*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 74470 ***
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter
oder unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original
in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter
Text ist =so dargestellt=.
Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
Buches.
Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden
Mitteilungen
Heft
5 bis 6
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
Band XIV
_Inhalt_: Lauchhammerwerke in Wolkenburg und Waldenburg, ein
Gedenkblatt zur Zweihundertjahrfeier des Lauchhammers – Auf
Heimatschutzpfaden durch die Lößnitz – M. D. Pöppelmann und die
Zwickauer Torbrücken – Die Pappel, ein Beitrag zur Gestaltung der
Landschaft durch den Menschen – Der Sonne entgegen! Eine
Frühlingswanderung im östlichen Erzgebirge – Volkskundliches in
den Federzeichnungen des kursächsischen Oberlandbaumeisters
Dilich – Was alte Grabsteine erzählen – Zu Gast in der Au –
Bücherbesprechungen
Einzelpreis dieses Heftes 3 Reichsmark
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Postscheckkonto: Leipzig 13987, Dresden 15835
Stadtbank Dresden 610
Bankkonto: Commerz- und Privatbank,
Abteilung Pirnaischer Platz, Dresden
Bassenge & Fritzsche, Dresden
Dresden 1925
An unsere geehrten Mitglieder!
Wir bitten höflichst, bei Erhalt unserer Hefte sich der
Beitragszahlungen erinnern zu wollen. Wir geben anheim – um größere
Rückstände nicht aufkommen zu lassen – bei Erhalt jedes Heftes einen
Teilbetrag von 2 Mark durch die beigefügte Zahlkarte zu entrichten, bei
Minderbemittelten (Erwerbslose, Kleinrentner, Studenten, Lehrlinge,
Schüler) kann der Betrag auf 1 Mark zurückgesetzt werden.
Wir danken für das uns von unseren Mitgliedern jederzeit
entgegengebrachte Wohlwollen und bitten, uns dieses zu erhalten.
Dresden, im Juli 1925.
=Landesverein Sächsischer Heimatschutz=
Andauernde Verluste von _un_eingeschriebenen Geldsendungen veranlassen
uns, zu bitten, Wertsendungen aller Art nur »Eingeschrieben« oder als
»Wertsendung« an uns zu richten.
=Landesverein Sächsischer Heimatschutz=
Band XIV Heft 5/6 1925
[Illustration: Landesverein Sächsischer Heimatschutz Dresden]
Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern
herausgegeben
Abgeschlossen am 30. Juni 1925
Lauchhammerwerke in Wolkenburg und Waldenburg
Ein Gedenkblatt zur Zweihundertjahrfeier des Lauchhammers
Von _Otto Eduard Schmidt_
Am 17. Juli 1925 vollenden sich zwei Jahrhunderte, seitdem der
Kurfürstlich Sächsische Bergwerksdirektor und Oberhofmarschall
Freiherr _Woldemar von Löwendahl_ auf Mückenberg in der Lausitz für
seine Gemahlin (S. 162) das Privilegium erlangte, die zu ihrem Gute
gehörige Lauchmühle in einen Eisenhammer zu verwandeln, in dem der
in der Umgegend vorkommende Raseneisenstein verhüttet und das daraus
gewonnene Eisen weiter verarbeitet werden sollte. Am 25. August
desselben Jahres wurde der an den Lauchteichen errichtete Hochofen
angeblasen. Das war der Ursprung und Anfang des jetzt in eine
Aktiengesellschaft verwandelten großen Eisenwerkes _Lauchhammer_,
das demnach zu den ältesten derartigen Unternehmungen in Deutschland
gehört. Das Rohmaterial, der Raseneisenstein, später auch andere
Eisenerze, bezog man außer von den Lausitzer Lagerstätten aus dem
Kurkreise Wittenberg und aus dem Erzgebirge, den Kalkstein, der das
Eisen in Fluß bringen half, aus der Pirnaer Gegend, die zum Schmelzen
nötige Holzkohle lieferte die Mückenberger Heide und die nahen
Kurfürstlichen Wälder, in denen der Abraum, d. h. die Scheite und
Rollen, die das Klaftermaß nicht erreichten, zu Kohlen gebrannt wurde.
Außerdem verwendete man die nahe bei Mückenberg gefundene Braunkohle
als Heizstoff. Alle größeren Lasten wurden zum Lauchhammer und vom
Lauchhammer, soweit es möglich war, auf dem Wasserwege befördert,
auf dem bei Grödel in die Elbe mündenden Floßgraben und dann auf der
Elbe selbst. Bald trat in Lauchhammer zur Eisenerzeugung der Guß von
Öfen und eisernen Kochtöpfen. Um die Fortführung und den Ausbau des
Werkes erwarb sich die zweite Gemahlin des Freiherrn von Löwendahl,
Benedikte Margarete, eine geborene von Rantzau, die größten Verdienste.
Bei ihrem Tode im Jahre 1776 vererbte sie ihren ganzen Besitz und
damit auch den Lauchhammer an ihr Patenkind, den Kursächsischen
Konferenzminister _Detlef Carl Grafen von Einsiedel_ (1737 bis 1810),
Herrn auf Wolkenburg an der Mulde, vermählt mit Sidonie Albertine,
einer geborenen Gräfin von Schönburg-Lichtenstein. Damit begann die
erste Blütezeit des Lauchhammerwerkes. Denn der Minister Graf Einsiedel
war ein rastlos tätiger, für Gewerbe und Kunst sehr eingenommener
Mann, der auch das Geschick besaß, für die Ausführung seiner Pläne
die nötigen technischen Kräfte zu finden. Unter ihm wurde die
Beschaffenheit des Stabeisens wesentlich verbessert, für die Kochtöpfe
eine feuerfeste, der Bekömmlichkeit der Speisen nicht schädliche Glasur
erfunden und durch Anlage einer großen Dampfmaschine das zu mancher
Zeit fehlende Betriebswasser aus dem Lauchteiche herbeigepumpt. Der
durch den Grafen Einsiedel verbesserte Betrieb des Lauchhammers war
im Stande, technische Gußstücke zu liefern, die durch ihre Größe
und Schwere in damaliger Zeit Bewunderung erregten. So stellte er
für die ehemals Gräflich Einsiedelsche Spinnmühle in Wolkenburg
ein dreihundertsiebenundachtzig Zentner wiegendes gußeisernes
Wasserrad her, das sechzehn Ellen (neun Meter, vierzehn Zentimeter)
im Durchmesser hatte. Vor allem aber zog Graf Einsiedel Männer
heran, die den Erzeugnissen der Gießerei künstlerische Gestaltung zu
geben vermochten. Schon 1781 wurde der Bildhauer _Wiskotschill_ am
Lauchhammer angestellt, ihm folgte bald Mättensberger, als Gießer
arbeiteten unter beiden Klausch und Güthling. Wiskotschill war
1758 als Sohn eines Bildhauers in Prag geboren, hatte aber seine
künstlerische Bildung in Dresden erhalten. Als ihn Graf Einsiedel an
die Spitze der künstlerischen Gestaltung nach Lauchhammer berief, war
er erst dreiundzwanzig Jahr alt. Aber durch die nach seinen Modellen
im Lauchhammer gegossenen überlebensgroßen Büsten des Germanicus und
des römischen Kaisers Caracalla, die Graf Marcolini erwarb und im
Garten seines Palais, des heutigen Friedrichstädter Krankenhauses
aufstellte, erregte der junge Künstler großes Aufsehen. Im Jahre 1782
trat Wiskotschill in den Dienst des Grafen Marcolini über, der ihn die
meisten Statuen und Vasen seines berühmten Gartens fertigen ließ, aber
auch Aufträge des Kurfürsten verschaffte, z. B. die Erneuerung von
vier Satyrn an der Galerie des nordwestlichen Hofflügels am Zwinger.
(1787/88.)
Unter Wiskotschills Einfluß wurden auch die Gußwerke des Lauchhammers
durchaus im Geschmack des Klassizismus geformt. Zuerst wurden die
großen Platten der eisernen Öfen mit Reliefdarstellungen aus der Sage
und Geschichte des Altertums verziert. Dann formte man kunstvolle
Grabplatten und Büsten, wie die oben erwähnten, und endlich ging
man zur Herstellung ganz freistehender, lebensgroßer menschlicher
Gestalten über. Das Verfahren war folgendes: Über eine Unterlage von
Ton bossierte man die Figur aus Wachs, und darüber legte man eine
das Ganze umhüllende Schicht von weichem Lehm. Wenn alles getrocknet
und erhärtet war, wurde die Form erwärmt, dadurch schmolz das Wachs
und floß aus dem Hohlraum zwischen Ton und Lehm heraus. In diesen
Hohlraum wurde nun das flüssige Eisen gegossen und der Lehmmantel
nach dem Erkalten zerschlagen. Auf diese Weise hat man in Lauchhammer
die berühmte griechische Gruppe Kastor und Pollux, einen antiken
Fechter, eine Herkulanerin, einen Hermes nach den Originalen in der
Skulpturensammlung in Dresden, aber auch Bildnisbüsten, Grabdenkmäler
und viele Werke der plastischen Kleinkunst gegossen.
[Illustration: Abb. 1. =Geflügelter Cherubim im Innern der Kirche zu
Wolkenburg=]
Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß auch der beste Lauchhammersche
eiserne Kunstguß in der Feinheit der Umrißzeichnung und in der
Genauigkeit der Wiedergabe der Form einen guten Bronzeguß nicht
erreicht. Auch läßt sich die weichere Bronze nach dem Guß durch die
Arbeit des Ziseleurs noch viel mehr verfeinern als das sprödere
Eisen. Aber der Eisenguß hat mit dem Bronzeguß die fast unbegrenzte
Dauerhaftigkeit gemein und ist dabei viel billiger. Der Zentner
Kunstguß kostete in Lauchhammer um 1820 nur zwölf bis zwanzig Taler.
Und gerade in der Zeit, als die französische Knechtschaft auf uns
lastete (1797 bis 1813) und Ernst Moritz Arndt das Lied sang:
»Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
Der wollte keine Knechte,
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß,
Dem Mann in seine Rechte.«
und noch lange danach, als unser Volk infolge der Kriegslasten verarmt
war, erschien ihm das Eisen als das rechte Metall zum Ausdruck des
Schönen.
[Illustration: Abb. 2. =Geflügelter Cherubim im Innern der Kirche zu
Wolkenburg=]
Sehr viele der im Lauchhammer gegossenen Kunstwerke sind in das Ausland
verkauft worden oder sonstwie verschollen. Aber noch immer trifft man
hie und da in einem Museum oder auf einem Kirchhofe einen aus dem
Lauchhammer stammenden älteren eisernen Kunstguß. Ganz besonders reich
an solchen Werken ist das mittlere Tal der Zwickauer Mulde, weil Graf
von Einsiedel, der Besitzer des Lauchhammers, auf Schloß Wolkenburg
seinen Wohnsitz hatte. Das Schloß verrät noch heute in seinem Innern
durch die Stuck- und Bilderausstattung des großen Saales den feinen
klassizistischen Geschmack des Grafen Detlev Carl. Als er 1794 bis
1804 durch den Hofbauinspektor Giesel in Wolkenburg die schönste
klassizistische Kirche bauen ließ, die Sachsen überhaupt aufzuweisen
hat, schmückte er ihre griechischen Giebel mit herrlich gelungenen
Darstellungen der Kreuzigung und der Auferstehung Christi, und das
Innere mit zwei weihevollen Cherubim, die Opferschalen in den Händen
halten. (1805 und 1810. Abb. 1 und 2.) Andere Lauchhammerwerke kann
man in der ehemaligen alten Dorfkirche zu Wolkenburg bewundern, die
jetzt als Gruftkapelle der Schloßherrschaft dient. Dort ist links
vom Altar an der Wand die große Grabplatte des Grafen Detlev Carl und
rechts das Monument seiner Gemahlin Sidonie Albertine, eine eiserne
Urne, die im Relief das Bildnis der Verstorbenen trägt, daneben steht
in freier Figur der Tod, dargestellt als Knabe, der die Lebensfackel
auslöscht und das Kreuz über die Urne der Heimgegangenen hält. (Abb.
3.) Außerdem enthält die Gruft das sehr bemerkenswerte Denkmal des
am 29. Februar 1772 geborenen und am 30. November 1793, am letzten
Tage der siegreichen Kämpfe gegen die Franzosen bei Kaiserslautern
gefallenen Grafen Friedrich von Einsiedel auf einer liegenden, ovalen
Grabplatte. Sie zeigt in lebensgroßem Hochrelief den Grafen in voller
Uniform, den Dreimaster mit dem Federbusch auf dem Kopfe, den Degen an
der Seite, mit noch jugendlichem, ausdrucksvollem Gesicht. In seiner
ergreifenden Schlichtheit ist dieses Werk eins der eindrucksvollsten
Denkmäler, die jene Zeit hervorgebracht hat. (Abb. 4.) Im Wolkenburger
Park finden wir eine sehr anmutige Statue eines einschenkenden Satyrn
(Abb. 5), die auf ein Werk des Praxiteles zurückgeht; das Original,
nach dem der Eisenguß geformt ist, findet sich in der staatlichen
Skulpturensammlung in Dresden. Ebenda steht auch das Original der
Wolkenburger Flora, die in der Hand eine Weintraube und Blumen auf dem
Kopfe trägt. Das Original hat sich aber nach Entfernung der unechten
Teile (Kopf, linker Unterarm, rechter Unterschenkel) als eine Artemis
aus hellenistischer Zeit entpuppt. Endlich schmückt den Wolkenburger
Park auch die eiserne Nachbildung einer antiken Knöchelspielerin
(Abb. 6), deren aus Rom gekommenes Urbild wir jetzt im staatlichen
Museum in Berlin betrachten können. Auch im nahen Waldenburg ist eine
reizvolle kleine eiserne Vase vorhanden. Sie steht im Grünfelder Park
unweit des altertümlichen Steintores in einer Gebüschgruppe rechts vom
Wege. Endlich enthält die Fürstlich Schönburgische Gruft im Schlosse
Lichtenstein vier eiserne Sarkophage Lauchhammerscher Arbeit. (1807 und
1861.)
[Illustration: Abb. 3. =Denkmal der Gräfin Sidonie Albertine von
Einsiedel geb. Gräfin von Schönburg-Lichtenstein in der alten
Dorfkirche (jetzt gräflich Einsiedelsche Gruftkirche) zu Wolkenburg=]
Nicht sicher ist der Lauchhammersche Ursprung, aber doch wahrscheinlich
bei dem gußeisernen Grabmal zweier Kinder des Pfarrers Brause auf
dem Kirchhofe zu Lichtenberg bei Freiberg. Meine bis ins Jahr 1913
zurückreichenden Nachforschungen über den Künstler, der dieses
Grabmal entworfen hat, sind leider vergeblich geblieben, da die
alten Geschäftsakten und Briefe im Lauchhammer nicht mehr vorhanden
sind. Ich möchte aber doch dem Gefühl Ausdruck geben, daß dieses die
Kindesnatur in so rührender Weise verkörpernde Bildwerk der Schule
Christian Rauchs entstammt, der seit 1838 wegen des Bronzegusses
seiner Statuen für den Posener Dom enge Beziehungen zum Lauchhammer
unterhielt und in seinem Tagebuche schreibt, »daß er nie vorher einen
solch dünnen und an der Oberfläche so schönen Guß gesehen und daß er
sich entschlossen habe, die Figuren (für den Posener Dom) nicht zu
ziselieren, sondern nur das Nötigste daran mit dem Punzen und der Feile
zu tun und im übrigen nur mit Scheidewasser abzubrennen.« Noch näher
läge es vielleicht, an den Lausitzer Ernst Rietschel als Urheber der
Lichtenberger Gruppe zu denken, dessen Beziehungen zum Lauchhammer
auch bis 1838 zurückreichen. Seit dieser Zeit tritt in der
künstlerischen Tätigkeit des Lauchhammers allmählich der Bronzeguß vor
dem Eisenguß in den Vordergrund. Aber begründet hat der Lauchhammer
seinen künstlerischen Ruhm mit dem Guß in Eisen.
[Illustration: Abb. 4. =Denkmal des Grafen Friedrich von Einsiedel=
(von oben gesehen) =in der alten Dorfkirche zu Wolkenburg=]
Wenn wir die älteren Lauchhammerwerke betrachtet haben und dann als
Gesamtbild vor unser inneres Auge stellen, so erscheinen sie nicht
nur als Denkmäler der Personen, die sie gestiftet haben oder deren
Andenken sie gewidmet sind, sondern auch als Ausdruck der Zeit, der sie
ihr Entstehen verdanken. Notgedrungene Sparsamkeit und Schlichtheit
sprechen aus ihnen. Aber dazu gesellen sich Wahrhaftigkeit und Anmut.
[Illustration: Abb. 5. =Einschenkender Satyr nach Praxiteles im Park
des Schlosses Wolkenburg=
(Das Original befindet sich in der Skulpturensammlung zu Dresden)]
Möge es auch den heutigen Deutschen, die so schwere Lasten zu tragen
haben, an diesen Eigenschaften nicht fehlen und möge auch unserer Zeit
ein gleichwertiger künstlerischer Ausdruck ihres Wesens beschieden sein.
[Illustration: Abb. 6. =Knöchelspielendes Mädchen im Parke des
Schlosses Wolkenburg=
(Das Original aus Rom befindet sich im staatlichen Museum in Berlin)]
_Anmerkung._ Die Vorlagen zu den Bildern 1–6 dieses Aufsatzes
hat Herr Graf von Einsiedel auf Wolkenburg dem Verfasser
freundlicher Weise zur Nachbildung überlassen. Die Aufnahme
zu Abbildung 7 hat der Heimatschutz nach dem Original in
Lichtenberg durch Photograph Reymann, Freiberg, anfertigen
lassen. Zum Text sind die Akten des Hauptstaatsarchivs in
Dresden, Schumanns Postlexikon und die Schrift von Professor
Emmerich in München »Bildguß-Werk Lauchhammer« benutzt worden.
Die Angaben über das Original zur Wolkenburger »Flora« verdanke
ich Herrn Direktorialassistenten Dr. Müller an der staatlichen
Skulpturensammlung. Eine groß angelegte Festschrift zur
Zweihundertjahrfeier des Lauchhammers, auf die wir schon jetzt
aufmerksam machen, wird vermutlich von der Verwaltung des
Werkes am Jubiläumstage herausgegeben werden.
[Illustration:
Aufnahme von K. Reymann, Freiberg
Abb. 7. =Gußeisernes Grabdenkmal zweier Kinder des Pfarrers Brause auf
dem Kirchhofe in Lichtenberg bei Freiberg aus dem Jahre 1839=]
Auf Heimatschutzpfaden durch die Lößnitz
Von _Kurt Nierich_, Kötzschenbroda
Aufnahmen vom Verfasser
In lichtgrüner Maiennacht, da sinken gütige Träume auf die alte Erde.
Da silbert der Mond alle die trauten Wege und geht an den heimlichen
Stegen vorüber, wie man an schlafenden Kindern vorübergeht, um sie
nicht zu stören. Es ist im Mondlicht eines Maientages als ob die Jahre
und Jahrzehnte rückwärts schritten, und aus alter, lieber Zeit tauchen
Bilder auf, die noch nichts wußten von den Sorgen und Nöten unserer
Tage. Wo der Urgroßvater die Weinberge harkte und der Herbst sein Mühen
mit goldglasigen Trauben lohnte, da kannte man noch nicht die Jagd nach
dem Geld, darum eben blicken uns auch die Winzerhäuschen (Abb. 1) alle
so traulich an, als wollten sie uns gute Gedanken schenken aus alter,
längst verklungener Zeit. Ein mächtiger Nußbaum schattet über der
Torfahrt und dem kleinen Pförtlein, das uns hineinläßt zu Menschen, die
einfach waren und darum ihre Seele reiner hielten. Ja, wenn er erzählen
könnte, der alte Baum vor der Tür, ein Leben voll Arbeit, aber auch
voll Licht würde dir das Säuseln seiner Blätter künden, die man damals
noch als besten Heiltee trank.
[Illustration: Abb. 1. =Winzerhaus in der »Finsteren Gasse«=]
Behaglich blinzeln die Fenster eines anderen Häusleins auf die
lichtbesäte Straße, als könnte nie dahinter etwas Böses wohnen (Abb.
2). Die Freude an der Arbeit leuchtet aus ihnen wie einst auch aus den
Menschenaugen. Unsere Zeit aber hat die reine Freude an der Arbeit
vielfach eingebüßt, nur um des Gewinnes willen, in der Fron des Alltags
wird sie getan. Das aber prägt sich auch aus in den mürrischen Mienen,
den unfrohen Gesichtern, denen das durchsonnte Leuchten beglückender
Arbeit fehlt.
[Illustration: Abb. 2. =Winzerhaus Lotter=, Winzerstraße]
Auf den Torpfeilern ruhen oft Steinkugeln, sie mahnen an noch ältere
Zeit, wo man die Schädel erschlagener Feinde, dem Thor und Wode
geopferter Gefangener, hier aufstellte. Wohl meist unbewußt hält hier
der Baumeister einen Rest aus heidnischer Vorzeit fest. Ja, alte
Häuser und alte Bäume erzählen oft mehr als manches Geschichtsbuch.
Und wenn jener Bergahorn mit seiner Steinbank wird doppelt so stark
und breit sein wie jetzt, da haben unter ihm auch Generationen von
Kindern ihre unschuldigen Spiele getrieben, da sind auf der Bank
noch mehr Schwüre der ewigen Liebe getan und dann gebrochen worden
wie jetzt. »Aufrecht geschritten, was frag’ ich noch viel, Leben
und Liebe sind Würfelspiel«, so singt ein moderner Dichter, und das
Würfelspiel des Lebens macht auch vor den stolzen Herrenhäusern nicht
halt! »Bischofspresse« nennt der Volksmund ein Grundstück (Abb. 3),
wenn auch hier zu unrecht die Größen des einstigen Bistums Meißen mit
einem Weinbergsgute in Zusammenhang gebracht werden. In seinem Garten
aber träumt ein kleiner Rundtempel von ferner wehmütiger Zeit. Sechs
Säulen tragen auf kräftigem Balkenwerk eine Flachkuppel in Sandstein,
die hatte einst eine Inschrift: »Uns ward der Tod, den Frevler scheun,
Geburt zum ewigen und edlern Leben.« Vor Jahren stand im Tempel eine
Urne von Stein auf einem Sockel, der trug die Inschriften: »Wenn hier
von uns, die Gott vereint, der letzte auch hat ausgeweint, dann wird
ein freudig Wiedersehn auf ewig unser Glück erhöhn.« Und die andere
Seite: »Der sehnsuchtsvolle Wunsch der Wiedervereinigung, wo keine
Trennung mehr ist, wurde erfüllt den 17. Januar 1820.«
[Illustration: Abb. 3. =»Bischofspresse« in Zitschewig=]
Schauen wir einmal hinein in eines Parkes waldgrüne Nacht. Wie
durchsonnte Vorhänge von gelbgrüner Seide hängen der Parkbäume Zweige
herab, als wollten sie ein trautes Geheimnis hüten, daß es kein Auge
der Welt sehen möge, oder wollen sie verwundete Herzen, die am Sterben
sind, mit Lebensgrün überdecken wie des Kirchhofs Gräber? Ich weiß es
nicht, weiß nur eins, daß es Sorge und zerschlagenes Glück in Hütte
und Palast gibt und daß das Trümmerfeld der Hoffnungen nicht ein
Eigengebiet des einfachen Mannes ist.
[Illustration: Abb. 4. =Winzerhof bei der Friedensburg=]
Der Mond aber ist weitergewandert über den jenseitigen Bergen, und in
den Büschen bei dem alten Winzerhaus (Abb. 4) schlägt eine Nachtigall.
Singe, du kleiner feiner Sänger der Nacht, singe von Liebe und Frieden
im Menschenherzen, singe von Glück und goldenem Leuchten, das trotz
alledem doch tags und nachts über die alte Erde geht.
M. D. Pöppelmann und die Zwickauer Torbrücken
Von Regierungsbaumeister Dr. _Weißbach_, Holzminden
Wir leben jetzt in den Tagen, in denen der Name Pöppelmann uns
besonders nahegerückt ist. Es geht um die Erhaltung des Dresdner
Zwingers, des großartigsten Werkes dieses fürstlichen Baumeisters.
Während der Zwinger weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt und
berühmt ist, sind andere Bauten Pöppelmanns teils weniger bekannt,
teils vergessen, weil sie entweder nicht so bedeutend oder schon wieder
verschwunden sind (Augustusbrücke). Manches kann ihm auch nicht mit
Sicherheit zugesprochen werden. Viele kleinere Arbeiten sind naturgemäß
überhaupt nicht bekannt geworden. So auch seine Vorschläge für die
Torbauten in Zwickau.
Wie aus folgendem zu ersehen ist, erstreckte sich Pöppelmanns Tätigkeit
nicht nur auf die Hauptstadt. Als Oberlandbaumeister hatte er auch auf
andere Städte gewissen Einfluß. Das beweisen zwei wenig umfangreiche
Aktenstücke[1] im Ratsarchiv der Stadt Zwickau. Es handelt sich um den
Umbau der Stadttore.
August der Starke hatte ein selten feines Kunstverständnis und verband
damit eine großzügige Art die Mittel für seine Bauten bereitzustellen.
Auf diese Weise war Pöppelmann Gelegenheit gegeben, sein ganzes
Können zu entfalten. Anders war es in Zwickau. Da konnte nicht so aus
dem vollen gewirtschaftet werden. Und wenn schon einige Ratsherren
Sinn für das Schöne hatten sowie den Wunsch, die Pläne Pöppelmanns
durchzuführen, so wurden sie doch von den sorgsamer rechnenden
Stadtvätern überstimmt. Die Vorschläge des Oberlandbaumeisters
konnten der Kosten wegen nicht verwirklicht werden. Doch ist diese
Tatsache insofern ohne Belang, als die Tore schon in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Schleifung der Befestigungswerke und
infolge der Ausdehnung der Stadt und der Steigerung des Verkehrs
wieder verschwinden mußten. Aber in den genannten Akten sind uns
die Zeichnungen erhalten geblieben. Der zugehörige Schriftwechsel,
ergänzt durch die Beschlüsse in den Ratsprotokollen, eröffnet uns ein
anschauliches Bild von der Tätigkeit und dem sicheren künstlerischen
Urteil Pöppelmanns.
Die vier Stadttore (das Niedertor im Norden, das Obertor im Süden, das
Frauentor im Westen und das Tränktor im Osten) hatten vor den Tortürmen
halbrunde Bastionen (»Rondells«), die in den Graben vorsprangen. Je
eine hölzerne Torbrücke führte, aus festungsbaulichen Gründen seitlich,
in jedes »Rondell«. 1712 beschloß der Rat, diese Brücken nach und nach
steinern auszuführen, weil, wie es in einem Schreiben vom 3. April
1719 an Pöppelmann heißt, »die über die Stadtgräben allhier gehenden
hölzernen Brücken sehr kostbahr zu erhalten und zu deren Reparatur fast
keine Brückenbäume mehr in der Nähe umbs Geld zu haben sind, ... Steine
und Kalch umb einen billichen Preiß allhier zu erlangen.« 1716 war als
erste die Obertorbrücke durch eine steinerne ersetzt worden. Im selben
Jahre wurde beschlossen, auch die Niedertorbrücke zu erneuern. Doch
sollten da gleichzeitig Veränderungen am Tor vorgenommen, der Eingang
in die Mitte des Rondells, die Torschreiberwohnung seitlich verlegt
werden. »Ob aber deswegen allerunterthänigster Bericht einzusenden,
stünde dahin; es dürfte solches eine kostbare Commission nach sich
ziehen und darum eben nicht vonnöthen sein, weil zum Bau nichts von
Vestungsbaugeldern gegeben würde, sondern man von eigenen Kosten
bauete, die Stadt auch vor keine Vestung Iziger Zeiten Beschaffenheit
nach gehalten würde.« Am 3. April 1719 ließ man »wegen Transferierung
des Thors und der Aufzugbrücke ... wenigstens des Herrn Ober Land
Baumeister Pöppelmann Gutachten ... einholen«. Ein Maurermeister
wurde mit dem obenerwähnten Brief, den »gefertigten Abrißen« und
zwölf Thalern nach Dresden geschickt. Am 7. April 1719 antwortete
Pöppelmann: »Hoch Edle, Hoch- und Wohlgelahrte, Hochgeehrteste Herren.
Dieselben haben das Vertrauen gehabt, in ihrem Vorhabenden Baue mich
zu Consellieren Beliebet, auch den Mäurer Meister abgeschicket, damit
er desto mehrere Kundschaft einziehen möge. So habe Beyliegenden Riß
(Abb. 1) Verfertiget, denen Conducteurs Vorgezeichnet, die Sich vor das
überschickte dienstl. Bedanken thun. Die vielen vorhabenden Baue haben
nicht zulaßen wollen mehren Fleiß anzuwenden. Der pfeihler, welcher in
des Mäurer Meisters Riß angedeutet, kan ersparet werden, auch ... von
den Zierathen nach belieben ausgelaßen werden und kan nach diesen Riß
mit Wenigem eine große Parade zu des Königes andenken und Zierde der
Stadt gemacht werden ...«
[Illustration: Abb. 1. =Pöppelmanns Entwurf für die Niedertorbrücke=
(1719)]
Die in Abbildung 1 wiedergegebene Zeichnung ist also nach Pöppelmanns
Angaben (Skizzen) im Oberlandbauamt gemacht worden, und zwar von
seinen Baubeamten (Kondukteuren), denen er auch die zwölf Thaler
zukommen ließ. – Leider ist die Zeichnung vom Maurermeister nicht
mehr vorhanden, so daß kein Vergleich möglich ist. Jedenfalls war auf
dieser ein Pfeiler, ähnlich wie in Abbildung 3 vorgesehen. Pöppelmann
überspannt den Graben mit einer einzigen Bogenöffnung in gefälliger
Form und läßt, wie im Schnitt zu sehen ist, im Brückenbogen eine
Öffnung für die Zugbrücke. Diese gefährliche Stelle sollen nachts die
beiden Brückenlaternen beleuchten. Das Tor, dessen äußere Pilaster
übereck gestellt sind, ist mit kriegerischem Schmuck versehen, mit
Fahnen, Helmen, Panzern, Schilden, Kanonenrohren. Der Schlußstein mit
Krone erinnert an die allerdings bei weitem reichere Ausführung am
westlichen Zwingerpavillon. Wie vorteilhaft würde ein solches Tor an
der glatten Mauer des Festungsrondells gestanden haben! Aber es kam gar
nicht zur Ausführung, weil die Steinmetzarbeiten zu teuer erschienen.
[Illustration: Abb. 2. =Naumanns Entwurf für das Portal an der
Frauentorbrücke=]
Im Ratsprotokoll vom 14. April 1719 heißt es: »Herr Ober Land
Baumeister Pöppelmann hätte die Fortrückung des Niederthors und daß
die Brücke gleich zu gehen möchte (d. h. geradeaus, in die Mitte des
Rondells) approbiret, auch den ihm gezeigten Riß anders eingerichtet.
Man könnte auf diese Weise leichter darzu gelangen und an denen
Kosten ein merkliches ersparen. Weil nun auch dessen Meinung nach es
Ihrer königlichen Majestät wohl gefallen würde, wenn das Thor und die
Brücke nach seinen Gutbefinden gebauet würde, so sollte immer solcher
Bau angetreten werden. – Herr Haupt (Ratsherr) ... ließe sich Herrn
Pöppelmann Riß und Vorschlag gar wohl gefallen, sonderlich würde
es ein Zierrath sein, wenn das Portal vorgerißnermaßen gemachet
würde.« Am 10. Juli 1719 wird beschlossen, das Portal der Kosten wegen
wegzulassen, die neue Toröffnung mit den alten Steinen zu mauern und
»die Zierrathen bis zum Tränkthor, wo die Herrschaften herein zu ziehen
pflegten, versparen.« (Das Tränktor an der Dresdner Straße wurde erst
1800 umgebaut, kommt also hier nicht in Frage.)
[Illustration: Abb. 3. =Der Zwickauer Entwurf für die Frauentorbrücke=]
Der Umbau des Frauentors wurde 1724 beschlossen. Der Rat hat sich
zunächst an den Obrist-Lieutenant und Baudirektor Johann Christoph
Naumann in Dresden gewendet. Er war Baudirektor der Akzis-Behörde.
Weil die Steuereinnehmer- und Torschreiberwohnung verändert werden
sollte, wandte man sich zunächst an ihn. Er übersandte seine »Gedanken«
in zwei Zeichnungen: Ansicht des Tores (Abb. 2) und der Brücke
(ähnlich wie Abb. 3). Am 27. Mai 1726 wurde an Pöppelmann geschrieben
und die Zeichnung, die in Abbildung 3 zum Teil wiedergegeben ist,
mitgeschickt. Er antwortete am 7. Juni: »... Ew. Hoch Edle und Hochw.
übersende beygehend ich den mir zu geschickten Riß des aufzubauenden
Stadt Thores und Brücke nebst einer anderweitigen copey deßselben,
(Abb. 4), in welcher ich meine unmaßgebliche Gedanken und Gutachten
zugleich mit zu erkennen geben wollen. Gleichwie nun nachdem neuen und
von mir entworffenen Riße das Thor sowohl als die Brücke ein beßeres
Ansehen gewinnen dürffte also halte auch dafür, daß es beßer gethan
seyn möchte, wenn nach dem Adjecto sub ~A~ die Brücke gerade fort in
einer Linie gezogen und nicht abhängig gemacht werden solte, maaßen
solches der Brücke selbsten ein gutes Ansehen geben dürffte. Wegen des
Waßer Abfalls aber kan die Brücke von inwendig darnach gepflastert
und das Regen Waßer durch Ausgüße in den Fluß gewießen werden, wodurch
den endlich der ~faciata~ keine Unförmlichkeit zugezogen würde. Wenn
auch ferner an der Brücke ein Gatter Thor, wie ich solches ohngefehr
gezeignet (~B~), gefertigt werden wolte, dürffte solches gleichmäßig
eine formität dem Thore selbsten machen und das Anlaufen derer Leuthe
an die Aufzieh Brücke bey Nachtzeiten verhindern, mithin vielleicht
besorglichen Schaden verhütten ...«
[Illustration: Abb. 4. =Pöppelmanns Abänderungsvorschlag zum Zwickauer
Entwurf für die Frauentorbrücke= (1726)]
Pöppelmann behält das einfache Tor Naumanns bei, gibt aber der Brücke
eine schönere Form. Der schwere Halbkreisbogen wird zum leichteren
flachen Korbbogen und der Knick in der Brüstung fällt weg. Auch die
Pfeiler des »Gattertors« bekommen bessere Verhältnisse und Anläufer
vermitteln den Übergang zur niedrigen Steinbrüstung.
Aber auch dieser Entwurf erlitt dasselbe Schicksal wie der
vorhergehende. Am 13. Juni 1726 wird im Rat beschlossen, »bei dem von
Herrn Baudirektor Naumann gefertigten Riß zu bleiben.« Vielleicht
spielte hierbei die Änderung in der Besetzung des Stadtrates eine
gewisse Rolle. Es waren inzwischen, 1725, die beiden Bürgermeister und
drei andere Ratsmitglieder gestorben, darunter der obengenannte Haupt
und der Vorstand des Bauamts.
Als vor hundert Jahren die Tore und Brücken abgebrochen wurden,
sind also jedenfalls keine bau- und kunstgeschichtlich wertvollen
Gebäudeteile verschwunden.
Es ist immer von besonderem Reiz, einen Blick in die Werkstatt eines
Künstlers zu werfen. Beim Baukünstler heißt das die Pläne, Zeichnungen
und Erläuterungsberichte kennen lernen. Wir haben hier nur einen
kleinen Ausschnitt aus dem großen Arbeitsfeld Pöppelmanns vor uns und
doch entbehrt er nicht einer gewissen Anteilnahme. Wir erkennen auch
aus dem wenigen, wie der Meister der Zweckmäßigkeit und Schönheit in
gleicher Weise Rechnung zu tragen verstand.
Fußnote:
[1] III ~o~ 10~a~ Nr. 1: Acta den Nieder Thor Brücken Bau betr.
1719 und III ~o~ 10~a~ Nr. 2: Acta den Bau einer neuen
Frauen Thor Brücke betr. 1724.
Die Pappel, ein Beitrag zur Gestaltung der Landschaft durch den Menschen
Von _Th. Leuschner_, Dresden-Loschwitz
»Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen« ist der Inhalt eines
dreibändigen Werkes von P. Schultze–Naumburg, das zu der Reihe seiner
»_Kulturarbeiten_« gehört.
Aus der Beschäftigung mit dem Buche ist dieser Beitrag entstanden, ich
habe einmal ernstlich an mir ausprobieren wollen, wozu der Verfasser
durch einen Satz in der Vorrede anregen will: »Aber der Zweck dieser
Bücher ist ja nicht, das Thema enzyklopädisch zu bearbeiten, sondern
sie wollen _erzieherisch_ wirken; und wenn die Bilder einigen die Augen
öffnen für gewisse Fälle, so wird es ihnen ein Leichtes sein, in der
Natur unzählig andere selbst zu entdecken.« –
Unter den sechs Formen, durch die der Mensch als Herr der Welt
bei seinem heißen Bemühen, die Erde seinen Zwecken dienstbar
zu machen, ihr Angesicht – die Landschaft – umgestaltet, nennt
Schultze–Naumburg, an zweiter Stelle die forst- und landwirtschaftliche
Nutzbarmachung der Pflanzenwelt. Hierbei gibt er dem Baum, weil er
starke raumfüllende Eigenschaften hat, einen bedeutenden Anteil, der
Landschaft ein besonderes Gepräge zu verleihen. Er unterscheidet hier
drei Verwendungsarten: Die Massenansammlung im Wald und Park; die
rhythmische Auswertung in Allee, Reihe und Gruppe; die Betonung der
Einzelerscheinung. –
Ich habe nun bei meinem Hineinschauen in die Landschaft den Versuch
gemacht, eine Zeitlang mir recht enge Grenzen zu ziehen. Ich glaubte,
durch ein _inhaltlich kleines Beobachtungsfeld_ inmitten der reichen
sinnverwirrenden Fülle der pflanzlichen Erscheinungsformen _die
Ursachen für die eigenartige Wirkung_ – ich weiß nicht, ob ich sagen
soll die Schönheit – _eines Landschaftsbildes_ empfinden zu können.
Ich suchte mir zunächst solche Fälle heraus, wo der Baum durch seine
rhythmische Verwendbarkeit und als selbständiges Einzelwesen in
der Landschaft gestaltet, um dann zuletzt auf einen Baum mich zu
beschränken: auf die Pyramiden- oder italienische Pappel, wie sie
allgemein im Volksmund genannt wird.
Ich muß sagen, daß der Baum mir dabei lieb geworden ist, vielleicht
ist er auch schon vorher mir etwas wert gewesen im Gegensatz zu denen,
die ihn nie recht haben leiden können. Die Pappel hat _nicht viele
Freunde_. Die einen behaupten, daß sie ein landfremder Baum sei und
darum in unsere Landschaft nicht recht passe. Anderen wird sie zu
schnell alt, sie sterbe zu zeitig von oben herein ab, die dürren,
abgeschälten Spitzen wollen ihnen an dem sonst grünen Baum nicht
gefallen. Manche wollen den Baum nicht in der Nähe des Hauses haben,
er ziehe den Blitz an, bei großem Sturme beschädigten die sich stark
biegenden Äste das Dach. Und nicht die wenigsten betonen mit wichtiger
Miene, sie sauge mit ihren weitgehenden Wurzeln über Gebühr Garten- und
Feldland aus. Und die letzten geben einem Baume nur Daseinsrecht, wenn
sein Holz zu etwas taugt, der Pappel sprechen sie einen Holzwert ab.
Darum sind im Laufe der Jahrzehnte viele Pappeln unter der Axt und der
Säge gefallen und in der Landschaft für immer verschwunden. Das müssen
wir unbedingt als einen Verlust bedauern.
Vielleicht tragen meine Worte und Abbildungen ein wenig dazu bei, ihre
Ehre zu retten, die und jene Pappel – ob alt oder jugendfrisch – vor
gewaltsamem Tode zu bewahren, vielleicht auch dazu, daß man _sich ihrer
Art von neuem besinnt_ und hier und da an Stelle eines anderen Baumes
eine Pappel pflanzt. Gar mancher Naturfreund wird sich freuen, daß er
die Pappel in seinem Garten, an seinem Hoftor, an der Gabelung seines
Feldweges noch als einen herrlich gewachsenen Baum erlebt. Sie wächst
schneller als viele andere Bäume, an deren voller Formenschönheit sich
vielleicht erst sein Sohn, wenn ihn das Schicksal auf dem väterlichen
Anwesen bleiben läßt, erfreuen kann. Und so manches Denkmal in freier
Flur, in blumenreicher Anlage hätte in Kürze treue Wächter und
Wegweiser bekommen, wenn man beim Anpflanzen mit an die Pappel gedacht
hätte. Wir hängen hierbei gern an Tradition. Stamm und Krone einer
Eiche stehen mit der Zeit einem Erinnerungsmal gut zu Gesicht, aber
seine Erbauer erleben oft nicht seine ganze gewünschte und im Entwurf
gezeichnete Schönheit.
Da war Napoleon I. ein anderer! Mit dem Sinn eines genialen Feldherrn
und Ingenieurs hatte er in der Pappel den Baum gefunden, der durch
seine aufragende Gestalt ihm von Ferne seine Heerstraßen anzeigen
würde. Er ließ darum Pappeln links und rechts der militärisch
wichtigen Straßen anpflanzen. Dadurch ist die landläufige Meinung
entstanden, daß er es gewesen sei, durch den die Pappel aus dem Süden
zu uns heraufgekommen sei. Das ist falsch! Auf alten, vor seiner Zeit
entstandenen Bildern können wir den leichtbelaubten Baum schon finden.
Und ist die Pappel nicht auch ein prächtiger Begleiter auf der
Landstraße, der uns hüben und drüben die Aussicht gelten läßt? Die im
Kriege auf Rußlands uferlosen Straßenbreiten haben marschieren müssen,
haben die Leere der Landschaft um sich herum empfunden. Und wenn es nur
hier und da ein aufragender Baumfinger gewesen wäre, der dem Auge eine
weg- und zeitmessende Sicht gegeben hätte!
Freilich Schatten, weit und kühl umfassend, gibt der Baum nicht, er
legt bei tiefstehender Sonne davon nur lange schmale Streifen über die
Straße bis hinüber ins Feld. Will der Wanderer bloß im Schatten seine
Straße ziehen? Dann bleib im heißen Sommer zu Hause!
Dafür aber läßt er die Sonne, unterstützt vom streichenden Wind,
recht schnell die Straße trocknen, wenn Regengüsse und Tauwetter sie
weich und schmutzig gemacht haben. Wird unser Baum in den nächsten
Zeiten seine Freunde finden, die ihn wieder als Wegbegleiter pflanzen
lassen? Wohl nicht! Er bringt nichts an klingender Münze hinein in die
Kassen der Gemeinden und des Staates. Mehr als sonst muß es jetzt wohl
heißen: »Obstbäume an die Straßen!« Ganz recht, aber dann auch an die
richtigen Straßen, an Straßen zweiter und dritter Ordnung, an Feld- und
Verbindungswege! Hier stören sie nicht den Verkehr, namentlich bei der
Erntezeit, hier werden sie selber auch nicht vom Verkehr beschädigt.
Ich sollte also meinen, unsere Pappel hätte doch ein wenig Anrecht,
bei Straßenanpflanzungen nicht übersehen zu werden. Wir in Loschwitz
haben den Versuch gemacht, eine neuangelegte Straße mit Pappeln zu
bepflanzen; und ich glaube, die beabsichtigte Wirkung ist erreicht
worden und ermutigt so zur Nachahmung. Es muß nicht alles vom
»Krämerstandpunkt« aus gesehen und geleitet werden. Aber immerhin: die
Pappel wird sich auch weiterhin nur an den Naturfreund wenden müssen,
dem eine Freude an Schönheit mehr gilt als Geld. –
Unser Baum hat eine Seele, eine _Eigenart der Erscheinung, ein
Eigenleben gegenüber den Kräften der Natur_. Hoch, senkrecht
zielt sie empor, nur die Waldbäume im tiefen Grund überholen sie
in ihrer Sehnsucht nach dem Licht, an Kraft und Höhe. Und dabei
welche Regelmäßigkeit in ihrem Aufbau von Ast zu Ast, jeder Zweig
ist eine Wiederholung des im Alter vorausgegangenen in Gestalt und
im Aufstreben. Leicht beweglich spielen die rutigen Zweige und
langgestielten Blätter im Winde. Und im Sturm gibt sie, die noch junge
lebensfrohe, klug nach, sie beugt sich in ihrem Wipfel tief vor seiner
Gewalt, um sich nicht von dem rohen Gesellen abrackern, zerbrechen
oder gar ausheben zu lassen. Und wenn alles Wetter vorüber ist, steht
sie, die von des Himmels starkem Atem so frei und wild umwoben wurde,
noch ein wenig nachzitternd da: stolz, aufrecht. Und wenn die Pappel
– alt geworden – langsam Jahr für Jahr von oben herein abstirbt, wenn
sich ihr Wipfel nicht mehr spielend bewegt, wenn die starken Äste
oben blattlos und grau in die Luft stehen: ist der Baum darum unschön
geworden? Soll er da gar die Landschaft schänden? Nein, er gibt einen
leisen, besinnlichen Ton von Vergehen und Scheiden hinein in den
vollen Zusammenklang von schöpferischem Licht, von lockenden Farben und
schwellendem Wachstum in Feld und Flur. Du sollst das Leben im Gefühle
der Lust bejahen, auch wenn du seine Vergänglichkeit siehst! –
Mag es sein, daß ich in meiner Freude vielleicht zuviel aus mir
hinein in den Baum trage. Was schadet das? Es ist stets ein frohes,
beglückendes Tun, sich in die Wesenseinheit eines Baumes einzufühlen
und seinem Ton nachzusinnen, den er durch sein Dasein in dem
Zusammenklang von so vielen Erscheinungen eines Landschaftsganzen hören
läßt. Der Ausgang wird hierbei immer verschieden sein, dafür sind wir
Menschen: ein jeder findet in der Natur immer wieder das, was er in
sich hat. So darf ich wohl auch glauben, daß die Gedanken, die ich
meinen »Pappelbildern« mitgeben will, nicht getadelt oder belächelt
werden.
Abbildung 1: _Die Schanzpappeln bei Hosterwitz._ Das Bild reizt die
Phantasie, die Bäume über den Rand hinauswachsen zu lassen bis hinauf
in die beweglichen Spitzen. Aber auch ohne das – sie stehen da an
dem bescheidenen Brückchen wie zwei altgewordene Wächter, fest und
zäh mit dem ebenen Erdreich verwachsen, in dem ihre Wurzeln weithin
verankert sein mögen. So trotzig hart im Ganzen gesehen, und doch so
leicht nachgebend in Zweigen und Blättern. Ich gab dieses Bild als
Erinnerung einem Manne mit, der von uns aus Amt und Würden schied in
den Ruhestand, zu jener Zeit, als im deutschen Lande so viele Geister
wankend wurden und sich wandelten, und schrieb darunter: »Wir wollen
den beiden Bäumen gleichen. Sich treu bleiben! Der Glaube an uns ist
das Geheimnis alles Erfolgs. Ein Gott in dir befiehlt mit seiner Macht!
So nur reißt sich der Strebende aus den Niederungen des Geschickes und
der Zeit empor zur Höhe inneren Glücks. Ich bin durch mein Herz, was
ich bin!«
Abbildung 2: _Das Fährhaus bei Sommershausen._ Im Frankenland am
Main, in der Heimat von Casparis viel gelesener Geschichte aus dem
Dreißigjährigen Kriege »Der Schulmeister und sein Sohn«.
Zwei Altgewordene, die ihre Dienste schlicht und recht, wer weiß wie
lange, getan haben. Sie werden nicht mehr gebraucht, eine steinerne
Brücke mit weitbogigen Öffnungen und gerader Fluchtlinie hat die beiden
für immer abgelöst, abseits stehend sehen sie der neuen Zeit mit ihrem
Verkehr zu.
Eine alte Zeit hat das Haus für den Fährmeister und seine Knechte
gebaut, gehoben auf ein hohes Bollwerk, um es gegen die stoßenden
Eisschollen zu schützen. Seine stattliche Höhe, sein mächtig
gebrochenes Dach zeigten von weitem schon dem Fremden, dem Fuhrmann die
Stelle, wo der Weg hinüber zum anderen Ufer führt.
Und die Pappel hat dann mit der Zeit dabei wacker geholfen. Sie wuchs
über den First hinaus, bis sie zuletzt das Haus bedeutend überragte.
So wurde sie noch eher als das Haus gesehen: ein Wegweiser aus weiter
Sicht. Und die Schiffer begrüßten ihr winkendes Grün, wenn sie,
mit schwerer Last auf Fahrt nach Frankfurt begriffen, um eine der
Mainbiegungen kamen. Ihre ragende schwarze Gestalt, ein schwaches
Laternenlicht in einem der Fenster, haben auch in finsterer Nacht dem
Suchenden die Überfahrt gezeigt.
[Illustration: Abb. 1. =Die Schanzpappeln bei Hosterwitz=]
Das Haus wurde in Sonnenschein und Regen altersbraun, und auch der
Baum – gewiß so alt wie das Haus – verlor die grüne Beweglichkeit der
Jugend, Stürme und kalte Nächte ließen sie von oben herab erschauern.
Aber sie blieben beisammen, als ein Bild aus vergangenen Tagen. Wie
lange noch? Wer geht zuerst davon?
[Illustration: Abb. 2. =Das Fährhaus bei Sommershausen=]
Abbildungen 3 und 4: _Bei Liebshausen._ Eine reichgesegnete Landschaft
am südlichen Rande des böhmischen Mittelgebirges: weite ebene und
sanftansteigende Ackerflächen, fruchtbar, voll Weizen und Zuckerrüben;
jeder kleine Weg, jede Straße mit Obstbäumen bepflanzt, selbst die
Feldflächen in geradlinigen Reihen mit ihren runden Kuppen durchzogen.
Wohin das Auge schaut: Fruchtbarkeit des Bodens und Fleiß der Bewohner.
Aber auch eine von der Natur allein ins Großzügige, ins Gewaltige
gesteigerte Landschaft: die weite wellige Ebene wird umrahmt von
seltsam geformten Bergen, unter denen nur drei der bekanntesten
genannt sein mögen: Hoblik, Ranneyer Berg und Milleyer Berg. Da sie
vom Fuße bis oben auf den langgestreckten Gipfel nur mit einer immer
kurz bleibenden, von den Schafen fortwährend abgefressener Grastrift,
beinahe ohne jede Strauch- und Baumgestalt, bedeckt sind, heben sich
ihre scharf umrissenen Linien und Flächen fast trotzig drohend und
gerade darum den Wanderer anziehend vom weiten Horizont ab. Und in
welch farbigem Duft stehen sie manchmal da, wenn Sonne und Wolken die
Luft malen!
[Illustration: Abb. 3. =Bei Liebshausen=]
Nun mag der Wanderer stehen, wo er will: gerade hier empfindet er jede
einzelne Pappel wie ein Fanal, das aus den Tausenden von rundköpfigen
Obstbäumen in die Höhe flammt und da und dort das Versteck eines
Gehöftes und die eigentliche Dorfmitte deutlich anzeigt. –
[Illustration: Abb. 4. =Bei Liebshausen=]
An manchen anderen Stellen des schönen unvergeßlichen Nordböhmens
ist mir der Baum gerade zum freundlichen Verräter, zum willkommenen
Anzeiger eines Dorfes geworden. Der Weg führte, durch allerlei
Bäume und reichen Pflanzenwuchs unübersichtlich geworden, dahin,
der Karte nach mußte die Ortschaft nahe sein; und siehe da, aus dem
zusammengeballten Haufen von Obstbäumen grüßte der Baum entgegen, noch
ein paar hundert Schritte, und aus dem Grün tauchten die bescheidenen
Gehöfte auf.
[Illustration: Abb. 5. =An der Naab bei Kallmünz=]
Abbildungen 5 und 6: _An der Naab bei Kallmünz._ Wenn die Bilder
mit den Farben reden könnten, die das Licht der Landschaft zu geben
vermag! Was waren das damals für herrliche Bäume! Sie hätten mich
fortführen können in ein fremdes Land. Aber weg mit solchen Gedanken,
die immer nur vergleichen wollen, die untreu machen wollen. Seien wir
fröhlich, daß es doch eine deutsche Landschaft ist! Eine steile, von
zerbröckelnden Felsklippen aufgebaute Talwand, graugrün das seltsame
Gestein, grau verbrannt die kümmerliche Pflanzendecke, voll gelbem
Staub der Weg, der, kaum gehoben, sich wieder senkt, das schwarze und
doch so weiß glänzende Wasser der Naab – in der staubgeschwängerten
Glut des Sonnenscheins flimmern und blinkern die kleinen Widerscheine
auf den dunkelgrünen, fast ledrigen Blättern der Bäume: und dieser
ganze große Reichtum hineingedrängt und aufgehäuft in einen halbwegs
großen, scharf sich drehenden Bogen des rasch eilenden Flusses.
[Illustration: Abb. 6. =An der Naab bei Kallmünz=]
Abbildung 7: _Im Taubergrund vor Rothenburg._ Unten an der Tauber schon
leise Abenddämmerung. Oben auf der steil ansteigenden Berglehne entlang
noch im Lichte die Stadt, wie ein heilig Jerusalem im deutschen Land,
wie eine vieltürmige märchenhafte Burg. Es zieht den Blick immer wieder
hinauf zu ihr. Und es kann keinen anderen, keinen besseren Baum geben,
der das Auge hinaufleitet, an dem die Gedanken hinaufsteigen, der die
Sicht in so vielen Bildern uns genießen läßt. Und dazu der Gegensatz!
Unten die Bäume alt, müde, vom Zahn der Zeit zermürbt – droben die
Stadt, die, noch im Schmuck der Mauern und der Türme vom alten
Deutschen Reich erzählend, nicht vergeht.
[Illustration: Abb. 7. =Im Taubergrund vor Rothenburg=]
Es mag genug sein mit den Bildbeigaben. Ein paar Hinweise, einige
Fragen will ich noch in aller Kürze andeuten, um zum Nachsuchen
anzuregen. Auf dem stillen Teile des Schillerplatzes in Blasewitz hat
die Gemeindeverwaltung vor Jahren eine Reihe von Pappeln angepflanzt.
Mit Recht? Oder passen die Bäume nicht her? – Der nimmermüde Strahl des
artesischen Brunnens in Dresden-Neustadt läßt sein Wasser in das runde
Becken eines offenen Tempelchens fallen. Um ihn herum stehen Pappeln.
Sind das die richtigen Bäume? Oder hätte der Architekt wieder die
runden Kugeln der Akazien des durch den Neubau im Hintergrund so recht
zerstörten Straßenbildes herbeiholen müssen? – Wir schreiten langsam
das Terrassenufer mit seinen architektonisch zusammengeschnittenen
Bäumen herunter. Wo die Straße dann eben hinführt, stehen zur Rechten
bis zur Brücke ein paar Pappelbäume, etwas dürftig und recht gealtert.
Wer weiß, woher sie stammen. Ist es aber nicht so, als wenn sie die von
uns verlassene Höhe des Sachsenplatzes noch einmal aufnehmen und sie
in uns nachklingen lassen wollten? – In dem Gartenhof des Pillnitzer
Kammergutes ragen zahlreiche Pappeln auf. Tun sie nicht das ihre
damit, daß sie für uns das mittelste und älteste Wirtschaftsgebäude so
ehrwürdig hinstellen, ohne dem Schnitter die Wiese zu nehmen? – Warum
hat der Gartenkünstler seiner Zeit auf den freien Rasenflächen, die
mit ihren farbigen Blumenbeeten das Palais im Großen Garten umgeben,
in den beiden Hälften der kurzen Achse Pappeln angepflanzt? – Wer von
den vielen Besuchern der Sächsischen Schweiz hat die Pappelgruppe
auf dem Eisbecher bei Posta, den alten grünen Wächter an Schumanns
Ziegelei in Wehlen bewundert? – Dort, wo die breite Landstraße von der
Höhe heruntersteigen will nach Possendorf, muß sie eine scharfe lange
Wendung machen. Hier stehen ziemlich eng aneinander eine Pappel an der
anderen, als wenn sie ein durchsichtiges und doch sicheres Geländer für
die rechte Straßenseite sein wollten. –
Es mag mit diesen Beispielen aus der Nähe genügen. Fast möchte ich
wünschen, wir hätten ein Buch voll guter Pappelbilder beisammen,
herbeigeholt aus allen Teilen unseres Landes. Was müßte das bei aller
Gleichheit für eine Summe von Verschiedenheiten geben! Und ich wüßte
ganz gewiß, die Bilder würden einen jeden _zwingen_, an dem Baume
Gefallen zu finden und ihm sein Daseinsrecht als ein eigenartiges Glied
in der heimatlichen Landschaft so lange wie möglich zu wünschen.
Vielleicht trägt meine kleine Arbeit ein wenig dazu bei, der Pappel ein
paar Freunde hinzuzugewinnen.
Der Sonne entgegen!
Eine Frühlingswanderung im östlichen Erzgebirge
Von _H. Funke_
Ebenso plötzlich wie Gewitter und Platzregen über uns hereingebrochen
waren, hatten sich die Wetter verzogen. Zwar standen in der Ferne noch
drohend einige schwarze Wolken, und eine merkliche Abkühlung war nicht
zu spüren, aber wir hofften auf die Nacht, die den Himmel vollends
abräumen und die drückende Schwüle bannen sollte. Frohgemut saß ich
daher mit meiner Wandergefährtin, über Führer und Karte gebeugt, Pläne
für den kommenden Tag schmiedend. »Eine Wanderung ins Böhmerland«
hieß unser Ziel, eine Wanderung, die uns die Eigenart und Schönheit
der Kammregion und des südlichen Steilabfalles unseres östlichen
Erzgebirges vor Augen führen sollte. Von unserem Standquartier bis
zur Grenze waren es nur knapp zehn Minuten Wegs, so daß wir nebenbei
ausrechneten, wie weit, ach weit »ins Land« hinein wir von hier aus in
einem Tage vorstoßen könnten, wenn – ja wenn uns unser Grenzausweis
nicht gebieterisch auf die schmale zehn Kilometerzone beschränkte.
Schließlich fanden wir aber auch auf dem engen Raume so viel, daß der
Tag voll ausgefüllt war. Wir schlugen daher Buch und Karte zusammen und
schieden voneinander mit dem Versprechen, morgen früh Punkt sechs Uhr
aufzubrechen.
Beim ersten Hahnenschrei lugte ich neugierig zum Fensterlein hinaus.
O weh! Das Tal von unten bis oben hinauf ein einziges Nebelmeer!
Noch beschied ich mich. Als sich mir jedoch um fünf und um sechs
Uhr dasselbe trostlose Bild darbot, fing ich an, dem Wettergotte zu
grollen. Es war aber auch fürchterlich. Von den schmucken Häuschen
am Bergeshange war nichts und auch rein gar nichts zu sehen, so daß
ich wirklich zweifelte, ob sie nicht ein böser Zauberer über Nacht
habe verschwinden lassen. Verhüllt war der lenzfrohe Wald mit seinem
herrlich leuchtenden jungen Grün. Die bunte Wiesenpracht, gestern
abend noch unser Entzücken, erschien eintönig, und die Blütenköpfchen
nickten verträumt und verschlafen. Selbst die große Schar der Vögel
blieb heute länger stumm. Nur ein Fink rief wie zum Hohne sein ewiges,
Regen kündendes: Rietsch! – rietsch! vom hohen Ahorn herunter. Und
wirklich, der kleine Kerl sollte recht haben. Kurz nach sechs Uhr
setzte der Regen ein. Der Wind fegte durch die Baumkronen, bog sie hin
und her, schüttelte die Wipfel, jagte die Nebelschwaden auf, trieb sie
gegen die Rücken der Berge und hob sie darüber hinaus. Wir zwei aber
standen unter der Haustür und schauten sehnsüchtig hinaus und hofften
von Minute zu Minute auf Besserung. Aber der Regen trommelte weiter.
Es wurde acht, es wurde zehn Uhr. Jetzt schlug es elf, und unser
Hoffnungsbarometer hatte fast den tiefsten Stand erreicht. Da gegen
zwölf Uhr ein mächtiger Windstoß, die Nebelmassen wurden höher und
immer höher emporgewirbelt, das Tal war frei, der Regen hörte auf, und
die Buschmutter fing an, Kaffee zu kochen.
Nun gab es kein Halten mehr. Was kümmerten uns die Pfützen mitten
auf dem Wege und der weiche, klitschige Boden, was kümmerten uns die
düstren Wolken, die das Himmelsblau noch verdeckten? Wir waren voll
frohen Sinnes und wußten es: Wir ziehen der Sonne entgegen. Vergessen
war all das Trübe des Morgens. Wie die Kinder freuten wir uns der
Wasserperlen auf den Blättern des Frauenmantels und der glitzernden
Regentröpfchen, die an den Halmen der Gräser hängen geblieben waren
und die, Diamanten gleich, in allen Farben aufsprühten, als der erste
Sonnenstrahl sieghaft das eilende Gewölk durchbrach. Hinter den
letzten beiden Häusern von Zaunhaus, wo ehemals der »Zaunknecht« sein
Heim gehabt haben soll, überschritten wir die Grenze, und nun führte
unser Weg in herrlichem Fichtenwalde dahin, der nur von Zeit zu Zeit
den Ausblick auf die umliegenden Höhen und Hänge freigab. Die alten
und jungen Bestände trugen gleicherweise noch schwer an der Last
vorjähriger Zapfen. Ihrer so viele waren es, daß die Wipfel von ferne
ganz rostrot erschienen und wir erst glaubten, die böse Nonne habe sich
auch hier eingenistet.
Wo der Wald lichter ward oder eine kleine Strecke vom Wege zurücktrat,
stellte die Sippe der Beeren sich ein: Heidelbeeren und Rauschbeeren
schon mit grünen Früchtchen behangen, die dunkellaubige Preiselbeere
über und über blühend, so schön, daß wir uns niederbeugten, um die
zierlichen Glöckchen von nahem zu sehen.
Hinter dem Forsthause Kalkofen ward die Talaue flacher. Der Wald
lichtete sich und löste sich seitwärts von uns in lauter Baumgruppen
auf, vor denen wiederum einzelne Fichten gleichsam als Vorposten
aufmarschiert waren. Wir befanden uns im Quellgebiet der Wilden
Weißeritz, inmitten teils trockener, teils mehr oder weniger mooriger
Bergwiesen. Bis dicht an den Wegrand heran drängte sich der stark
duftende Köppernickel mit den fein zerteilten Blättern und den leicht
ins Gelbliche spielenden Dolden. Weiterhin tauchten Riedgräser auf.
Dazwischen lugten die zarten, roten Lippenblüten des Läusekrautes
heraus, und von ganz drüben, wo das kleine Rinnsal die Wasser zu
Tal führte, nickten die weißen Blütenschöpfe des Wollgrases. Wo das
Land trockener wurde, verschwand das bleichgrüne Torfmoos. Das blaue
Kreuzblümchen bildete dichte Rasen, und von der Böschung der Straße
leuchtete uns weiß und rosa das zierliche Katzenpfötchen entgegen.
Langsam stiegen wir zum Kamme empor; denn in weitem Bogen umging
die Straße den vorgelagerten Höhenrücken. Wir kamen jetzt in die
Zugrichtung des Windes. Zwar wehte er augenblicklich nur mit mäßiger
Geschwindigkeit, aber wir fühlten wohl, wie er hier oben zu toben und
zu wüten vermag, wenn er den Bäumen die herbstlich-welken Blätter von
den Ästen und Zweigen zaust. So arg und so oft hat er sein tolles Spiel
mit den Bäumen getrieben, daß sie ihre Äste in der Windbahn weit, weit
von sich strecken, als wollten sie ein großes Unheil abwehren.
Schon grüßte uns das schwarze Kreuz auf seiner einsamen Höhe, und
jetzt, jetzt standen wir oben auf dem Kamme, und der Blick schweifte
sehnsüchtig und suchend hinab in die Tiefe. Noch hüllte sich das
Mittelgebirge in leichten Nebel, aber links und rechts von uns und
unmittelbar zu unseren Füßen glänzte das Land im goldenen Sonnenschein.
Gleich rechts uns zur Seite stieg wie ein mächtiger Eckpfeiler
der Stürmer empor, am Hange halblinks vor uns lagen hingebettet
und sich an den Boden anschmiegend die schindelbedeckten Häuschen
der alten Bergstadt Niklasberg. Wir folgten ihren Reihen, bis sie
sich im Laubgewirr des Hüttengrundes verloren, den die Eisenbahn
Eichwald–Klostergrab–Brüx auf hoher, kühner Brücke überquert. Und
drüben im Südosten sahen wir, vom Schloßberge hoch überragt, die
Badestadt Teplitz, deren heilkräftige Quellen schon manchen von langem,
schmerzensreichen Siechtum erlöst haben.
Jetzt geruhten auch die stolzen Herren des Mittelgebirges den Schleier
zu lüften, und fast urplötzlich stand mit all den spitzaufstrebenden
oder langrückigen Höhen um ihn her der Milleschauer in seiner vollen
majestätischen Schönheit vor uns. Allein der Borschen bei Bilin
enthüllte sich nicht. Er ließ seine mächtige Löwengestalt nur in
unsicheren Umrissen durch den Nebeldunst hindurchschimmern. Wir zürnten
ihm nicht. Fesselte uns doch der reizvolle Wechsel zwischen Berg
und Ebene, zwischen Wald und Feld und dichtgescharten menschlichen
Siedlungen so stark, daß wir wie an unseren Ort gebannt waren. Wir
schauten und schauten und entdeckten bald in greifbarer Nähe, bald in
weiter, weiter Ferne immer neue Schönheiten. Und als wir nach langen
Minuten Blick in Blick tauchten, da spürten wir, wie ein Glühen und
Leuchten auch durch unsere Seele zog.
O Lust, vom Berg zu schauen
Weit über Wald und Strom,
Hoch über sich den blauen
Tiefklaren Himmelsdom!
Vom Berge Vöglein fliegen
Und Wolken so geschwind,
Gedanken überfliegen
Die Vögel und den Wind.
Noch einmal grüßten wir das hochgelegene Neustadt, dann eilten wir
am Kreuze vorbei, wo die Straßen von Norden her strahlenförmig
zusammenlaufen, den Steilhang hinab. Bunte Porphyrfelsen mit winzigen
Kohlenflözen durchsetzt, säumten unseren Weg zur Linken. Zur Rechten
sahen wir tief unter uns die Geleise der Gebirgsbahn Eichwald–Moldau.
So hoch standen wir, daß wir fast glaubten, die Strecke sei
schmalspurig angelegt. Wir berichtigten jedoch unseren Irrtum, als
wir uns gleich darauf fast senkrecht über dem schwarzen Mundloch des
Hirschbergtunnels befanden. Von hier aus folgten wir mit dem Blicke
dem Schienenstrange, der sich lang, lang hinzog, oft frei am Hange
liegend, oft auch links und rechts von Felsen eingeschlossen. Wir bogen
kurz nach Osten um und standen unmittelbar darauf am Fuße einer der
gewaltigen Stützmauern, die ein Abrutschen des Bahnkörpers verhindern
sollen. Oben am Bahnhof Niklasberg überschritten wir die Schienen, um
des weiteren einem schattigen Waldpfade zu folgen. Bald gelangten wir
auf eine Schonung, wo junge Fichten und harzduftende Lärchen zwischen
Heidekraut und hohem Grase zum Lichte emporstrebten. Nun ein letzter
Anstieg, und wir betraten die Porphyrklippen des Warteck. Wieder
weidete sich das Auge an der von Sonnenglanz und Himmelsblau verklärten
Landschaft, die wir jetzt weiter nach Osten zu überblickten. Greifbar
nahe, in allen Einzelheiten erkennbar, ragte der Mückenberg gar keck
vor uns auf, gerade so, als müßte es jeden Tag so sein und als wären
ihm Wolken und Nebeln immer bekannte Gesellen. Täusche uns nicht! Wir
schwören feierlich, daß es vor wenig Stunden auch um deine Höhe braute
und brodelte, als wärest du eingehüllt in Qualm und in Rauch.
Wie von selbst wurden unsere Gedanken auf die wechselvollen Geschicke
unserer Umgebung hingelenkt. Wir durchmaßen im Fluge die Jahrmillionen
und versuchten, die Landschaft als das Ergebnis eines gewaltigen,
ewigen Werdens und Vergehens zu begreifen. Fast am Ende der schier
endlosen Entwicklungsreihe erschien der Mensch und versuchte, mit
seiner schwachen Kraft und seinem überlegenen Geiste bestimmenden
Einfluß auf die Natur zu gewinnen. Und jetzt tauchten sie vor unserem
Auge in langer Reihe auf: die kühnen Männer, die ihre Axt zuerst in
die Stämme der unwirtlichen Wälder schlugen, die Bergleute, die mühsam
ihre Stollen gruben, um in harter Fron den Geistern der Tiefe die
kostbaren Schätze zu entreißen. Waffenstarrendes Kriegsvolk strebte
vom Kamme hinunter in die Ebene und von der Ebene wieder empor zur
Höhe. Friedliche Kaufleute führten wertvolle Güter auf hochbepackten
Frachtwagen zu Tal. Wetterharte Fuhrleute aus den Dörfern am Kamme
verfrachteten aus den Schächten drunten die Braunkohle weit, weit
hinein ins Sachsenland. Langsam kroch ihr schweres Gefährt zur Höhe
empor. Oft mußten die schweißtriefenden Tiere rasten, um neue Kräfte zu
sammeln für den weiteren Anstieg. Frauen und Männer, den Korb schwer
mit Mehl oder Obst beladen, suchten auf steilem Fußpfade abseits von
der Straße die Höhe zu gewinnen. So spannen wir unsere Gedanken weiter
und waren der Gegenwart entrückt, bis uns der herankeuchende Zug aus
unserem Sinnen aufschreckte.
Wir griffen flugs zum Stabe und folgten dem schmalen Steige, der sich
bald im Hochwalde verlor. Die Äste der Fichten reichten von einer Seite
zur anderen hinüber, als wollten sie sich fassen und bildeten ein
natürliches, nur etwas niedriges Dach, unter dem wir im kühlen Schatten
dahinwanderten, bis wir an den Rand einer Wiese gelangten. Fast jäh
senkte sich hier der Pfad hinab, und Steine, klein und groß, eckig und
rund, lagen genug umher. Aber tapfer hielt meine frohe Gefährtin aus,
ein paar Sprünge, wieder ein Überqueren der Geleise, und wir standen
vor dem Bahnwärterhäuschen, das wie ein rechter Luginsland hier oben an
dem Hange gebaut ist. Wie zum Lohne für den mühsamen Abstieg gewannen
wir bald die gut gehaltene Fahrstraße, die uns immer im herrlichsten
Forste bis nach Eichwald hinabführte. Jetzt schrillte der Fink nicht
mehr sein eintöniges Rietsch! Rietsch! Wohl aber rief der Kuckuck bald
von ferne, bald ganz nahe bei uns, und die Sonne meinte es herzlich
gut mit uns und bräunte uns Wangen und Hände, wenn sie uns in einer
Lichtung erhaschen konnte. Leicht und froh schritten wir dahin. Es
war uns, als sollten wir immer so weiter ziehen Seite an Seite, immer
weiter in den wonnigen Tag hinein, wortlos, wunschlos – wanderselig.
Aber da tauchten schon die Häuser von Eichwald auf. Wir waren am Ziel.
Ein Blick auf die Uhr belehrte uns, daß wir den Zug nach dem Gebirge
noch erreichen konnten. Für 1.80 Kronen lösten wir uns eine Fahrkarte
nach Neustadt. Die Wagen waren dicht besetzt, vor allem an der Seite,
die den Ausblick nach der Ebene und dem Mittelgebirge gestattete. Wir
zogen es daher vor, im Gange zu bleiben, und unter Anwendung aller
nur möglichen Kreisbewegungen gelang es uns auch, unseren Stehplatz
am Fenster zu behaupten. Jetzt wurden die Abteile abgeschlossen, ein
kurzes Signal – die Lokomotive zog pustend und schnaubend an. Wir
fuhren bergwärts.
Dann und wann gestattete der Wald einen Durchblick nach Süden,
und nicht nur einmal erkannten wir den Weg wieder, den wir vorhin
selbander gegangen. Zur Linken tauchte unser Bahnwärterhaus auf, zur
Rechten ragten hoch über uns die Felsen des Warteck und ehe wirs uns
versahen, hielt der Zug in Niklasberg. Hinter uns drängten sie vorbei
mit Rucksäcken und Körben, die Männer und Frauen, die von der Arbeit
drunten in der Ebene heimkehrten und nun, müde vom emsigen Schaffen,
langsamen Schrittes zu ihren Häuschen hinabstiegen, aus deren Essen der
Rauch als freundlicher Willkomm für die Heimkehrenden emporkräuselte.
Unmittelbar hinter dem Bahnhof Niklasberg gähnte schwarz und
schauerlich der Eingang zum Hirschbergtunnel, der in ~S~-förmiger
Windung auf dreihundert Meter Länge durch den Berg hindurchgebaut
worden ist. Tiefe Finsternis umfing uns. Im Abteil drinnen verstummte
unwillkürlich die Unterhaltung, um erst wieder aufzuleben, als heller
Schein an den Tunnelwänden verkündete, daß uns die Tiefe dem Lichte
wiedergegeben hatte.
Wir sahen die neue Straße in mächtigen Kehren am Hange sich
emporziehen. Eben wollte ich meiner Gefährtin berichten, wie zauberisch
schön es in dunklen Herbstnächten hier oben ist, wenn drunten in der
Ebene die tausend und abertausend Lichtlein aufleuchten und über
uns das sternenbesäte Firmament sich wölbt, da umfing uns abermals
schwarze Nacht. Unser Zug brauste durch den zweihundert Meter langen
Wasserscheidentunnel. Wenige Minuten später hielt er in Neustadt.
Dienstfertig eilte der Schaffner herbei, unser Abteil aufzuschließen.
Froh, der Enge des Wagens entronnen zu sein, wandten wir uns dem Dorfe
Neustadt zu. Durch Wiesen, die der Mahd entgegenreiften, führte unser
Pfad hinauf bis zum buchenbestandenen Gipfel des Stürmers, wo er uns
am südlichen Hange entlang leitete, so daß wir den Blick noch einmal –
so weit Baum und Strauch es gestattete – in die reich gesegneten Gaue
unter uns hinabtauchen lassen konnten. Schon ballten sich merkbar die
Dunstschwaden zusammen, so daß wir manchen Punkt, an dem wir uns wenige
Stunden vorher erfreut, nur mühsam zu erkennen vermochten.
Um so mehr erregten unsere Aufmerksamkeit die Einflüsse der rauhen
Witterung auf die Vegetation hier oben. Da – die gipfelumsäumenden,
kurzstämmigen Buchen mit den breiten Kronen. Ists nicht so, als wollten
sie jedem zuraunen, wie schwere Lasten an Schnee und an Eis sie Jahr
um Jahr tragen müssen? Und hier die Fichten – zerzaust und fast alle
des Wipfels beraubt in grausigen Winternächten, wo der Rauhreif sich
dick um Zweig und Nadeln legte und der Sturm heulend und hohnlachend
die steifgewordenen, schwerbeladenen Glieder brach. Ein Lied, ein
ernstes Lied von hartem Kampf und schwerem Sterben war es, das uns
hier entgegenklang, aber auch ein hohes Lied von zähem Ausharren und
trutzigem, reckenhaftem Heldentum. Glückstrahlenden Auges wies meine
Begleiterin auf die Tausende von Schattenblümchen hin, die ihre feinen
weißen Ährchen verlangend uns entgegenstreckten. Vom Wiesenrande her
schlug jubelnd das Trillern der Lerchen an unser Ohr, und wir jubelten
mit aus voller Brust, jubelten, daß auch wir dem Leben gehörten.
Lang, sehr lang malte die tiefstehende Sonne die Schatten der Bäume auf
Matte und Weg, als wir zum Dorfe Neustadt zurückpilgerten. Hier gingen
wir von einem Häuschen zum anderen und bewunderten die zierlich mit
Schindeln und Latten beschlagenen Giebel, von denen wohl keiner dem
anderen glich. Volkskunst, Heimatkunst aus Heimatliebe entsprossen.
Wir schauten zu den Fenstern hin, aus denen rote Geranien und bunte
Gauklerblumen leuchteten und das fleißige Lieschen uns grüßte, als
wollten sie alle, alle uns künden: »Auch bei uns wohnt das Glück«.
Wir wandten uns nordwärts – heimwärts. Hinter uns, tief unter uns,
weit entfernt, verdeckt durch den Rücken des Stürmers, lag die
vielgestaltige Welt des Mittelgebirges, ragten in der Ebene die
tausend Schlote und Essen. Vor uns, wohin wir schauten, spannten sich
weite, feingeschwungene, große, ruhige Linien. Es erschien uns diese
Landschaft wie das Antlitz eines Greises, dem die Leidenschaft fremd
geworden und dem nur noch die abgeklärte Ruhe des Alters geblieben ist.
In Erinnerungen uns versenkend, folgten wir dem langsam fallenden Pfade
durch Wald und Wiese bis zur Weilersiedelung Kalkofen und dann hinab
ins liebe Vaterland. Still und feierlich zog der Mond am Himmel herauf
und übergoß die Flur mit seinem magischen, bleichen Silberlichte.
Drunten im langgestreckten Wiesengrunde, dicht über den Wassern,
brauten die weißen Nebel, und leichtfüßige Elfen wiegten sich im
nächtlichen Reihen.
Volkskundliches in den Federzeichnungen des kursächsischen
Oberlandbaumeisters Dilich
Von _E. Rich. Freytag_, Borstendorf i. Erzgeb.
Auf der Ausstellung von Lehr- und Unterrichtsmitteln, die anläßlich
einer sächsischen Lehrerversammlung in Plauen veranstaltet worden
war, erregten einige auffallend große, für den Massenunterricht
berechnete Zeichnungen die Aufmerksamkeit der Besucher. Die kräftigen
Zeichnungen, ausgeführt in Holzschnittmanier, doch waren sie auch an
manchen Stellen durch Farbe belebt, stellten Ansichten vogtländischer
Städte aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges vor. Den Herstellern
dieser Vergrößerungen dienten die in den Heften der »Beschreibenden
Darstellung der älteren Bau- und Denkmäler des Königreichs Sachsen«
wiedergegebenen Federzeichnungen kursächsischer Städte und Schlösser
vom Oberlandbaumeister W. Dilich als Vorlage. Mit der Darbietung dieses
zeit- und kostenfordernden Anschauungsmittels bezeugte die Schule
die außerordentliche Wichtigkeit, welche den Städteansichten Dilichs
als Gesichtsquelle zuerkannt werden muß. Erhöht wurde der Lehrgehalt
der vorgezeigten Städtebilder durch die gleichzeitige Vorführung
von Bildern, die die Ansichten der Städte aus der _Gegenwart_
veranschaulichten. Nun konnte man einen Vergleich über das Sonst
und Jetzt mühelos anstellen, und sobald eine solche Übung in der
Schule erfolgt, wird man auch die Ursachen, die solche Veränderungen
herbeiführten, aufzudecken versuchen und so eine rege Teilnahme am
Geschichtsunterricht erwecken. Die Dilichschen Federzeichnungen geben
hierzu reichlich Anlaß. Es war daher ein mit Freude zu begrüßendes
Unternehmen, daß die »Sächsische Kommission für Geschichte«
im Jahre 1907 eine vom Oberbibliothekar Hofrat P. E. Richter
(Dresden) veranstaltete Reproduktion des ganzen Dilichschen Werkes
(hundertzweiunddreißig Aufnahmen) in die Reihe ihrer Schriften aufnahm,
und daß die im Laufe der Jahrhunderte so rege begehrten Zeichnungen,
von denen manche schon, aber meist verkleinert, bekannt geworden waren,
mit vollkommener Treue in Originalgröße wiedergegeben wurden[2].
Die Federzeichnungen des kursächsischen Oberlandbaumeisters haben
insofern für uns eine Bedeutung, als sie für die meisten _sächsischen
Städte die ältesten Abbildungen darstellen_. Sie führen uns
siebenundsiebzig Ortschaften aus der Zeit von 1626–1629 treu und doch
mit künstlerisch gebildetem Auge erfaßt vor. Dilich steht weit höher
als seine Vorfahren auf dem Gebiete der Städtezeichnung. Er bietet
keine trockene und plumpe Häufung von Detail, die noch jede Fähigkeit
zur Komposition vermissen läßt. Dilich war der erste, dem das Stadtbild
als Ganzes etwas bedeutete. Er erfaßte nicht nur die Einzelheiten,
sondern das, was er vom gutgewählten Standpunkt aus vor sich sah, den
»Prospekt«, wie man es damals ausdrückte, als etwas Einheitliches,
durchaus Ganzes. Der Ort war ihm untrennbar von der Gegend, darin
sie wurzelte, nur in und mit dieser will er ihr Bild erfaßt und
charakterisiert wissen. Das Wohlgefallen an der Landschaft, welches
Dilich innewohnte, seine Freude an der schönen Natur, beeinflussen ihn
bei der Wiedergabe der Stadtbilder. Wie malerisch strecken sie sich
am Flußufer hin oder sind eingebettet in den Talkessel. Wieder andere
klettern am Schloßberge in die Höhe oder dehnen sich in der Ebene aus.
Immer ist jedes Bild fein charakterisiert mit Hervorhebung der Stimmung
der Gegend.
Bei allen seinen Städteaufnahmen, mögen manche auch etwas Skizzenhaftes
an sich tragen, überzeugt uns der geschickte Zeichner, daß er in seiner
Kunstfertigkeit mit geringen Mitteln viel zu sagen weiß, daß er, selbst
ein Baukünstler, als solcher die Bauwerke anschaut und mit sicherer
Freiheit wiedergibt.
Durchblättert man die schön ausgestatteten drei Bände der
Federzeichnungen, so hat man den Eindruck, dem Dilich Ausdruck gab
in der Vorrede zu seiner ebenfalls mit Stadtansichten von seiner
Hand ausgestatteten hessischen Chronica: »Dem äußerlichen Ansehen
nach sind sowohl die Dörfer als Städte ansehnlich wegen ihrer hohen
Kirch- und anderen Türme und den beiliegenden hohen Berghäusern und
Schlössern, inmaßen denn wenig Städte, bei welchen nit etwa ein solch
Haus und prächtig Gebäu zu sehen oder zum wenigsten ein Antiquität und
Anzeigung eines alten Gemäuers von denselben noch übrig, wie solchs
aus beigesetzten Abrissen klärlich erscheinen. So sind zudeno alle
Städte mit hohen Mauern und Türmen, wo nicht mit einem Wall und Graben,
zum wenigsten mit einem Hagen von Dornen umgeben.« Wenn der begabte
Zeichner aber weiter fortfährt über die im Hessenlande angeschauten
Orte zu berichten, »daß man auf den Hügeln um die Städte zerfallene
Türme und Warten sehen könnte, so vor etlichen hundert Jahren wegen
des vielfältigen Streifens dero Reisigen von Städten, dem Ackermann
des Feindes Ankunft darvon durch gewisse Zeichen anzudeuten und ihn
zur Flucht anzumahnen, erbauet habe,« so findet dieser Hinweis keine
Anwendung auf die Darstellungen kursächsischer Orte. Auf diesen sind
zerstörte Burgen, Trümmer von Stadtmauern, »Rudimenta«, wie Dilich
sich auszudrücken beliebt, nur einigemal zu sehen. Fast immer sind
die Befestigungswerke in tadellosem Zustande, und die stattlichen
Türme der vielen stilvollen Gotteshäuser verstärken den Eindruck, daß
auch die Bevölkerung Kursachsens einen hohen kulturellen Aufstieg
erlangt hatte. Noch ist alles unverletzt und zeugt von Wohlhabenheit
und Gediegenheit. Die Stätten, wo die wehrhafte Bürgerschaft sich
den Freuden der Geselligkeit hingaben, lassen ihr behäbiges Genießen
und ihre hochgemute Lebensführung erkennen. Aber schon warf die
Kriegsfurie ihre Schatten in das Künstlerschaffen Dilichs. Seine
festgesetzte Entschädigung kann ihn bei der durch die Kriegsnot
heraufbeschworenen Geldknappheit und der zerrütteten Finanzen nicht
mehr rechtzeitig ausgezahlt werden. Nur wenige Jahre, nachdem er seine
Stadtbilder vollendet hatte, lagen viele der Orte, deren »Prospekt«
der Oberlandbaumeister aufgenommen hatte, in Schutt und Asche und der
Wiederaufbau der eroberten, niedergebrannten und verwüsteten Städte,
Dörfer, Schlösser und Burgen zeigte dann ein wesentlich verändertes
Bild.
Die Wirkung der meisten Ortschaften, die sich damals ohne störende
Einflüsse einer harmonischen Entwicklung und Ausgestaltung erfreuen
durften, muß auf den Beschauer eine ausgesprochen malerische gewesen
sein[3], so daß eine farbige Wiedergabe der Federzeichnungen in dem
Bogen der stichbogig gewölbten Decke des Riesensaales im kurfürstlichen
Schlosse vom künstlerischen Standpunkte aus vollkommen berechtigt war.
Sowohl die Anordnung in der Landschaft, zwischen Berg und Tal, die
Ausschneidung der hohen und niedrigen Gebäude, ihre Einbettung
zwischen den Schutz- und Obstbäumen, als auch der Farbenkontrast der
grauen Schindel- oder gelben Strohdächer, der braunen Lehmwände,
der roten Ziegel und der grünen Spaliere der Weingeleite und
Baumwipfel, mußten ein ungemein reizvolles Bild darbieten. Manche im
Vordergrunde der Zeichnungen zu erblickenden Gebäude lassen an der
Außenseite Erscheinungen erkennen, die ihre besonderen tektonischen
Bedeutungen haben. Schlösser, Türme und hervorragende öffentliche
Gebäude mit ihren kunstvollen Giebelverkleidungen geben, obwohl die
Wiedergabe der architektonischen Feinheiten nur sehr klein und zart
gehalten werden mußten, zahlreiche Aufschlüsse über die Geschichte
der Baukunst in Sachsen. Bohlenstühle oder Umgebinde der Häuser mit
ihrem mannigfaltigen Verspannungs- und Aussteifungssystem, die in
Bogen-, Wellen- oder Zackenlinien ausgeschnittenen äußeren Ränder der
Giebelverschalungen, Laubengänge und anderes, lassen sich unschwer
erkennen.
[Illustration: Abb. 1. =Königstein=]
[Illustration: Abb. 2. =Hohnstein= (Sächs. Schweiz)]
[Illustration: Abb. 3. =Mildenstein=]
[Illustration: Abb. 4. =Wappen der Bergstädte=]
Die _Ummauerung_ ist, wenn auch nicht überall, so doch bei den
meisten Städten zu bemerken. (S. Abb. 1, 2 und 22.) Sie besteht aus
Wall und Graben oder (was selten zu sehen ist) einem Zaun von
hölzernen Planken und Pfählen, vielfach aber auch aus einer festen,
die eigentliche Stadt scharf von den Vorstädten scheidenden Mauer. Die
Bauweise derselben ist überall die nämliche: eine starke, unmittelbar
die Stadt umschließende Innenmauer, mit Türmen, Wiechhäusern, Erkern,
Wehrgängen, Scharten, Bollwerken (Basteien) und Toren versehen, ist
der Hauptteil, an sie schließt sich eine meist später errichtete
und durch den sogenannten Zwinger von jener getrennten niedrigere
Außenmauer an. Gewissenhaft verzeichnet Dilich unter seinen Zeichnungen
neben den Namen der Kirchen und öffentlichen Gebäude auch die der
_Tore_. In der bei vielen Städten verfolgbaren Vierzahl lassen sie den
uraltertümlichen Einfluß der vier Himmelsgegenden erkennen. Neben den
Stadttoren, als dem wichtigsten Teile der Stadtmauer, erscheinen auch
Nebentore, Mauerpforten, die ebenfalls bedeutungsvolle Namen führen.
Die sich vorfindende Bezeichnung der Tore nach Innungen, Zünften und
Gilden läßt wohl vermuten, daß dieser Teil der Stadtumwallung von einer
gewissen Klasse der Bürgerschaft zu verteidigen oder zu unterhalten und
zu erneuern war. Der Name dieser Tore oder Türme läßt vielfach auch
einen Schluß auf die Bauart und Beschaffenheit derselben zu.
[Illustration: Abb. 5. =Schießhaus zu Borna=]
[Illustration: Abb. 6.
~a~ Kurf. Haus. ~b~ Kurf. Bad. ~c~ Gemeine Bäder. ~d~ Wohnung f.
Badegäste. ~e~ Wohnung d. Kochs u. Stall. ~f~ Weg n. Annaberg. ~g~ Weg
n. Wolkenstein]
[Illustration: Abb. 7. =Gericht bei Bischofswerda=]
[Illustration: Abb. 8~a~. =Galgen= (Camberg)]
[Illustration: Abb. 8~b~. =Galgen= (Liebenwerda)]
Die _Siegel der Städte_ (siehe Abb. 4), welche ebenfalls Dilich
seinen »Stadtprospekten« und zwar in meisterhaft gelungenen Bildchen
beifügte, lassen ebenfalls erkennen, wie die Stadtmauer mit ihren Toren
als durchaus zum Begriff der Stadt gehörig angesehen wurde, denn die
meisten der zierlichen Stadtsiegel zeigen ein Tor und ein Stück der
Stadtmauer.
Vom _Inneren_ der Städte erlangt man, wie dies bei einer außerhalb des
Ortes gemachten Aufnahme nicht anders sein kann, keine oder nur eine
sehr geringe Einsicht. Der Verkehr ist in keiner Weise zur Darstellung
gekommen. Es lag dies auch nicht in der Aufgabe des Künstlers. Die
hübschen Personengruppen auf einem der die Ansicht von Leipzig
wiedergebenden Prospekte zeigen mehr das Streben, über den bloßen Abriß
hinaus zu einem wirklichen Bild zu gelangen. Einen besonderen Reiz
erlangen die Dilichschen Städtezeichnungen durch die Darstellung der
Baulichkeiten, in denen sich die Vereinstätigkeit der organisierten
Schützenbrüderschaft ihr Übungsfeld auserkoren hat. Die Schützengilde
besitzt draußen vor der Stadtmauer einen großen umfriedeten Platz, der
eine hohe, auf einer wohlbefestigten Balkenbasis stehende Stange zeigt.
Etwa sechshundert Fuß davon entfernt befindet sich die Zielstatt, das
_Gesellschaftshaus_ der _Bürgerschützen_ (s. Abb. 5), ein Holzbau mit
Türen und Stockwerken. Die hohe Stange deutet darauf, daß nach einem
hölzernen Vogel, einem uralten Ziele[4], geschossen wird, doch lassen
auch andere Abbildungen der Schießübungsstätten eine Schießmauer oder
eine schwebende Scheibe erkennen. (Adorf.) Besonders gravitätisch
stellt sich die Vogelschießstange vom Bade Wiesenbad (Hiobsbad) bei
Annaberg dar. Sie diente den Schießübungen der Wettiner, wenn diese
in dem fürstlichen Bade weilten, was häufig geschah. In Ausübung
dieses ritterlichen Sportes waren die Nachkommen des kriegerischen
Moritz von jeher eifrig und geschickt. (Abb. 6.)
In entgegengesetzter Richtung dieser Stätten, die den in den Städten
erwachten Volksgeist und die Freude an gemeinsamer Festlust bekunden,
zeigt Dilich auch auf seinen Bildern _den_ Ort, den Unheimlichkeit
und Schimpf umgaben, den =Galgen=. (S. Abb. 7, 8~a~, 8~b~.) Auf allen
Städtebildern darf ja diese bekannte Silhouette: der Galgen, nicht
fehlen, und Dilich findet sogar den Mut, auf einer Zeichnung einen
Gehängten mit seinem ganzen Graus und Schrecken hineinzuschmuggeln. Die
Galgen haben verschiedenes Aussehen. Bald sind es die ganz einfachen
Formen des Knie- oder Winkelgalgens, mit böser Ironie schlankweg
»einschläfriger« geheißen, oder es sind reichgegliederte, auf Säulen
oder Mauerwerk ruhende Balkenverschlingungen, an denen die armen Opfer
»in der Luft reiten« oder »über sich die Luft zusammenschlagen lassen«,
wie der grimme Spott im Mittelalter zu sagen pflegte. Die hohen und
festen Mauern um den Galgen haben wohl das Entwenden der Leichname
seitens der Verwandten zwecks Beerdigung unmöglich machen wollen, denn
indem die alte Justiz den Gehängten über der Erde verwesen ließ – den
Vorüberziehenden zum Schrecken und zur Freude der Aasgeier – hat sie
den Schmerz der Angehörigen vermehrt, die Strafe und deren Schimpf
verschärft.
[Illustration: Abb. 9 =Elbbrücke in Dresden, daneben ein Stück Festung=]
[Illustration: Abb. 10. =Muldenbrücke bei Rochlitz=]
[Illustration: Abb. 11. =Frankenberg=]
[Illustration: Abb. 12. =Muldenbrücke=]
Die grausame Strafe des _Räderns_ scheint im Jahre der Anfertigung
der Städteansichten in Sachsen nicht mehr üblich gewesen zu sein,
da das aufgespießte Rad nirgendwo von Dilich neben dem Gerüste des
Hochgerichtes gezeichnet worden ist.
Die Federzeichnungen gewähren vielfach den Anblick von _Brücken_. (S.
Abb. 9–17, 20.) Diese sind sehr verschiedenartig gebaut. Steinerne
Brücken mit kühnen Bogen erscheinen ganz selten. Die Brücke über die
Elbe in Dresden zeichnete sich von jeher aus und galt im Zeitalter der
Entstehung der Städtebilder Dilichs schon als große Sehenswürdigkeit
und als Wahrzeichen der Residenzstadt. Außer dieser Steinbrücke hat
die Bildersammlung kein nennenswertes Monument der Brückenbaukunst
aufzuweisen[5]. Wir sehen meist Pfeilerbrücken, die auf steinernen
Pfeilern ruhen und wo die Zwischenräume mit Balken überdeckt sind.
Nicht selten sind Pfahl- oder Jochbrücken. Angenehm wirken die
überdachten Brücken. Die Wände, die das Dach der Brücke tragen, sind
mit Ausblicken, Lucken und Luftlöchern versehen. Schützende Geländer
fehlen meist. Bei niedrigen Ufern, wo man das Austreten des Wassers
über dieselben zu fürchten hatte, ist vielfach die Brücke noch weiter
in das anliegende Acker- oder Wiesenland fortgeführt.
Den Vordergrund beleben, allerdings nur auf wenigen Bildern,
_Personen_. Auch diese sind lebendig und treu charakterisiert. Auf
dem schönen Bilde Marienberg ist es ein zur Arbeit schreitender
Bergmann[6], der die Staffage belebt. Am Strande der Elbe bei Pirna
deuten barfüßige und mit großer langer Badehose bekleidete Schiffer
oder Fischer ihre Tätigkeit am und im Wasser an. Einige schlichte
Männer sind in der Stellung mit ausgestrecktem Arme und Zeigefinger
festgehalten, das sind die vom Rate der Stadt dem Städtezeichner
zur Verfügung gestellten Einheimischen, die dem kurfürstlichen
Oberlandbaumeister die Namen der hervorragenden Gebäulichkeiten nennen
und deuten. (Abb. 18~a~, ~b~, ~e~ und ~f~.) Gewissenhaft versieht der
Zeichner an passender und die Zeichnung nicht störender Stelle die
besonders sich kenntlich machenden Bauten mit einem Buchstaben und
verzeichnet getreu dann am Rande des Bildes seine Bedeutung. Aber was
bedeutet das im Vordergrunde des Stadtbildes Zwönitz in der spanischen
Tracht eines Edelmannes einherschreitende ritterlich zierliche
Männlein, dessen Gesicht von langen Vogelfedern unkenntlich gemacht
ist? Verputzt wie ein Weinbergwärter oder Flurschütze in Tirol? (Abb.
19.)
Eine des öfteren wiederkehrende Gestalt eines rüstig ausschreitenden
Mannes mit umgehängter Tasche und einem Bergstocke (oder Spieß?)
in der Hand deuten wir als einen Brief- oder Postboten, der eben,
als Dilich tätig war, vorüberschritt und nun sofort mit dem Stifte
festgehalten wurde. Vielleicht war damals auch der Postbote eine ebenso
charakteristische Erscheinung in der Landschaft wie der Fleischer-
(Kälber)wagen in Friedenszeiten auf den Landstraßen des Vogtlandes?
(Abb. 18 ~d~ und ~g~.)
Wie fein aber ist der Vordergrund und die Staffage dem Bilde des Bades
Wiesa bei Annaberg (siehe Abb. 6) angepaßt?
Auf einer der fünf sauberen Federzeichnungen von Dilichs Hand, welche
Abbildungen von _Leipzig_[7] aus dem Jahre 1594 bringen, ist der
Zeichner freigebiger mit der Darstellung von Personen gewesen, da sehen
wir im Schatten eines Baumes ein paar Studenten in bemerkenswerter
Tracht, von denen der eine am Boden sitzend, lebhaft aus einem Buche
vorliest, der andere dem Vorlesenden zuhört, rechts ebenfalls ein
paar männliche Figuren am Boden gelagert, von denen der eine mit der
Bütte als Bauer, der andere mit dem abgelegten Schwert als Soldat
gekennzeichnet ist.
Nachdem wir auf die Bedeutung der Städtezeichnungen Dilichs für die
Kenntnis des Zustandes und der äußeren Verfassung kursächsischer Orte
und Schlösser vor dreihundert Jahren hingewiesen haben, fügen wir
noch einige Mitteilungen über die Geschichte der Entstehung dieser
bemerkenswerten Zeichnungen bei.
[Illustration: Abb. 13. =Muldenbrücke= bei Grimma]
[Illustration: Abb. 14. =Muldenbrücke= bei Grimma]
[Illustration: Abb. 15. =Elbbrücke= bei Mühlberg]
[Illustration: Abb. 16. =Muldenbrücke= bei Düben]
[Illustration: Abb. 17. =Elbbrücke= bei Meißen]
[Illustration: Abb. 18~a~.]
[Illustration: Abb. 18~b~.]
[Illustration: Abb. 18~c~. =Bergmann= (Marienberg)]
[Illustration: Abb. 18~d~. =Postbote=]
[Illustration: Abb. 18~e~.]
[Illustration: Abb. 18~f~.]
[Illustration: Abb. 18~g~. =Bauer=]
[Illustration: Abb. 18~h~. =Postbote=]
[Illustration: Abb. 19. =Staffage= (Zwönitz)]
[Illustration: Abb. 20. =Brücke über die Elster in Plauen=]
[Illustration: Abb. 21. =Dilich der Städtezeichner auf der Reise=]
[Illustration: Abb. 22. =Dorf Plauen= bei Dresden. Befest. Ort]
[Illustration: Abb. 23. =Bergwerke bei Freiberg=]
[Illustration: Abb. 24. =Schmelzhütten an der Zschopau bei
Wolkenstein=]
Der im Jahre 1571 in einem hessischen Städtchen geborene Zeichner
wurde kurze Zeit nach seiner Anstellung in Sachsen mit der Herstellung
der Pläne und Anschläge für den Neubau des Riesensaales im Schlosse zu
Dresden beauftragt. Er schlug vor: »zuförders oben in dem Bogen der
stichbogig gewölbten Decke die kur- und fürstlichen auch gräflichen
Wappen, unten aber in dem Fries die der kursächsischen und meißnischen
Ritterschaft anzubringen, zunächst über dem Hauptgesims aber die
Contrafukturen der vornehmsten Städte des Landes Meißen und des
Kurkreises (eine jede nach ihrer Qualität) mit einem gebührlichen
Emblemata condecoriret usw.« Die Vorschläge Dilichs fanden die
Genehmigung und den Beifall des Fürsten, der auch alle die Wünsche
und Forderungen bewilligte, welche seitens des Oberlandbaumeisters –
diese Würde hatte ihm der einsichtsvolle Landesherr in Berücksichtigung
seiner Verdienste als Zeichner, Architekt und Ingenieur verliehen
– zwecks der Aufnahmen geäußert worden waren. Obwohl bereits
fünfundfünfzig Jahre alt, erklärte sich Dilich, in dem der Trieb zum
Wandern, Schauen und Zeichnen lebendig war, wie in seinen jungen
Jahren, bereit, die Städtebilder selbst aufzunehmen. Im Frühjahr 1626
begann Dilich die Aufnahmen im Kurkreise. Im Jahre 1628 ist er im
Meißner Kreis und im darauffolgenden Jahre »im Gebürg« (erzgebirgischen
Kreise) und im Vogtland. Der kunstgeschickte Städtezeichner hat sich
bei einigen Städten nicht mit der Herstellung _eines_ »Abrisses«
begnügt, er machte von Leipzig, Dresden, Torgau, Wittenberg zwei,
drei und auch vier Aufnahmen. Noch erwähnen wir, daß der bekannte
Verfasser und Herausgeber der »Obersächsischen Topographie«, Merian aus
Frankfurt, zwanzig sächsische Städtebilder von Dilich nachweislich als
Vorlage benutzt hat.
[Illustration: Abb. 25. =Schinderei= (Waldheim)]
[Illustration: Abb. 26. =Windmühlen=]
Zu unseren Mitteilungen über die Geschichte der Entstehung der
Städtezeichnungen von Dilich, die wir auf Grund des von Dr. Krollmann
verfaßten Lebensabrisses gaben, fügen wir noch den Hinweis, daß auf
der im »Bilder-Atlas zur Sächsischen Geschichte« von Schmidt und
Sponsel Seite 50 stehenden Abbildung des Riesensaales im Schlosse
zu Dresden die Verwendung der Städtezeichnung bei Benützung eines
Vergrößerungsglases sehr gut erkannt werden kann.
Es war eine einzigartige Betätigung des Heimatgedankens, über
hundertdreißig kursächsische Städte, Burgen, Schlösser, Dörfer und
Badeorte in künstlerisch ausgeführten Bildern wahrheitsgetreu an einer
ausgesucht passenden und viel besuchten Stätte vorzuführen. Zwar
fiel der Riesensaal im Jahre 1704 einer Feuersbrunst zum Opfer, aber
während eines Zeitraumes von siebzig Jahren bot er doch ungezählten
Besuchern die Anschauung hervorragender Sehenswürdigkeiten des durch
landschaftliche Reize reich ausgestatteten Sachsenlandes. Welche
vielseitigen Anregungen und welche wirksamen Belehrungen werden von
diesem Bilderwerk, von dieser vorbildlichen Heimatkunde, ausgegangen
sein! Unsere Gegenwart hat nichts aufzuweisen, das sich diesen farbigen
Vorführungen Kursachsens Örtlichkeiten ebenbürtig an die Seite stellen
könnte. In dem Wändeschmuck der Wartesäle des Dresdner Hauptbahnhofs,
wo auf Porzellantafeln einige der wirksamsten Städtebilder des
Königreichs Sachsen und die besuchenswerten schönsten Punkte des
Landes eine künstlerische Darstellung gefunden haben, hat der Gedanke
Dilichs, den er in der Bilderreihe des Riesensaales verwirklichte, eine
Neubelebung erfahren.
Fußnoten:
[2] Dr. _Krollmann_, der sich bereits um die Veröffentlichung
der Zeichnungen Dilichs, soweit sie das Rhein- und
Hessenland betrafen, große Verdienste erworben hatte,
verfaßte hierzu einen trefflich orientierenden Text.
[3] Siehe besonders die Abbildungen: Burgen, Schlösser pp.
(Abb. 2 u. 3).
[4] Der Doppeladler stellte wohl das alte deutsche Wappen vor.
[5] Bemerkenswert ist noch die steinerne Brücke über die Elster
in Plauen i. V., an deren Ende ein Hospital steht. (Abb.
20.) Auch Leisnig besitzt eine steinerne Brücke mit zwei
Bogen nebst Vorrichtungen gegen Überschwemmungsgefahren.
[6] Man beachte an der Krempe seines Hutes die feingeschwungene
Linie. (Abb. 18~c~.)
[7] Das schöne Stadtbild von Leipzig aus dem Jahre 1594 – es
ist also dreißig und noch mehr Jahre älter als die im
vorliegenden Aufsatze besprochenen Aufnahmen – ist in der
Zeitschrift für »Bildende Kunst« – 23. Jahrgang, Heft 4,
vom Jahre 1888, Leipzig, Seemann – zum Abdruck gekommen.
Professor Dr. G. Wustmann, der ehemalige Ratsbibliothekar,
hatte die Stadtabbildungen entdeckt und versäumte nicht,
auf die hohe Bedeutung der Arbeiten des sächsischen
Oberlandbaumeisters Dilich nachdrücklich und überzeugend
hinzuweisen. S. 116 a. a. O.
Was alte Grabsteine erzählen
Von _Siegfried Störzner_, Dresden
Die Glocken des Dorfkirchleins läuten den Gottesdienst aus. Durch die
weitgeöffneten Türen strömt die Menge der Andächtigen. Nicht alle aber
lenken ihre Schritte heimwärts. Meist sind es nur die Jungen. Den
Alten hingegen ist es schon lange zur lieben Gewohnheit geworden, nach
der Andachtsstunde mit Gevatters- und Nachbarsleuten noch ein wenig
auf den Friedhofswegen und zwischen den Grabreihen dahinzuwandeln,
sinnenden Auges die Ruhestätten zu betrachten und in Treue und Wehmut
der Schläfer da drunten zu gedenken, von denen die Aufschriften der
Leichensteine Kunde geben. Und da sind es besonders die alten Grabmale,
die gar mancherlei zu erzählen wissen, die in epischer Breite und oft
auch in dichterischer Schönheit den ganzen Lebenslauf des Verstorbenen
berichten. Ja, die gute, alte Zeit! Man spürt noch einen Hauch von
der Liebe und Teilnahme, mit der ein Freund der Heimgegangenen, wohl
zumeist der Pfarrer oder der Schulmeister, die Inschrift aufgesetzt
hat, man sieht an dem kunstvollen Grabstein, daß Meister Steinmetz
sich Zeit und Beschaulichkeit zu seinem Werke gelassen, man freut
sich, daß die Kirchenvorstände verständnisvoll den alten Denkmälern
ein Plätzlein gegönnt haben, wo sie künftigen Geschlechtern ein Bild
von der Kultur vergangener Jahrhunderte geben sollen, auch dann
noch, wenn die Dutzendware der Zement- oder Kunststeine mit ihren
Schabloneninschriften längst einem besseren Geschmack weichen mußte.
Und nun möchte ich heute den Freunden des Heimatschutzes von einigen
Grabmalen erzählen, die durch ihre eigenartige, denkwürdige Aufschrift
oder durch hohen Kunstwert ein Recht haben, der Nachwelt erhalten zu
bleiben.
Wer einmal das Gotteshaus von _Neukirch am Hohwald_ besucht, findet an
der Außenwand und an der Kirchhofsmauer pietätvoll aufgestellte sehens-
und lesenswerte Grabsteine ehemaliger Gerichtsschöppen und Pfarrer.
Wohl die originellste Inschrift zeigt das Grab des 1671 verstorbenen
_Pfarrers Klunge_, der neununddreißig Jahre in der Gemeinde amtierte.
Wir lesen da:
Herr Klunge lieget hier in dieser Gruft begraben,
ein Mann von Altertum und schönen Geistesgaben.
Aufrichtig war sein Herz, wahrhaftig war der Mund,
und seine Gottesfurcht ist factum worden kund.
»Der Seligverstorbene redet«:
Ich habe neununddreißig Jahre
dich, Neukirch, priesterlich bewacht
und meine silberweißen Haare
mit Ehren in das Grab gebracht.
Es ließ mich dreimal ehlich werden
der Schöpfer Himmels und der Erden.
Er gab mir einundzwanzig Kinder
und einen stillen Ehestand.
Der Herr, des Todes Überwinder,
hat meinen Geist in seiner Hand.
Gott, aller frommen Herzen Vater,
sei auch der Meinigen Berater.
Pfarrer Klunge stand gleich seinem bekannten Amtsbruder Künzelmann
in Döhlen im Ruf, ein erfahrener Teufelsbanner zu sein. Dr. Pilk
berichtet, man erzähle sich in Neukirch noch heute die seltsamen
Ereignisse, die sich beim Begräbnisse seiner dritten Frau zugetragen
haben. Die Pfarrersfrau habe sich selbst das Leben genommen, was Klunge
jedoch verheimlichte, um sie ehrlich begraben zu können. Bei der
Beerdigung hätten die Glocken nicht geläutet werden können, bis sie der
Pfarrer durch dreimaliges Umschreiten der Kirche wieder zum Ertönen
brachte. Da habe plötzlich oben aus dem Schalloch die Tote ihrem
eigenen Begräbnis zugeschaut, sei jedoch durch bloßes Winken Klunges
mit dem Schneuztuch sofort zum Verschwinden gebracht worden.
Eine weitere sehr bemerkenswerte Grabinschrift eines Pfarrherrn findet
sich in _Schirmenitz_, einem nahe der Elbe zwischen Strehla und
Mühlberg gelegenen Grenzdorfe, das ich auch aus einem anderen Grunde
eines Besuches empfehlen kann, befand sich doch in der Schirmenitzer
Pfarre in den Tagen der _Schlacht bei Mühlberg das Hauptquartier
Kaiser Karls V._, und noch heute wird das Stüblein gezeigt, das der
Herrscher bewohnte. Der nahe _Spans-_, d. h. _Spanierberg_, bildete den
Mittelpunkt der Aufstellung des kaiserlichen Heeres. Im Nachbardorfe
_Aussig_ verbrachte _Johann Friedrich der Großmütige_ die ersten Tage
der Gefangenschaft. Den »Kursächsischen Streifzügen« Otto Eduard
Schmidts ist es zu danken, daß Heimatfreunde auch diese abgelegene
Gegend durchwandern.
_Adam, wo bist du?_ So lautet die Überschrift des Lebenslaufes, in
dem die Geschichte der Schöpfung und des Sündenfalles sich deutlich
widerspiegelt, ja, fast wörtlich ist der biblische Ausdruck beibehalten
worden und in Anwendung gesetzt zum Leben des Hirten, der hier ruht.
Wir lesen:
Adam, wo bist du?
In dieser Gruft, mein Leser, da findest du die Asche
des wohlerw. M. Johann Adam _BÖHLENS_,
treufleißigen Pastoris zu Schirmenitz und Paußnitz.
Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde
den 4. März 1685 in Strehla
und setzte ihn 1718 in seinen Kirchengarten Eden,
daß er ihn bauete.
Weil es aber nicht gut, daß der Mensch alleine,
machte ihm Gott
1.) die Jungfrau Martha Judith,
weyl. G. M. Jacob Rösters in Strehla ehel. Tochter
den 23. April 1719,
dann
2.) Jungfrau Christiane Theodora,
weyl. Herrn Joh. Brausitzen, Jur Proc. in Mühlberg
ehel. Tochter, den 7. Mai 1725,
nun betrübten Witwe,
eine Gehilfin,
die um ihn sei.
Und Gott segnete sie, daß sie fruchtbar
und sich mehreten in 1. Ehe
mit 2 Söhnen und 1 Tochter,
davon jene leben,
in 2. Ehe mit 3 Töchtern und 2 Söhnen,
davon diese aber entschlafen.
Gesetz und Evangelium,
wonach er lehrte, glaubte und lebte,
war ein Baum der Erkenntnis und Baum des Lebens.
Jetzt mußte er wieder zur Erde werden,
davon er genommen,
denn 1737, den 20. Nov., ließ Gott der Herr
einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen,
und er entschlief,
daß sein Alter ward 52 Jahr 8 Mon. 16 Tag.
Da ließ ihn Gott aus Eden
durch den Cherub ins Paradies ein.
Siehe, mein Leser,
so ist Adam geworden als unser einer.
Eine Träne des Mitleids kommt wohl jedem Besucher des Kirchhofs zu
_Pesterwitz bei Dresden_, wenn er auf dem auch künstlerisch sehr
wertvollen Grabdenkmal der Familie des Pfarrers Opitz die Trauerkunde
vom »_sechsfachen Tränenopfer_« liest, wie im zartesten Alter ein Kind
nach dem andern von Pestilenz und sonstigen Seuchen dahingerafft worden
ist. Und trotz dieser Schicksalsschläge das glaubensfrohe: ~Sit nomen
Domini benedictum in secula!~ (Abb. 1.)
[Illustration: Abb. 1. =Das »sechsfache Tränenopfer« auf dem
Pesterwitzer Kirchhof=]
Das Denkmal wird oben von sechs Kinderköpfen geschmückt, die aus
einem Baldachin hervorschauen. Darunter sind sechs wappenartige
Tafeln mit Namen und Lebensgang der Kleinen zu finden. Links, auf
urnengeschmücktem Grabmal, eine größere Tafel, deren Inschrift sich
auf Pfarrer Opitz bezieht, rechts eine gleiche, die von seiner
Lebensgefährtin erzählt. Zwei Knabengestalten halten die Epitaphe,
während am Fuße des Denkmals ein trauernder Engel kniet.
Die Aufschrift lautet:
Des hiesigen Pastoris
Mag. Johann Gottlob OPITZENS
und seiner Ehegenossin
Frauen Charlotten Marien geborenen Rentzschen
aus Frankfurt an der Oder
sechsfaches Tränenopfer
bei dem frühzeitigen Absterben ihrer Kinder.
I. ANONYMUS, kam tot zur Welt den 3. März 1759.
II. CHRISTIAN LOBEGOTT, geb. den 10. Mai 1755, fiel den 21.
Sept. 1760 nebst seinen beiden Geschwistern an einer
gefährlichen Blatterkrankheit und mußte als der munterste
und robusteste unter ihnen die Schuld der Natur vorzeitig
bezahlen den 27. Sept. 1760 im 6. Jahre.
III. SOPHIA AMALIA, ward den 8. Oktober 1761 in einer Stunde
geboren, getauft und vollendet.
IV. ERNESTINE HENRIETTE, geb. 7. Sept. 1762,
brachte bei einer schwächlichen Konstitution die traurigen
Merkmale von den bisherigen Kriegsunruhen und vielen
Schrecken mit auf die Welt, fiel in eine Verzehrung und
starb den 14. Mai 1763, 8 Monate alt.
V. JOHANN ADOLPH, der Liebling, geb. den 17. Jan. 1766.
Seine Erziehung war vom 2. Jahre ab mehr angenehm als
beschwerlich, da er Fähigkeit genug hatte, verschiedene
biblische Historien, geographische Fragen und lateinische
Wörter zu fassen.
Er versprach zum öfteren, mit Gottes Hilfe ein frommes Kind
zu werden. Sein täglich Gebet war:
Gedenke meiner, mein Gott, im besten! Und er hörte!
Er starb sechs Wochen vor seinem ältesten Bruder den 6.
April 1769 im 4. Jahr an den Blattern.
VI. GOTTHOLD THEODOR, der erstgeborene Sohn vom Hause, ~spes
laeta parentum~,
trat in die Vergänglichkeit ein am 24. Jan. 1753,
bezog die Meißnische Fürstenschule 1766 den 4. Okt.,
ließ bei einem guten Genie, nachdem er bereits 1768 unter
die Ober Lectioner als Secundaner war aufgenommen worden,
etwas von sich hoffen,
kam am 4. Mai 1769 zum Besuch nach Hause und starb den 23.
Mai nach einer viertägigen Niederlage am hitzigen Fieber
in den Armen und unter den Tränen seiner schon vorher tief
gebeugten Eltern im 17. Jahre.
Die _Grabinschrift des Pfarrers Opitz_ selbst ist leider nicht mehr
ganz zu entziffern:
Herr Mag. Johann Gottlob OPITZ,
Sein Vater, ein treuer Schullehrer zu Schmiedefeld,
und seine Mutter, eine geborene Thomaßin aus Langburkersdorf,
denen Er den 14. Juli 1717 geboren ward,
gaben Seiner Seele die erste Bildung.
Nach rühmlich vollendeten Vorbereitungsjahren in Dresden und Leipzig
führte Er bey hiesiger Kirchgemeinde das Amt,
welches ihm Gott. NIMTSCH anvertraute,
38 Jahre mit voller Erfahrung und Gewissenhaftigkeit,
(legte es) ... nachdem Er 68 Jahre 8 Mon. und 7 Tage gelebet hatte,
... 31. März 1786 nieder.
Der in der Grabschrift genannte Kollator Nimtsch ist einer aus dem
Geschlechte der _Herren von Nimptsch_, an die noch am Rittergut von
Oberpesterwitz, einem ehemaligen _kurfürstlichen Küchengut_, jetzt im
Besitz des _Barons von Burgk_, das Wappen erinnert. Auch der Ortsteil
_Neunimptsch_ und das _Juchhöh-_ oder _Jochhöhschlößchen_ am Höhenrande
des Plauenschen Grundes gehen auf diese Adelsfamilie zurück. Ein
_Geheimrat von Nimptsch_ erbaute 1791 auf dem zum Rittergut Roßtal
gehörigen Grund und Boden den Weiler Neunimptsch, der früher den Namen
»_Der Kuckuck_« oder »_Auf dem Juchhe_« führte. Das vom Herrn von
Nimptsch errichtete Weinberghaus mit den drei Flügeln und dem Turm war
eins der schönsten im Lande.
Doch kehren wir von diesem kleinen »Ausfluge« zur Grabschrift der
Pfarrersfrau zurück!
Im Leben allgemein beliebt,
im Tode herzlich beweint
und im Grabe allen Guten unvergeßlich,
ruht allhier die wahrhaftig verehrungswürdige Frau,
Frau CHARLOTTE MARIE,
weiland Sr. Hochwohlehrwürdigen Herrn Mag. Johann Gottlob Opitzens,
treuverdienten Pastoris zu Pesterwitz
hinterlassene Witwe.
Ihren geliebten Ältern,
Herrn Johann Christian Rentzsch,
berühmten Chirurgo zu Frankfurt a. d. Oder,
und dessen Gattin, Frau Evan Margarethen, geb. Wolfin,
von welcher sie den 13. Junius 1733 geboren wurde,
war sie ein teures Geschenk des Himmels,
ihrem wertgeschätzten Gatten,
mit welchem sie sich den 13. Junius 1751 ehelich verband,
war sie 35 Jahre hindurch die trefflichste Lebensgefährtin,
ihren sie zärtlich liebenden Kindern,
als 6 Söhnen und 3 Töchtern,
von welchen bloß 1 Tochter und 2 Söhne
ihren letzten Segen erhalten konnten,
war sie Mutter und Wohltäterin
in edelstem und vollkommenstem Verstande
allen ihren Freunden und Bekannten in hiesiger Kirchfahrt
ein unentbehrliches Kleinod.
Allgemeines Trauern erregte daher der 17. April 1794,
an welchem Tage sie zu Pesterwitz
ein 60 Jahre 10 Monate und 4 Tage
hindurch geführtes musterhaftes Leben
nach langwierigem körperlichen Leiden
in sanfter Stille und seliger Hoffnung endigte.
Sanft ruhe nun die Verklärte.
Da wir uns gerade auf dem Pesterwitzer Kirchhof befinden, sei erwähnt,
daß man beim Abtragen der _Grundmauern des alten Gotteshauses_
einen _Behälter mit Eiern_ gefunden hat, der einst aus Aberglauben
eingemauert worden war, um die bösen Geister zu versöhnen. Man
glaubte früher bekanntlich, daß man beim Bauen etwas Lebendes als
Opfer einmauern müsse. Während man in den ältesten Zeiten Kinder und
Jungfrauen opferte (diese besonders bei Anlage von Ritterburgen,
die man dadurch uneinnehmbar zu machen dachte), nahm man später
Ziegen, dann kleinere Tiere, bis zuletzt die barbarische Sitte noch
weiter gemildert wurde und man auf Eier zukam. Die sehr sehenswerten
_Sammlungen des Herrn_ ~Dr.~ _Pötsch_ in _Pesterwitz_ enthalten einige
beim Kirchenneubau gefundene Eier. Genannter Herr gewährt Besuchern
gern Einblick in sein Museum, das die verschiedensten Gebiete umfaßt.
Das »Sechsfache Tränenopfer« erinnert mich an ein ergreifendes
Gegenstück, so sich auf dem _Felsenkirchhof zu Liebethal bei Lohmen_
findet. Der von fünf Blümchen und einer Ranke gezierte Grabstein
erzählt von »_fünf lieben Ehepflänzlein_«, die im zartesten Alter von
fünf bis achtzehn Tagen, nur ein Kind erreichte das fünfte Lebensjahr,
den bekümmerten Eltern entrissen wurden. Nicht ohne tiefes Mitleid
liest man:
Allhier ruhen fünf liebe Ehepflänzlein
Johannis Georgi HÜBSCHENS,
Pastoris in Porschendorf und Liebenthal,
und Frau Julianen Mariens geb. Hartmannin,
alß ...
Und nun folgen die Namen und Daten ...
Auch hier wieder am Schluß die glaubensfeste Hoffnung:
»Ich habe Euch ziehen lassen mit Trauern und Weinen,
Gott aber wird Euch mir wiedergeben mit Wonne und Freude ewiglich.«
Das an der Kirchenmauer aufgestellte Grabmal ist wohl der einzige
bemerkenswerte Denkstein dieses Friedhofs. So sehr schon die Erhaltung
des über zweihundert Jahre alten Steins auch vom künstlerischen
Standpunkte aus zu begrüßen ist, so sehr ist noch zu wünschen, daß die
Umgebung des Grabmals von allerhand Abraum und Baumaterial gesäubert
und ein würdiger, stimmungsvoller Rahmen geschaffen werde.
Die aus dem engen Wesenitzgrunde zum Kirchlein heraufführende
_Felsentreppe_ ist uralt und von malerischer Wirkung. _Ludwig
Richter_ hat oft hier geweilt und gezeichnet. (Abb. 2.) Der Blick vom
Felsenkirchhof hinab in die vom Flusse rauschend durchströmte Schlucht
ist ganz eigenartig. Einst soll der Grund so eng gewesen sein, daß er
von einer Brücke überspannt wurde. Die Steinbrüche haben im Laufe der
Jahrhunderte die Schlucht immer mehr verbreitert, wie von der niederen
Kirchhofsmauer aus deutlich zu sehen ist.
[Illustration: Abb. 2. =Aufgang zum Felsenkirchhof von Liebethal=]
Von Liebethal führt uns eine kurze Wanderung hinab zur Elbe nach
_Hosterwitz_, dessen Gotteshaus früher so nahe am Strome stand, daß die
Fluten die Mauer bespülten. (Abb. 3.) Ein uraltes _Schifferkirchlein_
ist es, wie wir deren in Sachsen nur noch eins haben, das von
Lorenzkirchen bei Strehla. Hier stiegen die Schiffer aus, verrichteten
ihr Gebet und baten ihren Schutzpatron um glückliche Fahrt. Wenn auch
heute der Kirchhof durch eine Wiesenaue von der Elbe getrennt wird,
so reichen doch bei Hochwasser die Fluten bis heran. Wie oft haben
sie das Gotteshaus bedroht! Auch anderer unangenehmer Besuch stellte
sich ein: der berüchtigte _Kirchenräuber Lips Tullian_ raubte ihm 1702
Pretiosen im Werte von 700 Talern. Er saß dann in den Kerkern der
Augustusburg und endete als Raubmörder und Räuberhauptmann 1715 nach
großen Qualen im Dresdner Blockhaus. Das Kirchendach erinnert mit der
großen, aus dunklen Ziegeln bestehenden Zahl 1790 an eine in diesem
berüchtigten Hochwasserjahre vorgenommene Erneuerung und Vergrößerung
des Gotteshauses.
[Illustration: Abb. 3. =Schifferkirche zu Hosterwitz=]
Das oft von Künstlerhand gemalte Kirchlein wird von einem mit
Trauerbäumen bestandenen Kirchhof umgeben, auf dem seit Jahrzehnten
keine Beerdigung mehr stattgefunden hat, soweit es sich nicht etwa
um ein Erbbegräbnis handelte. Sein stimmungsvollstes Denkmal ist das
»_Grab des Silberpagen_«, eines Herrn von Brandenstein, der in den
Diensten des kursächsischen Hofes stand und 1788 im Alter von 18 Jahren
beim Baden in der Elbe ertrank. Seine Freunde errichteten das Grabmal.
Es wird gekrönt von einer Knabengestalt, die trauernd eine Vase voll
Blumen ausgestreut hat. (Abb. 4.)
Die übrigen Denkmäler sind künstlerisch weniger wertvoll, einige sogar
die übliche üble Dutzendware. Doch ist eine ganze Reihe von ihnen in
anderer Hinsicht recht bemerkenswert. Zunächst durch die Angabe von
Berufen oder Amtsbezeichnungen, die man auf anderen Friedhöfen wenig
oder gar nicht findet und die meist vergangenen Zeiten angehören. Wir
lesen von Plantagengutsbesitzern, Schiffsherren, Erbschiffsmüllern,
Weinbergsbesitzern, Amtszimmermeistern, Schloßpredigern, Kgl. Sächs.
Bettmeistern und von einem Hofbettschreiber, dessen Stein uns erzählt,
hier ruhe »die Asche eines Biedermannes«.
Schon die letzten Berufsangaben deuten auf die Nähe des Kgl. Hofes hin,
der ja im Sommer in Pillnitz residierte. So ist es denn erklärlich,
daß wir auf dem Hosterwitzer Kirchhof eine Unmenge Namen alter
Adelsgeschlechter finden, die weit über Sachsen hinaus einen guten
Klang haben. Sie gehörten wohl ausnahmslos dem Pillnitzer Hofstaat an.
Prinzessin von Schönaich-Carolath, Gräfin Hohenthal, von Cerrini di
Monte Varchi, von Römer, von und zu Egloffstein, von Tschirschky und
Bögendorff, von Minkwitz, Sappeur-Capitain von Swett, Baron Seddeler,
von Trautvetter und wie sie alle heißen.
Zu einem schlichten Denkstein aber muß ich noch hinführen, ehe wir den
kleinen Hosterwitzer Friedhof verlassen. Da lesen wir:
Hier liegt
Johann Christian Gottfried KLEMM,
gest. 1. Aug. 1863,
54 Jahre Soldat der Sächs. Armee,
48 Jahre bei dem Kommando
zur Bedienung der Fähre
im Kgl. Hoflager zu Pillnitz,
38 Jahre als Pontonier-Sergeant und Feldwebel
Kommandant der ersteren,
noch im Tode mit der Ernennung zum Leutnant
von seinem Kriegsherrn geehrt.
Ein Muster treuer Pflichterfüllung.
[Illustration: Abb. 4. =Silberpagengrab auf dem Hosterwitzer Friedhofe=]
Wie diesem Manne seine Pflicht, sein Soldatenrock über alles gegangen
ist, so findet man hie und da auch einen Grabstein, dessen Nachruf
Leben und Sterben des Heimgegangenen mit berechtigtem Stolz im
Spiegel seines Berufes zeigt. Hierfür zwei Beispiele: Ein Leichenstein
auf dem Kirchhof zu _Fürstenau bei Lauenstein_ ist in seinem Ausdruck
und Inhalt ganz der Sprache der Bergleute angepaßt, da der Schläfer
drunten einst diesem Stande angehörte. So lesen wir hier:
In dieser Grube hält seine Liegestunde
bis an den Tag der seligen Ausfahrt
Herr Michael KADNER.
46 Jahr } gewesener { Gerichtsgeschworener,
36 Jahr } { Knappschaftsältester,
wie auch Schichtmeister allhier,
mit seinem seligen Vater,
Michael KADNER,
Bauersmann allhier,
und neben seiner sel. Mutter,
Frau Esther geb. Knauthin,
von welcher er den 13. Juli 1672 allhier geboren.
Hat auf der Zeche seines Lebens und Ehestandes
den 24. Jan. 1692 zur Schlägelgesellin bekommen:
Frau Marie geb. Königin,
mit welcher er 4 Söhne und 3 Töchter
zur Ausbeute von dem Segen Gottes erhalten.
Von seiner Lebensarbeit hat er Schicht gemacht
den 19. Mai 1737,
nachdem er vor diese Orte angesessen
65 Jahre.
Auf der Rückseite:
Vom Elend bin ich ausgefahren
ins Huthaus jener Himmelsscharen,
wo mit des Heilands teuerm Blut
ich in der Taufe eingemuth.
In _Naundorf_, im lieblichen _Bobritzschtale_ zwischen Grillenburg und
Freiberg gelegen, ist in die Kirchenmauer eingelassen der Grabstein
eines Bauern und Fuhrmanns. Die Skulptur zeigt unten ein mit sechs
Pferden bespanntes Botenfuhrwerk, das rasch seine Straße dahinfährt,
während oben der Fuhrmann vor dem Kruzifix kniet und Gottes Sohn um
Schutz anfleht. (Abb. 5.) Das ist Melchior _Heber_, dem die Naundorfer
Kirche die mittlere Glocke verdankt, der Stammvater eines bekannten
Bauerngeschlechtes, das seit 350 Jahren ein altes »Hufengut« hier
besitzt. Als man 1783 die jetzige Naundorfer Kirche baute und dabei
Mauersteine brauchte, wurde der alte, umgesunkene Leichenstein
Hebers vom Jahre 1580 mit für die Außenwand verwendet, und zwar
glücklicherweise so, daß Bild und Inschrift zu sehen blieben. Wir lesen
da:
Im Leben hatte ich
an fahren mein Vergnügen
und fuhr an diesem bald
und bald an jenem Ort.
Im Tode spannt ich aus,
ließ alles fahrn liegen.
Und fuhr andern Seelen nach
in sichern Himmels Port.
[Illustration: Abb. 5. =Melchior Hebers Fuhrmannsgrab zu Naundorf=]
Als ich kürzlich wieder einmal das _Landesmuseum für Sächsische
Volkskunst_ besuchte, entdeckte ich zu meiner Freude ein kleines
Lichtbild des eben beschriebenen Grabsteines.
Zum Schluß noch ein kurzes Wort von den _Toten- oder Leichenbrettern_
und den _Marterln_, die uns zwar über die Grenzen unserer Heimat
hinausführen, aber recht erhaltenswerte Volkskunst und Volkspoesie
zeigen. So trifft der Wandersmann schon in der Oberpfalz und mehr
noch im Böhmerwalde hie und da am Weg auf einzelne oder in Gruppen
beisammenstehende Bretter, lang und schmal, zugespitzt in die Erde
gesteckt. Stirbt jemand in der Gegend, so legt man die Leiche auf
das sogenannte _Totenbrett_, das bunt bemalt und mit Sinnbildern des
Todes, einem Schädel und paarweise gekreuzten Knochen, sowie mit einer
aufgepinselten Blumenranke »geziert« wird. Nach dem Begräbnis versieht
man die Tafel noch mit dem Namen, dem Geburts- und Todestag, sowie
mit Berufs- und Titelangaben (das scheint besonders wichtig zu sein,
wenigstens wird ganz streng darauf gehalten), bringt auch meist ein
Sinnsprüchlein, einen Nachruf oder die Bitte um ein Paternoster für die
arme Seele auf dem Brett an, spitzt es zu und schlägt es am Wegrand in
die Erde, am liebsten in der Nähe von Kirchen und Kapellen oder bei
einem Heiligenbild.
Die _Marterl_ hingegen sind Tafeln, die an Unglücksfälle erinnern. Sie
wollen uns sagen, daß hier an dieser Stelle, am schroffen Abgrunde,
unter himmelhohem Felsen, am reißenden Gebirgsbache oder im einsamen
Hochwalde, ein Menschenleben plötzlich dahingerafft wurde. Das
»Tuifele« zeigt meist ein von ungeschickter Hand gemaltes Bildchen und
ein Verschen, manchmal nach Art der Bänkelsängerreime gedichtet. So
lesen wir:
Verweilet hier vor diesem Bild,
und knieet betend nieder,
daß sich mein letzter Wunsch erfüllt,
geliebte Christenbrüder.
Ich junger Mann mußt’ hier
vom Baume erschlagen sterben.
Euer Vaterunser helfe mir
mein Seelenheil erwerben.
Zum Andenken Verunglückter hat man das Marterl hier am Weg errichtet,
damit Vorübergehende ein Vaterunser oder ein Ave Maria beten. Auf dem
Bildchen ein Mensch, langhingestreckt unter einen eben gefällten Baum
oder mit Pferd und Wagen in die Tiefe stürzend oder von einer Lawine
verschüttet und ähnliche Unglücksfälle. Oben die Himmelskönigin, die
Jungfrau Maria, mitleidsvoll die Arme ausstreckend, unten der Name des
Toten, eine kurze Schilderung des Unfalls und ein Verschen, das in
seiner Originalität allerdings manchmal eher erheiternd als betrübend
wirkt.
Auch hierfür zuletzt noch ein Beispiel:
Wie wahr, o, wie wahr!
Als ich in meinem 68. Lebensjahr
den 17. August 1763
für meine Geißen Gras zu Heu machen wollte,
stürzte ich über diese hohe Felswand.
Meine Sackuhr ging noch eine Zeitlang,
doch meine Lebensuhr blieb plötzlich stehen.
Mein Fleisch und meine Gebeine verdorreten,
sind bereits verfault, da Du dieses liesest.
Wanderer, bete für mich!
Eugen Haslmann aus Buchsgarten.
Das schlichte Kreuz auf der Höhe, das Marterl am Wege, der alte
Leichenstein auf dem Friedhofe, die efeuumsponnene Grabplatte an der
Kirchenmauer – ein gut Stück Kulturgeschichte und Volkskunst ist in
ihnen enthalten. Von Menschennot und Menschenschicksal, aber auch von
Glaubensmut und Ewigkeitshoffnung wollen sie singen und sagen den
spätesten Geschlechtern.
Zu Gast in der Au
Von _Gerhard Platz_, Weißer Hirsch
Eigenaufnahmen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz
Der Sonntag Kantate – die kleinen Vögel in den Bürgergärten von
Radeburg lassen es sich gesagt sein. Was aus den Kehlen heraus will,
schmettern sie hinein in den sonnigen Maimorgen, und die beiden jungen
Pärlein vor mir tun es ihnen nach in herzensfroher Jugendlust.
Und auf einmal lächle ich. Ein Erinnerungslächeln aus ferner
Kinderzeit. Ein Sonntag Kantate war es, als wir Kinder um das Söhnchen
aus unserer Nachbarpfarre geschart standen, das uns nach seiner Art
auf die Bedeutung des Tages hinzuweisen sich verpflichtet fühlte. Auf
dem Torpfeiler zum Pfarrgarten saß der kleine Mann, die festen runden
Beinchen um die gewaltige Sandsteinkugel geklemmt, die den altersgrauen
Pfosten krönte. Umständlich räusperte er sich, und dann warf er, wie er
es vom Vater gelernt, beide Arme in die Luft. »Meine geliebte Gemeinde,
wir feiern heute den Sonntag Kandidate ...« Knacks sprach es oben, und
bums – samt seinem Predigtstuhl lag der kleine Pfarrherr im Grase; ein
Glück, daß ihm sonst nichts weiter geschehen war.
[Illustration: Abb. 1. =Radeburg=]
Es sei mir bei dieser Gelegenheit einmal gestattet, ein Wort an
unsere Jugend zu richten. – Keiner weiß es besser als der Schreiber
dieser Zeilen, welch ein Segen in einem Sonntag in Gottes freier
Natur begründet liegt – aber liebe junge Wandersleute, ich bitt’
euch, geht mir nicht jeden Sonntag jeder Kirche vorbei! Ihr braucht
deshalb nicht in der Stadt zu bleiben, beileib’ nicht. Lenkt eure
Schritte nach wie vor hinaus in die grüne Heimatwelt – aber, wenn
ihr durch solch Dörfchen kommt, und es läuten gerade die Glocken vom
Turme, so tretet auch einmal hinein unter das kühle Gewölb, sitzt
einmal nieder in dem alten Gestühl zwischen den Bauern mit den braunen
Gesichtern, singt mit ihnen die alten deutschen Lieder und horcht auf
die Worte, die von der buntbemalten Kanzel herabtönen, und die von den
Bergen sprechen, zu denen aufzublicken gerade für unser Volk doch
so nötig. Und gebt acht, erfrischt wie von einer Rast am Bergquell
werdet ihr scheiden von der Stätte, die so oft der Träger ist einer
jahrhundertelangen Heimatgeschichte. Aber wenn ihr dann hinausgeht mit
den Alten im grünschwarzen Kirchenröcklein und mit den jungen Starken,
die es auf dem Dorf Gott Lob noch nicht für eine Schmach halten,
zu sitzen, wo schon ihre Ahnen andächtig saßen, da schaut euch um
unter den Grabsteinen im Chor und im grünen Gräbergarten; betrachtet
euch Kirchengerät, Klingelbeutel und Bildwerk. Volkskundlich und
heimatgeschichtlich schon werdet ihr euch belohnt sehen, und auch eurem
Leibe wird die Rast in der Stille wohlgetan haben und ihm zu weiterer
froher Tagefahrt nützen. –
[Illustration: Abb. 2. =Schloß Bärnsdorf= bei Radeburg]
Bei den Scheunen, wo die Junggänse durch die Brennesseln schnattern,
und wo Nußbaum, Eiche und Pappel machtvoll emporragen, verlasse ich
das sonntagsfrohe Städtchen. Wie gut, daß es noch Ackerbürger gibt
in unseren Tagen; diesen ehrenwerten, kernigen, wurzelstarken Stand.
Welcher Zauber nur geht von solcher Scheunenreihe aus und von den
Gärten, die hinter den Bürgerhäusern lang und schmal zur Straße
sich strecken. Apfelblüte und Schwertlilie, Schwalbengezwitscher
und Finkenschlag, Jungweingerank und frisch aufgebrochener Flieder
– o du Maienzeit, du Lenzeslust in solch kleiner deutscher Stadt!
Vor dem Tischlerhaus jetzt freudiges Stimmengewirr – Besuch aus der
Fremde rückt ein, strahlend begrüßt vom hemdärmligen Meister und der
wohluntersetzten Mutter. Schon balgen sich die Hauskinder um die
Reisetasche der Tante, schnurrend umstreicht das Kätzchen gekrümmten
Rückens das festliche Beinkleid des Onkels, da sind sie endlich
verschwunden im Hausflur, und der Bürgersteig wird wieder frei.
[Illustration: Abb. 3. =Schloß Bärnsdorf= bei Radeburg]
Bei der Lohgerberei unten überschreite ich die rauschende Röder. Von
Osten her grüßen schon die Höhen um Königsbrück im zarten Dunst. Ich
aber will heute nichts wissen von Bergen und Tälern, ich wende mich
links ab ins uralte Sumpfland, auf einem innig schönen Pfade am Ufer
entlang – hinaus in die grünblaue Weite!
[Illustration: Abb. 4. =Niederrödern=]
Ich liebe ihn sehr, diesen stillen braunen Tieflandsfluß, der die
Großenhainer Pflege erquickt und verschönt. Ein Stück unterhalb des
Städtchens haben sie ihm ein neues Bett gegraben, des Bahnbaues wegen,
aber bald wallt er wieder unter uralten Eichen seines ursprünglichen
Weges dahin. Ganz allein bin ich hier; kein Mensch in der Runde;
Wildtaubengegurr, Pirolruf und Lerchengesang nur erfüllen die Stille,
und die Aue erjauchzt in einer Farbenpracht ohnegleichen. – Die
Röder war immer ein gutes, zuverlässiges Fischwasser und ist es in
gewissem Sinne bis auf unsere Tage geblieben. Freilich, seitdem mit
der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die schmutzigen
Fabrikwässer sich in die Heimatströme zu ergießen begannen, ist der
ursprüngliche Fischreichtum sehr zurückgegangen, und das Gesinde in
den Elbdörfern braucht nicht mehr im Mietvertrag sich auszubedingen,
daß es nicht mehr als zweimal in der Woche Lachs zu verzehren brauche
zum Mittagsmahl. – In den ältesten deutschen Zeiten war der Fischfang
in unserer Heimat ganz frei; später ward er ein Recht des Grundherrn,
zu dessen Gebiet der Wasserlauf zählte. Der als mustergültiger Wirt
sattsam bekannte Kurfürst August wandte der Fischerei seine besondere
Aufmerksamkeit zu. Vor allem trat er der unvernünftigen Behandlung der
Fischweid entgegen. So verbot er, in dürren Jahren die in den Bächen
verbleibenden »Teufen« auszuschöpfen und den Fischen ihren letzten
Zufluchtsort zu rauben. Er gab Vorschriften über Art und Beschaffenheit
der Fangwerkzeuge. Besonders hielt er darauf, daß nicht zu engmaschige
Netze verwandt wurden, und für Krebse, Hechte und Barben wurden
eiserne Modelle angefertigt, unter deren Größe nicht gefangen werden
durfte. Nur Mittwochs und Freitags war das Fischen erlaubt, und mit
Strenge wurde die Verunreinigung der Fischwässer durch das Rösten des
Flachses verhindert. Den Holzmühlen war es untersagt, die Sägespäne ins
Wasser zu werfen, und selbst die hoch privilegierten Gruben durften
die Pochwerksabwässer nicht unmittelbar in die Flüsse ableiten. Ganz
besonders scharf aber war der Landesherr hinter den Fischdieben her. Im
Jahre 1568 befahl er, bei allen Hegewässern in Abständen von tausend
Ellen einen hölzernen Galgen aufzurichten, und tatsächlich ließ er die
Strafe des Stranges wider etliche mutwillige Verbrecher ergehen.
[Illustration: Abb. 5. =Schloß Niederrödern=]
Manch nasse Stelle ist hier noch übrig geblieben aus der Zeit, da
weit und breit der »Rad« der Sumpf, die Gegend beherrschte, und der
Pflanzenfreund, mein ich, wird hier manch wertvollen Fund machen. –
Ein Stück komme ich hier vom Wege ab und muß den neuen Bahndamm als
Straße benutzen. Das ist nicht erlaubt, und deshalb ist mir es auch
äußerst fatal, daß ich die Kiebitze nicht los werde, die immer lauter
meine Übeltat hinausschreien in die Sonne. Dumme Kerle, ihr habt doch
den wenigsten Grund, Menschenkulturwerk zu schützen – oder haltet ihr
mich vielleicht für den Erbauer des Werks, das euch wieder ein Stück
von eurem Revier raubte?
Rotbraun ziehen sich die Moorgräben durch die Wiese. Goldenes
Dotterblumengerank geht ihnen zur Seite, silberne Fischlein flitzen
über den Grund, und immer glühender werden die Farben der Blumen. Dann
nimmt mich für ein Stück Weges der ernste Zeisigbusch auf mit seinen
Altkiefernkronen.
Weit drüben brüllt ein Auto und entheiligt die Maiennatur mit wüster
Staubwolke. Wohlgeborgen in Frische und Saft blicke ich ihm nach –
nicht mit den besten Gefühlen! Wohl ist auch eine Staubsäule schön
und erhaben, wenn der Sturmwind sie hochtreibt mit sausendem Fittich,
aber Menschen sind es hier, die die unschuldig frohe Straße vergiften
mit Qualm und Gestank und Gebrüll. Wie wird die Menschheit wohl einmal
ihren Frieden machen mit diesem – zugegeben – unvermeidlichen Übel?
Wie ein schlummerndes Kind mit blühenden Wangen liegt Oberrödern dort
unter seinen rosig überschäumten Obstbäumen, und immer weiter geht
mir die Aue zur Seite mit Pappeln, Eichen und Erlen gleich lauschigen
Inseln inmitten.
Und jetzt hinter goldenen Alteichenwipfeln ein Schloß mit
Ziegelsteildach und altersgrauen Renaissancegiebeln – Niederrödern, das
fürstlich Reußische Gut. Auf hohem Dammweg schreite ich freudig drauf
zu, da überrascht mich von rechts her schon wieder ein neuer anmutiger
Ausblick – die Dorfkirche mit ihrem reizvollen schieferverschalten
Dachreiter lugt hinter den Eichen hervor. Wieviel Lieblichkeit,
Schönheit und Größe auf so engem Raum beieinander.
Sturmsicher und fest liegt das alte Wasserschloß hinter Fluß und
grünlinsigen Weihern; der schmale Pfad, der jetzt durch diese an den
Bau heranführt, war früher sicher noch nicht vorhanden. Mit tiefer
Kehle singt der Frosch hier von Lenz und von Liebe.
Auch im Dorf findet sich viel noch, was dem Heimatfreund Auge und
Seele erfreut; trauliche Tagelöhnerhäuschen und stattliche Bauernhöfe,
eine schöne alte Schmiede und ein wahres Juwel von Pfarrhaus, braun
verschalt und rot beziegelt. In seinen blühenden Garten trete ich jetzt
ein, ziehe die Glocke und verlasse mit einem Bunde gewaltiger Schlüssel
bald darauf durchs Hinterpförtchen das Haus. Der Herr Pfarrer vertraut
sie mir an; mein Wanderausweis vom Heimatschutz tat mir auch hier
leicht die Pforten auf.
[Illustration: Abb. 6. =Schloß Niederrödern=]
Still und feierlich liegt das Innere des kleinen Gotteshauses da. Zwei
herrliche Sträuße duften vom Altar her, der edel und würdig bekleidet
ist mit rotem Sammetornat vom Jahre 1690. Rechts von dem kleinen
Spätrenaissancewerk fesselt meine Aufmerksamkeit ein ungewöhnlich
schönes Steinmal. Ein geharnischter Mann kniet dort, ein Ritter aus dem
Zeitalter der Reformation. Aber in seinem Gesicht spricht sich mehr
noch aus als ritterbürtiger Anstand – der charaktervolle langlockige
Kopf redet auch von offenbarer geistiger Überlegenheit und Bedeutung.
Christoph von Beschwitz ist es, Erbherr und Doktor der Rechte, der
seit dem Jahre des Herrn 1540 hier seine Urstünd erwartet. Mit einiger
Mühe entziffre ich die Schrift am Fuße des Steins. »... sein Wandel
war erbar fridtsam und schlecht – in seiner Herren Dinst ein trewer
Mann ...« O du deutsches Wort!
[Illustration: Abb. 7. =Toter Röderarm= bei Niederrödern]
Im vorletzten Gehöft vor der Mühle gibt es eine Hochzeit. Eine
prächtige Ehrenpforte krönt den Toreingang. Noch ist die Braut nicht
sichtbar, aber die männlichen Festteilnehmer sitzen in feierlichen
schwarzen Hosen und blütenweißen Hemdärmeln unter dem Flieder.
Röcke sind sicher auch vorgesehen, ich kann sie von hier aus nur
nicht entdecken. Eine Trompete im Hof bittet die Festversammlung in
wehmütigen Tönen, ihr doch zu sagen, was es bedeuten solle, daß sie so
traurig sei – da bin ich bei der zusammengestürzten Brücke schon wieder
zum Dorfe hinaus, allein in der Frühnachmittagsstille. Auf dem Gepfähl
sitzt der rotrückige Würger und schaut nach Maikäfern aus. In den
Lüften aber blitzt schon hier und da silberner Möwenflug auf; ich bin
also recht auf dem Wege zur Brutkolonie des reizenden Vogels hinten
im Sumpf. Noch einmal schau ich vom Steinberg herab auf das liebliche
Rödern. Der Brautzug kommt jetzt heraus aus dem Gehöft, die Trompete
von vorhin schmettert ein schneidiges Stücklein, und dann heben die
Glocken an zu schwingen. Glück auf den Weg, junges Paar!
Naß wird der Pfad jetzt und weich. Ein weiter brauner Wald alten
Rohres weht vor mir im Wind, und bald bin ich im wogenden Halmemeere
verschwunden. Unwillig schilt der Froschkantor über die Störung, sechs
seiner begabtesten Schüler auf einmal sehe ich grade noch kopfüber im
Wasser verschwinden; raschelnd fährt die Ringelnatter durchs Röhricht,
aber ungestört noch durch mein Nahen schrillen die Rohrsänger im
Schilf um die Wette. Puh, ist es hier heiß! In wahren Strömen rinnt
mir der Schweiß von der Stirne, vor den Augen flimmert der Sonnenglast
und stahlblauer Libellenflug. Weiß wie Schnee deckt das Wollgras den
unsicheren Boden, der mich zu immer gewagteren Sprüngen zwingt. Wie
es hier lebt in dem Sumpf! Entengeschnatter, Fasanenschrei, immer
neues vielstimmiges Kreischen von unsichtbarem Getier dringt an mein
Ohr, und nun auf einmal stiebt in gewaltigem Ruck eine mächtige weiße
Wolke hinter den Halmen empor – hunderte, nein tausend Lachmöwen
sicher steigen auf edelschmalen Schwingen dort auf, kreisen angstvoll
hoch in der Luft, fallen wieder ein, rudern über die blanken blauen
Wasserstellen im Sumpf, steigen wieder auf, lassen ihre Losung fallen,
krächzen, krähen, schrillen, als wollte die Welt untergehen. Vorsichtig
arbeite ich mich heran an die Blänke, sehe durchs Glas hinüber zu den
Kaupen, darauf die Nester stehen mit den graugrünen, braungefleckten
Eiern, und ziehe mich dann leise zurück, um nicht zu lange die
fleißigen Brüter zu stören. Aber noch immer steigen neue Scharen auf;
dazwischen strack und steil einzelne Enten; das Geschrei will nicht
aufhören. Ganz wirbelig biege ich um die äußerste Rohrecke, schon
wieder auf festem Boden; da liegt es schneeweiß auf der Wiese, auch
hier hunderte der aufgescheuchten Vögel, die bei meinem Nahen verwehen
wie der Oktobernebel vor der aufsteigenden Sonne.
Weit aus der Wiese schau ich noch einmal zurück. Braun liegt der
Schilfteich, schüchtern erst kämpfen sich hellgrüne Junghalme durch,
aber welch unvergeßlicher Anblick, welch hohe Freude bot mir diese
Einöde heut. Ein Stück große, echte Natur durfte ich hier schauen, wie
ich sie in der übervölkerten Heimat gar nicht mehr zu finden gehofft.
[Illustration: Abb. 8. =Großdittmannsdorf=]
Allmählich nur gelingt es dem Kuckucksruf, der aus den Bäumen am Fluß
drüben läutet, das Möwengeschrei aus meinem Ohre zu bannen. Hier
hinter dem Sumpf zeigt das Röderland übrigens so recht, was es in
landwirtschaftlicher Hinsicht bedeutet.
Hinter Freitelsdorf gilt es zum ersten Male heut, die Landstraße unter
die Füße zu nehmen. Schwarzblau dehnt sie sich nordwärts in unendliche
Weiten. Aber langweilig wird sie mir nicht, auch sie hat ihren Reiz,
ihren großen sogar – das Geheimnisvolle, der Zug in die Ferne liegt auf
ihr! Manch Dörflein, manch stattlicher Kirchturm grüßt mich von weitem,
am prächtigsten doch der gewaltige Breitturm von Niederebersbach mit
dem kecken Dachreiterchen ganz obenauf.
[Illustration: Abb. 9. =Landstraße bei Niederebersbach= bei Großenhain]
Mächtig schreite ich aus, in wenigen Stunden muß ich am Ziel sein,
der Zug wartet nicht. Bieberach mit der Uferschwalbenkolonie in der
alten Kiesgrube liegt hinter mir, und schon taucht das rossenährende
Kalkreuth auf. Ach, wehmütig wird es mir zu Sinn, wie ich die
verlassenen Koppeln sehe, darauf einst vierhundert Jungpferde, Remonten
der alten Armee, herumsprangen. Nur vier Hengste noch stehen jetzt
hier, wo schon zu Kurfürst Christian I. Zeiten ein Stuthaus für hundert
Rosse bestand.
Nördlich von Kalkreuth dehnt sich auf Folbern und Quersa zu eine
ungeheure Ebene. Hier war es, wo August der Starke der Reiherjagd
huldigte. Im Röhricht am Fluß standen damals genug der blaugrauen
Wildfischer, es war nicht schwer, ihrer einen hochzumachen, und dann
ward der Falke an ihn geworfen! In verzweifelter Hast stieg der Reiher,
er wußte, was ihm drohte, aber wie ein Sturmwind zog der Falke empor,
steiler und steiler, bis er ihn endgültig überhöht hatte. Was nützte es
dem Grauen, daß er herausholte aus den Fittichen, was er nur konnte;
daß er herausspie, was er im Kropf trug; daß er den dolchartigen
Schnabel dem Gegner entgegenreckte? Wie ein Stein fiel der Falke
ihm auf den Rücken, eine wirbelnde, schwingenschlagende Masse kam
weit drüben zur Erde. Und jetzt hieß es für die Jäger Schenkel heran
und im vollen Rosseslauf hin zu den Vögeln – keinesfalls sollte der
Falke den Reiher abtun; des Weidwerkes feinstes Ziel war, den Reiher
lebendig zu fangen, ihn mit silbernem Ring am Ständer zu zieren und
ihn dann wieder in Freiheit zu setzen. – Im Kalkreuther Hof wohnte
der Oberfalkenmeister mit seinen Knechten, und in der Ebene stand
der sogenannte Reiherpavillon, ein anmutiges Schlößchen, darin die
Teilnehmer an der Jagd hinterdrein ihre Bequemlichkeit fanden.
Und nun auf zum letzten Kampf mit der Ferne. Schon winken die
Großenhainer Dächer und Türme hinter der unendlichen Aue. Daß ich dem
Löwenwirt an der Landstraße den Schmerz antue, beim Nachbar mir zwei
Gläser Wasser zu erbitten, ist unschön, hilft mir aber bei der Hitze
besser weiter als schäumendes Braunbier. Gar bald grüßt mich denn
auch das äußerste Vorwerk von Kalkreuth, der Reiherhof, ein Zeuge aus
der Zeit des edlen Federspiels. Unter einer wundervollen Pappelgruppe
liegt der stattliche Hof mit seinen anmutigen Runddächern da. Mildes
Rindergebrumm weht mir aus den Koppeln nach, und mit glänzenden Augen
mustern die Fohlen den hastigen Wandrer. Im warmen Abendsonnenschein
glänzt der Röderkanal unter der Bohlenbrücke; wie brauner Achat, wie
Goldsammet leuchtet jetzt sein Gewässer. Dann umgibt mich wieder
Menschengewimmel; ich stehe am Bahnhof und kehre zurück dahin, wo mich
der neuen Woche Pflichten erwarten. Das Herz aber, ich weiß es, wird
noch lange sich zurücksehnen in das grüne, stille und starke Land dort
in der Au.
Bücherbesprechungen
=Dr. Jäger und Dr. Schulze, Wanderkarte Mitteldeutschland.=
Herausgegeben vom Sächsischen Verkehrsverband, Leipzig, Gellertstraße
10. Preis 0.50 Mark. Der Hauptwert dieser Karte, die sich zum
Ausarbeiten von Wanderungen in dem Gebiet zwischen Wittenberg und
Karlsbad, Erfurt und Zittau recht gut eignet, zumal die Entfernungen
zwischen den einzelnen Orten und die Steigungen reichlich und
ordentlich angegeben sind, wenn sie natürlich auch beim Wandern selbst
die amtlichen Karten nicht ersetzen kann, liegt darin, daß sämtliche
Orte mit _Jugendherbergen_ kräftig blau unterstrichen sind. Wer je
nach dem Jugendherbergsverzeichnis sich eine Tour zusammengestellt
hat, wird ermessen können, welche zeitraubende Arbeit ihm von den
Verfassern der Karte abgenommen worden ist. Da auf der Rückseite
sämtliche bei den wichtigsten Bahnstationen (auch der Vorstädte der
Großstädte) aufliegende Sonntagskarten mit Angabe der Kilometer
verzeichnet sind, nützt die Karte auch den Wanderern, die nicht dem
Herbergsverband angehören. Sie finden in dem unentgeltlich beigegebenen
Hotelverzeichnis eine Fülle von Übernachtungsgelegenheiten.
_Dr. Kurt Schumann._
»=Das Deutsche Haus=« von Paul Ehmig, 3. Band – 5. und 6. Buch –
ist soeben bei Ernst Wasmuth, Berlin, erschienen. Somit ist in
glücklichster Weise dieses großzügig angelegte Werk zum Abschluß
gebracht worden. Die künstlerischen Bedingungen des deutschen
Hauses, Anlage, Aufbau, Hauskörper, Innenraum und Garten werden
in tiefgründiger Weise vom Standpunkte des schaffenden Künstlers
behandelt. Der dritte Band ist ebenso wie seine Vorgänger hervorragend
ausgestattet und mit 131 wertvollen Abbildungen illustriert. Wir
empfehlen allen Baulustigen wie Freunden der nationalen künstlerischen
Kultur das Buch aufs wärmste, aber auch den Jüngern der Baukunst.
Ist es doch frei von der in technischen Gebieten allzu üblichen
schematischen Behandlung der Aufgaben, betont es doch immer
wieder die Notwendigkeit, die Erfahrungen der Alten zu benützen
und die Bedürfnisse aus ihnen zu entwickeln. Alles in allem eine
bedeutsame Weiterentwicklung der in den letzten Jahren erschienenen
Veröffentlichungen ähnlichen Charakters –, auf die vom Deutschen Bund
Heimatschutz herausgegebenen Grundlagen für das Bauen in Stadt und
Land, von Steinmetz, Berlin, und die sechs Bücher vom Bauen Ostendorfs
sei hier noch hingewiesen. –
Daß dem Siedlungsproblem, Reihenhaus und Bebauungsplan umfangreiche
Teile des Buches gewidmet sind, mag hervorgehoben werden, aber auch,
daß die künstlerische Gestaltung des Hausinneren in Verbindung mit
den Gartenräumen unter Beibringung schönen Abbildungsmaterials mit
besonderer Liebe behandelt ist.
_Paul Goldhardt._
=Heimatscholle von Franz Blanckmeister=, 214 Seiten gebunden in
Halbleinen 2.50 Mark, Dresden, Franz Sturm & Co. Das Vogtland, der
entlegenste Gau unserer sächsischen Heimat, ist noch lange nicht
so bekannt, wie es wünschenswert wäre. Da ist ein Buch mit Dank zu
begrüßen, das sich die Aufgabe stellt, das Vogtland zu schildern, wie
es war und wie es ist. Ein Sohn der vogtländischen Erde, der Verfasser
der »Sächsischen Kirchengeschichte« und des Deutschen »Familienlebens«
_Franz Blanckmeister_ in Dresden, gibt uns hier ein schönes,
abgerundetes Bild vogtländischen Lebens, wie er es als Knabe und
Jüngling von den Fenstern der Endegasse in Plauen geschaut hat. Denn
es sind Jugenderinnerungen, die uns hier geboten werden. Mit großer
Anschaulichkeit werden Land und Leute geschildert. Die Doppeltürme
Plauens steigen auf. Wie Momentphotographien treten die Eltern und
Verwandten, sowie zahlreiche Originale aus Stadt und Land vor das Auge.
In der Kinderstube hebt sich der kleine Sonderling von den Geschwistern
ab, der seine kleinen Schwestern und Brüdern neckt, aber nicht geneckt
sein will, der seine Habseligkeiten einsiegelt, damit sie nicht Schaden
leiden, der auf einer Schlittenfahrt wie durch ein Wunder gerettet
wird. Die Kinderspiele, das Straßenleben, die Tierwelt der Heimat, die
Schule, die Kirche, alles spiegelt sich in dieser deutschen Jugend
wieder, nicht zuletzt die Weltereignisse von 1866 und 1870, wie sie
das stille Städtchen berührten. Das ist ein Buch, an dem nicht nur die
Vogtländer, sondern alle ihre Freude haben werden, die unser Volk
lieb haben. Das bei allem Ernst humorvoll geschriebene Buch löst eine
wohlige Stimmung im Leser aus, es ist darum ein Buch für unsre Zeit.
=Hans Siegert, Zwei Wege.= Ein Roman aus dem Erzgebirge. Verlag Wittig
und Schobloch, Dresden-Wachwitz. Nachdem Max Geißler den deutschen
Büchermarkt mit einer Anzahl sogenannter Erzgebirgsromane bereicherte,
tritt jetzt der bekannte Leipziger Erzgebirgsschriftsteller Hans
Siegert mit einem »Roman aus dem Erzgebirge« auf den Plan. Richtiger
hätte es heißen mögen »Aus dem oberen, ja obersten Erzgebirge«, denn
Hans Siegert ist schon der Schilderer eines kleinen Gebietes, der der
Walddörfer und ihrer Bewohner in nächster Umgebung des Fichtelberges
gewesen. Wie das Leben dieser Waldleute arm an äußeren Ereignissen ist,
so besticht auch die vorliegende Geschichte nicht durch romanhafte
Gestalten und eine bewegte Handlung; aber aus jeder Zeile spricht die
Liebe des Verfassers zu seiner Heimat. Das Kleinste erscheint ihm
wichtig, das Bescheidenste erwähnenswert. Köstlich geraten sind die
Schilderung der Taufe und des Verfassers eigene Seminarerinnerungen.
Das Lesen des sehr empfehlenswerten Buches wird vor allem der
heranwachsenden Jugend von Nutzen sein.
_Max Wenzel._
=Gustav Wolf: Das norddeutsche Dorf=, Bilder ländlicher Bau- und
Siedlungsweise im Gebiet nördlich von Mosel und Lahn, Thüringer Wald
und Sudeten (222 Seiten mit 141 Netzätzungen und 20 Strichätzungen
– R. Piper & Co. Verlag, München 1923). Dieses köstliche Buch
ist der letzte Band einer Reihe, die in drei Bänden »Die schöne
deutsche Stadt« und »Das deutsche Dorf« umfaßt. Wir möchten wohl
wünschen, daß ein besonderer Band neben dem süddeutschen und dem
norddeutschen auch das mitteldeutsche Dorf, besonders das sächsische
behandele, denn Sachsen ist in dem Wolfschen Buche nicht gerade
hervorragend bedacht, und in dem Quellenverzeichnis sind die Werke
von Wuttke, Hennig, Karl Schmidt, Gruner u. a. nicht genannt,
auch z. B. unsere charaktervollen erzgebirgischen Wehrkirchen
nicht erwähnt. Aber trotzdem können wir dem Buche des kunstreichen
Architekten nur warme Anerkennung mit auf den Weg geben. Es behandelt
nach zwei einführenden Kapiteln die Bauernhausformen Ost- und
Mitteldeutschlands sowie Nordwestdeutschlands, das Altsachsenhaus,
das Westfalen-, das Ostfriesen-, das Nordfriesenhaus, Grotdör, Döns
und Pesel, die Siedlungen, die Dorfkirchen und die Erstellung des
dörflichen Gesamtbildes. Treffliche Sachkunde vereinigt sich hier
mit warmfühlendem Herzen. Wolfs tiefgehende Liebe zu deutscher
Eigenart spricht zu unserem Herzen und wird jedem, der das deutsche
Dorf, das deutsche Bauernhaus, die deutsche Dorfkirche in ihrer
Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit, in ihrer Zweckmäßigkeit
und in ihrer bodenständigen Kraft noch nicht kennen sollte, einen
reichen Einblick in deutsches Wesen und in deutsche Ausdrucksform
geben. Mit eindringlichen Worten wendet sich Wolf an die deutschen
Architekten, die Baubehörden, die kirchlichen Maßgebenden, um in ihnen
wiederzuerwecken, was uns verlorengegangen ist. Gedanken Sohnreys,
Mielkes, Schultze-Naumburgs haben das Buch mannigfach befruchtet, aber
das Ganze ist Wolfscher Eigenbau. Ein paar Sätze aus seinen Darlegungen
mögen hier Platz finden: »Ihr Bauern, Pfarrer und Baumeister: werdet
bescheiden! Laßt das Kirchenbauen, wenn Ihrs nicht müßt. Und wenn Ihrs
müßt: fragt nicht nach Stil, nicht nach Ornamenten, wollt nicht zuviel,
tut das Notwendige mit den einfachsten Mitteln. Laßt Euch von Armut
und Elend, die uns der Weltkrieg aufgezwungen, wieder jene einfachen
aber starken Raum- und Bauformen bringen, die einst, aus Not geboren,
zur Tugend wurden in den Gipfelbauten unserer Dörfer: in den alten
Dorfkirchen.« – Anderthalbhundert Abbildungen, darunter eine Anzahl
lehrreicher Fliegeraufnahmen sind dem Wolfschen Buche beigegeben.
_Paul Schumann._
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt
– Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
Klischees von Römmler & Jonas, sämtlich in Dresden
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Satzung
I. Zweck und Organisation
§ 1.
Name, Zweck und Sitz des Vereins.
Der Landesverein »Sächsischer Heimatschutz« bezweckt, die sächsische
Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart zu
schützen, Neuentstehendes im Sinne dieser Eigenart zu beeinflussen,
sowie das Bau- und Wohnungswesen zu fördern.
Sein Arbeitsgebiet umfaßt namentlich:
~a~) Pflege der überlieferten ländlichen und bürgerlichen
Bauweise, Beratung für Bauten und Anlagen aller Art,
Maßnahmen gegen die Verunstaltung von Stadt und Land, sowie
die Erstattung von Gutachten über alle diese Fragen;
~b~) Pflege der Volkskunde und Volkskunst;
~c~) Schutz der landschaftlichen Natur, der einheimischen Tier-
und Pflanzenwelt, sowie der geologischen Eigentümlichkeiten
des Landes.
Entsprechend diesen Aufgaben des Vereins bestehen drei Hauptgruppen
unter je einem besonderen Leiter, nämlich:
Gruppe ~A~: Bauberatungsstelle,
Gruppe ~B~: Volkskunde und Volkskunst,
Gruppe ~C~: Naturschutz.
Außerdem besteht als besondere Abteilung: eine Beratungsstelle
für Bebauungspläne.
Die Verfassung und Tätigkeit dieser Abteilung, sowie ihre Stellung
im Gesamtverein wird durch eine vom geschäftsführenden Vorstand
aufzustellende Geschäftsordnung geregelt.
Der Sitz des Vereins ist Dresden.
Der Verein ist in das Vereinsregister eingetragen.
§ 2.
Die Organe des Vereins sind:
~a~) der geschäftsführende Vorstand,
~b~) der Gesamt-Vorstand,
~c~) die Hauptversammlung.
§ 3.
Das Geschäftsjahr läuft vom 1. Januar bis mit 31. Dezember.
II. Mitgliedschaft
§ 4.
Der Landesverein setzt sich zusammen aus:
~a~) körperschaftlichen Mitgliedern,
~b~) Einzelmitgliedern,
~c~) Ehrenmitgliedern.
Die Höhe der Jahresbeiträge und der sonstigen Aufwendungen, die zur
Erhaltung des Vereins erforderlich sind, bestimmt der geschäftsführende
Vorstand, der auch befugt ist, im Einzelfalle Nachlässe zu gewähren.
Um Irrtümer zu vermeiden, geben wir hierzu folgende Erklärung: Der
Jahresbeitrag ist auf RM 12.— festgesetzt[8].
Der Eintritt erfolgt durch Anmeldung.
§ 5.
Zu Ehrenmitgliedern oder Förderern können auf Vorschlag des
geschäftsführenden Vorstandes durch den Gesamtvorstand Personen
ernannt werden, die sich um die Bestrebungen des Landesvereins in
hervorragender Weise verdient gemacht haben.
III. Vorstand
§ 6.
Der Gesamtvorstand des Landesvereins besteht aus:
~a~) dem Vorsitzenden,
~b~) dem 1., 2. und 3. Stellvertreter des Vorsitzenden,
~c~) dem Schatzmeister,
~d~) den Leitern der drei Hauptgruppen und deren
Stellvertretern (zu vergleichen § 14),
~e~) dem Geschäftsführer, sowie
~f~) 80 Beisitzern.
Für die Angelegenheiten der Abteilung für Bebauungspläne tritt deren
Vorsitzender und dessen Stellvertreter hinzu.
Die Zuziehung noch weiterer Personen mit beratender Stimme bleibt dem
Gesamt-Vorstand überlassen.
Die Leiter der Hauptgruppen sowie der Abteilungen können gleichzeitig
ein anderes Amt im Gesamt-Vorstande bekleiden.
Die unter ~a~–~e~ Genannten bilden samt 8 Beisitzern des
Gesamtvorstandes, die der Gesamt-Vorstand wählt, den geschäftsführenden
Vorstand.
§ 7.
Der Gesamt-Vorstand wird auf die Dauer von 5 Jahren von der
Hauptversammlung gewählt. Die Wahlen des Vorsitzenden, des 1., 2. und
3. Stellvertreters des Vorsitzenden, des Schatzmeisters und der Leiter
der drei Hauptgruppen erfolgen in je einem besonderen Wahlgange, die
der übrigen Vorstandsmitglieder mit Ausnahme des Geschäftsführers,
der als Beamter gilt, in einem gemeinsamen Wahlgange. Die Abstimmung
ist schriftlich und geheim, wenn nicht die Mehrheit der Versammlung
die Wahl durch Zuruf genehmigt. Wiederwahl der ausscheidenden
Gesamt-Vorstands-Mitglieder ist zulässig.
Scheidet ein Gesamt-Vorstands-Mitglied vorzeitig aus, so kann sich
der Gesamt-Vorstand bis zur nächsten Hauptversammlung durch Zuwahl
ergänzen.
Der Gesamt-Vorstand tritt auf Berufung des Vorsitzenden nach Bedarf
zusammen.
§ 8.
Der Vorsitzende hat den Verein gerichtlich und außergerichtlich zu
vertreten und bildet den Vorstand im Sinne von § 26 des BGB. Im
Behinderungsfalle tritt einer der drei Stellvertreter für ihn ein.
§ 9.
Hauptgruppen und Abteilungen (§ 1) erledigen die in ihr
Tätigkeitsgebiet fallenden Angelegenheiten selbständig unter eigener
Verantwortung ihrer Leiter und Vorsitzenden. Diese können jedoch
solche Angelegenheiten, insbesondere Fragen von grundsätzlicher oder
allgemeiner Bedeutung, jederzeit nach eigenem Ermessen vor den Vorstand
bringen, wie ebenso der geschäftsführende Vorstand aus gleichen Gründen
seine Mitentschließung fordern kann.
IV. Hauptversammlung
§ 10.
In der Regel findet aller fünf Jahre die Hauptversammlung statt.
Die Berufung außerordentlicher Hauptversammlungen beschließt der
Gesamt-Vorstand selbständig oder auf schriftlichen Antrag von
mindestens einem Fünftel der Vereinsmitglieder.
Zeit, Ort und Tagesordnung einer Hauptversammlung sind spätestens zwei
Wochen vorher durch Veröffentlichung in der »Sächsischen Staatszeitung«
und tunlichst in den Mitteilungen bekanntzugeben.
§ 11.
1. Dem geschäftsführenden Vorstand liegt ob:
die Leitung und Geschäftsführung des Landesvereins;
die Kassen- und Vermögensverwaltung.
2. Dem Gesamt-Vorstand liegt ob:
Die Entscheidung über wichtige und grundsätzliche Fragen aus
dem Arbeitsgebiet des Landesvereins, soweit sie nicht den
Hauptgruppen oder Abteilungen zugewiesen sind, die Prüfung
und Richtigsprechung des vom geschäftsführenden Vorstand
erstatteten Jahres- und Kassenberichts.
3. Die Hauptversammlung der Mitglieder des Landesvereins
(§ 4) wählt den Gesamt-Vorstand, beschließt über
Satzungsänderungen und Auflösung des Vereins (§ 19).
§ 12.
Über die Verhandlungen der Vereinsorgane und die von ihnen gefaßten
Beschlüsse sind Niederschriften aufzunehmen, die von dem Vorsitzenden
und dem Schriftführer nach Vorlesen zu unterzeichnen sind.
§ 13.
Sitzungen können gegebenenfalls auch nach Orten außerhalb Dresdens
einberufen werden.
V. Hauptgruppen und besondere Ausschüsse
§ 14.
An der Spitze jeder Hauptgruppe (§ 1) stehen ein Leiter (Vorsitzender)
sowie dessen Stellvertreter. Dem Leiter (Vorsitzenden) steht es zu,
Mitglieder des Landesvereins als Gruppenmitarbeiter hinzuzuziehen.
§ 15.
Für größere und einheitliche Arbeiten können vom Gesamt-Vorstande
besondere Ausschüsse (Arbeitsausschüsse) bestellt und nach Bedarf als
dauernde Einrichtung beibehalten werden.
VI. Abstimmungen
§ 16.
Jede vorschriftsmäßig einberufene Hauptversammlung ist beschlußfähig.
Der Gesamt-Vorstand ist beschlußfähig, wenn wenigstens ein Zehntel
der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist, der geschäftsführende
Vorstand bei Anwesenheit von mindestens ein Drittel der Mitglieder.
Bei allen Abstimmungen entscheidet, soweit nicht die Satzung anders
bestimmt (vgl. § 18) einfache Stimmenmehrheit. Jedes Mitglied
hat – auch im Falle des § 6 Absatz 4 – eine Stimme. Im Falle der
Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden, bei Wahlen
das Los.
Abstimmungen des Gesamt-Vorstandes und des geschäftsführenden
Vorstandes können auch auf schriftlichem Weg erfolgen.
§ 17.
Änderungen dieser allgemeinen Satzung, sowie des Vereinszweckes kann
die Hauptversammlung mit einer Mehrheit von drei Viertel der Anwesenden
beschließen.
VII. Auflösung des Vereins
§ 18.
Zur Auflösung des Vereins bedarf es des übereinstimmenden und jedesmal
von wenigstens vier Fünftel der erschienenen Mitglieder gefaßten
Beschlusses zweier mindestens vier Wochen auseinanderliegender
Hauptversammlungen. Der Antrag auf Auflösung muß wenigstens drei Monate
vor der Versammlung beim Gesamt-Vorstande schriftlich angebracht und
öffentlich durch die »Sächsische Staatszeitung« bekannt gemacht werden.
§ 19.
Im Falle der Auflösung wird das Vereinsvermögen dem Gesamtministerium
zur freien Verfügung überwiesen.
§ 20.
Die am 14. Juli 1908 errichtete Satzung ist am 15. Mai 1909, 15.
Mai 1911, 8. Mai 1912 und am 1. September 1919 abgeändert und am 1.
September 1923 in vorliegender Fassung neu errichtet worden.
_Dresden_, am 1. September 1923.
Fußnote:
[8] Der Beitrag ist beliebig zahlbar (monatlich,
vierteljährlich, halbjährlich oder fürs ganze Jahr). Das
Vereinsjahr ist das Kalenderjahr. Jeder, der im Laufe
des Jahres eintritt, erhält sämtliche Veröffentlichungen
dieses Jahres kostenlos, hat aber auch den Beitrag für das
Eintrittsjahr voll zu entrichten. Der Austritt aus dem
Verein ist nur zum Schluß des Kalenderjahres schriftlich
zulässig, der Beitrag für das Austrittsjahr gleichfalls
voll zu entrichten, sämtliche Veröffentlichungen des
Austrittsjahres erhält das Mitglied kostenlos. Für
minderbemittelte (Erwerbslose, Kleinrentner, Lehrlinge,
Schüler) kann der Jahresbeitrag auf jährlich zu
wiederholenden schriftlichen Antrag auf 50 Pf. monatlich
herabgesetzt werden. Die Abmeldung hat an den Verein und
nicht an eine Mittelsperson zu erfolgen und ist nur dann
gültig, wenn sie vom Verein schriftlich bestätigt wurde.
Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-N.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 74470 ***
Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 5-6
Download Formats:
Excerpt
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter
oder unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original
in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter
Text ist =so dargestellt=.
Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
Buches.
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
_Inhalt_: Lauchhammerwerke in Wolkenburg und Waldenburg, ein
Gedenkblatt zur Zweihundertjahrfeier des Lauchhammers – Auf...
Read the Full Text
— End of Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 5-6 —
Book Information
- Title
- Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 5-6
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- September 24, 2024
- Word Count
- 22,868 words
- Library of Congress Classification
- DD
- Bookshelves
- Browsing: Culture/Civilization/Society, Browsing: History - European
- Rights
- Public domain in the USA.
Related Books
Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XV, Heft 3-4
German
416h 48m read
Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XV, Heft 1-2
German
471h 5m read
Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 9-12
German
451h 42m read
Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 7-8
German
219h 33m read
Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 3-4
German
352h 46m read
Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XIV, Heft 1-2
German
341h 38m read