanzel und
noch früher schon im »Bergwerksbüchlein« verwendeten naturalistischen
Motivs. Jedenfalls bestanden zwischen diesen beiden hochstrebenden
Geistern, dem Meister H. W. und dem Bürgermeister Rülein, tiefwurzelnde
Beziehungen und Wechselwirkungen. Diese Beziehungen wurden auch nach
der Vollendung der Distelkanzel weitergesponnen. Denn der Meister H. W.
hat noch ein _zweites Werk_ geschaffen, in dem Ulrich Rülein von Calbe
leibhaftig dargestellt ist: das ist ein allerdings stark verwittertes,
aber in den Hauptzügen noch wohlerkennbares kreisrundes Hochrelief,
das ursprünglich als Schlußstein des Gewölbes über dem Bergaltar der
St. Annenkirche diente, später aber an der Ecke eines Vorhäuschens zur
Kirche angebracht war (s. Ernst Oswald Schmidt, Die St. Annenkirche zu
Annaberg S. 34) und sich jetzt im Innern befindet. In diesem Relief
ist nicht der geschichtliche Vorgang der Fündigwerdung Annabergs vom
27. Oktober 1492 dargestellt, sondern die sich darum rankende Sage,
in der der schürfende Bergmann Caspar Nietzel aus Frohnau, offenbar
unter dem Einfluß von Rüleins Bergwerkbüchlein, ersetzt ist durch
den »armen Bergmann Daniel Knappe«. Wir besinnen uns darauf, daß in
Rüleins Büchlein der Bergverständige Daniel zu dem jungen Knappius
spricht. Wir sehen auf dem Relief (Abb. 8) die Tanne, in deren Zweigen
Daniel Knappe, einem Traume folgend, vergebens nach den silbernen
Eiern gesucht hat. Darüber schwebt noch der Engel Gottes, der ihm
den Gedanken eingab, daß auch die Wurzeln zu den Zweigen gehörten.
Auf der rechten Seite sehen wir, wie ein Bergmann nunmehr mit Erfolg
an den Wurzeln des Baumes geschürft hat, in der Mitte steht Daniel
Knappius, der den Fund in der Hand hält und ihn dem wieder in seiner
Schaube und dem eigenartigen Hut erschienenen Bergverständigen Rülein
zeigt, der den Fund begutachtet. Er ist unterdessen älter geworden,
das Gesicht ist faltig, aber die Ähnlichkeit mit der sitzenden Gestalt
am Fuße der Distelkanzel unverkennbar. Auch die an der Freiberger
Figur verstümmelte und (1862) schlecht ergänzte Nase ist hier als
eine echte Adlernase erhalten. Das ganze ehrwürdige Antlitz zeugt von
Geistesschärfe und Willenskraft. In dieser aus der vollen Realität des
Lebens gegriffenen, durchaus individuellen Gestalt die Darstellung des
alttestamentlichen Propheten Daniel zu finden, ist mir schlechterdings
unmöglich, zumal da hier auch nicht das geringste Symbol vorhanden ist,
das sich auf den Propheten beziehen ließe. Ebensowenig aber läßt sich
an der Identität des Annaberger Porträts mit dem an der Distelkanzel
zweifeln.
[Illustration: Abb. 7. =Bergwerkslandschaft aus dem Bergwerksbüchlein
von 1534=]
Das Annaberger Relief des Meisters H. W. ist spätestens im Jahre 1525
gefertigt, in welchem der Tradition nach die Annenkirche vollendet
wurde, vielleicht auch schon einige Jahre früher, jedenfalls kurz
vor oder kurz nach Rüleins Tode (1523). Aber er verdiente es wohl,
auch hier im Bilde verewigt zu werden, denn abgesehen von seinen
allgemeinen Verdiensten um den Bergbau, hatte er auch schon 1496
(siehe oben) den Plan entworfen, nach dem die Stadt Annaberg erbaut
wurde. Alles schließt sich zwanglos zu einem in sich gefestigten und
gerundeten Beweise zusammen, so daß ich glauben kann, die von Walter
Hentschel umsichtig eingeleitete und bis zu einem gewissen Punkte
geführte Untersuchung über das größte und wichtigste Werk des Meisters
H. W. in einem neuen Geleise weitergeleitet und zu einem für die
Geistesgeschichte Freibergs wie für die sächsische Kunstgeschichte
gleich wichtigen Ergebnis glücklich durchgeführt zu haben.
[Illustration:
Aufnahme von Hofphotograph Meiche in Annaberg
Abb. 8. =Hochrelief des Meisters H. W. in der St. Annenkirche zu
Annaberg=]
Zum Schlusse möchte ich noch eine Vermutung über die Herkunft und
den wesentlichen Wohnort des Meisters H. W. wenigstens aussprechen,
wenn ich auch ihre Richtigkeit nicht beweisen kann. Der Meister H.
W., unstreitig der bedeutendste sächsische bildende Künstler, der im
Zeitalter des Übergangs von der Spätgotik zur Renaissance gelebt und
gewirkt hat, ist so tief in dem Wesen des Bergbaus und seiner Technik
verankert, daß ich ihn für ein Freiberger Kind halten möchte. Und wenn
er das nicht sein sollte, so hat ihn vermutlich Ulrich Rülein, wie er
den Rhagius und den Mosellanus herbeiholte, aus einer Bergstadt, etwa
aus dem Mansfeldischen, nach Freiberg gezogen, wo er in seiner besten
Zeit in enger Gemeinschaft mit Rülein den Mittelpunkt seines Schaffens
fand. Will man Genaueres über sein Leben und Wesen und vielleicht
auch seinen vollständigen Namen feststellen, so muß man zunächst die
städtischen und bergbaulichen Akten des Freiberger Ratsarchivs und
des Freiberger Bergamtes nach den Spuren dieser großen Persönlichkeit
durchforschen.
Fußnoten:
[3] Man vergleiche mit unserem Kunstwerk z. B. das Bild der
gemeinen Eselsdistel bei _Leunis_, Botanik II, S. 77.
[4] Die Quellen über sein Leben fließen sehr spärlich.
Vergebens hat Prof. Dr. Knauth in Freiberg auf meine
Bitte in den Akten, die das Bergamt aus den Jahren 1514
und 1518 über die Bergknappschaft besitzt, Rüleins Namen
gesucht. Dagegen findet er sich im Ratsarchiv an drei
Stellen im »Roten Stadtbuch« von 1488–1518 fol. 172~v~: der
burgkmeister udalrich rulin … (a. 1514), S. 206 zweimal:
udalrich rulin Burgkmeister (a. 1517) und ebenda ist auch
von seinem Hause (jetzt Fischergasse 6~b~) die Rede (vgl.
Täschner, Freib. Alt. Vereins-Mitt. 50, S. 71). – Außerdem
erwähnt Weller in seinen ~Analecta II~, S. 30 und 31, das
vergebliche Auftreten Rüleins im Rate für eine bessere
Besoldung der in Freiberg wirkenden Humanisten Rhagius und
Mosellanus (dazu vgl. O. Clemen N. A. S. XLI, S. 135 f.,
und meine Kurf. Streifz. V, S. 79).
[5] Man darf allerdings im Katalog nicht unter dem Namen
_Rülein_ suchen, sondern unter dem Wort _Büchlein_; denn
das Werkchen ist anonym erschienen und wir wissen nur durch
zwei Zitate des Chemnitzers _Georgius Agricola_, ~De re
metallica libri XII~ (Vom Bergwesen zwölf Bücher), in der
Einleitung fol. 2~v~ und ~pag.~ 54, daß Rülein von Calbe
(~Calbus Fribergius~) der Verfasser des Bergwerkbüchleins
ist. Am Schluß des älteren Dresdner Exemplars des
»Bergwerksbüchleins« liest man: Getruckt zu Wormbs bei
Peter Schöfern und volendet am fünfften tag April. ~M. D.
XVIII.~
Anton Günthers Leben und Schaffen
(Zu seinem 50. Geburtstag am 5. Juni 1926)
Von _Alfred Venter_, Chemnitz
I. Wu da Wälder hamlich rauschen
In den Fenstern des großen Fichtelberghauses liegt roter Sonnenglanz.
Sanft streicht der Gipfelwind über knorriges Nadelgestrüpp. Da wandern
wir auf dem breiten Prinzenweg talwärts durch die tiefe Einsamkeit
des erzgebirgischen Waldes. Ein einziges Stimmlein geht mit uns von
Wipfel zu Wipfel, und wenn es schweigt, dann hören wir von fern und
nah nur das heimliche Rauschen der Wälder. Plötzlich öffnet sich das
Land nach Westen. Auf dem breiten Kammrücken liegt, von den höchsten
Bergen bewacht, eingebettet im Heideland und düsteren Moorgrund, ein
freundliches Städtchen. Hart packen hier die Wetterstürme zu; wie
die Kücken um die Gluckhenne scharen sich drum die sauberen, weißen
Häuser um die Kirche. Wer kennt nicht die kleine Stadt mit dem frommen,
kerndeutschen Namen, die höchstgelegene Stadt Mitteleuropas, die
eintausendundachtzehn Meter über dem Tiefland sich erhebt? Wohl gewahrt
der Vielgewanderte die Anzeichen des fremden Landes, aber es ist, als
ob geheime Stimmen ihn anriefen: »Komm herüber zu uns; denn wir sind
deines Stammes und Blutes und haben die Bergheimat lieb wie du! Kehr
ein zu Gottesgab im böhmischen Lande!«
Am besonnten Wiesenhang strecken wir uns hin und fühlen den tiefen
Frieden des Erzgebirges wie ein unsichtbares Flügelpaar über uns
hinrauschen. Hinter uns, zur Linken und zur Rechten, wo bis zum
Himmelsrand die Wälder auf- und niedersteigen, klingt es wie eine ewige
Melodie. Die Heide ist voll frohen Gesummes. Die Zippen schwatzen, und
die Ziemer fallen lärmend in die Vogelbeerbäume an der Straße. Der
würzige Duft des Bergwindes umweht die Wange, da hebt im Talgrunde das
Ave-Glöcklein an und schallt über Höhen und Wälder und kündet denen,
die in den verstreuten Hütten des Moor- und Heidelandes wohnen: ’s ist
Feierabend. Und es ist, als ob einer die Harfe nähme und dazu sänge:
»On üwern Wald a Vöchela
Fliecht noch sän Nastl zu.
Von Därfl drüben a Glöckl klingt,
Dos maant: Leecht eich ze Ruh!
’s is Feieromd, ’s is Feieromd,
Es Tochwerk is vullbracht,
’s gieht alles seiner Hamit zu
Ganz sachte schleicht de Nacht.«
Frieden zieht ins unruhvolle Herz, vergessen ist der laute Tag, aus dem
wir kamen, fern der Menschen Neiden und Hassen, froh und frei wird die
Brust … da klingt von den Straßen der Takt der Wanderschritte, und wie
sie an der Waldecke sind, stimmt einer die Laute an. Horcht auf, ihr
Herzen, wie ’s über die Höhen und Täler klingt! Kennt ihr das Lied?
»Of da Barch, do is halt lustich,
Of da Barch, do is halt schie,
Do kömmt da Sonn en allererstn,
Scheint se aa en längsten hie.
Wu da Wälder hamlich rauschen,
Wu da Haad su rötlich blüht,
Mit kan Könich mächt ich tauschn,
Weil da drubn mei Heisl stieht.«
Und beim Singen drüben winken sie uns zu, und Busch und Baum singen es
mit. Wie oft haben wir es schon gehört, auf den Bergen, in den Hütten,
in den Schulen, auf den Bergbahnen, und der es zuerst gesungen, dem es
aus dem Herzensgrund gekommen, das ist der Volksdichter des Erzgebirges
Anton Günther, der Toler-Hans-Tonl von Gottesgab.
Am Waldhang, wo wir liegen, hat auch er als kleiner Bub gelegen mit
dem Hirtenhütl und dem gebirgischen Gewandl und des Vaters Ziegen
gehütet, und hat den Waldvögeln gelauscht und mit dem kiesigen
Bächlein Zwiesprache gehalten, und das tiefe, heimliche Rauschen der
Heimatwälder ist ihm durch Herz und Seele gezogen, daß er es hat nimmer
vergessen können.
So sind wir auf stillen, reinen Wogen in des Dichters Lande gekommen
und ziehen seine Heimatstraße hinab nach Gottesgab. Am »Neuen Haus«,
der großen, schönen Einkehrstätte an der Grenze zwischen Sachsen und
Böhmerland, müssen wir vorerst vorüber. Da ist immer ein lebhaftes
Gedränge von wanderfrohen Menschen. Aus den Stuben erschallt
Saitenspiel, singt man des Toler-Hans-Tonls Heimatlieder. Dann gelangen
wir zum Verbrüderungsturm; der trutzige, leider nur halbfertige Bau
erinnert wehmütig an jene Tage, da alte Nibelungentreue noch lebte und
Alt-Oesterreichs Herrlichkeit noch festzustehen schien wie die Berge
ringsumher. Bald sind wir mitten in der schnurgeraden Häuserzeile:
Gaststätten und Weinschenken laden uns ein. Ein Hündlein bellt uns an,
ein Brunnen rauscht am umgrünten Markt. Erzgebirgischer Stadtfrieden
umfängt uns. Der Name Günther ist hier und da zu lesen. Oben am
Rande der braunen Heide steht schlicht und einfach das Häuschen des
Toler-Hans-Tonl.
II. Un is mr in dr Fremd, uje …
Aus Gottesgab zog einst der Großvater Anton Günthers mit den Seinen
hinab ins »Tol«, (Joachimstal) und sein Vater »Dr Tolerhans« kehrte
wieder heim in die »Gutsgoh«, nachdem er beim großen Brand der
Stadt Hab und Gut verloren. Aus dem armen Bergmann wurde ein ebenso
armer Stickmeister. Sein Reichtum bestand in zehn Kindern, einem
verschuldeten Häuschen und in einem echtdeutschen Herzen.
Es ist fast wie ein ewiges Gesetz in der Welt: je ernster das Gesicht
der Heimat, desto lieber haben sie die Menschen. Längst ist auch
hier oben der Bergsegen erschöpft, karg der Boden, die Bearbeitung
schwer, gering der Verdienst, den Hausklöppeln und Sticken abwerfen;
der Nebel drückt schwer auf die kleinen Schindeldächer, und an die
Türen pochte oft die Not. Was wissen von dem allen die Menschen im
bequemen Unterland? Da ist es eine Gottesgabe, ein frohes Herz zu
behalten. Auch den Tonl, den Zweitältesten daheim, traf das Los des
armen Erzgebirglers: es kam der Tag, da er Abschied nehmen mußte vom
bunten Wiesenhang, vom lieben Wald mit seinem Singen und Klingen, aus
dem der Kuckuck ruft zur Frühlingszeit. Sein Herzenswunsch, Forstmann
zu werden, fand keine Erfüllung; er mußte in die Fremde ziehen. Doch
zunächst ging es noch nicht allzuweit, gerade so weit, daß er den
weißen Schneemantel des Fichtelberges sehen konnte, hinter dem die
Heimat liegt. Hier in Buchholz lernte er bei Eduard Schmidt die Kunst
des Lithographierens. Aber bald wachte in seinem Herzen auf, was alle
Kinder des Berglandes plagt: die Sehnsucht nach daheim. Fast zur
Heimkrankheit wurde sie, als er später nach Prag kam. In der Hauptstadt
des Böhmerlandes, dem goldenen Prag, wo die Menschen so fremd und
stolz, die Straßen so laut, die Herzen so hart, die Worte so liebeleer
waren, konnte das rauschende Leben das Herz des stillen Erzgebirglers
nicht satt machen. Wohl war er einsam, doch nicht allein. Allerlei
Freunde und Bekannte aus der Heimat fanden sich hier regelmäßig zu
einem »Gutsgewer Omd« zusammen. Der war wie eine Insel im weiten Meer
der Fremde. Hier tauschten sie Heimaterinnerungen aus und stärkten
einander im Kampfe um ihr Deutschtum, indem sie alles Undeutsche in
Wort und Wesen verbannten und das deutsche Lied sangen. Denn gesungen
wird immer, wenn Erzgebirgler beieinander sind; dazu ward die Fiedel
gestrichen und die Harmonie gespielt. Wohl sprachen sie miteinander in
der Mundart der Heimat, wohl pflegten sie den deutschen Sang, aber eins
vermißten sie schmerzlich: ein erzgebirgisch Lied. Und sieh, da geschah
es, der Toler-Hans-Tonl erzählt es selbst: »Ich weiß selbst nicht,
wie es kam, ich war gerade beim Gravieren, da summte mir eine Melodie
durchs Gemüt, meine Gedanken waren im alten Elternhäusel daheim, und
ein Lied war fertig. Ich brachte es zu Papier. Es war mein erstes Lied:
Drham is drham. Mir war, als sei mir ein Stein vom Herzen gefallen, und
je mehr später Lieder entstanden, desto leichter wurde mir.«
Das war eine Freude, als er es zum ersten Male am »Gutsgewer Omd«
seinen Landsleuten vorsang! Jeder wollte es haben. Da vervielfältigte
er es auf Postkarten, ließ hundert Stück davon drucken, und jeder
schickte davon ein paar in die Heimat. Als er zu Weihnachten heimkam,
da ward es schon im Konzert des Gottesgaber Gesangvereins mit hellem
Jubel gesungen, und alle sangen es mit. Um die Not im Vaterhause zu
lindern, ließ es der jugendliche Dichter abermals drucken, und zwar mit
Singweise, und von den Seinen verkaufen. Erzgebirgische Wanderkapellen
spielten es. Langsam, aber mit steigendem Erfolg, fand das erste
erzgebirgische Lied seinen Weg in die Welt. Ihm folgten bald andere.
Sein Herz war stets daheim bei den Seinen, und seine Hand arbeitete
in der Fremde für sie. Immer standen der Heimat Bilder um ihn her; er
träumte sich in seinen Liedern hinauf an die »Grenz ve Sachsen, wu da
Schwarzbeer wachsen«, wo die Lüfte so frisch, frei und rein wehen, wo
er zur Gongazeit am Heidehang der Lerche gelauscht, wo der Lenzwind
die Schneedecke wegfegt und die Himmelschlüssel weckt, wo im Herbst
die Weinbeeren des Erzgebirges glühen, die korallenroten Vogelbeeren,
und wo er auf der Heide den toten Vogel fand, der vor Heimweh nach den
grünen Wäldern gestorben ist. Der Heimat liebe Gestalten kamen auf
allen Wegen ihm entgegen, die Kinder des Waldes und die schlichten
Menschen des Gebirges, denen sein Herz gehörte, der »Schwammagieher«
der »Muhtstacher«, der alte Musikant der »alta Bordenhannler« und
»Hannelsmah«, der mit seiner Hausierkraxe von Tür zu Tür geht. Nicht
nur das schlichte Volksdichterwort, auch die Musik klang zugleich in
ihm auf, und weil er auch ein Malersmann ist, nahm er den Künstlerstift
und zeichnete zu jedem Liede ein liebes, gemütvolles Bildchen dazu.
Bald riefen ihn auch andere deutsche Vereinigungen in Prag, selbst
in Wien mußte er seine Lieder singen. Zu seiner Freude erlebte er
es, daß er dadurch seine Brüder in der Fremde unterstützen und den
Seinen in der Heimat helfen konnte. Für sie arbeitete er, zeichnete
er, gab Zitherstunden, mußte zwischendurch nach Komotau einrücken, um
dem Vaterlande zu dienen, und war »immer zum Singen bereit«. Die Not
daheim ward nicht geringer. Er sah den Alten im Vaterhaus, von Sorgen
gedrückt, bis tief in die Nacht hinein beim Stickmuster sitzen, sah die
»alte Mahm« daheim unermüdlich am Klöppelsack sitzen und Mutter und
Schwester nähen. Da entstand in tiefer Nacht eins seiner ernstesten und
besten Lieder: »Mei Vaterhaus«.
Do drauß’n in der fremd’n Walt,
Da find ich holt kaa Ruh’,
Da Heiser sei do ganz aus Staa,
Da Mensch’n aa a su.
A jeder singt a andersch Lied,
Doch mitt’n drinna ’raus,
Do klingt’s on ruft’s: Vergaß fei net
Drham dei Vaterhaus!
Dies ist ein tiefsinniges Bekenntnis, das manch einer draußen in der
wilden Welt sich zu Herzen nehmen könnte: »Erst kommt mein Vaterhaus
und alles, was in ihm lebt und webt, und dann komm ich«. Dem alten
Vater rollten die Tränen in den Bart, als er das Lied zum ersten Male
hörte, und noch einmal hatte er die Freude, seine drei Söhne und die
kranke Tochter in Prag zu sehen … noch einmal …
III. »A Hütt’l, när aus Holz gebaut«
»Barchaufwärts, barchaufwärts,
Barchaufwärts zieh ich ham,
Barchaufwärts, barchaufwärts
Do kenn ich jedn Baam,
On do kenn ich jeden Wach,
Jed’s Flackl, jedn Staach,
Barchaufwärts gieh ich ham,
Do kenn ich jedn Baam.«
Wie manchesmal mag es der Toler-Hans-Tonl gesungen haben, wenn er in
guten und in bösen Tagen in die alte Heimat heraufgewandert ist, und
immer war er »fruh, wennrs Heisl sah«.
Dort oben sang es und klang es aus den kleinen Hütten, trotz Sorgen
und großen Plagen, wenn am Feierabend die Sternlein über den Wäldern
standen; doch an jenem Novemberabend, als er mit pochendem Herzen
heimkam, war es finster im Vaterhaus, und alle weinten. Der Vater war
tot –. Erst fünfundzwanzigjährig, mußte Anton nun an dessen Stelle für
die Seinen sorgen. Doch das Schicksal konnte ihn nicht niederdrücken.
Er nahm die Arbeit und Fürsorge um so tapferer auf, als er doch endlich
nun daheim war. Wenn aber der Abendfriede über den Bergen der Heimat
lag, nahm er nach des Tages Mühen die Gitarre zur Hand und sang sich
das Herz frei. In dieser Wehstimmung nach des Vaters Tod entstand
eines seiner innigsten und musikalisch bedeutsamsten Lieder, der
vielgesungene »Feieromd«, dessen letzte Strophe lautet:
»Gar manichs Herz hat ausgeschlogn,
Verbei is Sorg on Müh’,
On üvern Grob ganz sachta zieht
A Rauschen drüwer hie,
’s is Feieromd, ’s is Feieromd,
Es Tochwark is vullbracht,
’s gieht alles seiner Hamit zu,
Ganz sachte schleicht de Nacht.«
Um diese Zeit, als er sich im »Tiroler« eine kleine Verkaufsstelle
seiner Lieder eingerichtet hatte und des Sonntags oft mit einem
Rucksack voll hinauszog über die Berge, floß reich der Liederquell
in seinem Innern, wenn er mit Freunden aus fern und nah zusammensaß,
dann rollte froh und heiter das alte österreichische Musikantenblut in
ihm, dann ward wohl auch mal »derzehlt on Hetz gemacht bis oft nach
Mitternacht«. Aber dann zog es ihn wieder hinaus in die heilige Ruh des
Waldes, wo so »stad« der Wind weht – und das »Zäßichla« singt. »Ja frei
ist der Mensch när do draußen in Wald«, wo »der Wilpertschütz hie dorch
de Fichten schleicht« und im Dickicht die Schwämme sich verstecken.
Dort draußen in der tiefen Einsamkeit stieg ihm auch einst aus seines
Herzensgrund eines seiner lustigsten und volkstümlichsten Lieder: »Da
Draakschenk«. Immer wieder kehrte er heim zum liebsten Erdenfleck,
ins Vaterhaus zu den Seinen; denn sie brauchten ihn und seine Hilfe.
Er fühlte, daß hier die Wurzeln seiner Kraft und seiner Lieder waren;
nimmer vergaß er in Dankbarkeit das »arme Stüwel«, aus dem all seine
Heimatsänge stammen.
Wie viele zogen von Gottesgab, Preßnitz, Reitschdorf und Kesselwald
aus ihrer Heimat in die Fremde. Die Gabe der edlen Musika und das
wanderlustige erzgebirgische Gemüt steckte in ihnen und trieb sie von
Ort zu Ort, aber glücklich sind sie draußen nicht geworden. Vöglein,
die sich in die Welt verflogen. Im Volksmund wurden die böhmischen
Musikanten die »Fatzer« genannt. Mit dem Lammetierholz (Klarinette),
der Harmonie, der Fiedel und dem Waldhorn zogen sie in fremden Städten,
auf Jahrmärkten, unter fremden Menschen rast- und ruhelos umher,
abgesprengt von ihrem Volkstum. – –
Im Gasthaus am Fuße des Fichtelberges, von den Einheimischen das
»Neue Haus« genannt, ging es vor zwei Jahrzehnten schon immer lustig
zu. Da sangen zur Fremdenzeit die alten Schubert-Leute, das »blinde
Madl«, der Wolf Tonl und der alte, blinde Vater Lehnhardt. Aber was
sie sangen, waren zumeist bayrische, Wiener und Tiroler Lieder. Wohl
waren das frohe, muntere Weisen; das erzgebirgische Lied gab es
damals noch nicht. Das hat als erster Anton Günther, der erste und
beste Volkssänger des Erzgebirges, geschaffen. Bald verlangten die
Fremden, die immer zahlreicher, selbst in sturmbrausender Winterszeit
heraufkamen, nur noch die lieben, anheimelnden Sänge des Erzgebirges zu
hören, sangen sie begeistert mit, trugen sie weiter und erhoben damit
manches Gemüt, das durch das seichte Operettenlied schon angekränkelt
war. Namentlich am Heimatorte des Dichters selbst erklangen sie aus
allen Schankstätten. Wer erinnerte sich da nicht des kleinen »Annl«,
im Tiroler, die dem Dichter alle seine Lieder ablauschte und so
rührend auf der Gitarre den Gästen vortragen konnte? Musikkapellen
und Harfinisten sangen sie auf ihren Reisen, so daß sie heute in ganz
Deutschland und weit darüber hinaus bekannt sind. So ward Anton Günther
mit seinen Liedern der Lobkünder seiner erzgebirgischen Heimat draußen
in der weiten Welt, und der Segen kam von einem kleinen, schlichten
Haus und kehrte wieder dahin zurück, ins Vaterhaus, einem »Hüttl, när
aus Holz gebaut«.
Unweit davon hat sich der Volksdichter ein eigenes Heim geschaffen.
Es ist ebenso schlicht wie das alte Haus, aber es ist umklungen von
seinen Liedern. Wie oft kommen nicht eine fremde Wanderschar oder
eine Schulklasse und singen vor seiner Tür das volkstümlichste seiner
Lieder: »Wu da Wälder hamlich rauschen« oder ein paar alte Musikanten
kehren heim und singen ihm: »Vergaß dei Hamit net«. Auch allerlei
neugierige Leute tauchen hin und wieder auf, die da meinen, einen
Dichtersmann mit der Brille, immer mit Büchel und Feder bewaffnet,
zu sehen, und sie finden einen biederen, schlichten Erzgebirgler
im Ehrenkleid des Werktags, der für Weib, Kinder und Heimatscholle
schafft, getreu seinem Wahlspruch:
»Aafach on racht,
Gerod raus on net schlacht,
Dr Hamit, on Volk trei,
A su will ich sei.«
IV. »Wie dr Schnawl stieht – Deitsch is mei Liedl«
Es ist doch wundersam: Gar mancher mit und nach ihm hat Volks- und
Heimatlieder gesungen und ersonnen, aber nur wenigen sind sie gelungen.
Wer Anton Günthers Lieder hörte, vergißt sie nicht gleich wieder. Sie
kommen aus dem Herzen und gehen zu Herzen. Das könnte vielleicht als
billige Redensart angesehen werden, aber man fühlt: diese Worte in der
Mundart des Erzgebirgsvolks, die er vorerst gar nicht aufs Papier zu
bringen und in die Welt zu schicken sich traute, sind echt, wahr und
klar, schlicht und einfach, treffsicher, ohne Schnörkel und Künstelei,
und zu ihnen paßt die Melodie. Sie erscheint, wie bei jeder guten
Vertonung, als die Fortsetzung, die Ergänzung und Verinnerlichung.
Sang und Klang sind eins geworden. Mit ein paar einfachen Akkorden
drückt er aus, was vielen in umständlicher Rede kaum zu sagen gelingt.
Hier ist erfüllt, was einst ein großer Dichter über den echten
Volkssänger sagt: »Er wecket der dunklen Gefühle Gewalt, die im Herzen
wunderbar schliefen.« Wie in dem Meistererzähler des österreichischen
Volksstammes Peter Rosegger lebt in ihm die aufgespeicherte,
unverbrauchte Gemütskraft der Bergkinder. Ein stilles Flämmlein wird
zum Lichtschein, der vielen leuchtet. Schlichte Lieder nur wollen
seine Sänge sein, aber sie tragen die Merkmale echter Dichtung: sie
sind aus einem Erlebnis erwachsen, sind eine Eingebung und ein Stück
Bekenntnis. Mit feinem natürlichem Empfinden ist auf den meisten
seiner Karten zu lesen: Dies Lied _entstand_ 1907 usw. Er kann keine
auf Bestellung machen, wie etwa die Reklamedichter der modernen Zeit.
In seinen Liedern leben die Düfte des Heidelands und der Morgenwind,
der darüber weht, das Echo der Bergwälder und das Rauschen der Bäume,
jenes unsagbar heimliche und tiefe Rauschen des erzgebirgischen Waldes,
dem kein anderes vergleichbar ist. Aus ihnen steigt der herbe Duft der
Erzgebirgsscholle, der gesunde Anhauch des Fichtengrünes; das Murmeln
des kiesigen Waldbächleins flüstert in ihnen und der Liebeszwiegesang
der gefiederten Sänger, die in den Zweigen wohnen. Frage den Wald,
warum er rauscht, frage den Wind, warum er weht und wohin er geht,
frage den Toler-Hans-Tonl, warum und wie er singt:
»Weils Vöchela singt wie sei Schnawela stieht,
Nooch seiner Art a jed’s Blümela blüht,
Will ich aa singa, weils en bestn a su gieht,
Wie mr dr Schnawl halt stieht.«
So sind bis heute über hundert herzinnige Lieder entstanden, davon sind
vierundsiebzig zu singen und mit Bildern geschmückt, und klingen in den
Bergen und in gar manchem Menschenherzen.
Es ist nur eine engbegrenzte Welt, die sein Lied besingt, aber im
Leben und Weben der ewigen Natur und im armen Menschendasein dort oben
erscheint ihm nichts zu gering und unbedeutend, daß es nicht eines
Liedertones wert sei, ob er nun das Aufblühen des Vergißmeinnichts
im Wiesengrunde sieht, oder das Finkenpaar im Nachbarbaum belauscht
oder dem kleinen »Grünents« und »Hanftlich« nachblickt, die über den
düsteren Moorgrund fliegen, oder das Sommergesumm am würzduftenden
Waldrand vernimmt, ob der Glockenschall der kleinen Waldkapelle an
sein Ohr dringt oder ob er zur »Harwistzeit« das Aufbrausen des
Höhensturmes und das Weihnachtsahnen im Winterwalde erlebt. Wie
schlicht und innig ist das Zum-Gleichnis-werden alles Vergänglichen in
dem kleinen Liede: »Blüh, Schwarzbeer, blüh« zum Ausdruck gebracht!
Alles Süße und Liebe der armen Heimaterde ist eingefangen in seine
anspruchslosen Verse. Sie ist ihm, gleich dem Leben, ein heiliges
Buch, das auf allen Seiten großen Inhalt zeigt und zeigen soll, und
über dieser Erde leuchtet ihm ein schöner, unbeweglicher Stern: das
ist die Liebe zur Berg- und Waldheimat. Ihr gilt sein erstes und sein
letztes Lied. In der Lebensbeschreibung, die er dem ersten Bande seiner
Lieder vorausschickt, bekennt er es: »Aus ärmlichen Verhältnissen
sind meine Lieder entsprungen zum Wohle einer ganzen Familie und
nicht minder zum Wohle unseres Gebirges.« Und wer sollte nicht lieb
haben diese schlichten, geraden und selbstgenügsamen Menschen, die
vom Sonnenaufgang bis -niedergang eingespannt sind in den Tageslauf!
Viele von ihnen haben noch etwas vom knorrigen Geschlecht der Vorzeit
in sich, sind Leute vom »alten Schlag«, gesund am Mark und in ihrer
Lebensweisheit, voll Hingebung an die Arbeit und voll Ehrfurcht vor dem
Alter. In ihrer Bedürfnislosigkeit können sie dem neuen Weltmenschen
ein Vorbild sein. An einem Stück Brot, ein paar Kartoffeln, einem
geringen Kaffee, mit der Schwammabrüh im Topf und einer Pfeife Tabak
finden viele ihr Genügen. Sie sind die Nachfahren der rauhen, aber
wackeren Hammerschmiede und Bergwurzeln des erzgebirgischen Volkes, in
denen der Erdsegen und die Lichtsehnsucht der alten Zeit fortleben. Der
in der Weltverlassenheit schaffende Holzknecht, der arme »Großhaaner«,
selbst der alte »Bettelmah«, der im Kampf um die Heimatscholle
unterlag, stehen unserem Toler-Hans-Tonl höher, als die, die in »Grustu
an Olmerichkeit« draußen in der Welt verdarben und die Heimat vergaßen.
Unter dem Sammelruf: »Vergaß die Hamit net!« sendet er auch diesen
Verlorenen und Wankenden seine Lieder. Hört ihr es? … »Ach wie schü
wars daham of der Uf’nbank« … wenn Heimatfriede in Hütten und Herzen
einkehrte und in die Spinnstuben zum »Hutznomd« die heilige, heimliche
Weihnachtsstimmung sich ausbreitete.
In dieser langen, dunklen Winterzeit rücken sie alle näher aneinander;
ihre Herzen tun sich auf, und ihr Mund singt es heraus, was an Leid
und Freud tief innen wohnt. Ihr Volksdichter ist immer mitten unter
ihnen, wenn auch nicht in Person, so doch in seinen Liedern. Wie
der Bergmann, der mit seiner Blende den dunklen Schacht der Erde
ableuchtet, so findet er im Herzen des Volkes manchen Schatz, den die
neue Zeit verschüttet hat, die alte Treue und gebirgische Art, die
Rechtschaffenheit, Biederkeit und Zufriedenheit, »das beste Kraitl«,
das in der Welt gedeiht. Ist es nicht schlichteste, aber unzerstörbare
Lebensweisheit, wenn er das Leben als Büchel besingt, in dem nur Gutes
stehen soll, wenn er sagt:
»Drem war a Herz gefondn hat,
Dar sell net meh begarn,
A Harz, wos schleecht vull Lieb on Trei,
Werd of dr Walt wuhls Beste sei –
Doch ’s muß verstandn warn.«
Aber immer klingt in seinen Liedern jene wunderbare Mischung zwischen
tiefem Lebensernst und Scherz auf, der allen Großmeistern der Freude
eigen ist.
»Jeder Baam hot sei Astl, jeder Barch hot sa Spitz,
Jed’s Vöchla sei Nastl, jed’s Flamml sei Hitz,
’s hot alles sei Ordnung, ’s hot alles sei Zeit,
Jeder Mensch macht wos andersch,
’s hot halt jeder sei Freid.«
Und der Gottesgaber Sänger ist der letzte, der gegen diese echte
– Gottesgabe predigen will. Wie die Sonne durch dunkles Gewölk
lächelt, so blitzt hier und da ein Strahl echten, goldenen Humors
in seinen Liedern auf, bricht der Schalk durch, lacht das lustige
oesterreichische Gemüt, das ein unvergängliches Erbteil dieses
schwergeprüften deutschen Volksstammes ist. Nimm und sing nur seine
heiteren Lieder: Da Ufnbank, ’s fallische Nannel, Da Pfeif, Da zwaa
Finken, ’s Annl mit’n Kannl, Dr Grenzschutz, Allerhand ve dr Gutsgoh!
Aber diese Stunden der Freude und des Lachens sind nur Ruhepausen im
Kampfe des Lebens. Denn nicht nur die Not des eigenen Daseins, auch die
Not seines ganzen Volksstammes hat bei seinen Liedern Pate gestanden.
So wie sich der Geleitsspruch: »War sei Hamit liebt, liebt a sei Volk«
durch alle Lieder hindurchzieht, so gewiß ist auch, daß diese Liebe nur
durch harten Kampf erworben ward. »Deitsch on frei wolln mr sei!« ist
Notruf und ewige Losung des deutschböhmischen Bruderstammes hier oben.
Gerade das ist es, was dem Heimatvolk des Sängers so furchtbar schwer
gemacht wird durch Jahrhunderte hindurch, so lange hier deutsche Herzen
schlagen. Notzeiten hat es im Gebirge immer gegeben, als der Bergsegen
erstarb, wenn die Ernte verdarb, wenn der Verdienst im Wechsel der
Zeiten karg ward, aber nie waren die Wasser der Not so hoch gestiegen
als in den letzten Kriegsjahren, da das Hungergespenst diesseits und
jenseits der abgebrochenen schwarz-gelben Grenzpfähle umging und in den
kleinen Hütten auf den Bergen das Licht erlosch. Ergreifend klingt dies
in dem Gedicht »Kaa Licht« wieder, für das der Sänger weder Bild noch
Weise fand. In stillem, zähem Behaupten und unwandelbarem Vertrauen
ward der Grenzstamm zum Duldervolk, aber daß es nicht mit Seufzen und
Bangen unterlag, hat es nicht zum geringsten Teile seinen treudeutschen
Führern zu verdanken, zu denen auch Anton Günther zu zählen ist. Auf
den Flügeln seiner Lieder geht die Klage der Väter und der Weckruf der
Brüder zu uns ins Reichsland. Nichts Undeutsches ist in seinem Wesen
und seinen Weisen.
»Deitsch is mei’ denk’n
On deitsch mei’ Gemüt,
Deitsch is mei Hamit,
Mei Vater sei’ Hütt’ …
Deitsch is mei’ Tracht’n,
Mei Tu on mei’ Treib’n,
Deitsch on frei bie ich
On wills immer bleib’n …«
Und die Lauen rüttelt er auf:
»Scham dich fei, scham dich fei,
Du willst aa a Deitscher sei?
Denkst wuhl, weil du deitsch tust redn,
Schüna Wärter sochst en jedn,
On drbei, als wie a Kind,
Drehst du en Mantl noch na Wind,
Denkst wuhl, weil du deitsch mich grüßt,
Doß du schu a Deitscher bist?« …
Aber nicht nur mit dem Wort – auch mit der Tat, mit Gut und Blut
trat er für sein Volk ein, zog in den Krieg und trug schwere Wunden
mit heim. Draußen am Isonzo richtete er die verzagten Kameraden
mit seinen Liedern auf und ist bis heute nicht müde geworden, die
Getrennten zu sammeln, zur Einheit zu mahnen und die »niedertrachticha,
waggeschmissina, falischa Politik« in die »Feirist« zu hängen.
»Ich bin net schwarz, ich bin net weiß, ich bin net rut,
ich bin net grü.
Ich halt zer Hamit, ze mein Volk, weil ich a Arzgebircher bin.«
Aber nicht nur als Volksdichter, Volkserzieher, sondern auch als
praktischer Volkswirt erweist er sich, wenn er aufruft:
»Schafft Vieh in Haus, ’s werd Wuhlstand drauß,
Da Nut die huppt zen Fenster naus.
Host du a Flackl Ard,
Bebau dei Fald mit frischem Mut,
Weil dr Segn när in dr Arweit ruht.
Nort hot erst ’s Labn en Wert,
Bebau dei Flackl Ard!«
Er selbst gibt den Seinen darin ein gutes Vorbild und zeigt, auch wenn
seine Lieder nicht klingen: Wer der Heimatscholle treu bleibt, dem
bleibt auch die Heimat.
V. Traute Lieder hör ich wieder Hamlich in dr Mottersproch
In der großen Stadt ist Stiftungsfest des Erzgebirgsvereins. Dort
finden sich Leute zusammen, die vom Gebirge her stammen oder Freunde
der Berge sind, die das Erzgebirge aufschließen helfen, Wege bauen,
Wanderheime und Jugendherbergen gründen und, wenn sie zusammenkommen,
erzgebirgische Art und Sitte pflegen. Da werden mundartliche
Volksstücke aufgeführt, heitere, gebirgische Geschichten vorgetragen
und Lieder gesungen. Wie oft heißt es da nicht hier und da: Wir wollen
den Toler-Hans-Tonl bitten, daß er selbst einmal zu uns komme, und
wenn er in seiner grünen Gebirgstracht leibhaftig vor ihnen steht und
seine Lieder zur Laute singt, dann ist es, als wenn die grünen Fichten
rauschten und die Waldharfen aufklängen im großen Lichtersaal, als wenn
der Bergquell spränge, als wenn das liebe Erzgebirge in seiner biederen
Frömmigkeit selbst zu ihnen gekommen wäre, und mancher Mund summt, der
»Gongazeit« gedenkend, leise mit:
»Grüß dich Gott, o du mei Arzgebirch,
Grüß dich Gott, du grüner Wald.
O wie garn kehr ich zu dir zurück,
Wus su hamlich klingt on schallt.« – –
Es war zur Hauptversammlung des Erzgebirgsvereins, die 1905 zu Zwönitz
stattfand. Bei der Erstaufführung des erzgebirgischen Volksstückes
»Heimkehr« von Pfarrer Löscher, dem verdienten Freund und Förderer des
Vereins, wirkte auch Anton Günther mit und ward zum ersten Male einem
größeren Kreise bekannt. Seitdem war er gewissermaßen entdeckt, und
trat in der Folgezeit auf besondere Einladung hin in Landsmannschaften,
Heimatvereinen, deutschen Sprachvereinen, Vereinen für Volkskunde,
Gesangvereinen, literarischen Verbänden und Erzgebirgszweigvereinen
als hochwillkommener Gast auf. Nicht nur in Sachsen und Böhmerland,
auch in Wien und Berlin erwarb er sich begeisterte Freunde. Erzherzöge
und Könige begehrten ihn zu hören. Im Jahre 1913 sang er auf dem
Fichtelberge vor dem ehemaligen König Friedrich August, der durch die
Liedstelle
»Mit kan Könich mächt ich tauschen,
Weil do drubn mei Heisl stieht.«
zu Tränen gerührt ward und den Sänger durch das Ehrenkreuz mit der
Krone auszeichnete. Wohl war des Toler-Hans-Tonls Freude darüber groß,
aber in seiner schlichten Art sagt er später:
»Das Kreizl ehr net mich allaa on aa net när mei Lied,
Das ehrt es ganze Arzgebarch, es Volk mit sein Gemüt.«
Wie oft ist er bis zum heutigen Tage gesucht und zu Gast gebeten
worden, aber er kann nicht auf allen Bergen sitzen und singen. Das
Leben ist ernst und verlangt noch andere Pflichten von ihm, und wo er
selbst nicht hinkommt, da sind als Boten seine Liedergrüße gegangen.
Auf tausenden von Postkarten sind sie in die Welt geflattert, aus dem
stillen Gottesgab, vom Fichtel- und Keilberge, von den Sommerfrischen
des Gebirges, aus den Schaukästen der Großstädte. Fürstenkinder und
schlichte Leute kennen und singen sie, selbst nach Amerika gingen sie –
ein Strahl der Heimatsonne übers ferne Meer. Und sie werden bleiben,
wenn schon mancher Sang verschollen, den heute die Welt liebt. Drum
kauft seine Lieder! Sie sind ein Quell reiner Freude, ein Wegweiser ins
Erzgebirge, eine ausgestreckte Bruderhand, ein Gruß aus der Heimat,
denen, die sie verloren, ein Bollwerk gegen alles Undeutsche in und um
uns.
Aus dem stillen Heimatglück des Vaterhauses, woher sie gekommen,
kehren zurück alle seine Lieder, und in der Heimat ist auch der
Toler-Hans-Tonl am liebsten. Er selbst bekennt es: … ’s werd aus ’ner
Ficht kaa Birnbaam draus, dort, wu ich harstamm, halt ich hie … Seinem
lieben Gottesgab, dessen Ehrenbürger er ist, hat er Treue geschworen,
ihm gehören alle seine Lieder, er nimmt Anteil an seinem Geschick in
guten und bösen Tagen, leitet ihre Jugend und hilft nach Kräften den
Gebirgsarmen, für die er eine Toler-Hans-Tonl-Stiftung gegründet hat.
»Drham is drham!« so sagte er, als er mir zum Abschied die Hand
reichte, aber wir wissen: Kein Grenzpfahl kann uns scheiden; denn
_sein_ Volk ist _unser_ Volk, und seine Lieder leben, so lange die
deutsche Treue und gebirgische Art in Hütten und Herzen leben; so lange
die Berge stehen und die Wälder heimlich rauschen. Glück auf, du treuer
deutscher Grenzwächter im Böhmerland!
Der Hacksilberfund von Poppitz bei Riesa
Von _Alfred Mirtschin_, Riesa
Dem Poppitzer Nachtwächter hatte einst ein Zigeunerweib prophezeit,
unter Poppitz lägen Millionen vergraben, und er …!
Er ist der Glückliche, der am 17. März 1926 einen »Topf voll Geld«
findet.
Er ist in Tagesschicht beschäftigt, den kaum merklichen Straßengraben
einer Straße mitten im Dorf um einen Spatenstich zu vertiefen. Ganz
dicht neben einer Mauer stößt plötzlich seine Schaufel auf etwas
Hartes. Ein Stein. Einige wuchtige Stöße. Die Schaufel gräbt sich
weiter. Hoch! Da rollen ihm Silbermünzen wie ausgeschüttete Erbsen
entgegen. Ein paar Hundert. Noch ehe er sich von seinem Erstaunen
erholt, ist schon jung und alt aus der Nachbarschaft um ihn versammelt
und drängt und rafft, Silbermünzen zu erhaschen, reich zu werden.
Aber o weh! Wie dünn sie sind! Und wie zerbröcklich! Mancher wirft
sie wieder weg. Andere treten drauf und raffen sie wieder von neuem.
Ein Gewoge und Geschiebe und Geplauder an der Fundstelle. Der arme
Nachtwächter weiß sich gar nicht zu helfen. Er ist nur froh, ein
viertelhundert Münzen für sich gerettet zu haben. Die übrigen sind
unter der Einwohnerschaft verstreut wie Flugblätter vom Flugzeug
herabgeworfen. Und das Harte, das der Schaufel Widerstand geleistet?
Es ist ein Topf, der nun von den Leuten kurz und klein getreten worden
ist.
Ein Bild sinnloser Zerstörung. Aufregung, Tagesgespräch im Dorfe,
das sich bis zu einsichtigen Menschen fortpflanzt. Sie erkennen, daß
es sich bei diesem Fund nicht um den geringen Silberwert, sondern um
wichtigere Dinge handelt. Sie kennen mich von meinen Ausgrabungen in
Poppitz her und holen mich. Am Fundplatz kann ich nur noch Nachlese
halten. Schneidersleute übergeben mir die von ihnen sorgfältig
gesammelten Topfreste und den von niemand beachteten »Bleideckel«.
Aber wie die Münzen wiederbekommen? Zwang und Belohnung haben eher
entgegengesetzte Wirkung. Also Aufklärung und gütliches Zureden. Die
Besinnung kehrt bei allen wieder. Niemand verweigert die Herausgabe.
Manchem fällt es schwer. Doch die bessere Einsicht siegt. Die
Dorfjugend hilft. Ich gehe von Haus zu Haus. Tagelang spüre ich nach,
wie kein gewissenhafter Kriminalbeamter gründlicher tun kann. Und so
habe ich nun wohl fast alle Münzen wieder beisammen. Nur einige wenige
Stücke werden noch verborgen sein.
[Illustration: Abb. 1. =Der vom Verfasser aus sechsundsiebzig Scherben
wieder zusammengesetzte Topf des Poppitzer Hacksilberfundes.= Ungefähr
einhalb natürliche Größe]
Was ist das nun für ein Fund und welcher Zeit entstammt er? Diese
Fragen drängen sich nun ohne weiteres auf. Zur Beantwortung der ersten
kommen nur Vermutungen in Frage. Die geschichtlichen Ereignisse
der Heimat geben nur geringen Aufschluß. Wer kann es wissen, ob es
ein Schatz des zwei Kilometer entfernten 1111 bis 1119 gegründeten
Klosters Rezowe, ob es ein Privatgut war, das aus Furcht vor den
Feinden – der Meißner Markgraf Heinrich der Erlauchte – 1221 bis 1288
– lag seit 1240 in mehrjähriger unglücklicher Fehde mit den beiden
Brandenburger Markgrafen Otto und Johann – versteckt worden war, ob es
ein unehrlich oder verbrecherisch erworbenes Gut war. Niemand kann es
mit Bestimmtheit sagen, sicher ist aber, daß der Fund in jenes unruhige
dreizehnte Jahrhundert gehört. Darauf weisen Topf und Münzen. Solche
Gefäße (siehe Abbildung 1) waren bei den Deutschen im dreizehnten
Jahrhundert im Gebrauch. Es ist eine Bombe mit gewölbtem Boden. Der
Hals ist wenig umgelegt und hat innen eine Hohlkehlleiste. Das Material
besteht aus schwarzgrauem, klingend hart gebranntem Ton, die Wandstärke
nimmt vom Hals nach dem Boden zu immer mehr ab, ein Topfdeckel fehlt.
Die Münzen stammen ebenfalls aus dem dreizehnten Jahrhundert, und
zwar aus der ersten Hälfte. Es sind einseitig geprägte Brakteaten aus
dünnstem Silberblech. Sie sind durchschnittlich vier Zentimeter groß
und wiegen ein reichliches halbes Gramm. Das Bild wurde mit einem
Stempel aus Hartholz oder Metall eingeschlagen, so, daß es reliefartig
hervortritt. Jegliche Angaben über Wert, Hersteller und Prägungsjahr
fehlen. Sie wurden nach dem Gewicht gewertet. Darum zerschnitt man
sie ohne Bedenken in Halbe und Viertel, wie sich solche Teile bei dem
Fund in gleicher Anzahl wie die ganzen Stücke fanden. Sie dienten nur
zum Ausgleich und dem Kleinverkehr. Das Hauptzahlungsmittel war der
Silberbarren. In einen Schmelztiegel wurde soviel Silber gegossen,
als die Zahlung erforderte. Daher die Kugelkappenform des Gußkuchens.
War das notwendige Gewicht nicht ganz erreicht, so glich man den Rest
mit Brakteaten aus. Nach der karolingischen Münzordnung galt damals
noch die Silberwährung. Goldmünzen gab es in Deutschland noch nicht.
Die Fürsten hatten Münzhoheit. Eine Menge neuer Münzprägestellen
kam dadurch auf. Bedrängte Fürsten haben da oft dasselbe getan, was
Deutschland heute tut: viel unedles Metall in das Silber gemengt und
minderwertiges Geld geschaffen.
[Illustration: Abb. 2. =Die verschiedenen Typen der Brakteaten und
der Gußkuchen aus dem Poppitzer Hacksilberfund.= Ungefähr einhalb
natürliche Größe]
Das Bild auf den Poppitzer Brakteaten gibt nun Aufschluß, wo deren
Prägestelle zu suchen ist. Nicht allzuweit vom Fundplatz weg. Im
zwanzig Kilometer entfernten Meißen. Dort sind sie in den Jahren 1208
bis 1258 von den Bischöfen Bruno II. (III.) 1208 bis 1230, Heinrich
1230 bis 1240 oder Konrad 1240 bis 1258 geprägt worden. Sie gehören
mithin zu den älteren Brakteaten, die sich vor den späteren durch ihre
Größe, ihre Schönheit (namentlich die selteneren bischöflichen) und
durch ihre bessere Prägung auszeichnen. Die hundertsechsundachtzig
Münzen, ganze und geteilte, des Poppitzer Fundes zeigen mit nur einer
Ausnahme eine auf einem oder zwei Bogen sitzende Figur, den Meißner
Bischof, der in den Händen je ein kirchliches Symbol hält, z. B. einen
Krummstab (Abb. 2 Nr. 4, 15 und 20), eine Hostienschachtel (?) (Nr. 5,
10 und 28), ein Patriarchalkreuz (Nr. 1, 19 und 34), ein Malteserkreuz
(Nr. 1, 19 und 29), einen Stern (Nr. 11 und 14), ein Kugelkreuzszepter
(Nr. 6, 24 und 25), ein Lilienszepter (Nr. 3, 5, 6, 7, 8, 12, 13, 14,
22, 26, 27, 33 und 35), ein Lilienszepter mit Doppelkelch (Nr. 9 und
23), ein Lilienszepter mit Kreuz (Nr. 3, 4, 8 und 21) und eine Fahne
(Nr. 2, 30 und 31). So ergeben sich fünfzehn verschiedene Sorten ganzer
Brakteaten, denen die zerteilten entsprechen. (Abb. 2.)
Eine Sonderstellung nehmen die Brakteaten Nr. 16 und 17 (Abbildung 2)
ein. Sie tragen Schriftzeichen. Die auf Nr. 16 ließen sich entziffern
als ~DId~ ----~D~ (?) ~GIIII~. Es ist fraglich, ob sich diese Schrift
auf den Markgrafen Dietrich den Bedrängten (1195 bis 1221) oder auf den
Bischof Dietrich II. von Meißen (1190 bis 1208) bezieht.
Sicher nicht bischöflichen Ursprungs ist der Brakteat Nr. 17. Die
Kronen und die Löwenköpfe in den Winkeln des Kreuzes und die Schrift
~MONETA DOMINI IMPERATORIS~ weisen auf den Kaiser Otto IV. (1209 bis
1215) hin.
Der Gußkuchen, der erst für einen gewöhnlichen Bleideckel gehalten
wurde, wiegt vierhunderteinundvierzig Gramm und besteht, wie die
chemische Untersuchung ergab, aus fast reinem Silber, dem nur eine
winzige Menge Kupfer und Eisen beigemengt sind. Seine Höhe beträgt
9,5 Millimeter, sein größerer Durchmesser 8 und sein kleinerer 7,2
Zentimeter.
Bedenkt man, daß nach der sich in den Städten allmählich durchsetzenden
Kölner Gewichtsordnung das Pfund vierhundertsechsundsechzig Gramm wog
und die Hälfte, zweihundertdreiunddreißig Gramm, eine Mark betrug, daß
der Poppitzer Fund ein Metallgewicht von fünfhundertsechsundfünfzig
Gramm besitzt, also knapp 2,50 Mark Wert darstellt, und bedenkt man,
daß man schon Funde bis zu fünftausend Stück Brakteaten gemacht hat,
so ist der Poppitzer als ein kleiner zu betrachten. Doch er ist für
unsere Riesaer Heimat und auch für unsere sächsische Heimat von um
so größerer Bedeutung. Zum ersten Male gelang ein solcher Fund in
unserer Gegend, der aus unserer heimischen Diözese Meißen stammt.
Er kann geschlossen, Topf, Silberbarren und Brakteaten in unserer
Heimat von der Allgemeinheit betrachtet werden. Das ist der Einsicht
und dem Opfersinn der Gemeinde Poppitz zu verdanken, die den Fund in
anerkennenswerter Weise dem Riesaer Heimatmuseum spendete.
Vom Steinkreuz bei Großerkmannsdorf
Von _Th. Leuschner_, Dresden-Loschwitz
Nicht weit vom Dorf an der Straße nach Radeberg lauern bewaffnete
Männer, Bauern aus Großerkmannsdorf. Der Wald verbirgt sie. Michel
Merkel, der Erbrichter, ist ihr Führer. Der hat in der Frühe erkundet,
ein Trupp kaiserlicher Soldaten käme mit ein paar Salzwagen aus
Radeberg. »Ihr Bauernschinder! Euch wollen wir’s geben! Ihr habt uns
genug geplagt! Soldatenblut für Bauernblut!«
Sie lauschen. Still bleibt’s im Wald, auf der Straße.
Die Kaiserlichen sind noch ein ganzes Stück davon. Aber auf ihrer Hut
sind sie! Der Kornett hat sein Pistol geladen in der Faust. Vom Pferd
herab überschaut er die Straße. Nichts, was verdächtig sein könnte! Er
hängt den Gedanken nach. Heute früh war er mit ein paar Musketieren
nach Radeberg gezogen, Salz sollte er auf Befehl ins Lager bringen.
Hier an der Grenze zwischen der Lausitz und Kursachsen war dafür
Stapel- und Zollstätte. Nur wenige Vorräte waren dagewesen. Ein paar
Bürger hat er aus Vorsicht gezwungen, mit Musketen bewaffnet die Wagen
zu begleiten.
Die Wagen poltern durch den stillen Wald.
Da auf einmal tauchen hinter den Bäumen die Bauern auf, ihre Büchsen
knallen los. Der Rauch verzieht – sie haben schlecht getroffen. Aber
schon hat der Kornett den Anführer erkannt, ein wohlgezielter Schuß,
und Michel Merkel sinkt verwundet zur Erde. Die Bauern überkommt ein
Schreck, sie springen und fliehen in den Wald hinein. Die Fuhrleute
hauen auf die Gäule ein, schnell rattern die Wagen davon.
Und nun ist’s wieder still.
Geraume Zeit vergeht. Die Bauern wagen sich heran, sie tragen den
Schwerverwundeten ins Erbgericht. Keine Pflege hilft, am zehnten Tage
danach ist er ein stiller, toter Mann. –
Wo jetzt am Ende des Dorfes das verwitterte Steinkreuz steht, dort soll
es gewesen sein, daß Michel Merkel in seinem Blute gelegen hat. Ein
Mordkreuz nennen es die Leute heute noch. Doch, wer weiß das so genau?
Auch das Kirchenbuch des Dorfes berichtet von dem Kreuze nichts, nur
hat der Pfarrer von damals eingetragen:
»1634 Mittwoch in der Marterwoche (war 2. April) gingen auf Begehren
etliche aus unsrem Dorfe mit Musqueten auff Radeberg, etliche salzwagen
aufzuhalten, damit sie nicht den Kaiserlichen zukämen. Darunter war
auch Michel Merkel. Weil aber die Radeberger den Salzwagen beystunden
und die Unsrigen meistenteils nicht stunden, ward Michel Merkel von
dem Conovier der Salzwagen, so ein Kornett sein sollte, geschossen,
an welchem Schusse Er den Sonntag Quasimodogeniti (war den 13. April)
starb und wurde den 14. begraben.«
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt –
Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
Klischees von Römmler & Jonas, sämtlich in Dresden –
Photographische Platten »Sigurd« und »Satrap«,
photographische, sowie kinematographische Aufnahme- und
Wiedergabeapparate »Ernemann«
Photographische Aufnahmen: Max Nowak
Sächsischer Bauern-Kalender 1926
Herausgegeben von der Landwirtschaftskammer für Sachsen
Bearbeitet von Dr. Horst Höfer, Meißen
Bildschmuck von A. Weßner-Collenbey
Zum fünften Male nimmt der stattliche Bauern-Kalender seinen Weg hinaus
in das sächsische Land. Was er bei seinem erstmaligen Erscheinen
versprach, hat er treulich gehalten; er ist ein Kulturwerk geworden,
auf das wir Sachsen stolz sein können. Der künstlerisch vollendet
ausgestattete Kalender ist als Pionier des guten Geschmacks in das
Bauernhaus gezogen, wo er vielfach der bevorzugte Lesestoff des Jahres
ist, und hat dort die ärmlichen, ja oft erbärmlichen Kalendermachwerke
früherer Zeit verdrängt und den Sinn für das Gute und Schöne geweckt.
Aber nicht nur das! Der Bauern-Kalender ist auch ein treuer Pfleger
des Schollenbewußtseins und der Heimatliebe. In jedem der vielen
prächtigen Bilder von der Meisterhand A. Weßner-Collenbeys spiegelt
sichs wieder: Wie schön ist doch unser liebes Sachsenland! Und aus
jedem der zahlreichen, belehrenden und unterhaltenden Aufsätze klingts
hervor: Wie reich ist unser Bauernland und wie kraftvoll und stark ist
noch unser Bauernstand, der Urquell unserer Volkskraft. Nicht nur der
Landmann wird seine Freude an dem prächtigen Kalenderbuche haben, jeder
Freund des ländlichen Sachsens – und wer wäre das nicht! – wird sich
mit hohem Genuß hinein vertiefen. Daß die Auswahl des Stoffes und die
ganze Zusammenstellung und Ausstattung des Kalenders nichts zu wünschen
übrig lassen, war nach dem, was die früheren Jahrgänge geboten haben,
nicht anders zu erwarten.
_Klengel._
* * * * *
Obiges mit hundert Abbildungen ausgestattetes Heimatbuch ist zum Preise
von
=90 Pfennigen=
und =30 Pfennig= Postgeld
durch die
Landwirtschaftskammer Dresden-A. 1,
Schließfach 47 (Sidonienstraße 14)
zu beziehen.
_Einbanddecken_
Jahrgang 1925 (Band XIV)
Mark 1.50
und 30 Pfg. Postgeld und Verpackung
Landesverein
Sächsischer Heimatschutz
=Dresden-A.=, Schießgasse 24
_Bestellkarte inliegend!_
Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-N.
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Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
Unterschiedliche Schreibweisen wurden wie im Original
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Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XV, Heft 3-4
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Heimatschutz
Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz,...
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— End of Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XV, Heft 3-4 —
Book Information
- Title
- Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XV, Heft 3-4
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- December 8, 2024
- Word Count
- 25,008 words
- Library of Congress Classification
- DD
- Bookshelves
- Browsing: Culture/Civilization/Society, Browsing: History - European
- Rights
- Public domain in the USA.
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