*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 74610 ***
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Buches.
[Illustration: Cover]
Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden
Mitteilungen
Heft
7 bis 8
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
Band XIV
_Inhalt_: Zum Geleite – Das alte Leipziger Rathaus –
Leipziger Barockhäuser – Die Götterfiguren von Permoser –
Die Frauenberufsschule in Leipzig, ein klassizistischer
Bau – Leipziger Bauten aus der Schinkelzeit – Vom alten
Johannisfriedhof in Leipzig – Leipziger Kirchen
Einzelpreis dieses Heftes 3 Reichsmark
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Postscheckkonto: Leipzig 13987, Dresden 15835
Stadtbank Dresden 610
Bankkonto: Commerz- und Privatbank,
Abteilung Pirnaischer Platz, Dresden
Bassenge & Fritzsche, Dresden
Dresden 1925
An unsere Leipziger Mitglieder!
Wir nehmen Bezug auf unser Rundschreiben vom 9. September 1925 und
teilen ergebenst mit, daß sich, abgeschlossen am 17. September 1925,
bisher für die Vortragsreihe mit den von Herrn Regierungsrat Dr. Berger
empfohlenen Themen 20 Besucher gemeldet haben und 670 Besucher für die
von Herrn Hofrat Professor Seyffert ausgewählten Vorträge.
Drei Mitglieder machten nicht mit Unrecht geltend, daß Herr
Regierungsrat Dr. Berger wohl die Themen vorgeschlagen, aber sicherlich
nicht eine _einzige_ Vortragsreihe mit allen seinen Vorschlägen
besetzt hätte. Herr Dr. Berger hat dies in einer Karte noch besonders
ausgedrückt.
Da wir _handeln_ mußten, weil der Beginn unserer Herbstvorträge vor der
Tür stand, wollten wir durch unser obiges Rundschreiben nur einmal ein
Gesamtbild der Stimmung erhalten, etwas anderes war nicht beabsichtigt.
Wir werden, wenn es möglich ist, mehr wie bisher in Leipzig örtliche
Themen in unsere Vortragsreihen aufnehmen und damit berechtigten
Wünschen in jeder Weise entgegenkommen. Wir glauben somit im Sinne
von Herrn Regierungsrat Dr. Berger und seiner Freunde zu handeln.
Wenn es manchmal aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich war,
örtliche Themen aufzunehmen, wie dies die Kriegs- und nachfolgende
Inflationszeit leider zur Bedingung machten, so bitten wir, die
damaligen Verhältnisse freundlichst in Betracht zu ziehen und zu
würdigen, da unsere Themen nicht nur für eine Stadt, sondern für
ungefähr 60 Orte bestimmt sind.
Die jetzt beginnende Vortragsreihe, die – genau wie dieses Heft –
monatelang vor der Bergerschen Anregung zusammengestellt war, zeigt,
daß wir durch das zeitgemäße Harth-Thema auf bedeutungsvolle Leipziger
Fragen die gebührende Rücksicht nehmen und auch in Zukunft nehmen
werden.
Mit deutschem Gruß
=Landesverein Sächsischer Heimatschutz=
i. V. Dr. =Adolph=,
Ministerialrat.
=Werner Schmidt=,
geschf. Direktor.
Vortrags-Folge:
Die Vorträge beginnen Punkt ½8 Uhr im _Centraltheater_, Eingang
Gottschedstraße, und dauern in der Regel 1 Stunde.
Freitag, den 25. September: Lichtbildervortrag: »Aus Sachsens
Vorzeit«. Dr. Bierbaum, Dresden.
Freitag, den 2. Oktober: Lichtbildervortrag (bunte Bilder):
»Die Schlösser Potsdams«. Professor Franz Goerke, Direktor
der Urania, Berlin.
Freitag, den 9. Oktober: Lautenabend Sepp Summer.
Freitag, den 16. Oktober: Filmvortrag: »Vom Vogelparadies der
Dobrudscha zu den Siebenbürgener Sachsen«. Oberlehrer Paul
Bernhardt, Dresden.
Freitag, den 23. Oktober: Lichtbildervortrag: »Das Deutsche
Museum in München«. Dr. Ernst Heinz Büttner, Leipzig.
Freitag, den 30. Oktober: Liederabend: Max Hirzel, Heldentenor
der Sächsischen Staatsoper, Dresden.
Freitag, den 6. November: Lichtbildervortrag: »Die Harth und
ihr Wert für die Großstadt Leipzig«. Bürgermeister Dr.
Köhler, Zwenkau.
Eintrittskarten zu 5 Mark – gültig für alle sieben Vorträge – im
Meßamt, bei _Ad. Müller & Co._, Brühl 10/12, und bei Bauunternehmung
_Rudolf Wolle_, Gottschedstraße 17.
Band XIV Heft 7/8 1925
[Illustration: Landesverein Sächsischer Heimatschutz Dresden]
Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern
herausgegeben
Abgeschlossen am 31. Juli 1925
Zum Geleite
Von Dr. _Friedrich Schulze_
Über einer frühen Ansicht der Stadt Leipzig in Braun und Hogenbergs
Städtebuch steht 1572 die kurze schlagwortartige Charakteristik:
»Leipzig, eine durch Pflege der Wissenschaft und durch Handel
berühmte meißnische Stadt«; in der Universitätsgründungsurkunde Papst
Alexanders V. empfing, fast zwei Jahrhunderte früher, nicht nur die
Höflichkeit der Einwohner, sondern sogar die liebliche Umgebung des
Ortes, mit allerdings gewohnter diplomatischer Schmeichelei, ihren
Lobspruch. Der Heimatfreund von heute, der auch die Sachlichkeit
liebt, tritt mit bescheidenerem Anspruch auf. Er erkennt, daß zwar die
geistig-merkantile Regsamkeit der Leipziger durch die Jahrhunderte
geblieben ist; aber er weiß auch, daß der Natur wie den Menschen die
lässige Grazie des deutschen Südens fehlt, – den Menschen insbesondere
deshalb, weil sie zu sehr vom Arbeitstempo erfaßt werden. Doch
wie wir diesen Eigencharakter der Bewohner nicht ändern können,
vielleicht nicht einmal missen wollen, so sollte von uns meer- und
gebirgshungrigen Großstädtern auch der Reiz unserer Auenlandschaft
nicht übersehen werden. Und schließlich: schön oder nicht schön, es ist
für uns die Heimat.
Das alte Leipziger Rathaus
Von Dr.-Ing. _Hubert Ermisch_, Dresden
Aufnahmen des Städtischen Hochbauamtes Leipzig, sowie Eigenaufnahmen
des Heimatschutzes
Unter den alten Rathäusern Sachsens ist, wenn man die heutige Grenze
als maßgebend ansieht, zweifellos das alte Leipziger Rathaus der
bedeutendste und schönste Bau. Bedeutsam, weil er der rechte Vertreter
der sächsischen Rathäuser seiner Zeit ist. Typisch die Folge der
aufgereihten hohen Dachaufbauten und der mittlere vorgestellte
Treppenturm. Und schön muß der Bau genannt werden, weil er bei aller
malerischen Freiheit dennoch das schöne Gleichmaß zeigt, weil er,
ohne seine Umgebung zu ertöten, dennoch kaum schöner an seinen Platz
am Markt hätte gestellt werden können. Das alte Rathaus wurde 1556
von Hieronymus Lotter gebaut. Es entstand in einer Epoche, die in
Obersachsen eine Blütezeit für alle Künste und nicht zum wenigsten
für die Baukunst war. Hier, wo die Wiege der Reformation stand,
war fruchtbarer Boden für die Kunstpflege. Die Reformation gab dem
künstlerischen Schaffen, besonders im Kirchenbau, Freiheit und der
»~nervus rerum~« floß reichlich aus dem Bergsegen des Landes, an dem
nicht nur der Fürst, sondern in hohem Maße auch alle Städte beteiligt
waren. So war für das städtische Bauwesen gute Zeit.
[Illustration: Abb. 1. =Gesamtansicht, jetziger Zustand=]
Es ist bezeichnend für die Epoche der Renaissance, in der alle Welt
von künstlerischen Ideen erfüllt war, daß der Architekt des Baues kein
zünftiger Maurermeister oder Steinmetz – letztere wurden ja damals im
allgemeinen als Architekten genannt – sondern ein kunstliebender und
kunstgeübter Kaufherr, der damalige Bürgermeister Hieronymus Lotter
war. Ihm zur Seite stand allerdings ein künstlerisch hochbefähigter
Steinmetz: Paul Wiedemann. Daß sich in dieser Zeit höchster
Bautätigkeit zwei künstlerisch so hochbefähigte Männer zusammenfanden,
muß als besonders glücklicher Zufall bezeichnet werden. (Abb. 1.)
[Illustration: Abb. 2. =Rathausturm, durch die Katharinenstraße
gesehen=]
Ich möchte behaupten, daß die wenigsten Leipziger wissen, daß die Front
des alten Rathauses einen Knick macht und daß der Turm gar nicht in
der Mitte des Baues steht. Ein Beweis, daß der Erbauer das richtige
Gefühl gehabt hat, daß diese künstlerische Freiheit erlaubt sei und
nicht stören würde. Der Grund ist hinsichtlich des Knickes natürlich
kein rein künstlerischer, sondern ein sehr praktischer. Der neue Bau
wurde auf vorhandenen Grundmauern errichtet, und zwar stand an der Ecke
nach der Grimmaischen Straße zu das kleine alte Rathaus, das uns im
Stadtbild von 1547 sehr anschaulich dargestellt wird. Aber auch dies
ist schon aus zwei Gebäuden zusammengesetzt gewesen, dem eigentlichen
Rathaus und dem Kaufhaus. Zwischen beiden lag eine enge Gasse, das
Loch, eine Örtlichkeit, die in alten Urkunden oft vorkommt. Rathaus und
Kaufhaus standen nicht genau in einer Front, und als man Ende des 15.
Jahrhunderts beide Gebäude zusammenzog und »das Loch« überbaute, blieb
der heute noch sichtbare Knick bestehen. Die andere Unregelmäßigkeit
des Baues, der seitlich stehende Turm, mag wohl im wesentlichen
künstlerische Gründe gehabt haben. Das ganze Marktbild sollte vom Turm
aus beherrscht werden, den der Architekt deshalb näher der Mitte
der gesamten Marktseite stellte. (Abb. 2.)
[Illustration: Abb. 3. =Rathausturm mit Mittelteil des Rathauses=]
In einem erhaltenen Schriftstück Lotters, das bei einer Erneuerung des
Turmknopfes 1573 von ihm verfaßt und in diesen gelegt wurde, sagt er,
er habe 1556 das alte Rathaus lassen einreißen und habe zum Teil die
alten Grundmauern und »einiges Mauerwerk zu Hilfe genommen und wie es
jetzt steht in neun Monaten« erbaut. Der Bau scheint allerdings riesig
rasch vonstatten gegangen zu sein. In einem alten Tagebuch steht, daß
die Kaufleute, die zur Ostermesse den Beginn des Neubaues mit angesehen
hatten, »über so unverhofften Fortgang fast erstarrt waren«, als sie
zur Herbstmesse wieder nach Leipzig kamen.
[Illustration: Abb. 4. =Großer Bürgersaal, jetziger Zustand als
Museumsraum. An der Abschlußwand der Pfeiferstuhl=]
Wenn man die alten Abbildungen des Leipziger Rathauses in zeitlicher
Folge betrachtet, wird man mit Verwunderung sehen, daß ursprünglich
die Erdgeschoßfenster über den Lauben heraussahen, daß zum
Haupteingang eine Treppe hinaufführte, kurz, das Gebäude eine größere
Höhenentwicklung hatte, wie es heute sich uns zeigt. Das hat auch
bestätigt gefunden, wer sich den Oberflächendurchschnitt durch den
Markt gelegentlich der Ausgrabung für das unterirdische Marktmeßhaus
angesehen hat. Der Markt hat sich allmählich gehoben und das Rathaus
versank entsprechend. Hierzu kommt allerdings, daß man die heutigen
Lauben wesentlich höher baute, als die ursprünglichen waren.
[Illustration: Abb. 5. =Kamin im großen Bürgersaal=]
Der obere Abschluß des Rathausturmes stammt vom Jahre 1744. Die alte
Uhr ist noch erhalten. Der überdeckte Austritt über dem Haupteingang
wurde im Jahre 1599 angefügt. Es ist der Platz, von dem aus die
Stadtmusikanten ihre Ständchen brachten. (Abb. 3.)
[Illustration: Abb. 6. =Große Ratsstube, jetziger Zustand=]
Das Äußere des Baues war uns gottlob noch ziemlich unberührt bis
in unser Jahrhundert erhalten und wurde 1906/09 unter Scharenberg
in vorbildlicher Weise wieder hergestellt, wobei der ganze Bau zu
einem stadtgeschichtlichen Museum umgestaltet wurde. Wenn man die
alten Zeichnungen zu den vielfachen Umbauplanungen ansieht, muß man
dankbar sein, daß sie nicht ausgeführt wurden. Meist war es allerdings
lediglich Geldmangel, der davon abhielt. So hat auch die Not der Zeiten
für die Stadt ihr Gutes gehabt. (Abb. 4.)
[Illustration: Abb. 7. =Museumsraum für kirchliche Kunst= (ursprünglich
Schöffenstube)
Das Kreuzgewölbe ist unter Benutzung von Gewölbemalereien des
Paulinerkreuzgangs ausgemalt]
Es war ein überaus glücklicher Gedanke, das alte Rathaus als
stadtgeschichtliches Museum umzubauen. Der größte Teil des
Gebäudeinnern war zu Verwaltungsräumen ausgebaut. Trotzdem haben sich
eine Anzahl schöner Architekturstücke erhalten, so vor allem der
vortreffliche Renaissance-Kamin von 1610 (Abb. 5) und der Pfeiferstuhl,
der wohl noch von 1556 stammt und die Handschrift Wiedemanns zeigt.
Diese Musikempore erinnert daran, daß der Rathaussaal _der_ Saal
der Stadt war. Hier fanden die Bürgerversammlungen statt, hier
wurden die Ratsschmäuse abgehalten, hier feierten die angesehenen
Bürger ihre Hochzeitsfeste und hier war auch der öffentliche
Tanzboden. Der Umbau von 1906/09 hat mit großem Verständnis die
Räume wieder in ihren ursprünglichen Zustand gebracht. Man bekommt
so recht ein anschauliches Bild, wie weiträumig und großzügig
unsere Altvordern bauten. Wie schön der große Bürgersaal sich als
repräsentative Diele des Rathauses zeigt, kann das beigefügte Bild am
besten zeigen. (Abb. 6.)
[Illustration: Abb. 8. =Museumsräume für kirchliche Kunst, anschließend
an den großen Saal im Hauptgeschosse=]
Leipziger Barockhäuser
Von _Nikolaus Pevsner_, Dresden
Mit Eigenaufnahmen des Heimatschutzes
Wenn Leipzig unter den deutschen Großstädten nicht im Rufe einer
Kunststadt steht, soweit es die bildenden Künste angeht, so hat das
seinen Grund im wesentlichen darin, daß es hier in der Tat niemals
eine eigentliche Maler- oder Bildhauerschule von Bedeutung gegeben
hat. Und auch für die Baukunst mußten die Dinge, sollte man meinen,
ungünstig liegen. Für die Errichtung großer Bauten weltlicher Natur
etwa, wie Schlösser oder Paläste, kam Leipzig, das nie der ständige
Wohnsitz eines Herrschers gewesen ist, nicht in Frage. Um so mehr muß
es Bewunderung erregen, daß die bürgerliche Architektur der Stadt
es vermocht hat, sie überall mit Gebäuden von viel höherem Werte zu
schmücken, als gemeinhin bekannt ist. Denn wenn der Leipziger wie der
Reisende auch die Denkmäler der deutschen Renaissance des sechzehnten
Jahrhunderts, wie das Alte Rathaus und das Fürstenhaus, kennt und
schätzt, so gehen beide doch fast stets achtlos an all den Bauten
vorbei, die den alten Straßen Leipzigs eigentlich ihr Gepräge und
ihren nur ihnen eigentümlichen Wert verleihen. Ich meine die Wohn-
und Handelshäuser der Barockzeit, also des Jahrhunderts zwischen dem
Dreißigjährigen Kriege und dem Beginn der Aufklärungsperiode, der
Zeit unserer Klassiker. Nur den wenigsten dürfte bekannt sein, daß
keine deutsche Stadt eine solche Fülle größter Bürgerbauten von guter
künstlerischer Qualität aus dieser Zeit besitzt, wie es in Leipzig
noch vor dreißig Jahren der Fall war. Es wäre sonst nicht möglich
gewesen, daß so wenig für die Pflege dieser Kunstdenkmäler geschah,
daß wieder und wieder wichtige Häuser in der inneren Stadt abgerissen
wurden, um Meßpalästen oder Banken Platz zu machen[1], und daß manche
der bedeutendsten in ernstlichen baulichen Verfall gerieten. Noch bis
vor kurzem ließ man ruhig die Fassaden abbröckeln, entfernte man große
Teile ihrer Stuckverzierungen, ließ im Inneren, um die Zimmereinteilung
zu ändern, Stuckdecken zerstören und verunzierte vor allem Portale und
Torwege durch Schaukästen, ganze Fassaden durch Reklameschilder.
So hat es eine besondere Begründung, gerade an dieser Stelle auf
die geschichtliche und ästhetische Bedeutung der Leipziger Häuser
hinzuweisen, die zu allem übrigen bisher auch kunsthistorisch weit
weniger bekannt waren, als es ihr Wert verdiente[2].
Je mehr man es sich überlegt, um so stärker muß es Wunder nehmen,
daß Leipzig nicht schon deshalb diesen Baudenkmälern mehr Beachtung
geschenkt hat, weil es in ihnen die aufrechten Zeugen seiner größten
Zeit verehren muß. Denn das war ohne Frage jenes Jahrhundert nach dem
großen Kriege, als hier an der Universität längere oder kürzere Zeit
ein Leibniz, Thomasius, Christian Wolff, Carpzov, Gottsched, Gellert
oder Christ tätig waren, oder als hier entscheidende Jugendeindrücke
an die Großen der Dichtung, an Goethe und Lessing, an Günther und
Klopstock vermittelt wurden. Und es war das nämliche Jahrhundert, da
in den Kirchen als Kantoren oder Organisten Joh. Seb. Bach, Kuhnau,
Schein und Telemann wirkten. Und wie sehr nahmen damals die führenden
Kreise der Stadt an diesem Kunstleben teil, indem sie ihre Söhne selbst
zu Gelehrten erzogen oder indem sie als Handelsherren ein offenes Auge
und eine natürliche Vorliebe für die Künste hatten, sich Sammlungen
anlegten und – vor allem – sich Villen, Parks und Stadthäuser bauten.
Denn gerade die Baukunst war im achtzehnten Jahrhundert nicht nur
eine Vorliebe der Gebildeten, sondern eine Leidenschaft, die Unsummen
verschlang und der sich jeder widmete, der nur irgendwie die Mittel
aufbringen konnte, ihr zu dienen. Die Überfülle herrlichster Bauten des
Barock und Rokoko in Deutschland ist der schönste Zeuge dieser Passion.
Wie ernstlich die Bauherren es damit meinten, beweist am besten, daß
gründlicher Unterricht in der Architektur in Fürsten-, Adels- oder
Patrizierfamilien zur notwendigsten Erziehung der Jugend gehörte, so
daß die Bauherren fast stets imstande waren, selbst bei den Planungen
mitzureden, selbst zu messen, zu zeichnen, ja zu entwerfen[3].
So fehlte es damals in Leipzig weder an vielseitiger Anregung, noch
an Verständnis gerade für die Baukunst, noch gar an Mitteln. Alle
Voraussetzungen waren gegeben, und ziemlich genau mit dem Jahre 1700
setzt nach etwa zwei vorbereitenden Jahrzehnten die eigentliche
Blütezeit ein. Denn unmittelbar nach dem großen Kriege war die Stadt,
die allein zwischen 1631 und 1642 fünf Belagerungen erlitten hatte,
noch zu sehr geschwächt, um an monumentale Gebäude denken zu können.
Immerhin entstand schon damals, in den fünfziger Jahren, das erste
große und wertvolle Bürgerhaus der Barockperiode, _Deutrichs Hof_,
dessen Hauptschauseite am Nikolaikirchhof, – ein erstes Opfer der
Leipziger Achtlosigkeit – abgerissen wurde. Wie hoch aber auch in
diesen Anfangsjahren schon die Qualität der Architektur war, lehrt
neben den zahlreichen schönen, mit üppigem Pflanzenornament bedeckten
Erkern, von denen auch viel zu viele Neubauten zum Opfer fielen,
besonders das Kleinod der _Alten Börse_ am Naschmarkte (Abb. 1), die
1678/87 von _Christian Richter_ erbaut wurde und deren von _Simonetti_
geschaffene schwungvolle Stuckdecke im Inneren dem reich und lebhaft
geschmückten Äußeren mit seinen girlandenbehängten Pilastern, dem hohen
Portal und der ausladenden Freitreppe ebenbürtig ist.
[Illustration: Abb. 1. Christ. Richter: =Alte Börse am Naschmarkt=
(1678–1687)]
Der Anstoß aber zum höchsten Aufschwung wurde erst 1701 gegeben, mit
dem Amtsantritt des Bürgermeisters Franz Conrad _Romanus_, eines
erst sechsunddreißigjährigen Schützlings August des Starken, der dem
protestierenden Rate aufgezwungen wurde und die ganze lebenserfüllte
Beweglichkeit seines Kurfürsten nach Leipzig einführte. Sofort begann
er mit dem Bau eines Stadthauses, eines Palastes kann man wohl sagen,
wie Leipzig ähnliches bisher noch nicht gekannt hatte, und verschaffte
sich als Bauleiter einen Dresdner Meister, der eben damals, auch
gegen den Wunsch der Zunft und der leitenden Stellen, zum Leipziger
Ratsmauermeister ernannt worden war: _Johann Gregor Fuchs_, der nun bis
zu seinem Tode, 1715, der tonangebende Künstler Leipzigs bleibt.
[Illustration: Abb. 2. Joh. Gregor Fuchs: =Romanushaus,
Katharinenstraße Ecke Brühl= (1701–1704)]
Das 1701 bis 1704 gebaute _Romanushaus_ am Brühl (Abb. 2) mußte damals
einen sehr starken Eindruck auf die Leipziger machen. Eine solche
Größe, eine solche Pracht, die Monumentalität dieser hohen Pilaster
der Mittelvorlage, der Schwung dieser Giebel, die saftige Schwere
dieser Dekoration waren unerhört und regten die reichen Handelsherren
der Stadt an, es dem neuen Bürgermeister gleich zu tun. Ein wahres
Baufieber ergreift die Stadt und hält nun ununterbrochen Jahrzehnte
hindurch an. Der beste Beweis für die Stärke dieser Leidenschaft ist ja
das Schicksal des Romanus selbst, der, um sein Haus bauen zu können,
städtische Gelder veruntreute und nach kaum vier Jahren der fürstlichen
Herrlichkeit für immer in der Festung Königstein verschwand.
[Illustration: Abb. 3. Joh. Gregor Fuchs: =Äckerleins Hof, am Markt=
(1708–1714)]
Allein das schreckte niemand ab. 1705 ließ _Dietrich Apel_, derselbe,
der später den schönsten Leipziger Park – Apels Garten – sein eigen
nannte, das große »_Königshaus_« am Markt durch Fuchs errichten. Und
mit dem Jahre 1708 beginnt _Peter Hohmann_, der reiche Bankier, seine
Laufbahn als Bauherr mit einem der wichtigsten Leipziger Gebäude,
_Äckerleins Hof_ am Markte (Abb. 3). Die Größe solcher Stadthäuser
ist natürlich nur dadurch zu erklären, daß von Anfang an außer der
Wohnung des Herrn seine Geschäftsräume, Lagergewölbe und Mietswohnungen
vorgesehen waren. Ja, auch diese letzten waren noch einem
geschäftlichen Zwecke dienstbar; denn in der Messezeit, in der also
schon damals Raumknappheit herrschte, wurden sie an Kaufleute für ihre
Waren vermietet, wie wir es von Goethes Zimmer in der »Feuerkugel« aus
Dichtung und Wahrheit wissen. Auch Äckerleins Hof, wie alle Hauptbauten
der betreffenden Jahre, ist ein Werk Fuchsens, der hier beweist,
ein wie entwicklungsfähiger Künstler er gewesen ist. Denn ein gut
Teil der Schwere und Kraft des Romanushauses hat sich hier in Eleganz
und eine – wenn auch krafterfüllte – Beherrschtheit verwandelt. Alle
Bauglieder sind zarter und zurückhaltender geworden, die ganze Fassade
hat weniger Reliefausladung und betont mehr ihren Flächencharakter.
Auch hat Fuchs erst hier den so bezeichnenden Leipziger Durchgangshof
ausgebildet.
[Illustration: Abb. 4. Christian Döring: =Hohmannsches Haus,
Katharinenstraße 16= (1715)]
Ein neuer Beweis für die Bauleidenschaft der Zeit ist es, daß Hohmann
ein Jahr nach der Vollendung dieses umfangreichen Gebäudes sogleich
an den Bau eines an Fassadenbreite noch größeren desselben Zweckes
geht. Mit dem 1715 begonnenen Hause _Katharinenstraße 16_ (Abb. 4)
– neben dem Romanushause und Äckerleins Hof sicher das schönste der
Stadt – konnte sich der Bauherr aber nicht mehr an Fuchs wenden
und suchte sich mit bemerkenswert sicherem Urteil den weitaus
begabtesten unter dessen Leipziger Kollegen, den jungen Mauermeister
_Christian Döring_, aus. Dieser, ein Künstler von ganz eigenem und
starkem Charakter, schuf in der Fassade des neuen Hohmannhauses ein
Meisterwerk dekorativer Phantasie, stilgeschichtlich ebenso bedeutsam
wie künstlerisch vollendet mit der wirkungsvollen Verteilung des
Schmuckes auf die Mittel- und Seitenvorlagen, mit den merkwürdig
gebrochenen Fensterverdachungen und -rahmungen, mit dem Ausklingen in
den schwingenden Giebelungen der Dachluken. Mit Häusern wie diesem
erreichte Leipzig das, was sich dem Charakter der Stadt als am
gemäßesten erwies. Dieser Stil dekorativer Überfülle und Unmäßigkeit,
schon seit Deutrichs Hof und der Börse vorklingend, wurde beibehalten,
wenn auch natürlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verändert. Döring
gehört das Schönste der Zeit zwischen 1715 und 1725 an, Häuser wie
Katharinenstraße 14, Grimmaische Straße 20 oder vor allem _Neumarkt 12_
(Abb. 5), von ganz besonders saftiger Üppigkeit in der Ornamentik. Auch
der »Kaffeebaum« mit seinem bekannten Türrelief des sitzenden, Kaffee
trinkenden Türken muß auf ihn zurückgeführt werden.
[Illustration: Abb. 5. =Neumarkt 12= (Etwa 1718–1720)]
Nach 1725 wird _George Werner_ der führende Meister in der Stadt, auch
er vom Geiste äußerster Schmuckfreudigkeit erfüllt. Dies ist bei ihm
um so beachtenswerter, als Dresden, das nächste Kunstzentrum neben
Leipzig, und ebenso ganz Norddeutschland, ebenso Wien sich damals schon
vom eigentlichen deutschen Barock abgewandt hatten und den Zielen des
von Frankreich beeinflußten Rationalismus nachgingen. Nur Böhmen,
Sachsens südlicher Nachbar, hielt mit ebensolcher Zähigkeit an dieser,
gerade seiner deutsch-slawischen Mischkultur sehr entsprechenden
Freude an überquellender Zier und den phantastischsten Schmuckformen
fest. In Leipzig herrscht im wesentlichen bis 1740 dieser eigentliche
deutsche Barock; denn Werners Hauptbauten, der 1728 bis 1729 errichtete
_Hohmanns Hof_ auf der Petersstraße (Abb. 6), das dritte der großen
Leipziger Hohmannhäuser, und _Kochs Hof_ am Markt von 1735 bis 1739
(Abb. 7), das größte von allen Bürgerhäusern der Stadt, dessen
Errichtung Hohmanns Kompagnon Koch 133000 Taler gekostet hat, sind ganz
von ihm durchdrungen, wenn der stilgeschichtlich schärfer Blickende
gerade in Kochs Hof auch schon Ansätze zu einer Rückbildung
finden kann; ein beginnendes Streben nach Beruhigung der Formen, der
Fensterverdachungen z. B., und nach einer Beschränkung der reichen
Dekoration auf die baulich wichtigsten Teile der Fassade.
[Illustration: Abb. 6. George Werner: =Hohmanns Hof, Petersstraße 15=
(1728–1729)]
Aber selbst als gegen 1740 von Dresden her jener stillere und dabei
französisch elegantere Stil einzieht, wandelt auch er sich unter den
Händen der Leipziger Baumeister sogleich ins Belebtere und Dekorative.
Gerade für diese Zeit hat die traurige Umgestaltung der inneren
Stadt um 1900 besonders viele Lücken gerissen und das Schönste vom
Erdboden verschwinden lassen. Doch zeigen immerhin noch Häuser wie
_Katharinenstraße 19_ oder _21_ (Abb. 8), wie in diesen Jahren die
Künstler – Werner und Fr. Seltendorff kommen vor allem in Betracht –
klare und ruhige Gliederung der Fassaden mit noch immer blühender und
phantasievoller Ornamentik zu vereinen verstanden.
[Illustration: Abb. 7. George Werner: =Kochs Hof, am Markt= (1735–1739)]
Ihr wirkliches Ende findet diese Blütezeit der Leipziger Kunst erst
durch den Siebenjährigen Krieg mit der Besetzung der Stadt und den
schweren Kontributionen und durch die gleichzeitig überall einsetzende
Abwendung vom Rokoko, die schon in Goethes Leipziger Studentenzeit
ihre Rolle spielt. Ein Jahrhundert ziemlich genau ist es also, dem
die Leipziger Barockhäuser ihr Entstehen verdanken, Häuser von hohem
Werte, wie wir gesehen haben, die von Leipziger Meistern stammen und
vom Geiste der Stadt erfüllt sind. Und wenn all das, was ein jeder in
der Stadt mit Augen sehen kann, noch nicht hinreichte, um über die
Bedeutung dieser Bauten aufzuklären, dann sollte doch die Erinnerung an
die Hochachtung, mit der Goethe so viele Jahre nach seiner Leipziger
Zeit in Dichtung und Wahrheit von ihnen spricht, ein übriges tun.
Nicht eindringlich genug kann also davor gewarnt werden, daß Leipzig
seinen wichtigsten Denkmälerbestand aus Fahrlässigkeit allmählich
zugrunde gehen läßt. Zu viel ist bereits geschehen, und man muß mit
dem, was übrig ist, sparsam sein. Unvernünftige Wiederherstellungen der
Kirchen »im alten Stil« haben in den achtziger und neunziger Jahren
dazu geführt, daß die barocken Altäre und Einbauten schonungslos
entfernt und durch trocken neugotische Geräte ersetzt wurden, wobei
auch Stücke von so großer Schönheit, wie der Fürstenstuhl der
Thomaskirche (jetzt im Stadtgeschichtlichen Museum) keine Gnade fanden.
Und wie gut hatten all diese malerischen Gebilde in die Leipziger
Hallenkirchen der Reformationszeit gepaßt! Ja, an der Matthäikirche
hat man sogar die Vorhalle der Barockzeit und den Dacherker derselben
Epoche beseitigt.
Um so schonender muß die Stadt und müssen die Bürger mit ihren
weltlichen Baudenkmälern umgehen. Denn hier ist trotz so vieler
Sünden noch genug vorhanden, um Leipzig den Ruhm einer wirklichen
Bauschule in der Barockzeit zu sichern. An dieser Stelle ist es, wo
die Denkmalpflege einsetzen muß, und zwar nicht nur die amtliche,
sondern vor allem die private der Besitzer wertvoller Häuser und die
städtische, d. h. die Vorsorge des Rates und der Baupolizei.
Fassen wir in diesem Sinne zusammen, welche Maßnahmen notwendig
sind, und welche Schäden ihre Nichtachtung der Stadt und ihren
Denkmälern bringen würde: Zunächst ist selbstverständlich Sorge zu
tragen, daß nicht mehr zu Meß- oder ähnlichen Zwecken Häuser von
kunstgeschichtlicher Bedeutung abgerissen werden. Noch dem Neubau der
Darmstädter Bank am Markt fiel kurz vor dem Krieg eines der besten
Leipziger Rokokogebäude zum Opfer. Es handelt sich ferner nicht nur
darum, die Häuser vor dem Abbruch zu schützen, sondern auch, wo ein
solcher unvermeidlich ist, darum, ihren beweglichen Kunstbesitz zu
retten. Durch das Eingreifen des Kunsthistorikers Dr. Holtze wurde
beispielsweise der völlige Ruin der besten Gartenfiguren des Barock
verhindert, die Leipzig aus der Blütezeit seiner Parks noch besaß:
des Jupiter und der Juno von Permoser, die nun in den Palmengarten
überführt wurden[4].
Zum zweiten ist es durchaus erforderlich, bei Neubauten im Inneren
alter Häuser historisch gebildete Sachverständige zu Rate zu ziehen.
Wie viele gute Stuckdecken, die noch in Gurlitts Werk aufgezählt sind,
hätten dadurch erhalten bleiben können, – von dem absoluten Werte der
alten, beabsichtigten Zimmereinteilung gar nicht zu reden.
Drittens – und gerade das ist für die Wirkung der Häuser so sehr
wichtig – sollte behördlicherseits gegen die Verunzierung schöner
Fassaden durch Reklameschilder und Schaukästen vorgegangen werden.
Daß dies so oft nötig wäre, liegt eben auch daran, wie wenig bekannt
der Wert dieser Barockhäuser in weiten Kreisen ist. Denn aufdringlich
angebrachte Geschäftsauslagen und Plakate bringen nicht nur die ganze
Schauseite um ihre Wirkung, sie können auch wirklichen Sachschaden
anrichten. So hat sich ein solcher z. B. gezeigt, als jüngst das
Hohmannhaus in der Katharinenstraße von dem Schild befreit wurde, das
in der Höhe des Fußbodens der ersten Etage den ganzen Erker verdeckte.
Der Regen, der jahrelang durch das Schild am Abfließen verhindert
worden war, hatte sich gesammelt und schwere Zerstörungen an den
Figuren des Portalgiebels angerichtet. Ebenso würde man beim Abnehmen
von Schaukästen an den Haustoren erst sehen, wie die feine Ornamentik
gerade dieser Teile gelitten hat. Aber selbst von solchen Schäden
abgesehen, genügten auch reichlich die anderen, die der Schönheit
der Häuser durch diese Reklamen angetan werden, um städtischen oder
staatlichen Einspruch zu rechtfertigen. Freilich, besser noch wäre es,
die Besitzer der Häuser sähen das von selbst ein und gingen endlich
alle dagegen vor.
[Illustration: Abb. 8. Fr. Seltendorff oder George Werner:
=Katharinenstraße 19=
Fr. Seltendorff, =Katharinenstraße 21= (1748–1750)]
Und gerade hier – das muß erfreulicherweise gesagt werden – scheint
sich eine Wendung zum Guten zu zeigen. In den letzten Jahren ist man
daran gegangen, die schönsten der Leipziger Häuser abzuputzen und
hat öfters dabei auch das Reklameunwesen abgestellt. Mit Äckerleins
Hof begann es, Kochs Hof und Hohmanns Hof folgten, so daß ein Anfang
jedenfalls gemacht ist. Diese anscheinende Besserung der Sachlage
offenbart, daß den Gebildeten der Stadt allmählich aufgeht, welchen
Schatz bedeutender Kunst sie an ihren alten Handelshäusern noch
besitzen. Trotzdem muß man immer noch nur zu oft die Beobachtung
machen, daß diese Erkenntnis noch viel zu wenig verbreitet ist, und, da
darin sicher der Urquell aller der gezeigten Schäden beruht, so mußte
es die Hauptaufgabe dieser Betrachtung sein, darauf hinzuweisen und auf
die Notwendigkeit sorgfältigster Schonung und Pflege dieser Denkmäler
mit Nachdruck aufmerksam zu machen.
Fußnoten:
[1] Nur durch die reiche Photographien-Sammlung in den
Schaukästen und Schränken des Stadtgeschichtlichen Museums
kann man sich noch einen Begriff von all dem verschaffen,
was zu Grunde gegangen ist.
[2] Trotz der Besprechung Cornelius Gurlitts in den Älteren
Bau- und Kunstdenkmälern Sachsens, Heft 18, die sich
eingehend und liebevoll mit dem Leipziger Barock befaßt,
leider aber ganz ohne archivalische Fundierung blieb.
In einer größeren Arbeit über die Leipziger Baukunst
der Barockzeit (Dissert. Leipzig 1924) konnte ich das
außerordentlich reichlich vorhandene Aktenmaterial
verwenden und auf Grund der dadurch sich ergebenden Daten
eine kunstwissenschaftliche Geschichte der Leipziger
Barock-Architektur vorlegen, auf die ich für alles folgende
verweise.
[3] Auch in Leipzig findet sich mehrfach der Fall, daß als
Entwerfer von Bauten keine Berufs-Architekten, sondern
Patrizier der Stadt überliefert sind, für das ehemalige
Georgenhaus z. B. der Kaufherr Georg Bose oder für das alte
Gewandhaus der Appellationsrat Chr. Ludw. Stieglitz.
[4] Vgl. Otto Holtze: Leipziger Barockplastik. Ein
Rettungsversuch. Leipz. Tageblatt, 26. Januar 1922. –
Darüber den folgenden Artikel.
Die Götterfiguren von Permoser
Von Stadtbaudirektor _Max Reimann_, Leipzig
Eigenaufnahmen des Heimatschutzes
Von den berühmten Barockgärten Leipzigs war der Apelsche, später
Reichelsche Garten genannt, vor dem Thomaspförtchen der größte. Von
der ganzen Pracht der alten Gartenschönheit und der Erinnerung an die
heiteren prunkenden Feste hat sich nur ein Teil der Gartenplastik auf
unsere Zeit gerettet. Es sind die Sandsteinfiguren des Jupiter, der
Juno, des Mars und der Venus von dem Bildhauer Balthasar Permoser,
gebürtig aus dem oberbayrischen Weiler Kammer. Permoser war zunächst
im Jahre 1704 von Friedrich I. nach Berlin berufen worden; dann aber
wirkte er vom Jahre 1710 bis zu seinem Tode im Jahre 1732 als ein
Hauptverkünder der Prunk- und Kunstfreude Augusts des Starken in
Dresden. Seine Werke für den Zwinger, auf dem katholischen Friedhof und
in der Hofkirche seien hier nur gestreift.
[Illustration: Abb. 1. =Jupiter=, von Permoser (Leipzig, Palmengarten)]
Die vier Götterfiguren in Leipzig haben zum Teil schwere Schicksale
erlitten, die wohl nicht zum wenigsten der verständnislosen
Geringschätzung zuzuschreiben sind, die lange Zeit der Kunst des Barock
entgegengebracht wurde. Jupiter und Juno standen noch lange in der
Nähe ihres ursprünglichen Standortes, im Vorgarten des Sophienbades in
der Otto-Schill-Straße. Als das Bad im April 1922 abgebrochen wurde,
ließ der Rat beide Figuren nach dem Palmengarten überführen, wo sie
eine Aufstellung gefunden haben, die ihrer ursprünglichen Bestimmung
jedenfalls näherkommt als es an dem bisherigen Platze der Fall war.
Die beigegebenen Aufnahmen zeigen ihren jetzigen Stand. Im Sommer bei
belaubtem Baumhintergrund ist ihre Wirkung am günstigsten. Jupiter
schleudert mit großer Anstrengung seinen Blitz. Sein Adler sitzt auf
einem Gebilde, das eher versteinerter Meeresbrandung als einer Wolke
gleicht. Juno mit ihrem Pfau in majestätischer Haltung, mit wallendem
Gewande, das sie kokett rafft, um dem Beschauer anzudeuten, welche
Formen sich dahinter verbergen. – Zwei treffliche Beispiele barocker
Bildnerei. Von der Venus wußte man, daß sie im Erdreich des Vorgartens
in der Otto-Schill-Straße schlummerte, seitdem ein Sturm sie vom Sockel
geworfen hatte. Ich ließ sie freilegen, fand aber leider einen Torso,
der die Reize der Liebesgöttin kaum mehr ahnen ließ. Der Sockel fehlte
ganz, es war nichts hinüber zu retten. Der Mars in mittelalterlicher
Rüstung führte bisher in einem Lagerschuppen hinter dem alten
Johannishospital kopflos ein verschwiegenes und unrühmliches Dasein.
Gesicht und Helm sind bis zur Unkenntlichkeit beschädigt. Besser ist
der kapitälartige Sockel erhalten. Ohne eine weitgehende Ergänzung
dürfte eine Wiederaufstellung nicht denkbar sein. Ob sich in unserer
Zeit ein pietätvoller Retter findet?
[Illustration: Abb. 2. =Juno=, von Permoser (Leipzig, Palmengarten)]
Die Frauenberufsschule in Leipzig, ein klassizistischer Bau
Von Dr.-Ing. _Hermann Kuhn_, Leipzig
Eigenaufnahmen des Heimatschutzes
Wohl die Mehrzahl von Leipzigs Einwohnern geht tagtäglich gedankenlos
an manch altem schönen Baudenkmal früherer Zeiten vorbei, ohne zu
wissen, welchen baugeschichtlichen Zusammenhängen oder welchem Manne
die betreffende Bauschöpfung ihren Ursprung verdankt. Ich habe es mir
zur Aufgabe gestellt, in der vorliegenden Abhandlung eines Mannes
zu gedenken, der am Ende des achtzehnten Jahrhunderts lebte und in
Leipzig für die Einführung des klassizistischen Baustiles von großer
Bedeutung war, des Baudirektors Johann Carl Friedrich Dauthe. – Wie
wenigen der Jetztzeit wird dieser Name bekannt sein! Und doch haben
wir noch heute in unserer Stadt ein Bauwerk, welches beredtes Zeugnis
ablegt für die großen Fähigkeiten jenes Mannes. Es ist dies die jedem
Leipziger wohlbekannte Frauenberufsschule in der Schillerstraße, welche
als erste Bürgerschule von Dauthe geschaffen wurde. Zweck dieser Zeilen
soll es sein, die interessante Entstehungsgeschichte dieses in seiner
ursprünglichen Form erhaltenen Gebäudes in kurzen Worten zu skizzieren.
[Illustration: Abb. 1. =Frauenberufsschule Leipzig, altes Wappen der
Moritzbastion=]
Nach Abschluß des Hubertusburger Friedens (1763) stellte der damalige
regierende Kurfürst von Sachsen die gesamten Festungswerke Leipzigs,
die sich während des Siebenjährigen Krieges als völlig ungeeignet
und zwecklos erwiesen hatten, dem Rate der Stadt mit der Bedingung
zur Verfügung, daß die Festungsanlagen beseitigt und die gewonnenen
Plätze »gemeinnützig« gemacht werden sollten. Die Stadt nahm wohl das
Anerbieten an, kam jedoch den gestellten Bedingungen aus Geldmangel
nur langsam nach. Die festen Basteien blieben zunächst noch bestehen,
doch wurde ein großer Teil der Schanzen (»Ravelins«) abgetragen,
das Erdreich zur Ausfüllung des Festungsgrabens verwandt, und auf
dem so gewonnenen Boden teils Alleen, teils Obst- und Gemüsegärten
angelegt. Erst Bürgermeister Müller trat mit Energie für die restlose
Erfüllung der vom Kurfürsten gestellten Bedingungen ein. Es waren die
Befestigungsanlagen zwischen dem Grimmaischen und Halleschen Tore längs
der Stadtmauer, die noch der Umwandlung bedurften; so war auch die alte
Moritzbastion an der Südostecke der Stadt noch erhalten geblieben. Um
das gewaltige Mauerwerk dieser Anlage sachgemäß auszunutzen, hatte man
die Absicht, die Moritzbastion als Untergrund für eine zu errichtende
Bürgerschule zu verwenden. Der Gedanke zur Schaffung dieser Schule ist
der nimmermüden Regsamkeit des Bürgermeisters Müller zu verdanken.
Bereits im Jahre 1792 war auf dessen Betreiben eine Ratsfreischule
errichtet worden. Für die arme Stadtbevölkerung Leipzigs war dadurch
Sorge getragen, aber auch für die mittleren Volksklassen, die gern
ein mäßiges Schulgeld bezahlt hätten, mußte eine öffentliche Schule
geschaffen werden. Im Februar 1795 richteten auf Müllers vorherige
Anregung hin fünfundzwanzig Leipziger Innungen ein Schreiben an
den Rat, worin sie die Bitte aussprachen, der Rat möge ihnen »eine
allgemeine Bürgerschule schenken«, in welcher ihre Kinder »gegen ein
billiges Schulgeld einen ebenso wohltätigen und zweckmäßigen Unterricht
als die armen Kinder in hiesiger Freischule genießen könnten«. Die
Stadtbehörde kam der Eingabe wohlwollend entgegen. Mit dem Entwurfe
und der Ausführung wurde der damalige Baudirektor der Stadt Leipzig,
Dauthe, betraut. Im März 1796 legte er die Pläne zu dem Schulgebäude
vor, das auf der Moritzbastei seinen Platz finden sollte, da man dort
in dem Mauerwerk der alten Festung den besten Untergrund zu finden
hoffte.
[Illustration: Abb. 2. =Frauenberufsschule Leipzig, altes Wappen der
Moritzbastion= (Rekonstruktion nach Gurlitt)]
Diese Festungsbastion war in den Jahren 1551 bis 1553 in offener
Fünfeckform erbaut worden, und zwar auf Veranlassung des Kurfürsten
Moritz, der auch weiterhin die alten Befestigungswerke Leipzigs
aufbauen und noch mehrere neue Bastionen dazu errichten ließ. Die
Leitung der Bauten lag dem damaligen Bürgermeister Lotter ob. Aus
dem ersten Baujahre (1551) existiert ein altes kurfürstliches Wappen
an der Spitze der alten Zwingmauer, das heute noch, allerdings stark
verwittert, von den Anlagen aus zu sehen ist. Die Festungskeller der
Bastion sind mit der Zeit zum großen Teile zugeschüttet worden, nur
etwa ein Sechstel der gesamten Kelleranlage ist noch zugänglich. Diese
starken äußeren Bastionsmauern bewiesen sich als standhaft zum Aufbau
der Schule und sind es auch heute noch, aber das Innere der Bastion
bot nicht den Baugrund, den man zu finden hoffte. Man war gezwungen,
die nach dem Hofe zu liegenden Umfassungsmauern des Schulgebäudes
auf die Gewölbe der Bastion zu setzen. Diese gaben jedoch nach,
da außerdem der tiefere Baugrund nicht aus »gewachsenem Boden«
bestand, sondern aus den ehemals bei der Ausgrabung des Stadtgrabens
hier aufgeschütteten Erdmassen, ein Baugrund, »in dem der Rammel
noch bei den längsten Pfählen keinen Halt gefunden«. Man sah sich
deshalb veranlaßt, die Gewölbe zu untermauern, nachdem außerdem durch
Pfahlroste ein einigermaßen geeigneter Baugrund geschaffen worden war.
Trotzdem waren aber späterhin noch des öfteren Reparaturarbeiten an
der Gründung nötig. – Die Form der Bastion bedingte eine auch nicht
alltägliche Grundrißlösung. Ein Blick auf den Grundriß der Schule zeigt
das Festhalten Dauthes an einem damals bereits überholten Baustile[5].
Man könnte meinen, es hier mit einem Bau aus der Rokokozeit zu tun
zu haben, während die Fassade dementgegengesetzt das Wiederaufleben
des Klassizismus zur Schau trägt. Auffällig und eigentümlich ist die
Gestaltung der Aula, die stark an den alten Gewandhauskonzertsaal
Dauthes in Form und Abmessung erinnert (rund 11 Meter × 23 Meter). Auch
hier in dieser Schulaula zeigt sich wie dort eine gute Akustik; es
scheint, als ob der Architekt hierauf ebenfalls großen Wert gelegt hat,
denn es sind ähnliche Prinzipien befolgt wie bei jenem Saale.
[Illustration: Unterer Keller.]
Abb. 3]
[Illustration: Oberer Keller.]
Abb. 4]
[Illustration: Abb. 5]
[Illustration: Durchschnitt im nordöstlichen Flügel
Durchschnitt im südwestlichen Flügel
Abb. 6]
[Illustration: Abb. 7. =Hofansicht der Schule aus heutiger Zeit=]
[Illustration: Abb. 8. =Bürgerschule.= Außenansicht der Schule aus dem
Jahre 1830]
Die genauen Fortschritte des Baues lassen sich aus den Akten nicht
feststellen, man kann lediglich die verbrauchten Bausummen hierbei
zu Rate ziehn. 1796 war begonnen worden, 1802 war erst ein Drittel
der Gesamtanlage äußerlich vollendet. Schuld an der Verzögerung
waren die Gründungsarbeiten, die in unvorhergesehenem Maße Zeit und
Geld verschlangen. Müller sollte die Vollendung des Baues nicht
mehr erleben, da er 1801 verstarb. Mit ihm war der Hauptförderer
dahingegangen, was auf dem weiteren Fortgang der Bauarbeiten von
wenig gutem Einfluß war. 1803 wurde versuchsweise in dem inzwischen
ausgebauten linken Flügel mit dem Unterricht begonnen. Bis 1804 wurde
dann noch der Mittelbau fertiggestellt, während die nun folgenden
Jahre nur geringen Fortschritt der Bauarbeiten zeigen. Erst Dauthes
Nachfolger im Leipziger Bauamte, der Bauinspektor August Wilhelm
Kanne, stellte die Schule vollständig bis zum Jahre 1834 fertig. In
der Grundrißgestaltung ist deutlich zu erkennen, daß beim Ausbau
des rechten Flügels eine andere Architektenhand als bisher gewirkt
hat. Bei Dauthe ist ein Festhalten an barocker Grundrißgestaltung
unverkennbar, Kanne ist jedoch darauf bedacht, den Grundriß so
übersichtlich wie möglich auszubilden: alle Räume sind bei ihm fast
durchweg rechteckig gehalten. Im Äußeren mußte sich Kanne an den
bereits bestehenden Flügelbau halten und ihn in derselben Weise
ausführen. Durch die schlechten Erfahrungen Dauthes über die Gründungen
der Hofumfassungsmauern war Kanne gewitzigter geworden; er ließ die
darunter befindlichen Keller einfach ausfüllen und gut verstampfen und
schaffte sich dadurch einen guten Baugrund, den Dauthe erst nach großer
Mühe, durch viele Kosten und dann auch noch unvollkommen erreicht
hatte. Gleichzeitig wurden bei dem weiteren Ausbau an den bereits
bestehenden Gebäudeteilen verschiedene Ausbesserungen vorgenommen, da
sich dort die Gründungsmauern wieder wesentlich im Laufe der Jahre
gesenkt hatten. Im Schulhofe ließ Kanne einen Brunnen aufführen,
der später wieder weggerissen wurde. Der neuausgebaute Flügel wurde
zunächst der Lehrerschaft zur Verfügung gestellt, erst im Jahre
1848 wurde er seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Äußerlich
vollendet war das Gebäude im Jahre 1826, die inneren Ausbauarbeiten
zogen sich jedoch noch längere Zeit hin, so daß die Schule erst 1834
als endlich fertig gelten konnte.
[Illustration: Abb. 9. =Heutige Ansicht der Aula=]
[Illustration: Abb. 10. =Die Bürgerschule=]
Führt heute die Leipziger ihr Weg an diesem Gebäude vorüber, so
wird wohl selten jemand bei Anblick der Schule sich bewußt sein,
ein baugeschichtlich wertvolles und typisches Beispiel reinsten
Klassizismus vor sich zu haben. Es liegt dies wohl daran, daß sich
unsere heutigen Begriffe über bauliche Schönheiten in ganz anderen
Bahnen bewegen. Sollte aber dennoch dieser oder jener durch meine
Ausführungen dazu angeregt werden, sich eingehender mit diesem
Baustil zu befassen, so möchte ich es nicht versäumen, auf einige
andere Schöpfungen Dauthes hinzuweisen. Man besichtige nur einmal
das Innere der Nikolaikirche, um verstehen zu können, daß Dauthe
durch diese geniale Arbeit den Ruf eines der bedeutendsten Vertreter
des Neu-Klassizismus (des sogenannten Zopfstiles) erlangt hat. Und
welchem Leipziger ist es unbekannt, daß dem alten, vor drei Jahrzehnten
beseitigten Gewandhauskonzertsaal eine Akustik innewohnte, die der
ganzen Welt bekannt und vorbildlich war; wer aber wußte bis heute,
daß das Verdienst, diese überragende Anlage geschaffen zu haben,
Dauthe gebührt? Wie oft auch eilen wir im Hasten der Großstadt
gedankenlos durch Anlagen unserer Stadt, ohne sie einer näheren
Würdigung zu unterziehen. Man nehme sich nur einmal die Zeit, unsere
Schwanenteichanlage, deren Gestaltung wir ebenfalls Dauthe verdanken,
in Muße zu betrachten, und man wird erkennen, welch imposante Schönheit
und reizvolle Anmut dieser Promenadenteil bietet. Viele andere
Schöpfungen dieses Architekten sind der Zeit zum Opfer gefallen; wer
sich restlos mit diesen Dingen zu befassen gedenkt, dem möge mein
eingehendes Werk »Leipzigs Bauwesen in der Zeit von Dauthe bis zu
Geutebrück« als Wegweiser dienen[6].
Fußnoten:
[5] Der rechte Flügelbau des Schulgebäudes ist nicht
eigentliches Werk Dauthes, er ist später nach dessen Tode
fertiggestellt worden, worauf später nochmals hingewiesen
wird.
[6] Exemplare zur Einsicht befinden sich im
Stadtgeschichtlichen Museum und in der Leipziger
Stadtbibliothek.
Leipziger Bauten aus der Schinkelzeit
Von Dr.-Ing. _Gero Schilde_
Mit Eigenaufnahmen des Heimatschutzes
Um die Wende des vorletzten Jahrhunderts erlebte die Baukunst bei dem
wirtschaftlichen Tiefstand in Deutschland, welchen der Siebenjährige
Krieg und das napoleonische Jahrzehnt mit sich brachte, eine äußerst
dürre Zeit. Die Geschichte der Baukunst hat die damalige Stilbewegung
des Klassizismus an Schinkels Namen geknüpft und nennt bis auf Schinkel
und Klenze nur wenige Architekten, die sich in bescheidener Weise bei
ihren spärlichen Bauaufträgen als Baukünstler auswirken konnten. In
Sachsen, welches durch die vergangenen politischen Wirren zu besonderer
Einschränkung gezwungen worden war, kann sich Leipzig rühmen, in dieser
Zeit Architekten besessen zu haben, die immerhin zu den bedeutenderen
der Klassizisten zählen, und die Leipzig als Stätte der Baukunst für
die Periode des Klassizismus betonen.
In Leipzig setzte frühzeitig die Bewegung des Klassizismus ein.
Hier hatte bereits der Zopfstil, der Vorläufer der klassizistischen
Periode, in Adam Friedrich Oeser, dem Maler und Lehrer Goethes, seinen
Hauptvertreter. Der praktische Vertreter des Klassizismus wurde nach
ihm der Architekt Johann Friedrich Dauthe, der in seinen Bauten dem
Zuge der Zeit zur Antike einen starken Ausdruck zu geben verstand.
Als eines seiner besten Werke kann noch heute die Innenarchitektur
der Nikolaikirche gelten, deren ehemals gotischen Stil Dauthe in eine
mustergültige naturalistische Form des Klassizismus brachte. Ein
weiterer Bau dieses Architekten, die Frauenberufsschule auf der alten
Moritzbastei, hat im vorausgehenden Artikel eine ausführliche Darlegung
gefunden. Der Architekt von heute wird bei einem näheren Studium
der schlichten Fassade viel schöne Einzelheiten und feine Gedanken
klassizistischen Empfindens wiederfinden.
Neben diesen wenigen erhaltenen Werken Dauthes besitzt Leipzig
noch eine Reihe anderer klassizistischer Gebäude, die nach den
Befreiungskriegen als erste große Bauten entstanden und das Stadtbild
wesentlich beeinflußten und auch heute noch bereichern.
Diese hat es seinem damaligen Baudirektor und spätklassizistischen
Architekten Albert Geutebrück zu verdanken. Geutebrücks Name wird in
der Baugeschichte meistens in Verbindung mit dem Schinkels genannt,
der ihn bei dem Bau des Augusteums, der alten Universität, als seinen
Vasallen erscheinen läßt. In Wirklichkeit hat Geutebrück als Architekt
weit mehr bedeutet.
[Illustration: Abb. 1. =Augusteum und Paulinerkirche in ihrer
Gestaltung durch Geutebrück=
(Nach einer Lithographie)]
Vier Bauwerke sind es, welche heute dem Besucher des Augustusplatzes
durch ihren gleichartigen Stil besonders in das Auge fallen:
Universität, Post, Theater und Museum. Diese Gebäude präsentieren sich
ihm in ihrem italienischen Renaissancestil als scheinbar gleichaltrige
Gefährten aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts; doch dem ist nicht so.
Die Gestaltung des Augustusplatzes begann in den dreißiger Jahren
bereits mit den Bauten der Universität und des Postgebäudes. Mit beiden
ist der Name Geutebrücks eng verbunden. In den Jahren 1836 und 1838
hatte Geutebrück mit dem Augusteum und der Post die ersten Seitenlinien
dieses großen Platzes ziehen können und damit den Mittelpunkt der
baulich sich entfaltenden Stadt angelegt. Wenn auch für die Ausführung
der Fassade des Augusteums ein Entwurf Schinkels maßgebend wurde, so
hatte doch Geutebrück nach eigenen Plänen den Innenbau durchführen
können und sich dabei als Universitätsbaumeister großes Verdienst
erworben. Seine Ausgestaltung der Aula, die später umgebaut wurde,
verdient als vorbildlicher Saalbau seiner Zeit im Bilde wiedergegeben
zu werden.
[Illustration: Abb. 2. =Universitätsaula im Geutebrückschen Augusteum=]
Schonender ist die alles umgestaltende Zeit an dem Postbau Geutebrücks
vorübergegangen. Hier sind die Hauptteile der Fassade von 1838 zum
großen Teil noch erhalten. Das Quaderwerk der alten Sandsteinstücke,
die Fenster bis auf ihre Verdachungen im Obergeschoß, als auch die
seitlichen Pilaster der mittleren Vorlage und die Gesimse blieben
bestehen. In ihnen grüßt uns heute noch der Geutebrücksche Bau. Die
Eckrisalite, die Säulenvorlage mit Giebelfeld und figurengekrönte
Attika, sowie die Balustrade oberhalb des Hauptgesimses sind neu.
[Illustration: Abb. 3. =Portal des Geutebrückschen
Universitätsgebäudes, heute südlicher Nebeneingang der neuen
Universität.= Nach Schinkels Entwurf von Ernst Rietschel ausgeführt]
Das Augusteum und das Postgebäude wollten nach dem Bau des Theaters von
1867 und dem projektierten Umbau des städtischen Museums von 1883
nicht mehr recht zu dem Gesamtbilde des Augustusplatzes passen. Ihre
schlichten Fassaden mußten reicher gegliederten Platz machen, die in
der Form der italienischen Renaissance gehalten wurden.
[Illustration: Abb. 4. =Geutebrücks Postgebäude am heutigen
Augustusplatz=; rechts davon das alte Teubnersche Haus]
Als Spätklassizist strebte Geutebrück in seinen weiteren Bauten der
antikisierenden Renaissance zu. Einzelne davon haben sich im Stadtbild
bis auf heute unverändert erhalten. Das Konviktsgebäude der Universität
in der Ritterstraße zum Beispiel ist ein solcher Bau. Ursprünglich
hatte es anderen Zwecken als den jetzigen gedient. 1836 war es als
erste Buchhändlerbörse Deutschlands vom Buchhändlerbörsenverein
errichtet worden. Wie damals Geutebrück selbst sich äußerte, hat er bei
dem Fassadenentwurf wesentlich unter dem Eindruck italienischer Studien
gestanden. Das Renaissancemotiv des Rundbogenfensters kehrt an seinem
Postbau wieder.
[Illustration: Abb. 5. =Postgebäude nach dem letzten Umbau=]
Einen weiteren Bau Geutebrücks stellt das Preußische Haus in der
Goethestraße dar. Auch dieses zeigt bis auf die modernisierten
Ladeneinbauten noch seine alte Gestalt. Die Universität hatte es zu
Messe- und Buchhandelszwecken entworfen und 1841 errichten lassen. Der
Stil dieses Baues weist nicht mehr den schlichten Klassizismus auf.
Lebhafter gliedert sich die Fassade und reicher werden die Profile;
zwei Balkone auf kräftigen Konsolen betonen Eingang und Mitte.
[Illustration: Abb. 6. =Alte Buchhändlerbörse an der Ritterstraße=]
Noch feinere Architektur findet man am Fridericianum in der
Schillerstraße. Hier schuf Geutebrück seinen letzten größeren Bau,
ebenfalls im Auftrage der Universität. Auch an ihm hat die Zeit nichts
geändert. Deutlich kann man die Bewegung des Baustiles vom Klassizismus
zum Renaissancismus verfolgen, wenn man den gegenüberliegenden
Schulbau Dauthes betrachtet. Dort noch die einfache klassizistische
Architektur; deren Wirken allein durch monumentale Größe. Hier in der
Fassade des Fridericianums bereits das Aufteilen und Verlieren
in Einzelheiten. Es ist nicht mehr nur das Portal, welches durch
einfache Zusammenstellung von Säule oder Pilaster mit Fries und Giebel
ausgestattet wird. In den Mittel- und Seitenrisaliten bauen sich
korinthisierte Pilaster übereinander auf, vielfacher wird der Schmuck,
reicher die Profilierungen der Fenstergewände. Der reine Klassizismus,
wie ihn Schinkel der Fassade des Augusteums aufprägte, ist hier
verschwunden.
[Illustration: Abb. 7. =Das Fridericianum an der Schillerstraße=]
Wie anfangs erwähnt wurde, hat Schinkel den in Deutschland vertretenen
Klassizismus mit seinem Namen beherrscht. Seine Bedeutung für diese
Zeit war so groß, daß man ihr später allgemein die Bezeichnung
Schinkelzeit zulegte, ohne damit immer den Begriff des reinen
Klassizismus decken zu können. So hat dann auch Leipzig in seiner
baulichen Entwicklung eine Schinkelzeit gehabt. Die Werke Dauthes und
Geutebrücks geben von ihr noch lebhafte Kunde. Noch haben sie ihren
Platz als stattliche Bauten im Stadtbilde behalten; noch bedeuten sie
der Baugeschichte Leipzigs ein Stück steinerne Chronik!
Vom alten Johannisfriedhof in Leipzig
Von Dr.-Ing. _Hugo Koch_, Leipzig-Nerchau
Mit Eigenaufnahmen des Heimatschutzes
»Liebe und Leid« ist die hohe Melodie der Totenstätte zu allen Zeiten
gewesen und hat doch so verschiedenen Ausdruck gefunden. Jahrhunderte
hindurch war der Friedhof eng verwachsen mit der Kirche. Die Namen
»Kirchhof«, »Gottesacker« reden eine deutliche Sprache. Nicht anders in
Leipzig. Die Friedhöfe der Peters-, Thomas-, Nikolai-, Pauliner- und
Barfußkirche haben freilich schon lange der Stadtentwickelung weichen
müssen. Erhalten ist nur in einem Teil der Friedhof zu St. Johannis.
Heute liegt er im innersten Kern der Großstadt Leipzig, einst aber vor
den Toren der Stadt. Seine erste Anlage soll um 1278 erfolgt sein mit
der Gründung eines Leprosen- oder Aussätzigenhospitals, das Hospital zu
St. Johannis genannt, und mit der Erbauung einer, Johannis dem Täufer
geweihten, Kapelle zusammenfallen. So berichtet Paul Benndorf in seinem
gründlichen Buche über diesen Friedhof (Verlag von Georg Merseburger,
Leipzig 1907, in zweiter Auflage 1922 bei H. Haessel), dem wir unsere
geschichtlichen Daten entnehmen. Bereits 1476 wird der Friedhof
vergrößert. Nach einer Verordnung vom Kurfürsten Ernst sollen von nun
an alle Verstorbenen aus den eingepfarrten Dörfern, aus den Vorstädten
und den Stadtteilen, deren Bewohner nicht volles Bürgerrecht besitzen,
nicht mehr auf den Kirchhöfen oder in den Kirchen der inneren Stadt,
sondern auf dem Gottesacker vor dem Grimmaischen Tore beerdigt werden.
Durch Ratsbeschluß von 1531 bzw. 1536 wird der Friedhof zu St. Johannis
allgemeiner Begräbnisplatz.
[Illustration]
Die Anlage umfaßte zu jener Zeit den abgestumpften keilartigen Platz
an der Johanniskirche, umschlossen von Mauern, die in achtundachtzig
Schwibbogen für die Familienbegräbnisse, zumeist mit gemauerten
Grüften, aufgeteilt waren. Gegen den Friedhof waren die Gruftkapellen
mit eisernen Gittertüren abgeschlossen. Die meist unverdeckten
Grüfte ließen Gewölbe und Särge sichtbar. Schon 1580 machte sich
eine Erweiterung um etwa das Doppelte nötig und 1616 eine zweite, so
daß nun schon 259 Erbbegräbnisse an den Mauern gezählt wurden. 1623
begann man mit der Belegung des Hospitalgartens. Dann kamen schlimme
Kriegsjahre. Zwar verschonten 1631 die Tillyschen Truppen den Friedhof,
aber 1637 und 1644 wurden von den Schweden bei der Belagerung Leipzigs
viele kunstvolle Denkmäler und Grüfte barbarisch zerstört und fast
alle Schwibbogen eingerissen. Nach 1644 ging sogar eine Zeitlang die
Landstraße über die niedergetretenen Grabhügel. Eine Urkunde vom 19.
August 1647 berichtet: »Des hiesigen Gottes-Ackers mit wenigen denen
Nachkommen zur Nachricht zu gedenken, so ist derselbe auff zweymal
(weil die Stadt am Volcke sich gemehret) erweitert worden, und zum
Unterscheid der Alte, der Mittlere und der Neue Gottesacker genannt
worden, welcher mit hohen Mauern, Dächern und Schwibbogen um und um
gar zierliches gebauet, und mit schönen und herrlichen kostbaren
Epitaphien aus Marmorsteinen, Holtzwerck und Mahlwerck, mit biblischen
Gemählden, Sprüchen, Figuren, Historien und anderen Gemählden von
Bildhauern, Mahlern und Künstlern herrlich geziehret gewesen; die
alten Geschlechter, welche vorlängst abgestorben, die hat man nebst
ihren rühmlichen Thaten und Herkommen, nach ihren alten Gebräuchen,
Trachten, Kleidungen und anderen Monumentis allda finden können. In
Summa, dieser Leipzigische Gottes-Acker ist so wohl erbauet gewesen,
daß, wenn fremde Nationes und Völcker anhero kommen, sie denselben
als ein Wunder angeschauet, und ist dergleichen Gottes-Acker an
Zierath, Gebäuden und Gemählden im gantzen Römischen Reiche nicht
zu finden gewesen, und ob wohl der schädliche Krieg diese Lande
vielmahl betroffen, und die Stadt Leipzig zu unterschiedenen mahlen
von Kaiserlichen und Schwedischen Armeen belagert worden, dadurch die
Vor-Städte abgebranndt und ruinieret worden, da sich denn auch bey
denen Armeen Calvinische Bilder-Stürmer befunden, welche theils denen
auff dem alten Gottes-Acker befindlichen Bildnissen und Gemählden die
Augen ausgestochen, Nasen und Ohren abgeschnitten und sonst verstümmelt
und geschimpfet, so ist doch der Gottes-Acker an alten Gebäuden und
andere Zierathen, wie auch alten Gedächtnissen stehen geblieben, biß
Anno 1642, als die Königlich Schwedische Armee unter dem Herrn General
Feld-Marschall Leonhard Torstensohn am 16. Oktober diese Stadt belagert
und sich mit der Armee in den Gottes-Acker gelagert ...«
Nach Überwindung der Kriegsschäden wurde 1680 eine dritte Erweiterung
um vierundneunzig Schwibbogen erforderlich, da die Pest in diesem Jahre
nicht weniger als dreitausendzweihundertzwölf Personen dahinraffte.
Eine vierte Erweiterung erfolgte 1805 und schließlich die letzte 1827.
Noch einmal wurde der Friedhof durch Kriegsgreuel schwer heimgesucht.
In der Völkerschlacht vom 16. bis 19. Oktober wurde er zum Lagerplatz
der Verwundeten und Gefangenen. »In den Schwibbogen war das hölzerne
Gevierte an den Senklöchern herausgerissen und verbrannt; in den
Grüften lagen die Leichen, aus den Särgen geschüttet, mit grinsenden
Schädeln umher, inmitten mancher hinabgestürzter Soldat, der da
unten seinen Geist ausgehaucht hatte. Auf vielen hundert Wagen wurde
der Kirchhof von dem Unflat gesäubert, und mehrere Eigentümer der
Schwibbogen ließen dieselben wieder herstellen und die Leichen, so gut
sich dies tun ließ, wieder in ihre Ruhestätte bringen.«
[Illustration: Abb. 1. =Durchblick, der die Anlage der Wandstellen
zeigt=]
Was heute vom alten Johannisfriedhof noch erhalten ist, sind die von
1628 bis 1827 geschaffenen Teile, während die übrigen, soweit sie nicht
schon früher beseitigt waren, durch die Anlegung der Promenadenanlagen
1883 fielen. Zwei Jahrhunderte also sprechen aus dem noch erhaltenen
Friedhofsteil und doch, welche Einheit tritt zu Tage, gegenüber der
Fülle und Unklarheit der Friedhöfe im letzten Jahrhundert. Jede
Erweiterung des Friedhofes ist gewissermaßen als ein Friedhof für
sich aufgefaßt. Die Abmessungen sind so gewählt, daß das Ganze als
ein einheitlicher Raum noch empfunden werden kann. Die Raumgrenzen
ergaben die Friedhofsmauern, welche zu Erbbegräbnissen ausgestaltet
sind. So ist ein Motiv durch die Jahrhunderte klar durchgeführt. Durch
diese Wiederholung des einfachen Grundmotivs ist ein klarer Rhythmus
gewonnen, er gibt der ganzen Friedhofsschöpfung die Ruhe und Größe,
das Versöhnende, was wir auf den Friedhöfen unserer Zeit mit ihren
verschiedenartigsten, individualistischen Denkmälern so schmerzlich
vermissen. Das große Geheimnis aller wahren Kunst, die Einheit und
Größe der Grundform ist hier gewahrt durch die Jahrhunderte – ohne
den Zeitgeist zu verleugnen. Der spricht sich lebendig aus in den
dekorativen Einzelheiten. An diesen noch heute erhaltenen Mauern kann
man die Formenwelt von zwei Jahrhunderten verfolgen, vom ausgehenden
Zeitalter der Renaissance über das Barock-Rokoko zum Klassizismus und
der Neugotik des 19. Jahrhunderts.
[Illustration: Abb. 2. =Wendler-Fockesche Gruft.= Vom Ende des 17.
Jahrhunderts]
In der ältesten Gruft, der Ruhestätte der Familien Augustin, Schillbach
und Weinedel ist das sich früher vielfach wiederholende Motiv der
bescheidenen Bogenstellung auf toskanischen Säulen heute noch gut
erhalten. (Abb. 3.) Reich ausgestattete Barockgitter grenzen die
Gruft nach außen ab. An diese Gruft schließt sich das 1833 errichtete
Leichenhaus an in den einfachen Formen der Biedermeierzeit, in dessen
Kammer sich ein Weckapparat für Scheintote erhalten hat. An Händen und
Füßen wurden Ösen und Ringe befestigt, welche durch Schnuren mit einer
Rolle in Verbindung standen, die eine Weckglocke in Tätigkeit setzte.
[Illustration: Abb. 3. =Gruft der Familien Augustin, Schillbach,
Weinedel von 1687=]
Am Eingange zum heutigen Friedhof ist die Gruft der Familie Baumgärtner
als Pavillonbau errichtet, die in Umriß und Detail ganz den barocken
Geist ihrer Entstehungszeit um 1720 atmet. (Abb. 4.) Wohl das schönste
schmiedeeiserne Ziergitter der Barockzeit ist an der Eingangstür zur
Löhrschen Gruft erhalten, die um 1740 erbaut wurde und in ihren reichen
Architekturmotiven schon den Geist des Rokoko charakterisiert. (Abb.
5.) In der klassizistischen Zeit werden die Formen einfacher. Die
Friedhofsmauer erhält meist nur eine Inschriftstafel oder eine Nische
mit plastischem Schmuck, wie beispielsweise die Grüfte der
Familien Storch und Meißner um 1790 und Weinhold und Sixdorf um 1804.
[Illustration: Abb. 4. =Baumgärtnersche Gruft.= Um 1720]
Ausgangs des achtzehnten Jahrhunderts entstand auch die Hospitalgruft,
die in ihren klaren Formen so recht ein charakteristisches Beispiel
der Zeit ihrer Entstehung darstellt. Sie wurde in den Jahren 1783 bis
1786 an der Westseite der ehemaligen II. Abteilung des Friedhofes auf
drei eingegangenen Begräbnisstellen erbaut und diente zur Beisetzung
für Ratsmitglieder, Universitätsverwandte und angesehene Bürger
und Mitglieder des Adelsstandes, die bisher in der Pauliner Kirche
beigesetzt worden waren. Ein schönes Beispiel der Neugotik ist in der
Gruft der Familie Kistner von 1810 noch gut erhalten.
[Illustration: Abb. 5. =Barock-Grüfte am Eingang des alten
Johannisfriedhofs=
Rechts die Löhrsche Gruft von 1740. Das Gitter ist jetzt entfernt]
[Illustration: Abb. 6. =Grabmal Simon Sperlings von 1714=]
Freilich zeigen aus dieser und der nachfolgenden Zeit manche
Grabstätten deutlich die Not der Zeit und den langsamen Verfall
künstlerischer Ursprünglichkeit.
[Illustration: Abb. 7. =Jägersches Grabmal.= Um 1730, 1800 erneuert]
Die Erbbegräbnisse umschließen die drei Friedhofsteile. Sie geben die
Grenzen für die so gebildeten Friedhofsräume. Innerhalb dieser festen
Raumgrenzen kann sich die Grabmalkunst individuell an den Einzelgräbern
entfalten, ohne die gewisse Einheit des Friedhofsbildes zu zerstören.
Und wie aus der Umgrenzung sprechen auch aus den Einzelmalen die
Jahrhunderte zu uns. Köstliche Beispiele des Barocks und Rokokos
bringen in ihren anstrebenden, koketten, graziösen Formen selbst im
Tode noch die Lebensfreude dieser Zeit zum Ausdruck, die Tage der Feste
und des königlichen Glanzes. Das Zeitalter der Romantik zog herauf.
Die teils bewußte, teils unbewußte Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit
mit den vorhandenen Zuständen, diese Art von Weltschmerz über die
Verbildung und Falschheit der Zeit macht sich geltend in sentimentaler
Wehmut, in dem Suchen nach einer besseren und einfacheren Lebensweise.
Eine Zeit der inneren Einkehr, des Schmerzes, der Sehnsucht brach an:
Das Zeitalter der Empfindsamkeit. Wo konnte sie klareren Ausdruck
finden als im Friedhof, da doch Friedhofsstimmung sie im Innersten
beherrschte.
[Illustration: Abb. 8. =Poletscher Grabstein von 1806=]
Kindergenien, die man in der vorausgegangenen Zeit Amoretten nannte,
die Genien mit der Fackel, die weinenden Grazien, die trauernden
Nymphen und Dryaden, Psyche selbst, der Schmetterling als Psyche,
endlich Blumenkränze, Festons und Inschriften sind die Ausdrucksmittel
der Empfindung. Sie schmücken Obelisken, Pyramiden, abgebrochene
Säulen, Sarkophage. Die Totenurne spielt auf einmal eine merkwürdige
Rolle in der Plastik. Wir finden sie überall, nicht nur im Friedhof,
verwendet, ohne daß sie irgendwie eine andere Begründung hätte, als die
allgemeine Stimmung der Zeit zum Ausdruck zu bringen.
[Illustration: Abb. 9. =Grabmal der Familie Gehricke=]
Wenn wir einen alten Friedhof aus diesen Zeiten betreten, so spüren wir
unbewußt diese Wahrhaftigkeit im Ausdruck und werden ergriffen von der
stillen Weise seines Charakters, wie alles zusammenzugehören scheint,
wie nicht nur das einzelne Grab, sondern die Friedhofsgemeinschaft
zu reden beginnt von der Seele, die jener Zeit innewohnte. Nicht
Wissenschaft und Logik, noch weniger Originalitätssucht leiten die
Künstler, sondern innige Schlichtheit als Ausdruck eines tiefen echten
Gemütes. So entstehen die einfach schmucklosen Grabplatten oder die
in ihrem Umriß so fein abgewogenen kubischen Steine, und wo reichere
Formen auftreten, gehören sie mehr oder weniger dem antikisierenden
Stil des Empire an, aus dem ja überzeugend der empfindsame Geist
spricht. Hierzu kommen die intimen Reize, die die Natur im Laufe der
Zeit hervorgezaubert hat. Die aus gleichem Material geschaffenen Steine
sind gleichmäßig verwittert und mit der Natur eng verwachsen. Sie webt
einen dichten Schleier von eigenem Zauber um diese Monumente von Stein.
Die beschattenden Bäume breiten schützend ihr Blätterdach über das
Ganze, der Efeu klettert schirmend am Gestein empor oder überzieht die
vielfach verwendeten Grabplatten, die so feierlich wirken und bis vor
kurzem so ganz von uns vergessen waren. Welch malerische Stimmung und
unvergleichliche Ruhe und Anmut liegt in solchem Friedhofsbild.
Wie anders auf unseren Friedhöfen, hundert Jahre später, mit dem
wirren Wald von Kreuzen, Denksteinen und prunkenden Malen in den
verschiedensten Materialien, als die Denkmalkunst in die Hände
betriebsamer Steinmetzgeschäfte überging. Und wie im Leben sucht auch
an der Stätte des Todes einer den anderen zu überbieten, keiner nimmt
Rücksicht auf den Nachbar, niemand fragt, ob er mit seinem aufwendigen
Mal alles andere totschlägt, im Gegenteil, letzten Endes verfolgt man
dieses Ziel. So charakterisieren diese Steinfelder unserer Friedhöfe
das Zeitalter der Unkultur treffender noch als manches Straßen- und
Platzgebilde der Großstadt.
Mit der Wende des Jahrhunderts haben wir die Reformierung der
Grabmalkunst in Angriff genommen. Seitdem erinnert man sich wieder
der Schönheiten alter Friedhöfe. Die Höhe der Denkmäler, die Größen,
das Material wird vorgeschrieben. Alles mit teilweise gutem Erfolg.
In formaler Beziehung ist schon manches gewonnen, in zwecklicher
Hinsicht viel erreicht, die Organisation des Begräbnisbetriebes ist
mustergültig. Trotz allem aber haben wir noch keinen Friedhof wieder,
wie ihn uns die Vorfahren hinterlassen haben. Wir Architekten und
Gartengestalter mühen uns um die Form. Der Friedhof als Ganzes aber ist
erst zu bauen mit Hilfe der Gemeinschaft des Volksganzen, getragen von
einem Fühlen, einem Sehnen, einem Wollen. Diese Grundlage gab einst
die Religion. Wir aber sind heute vielfältig zersplittert in unseren
religiösen und geistigen Anschauungen, was in allen unseren Werken
der Kunst zum Ausdruck kommt. Wir werden auch keine neue überzeugende
Friedhofsgestaltung erreichen, bevor wir nicht einen gemeinschaftlichen
Boden der Anschauung gefunden haben, der in der Seele des Volkes Wurzel
geschlagen hat. Das Friedhofsproblem ist nur zu lösen, wenn es gelingt,
den Friedhof wieder eng mit der Volksgemeinde verwachsen zu lassen. Das
ist im großen Zentralfriedhof nicht möglich. So müssen die Friedhöfe
wie die Großstädte selbst zu Einzelgebilden aufgeschlossen werden. Die
Dezentralisation scheint mir die notwendige Voraussetzung zu sein für
die Gewinnung einer neuen Friedhofskultur. Und wenn wir im an und für
sich zu großen Friedhof reformierend eingreifen wollen, so müssen wir
vor allem eine Gliederung in klar erkennbare Einzelteile durchführen.
[Illustration: Abb. 10. =Sommerbild vom Friedhof=]
Der alte Johannisfriedhof in Leipzig kann dafür manchen Hinweis geben.
Hier können wir die Bedeutung der Abgeschlossenheit studieren, die
wir für unseren neuen Friedhof so dringend bedürfen. Sie wird durch
Schaffung nicht zu großer, als Räume noch fühlbarer Teile erreicht.
Hier ist die Konzentration der Gedanken erst möglich. Wir müssen uns
bewußt werden, daß die Stimmung des Friedhofes um so friedlicher wird,
je größer und tatsächlicher die Abgeschlossenheit ist. Sie kann, wie im
Johannisfriedhof, durch die Erbbegräbnisse ausgestaltete Mauern erzielt
werden, oder auch durch Hecken, und deren beider raumbildende Wirkung
durch begrenzende Baumpflanzung erhöht werden. In solch geschlossenem
Raum fügen sich dann die Gedenksteine um so besser und harmonischer
ein, je bescheidener und gleichartiger sie gestaltet sind. Hier wird
Beratung und gelinder Zwang von hoher Warte aus heute noch notwendig
sein, um Geschmacklosigkeiten, wie wir sie vielfach in den Steinlagern
unserer Steinmetzbetriebe finden, zu verhindern. Dann wird sich das
Friedhofsbild auch wieder zu einem harmonischen entwickeln und Ruhe und
Frieden über solchem Totengarten liegen.
Möchte das Gemeinschaftsleben, das breite Volksschichten ersehnen, sich
stark und mächtig entfalten. Das wird auch der Kunst förderlich sein,
um so eher werden Vorschriften für den Einzelnen entbehrlich werden und
unsere Friedhöfe wieder zu Stätten wahrer Volkskunst sich entwickeln.
Nach welcher Richtung wir streben müssen, vermag in vielem solch alte
Friedhofsschöpfung, wie der Johannisfriedhof, zu zeigen.
Schon rüttelt die fortschreitende Zeit an seinen Grundmauern. Das neue
Grassimuseum rückt ihm gewaltig nahe und das Zukunftsprojekt zieht
diesen Friedhof, wenn auch nach Möglichkeit weise schonend, in die
Museumsanlage ein. Möchte der Geist solch alter Friedhofsstätte darum
bald vielfältig lebendig werden in unseren neuen Schöpfungen, damit
auch unsere Friedhöfe wieder charakteristisch Ausdruck geben von der
Stimmung, die der Tod auslöst im menschlichen Gemüt.
Leipziger Kirchen
Von _Hans Nachod_
Eigenaufnahmen des Heimatschutzes
Leipzig kann keine Kirchenbauten aufweisen, die in der Geschichte
der Architektur als Marksteine des Baugeistes der Nation Erwähnung
verdienten. Bis zum Ende des Mittelalters war es, wie ja allgemein
bekannt ist, ein Ort von geringer Bedeutung, und vollends in den frühen
Jahrhunderten dieser Periode wird es nur ein kleiner Burgflecken
gewesen sein, der eine ganz untergeordnete Rolle spielte. Als Stadt
gehört Leipzig nicht zu den Neugründungen, die der großen Kolonisation
der slawischen Gebiete am Ostrande des Reiches unter den sächsischen
Kaisern ihre Entstehung verdankten, und denen in dieser Zeit
allgemeinen Aufschwunges westliche Kultur in breitem Strome zufloß. Es
ist damals und auch späterhin nicht Sitz eines Bischofs geworden und
hat keine Kathedralkirche erhalten, und keiner der großen Mönchsorden,
die sich die Bekehrung und Zivilisierung des neugewonnenen Landes
als Aufgabe gestellt hatten, hat in den entscheidenden Jahrhunderten
eine Niederlassung in dem Sumpfwinkel zwischen Elster, Pleiße und
Parthe anlegen wollen. So hat sich die deutsche Ansiedlung bei dem
slawischen Fischerdorfe Lipzk als ein kleiner lokaler Mittelpunkt
eines der Burgwarte der Mark Meißen bis ins zwölfte Jahrhundert mit
einem Kirchlein von ganz bescheidenen Ausmaßen begnügt, von dem wir
nichts weiter wissen, als daß es durch eine Schenkung Kaiser Heinrichs
II. im Jahre 1017 an das Bistum Merseburg gekommen ist und daß es
möglicherweise an der Stelle der Nikolaikirche gestanden hat. Nachdem
um 1160 Markgraf Otto dem Ort Stadtrecht verliehen und die offenbar
schon bestehenden Märkte bestätigt hatte, machte sich noch im zwölften
Jahrhundert für die rasch angewachsene Stadtgemeinde eine größere
Kirche nötig. Von dieser sind jetzt nur noch wenige Bauteile übrig, die
vor etwa zwanzig Jahren nahe dem Chor der Nikolaikirche zutage gekommen
und an dessen Außenwand eingemauert worden sind. Im dreizehnten
Jahrhundert sind zwar die beiden Bettelorden, die in der ganzen
damaligen Welt den Anstoß zu neuen großen Kirchenbauten gegeben haben,
verhältnismäßig früh nach Leipzig gekommen, die Dominikaner schon 1229,
die Franziskaner noch vor Mitte des Jahrhunderts, und sie errichteten
ihre Kirchen. Vorher hatte aber Markgraf Dietrich seiner 1212
bestätigten Gründung, dem Thomaskloster, nicht nur eine Kirche gebaut,
sondern auch die Nikolaikirche unterstellt. Diese Zersplitterung der
Kräfte hat gewiß verhindert, daß ein größerer Bau in Leipzig entstand,
und erst das erstarkende Bürgertum der nächstfolgenden Zeit hat die
Mittel zu Umbauten und Erweiterungen der vier Kirchen der Stadt
gegeben. Zunächst wurden im fünfzehnten Jahrhundert die Thomaskirche
der Augustinerchorherrn und die Ordenskirchen der Franziskaner
(Barfüßer) und der Dominikaner (Pauliner) den neuen Bedürfnissen der
Predigt entsprechend umgestaltet, bereits im sechzehnten Jahrhundert,
kurz vor der Reformation, folgte dann die Nikolaikirche.
[Illustration: Abb. 1. =Thomaskirche.= Blick auf die Orgel vom Chore
aus. Heutiger Zustand]
So steht in Leipzig keine Kirche, die in ihren Hauptteilen über die
spätgotische Periode zurückginge, und alle haben im Laufe der letzten
Jahrhunderte noch durchgreifende Veränderungen erfahren, die ihre
äußere und innere Erscheinung wesentlich beeinflußt haben. Drei dieser
Kirchen sind aber auch so noch sehenswerte Denkmäler früherer Perioden
der Stadtgeschichte.
[Illustration: Abb. 2. =Thomaskirche.= Zustand vor 1877, nach Zeichnung
von Kratz
Über der Empore links der Fürstenstuhl]
[Illustration: Abb. 3. =Thomaskirche.= Grab des Ritters Hermann von
Harras († 1451)
(Das Denkmal ist erst gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
entstanden)]
Der Thomaskirche, deren unvergänglicher Ruhm es geworden ist, daß
Johann Sebastian Bachs unsterbliche Werke zum ersten Male in ihr
erklungen sind, und die noch heute die große, fast vierhundertjährige
Tradition der protestantischen Kirchenmusik in vorbildlicher Weise
pflegt, hat die letzte Restauration in der schlimmsten Epoche
deutscher Baugeschichte (um 1880) im Inneren die imponierende
Raumwirkung nicht rauben können, obwohl aus dieser Zeit die Bemalung
stammt, die ihrer Würde so ganz und gar nicht entspricht. Sie
präsentiert sich beim Eintritt durch das ganz moderne Westportal und
ebenso vom Chore aus mit ihren drei gleichhohen Schiffen, deren Gewölbe
von schlanken aufstrebenden Achteckspfeilern getragen werden, als eine
helle geräumige Halle von vornehmen ruhigen Proportionen, und die an
drei Seiten umlaufenden, bis annähernd in Drittelhöhe heraufreichenden
Emporen, die man gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts eingebaut
hat, würden diesen Eindruck viel weniger stören, wenn sie nicht durch
den auffallenden, wenig erbauenden Bilderschmuck, den sie vor einigen
Jahrzehnten erhalten haben, noch besonders hervorgehoben würden.
[Illustration: Abb. 4. =Thomaskirche.= Grabsteine des Ehepaars von
Wiedebach (1517)]
Das achtjochige Langhaus ist nach einem einheitlichen Plane von 1483
bis 1496 dem eigentümlich verkümmerten Querschiff und dem niedrigen
einschiffigen Chor aus einer etwa siebzig Jahre früheren Bauperiode
vorgelegt worden, die gegen das Langhaus schief orientiert sind. Dieser
ältere Bauteil wirkt als eine dunkle Masse, da er sein Licht nur
durch die nicht besonders hohen, heute zudem mit dunklen Glasbildern
versehenen Fenster im fünfeckigen Chorabschluß erhält. Von dem Aussehen
der Kirche in katholischer Zeit werden wir uns heute schwerlich
mehr ein Bild machen können, da von ihrer inneren Ausstattung, wie
auch von der Ausschmückung der Kapellen, die an die Seitenschiffe
anschließend, noch bis zur Zeit des letzten Umbaus standen, das Meiste
längst verloren ist. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hatten
sich über den Emporen und sogar über dem Triumphbogen vor dem Chore
balkonartige Logen von den verschiedensten Formen eingenistet, die
ein sehr malerisches Bild geboten haben müssen, allerdings zum Teil
die Seitenschiffenster verdeckt haben werden. Die moderne puristische
Restauration hat damit aufgeräumt. Dadurch ist eine gewisse freudlose
Nüchternheit in die alte Kirche eingezogen – bekanntlich das Schicksal
vieler alter Kirchen in protestantischen Gegenden. Die prächtigste
Loge, der 1683 zur Erinnerung an die Türkensiege Kurfürst Johann
Georg III. über der linken Seitenempore aufgebaute »Fürstenstuhl«
ist sogar noch 1889 abgebrochen worden, »weil er in den Stil der
Renovation nicht paßte.« Er konnte aber später wenigstens Aufnahme im
Stadtgeschichtlichen Museum finden.
Von den zahlreichen Grabmälern aus älterer Zeit sind immerhin noch
mehrere in der Kirche erhalten, z. B. der gut gearbeitete Grabstein
des Hermann von Harras, ein ausgezeichnetes Beispiel einer Ritterfigur
aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, aus dem Jahre 1517 der
Doppelgrabstein des kurfürstlichen Amtmanns Georg von Wiedebach und
seiner Frau Apollonia mit den sehr charakteristischen Porträtfiguren
des Paares, dessen Züge uns auch durch Cranachsche Bildnisse im
Museum überliefert sind, und die ausgezeichneten Bronzeplatten
mit Reliefbildern der beiden in der Geschichte des sächsischen
Protestantismus berühmten Pfarrer Nikolaus Selnecker († 1592) und
Johann Benedikt Carpzow († 1699). Die Kirche ist außerdem noch reich an
architektonisch gestalteten und meist mit Reliefs gezierten Epitaphien
des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts.
Außen dominiert für den Eindruck das hohe Satteldach und der über dem
südlichen Querschiffrest aufragende Turm mit seinem sich zu achteckigem
Baukörper verjüngenden schlanken Oberbau, der in eine kupfergedeckte
Haube des achtzehnten Jahrhunderts ausgeht.
[Illustration: Abb. 5. =Nikolaikirche.= Blick in den Chor. Heutiger
Zustand]
Die Nikolaikirche ist heute in ihrem Inneren das Ergebnis des höchst
interessanten Versuches einer architektonischen Neuschöpfung des
achtzehnten Jahrhunderts. Dem damaligen Baudirektor der Stadt, Johann
Friedrich Dauthe, einem Künstler von starker Individualität, war
die Aufgabe gestellt worden, die aus den Jahren 1513–1525 stammende
dreischiffige spätgotische Hallenkirche von fünf Jochen, die in ihren
Maßen etwa denen der Thomaskirche entsprachen, umzubauen, und er machte
aus den schon ursprünglich eigenartig als Palmenstämme dekorierten
achteckigen Pfeilern des Schiffes und dem gotischen Rippengewölbe
einen ganzen Palmenwald in klassizistischem Stile. Wie Gurlitt
hervorgehoben hat, war auch die zu dieser Zeit herrschende Ansicht,
daß das gotische Netzgewölbe mit Erinnerungen an Palmen zusammenhinge,
für diese Wahl maßgebend. Die Pfeiler wurden zu wuchtigen kanellierten
Säulen, und eine breite Kapitellzone, die mit aufgereihten flach
gehaltenen Palmenblättern bedeckt und von einer Rundplatte mit schön
gerundetem Eierstab bekrönt erscheint, angeblich ein ägyptisches
Kapitell, vermittelt nach oben zu den dichten Bündeln von Palmwedeln
und Fruchtstengeln, die der Architekt mit noch ganz barockem Empfinden
an den Gewölbeansätzen in Stuck hat auftragen lassen. Das Gewölbe
selbst ist äußerst geschickt zu einer Kassettendecke umgedeutet. Diese
architekturgeschichtlichen »Unmöglichkeiten« sind nun mit einem so
sicherem Geschmack und einem so klaren Gefühl für die Proportionen
des Raumes gestaltet worden, daß der Eindruck eines festlichen
Saales erreicht ist, ohne daß die Würde des Kirchenraumes einen
Augenblick außer acht gelassen wäre. Zu der geschlossenen Haltung
des Ganzen tragen auch die breiten Horizontalen der streng geformten
Doppelemporen bei, deren oberes Stockwerk das Gebälk einer ganz
klassisch durchgebildeten korinthischen Säulenordnung ist. Auch farbig
ist der Raum außerordentlich wohltuend in seiner bis zu den Sitzbänken
einheitlich durchgeführten weiß-goldenen Dekoration und selbst die
kleinsten Einzelheiten, wie der Schriftduktus der Nummern an den
Bänken, sind dem Ganzen angepaßt. Dem Chorabschluß sind durch Dauthe je
zwei hohe Fensteröffnungen zu beiden Seiten einer schlicht gehaltenen
Altararchitektur belassen worden, und er wirkt daher in seiner guten
Beleuchtung als gleichwertige Fortsetzung des Hauptsaales.
[Illustration: Abb. 6. =Nikolaikirche.= Blick in den Chor nach Aquarell
von K. B. Schwarz (um 1784)]
Von dem ursprünglichen Aussehen des Kircheninnern hat man durch zwei
kurz vor Dauthes Umbau gemalte Aquarelle Kenntnis, und wenn man auch
bedauern mag, daß manche hübsche Einzelheiten völlig verschwunden
sind, wird man doch angesichts einer so mutigen und künstlerisch
bedeutenden Tat, wie sie diese Umwandlung darstellt, sehr zufrieden
sein, daß ein so eigenartiger Baugedanke Verwirklichung gefunden
hat. Das hervorragendste Einzelkunstwerk aus der älteren Kirche ist
die wahrscheinlich 1521 entstandene Kanzel, an deren Brüstungswänden
unter reichen gotischen Baldachinen die Gestalten des Schmerzensmannes
und der vier Kirchenväter in hohem Relief erscheinen. Sie ist ein
Zeugnis für die mit dem zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts rasch
aufsteigenden Reichtum der Stadt verbundene letzte üppige Blüte der
Spätgotik in unserer Gegend.
[Illustration: Abb. 7. =Nikolaikirche.= Blick auf die Orgelwand nach
Aquarell von K. B. Schwarz (um 1784)]
In ihrem Äußeren ist die Nikolaikirche ein merkwürdig formloses Gebilde
von geringem künstlerischem Wert. Doch hat die massige Westfassade
mit ihrem mitten zwischen zwei alten Turmstümpfen sich erhebenden
Barockturm, der dem der Thomaskirche verwandt ist, entschieden einen
malerischen Reiz.
[Illustration: Abb. 8. =Nikolaikirche.= Kanzel von 1521]
[Illustration: Abb. 9. =Paulinerkirche.= Blick auf die Orgel vom Chore
aus]
Die Paulinerkirche, die mitsamt dem umfangreichen Gebäudekomplex
des dazugehörigen Klosters nach dessen Säkularisation 1543 an die
Universität kam und seitdem als Universitätskirche dient, hat ihren
letzten Umbau zusammen mit dem Neubau der Universitätsgebäude in den
neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchgemacht. Sie ist
dabei im Inneren ihrem allgemeinen Charakter nach eine spätgotische
Hallenkirche von etwas kleineren Dimensionen mit drei Schiffen und
einem dreigeteilten Chor geblieben. Auch die Einzelformen, die sie
durch die zwei letzten Bauperioden der Dominikaner erhalten hatte
(um 1485 und 1520), sind im allgemeinen erhalten worden. Für die
Beleuchtungsverhältnisse und die Raumwirkung des Langhauses ist es
von Bedeutung, daß, wahrscheinlich im sechzehnten Jahrhundert,
das obere Stockwerk über dem an die Südwand der Kirche anstoßenden
Kreuzgangflügel als Erweiterung der rechten Empore in den Kirchenraum
einbezogen worden ist. Die Emporen, die das Schiff auf drei Seiten
umrahmen, stammen in ihrer heutigen Gestalt aus dem Beginn des
achtzehnten Jahrhunderts, die prachtvolle geschnitzte Kanzel in frühem
Rokoko aus dem Jahre 1738.
[Illustration: Abb. 10. =Paulinerkirche.= Kanzel von Valentin
Schwarzenburger (1738)]
[Illustration: Abb. 11. =Paulinerkirche.= Epitaphien G. T.
Schwendendörffer (1685), M. H. Horn (1686), J. J. und H. E. Pantzer
(1673)]
Vor der Reformation war der Chor durch einen schlicht gehaltenen
gotischen Lettner abgeschlossen, wurde aber bei Einrichtung der Kirche
für den protestantischen Kultus gegen das Langhaus zu geöffnet. Damals
ist auch der gerade erst wenige Jahrzehnte zuvor auf den Zwinger der
Stadtmauer herausgeschobene Chorabschluß beseitigt und durch eine
einfache Wand mit einem großen Fenster ersetzt worden. Die an die linke
Seitenschiffwand angebauten Kapellen sind zu Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts abgetragen worden, und die zahlreichen Epitaphien von
Angehörigen der Universität, sowie einige Denkmäler aus der Periode
der Dominikaner hat man darauf zum Teil im Kreuzgange aufgestellt, zum
Teil aber, so gut es ging, an den hohen Schranken angebracht, die
den Hauptchor von den Nebenchören trennen. Dort bieten sie sich aber,
in enger Folge aneinandergedrängt, dem Beschauer nicht allzu günstig
dar. Das ist um so bedauerlicher, als sich unter ihnen hervorragende
Werke aus fünf Jahrhunderten befinden, die mehr als lokales Interesse
beanspruchen dürfen, angefangen von der buntbemalten hölzernen Statue
des 1307 in Leipzig ermordeten Markgrafen Dietzmann, die mit dem heute
vor dem rechten Nebenchor aufgestellten Sitzbild des heiligen Dominikus
der bedeutendste Zeuge des hohen Standes der Leipziger Plastik im
vierzehnten Jahrhundert ist. Aus den folgenden Jahrhunderten stammen
schöne bronzene Grabplatten und Epitaphien in den strengen Formen der
Renaissance und daneben in den kühnen, gewaltig bewegten des Barock.
Der große Wandelaltar aus dem Beginn des sechzehnten Jahrhunderts
ist neuerdings sorgfältig restauriert und ergänzt worden, und sein
geschnitzter Hauptteil hat auf dem Altarplatz im Chor seine Stelle
gefunden, während man die gemalten Flügel im Nordchor untergebracht hat.
[Illustration: Abb. 12. =Paulinerkirche.= Epitaph des Dr. Joachim von
Kneitlingen (1553)]
[Illustration: Abb. 13. =Paulinerkirche.= Rest des Kreuzganges mit
Grabsteinen]
Nach dem Augustusplatze zu zeigt die Kirche jetzt eine moderne gotische
Fassade in den etwas spielerischen Formen einer nur wissenschaftlich
erfaßten Gotik, während das Eingangsportal noch seine reizvolle
ionische Vorhalle aus dem achtzehnten Jahrhundert bewahrt hat.
[Illustration: Abb. 14. =Paulinerkirche.= Grabmal des Ritters Nickel
Pflug († 1482)]
[Illustration: Abb. 15. =Paulinerkirche.= Westportal (um 1700)]
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Dr. Friedrich
Schulze, Leipzig – Photographische Eigenaufnahmen des
Heimatschutzes: Max Nowak – Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
– Klischees von Römmler & Jonas, Markert & Sohn, sämtlich in
Dresden
An unsere geehrten Mitglieder!
Wir bitten höflichst, bei Erhalt unserer Hefte sich der
Beitragszahlungen erinnern zu wollen. Wir geben anheim – um größere
Rückstände nicht aufkommen zu lassen – bei Erhalt jedes Heftes einen
Teilbetrag von 2 Mark durch die beigefügte Zahlkarte zu entrichten, bei
Minderbemittelten (Erwerbslose, Kleinrentner, Studenten, Lehrlinge,
Schüler) kann der Betrag auf 1 Mark zurückgesetzt werden.
Wir danken für das uns von unseren Mitgliedern jederzeit
entgegengebrachte Wohlwollen und bitten, uns dieses zu erhalten.
Dresden, im September 1925.
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Andauernde Verluste von _un_eingeschriebenen Geldsendungen veranlassen
uns, zu bitten, Wertsendungen aller Art nur »Eingeschrieben« oder als
»Wertsendung« an uns zu richten.
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresdner Vorträge 1925
Vereinshaus, Zinzendorfstraße
abends 8 Uhr
1. Reihe
Montag, den 5. Oktober: _Filmvortrag »Mit den Zugvögeln nach
Afrika«_, Prof. Dr. Neumann, Dresden.
Montag, den 12. Oktober: _Lichtbildervortrag: »Aus Sachsens
Vorzeit«_, Dr. Bierbaum, Dresden.
Montag, den 19. Oktober: _»Legende von der schönen Lau«, von
Mörike._ Alice Verden, Mitglied der Staatstheater
Montag, den 26. Oktober: _Lichtbildervortrag: »Sächsisches
Lachen«_, nach alten Stichen, Bilderbogen und Zeichnungen.
Kurt Arnold Findeisen, Dresden
Montag, den 2. November: _Wagner-Abend._ Kammersänger Fritz
Vogelstrom, Dresden. Am Blüthner-Flügel: Kapellmeister
Striegler
Eintrittskarten: unnumeriert 4.-- M.
numeriert 6.-- M.
nur im
Heimatschutz, Dresden-A.
Schießgasse 24
Einzelkarten werden nicht ausgegeben
Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-N.
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Korrekturen:
S. 310: Wertfassade → Westfassade
Doch hat die massige {Westfassade} mit
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Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 7-8
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Book Information
- Title
- Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 7-8
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- German
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- Release Date
- October 20, 2024
- Word Count
- 13,173 words
- Library of Congress Classification
- DD
- Bookshelves
- Browsing: Architecture, Browsing: Culture/Civilization/Society
- Rights
- Public domain in the USA.
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