*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 74684 ***
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[Illustration: Cover]
Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden
Mitteilungen
Heft
1 bis 2
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
Band XV
_Inhalt_: Bodentreue – Bedeutungswandel von Vor- und Familiennamen –
Naturdenkmäler – 15000 Mark – Naturschutz und Gesetzgebung –
Verwaiste Storchniststätten im Niederlande um Oschatz – Die
sächsische Schule und der Heimatschutzgedanke – Aus unserem
Landesmuseum für Sächsische Volkskunst – Die Wohnräume, ausgestellt
vom Landesverein Sächsischer Heimatschutz auf der »Jahresschau 1925«
– Die Himmelmühle im Erzgebirge – Bücherbesprechungen – Naturschutz
Einzelpreis dieses Heftes 3 Reichsmark
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Postscheckkonto: Leipzig 13987, Dresden 15835
Stadtbank Dresden 610
Bankkonto: Commerz- und Privatbank,
Abteilung Pirnaischer Platz, Dresden
Bassenge & Fritzsche, Dresden
Dresden 1926
_Dresden_, am 22. Februar 1926
An unsere werten Mitglieder!
Erstmalig befindet sich in diesem Heft eine Beilage, die der
Bauberatung unseres Vereins dient und sicherlich eine Bereicherung
unserer Veröffentlichungen bedeutet. Wir verweisen dieserhalb
auf das Vorwort unseres verdienstvollen Mitarbeiters, des Herrn
Regierungsbaurat Dr. Goldhardt.
Da nun diese Beilage bei den weiten Kreisen unserer Mitglieder
sicherlich nicht allen von Interesse sein wird, andererseits die
Kosten sehr erheblich sind, weiterhin die heutige Zeit eiserne
Sparsamkeit gebieterisch verlangt, möchten wir die weiteren Hefte
dieser Sonderbeilage nur denjenigen Mitgliedern zustellen, die dafür
Interesse haben. Wir bitten daher alle diejenigen unserer geschätzten
Mitglieder, die auch weiterhin in den Besitz der Beilage gelangen
wollen, um Mitteilung auf beigefügter Karte. Ob es möglich sein wird,
die Zeitschrift kostenlos zu liefern, nachdem ja die Mitgliedsbeiträge
außerordentlich schwer eingehen und es großer Mühe bedarf, für die
ausgetretenen Mitglieder, die uns hauptsächlich aus wirtschaftlichen
Gründen verlassen mußten, Ersatz zu finden, steht dahin. Wir sind aber
der Überzeugung, daß keiner, dem es um eine gesunde Baukunst ernst
ist, wegen der 1.50 M., die die Beilage jährlich kosten würde, auf sie
verzichtet.
Wenn es irgendwie möglich ist, werden wir die Beilage auch weiterhin
allen denjenigen umsonst beilegen, die es wünschen, ist es aber mit der
wirtschaftlichen Lage des Vereins nicht vereinbar, dann werden wir im
vorhinein die Interessenten der Beilage davon unterrichten, daß wir den
Betrag von 1.50 M. jährlich besonders erheben müssen.
Wir würden uns freuen, wenn die Beilage »Bauberatung« das verdiente
Interesse finden und unter unseren Mitgliedern regste Verbreitung
erhalten würde.
Mit deutschem Gruß
=Landesverein Sächsischer Heimatschutz=
=O. Seyffert=,
Hofrat, Professor
1. Vorsitzender
=Werner Schmidt=,
geschf. Direktor
Band XV Heft 1/2 1926
[Illustration: Landesverein Sächsischer Heimatschutz Dresden]
Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern
herausgegeben
Abgeschlossen am 31. Januar 1926
Bodentreue
Von A. _Eichhorn_, Glashütte
Und hat die Heimat karges Brot
und Nebellast das ganze Jahr,
sie ist trotz aller, aller Not
so wunderselig licht und klar.
Mit tausend Ketten bindet sie,
mit tausend Armen hält sie fest,
wie eine arme Mutter, die
ihr sterbend Kind noch an sich preßt.
(Gustav Schüler.)
Kämpfer und Dulder waren und sind die Menschen droben im Kammland
unseres Erzgebirges. Festgedrückt an den Boden erscheinen die
niedrigen, schindelbedachten Berghütten. So geschaut, wandeln sie sich
zum Ausdruck der Seelenstimmung ihrer Bewohner: Festhalten, einkrampfen
in den Boden, den der Vorfahr in langer Geschlechterfolge durch
kraftverzehrende Arbeit der Wildnis entriß und damit die Wetterkräfte
in ihrer urgewaltigen Wirkung minderte. Bleiben, kämpfen oder dulden,
aber nicht weichen, wenn fremder Zunge Bodengier nach der »Hamit« leckt.
»~Silva liminaris~«, Grenzwald, nennt eine Urkunde des Klosters Ossegg
vom Jahre 1203 das wilde Waldgebirge zwischen Sachsen und Böhmen.
Eine lebendige Schutzmauer war der dickichtstrotzende, moorbergende,
tagereisenbreite Urwald für Böhmen. Nur wenige Saumpfade liefen durch
die Wildnis, martervolle Wegfahrten für die Reisenden. Einzelne
»Landestore«, ~porta terrae~, öffneten die Waldmauer um dieses
Jahrhundert: So bei Kulm, Graupen, an der Riesenburg, bei Preßnitz
und Graslitz. Den Grenzwaldklöstern ward der Grenzschutz geboten.
Leute _deutscher_ Abstammung betreuten die Landestore und besserten
auf Geheiß der Klostermänner in friedvollen Zeiten die steinigten und
wurzelüberflochtenen Pfade zu gangbaren Handelswegen. Deutsches Blut
_heimatete_ zuerst im wilden Waldland.
[Illustration: Abb. 1. =Das Kammdorf Göhren.= Im Hintergrunde der
Wieselstein]
Auf steilem Einzelfelsen oder schroff absinkender Talwand bauten im
elften und zwölften Jahrhundert thüringische und fränkische Ritter ihre
Wohnstätten, anfangs wohl nur aus einem Turm bestehend und erst im
Zeitenlauf sich zur trotzenden Schutzfeste wandelnd. Die Wahrzeichen
deutscher Besiedelung sind die Burgen unseres Erzgebirges, Wächter, die
sich einhorsteten in die Wildnis, zu fördern deutsche Kulturarbeit und
wo nötig, zu trotzen slawischem Wesen. Nach ihrer alten Heimat sandten
die Ritter ihre Unternehmer, um »Kolonisten« zu werben fürs neue Land.
Mancher Einwanderer erschrak, als ihm sein Stück Land zur Rodung
zugewiesen ward, schlich verzweifelnd am Abend zur Blockhütte, wenn das
Ringen mit Baum, Stein und Tier schier übermenschlich werden wollte
in der maßlosen Wildnis. Heute künden die langen, strauchbestandenen
Steinrücken von harten Tagen vergangener Geschlechter und säumen in
mittlerer Höhenlage schenkenden Boden. Wie von gewaltigen Recken
gebaut, lagern die Steinwälle droben bei Gebirgsneudorf. So urhafte
Mauern, kaum sind sie wieder zu finden im ganzen Gebirge, konnte nur
ein Wille türmen, der den bezwungenen Boden ewig haben wollte.
Was aber lockte die Menschen einst bis hinauf ins Kammland, wo
schwankender Grund keinen Fuß tragen will und ungebändigte Wildnis
ehedem eine rauhere Luft aushauchte als in unseren Tagen? Der Berge
erzene Adern wollten sie ritzen, ausschmelzen den erzschwangeren Fels.
»~Montes metalliferi~«, Erzgebirge, wurde das Gebirge benannt. Reicher
Bergsegen ward gehoben. So gab es auch im kalten Kammland Brot, und
den Erzgräbern fiel das Bleiben nicht schwer. Deutsche Bergleute waren
es, die von Freiberg aus allmählich den sanftansteigenden Nordabhang
hinaufsiedelten, des Hochlands Erzgänge »fündig« machten und auch
seinen böhmischen Teil mit manchem Bergstädtlein betupften. Da kamen
friedlose Zeiten auch zum Bergmann in der hohen Einsamkeit. Als der
Krieg begann, in dem katholische und lutherische Heere dreißig Jahre
lang miteinander stritten, kam nach der Schlacht am Weißen Berge bei
Prag der Jesuit ins Erzgebirge. Duldung war ihm ein unbekannt Wort.
Mit roher Gewalt hieß er die »Bekehrungsdragoner« ihres Amtes walten.
Bürgerrecht, Amt und Handwerk verlor die Glaubenstreue. Hinaus aus
dem Land, wenn du nicht unsere Messe hörst! Mancher traurige Zug von
vertriebenen, doch innerlich starken Menschen, bewegte sich über die
Grenze nach Sachsen. Oft nur wenige Minuten von der alten Heimat
entfernt gründeten die Exulanten das neue Heim. Johanngeorgenstadt,
Neuschönberg, Rothenthal, Zinnwald, Neugeorgenfeld, Gottgetreu und
noch manch anderer Ort im Grenzgebiet wurde von ihnen gegründet.
Das Jahrhundert jesuitischer Gewalt beraubte das böhmische Kammland
seiner besten Siedler, nur gut, daß sie nicht fortgegangen, sondern
nur Schritte gewichen, denn mancher Notruf kam von »drüben«, den ihre
helfende Hand zu leiserem Klingen brachte, wenn sie nicht selbst
ärgste Not bedrückte. Der Krieg suchte ja alle Winkel im Gebirge auf.
Oft hallten Marterschreie im Bergwald wieder. Verängstet schlichen
die Flüchtlinge wieder aus dem Moor. Ein Häuflein Asche lag auf dem
Eigengrund. Lange standen sie ratlos auf den Trümmern ihrer Heimstätten.
Die Häuslein erstanden wieder.
Da klang es erst hier und dort, dann vielerorts und bald im ganzen
Gebirge von einem Gespenst, das zwingen würde, fortzugehen. Bald ward
das heimlich Gefürchtete schlimme Wirklichkeit: Der Berge erzene Adern
hatten sich vertrieft. Jahre kamen, da mußten die Erzsucher um längst
verdienten Lohn bitten, waren zufrieden, wenn ihnen »Brot und Geleucht«
gewährt ward. Bleiche, vermühte Männer wandelten zum Stollen. Kamen sie
aus ihrer sonnenlosen Werkstatt, dann war nur zu oft auch draußen das
Tageslicht von schleichendem Nebel gedüstert. Schwermütig gingen sie
zwischen den geisternden Stämmen ihrer Hütte zu. Aber treu blieben sie
ihrer Arbeit, treu ihrem Häusel. Es war zu schwer fortzugehen, weil
des Schichtglöckleins Ruf zu bindend geworden, zumal denen, die seiner
Stimme ein Leben lang gefolgt. Und als das grausame Wort erklang:
Sucht anderswo nach Brot, der Tag der Ablohnung ist nicht mehr fern,
da vertrauten sie noch immer der Wünschelrute, daß neue Gänge fündig
würden und hofften auf bergtechnischen Fortschritt, der die noch
ruhenden Schätze lohnender zu heben vermöchte.
Als der Bergmann sein Gezähe aus der Hand legte, da feierten auch die
Zimmerleute, die den Stollen stützten, des Hammerschmieds Wasserrad
schufen und besserten, die Hammerstiele schnitzten. Seltner rauchte
ein Meiler. Runde, schwarze Flächen auf dem Waldgrund sagten noch
eine kurze Zeit, daß hier die rußigen Kohlenbrenner geschafft. Heute
weckt nur noch des Flurnamens Klang die Erinnerung an des Köhlers
Arbeitsplatz.
Was tun im unwirtlichen Hochland? Fortgehen, das Häusel verlassen?
Nein, von den Bergen steigen wir nicht. Bleiben wir treu dem Kammland,
dann wird auch uns der Boden treu bleiben mit seiner schlummernden
Kraft!
Nun begann ein zäher Kampf mit den schwamm- und flechtenüberwucherten
Holzriesen, die sich mit ihrem unterirdischen Wurzelreiche zu einem
einzigen Wesen verschlangen. Die Siedler gingen sie an mit Feuer,
Säge, Axt und Keil, daß die urhaften Holzleiber krachend stürzten;
sie rangen mit Wurzeln und Felsen, legten Pfade durch moorigen Boden,
entwässerten und wandelten so in schweren Wochen jungfräulichen Grund
zur viehnährenden Wiese.
Mit festem Willen ermunterten die Starken die Verzweifelnden, sprachen
von besserer Ernte, wenn das Neuland erst an ein Fruchttragen gewöhnt,
zeigten, wie ein schützender Zaun zu bauen sei, damit der Hirsch
die mühsam gezogene Saat nicht wieder zertrample, wußten das stolze
Bewußtsein in den Mitringenden zu stärken: Wir haben einen Boden zum
Geben gebracht, der noch keine Bauernarbeit lohnte. Die Erkenntnis ward
starker Wille: Den geben wir nimmermehr her.
So geht das Mühen um kargen Ernteertrag noch heute droben im Gebirge
von etwa achthundert Metern an. Wohl milderte jahrhundertlange
Kulturarbeit die zerstörende Macht der Wetterkräfte, doch allzukurz
ist die Reifezeit zwischen Schneeschmelze im Frühjahr und Neuschnee
im Herbst. Die Hälfte der Jahrestage lasten und hasten Nebel über dem
Kammland, kürzen selbst in Sommermonden die kostbaren Sonnentage. Hat
künstliche Düngung den Boden auch gezwungen, die brotfruchttragende
Ähre zu gebären, so bleibt diese Ernte doch gering. Es gilt auch zu
eilen, daß der Hafer nicht versilbert oder die Kartoffeln auf dem
Ernte_schlitten_ heimfahren. Darum ist die Wiese mit dem Milchvieh des
Häuslers Haupterwerb.
Milch und Butter trägt er in die Industrieorte am Südfuße des Gebirges.
Am frühesten Morgen steigt er hinab, und er klettert schon wieder zur
Hochfläche, wenn der Fremde seine Tageswanderung beginnt.
Für sein Vieh heißt es: Karge Nahrung, kurze Herbstweide hocken in
ärmlichem Stalle.
Zwergwirtschaften vermag das Kammland nur zu tragen, und kommt der
Winter einmal allzufrüh (1919!), dann geht ein Jammern durch die
Siedlerhütten und darbende Menschen suchen nach Brot.
_Beispielswirtschaften_ sind seit einigen Jahren auch im Hochland
unseres Erzgebirges eingerichtet. Sachkundige Berater suchen mit
strebsamen Landwirten Wirtschaftsverbesserungen einzuführen. Der
Kleinbauer findet beim Beispielswirt manche Maßnahmen für Fütterung,
Pflege und Zucht des Viehes, gute Raumnutzung und Reinigung des
Saatgutes. Bei gemeinsamen Begehungen der dazugehörigen Felder wird
er vertraut gemacht mit zweckmäßiger Flureinteilung, Bodenbearbeitung
und Feldbestellung, Fruchtfolge und Düngung. Grundsatz ist: Nur solche
betriebsverbessernde Maßnahmen einzuführen, die _wenig_ Geld verlangen
und _sicheren_ Erfolg bringen. Der kleinste Bauer soll sie nachahmen
können. Dank den Beispielswirten im herben Kammland! Sie machen ihre
Nachbarn _bodenfest_.
Der Wald gibt Brot. Mutter und Kinder sammeln Wurzeln und Kräuter.
Der Vater trägt die Heilung in die Stadt. Beeren und Pilze schafft er
»wägeleweis’« hinab. Mit bescheidenem Erlös kehrt er müde heim.
[Illustration: Abb. 2. =Frauen beim Buschgrasholen in der Nähe der
Moorbodengrube bei Zinnwald=]
Leichter Rauch über den Wipfeln kündet den Holzschlag. Ein Feuer kocht
das einfache Mahl für die Holzer, das sie verzehren, wenn die Sonne
über den Hochpunkt geht. In mittäglicher Stille zittert die Luft über
dem Baumkirchhofe.
[Illustration: Abb. 3. =Herstellung von Köpfen auf Lauffiguren.=
Die weiche Papiermasse wird in gut ausgeölte Formen gepreßt.
(Katharinaberg)]
Dann nagt wieder die Säge, kerbt die Axt, drängt der Keil zu
rauschendem Fall und dumpfem Aufschlag. Mit _Ernst_ und _Liebe_
sind die Waldmänner bei ihrer Baumarbeit. Wenn die Sonne hinter den
schwarzgezackten Waldrand hinabrollt, dann schreiten sie heimwärts,
erst stückweise gemeinsam, dann jeder einzeln den verstreutliegenden
Hütten zu. Im Abenddämmern sitzt die Holzerfamilie um das dampfende
Erdäpfelmahl oder löffelt die Milchbrotsuppe.
[Illustration: Abb. 4. =Abputzen des Preßrandes von Figuren.= Auf dem
Gestell an der Decke Wackelfiguren. (Katharinaberg)]
Im Frühtau geht es wieder in den Wald, um mit dem »Baumhackel« (Specht)
um die Wette zu spalten. Die Wald_laute_ sind ein Stück Holzerglück.
Ist es um die Mittsommerzeit, ehe das Heuen auf den Hochwiesen anhebt,
dann schreitet auch sein Weib mit zum Walde, um auf dorfferner Lichtung
das borstige Buschgras für die Ziege zu holen. Es ist ein mühsam
Sicheln um die alten sich abschälenden Stöcke. Gar behutsam gilt es,
jeden Schritt zu tun, denn versteckt im hohen Grase sproßt in zartesten
Anfängen der junge Tann.
[Illustration: Abb. 5. =Bastflechterin und Bastweberin in Zinnwald=]
Auf holprigen Wald- und Feldsteiglein wandeln gebückte Gestalten unter
getürmter Last dem Hochdorf zu.
Aus Fichtenholz formt der Vater Schaufel, Mulde und Rechen, Nudelholz,
Klopfer, Quirl und ander Küchengerät.
Die Drechsler von Kallich, Göttersdorf, Katharinaberg, Seiffen,
Olbernhau, Rothenthal drehen zierliche Dosen, Teller, Krüge, Kannen und
Becher.
Künstler ihrer Art sind die Spaltringdreher. Unter feinfühliger Führung
des Stahles entsteht in kreisender Scheibe Menschlein und Tierlein in
Grundform.
Sie wandern von Hand zu Hand, bis des Pinsels buntende Kraft die rohen
Gestalten gar unterschiedlich beseelt. Kinderhand hilft mit beim
Schaffen von wundersamem Spielrat und hölzernem Nutzgerät.
Seit Jahresfrist steht der Bast_webstuhl_ im Hause. Mit sicherem
Griff hängt die Linke den Basthalm an den Zugstab, den die Rechte in
ruhiger Bewegung durch gespannte Halme zieht und Breite um Breite mit
gleichmäßigem Zug zur Decke fügt. Nimmerrastende Hand fordert der
Webstuhl von früh bis spät abends, ehe er neun Kronen (eine Mark) zum
Taglohn gibt. Die runzeligen Hände der Alten flechten zitternd Streifen
um Streifen zum »Elfhalm« und »Siebenhalm«, das Meter um Bruchteile
eines Pfennigs.
Hart ergreift die Kinder das Ringen ums Brot, deren Drang nach Bewegung
durch vielstündig Sitzen arg gefesselt wird. Oh, heute bleiben wir noch
ein Weilchen auf der Wiese hinterm Schulhause und spielen! Kommen wir
später zum Basthalm, dann kann die Mutter nicht böse sein: Der Lehrer
war ja mit dabei, heute dauerte die Schule »halt« länger.
Bei spärlichem Ölflammenschein gleiten die weißen Halme durch
Kinderfinger. Die Stadtkinder im Lande drinnen schlafen schon.
Aber wir habens auch so fein. Um unser Häusel ist alles so frei und der
Wald gleich dabei. Schickt uns die Mutter nach Schwämmen, da dauerts
nicht lange, ist’s Mittagessen gesucht. Wie gut es immer in der Stube
nach Pilzen riecht, wenn die Schwammdörre anfängt. Dann fädeln wir um
die Wette die Pilzscheiben auf und hängen die Schnure an die Sonne oder
übern Herd. Und das Schwarzbeerholen ist auch so fein.
Im Winter knallts Stockholz so tüchtig, das der Vater im Sommer gezerrt
hat. Unsere Heutür am Giebel ist dann die Haustür. Vom Dache fährt der
Schlitten fein hinab. Und in die Schule brauchen wir auch nicht jeden
Tag. Der viele Schnee und tüchtiger Sturm sagts schon früh dem Lehrer,
daß wir nicht kommen. Die Stadtkinder bekommen den Schnee gleich
weggenommen, sagt der Vater. Da haben wirs besser.
O Kinderauge, du Märchenauge!
Ein lieblich Bild: Auf der Gasse vorm Hause Mutter und Kinder am
Klöppelstock. Geschickte Finger werfen die klappernden Klöppel hinüber,
herüber und schließen die freien Fäden zu kunstvollem Muster.
Und doch steckt hinter diesem wohltuenden Anblick, wie hinter jeder
erzgebirgischen Heimarbeit, tiefe Not. Aus versonnenem Schauen wird
der Fremde aufgeschreckt durch des Heimschaffers Wort: _Bleibe_ hier
und verdiene dein Brot! Bleibe bei uns Spankorbmachern und arbeite mit
vom Morgendämmern bis in späte Nacht! Darfst aber auch deine Kinder
nicht rasten lassen, mußt sie einen halben Tageslauf gebückt sitzen
sehen, mußt es verwinden können, daß sie ermüdet zur Schule gehen,
bleich wieder zur Tür hereinschleichen, wenn zwölf Mark dein Wochenlohn
sein soll. Dann halte Haus! Erwirb dafür Kleidung, Nahrung, Licht und
Feuer, begleiche Miete und Steuer!
Werkstatt und Heim sind beisammen. Kultur- und Lebensgemeinschaft
könnte die Familie sein. Doch unter solcher Not spinnen sich nicht die
feinen Fäden häuslicher Erziehung. Körper und Geist erschlaffen.
Trübe ist deine Zukunft, o Kammland, denn deine Jugend verkümmert.
Verweile bei uns Handschuhmachern, und wirst du ein Höchstleister, daß
du bei vierzehnstündigem Nähen sechs Paar Handschuhe abliefern kannst,
dann mußt du mit fünfundachtzig Pfennigen deine Tagesbedürfnisse
bestreiten.
Es klagen die Gorlnäher und Strumpfbesticker, die Knüpfer und
Klangholzmacher.
Es geht nicht mehr an, Kegelhölzer für die Drechsler zu schneiden. Fünf
Kronen gibts für ein Schock. Das Holzgeld kommt dem Lohne gleich.
Nur Abfälle können die Nagelschmiede kaufen. Kaum ein Kleidungsstück
läßt sich bei zehn Mark Wochenlohn erschaffen. Ein wenig besser Sein
ist dem beschieden, der ein Rad ans Wasser bauen konnte und die
Schneidmaschine drehen läßt. Der Fuhrlohn macht das Eisen teuer.
Die Schienenstraße windet noch länger den Südhang herauf. Schon
mancher Blasebalg hat zum letztenmal gefaucht. Das Gebirge will die
Nagelschmiede nicht mehr tragen und gab ihnen doch Brot hundert um
hundert Jahre. Ja, käme elektrische Kraft ins Dorf, dann könnten sie
gleich bestehen mit denen unten im Lande. So meinen die Nagelerzeuger
von Natschung und Heinrichsgrün.
[Illustration: Abb. 6. =Klöpplerinnen in Sebastiansberg=]
Mit schwerem Herzen stiegen viele Gebirgler in die qualmüberwallte
Ebene, als nach Mißernte in Kriegs- und Nachkriegszeit Frau Sorge
droben keine Feierstunde mehr kannte. Sie gingen ins Eisenwerk oder
ließen sich in finstere Schächte sinken. Übermüde wankten sie nach der
Schicht aus der dröhnenden Werkstatt zum Bahnhof, wurden erst froh,
wenn die ersten Bäume vorbeihuschten und der Wald bei der bergwindenden
Fahrt immer tiefer hinabsank.
[Illustration: Abb. 7. =Nagelschmied in Heinrichsgrün=]
Die im Kohlenbergwerk schafften, wurden gar bald inne, daß sie zu
solchem Tun nicht taugten. Sie wichen dem tschechischen Grubenmann
und ertrugen die harte und ungerechte Anklage, Mitschuldige zu sein
an der Hingabe der Kohlenschätze in slawische Hand. Konnten sie,
die von Jugend an nur »karges Brot« gegessen, Gleiches schaffen mit
denen, die ein reicher Boden genährt? Die vom ersten Atemzug an
reine Bergluft gesogen, konnten nicht atmen in erstickenmachender
Tiefe. Und die der Arbeitsart gefolgt, weil sie einst schon in der
Heimat die Gruben lange getragen oder verjüngtes Bergmannsblut in
ihren Adern rann, hatten nicht bedacht, daß Kohlen- oder Erzgräber
zu sein zwei Welten bedeutet. Sehnsucht nach Wald, Wiese und Moor
ward drängende Macht. Aus staubschwangerer Stollenfinsternis stiegen
sie wieder hinauf in die Bergnacht, standen ehrfurchtsvoll versunken
beim kindheitsgewohnten Schauen, wenn der Nebel sich lockerte und
das Funkelgewölbe entschleiert Hochland überdachte. Reich schuf sie
das tiefe Naturerleben in ihrer Armut. Fester wurde nach dem kurzen
Fernsein die Liebe zur Bergheimat, fester der Glauben an den Boden:
Trägst du die Tanne, trägst du auch mich. Vuglbärbaam, iech gieh nett
mi fort!
In der Kohlenstadt hatte er das Schreinerhandwerk erlernt. Seine Freude
bekundete der Meister oft über die Geschicklichkeit des Bergkindes. Als
die Lehrjahre vergangen, mahnte der Meister: »Versuch hier unten dein
Glück, die Einsamkeit dort droben hat kein Begehren für deine Kunst!«
Doch immer ging der Blick zum Hochland und mit dem Schauen wuchs
auch die Sehnsucht nach ihm. Als Geselle schuf er fleißig bei seinem
Lehrmeister. Doch wenn Wochenschluß nahte, dann flog der Hobel hastiger
über die Bretter. Wenn am Samstagabend sich die Täler verschatteten,
des Hochdorfs Fenster im letzten Sonnenfeuer brannten, stand er oben
und lauschte aufs Abendglöcklein. Manchmal sah ihn der Meister erst am
zweiten Werktage wieder. Als jene Zeit kam, da zwei liebgewordene Augen
nach dem Heimkehrer schauten, da klomm er in nebelschwerer Herbstnacht
zum Kammland, fürchtete nicht den schneeverschütteten Bergwald und
seine todbringenden Stürme. Bald kam ein Tag, da spielte der Bergwind
mit Myrte und Schleier. Nun schafft der Bodentreue schlichten und
kunstvollen Hausrat fürs Hochland, daheim im Heim.
[Illustration: Abb. 8. =Nagelschmied an der Zuschneidemaschine
Heinrichsgrün=]
_Vierzig_ Jahre hindurch hackt der Alte in der »Moorbodengrube«. Er
schürfte immer nur die oberste Schicht vom Urland zum heilenden Moorbad
für den Kurgast in Eichwald. Auf den wieder unberührt gelassenen
Flächen siedelt von neuem die Birke, Trunkel- und Moosbeere. Im Winde
baumeln die Wollgrasschöpfe. Vier Jahrzehnte _einen_ Arbeitsplatz!
Wieviel sonnenlose Tage mag er gegraben haben hier in der Nebelheimat.
Der Boden hielt ihn fest wie ein Magnet.
[Illustration: Abb. 9. =Eine Nagelschmiede in Heinrichsgrün=]
Zu all dem Ringen um ärmliches Leben kommt in die Häusel im böhmischen
Teil des Kammlandes noch eine tiefe Bitternis. Das Recht am Boden wird
dem Deutschen vom Slawen bestritten.
[Illustration: Abb. 10. =Rohrsitzflechterinnen in Göhren=]
Noch einmal erinnern wir uns daran: _Deutsche_ Bauern und Handwerker
kamen aus Sachsen, Franken, Schlesien und Flandern, vom Rhein und
Neckar, deutsche Bergleute ins wilde Waldgebirge und verschmolzen in
Leid und Arbeit zum Volk der Deutschböhmen.
[Illustration: Abb. 11. =Beim Dorftischler in Göhren=]
Nun soll deutsches Blut unterwürfig darben und nur noch ein
Gnadendasein führen im dürftigen Hochland. Deutsche Sprache soll
verstummen, deutsche Sitte versickern in fremden Volkes Art. Im
entlegensten Bergwinkel klingt schon slawischer Laut, slawisches
Schriftwort hat den Vorrang auf der Tafel am ersten und letzten Haus im
Kammdorf. Drunten am Bahnhof fand die deutsche Wegetafel fürs Gebirge
keine Duldung mehr. Von Tag zu Tag seltener wird der deutsche Beamte am
Schienenweg. Deutscher Geist soll nimmer den Bergwald betreuen,
nur die tschechischen Heger herrschen im Forst. Mit scharfen Augen
überwacht der slawische Gendarm das Tun der Leute im Kammdorf.
[Illustration: Abb. 12. =Alter Steinklopfer am Weg von Göhren nach
Böhmisch-Einsiedel.= Nebeltag]
Mit tränenfeuchten Augen steht ein Häusler im kleinen Kirchhof,
überblickt versonnen die Hügel: Oh, ihr Gewesenen, wüßtet ihr, wie’s
steht im Landl. Nichts mehr gilt deutsche Meinung, Haus um Haus
verliert das Dorf an fremde Art. Ein grausam Wort: Froh wird der
Deutsche sein, als Ochsenknecht einst hier zu frohnen, an euren Hügeln
nur wird deutschen Laut er sprechen dürfen. O qualvoll Schicksal: Zu
sein ein Heimatloser in der eigenen Heimat!
[Illustration: Abb. 13. =Kapelle in Grünwald=]
Mancher ahnte schon das Zukunftsbild, und mahnend hieß er seine Enkel
treu zu bleiben deutschem Wesen. Nur gut, daß auch im weltfernen
Schulhaus ein mutiger Mann den Kindern kernig deutsche Sprüche an die
Wand hing. Sie mahnen Stund um Stunde: Flieht nicht! Bleibt treu der
Heimat, treu dem Boden, den des Vorfahrs Schweiß genetzt! Habt starke
Herzen, wenn friedloses Sein die Treue will zermürben und rastloses
Bangen um ererbten Grund zum Schollenflüchtling drängt!
Und doch könnte es einen Einklang geben zwischen dem Deutschen und
Tschechen, denn mancherlei gemeinsam haben beide Völker. Gemeinsam
ist die Freude an den Tönen, gemeinsam ein mystisch Neigen zur Natur.
Sitte, Brauch und Sage ähneln einander.
Freilich herrschen will der Slawe, seit ihm die Macht ward, Deutsche
wie Ware zu verhandeln. Nur wenn _gleichberechtigt_ die Deutschen neben
den Tschechen schaffen können, dann wird ein friedlich Wohnen auf
gleichem Boden möglich sein.
Wandere hinauf zu den Heimattreuen im Kammland! Wenn die Nebel wie
ein Sorgenschleier die Hütten verhüllen, dann raste darinnen! Manch
schlichtes Wort wird dir kundtun, wie tief diese Menschen durch
Geschichte und Kulturgeschehen mit ihrem Ahnenboden verbunden, hüben
und drüben. Achtung vor ihrem Ringen um Brot und Heimatboden wird dir
kommen, wirst dann nicht gleichgültig weitergehen, wenn solche Herzen
entdeutscht werden sollen.
Auf deine Art hilf stärken ihre Bodentreue!
Bedeutungswandel von Vor- und Familiennamen
Von ~Dr. phil.~ _R. Trögel_, Auerbach i. V.
Die eigenartige sprachliche Erscheinung, daß Personennamen in
Gattungsbezeichnungen übergehen, ist schon mehrfach Gegenstand der
Untersuchung gewesen[1]. Da aber die seelischen Grundursachen für diese
Art des Bedeutungswandels, die von Wundt in seiner Völkerpsychologie
als »singuläre Namensübertragung[2]« gekennzeichnet worden ist, immer
wieder im Laufe der sprachlichen Entwicklung wirksam sind, lassen sich
mancherlei Ergänzungen bringen, die teils im Schrifttum verborgen
lagen, teils aber auch als erst in den letzten Jahren entstanden
überhaupt noch nicht schriftlich aufgezeichnet worden sind.
Schon die Tatsache, daß bis in die neueste Zeit hinein Eigennamen
zu Gattungsnamen werden, beweist den engen inneren Zusammenhang
zwischen den beiden Arten. Freilich, scheinbar und bei flüchtiger
Betrachtung liegt darin geradezu ein tiefer Widerspruch. Der Eigenname
ist, wie der Name sagt, das ureigenste Besitztum einer Person, mit
seinem Träger untrennbar fest verbunden, weil er dessen Wesen als
Einheit nach außen hin im Gegensatz zu anderen Persönlichkeiten
zur Erscheinung bringt. Umfaßt nicht jeder Gattungsname eine ganze
Zahl mannigfaltiger Einzelwesen, indem er die ihnen gemeinsamen
wesentlichen Merkmale zusammenschließt? Von einer Gegensätzlichkeit
kann jedoch bei näherer Prüfung keine Rede sein. Die Unterschiede
sind, soweit solche überhaupt bestehen, nur solche des Grades,
und da, wo oberflächliche Beobachtung unüberbrückbare Gegensätze
annimmt, sieht der Blick des Forschers enge Verwandtschaft und
ewigen Kreislauf. Aus Gattungsnamen erwachsen Eigennamen, und diese
wieder erhalten aus irgendwelchen Ursachen appellativischen Sinn.
Besonders auffällig tritt diese Begriffswandlung an dem Vornamen
Karl zutage. Daß es ursprünglich ein Gattungsname war, bezeugt ahd.
~charal~, mhd. Karl = Mann, Ehemann, Geliebter, das mundartlich in
der ablautenden Form Kerl lebendig ist. Die gewaltige Persönlichkeit
des großen Frankenherrschers hat seinen Namen fast über ganz Europa
verbreitet, und bei den slawischen Völkern des Ostens erhielt derselbe
den allgemeinen Sinn eines Appelativums »König, Herrscher« (polnisch
~król~, russisch ~karóli~, lit. ~karâlius~, albanisch ~kralj~,
magyarisch ~király~). Der Eindruck einer Persönlichkeit von sehr
hervortretender Eigentümlichkeit und starke Affektwirkung hatten,
wie Wundt dartut, zu dieser Assoziation herausgefordert. In weitaus
den meisten Fällen wird sich der Eintritt des Bedeutungswandels kaum
auf eine bestimmte Persönlichkeit und auf einen bestimmten Zeitpunkt
zurückführen lassen. Die Voraussetzungen sind ebenso wie die seelischen
Ursachen nie dieselben, immer ganz individueller Art. Das will Wundt
mit dem Ausdruck singuläre Namenübertragung sagen. Die Übertragung
von Personennamen beschränkt sich aber nicht auf Personen; es liegt
tief im Wesen der menschlichen Natur begründet, auch Tiere und selbst
leblose Dinge zu verpersönlichen, und die Sprache ist voll von solchen
Personifikationen. Das bedeutet aber wieder einen Übergang des
Eigennamens zu einem Gattungsnamen.
Wenn es sich nun darum handelt, in die Fülle von Beispielen irgendwie
Ordnung und Übersichtlichkeit zu bringen, so treten zunächst zwei
Gruppen deutlich auseinander. Am Anfang der Entwicklung hat bei allen
Völkern die Einnamigkeit gestanden; der Vorname mußte genügen, eine
Persönlichkeit nach ihren körperlichen und seelischen Eigenheiten
zu kennzeichnen. Erst spät (im 17. Jahrhundert) kam man darauf,
Doppelvornamen zu geben, die Familiennamen stellen den Abschluß der
Namengebung dar. Es ist darum nicht verwunderlich, daß die Zahl
der Vornamen, die einen Bedeutungswandel in dem angedeuteten Sinne
erfahren, die der Familiennamen bei weitem übertrifft. Innerhalb jeder
dieser beiden Gruppen kann wieder darnach unterschieden werden, ob der
Name auf eine andere Person, auf Tier oder Pflanze oder endlich auf
einen Gegenstand übertragen wird. Die Übersicht beschränkt sich auf die
deutsche Sprache; nur vergleichsweise werden Fälle aus anderen Sprachen
angeführt.
Wenn Itschner[3] Typen und Gattungsnamen als Ergebnis der
Bedeutungserweiterung – denn um eine solche handelt es sich immer
– scheidet, so kann auch diese Trennung nur um äußerer Gründe
willen gerechtfertigt werden. Auch hier liegen schließlich nur
Gradunterschiede vor; denn ein Typus stellt in einer Persönlichkeit
die Summe aller der Eigentümlichkeiten dar, die einer ganzen Reihe von
menschlichen Individuen gemeinsam zukommen, sofern diese in irgendeiner
Beziehung gleichartig sind. Eine große Zahl von biblischen, antiken,
sagenhaften und geschichtlichen Personen, sowie von Gestalten aus
Werken der Literatur wird zum Abbild einer ganzen Menschengattung,
eines Standes, Berufes oder einer Gesellschaftsklasse: Ein Mensch von
besonderer Größe und Stärke ist ein (Riese) Goliath nach 1. Sam. 17,
14; ein ausgezeichneter Jäger wird als Nimrod, ein Mann von recht
hohem Alter als Methusalem bezeichnet; einen ruchlosen Menschen nennt
man wohl übertreibend einen Satan; die reuige Sünderin erscheint,
allerdings unter falscher Auffassung von Luk. 7, 36 und 8, 2, als
büßende Magdalena. Ein Adonis ist ein bildschöner Jüngling, der
Argus ein mißtrauischer Wächter; ein Krösus verfügt über ungeheure
Reichtümer, Ganymed, der Mundschenk der Griechengötter, wird zum
Kellner überhaupt; jeder Beschützer der Künste und Wissenschaften
wird als Mäcen gefeiert; der unerfahrene Jüngling hat einen Mentor
wie einst Telemachos. Es erübrigt sich, die Reihe über Xanthippe, Don
Juan, Schweppermann, Byron usw. bis in die Gegenwart weiterzuführen.
Der Verbreitungsbereich ist aus leicht erkennbaren Gründen auf die
Gebildeten beschränkt. Nur in ganz wenigen Fällen ist der Kreis weiter
gezogen; dann schreitet die Entwicklung auch fort zur Bezeichnung von
leblosen Gegenständen, wie wenn im Französischen ein Judas nicht bloß
der hinterlistige Verräter ist, sondern auch das »Guckloch in der Tür«
(den gleichen Bedeutungswandel zeigt im Deutschen der Begriff Spion).
I. Vornamen als Gattungsbezeichnungen für Personen.
Den germanischen Vorfahren galt die Namengebung als heiliges und
bedeutsames Fest innerhalb des Geschlechtsverbandes, und so sind die
deutschen Vornamen als Erbe jener Zeit voll tiefen Sinnes. Frühzeitig
gesellten sich fremdsprachliche zu ihnen, christliche Taufnamen wie
Jakob, Adam bereits seit dem 9. Jahrhundert. Das hohe Mittelalter ist
arm an Vornamen; eine Bereicherung stellen nur die Namen der Heiligen
dar wie Martin = Martinus, Lorenz = Laurentius, Anton = Antonius. Erst
der Humanismus setzt wieder größere Mannigfaltigkeit an Stelle der
Eintönigkeit der vorangegangenen Zeit. Der aristokratische Zug, den
diese Geistesströmung aufweist, äußert sich in der Geringschätzung der
allgemein üblichen Vornamen, an denen das Volk festhielt. Je weiter
verbreitet sie waren, desto tiefer sank ihr Ansehen; eine Abschwächung
des Gefühlswertes und Stimmungsgehaltes war die notwendige Folge.
Längst, wahrscheinlich auch schon im Zeitalter der Einnamigkeit, hatten
sich im tagtäglichen Verkehr Kurz- oder Koseformen herausgebildet, und
gerade von diesen in zahllosen Abwandlungen auftretenden Kosenamen,
die stark gefühlsbetont waren, ging der Bedeutungswandel aus. Ihre
Bildungskraft ist unerschöpflich; noch jetzt entstehen vor allem in
den Mundarten und in der Umgangssprache immer neue Formen, die unter
Erweiterung des ursprünglichen Begriffsinhalts zum Gattungsnamen
werden. Der wesentlichste Anteil muß dabei dem Gefühl zugeschrieben
werden; das reine verstandesmäßige Element tritt völlig zurück.
Daraus erklärt sich der Umstand, daß viele dieser Neubildungen, aus
einer flüchtigen Stimmung heraus unter ganz individuellen Bedingungen
geboren, nur kurze Lebensdauer besitzen oder nur bestimmten Kreisen
eigen sind, leichtlebige Augenblicksgeschöpfe, die der Schriftsprache
entgehen und darum in die Wörterbücher selten Aufnahme finden.
Diejenigen jedoch, die zum Dauerbesitz der hochdeutschen Sprache
geworden sind, erweisen ihre Kraft, indem sie in andere Wortklassen
übergehen, Tätigkeiten und Eigenschaften bilden, oder sich zu
Zusammensetzungen vereinigen.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen folgen die Vornamen mit ihrer
abgewandelten Bedeutung in alphabetischer Ordnung[4].
1. =August=, ursprünglich lateinisches Eigenschaftswort, von
~augere~ = vermehren, erheben, verherrlichen abgeleitet,
mit der Bedeutung, erhaben, geheiligt, wurde Augustus,
seitdem ihn der erste römische Kaiser Cäsar Octavianus
angenommen hatte, zum Beinamen aller römischen Kaiser
und der Fürsten überhaupt. Der Humanismus machte ihn auch
in Deutschland in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
beliebt, so beliebt, daß sich das Volk seiner bemächtigte.
Mit der weiten Verbreitung sank sein Wert derart, daß er
zur stehenden Bezeichnung der lächerlichen Figur im Zirkus
wurde. Die Gestalt des »dummen August« soll um 1864 in
England von Tom Belling geschaffen und gegen 1878 von dem
Franzosen Guyon dem Geschmack seiner Landsleute angepaßt
worden sein. Seit jener Zeit hat er seinen Siegeszug durch
die lustige Welt genommen. Die Franzosen geben ihm jetzt
meist den Kosenamen Gupusse = Gustchen. Die deutsche Ra.
»So ein August« wird in verächtlichem Sinne von einem
törichten Menschen gebraucht.
2. =Barbara=, verwandt mit Barbar, barbarisch, Barbarei,
eigentlich ein zum Hw. erhobenes griechisch-lateinisches
Ew. mit der Bedeutung, »die Fremde, Nichtgriechin«.
Volkstümliche Kurzformen sind nicht nur Bärbel, Bärbchen,
sondern ebenso Babette und Babine. In der Gegend von Penig
ist Babine tadelnde Bezeichnung für ein zimperliches
Frauenzimmer und dann noch allgemeiner Schelte für
jemanden, der eine Torheit begangen hat.
3. =Bartholomäus= über Griech.-Lat. zum Hebräischen
zurückgehend > Barthel: Schmutz-, Dreck-, Sau- oder
Schweinebarthel als Schelten für unsaubere Kinder.
Vielleicht liegen darin eher Ableitungen von Schmutzbart
oder Dreckbart vor, die dann Analogiebildungen erzeugten
(auch Präsch-, Dösbarthel).
4. =Beate= von lat. ~beatus~ = die Glückselige, nach Albrecht,
die Leipziger Mundart § 166 Gattungsname für eine steife,
förmliche, auch frömmelnde Person.
5. =Christian und Christine=, eigentlich Ew. aus dem
griech.-lat. ~christianus~. Christian, nd. Krischan, ist
in Mecklenburg der Knecht schlechthin, Christel wird in
verächtlichem Sinne von liederlichen, unsauberen Mädchen
und Frauen gebraucht (Vogtland, Erzgebirge).
6. =Christoph= < Christophorus = der Christusträger, Name
aus der Heiligenlegende, kam wie Christian seit dem 17.
Jahrhundert in Aufnahme, sank aber von den bürgerlichen
Kreisen schnell in die bäuerliche Bevölkerung, deren
frommer Sinn ihn bis zur Gegenwart gehalten hat. Stoffel
und Toffel, Stöffel und Töffel waren noch zu Gellerts
Zeiten Namen für den Bauern schlechthin; durch den
gleichen Bedeutungswandel, der sich in Tölpel aus mnd.
dörper, franz. vilain (Gegensatz courtois = hövesch =
hübsch) offenbart, wurden sie, besonders aber Toffel,
zum Gattungsnamen für einen ungeschickten oder dummen,
einfältigen Kerl. Weiterbildungen: abtoffeln = grob
abfertigen; betoffelt = verlegen, betroffen; Pflaumentoffel.
7. =Daniel=, biblischer Name, > mundartlich Danel,
vogtländisch = ein alter, neugieriger Kerl, in Meißen
ein Mensch von besonderer Länge; einen Menschen mit
wunderlichen Ansichten nennt man in der Kirchberger Gegend
(Wolfsgrün) Pfaardanel = Pferdedaniel.
8. =David.= Der biblische Bericht von der Geschicklichkeit des
jugendlich-flinken David im Schleuderwurf und Harfenspiel
bietet den Grund dafür, wenn die Koseform Davidchen,
Davidel einen flinken, geschickten Burschen bezeichnet.
Sogar die Uhr geht »wie ein Davidel«.
9. =Eva= wird auf Grund der mosaischen Schöpfungsgeschichte
(1. Mos. 3, 20) übereinstimmend mit dem Französischen
zur Bezeichnung für jede Frau, ganz besonders aber
für eine neugierige (Evastochter, Fille d’Eve). Im
Schwäbischen versteht man eine wollüstige Person darunter
(Z. f. d. Ma. 5, 221).
10. =Friedrich=, echt germanisch, die weibliche Entsprechung
Friederike erklärt sich aus dem mlat. Fridericus.
Kurzformen sind Fritz und Fritzsch – jetzt Familienname
– beziehungsweise Fritze, dieses für männliche und
weibliche Personen. Die außerordentliche Beliebtheit, zu
der sicherlich die volkstümliche Gestalt des »Alten Fritz«
beigetragen hat, hatte zur Folge, daß Friedrich gleich
Johann zum Gattungsnamen für den Diener, Hausdiener oder
Kutscher wurde.
In Zusammensetzungen mit Tätigkeitsbegriffen bezeichnet
die Kurzform in tadelndem Sinne Personen, die die im
Bestimmungswort ausgedrückte Tätigkeit im Übermaß ausübt.
Diese Bildungsweise ist im Volke außerordentlich beliebt
und gestattet zahllose Abänderungen: Mäkel-, Quassel-,
Trödel-, Tiftel-, Lorken- oder Schnokenfritze (einer, der
voller Schnurren und Schelmereien steckt); Blinzel-, Heul-,
Tran-, Märfried(e) usw. In der Soldatensprache bedeutete
»Zappelfritze« im Felde den Radfahrer. In der Gaunersprache
bezeichnet nach Albrecht »Tittelfritze« den Rechtsanwalt.
11. =Georg=, der Name des Schutzheiligen St. Georg, dessen
Verehrung namentlich infolge der Kreuzzüge allgemeiner
wurde, ist aus dem griechischen Gattungsbegriff ~georgós~
= Landmann, Ackersmann hervorgegangen. Der Kappadozier
Georgius, der im Jahre 361 als Märtyrer gestorben war –
die Erinnerung daran lebt im ahd. Georgsliede – wurde
im Volksglauben zum Drachentöter. Mit Hans und Heinz,
Kunz und Peter, Toffel und Michel war auch Jörg unter
den Bauern als Vorname beliebt. Wie jene, so konnte auch
Jörg im geringschätzigen Urteil der oberen Stände den
beschränkten Dörfler bezeichnen, wie es noch bei Hauff im
»Bild des Kaisers« heißt: »Er (d. h. der Sohn, von dem der
napoleonisch gesinnte Vater erzählt) hat oft Stunden, wo
es ihm lächerlich, ja töricht erscheint, daß er in meinem
bequemen Schloß wohnt, _und Nachbar_ Görge und Michel ...
nur mit einer schlechten Hütte sich begnügen müssen.«
12. =Gottfried, Gottlieb und Gottlob= sind gleicherweise,
besonders aber die beiden letzteren, stark in der
Wertschätzung gesunken, seit naive Frömmigkeit der
Aufklärung als rückständig erschien. Die Kurzformen
Fried, Lieb und Lob müssen es sich darum gefallen
lassen, einen beschränkten, schwerfälligen Menschen zu
bezeichnen, besonders in den Zusammensetzungen: Märlieb,
Quatschlob. Ein Breilob ist mit Brei aufgezogen, darum ein
schwächlicher Mensch ohne Saft und Kraft in Rede und Tat.
13. =Heinrich=, ebenso wie Konrad, mittelalterlicher
Lieblingsname nach den zahlreichen Fürsten, die ihn im
Laufe von mehreren Jahrhunderten trugen, hat eine ganze
Reihe von Kurzformen entwickelt: Heinz, Hinz, Heinze,
Heinzel, Hein, Heun. Nach Fr. L. Jahn war Hinz Blaufink der
Anführer der Gassenbuben in den Hansestädten. Neben anderen
Namen wurden die aus Heinrich abgeleiteten Kurzformen auf
geisterhafte, dem Menschen freundliche oder feindliche
Wesen übertragen: Freund Hein (der Tod), Heinzelmännchen.
Die Soldatensprache kennt den Leichenheinrich =
Lazarettgehilfe. Der Quasselheinrich ist ein Schwätzer, der
Kulmuckenheinrich ein Kopfhänger und Eigenbrötler (Erzgeb.).
14. =Jakob=, ein hebräischer Mannesname von schwer
festzustellender Bedeutung, erzeugt je nach der Betonung
die Kurzformen Jäckel, Jockel (schweizerisch Joggeli)
und Köpke. Wie man in Frankreich 1358 die aufständischen
Bauern ~les jacques~ (~les jacquiers~) und die furchtbare
Bewegung ~Jacquerie~ nannte, weil der Anführer Guillaume
Caillet (Charlet?) den Beinamen Jacques Bonhomme führte,
einen Namen, der den einfältigen Bauern, nach Larousse
sogar das ganze französische Volk bezeichnete, so galt auch
Jäckel im 16. Jahrhundert z. B. bei Fischart Garg. 73 als
Gesamtbezeichnung für die Bauern, und zwar mit besonderer
Betonung ihrer rohen Dummheit. Die Zusammensetzungen
Pferde-, Hunde-, Tauben-, Bienen-, Bilderjokel oder -gokel,
unter denen Liebhaber und leidenschaftliche Sammler zu
verstehen sind, müssen wohl eher zu Gokel in der Bedeutung
Narr gestellt werden. Albrecht führt für die Leipziger
Gegend Jokel = Bursche, Kerl an. Der englische Name des
Bereiters Jockey ist die Verkleinerung von Jock, das im
nördlichen England üblich ist für Jack = Jakob.
15. =Jeremias=, der große jüdische Strafprediger, hat den
Untergang seines Volkes in ergreifenden Liedern beklagt.
Wie französisch Jérémie bezeichnet darum auch der deutsche
Name verächtlich einen Menschen, der endlos klagt und
jammert, einen Jammerlappen.
16. =Johann, Johannes=, der Name des Apostels, außerordentlich
gebräuchlich und darum eine fast unübersehbare Fülle von
appellativischen Bezeichnungen entwickelnd. Johann ist
der Hausknecht, der Kutscher der Herrschaft, ebenso wie
in Frankreich Jean, in England John und in Rußland Iwan.
Die Koseform Hans lebt in Verbindungen wie: Hans im Glück,
Hans in allen Gassen (oder in allen Hägen bei Reuter),
Hans Dampf in allen Gassen – Titel einer Erzählung von
Zschokke –, Hans Guckindieluft, Hansnarr, Hanskaspar
(Dreikönigsspiele!), Hans Unvernunft, Hanswurst, die
lustige Person, die in Jean Potage ihr französisches
Gegenbild hat; das Mittelalter kannte Gaff-, Knapp-,
Lauf-, Schnarch- und Prahlhansen; die großen Hansen waren
die vornehmen Herren. Nur die Gegensätze Prahlhans und
Küchenmeister Schmalhans leben jetzt noch fort. Ein langer
Mensch ist ein langer Hans oder sächsisch ein Hansdromnaus
(Hans oben hinaus) genannt; der alberne Hans hat nur
Torheiten im Kopfe. Im Volkswitz hieß der Henker, dessen
unehrlichen Namen man ebenso ungern aussprach wie den
gefürchteten des Teufels, Meister Hans oder Schnurhänslein
(neben Meister Peter oder Matz). Der hochdeutschen Form
Johann entspricht die niederdeutsche Jahn, Jan in Janhagel,
das als Spottname der Seeleute eine wie durch Hagelschlag
zusammengebrachte Volksmenge bedeutet und von Bürger
als Johann Hagel verhochdeutscht worden ist. Ähnlich
beschimpften sich Bauern und Landsknechte gegenseitig als
Hanst Mist und Hans Marter. Der Dummrian ist nichts anderes
als ein Dummerjahn, wie aus der Schreibung dummer Jan in
Seb. Francks Sprichwörtersammlung hervorgeht. (Die übrigen
Hauptwörter gleicher Bildungsweise stellen eine satirische
deutsch-lateinische Mischbildung der Humanisten dar:
Grob-ianus, > Grobian, Schlendrian, Liedrian, Stolprian.)
Im Erzgebirge und den angrenzenden Gebieten nennt man einen
Tierquäler einen Schinderhannes nach dem berüchtigten
Räuberhauptmann Johannes Bückler. Mörike spricht im
»Stuttgarter Hutzelmännlein« von einem einfältigen Menschen
als von einem Hans Leand oder Leard, < Johann Leonhard
und leitet davon die Tätigkeit, verhansleardlen mit der
Bedeutung, »auf eine einfältige Weise verlieren, versäumen«
ab.
17. =Josef=, unter einem »böhmischen Seff« versteht der Sachse
allgemein den Böhmen, insbesondere den böhmischen Maurer.
18. =Karl=, latinisiert ~Cárolus~, davon abgeleitet der
weibliche Name Karoline > Karline, der als Schelte
üblich ist, »so eine alte Karline!« Die Soldaten
scheinen besondere Vorliebe für Karl zu hegen: Der
Schellenbaumträger bei der Regimentsmusik heißt Bimmelkarl,
der Arresthausaufseher Fockenkarl; die Sachsen nannten
im Felde den Fahnenschmied Hufkarl. »Klebekarl« für den
Gerichtsvollzieher ist nach Müller-Fraureuths Wb. der
obersächs. und erzgeb. Ma. ein Dresdner Ausdruck.
19. =Kaspar=, Melchior und Balthasar waren die drei Könige
aus dem Morgenlande, beliebt beim Volke seit den im 15.
Jahrhundert aufkommenden Sternsingerumzügen. Kaspar war
»der schwarze und der kleine«, von dem Goethe singt:
»... und mag wohl auch einmal recht lustig sein«. Die
Bedeutung spaltete sich: »Der schwarze Kasper«, unheimlich
und gefürchtet, wurde zum Beinamen des Teufels; anderseits
trat das Merkmal des »Lustigmachers« in den Vordergrund, so
daß Laroche im 18. Jahrhundert dem wiederbelebten Hanswurst
den Namen Kasper gab. Im Kasperletheater ist noch jetzt
Kasperl den Kindern liebvertraut. Jeder närrische Mensch,
der herumkaspert, erhält die Bezeichnung Kasper. Wer Suppe
leidenschaftlich gern ißt, wird als Suppenkasper verspottet.
20. =Katharine= > Käthe, Kathrine, Trine. Die Koseformen
haben wie die anderer weiblicher Vornamen – Trude,
Trutschel, Trautschel < Gertrud, Liese < Elisabeth – meist
wegwerfenden Sinn: Dumme Trine, Heulliese, Bauerntrutschel.
»Das laufend Katterl«, »Die schnelle Katharina« und
»Jungfer Kathrine« sind verhüllende Bezeichnungen und
vielleicht als eine Art Schulwitz aufzufassen (Katarrh?).
21. =Konrad= ist eine althochdeutsche Zusammensetzung
aus kuoni = kühn und rât = Rat, als Name vornehmer
Herren überaus häufig, daher mit Hinz zusammen in der
Koseform Kunz allmählich zur Gattungsbezeichnung für den
Bauern herabsinkend. Charakteristisch ist der Name des
süddeutschen Bauernbundes »Der arme Konrad«, der fälschlich
als »Kein Rat« gedeutet wurde. Für die Häufigkeit dieser
und ähnlicher Vornamen und ihre typische Bedeutung spricht
recht deutlich das Personenverzeichnis eines Lustspiels aus
dem Jahre 1540 (mitgeteilt Z. f. d. U. 10, 395). Es führt
folgende »Menner« an: Heintz der erst Schultheis, Contz
sein son, Gotz der nachbeuren son, Seitz (< Siegfried) sein
zechgesel, Ditz (< Dietrich).
22. =Laban=, in der Ra. »langer Laban« in Norddeutschland ein
langer, aber schlaffer Mensch; in Schlesien ist dafür der
Ausdruck »Labander« üblich.
23. =Leonore, Lenore= aus dem englischen Eleonore gekürzt, mit
der weiteren Kurzform Lore. In Neustadt und in der Lausitz
erhält ein in weiblichen Handarbeiten ungeschicktes Mädchen
den Spitznamen »Pfefferlore«.
24. =Lorenz=, aus lat. ~Laurentius~, verkürzt zu Lenz. Die
Deutung Faulenzer als einen faulen Lenz, der bei Hans
Sachs als »Der faul Lenz« vorkommt und zur Schreibung
Faullenzer Anlaß gegeben hat, wird jetzt allgemein
abgelehnt. Man sieht in der Tätigkeit faulenzen eine der
für Süddeutschland charakteristischen Bildungen auf -enzen
= nach etwas schmecken, riechen, aus der dann erst das
Hauptwort Faulenzer entwickelt worden ist. Wenn aber eine
tiefe Verbeugung »krummer Lorenz« genannt wird, so ist
dabei an den Menschen zu denken, der sie ausführt.
25. =Ludwig=, der schöne altgermanische Mannesname, ist auch
in der französischen Form Louis seit dem Sonnenkönig Louis
XIV. in Deutschland außerordentlich häufig und hält sich
in manchen Gegenden, so im Vogtlande, mit Hartnäckigkeit,
obwohl er infolge der Sittenlosigkeit am Hofe der
französischen Ludwige in seiner Bedeutung tief gesunken
ist. Er bezeichnet den Zuhälter, in Frankreich insbesondere
die Dirne, während für jenen die Namen Adolphe und
Alphonse, wahrscheinlich literarische Typen, gebräuchlicher
sind.
26. =Magdalene=, biblischen Ursprungs, eigentlich die aus
Magdala am galiläischen Meer Gebürtige, verkürzt zu Lene,
gilt in Frankreich als Gemeinname für gefallene Mädchen und
solche von lockerem Lebenswandel.
Lene kann auch Kürzung aus Helene sein. »Die fromme Helene«
ist ein durch Wilh. Busch geschaffener Typus.
27. =Margarete= ist im Mittelalter bereits außerordentlich
verbreitet, so daß Margret, Grete eine weibliche Person
schlechthin bezeichnen: Hans und Grete, eine faule Grete
(Liese). Wie _Marie_ < Maria, als Name der Gottesmutter
während der mittelalterlichen Marienverehrung auf Millionen
frommer Lippen, schließlich so gemein wurde, daß er
verächtlich das derbe Bauernmädchen bezeichnete – noch
jetzt wird die reiche altenburgische Bauersfrau in den
angrenzenden sächsischen Gebieten als Bauernmärge (-marie)
und ein plumpes bäurisches Mädchen auch in der Stadt als
Bauernmieke (Koseform für Marie) verspottet, so gilt auch
Grete, Grite oder Gritte als Gemeinname für ein boshaftes
Frauenzimmer.
28. =Martin=, der Name des Heiligen, dem der 11. November
geweiht ist. In Süddeutschland tritt der Pelzmärtel an die
Stelle des Knecht Nikolaus oder Ruprecht; er heißt auch
der gute Märtel. Meister Martin ist der mittelalterliche
Sammelname für die Metzger.
29. =Matthias und Matthäus= < Mathis, Mathes > Matz in Hemden-,
Hosen-, Spiel-, Tändel-, Plaudermatz oder in Verbindung mit
einem den Familiennamen nachahmenden Übernamen wie Matz
Fott = unmännlicher, feiger Mensch, Matz Pump = einfältiger
Mensch oder Matz Klotz = derber, plumper Gesell; aus der
bloßen Namensform Matz für einen einfältigen Menschen
entwickelte sich die Verkleinerung Mätzchen zur Bezeichnung
von Narrenspossen. Nach Schmellers bayr. Wb. bedeutet
auch Hiesel < Matthias einen dummen Menschen; von dem
Gemeinnamen wird die Tätigkeit hieseln = jemanden zum
Besten haben, abgeleitet wie von _Gabel_, _Gaberl_ <
Gabriel gabeln = übereilt handeln.
30. =Max= < Maximilian, spätlat. ~Maximinianus~, ist eigentlich
der zum Geschlecht des ~Maximinus~ Gehörige. Volkstümlich
wurde er besonders durch den »letzten Ritter«. »Max und
Moritz« sind nach Busch zwei Musterknaben. Während des
Weltkrieges entstand »Knallmaxe« als humorvoll-grimmige
Benennung für die unaufhörlich schießenden Franzosen. Die
Ra. »den Maxen machen«, bedeutet den Geprellten spielen.
»Ein strammer Max« ist im Kaffeebaum zu Leipzig ein mit
gehacktem Rindfleisch und einem rohen Ei belegtes Brot.
31. =Mechthild=, neben Mathilde veraltet, ist in der Kurzform
Metze ein Schulbeispiel für die Bedeutungsverschlechterung:
Aus dem stolzen Namen der Fürstin wird allmählich der
überaus häufige Vorname von Bauernmädchen – in dem bereits
erwähnten Personenverzeichnis des Lustspiels aus der
Reformationszeit erscheint Metz als die Tochter der alten
Genßhertin – die Pfaffenköchin und Lagerdirne und damit das
verächtliche, feile Weibsbild überhaupt.
32. =Michael=, der biblische Erzengel, verschmolz bei den
christlichen Germanen mit dem Schlachtengott Wodan, wurde
darum in der Kurzform Michel – das ahd. Ew. ~mihil~ = groß,
stark, mag mit eingewirkt haben – auf die deutschen Kämpfer
übertragen und zur Bezeichnung der Deutschen überhaupt:
Der deutsche Michel. Das Schlagwort hat mannigfache
Wandlungen erfahren, ehe es seit den Freiheitskriegen
zum Sinnbild des gesamten deutschen Volkes wurde. In
der Reformationszeit galt es allgemein als Spottname
für den einfältigen, tölpelhaften Deutschen, so daß
es Stieler im »Teutschen Sprachschatz« Sp. 2277 durch
~idiota~, ~indoctus~ erklärt. Diese Bedeutung lebt in der
Gegenwart fort: Quatsch-, Heulmichel; Linkmichel (in der
Kundensprache ein Handwerksbursche, der sich noch nicht
aufs Fechten versteht). Nach Mörike (Novelle »Der Schatz«)
wird im Schwäbischen ein Jüngling, der das weibliche
Geschlecht ängstlich meidet, ein »kalter Michel« genannt.
Vetter Michel, den Goethe mit überlegener Ironie malt, wenn
er sagt: »Laßt den Witzling uns besticheln, glücklich,
wenn ein deutscher Mann seinem Freunde Vetter Micheln
guten Abend bieten kann,« ist das Urbild des deutschen
Philisters. Sich anbiedern wird darum auch durch: sich
vettermicheln, sich anmicheln gegeben. Michelei, Micheltum
sind Neubildungen der letzten Jahre.
In der dichterischen Anschauung nimmt jedes Volk von
ausgeprägter äußerer und innerer Eigenart persönliche
Gestalt an. Das französische Volk wird durch Marie-Anne,
das Weib aus dem Volke, versinnbildlicht, das nach
Heine als Sinnbild der wilden, ungebändigten Volkskraft
1830 »eine fatale Bürde abwirft«. John Bull ist die
Verkörperung der englischen Wesensart, am nächsten verwandt
mit ihm ist der amerikanische Vetter Uncle Sam. Tommy,
wie die deutschen Soldaten jeden Engländer nannten,
ist der Schottländer, Paddy (Koseform von Patrik, dem
Schutzheiligen der Insel) der Bewohner des grünen Eilands,
Tom der Neger. Im Elsaß ist Méchel (Michel) der Spitzname
der Deutschen.
33. =Nikolaus=, der Name des früh schon heilig gesprochenen
Bischofs zu Myra in Lyzien, kommt schon bei Oswald von
Wolkenstein im 15. Jahrhundert in der Kurzform Nickel
als Personenname vor. Er verband sich frühzeitig mit
der Vorstellung des Kleinen, Unbedeutenden, die aus dem
bei Luther vorkommenden Gegensatz des kleinen Nickels
zum großen Hansen hervorging. Deshalb bezeichnet man
damit nicht bloß Kinder, im Schwäbischen eigensinnige
Mädchen, sondern auch erwachsene Personen, die mit etwas
Tadelnswertem, das den Wert des Menschen herabsetzt,
behaftet sind: Gift-, Zorn-, Filz-, Gron-, Laus- und
Notnickel, Sau-, Schweinnickel; Schinder-, Schimpf-,
Rußnickel. Auch auf liederliche Weibspersonen wird Nickel
angewandt. Hansnickel war um 1680 zu Mühlhausen in
Thüringen der Scharfrichter.
Der heilige Nikolaus war der Schutzheilige der Seefahrer.
Darum heißt der Matrose außer Jack auch Klas, häufig mit
wertverminderndem Beiwort: grober, dummer Klas, Drömklas.
In der Adventszeit – der 6. Dezember ist sein Namenstag
– kehrt der Nikolaus bei den Kindern ein, und sie beten:
»Ach lieber Sankt Nikolaus, schütt doch den Sack voll
Nüsse aus.« (Auch Knecht Niklas oder Pelznickel.) Wenn im
Französischen Nicolas den einfältigen Dummkopf – auch in
der Verkleinerungsform Colas – bedeutet, so ist sicherlich
die lautliche Ähnlichkeit mit ~nigaud~ von bestimmendem
Einfluß gewesen. Das weibliche Colette bezeichnet ein
zimperliches Frauenzimmer (Zimperliese).
34. =Oskar= ist ein im Norden (Schweden) häufiger Name <
Ansgar. Eine Person von zudringlicher Frechheit wird mit
der Ra. »frech wie Oskar« charakterisiert. Der Name ist im
Französischen zur Bezeichnung des Zuhälters herabgesunken,
auf welchem Wege, deutet H. Taine an: ~Ossian avec Oscar,
Malvina et sa troupe, fit le tour de l’Europe et finit vers
1830 par fournir des noms de baptême aux grisettes et aux
coiffeurs.~
35. =Peter= < Petrus wird in appellativischer Verwendung
gleich dem Hans bevorzugt: Dummer, fauler, hölzerner,
trauriger, langweiliger Peter, Heul-, Quatsch- oder
Seich-, Schrei-, Märpeter, Lügen-, Dreck-, Karnickelpeter
(Liebhaber von Karnickeln); Tran- und Traumpeter. Ein
strubbliger d. h. zerzauster Kopf verhilft seinem Besitzer
zur Bezeichnung Strubbelpeter, literarisch berühmt geworden
als »Struwelpeter« durch den Dichter Heinrich Hoffmann.
Chamissos Peter Schlemihl lebt auch unter denen, die die
Dichtung nicht kennen, in der Ra. »Du bist mir ein schöner
Schlemihl« fort. Wer dasitzt, wie Peter Bumm, ist völlig
teilnahmslos. In sächsischen und thüringischen Gegenden
wird ein schlechter Mensch als Peter Meffert verächtlich
gemacht.
36. =Philipp=, aus dem Griechisch-Lateinischen stammend,
abgekürzt > Lipp, Lips. Ein unruhiges Kind wird als
»Zappelphilipp« oder Zappelliese getadelt. Der »Vater
Philipp« ist in der Soldatensprache der Arresthausaufseher
(vgl. Fockenkarl).
37. =Ruprecht=, gleich den Nebenformen Rupert, Robert, aus
ahd. ~hruod-beraht~ = der Ruhmglänzende (vgl. Bertha <
Berchtha), begleitet als des Christkindleins getreuer
Knecht dasselbe bei der weihnachtlichen Bescherung. Die
Kinder fürchten die polternde Gestalt mit der Rute als
den Rupert oder Rupperich, so daß der Name die allgemeine
Bedeutung »Schreckgestalt« annimmt. Nach Eisels Sagenbuch
des Vogtlandes werden da und dort gewisse schauerliche
Waldstätten »Rupprechte« geheißen; ein solcher Rupprecht
schließt sich nach Eisel an die Talschlucht Lerche bei
Tscherma an und ist arg verschrien.
Die Koseform Rüpel < ahd. Rûpilo, Rûpo, war noch im
16. Jahrhundert, z. B. bei Fischart, Eigenname; als
Familienname Rüp(p)el hat sie sich erhalten. Da der Knecht
Ruprecht vermummt oder geschwärzt auftrat, mit grober
Stimme redete und derb zuschlug, in den Weihnachtsspielen
den Spaßmacher darstellte, nahm der Name die appelativische
Bedeutung einer schwarz aussehenden Gestalt einerseits
wie eines groben, ungezogenen Gesellen anderseits an.
Wer von der Sonne verbrannt ist, sieht schwarz aus wie
ein Riepel (Rüpel), die Mohren sind schwarze Riepel, und
der Essenkehrer heißt im Erzgebirge und Vogtland, ohne
daß dabei sein Benehmen getadelt wird, Feierriebel =
Feuerrüpel. Auf der anderen Seite steht der Rüpel als der
ungeschliffene Grobian mit seinen Rüpeleien. Abgeleitet ist
das Tätigkeitswort rüpeln.
Die französische Koseform Robin < Robert ist zum
Gemeinnamen des tölpelhaften Bauern geworden, der den
Pfiffigen spielen will, im weiteren Sinne bezeichnet sie
den Spaßvogel, in Sprichwörtern den Menschen überhaupt.
Robinette ist der Name der Dienstmagd.
38. =Susanne=, hebräisch die Lilie. Man spricht auf Grund des
biblischen Berichts von einer »keuschen Susanne« ebenso
spöttisch wie von der frommen Helene. Die gekürzte Form
Suse, die allgemein eine langsame, träge, träumerische
Person (Mär-, Traumsuse) bezeichnet, aber auch andere
tadelnswerte Eigenschaften hervorhebt (Heulsuse), wird
häufig sogar auf männliche Personen angewendet. Mörike
nennt im »Stuttgarter Hutzelmännlein« ein aufgeputztes
Mädchen eine »Susanne Preisnestel« nach dem Saum (Preis) am
Hemde und dem zum Einfassen gebrauchten Band.
39. =Thomas=, nach Joh. 20, 24 ff. der hartnäckige, erst durch
den Augenschein überzeugte Zweifler wird zum Typus des
Ungläubigen: ein ungläubiger Thomas.
40. =Ulrich=, Koseform Uz, wird in den Ra. »den Ulrich anrufen«
= sich erbrechen und »Ulrich von der Feuerwehr« (letztere
im Vogtland gebräuchlich für irgendeinen Menschen, der
zum Spott herausfordert) verwendet. Von Uz wird auch uzen
= foppen abgeleitet, wenn auch diese Herleitung nicht
allgemein anerkannt ist.
41. =Ursula=, lateinischer Name = Bärin, appellativisch in der
Form Ursel, Urschel für eine dicke Frau; französisch Ursèle
ist die alte Jungfer oder die Magd.
42. =Wenzel= aus dem Slawischen ins Deutsche gedrungen; der
Brogl = Wenz ist bei Mörike (Stuttgarter Hutzelmännchen)
der Prahler (sich broglen = prahlen).
Vornamen dienten seit jeher als Glimpfnamen (~Euphemismen~) für
Personen oder Wesen, die man aus abergläubischer Furcht nicht bei
ihrem wirklichen Namen zu nennen wagte. Daß der Henker Meister Hans,
Schnürhänslein, Peter oder Matz gerufen wurde, ist bereits angeführt
worden, ebenso daß Kobolde und Wichte Heinzel- oder Petermännchen,
Peterlein, Hollepeter, Chiemke (nd. Verkleinerung von Joachim),
Wolterken (Walterchen) oder Nissen hießen. Der Name des Metalls
»Nickel« entstand, wie Kobalt aus dem neckenden Kobold, aus der
Bezeichnung des Bergdämons, der die Häuer äffte, indem er ihnen Kupfer
vortäuschte. Der Tod ist Freund Hein oder Henn. Unendlich mannigfaltig
sind die Bezeichnungen des Teufels, die er teilweise mit dem Henker
gemeinsam hat: Hans, Hanske = Hänschen, Junker Hans, Grau- oder
Grünhans, Hans vom Busch, Heinrich, Grauheinrich, Hinz, Kunz, Nickel,
Großnickel, Marten oder Merten, Kaspar oder Käsperle, Dewes = Tobias,
Rüpel, Stöffel oder Junker Stof = Christoph, Peterlein, Velten =
Valentin unter Anlehnung an mhd. vâland usw.
II. Vornamen in appellativischer Verwendung für Tiere und Pflanzen.
Von jeher hat der Deutsche in enger Vertrautheit mit der Tierwelt,
zunächst natürlich mit den Tieren seines Hauses, aber ebenso mit
solchen des Waldes, nützlichen und schädlichen, gestanden. Die Tiersage
offenbart das innige Verhältnis zwischen Mensch und Tier auch dadurch,
daß dieses einen menschlichen Namen trägt. Das männliche Pferd heißt
allgemein Hans (bekannt war vor Jahren »Der kluge Hans«), die Stute
Liese oder Lotte; ein Dackel wird wohl auch Seppl gerufen. Freilich
sind dies gewissermaßen Eigennamen wie im Tierepos, aber der Übergang
zum Gattungsbegriff ist außerordentlich leicht gegeben. Auch der »Matz«
war ursprünglich Name _eines_ Vogelindividuums mit Haustierrechten,
eines Kanarienvogels oder zahmen Stares. Durch Bedeutungserweiterung
wurde die Bezeichnung auf jeden Star – Starmatz – und jeden kleineren
Vogel übertragen: Piepmatz (Wandelung dieses Begriffs: Der kriegt einen
Piepmatz ins Knopfloch = einen Orden, du hast wohl einen Piepmatz
(Vogel)?) Sogar Ungeziefer wird von den Kindern als Matzeln bezeichnet.
Der Papagei heißt allgemein Lore oder Lorchen. Rabe und Krähe tragen
in Zwickau den Namen Jakob, die Dohlen heißen vielerorts Klas, die
Rotkehlchen in der Lausitz wohl auch Rotkätel. Besonders zahlreich sind
die Benennungen des Sperlings: bei den Franzosen Pierrot und Pierette,
bei den Niederdeutschen Jochen, Johann Klappstert, Dackpeter. Das
Schwein heißt Kuntz, auch Suse, Heinz ist der Kater, dann auch das
männliche Kaninchen (vogtländisch Hàànz). Nicht belegt für Sachsen
ist Hermann als Name des Ziegenbocks. Der Pariser ruft den Bären des
Zoologischen Gartens Martin; Martine ist das weibliche Kaninchen; auch
andere Tiere heißen im französischen nach dem heiligen Martin.
Naturgemäß ist die Zahl der Pflanzen mit menschlichen Namen weit
geringer; erwähnt seien nur »Das fleißige Liesel« = eine lange blühende
Topfpflanze und »Der gute Heinrich« = ~Chenopodium~.
III. Vornamen als Gattungsnamen im Reiche der leblosen Dinge.
Die Figuren des Kasperletheaters, Nachbildungen häufiger menschlicher
Typen, lassen den Vorgang des Bedeutungswandels deutlich erkennen.
Den Zuschauern werden die Puppen ebenso lebendig, wie ein Kind mit
seinem Püppchen umgeht, als wäre es lebendig. Die alte Bezeichnung
für die Gestalten des Puppentheaters war Kunz, Kunzchen, Künzel,
Heinz oder Jäckel; nach ihnen hieß der Puppenspieler Kunzmann
(noch jetzt Familienname) und Kunzenjager oder Kunzenspieler. Vom
französischen Marion, der Koseform von Marie, ist die noch jetzt
herkömmliche Bezeichnung Marionetten abgeleitet. Eine andere Kurzform
desselben Vornamens Marotte, noch heute in der Normandie ein junges,
halbwüchsiges Mädchen bezeichnend, ist nicht bloß der Puppenkopf am
Narrenstab, sondern auch die Narrheit, der närrische Einfall.
Mit dem Namen Heinz werden eine ganze Reihe technischer Werkzeuge und
Geräte belegt, ursprünglich wohl im Bergbau eine Wasserhebemaschine
nach dem geschäftigen Kobold, dann auch die Schnitzbank des Böttchers.
Schmeller führt als bayrisch an Stiefelhänsel oder Stiefelhainzel =
Stiefelknecht und Heuhainz = im Allgäu ein Gestell zum Trocknen des
Heus (hainzen = diese Art des Trocknens). Französisch Saint-Jean ist
nicht bloß alles, was der Setzer braucht, in der Druckersprache,
sondern auch allgemein das Handwerkzeug: ~prendre son S.-Jean~ =
die Werkstatt verlassen. Dietrich, wie Friedrich und Johann häufig
für Diener, wird zum Namen des Diebs- oder Nachschlüssels. Die
Rute erscheint den Kindern euphemistisch als Birkenhänsel oder
Birkengottfriedel, wie auch im Französischen der Eseltreiberstock
~martin~ genannt wird.
Von jeher hat der Soldat in seiner Waffe ein ihm vertrautes lebendiges
Wesen erblickt. Aus der gleichen Gesinnung heraus, die Körner dazu
antrieb, das Schwert an seiner Linken als sein Liebchen, als Eisenbraut
zu besingen, entstanden im Mittelalter die Beinamen der Geschütze und
Waffen. Hans v. Schweinichen erzählt in seiner Lebensbeschreibung,
daß der junge Herzog von Liegnitz sein Rapier »allezeit meine Jungfer
Käthe geheißen« habe, mit der er oft ein Tänzlein getan habe. Ein
Geschütz aus dem 14. Jahrhundert, das sich in der Arsenalsammlung zu
Dresden befindet, hieß »Faule Magd«; noch berühmter war die »Faule
Grete«, beide ihrer Schwerfälligkeit wegen so benannt, wie ja auch die
deutschen Riesenmörser des Krieges allgemein »Dicke Bertha« hießen. Der
Soldat gibt dem Gewehr die zärtlichsten Namen: meine Karline, Laura,
Pauline, Bertha. Auf ein zärtliches Liebesverhältnis deutet auch, wenn
der Schnapsbruder von der Flasche als von der Karline oder Pauline
spricht. Die Kaffeekanne heißt manchmal Kaffeekarline.
Eine andere Art von Bedeutungsübertragung liegt vor, wenn Speisen und
Getränke nach einem menschlichen Vornamen heißen: Ein geringes Bier,
wie es die Knechte tranken, nannten die Schöppenstädter »armer Heinke«;
im Erzgebirge ist der »Großpeter« ein dicker mit Milch übergossener
Brei, als Sommerspeise beliebt, in Süddeutschland der »Biernickel«
eine Kaltschale; der Reisbrei lebt in der Soldatensprache als »stolzer
Heinrich«. Im südlichen Deutschland gibt es Pfannkuchen unter der
Bezeichnung »Pauternickel«; in Westfalen entstand der berühmte
Pumpernickel, über dessen schwierige Etymologie viel geschrieben worden
ist; der zweite Teil ist auf jeden Fall der Vorname Nickel. Warum
heißt in Sachsen ein Käse »alter Theodor«? Die Pflaumentoffel, die hie
und da auf den Christmärkten verkauft werden, sind aus Dörrpflaumen
zusammengesetzte Männlein in Essenkehrergewandung; auch der Name
Pflaumenrüpel kommt vor. Der Ziegenpeter oder Bauerwetzel ist eine
Krankheit der Halsdrüsen, vielleicht bei Hütejungen als Folge von
Erkältungen häufig vorkommend. Seltsame Laune des Sprachgeistes, das
Fensterkreuz als Fensterpeter, die große Klingel am Pferdekumt im
Winter als Lore (Erzgeb.), den Abort als Lotte (Leipzig) zu bezeichnen!
Das beliebte Gesellschaftsspiel »Schwarzer Peter« soll seinen Namen
von einem berüchtigten Räuberhauptmann in Mecklenburg, Peter Nikoll,
genannt der schwarze Peter, empfangen haben; dann wäre es über hundert
Jahre alt; denn 1817 ist er in Glückstadt enthauptet worden. Die vier
Wenzel sind die Unter, die Baste (Koseform von Sebastian wie Bastel)
ist der Grünober im Schafkopfspiel. Auch Schar- oder Scherwenzel
soll ursprünglich den Unter des Kartenspiels bezeichnet haben; Jean
Paul, Freytag und andere nennen einen schlechten Tabak Lausewenzel.
Manche Dresdner verstehen unter »großem Friedrich« die große Zehe,
die Leipziger sprechen von der »grünen Anna« und meinen damit den
Polizeiwagen. Bei Dähnhardt, Naturgeschichtliche Volksmärchen 1, 102
heißt der Regenschirm beispielsweise »die baumwollene Minna«.
IV. Familiennamen als Gattungsnamen.
Die Zahl der Familiennamen in appellativischer Verwendung ist, an der
Menge der Vornamen, unter denen keiner von älteren und gebräuchlicheren
fehlt, verschwindend gering. Von vornherein ist auch klar, daß es
sich, wenn Familiennamen zu Gattungsbezeichnungen geworden sind, nur
um die allerbekanntesten, über weite Gebiete verbreiteten handeln
kann. Aus dem hohen Alter und der Häufigkeit des Auftretens erklärt
es sich, daß sich die Bedeutung nicht bloß erweitert, sondern auch
in den meisten Fällen verschlechtert. Obwohl die Freizügigkeit das
ursprüngliche Bild stark verändert hat, lassen sich doch noch immer
auch inbezug auf die Verbreitung gewisser Familiennamen landschaftliche
Verschiedenheiten nachweisen. Daneben aber gibt es Namen, die aus
kulturgeschichtlichen Gründen gleichmäßig über ganz Deutschland
verbreitet sind. An diese vor allem knüpft die Bedeutungswandlung
an; nur selten wird ein Personenname von begrenztem Geltungsbereich
zu appellativischer Verwendung gelangen. Ein flüchtiger Blick in die
Wohnungs(Adreß-)bücher der Großstädte offenbart in überwältigender
Fülle, welche Personennamen als die häufigsten gelten können. Der
Volkswitz hat den Vers geschaffen: »Müller, Schulze, Lehmann, Schmidt –
die machen jeden Mumpitz mit.« Die Lesart schwankt zwischen Müller und
Meier, aus dem richtigen Bewußtsein heraus, daß unbedingt der Meier in
die Reihe gehöre. Die Häufigkeit dieser fünf Namen wird erst dann recht
deutlich, wenn die verschiedenen Formen der Rechtschreibung, unter
denen sie vorkommen, in Betracht gezogen werden:
Müller, Miller, Möller, Möllner, Müllner, Myller;
Meier, Maier, Meyer, Mayer, Meyr, Meir;
Schulz, Schulze, Schultz, Schultze, Schulte, Schulteß,
Scholz, Scholze;
Schmidt, Schmid, Schmied, Schmidt, Schmitt.
Nun mag der Volkswitz auf der Straße und im lustigen Blatt über
diese Namen denken, wie er wolle, ihre Geschichte ist uralt, und sie
waren einst ebenso geachtet, wie sie jetzt unwillkürlich ein Lächeln
hervorlocken, wenn sich jemand als Müller oder Schulze vorstellt.
Der Schmied ist vielleicht der älteste aller Handwerker,
hochgeachtet im deutschen Altertum wie bei Griechen und Römern,
so daß die Heldensage von göttlichen und fürstlichen Schmieden
berichtet (Wieland der Schmied, Jung Siegfried). Die strenge
Arbeitsteilung des mittelalterlichen Zunftwesens schuf eine Fülle
von Einzelhandwerken (Blech-, Kupfer-, Eisen-, Hammer-, Messer-,
Gabel-). Die appellativische Verwendung in der Gegenwart ist
verhältnismäßig beschränkt. Wohl nur im Altenburgischen wird ein
Faulpelz in prachtvoller Anschaulichkeit als »kalter Schmied«
bezeichnet (Müller-Fraureuths Wb. 2, 451). Das Erzgebirge nennt einen
Springinsfeld, »Huppe(r)schmied«, womit ursprünglich ein Springkäfer
gemeint war. Ganz geschickte Leute werden in Sachsen mit den Worten
gelobt: »Du hast’s ja weg wie Schmidts Katze«. Wer schnell und
plötzlich verschwindet, ist »weg wie Schwenke«. Natürlich handelt
es sich in diesen Redensarten, in denen auch andere Eigennamen an
die Stelle der angeführten treten, nicht um Gattungsbezeichnungen im
eigentlichen Sinne.
=Müller=, wohl unmittelbar aus lateinisch ~molinarius~ entlehnt,
verdrängt die ältere deutsche Benennung ~quirn~, die in den
Familiennamen Kerner oder Körner fortlebt. Ein leichter, luftiger
Bursche (Luftikus) wird »Windmüller« gescholten. Als Müller werden
hie und da Maikäfer und Kohlweißlinge bezeichnet. Müllerknechte sind
Mehlklümpchen im Brote, Müllermädeln die Aurikeln. Planvolle, tägliche
Körperstählung faßt die Tätigkeit »müllern« zusammen (der Erfinder
heißt Müller).
=Meier= aus lateinisch ~maior~ = der größere gehört in die vornehme
Verwandtschaft der fränkischen Hausmaier (~Maior domus~), des
französischen ~maire~ (Bürgermeister) und des deutschen Majors.
Der Meier saß ursprünglich als Pächter oder Aufsichtführender auf
einem größeren Gute (Meier Helmbrecht, der Meier in Hartmanns »Armem
Heinrich«). Aus dem Gattungsnamen entstand der Familienname, dieser
wieder nimmt appellativische Bedeutung an: Er bezeichnet einmal
irgendeine Person aus der Gattung Mensch, deren Namen nicht bekannt
ist oder nicht genannt werden soll; zu Tante Meier oder zu Lehmanns
geht, wer seine Bedürfnisse auf dem Abort befriedigt. Albrecht
verzeichnet den »feinen Meier« als den elegant Auftretenden; wer das
tut, beißt den feinen Meier heraus. In großer Zahl werden vom Volke
Zusammensetzungen gebildet, in denen das Grundwort Meier oft einen
Vornamen ersetzt oder verdrängt: Angstmeier, Heulmeier (neben -fritze,
-peter, -liese) ironisch auch für Sänger gebraucht, Bietelmeier
neben -liese (Kind, das angibt oder klatscht), Kirchmeier (fleißiger
Kirchenbesucher), Kraftmeier (ursprünglich der Turner, dann jeder, der
in Taten oder auch nur Worten mit seinen Kräften prahlt; Kraftmeierei,
Kraftmeiertum); Nietenmeier oder -fritze (Lotteriekollekteur);
Piepmeier, Schlaumeier, Schwafelmeier neben Schwafellob, -hanne;
Simpelmeier (Dummkopf); Kohlmeier (Aufschneider); Schwindelmeier,
einer, der etwas vorschwindelt; Spielmeier; Strampelmeier (Radfahrer);
Windmeier (Flausenmacher). Abmeiern bedeutet ursprünglich: einen Bauern
auf irgendeine Weise von seinem Gute vertreiben; daraus erklärt sich
meiern = foppen, anführen. Der besitzlose Bauer war der Gemeierte
(übervorteilen, betrügen, auch der Geblaßmeierte). Wer im Vereinsleben
aufgeht, ist ein Vereinsmeier.
=Schulze= ist die gekürzte Form von Schultheiß, dem Namen des
Ortsvorstehers. Wie die anderen bezeichnet auch Schulze appellativisch
jede beliebige Person. Die Ra. »Das ist mir Gottlieb Schulze« drückt
aus, daß einem etwas völlig gleichgültig ist.
=Lehmann=, noch in Urkunden des 17. Jahrhunderts auch Lehemann, ist
eigentlich der mittelhochdeutsche Lehensmann, der mit einem Gut oder
Amt Beliehene. Jetzt ist dieser Familienname Gemeinname für Dummkopf:
Das sieht Lehmann im Finstern. Irgendeinen Menschen vertritt der Name
in der Ra.: Es wird wieder besser mit’m alten Lehmann, wenn z. B. die
Frage nach dem Befinden gestellt wird.
=Pietzsch=, zu Peter gehörend wie Dietzsch zu Dietrich, ist in Sachsen
ebenso häufig wie Lehmann. Darum ist unter den Kindern der Vers üblich:
Pietzsch und Lehmann kam’n in’n Laden: Woll’n fer’n Dreier Käsemaden!
Käsemaden hammer nich’ – Pietzsch und Lehmann drückten sich. Ein
eifriger Turner heißt spöttisch Muskelpietzsch.
=Huber=, mhd. ~huober~ neben ~huobener~, gehört mit Hübner zu Hufe,
bezeichnet also den Besitzer einer Hufe. Der Name ist in Süddeutschland
verbreitet und konnte darum Appellativum werden: Wühlhuber (unruhiger
Hetzer), Quellenhuber (so nennt G. Roethe eine bestimmte Richtung von
Forschern), Gschaftlhuber.
Auch in der Welt der Wörter gibts keinen Stillstand. Ein ewiger
Kreislauf offenbart sich selbst an dem scheinbar Allerbeständigsten,
an den Personennamen. Die Schöpferkraft der deutschen Sprache ist noch
nicht versiegt.
[Illustration]
Fußnoten:
[1] R. Needon, Vornamen als Gattungsnamen. Z. f. d. d. Unt. 10,
198 ff. A. Kölbel, Eigennamen als Gattungsnamen. Studien
(zum französischen Wortschatz). Diss. Leipzig 1907.
[2] Wundt, Völkerpsych. I, 2. S. 579.
[3] Itschner, Sprachlehre 1911, S. 110.
[4] Abkürzungen: Ra. = Redensart; Hw. = Hauptwort; Ew. =
Eigenschaftswort; ahd. = althochdeutsch; Ma. = Mundart; Wb.
= Wörterbuch; > = wird zu, < = geworden aus: Z. f. d. d. U.
= Zeitschrift für den deutschen Unterricht.
Naturdenkmal
[Illustration:
Aufnahme von Josef Ostermaier, Blasewitz
Alte Eiche in der Forstmeisterei Groß-Graupa]
Naturdenkmal
[Illustration:
Aufnahme von Josef Ostermaier, Blasewitz
Alte Eiche im Hermsdorfer Park]
15000 Mark
In Buchstaben: Fünfzehntausend Mark.
Nach einigem Zögern hatte auch ich mir ein Los der 5. Sächsischen
Geldlotterie des Landesvereins »Sächsischer Heimatschutz« geleistet.
Warum auch nicht! Wer opfert nicht von Herzen gern eine Mark und
fünfzig Pfennig gerade für diesen Verein! Und sollte man es sogar in
der Befürchtung tun, nichts zu gewinnen! Aber nein, für mich kam die
Sache ganz anders. Meine Losnummer endete mit einer eins, und durch
die Gewinnliste, die ich mir für zehn Pfennig kaufte, erfuhr ich die
große Tatsache: alle Lose, die mit einer eins endigen, haben eine Mark
und fünfzig Pfennig gewonnen, oder mit anderen Worten: sie erhalten
den Loseinsatz zurück! So steckte ich also mein wohlverwahrtes Los
ein und fuhr mit der Elektrischen von meiner Vorstadt aus bis auf den
Pirnaischen Platz, von dort aus lenkte ich meine großen Schritte nach
der Schießgasse zu. Vor der Geschäftsstelle des Landesvereins hielt ein
leeres Auto. Warum sollte vor der Geschäftsstelle des Landesvereins
nicht einmal ein leeres Auto halten? Konnte ihm nicht eben der Herr
Hofrat Seyffert entstiegen sein? Doch nein, fast möchte ich’s nicht
glauben: der Herr Hofrat, der noch vor kurzem durch das ganze liebe
Sachsenland gewandert ist, um Schätze für sein Paradies in dem früheren
Jägerhof drüben auf der Asterstraße zu sammeln, wird auch bis auf die
Schießgasse nicht erst ein Auto nehmen. Wie dem auch sei: vor der
Geschäftsstelle des Landesvereins hielt ein leeres Auto. Ich ließ es
dort stehen, solange es wollte, und stieg behutsam die alte steinerne
Treppe hinauf. Im Vorraum der Geschäftsstelle zeigte ein großer Pfeil
nach links, nach dem Zimmer nämlich, in dem die Gewinne ausgestellt
wurden. Ich schwenkte also, was ich sonst nie tue, nach links, mein
Los in der Hand, und bemerkte auf den Stühlen des Vorraumes Männer und
Frauen, die sich gar geheimnisvoll zuflüsterten. Ich ahnte, daß sie
alle einmütig zusammengehörten. Jetzt erst trat ich in den großen Raum
ein. An dem langen Zahltisch stand neben mir ein stattlicher Mann, etwa
dreißig Jahre alt, einfach gekleidet, aber ohne den geringsten Tadel.
Der legte, genau wie ich es nach ihm tat, sein Los auf die Tafel,
um seinen Gewinn abzuholen. Aber er hatte eine ganz andere Nummer
gezogen als ich: 86156! Und das wußte ich noch von der Gewinnliste
her, die ich mir für zehn Pfennig gekauft hatte: »Die Prämie von
fünfzehntausend Reichsmark fiel auf die Nummer 86156 mit einem Gewinn
von fünfundzwanzig Reichsmark.«
So stand ich also neben dem Glücklichen, der in jenem Augenblick ein
reicher Mann wurde. Aufgeregt war er, das merkte man ihm an. Ja, wenn
nun auch nur eine Ziffer nicht gestimmt hätte, oder wenn ... na kurz,
er glaubte es selbst erst, als die Beamten die Nummer nachgeprüft
hatten und ihm nun 15 000 M., in Buchstaben: fünfzehntausend Mark
auf einem großen Zahlbrett auszahlten. Auf die fünfundzwanzig Mark
verzichtete er freiwillig, und während er das viele, viele Geld
in seine Brieftaschen steckte, gab er immer und immer wieder die
Versicherung ab, diesmal sei der Gewinn wirklich in gute Hände geraten.
Bald wußte ich auch seinen Namen und seinen Wohnort, ich war der
erste, der ihn beglückwünschte, dann aber zog ich mich bescheiden
zurück; denn ich wollte nicht gleichzeitig auch der erste sein, der
ihn ... anbettelte! Er wird schon bald danach bemerkt haben, wie
beliebt er überall ist, wo er sich nur irgend sehen ließe. Jetzt kam
ich selbst an die Reihe und ließ mir meinen Gewinn auszahlen: eine
Mark und fünfzig Pfennig. Und als ich wieder in den Vorraum kam, fand
ich meine Vermutung bestätigt: mitten im Kreise – es war wohl sein
Verwandtschaftskreis – stand er, der reiche Mann, und er zeigte ihnen
soviel gutes Geld, wie sie wohl noch nie gesehen hatten: 15000 Mark! Ob
er schon wußte, was er mit seinem Gewinn anfinge? Ich für meinen Teil
überlegte nicht lange, ich ging in den zweiten Raum, legte zu meinem
Gewinn noch eine halbe Mark hinzu und bezahlte an den Landesverein
meinen Mitgliedsbeitrag, mit dem ich noch weit im Rückstande war. Ich
zahlte nun sogleich für zwei Monate auf einmal! Und blieb noch immer
ein großes Stück hinter dem Heereszug zurück. Als ich die steinerne
Treppe wieder bedächtig hinuntergestiegen war, füllte sich das Auto mit
vergnügt aussehenden Männern und Frauen. Töff, töff, und fort ging
die Fahrt. Nun ich einmal mitten in der Stadt war, benutzte ich die
Gelegenheit, hier und da noch etwas zu erledigen, und erst in später
Abendstunde trat ich meinen Heimweg an. Sonderbarerweise kam mir gar
nicht der Gedanke, mit der Elektrischen heimzufahren; nein, Schritt
für Schritt marschierte ich heraus in meine Vorstadt. Mir war, als
fänden die Vorübergehenden etwas Besonderes an mir; sollten sie mir
es etwa ansehen, daß ich heute Augen- und Ohrenzeuge eines so großen
Ereignisses gewesen war? Oder glaubten sie etwa gar ...? Nein, das –
gewiß nicht. Von Zeit zu Zeit griff ich an meine Tasche; ich konnte
unbesorgt sein: ich hatte sie noch immer bei mir, meine – Quittung über
den Mitgliedsbeitrag für zwei Monate auf einmal!
Als ich bei uns daheim ankam, lagen die Meinen bereits in stiller Ruh,
wie einstmals Babylon, und ich bemühte mich, sie nicht zu stören. Leise
ging ich in mein Zimmer, tastete nach einem Streichholz und brannte die
Gaslampe an; nur halbhell ließ ich es im Zimmer werden; denn für meine
Gedanken brauchte ich keine grelle Beleuchtung. Eigentlich wollten wir
schon längst elektrisches Licht haben, aber immer wieder reichte der
Draht nicht, und so verpaßten wir den Anschluß vom Treppenhaus aus
bis in die Wohnung. Für heute jedoch war es gut so: wird man doch mit
elektrischer Beleuchtung wohl kaum Dämmerlicht erzeugen können, wie
ich es gerade brauchte. Dichten und trachten – und sei es auch böse
von Jugend auf – man muß es doch bisweilen tun, und mir will es nur
dann gelingen, wenn ich um mich herum blaue Wölkchen aufsteigen sehe,
die sich phantastisch gestalten, bis sie sich in einer bestimmten
Höhe beruhigen und zu einem dicken Strich verdichten. Darum setzte
ich zuerst eine Zigarre in Brand und dann mich selbst ganz allein um
den großen Tisch herum, der für gewöhnlich noch meine Frau und zwei
erwachsene Kinder um sich versammelt sieht. Im Dämmerlicht schrieb ich
mit festen Zügen auf ein großes Blatt Papier:
1,50 M.
Und wie ich so dasaß und sann und sann, da machte sich plötzlich und
unerwartet das scheinbar unscheinbare Komma auf die Wanderschaft und
rückte nach rechts bis hinter die erste Null. Da waren aus meinem
Gewinn schon hundertfünfzig Mark geworden. Ich fügte noch eine Null
hinzu, und das Komma stellte sich dahinter. 1500 Mark las ich jetzt
halblaut vor mich hin. Noch einmal griff ich zum Blei, nicht zum
tödlichen, sondern nur, um noch eine Null hinzuzuschreiben; denn,
dachte ich mir, aller guten Dinge sind drei. Und als ich die letzte
Null oben verschloß, krach! da brach die Spitze des Bleistiftes ab
und ward nicht mehr gesehen! Auch mein Komma war verschwunden, zum
mindesten habe ich ihm keine Beachtung mehr geschenkt, und ich schenke
doch sonst so gern! Da hatte ich sie wieder vor mir, die große Zahl,
die mich heute nicht aus ihrem Bannkreis weichen lassen wollte:
15000 M.!
Fünfzehntausend Mark! Hätte ich doch meinen Gedanken nicht so ganz
freien Lauf gelassen! Aber schon war es zu spät! Fünfzehntausend Mark!
Auf den letzten Pfennig genau war es derselbe Betrag, der mein einst
war und den ich vor ein paar Jahren in den Händen meines deutschen
Vaterlandes kleiner und immer kleiner werden sah, bis er sich eines
schönen Tages, oder sagen wir lieber eines schlimmen Tages, in ein
Nichts aufgelöst hatte. Doch, machen wir es ganz wie unser Vaterland:
reden wir nicht davon! Fünfzehntausend Mark! Um sie zu erlangen,
braucht es schon anderer Vorbedingungen, als sie bei mir erfüllt sind,
da muß man Z... heißen, aus Gr... in der sächsischen Lausitz stammen
und in der 5. Sächsischen Heimatschutz-Geldlotterie das Los 86156
ziehen. Immerhin, wer es auch gewonnen hat, es sind und bleiben doch
fünfzehntausend Mark. Nach dieser unwiderlegbaren Feststellung muß ich
wohl oder übel meinem griechischen Freunde Morpheus in die weichen Arme
gefallen sein; denn nach kurzer Zeit hatte ich das beglückende Gefühl,
als besäße ich fünfzehntausend Mark. Und mit all meiner Freud’, was
fang’ ich wohl an? Nun, laßt mich in der mir angeborenen Bescheidenheit
mit mir selbst beginnen! Oder halt: schnell erst eintausend Mark auf
die Seite geschoben für arme Leute als Weihnachtsgeschenk, es könnte
sonst zuletzt nichts mehr übrigbleiben! Dann kommt mein Teil. Ach, wie
schäbig sieht mein »guter« Anzug aus, den ich mir vor dem Kriege nach
Maß bauen ließ. Nichts ist mehr schön daran als die Knöpfe allein.
Richtig, vor ein paar Jahren gewann ich bei einem Preisausschreiben
fünfzig Mark, und als ich die Summe brüderlich teilte, da sprang für
mich eine neue Steinnußknopfgarnitur heraus. Morgen also will ich zu
einem Dresdner Schneider gehen, der nur nach der ersten Taxe berechnet
und womöglich auch da noch etwas draufschlägt, und vor dem Christfeste
noch muß der Anzug fertig sein. Dann kaufe ich mir Bücher über Bücher;
ich bin den jetzt lebenden Dichtern noch soviel Dankbarkeit schuldig:
von manchen besitze ich _ein_ Buch, von den meisten aber auch das
nicht einmal. Ganz verarmt bin ich in literarischer Beziehung, und
mit einer wahren Todesverachtung verschlang ich noch bis gestern
sämtliche Weihnachtskataloge, die mir mehrere Buchhändler freundlichst
überreicht hatten. Das soll nun anders werden: von morgen an begnüge
ich mich nicht mehr mit empfehlenden Extrakten, sondern ich trinke nun
wieder an der Quelle und werde da lange, lange sitzen bleiben können.
Gegenwärtig sitze ich noch im Dämmerlicht der Gaslampe, und meine Füße
ruhen auf den selbstbraunfleckig gestrichenen Dielen. Im ersten Jahre
unserer sonst so glücklichen Ehe schenkten uns reiche Verwandte sechzig
Mark für einen Teppich. Wir brauchten aber das Geld für höhere Zwecke,
und so verwandelte sich der Teppich in einen Zukunftstraum und ist es
geblieben bis auf den heutigen Tag. Aber das soll nun anders werden,
morgen schon kaufe ich einen Teppich, nicht für einmal, nicht für
zweimal, nein, für siebenmal sechzig Mark, wenn es so teure überhaupt
gibt, nun, bei Weymar auf der Schloßstraße wird wohl Rat werden. Und
alle unsere Zimmer sollen in elektrischem Licht erstrahlen.
Und jetzt kommt ihr an die Reihe, meine beiden Kinder! Du, Reinhart,
mein Sohn, brauchst nun keine Hosen mehr zu tragen, in die deine
Mutter einen ganz bestimmten Teil neu einsetzen mußte, brauchst
auch weder abgenutzte Hüte, Schlipse und Schuhe deines Vaters noch
weiter abzutragen; du sollst schon morgen vom Scheitel, den du immer
so fein pflegst, bis zur Sohle, die du seit langem schon durch
Pneumette-Einlagen aus dem Reka gangbarer zu gestalten trachtest,
neu ausstaffiert werden. Und während ich dich von der höheren Schule
wegnehmen mußte, weil ich die Millionen und Milliarden nicht mehr
erschwingen konnte, gehst du nun dank den drei Nullen, die ohne Komma
an der fünfzehn hängen, wieder aufs Gymnasium, wo du trotz deiner
reichgeschmückten Oberlippe aufgenommen werden wirst. Dann siedelst du
nach Klein-Paris über, das bildet seine Leute, da kannst du studieren
und singen nach Herzenslust. Und für dich, Sieglinde, meine Tochter,
brauchen wir nun nicht mehr die Möbel an die Wand zu malen; in das
feinste Dresdner Möbelhaus, in die Hellerauer Kunstwerkstätten wollen
wir gehen, nein ... fahren, und für dich Möbel aussuchen, das sich
gewaschen hat. Dann wird mir noch immer Geld genug übrigbleiben,
und so kann ich zu meiner Schwester Martha, die sich im Kriege am
Krankenlager der Soldaten viel zu schaffen gemacht und sich dabei eine
schwere Krankheit zugezogen hat, sagen: mach dir keine Sorge um deine
Gesundheit, gehe den ganzen Winter nach dem warmen Süden, und komme im
Frühjahr geheilt zurück!
So träumte ich noch lange Zeit dahin. Plötzlich hörte ich, und das
war schon kein Traum mehr, zwei Türen ganz verdächtig quietschen,
die eine, die vom Schlafzimmer nach dem Vorsaal, und die andere,
die von dort nach meinem Zimmer führt. Richtig, dachte ich schnell
noch im Vollbesitz meiner fünfzehntausend Mark, auch sämtliche Türen
meiner Wohnung lasse ich morgen ölen! Und vor mir stand sie, meine
Lebensgefährtin, die mich auch in den Jahren der Armut Tag für Tag
mit Liebe und Treue umgeben hat. Behutsam weckte sie mich aus meinem
Halbschlummer und führte mich in das Gefilde der Wirklichkeit zurück,
die doch auch so schön, ach, so schön ist. Ich umarmte sie lange und
berichtete ihr freudestrahlend von meinem doppelten Glück: einmal hatte
ich Mitgliedsbeitrag gezahlt für zwei Monate auf einmal, und umgaukelt
hatte mich ein schöner Traum!
Paul Krause.
Naturschutz und Gesetzgebung
I.
Für die meisten Menschen in unserem engeren Vaterlande sind die
Begriffe »Heimatschutz« und »Naturschutz« gleichbedeutend mit der
Arbeit unseres »Landesvereins«. Und doch haben die wenigsten eine
rechte Vorstellung davon, wie wir unsere Aufgaben eigentlich zu lösen
versuchen. Jetzt, da der Staat uns zu stützen verspricht, ist es
vielleicht angebracht, einen Rückblick zu werfen auf _Umfang_ und
_Art unserer bisherigen Arbeit_. Die unerläßliche Grundlage aller
Heimatschutzarbeit ist ihre Resonanz in den breitesten Volksschichten.
Unser Volk muß wissen und fühlen, welche Fülle von wirklichen
Naturschönheiten, von unersetzlichen Gemütswerten unsere Heimat
birgt, weil nur dieses Gefühl uns fest an die Scholle binden kann,
uns, die wir leider in so vielen Dingen schon allzusehr entwurzelt
sind. _Dieses Heimatgefühl im Volke zu wecken, es durch Belehrungen
tiefer zu begründen_, ist deshalb die erste und vornehmste Aufgabe
des Landesvereins. Er sucht sie zu lösen durch Wort und Bild, durch
Zeitschrift und Vorträge. Nun erst kommt der eigentliche »Schutz«, sei
es einzelner Pflanzen, Tiere, Felsen, sei es ganzer Schutzbezirke,
sogenannter »Naturschutzparke«. Eine Aufgabe, die wiederum nur dann
recht erfüllt wird, wenn sie getragen wird von der Volksmeinung, wenn
das _Volk_ Träger des Schutzbegehrens ist, nicht der Vereinsvorstand.
Wie wir im einzelnen den Schutz ausüben, sei an einigen Beispielen
gezeigt. Da hat irgendein Bauer auf seiner Wiese eine herrliche,
breitkronige Buche stehen. Sie verdämmt zwar in ihrer Umgebung den
Graswuchs, aber in ihrem Schatten kann man ruhen und weit hinaus ins
Bergland blicken. Am benachbarten Waldrande wachsen seltene Blumen,
Türkenbund und sibirische Schwertlilien, Mondviolen und Einbeeren.
Ein Heimatschutzmann, der das Herz auf dem rechten Flecke hat und der
die Volksseele zu nehmen weiß, geht hin, drückt seine Freude über
dieses Naturbild, seine Sorge um dessen Erhaltung aus. Er findet
bei dem Bauern den echten Heimatstolz und das volle Verständnis.
Bald ist man handels- und herzenseins. »Solange ich lebe, soll keine
Axt an den Baum, keine Sichel an die Blumen kommen.« Ein mannhafter
Händedruck und ein »Naturschutzvertrag« ist geschlossen – wäre es
immer so! Ein anderer Bauer hat inmitten seiner Wiesen einen Fleck mit
seltenem Enzian. Er ist arm, kann nicht auf die Nutzung verzichten
– der »Landesverein« pachtet ihm den kleinen Fleck ab, schützt ihn
durch eine Drahteinfassung. Oder es handelt sich um eine ganze Wiese,
ein Gehölz. Wir kaufen sie und verpachten die Nutzung, nur mit
der Einschränkung, daß wir den Zeitpunkt des Schnittes bestimmen,
nämlich dann, wenn unsere seltenen Blumengäste verblüht und ihre
Samen ausgestreut haben. Der Erfolg ist verblüffend, in wenigen
Jahren ist ein Blütenteppich von entzückender Buntheit entstanden,
und am Gehölzrand glüht verschämt selbst die köstliche Feuerlilie.
Wenn es freilich einmal ein richtiger großer Schutzbezirk werden
soll, dann gehen die Vereinsgelder aus – aber dann hilft vielleicht
eine »Heimatschutzlotterie« aus den Nöten. Aber Geld allein tut es
nicht, ein wenig Schlauheit gehört auch zum Handel! Denn die biederen
Grundstücksbesitzer können es nicht fassen, daß jemand so dumm ist,
Land zu kaufen, nur um darauf Pflanzen und Tieren eine Freistatt zu
gewähren. Sie wittern weitblickende Spekulationen – vielleicht will
man ein Sporthotel, ein Radiumbad errichten, ein Bergwerk auftun –
und da möchte man doch mit bei der Partie sein und richtet die Preise
entsprechend ein. In einem anderen Dorfe steht eine Jahrhunderte alte
Linde, die schon viele Menschengeschlechter kommen und vergehen sah.
Nun wird sie auch altersschwach. Der Stamm zeigt eine bedenkliche
Höhlung, der Sturmwind bricht einen Hauptast ab; die übrige Krone
ist in ihrem Bestande gefährdet. Ein ärztlicher Eingriff könnte wohl
helfen, aber die Gemeinde hat hierfür keine Mittel, vielleicht nicht
einmal Verständnis für den heimatgeschichtlichen Wert des Baumes. Da
kommt der Landesverein: »Wir wollen den Stamm auszementieren, die Äste
durch eiserne Klammern sichern, damit Eure Nachkommen sich noch an
dem Baum freuen, die vielleicht mehr Heimatliebe besitzen!« Freilich,
wir müssen wieder in den Beutel greifen, und der ist nicht sehr prall
– so riskieren wir einen Bettelbrief, und irgendein großes Eisenwerk
wird zum Wohltäter, indem es uns die Eisenstäbe stiftet. Oft ist der
Fiskus der Besitzer des schutzbedürftigen Naturdenkmals. Der Fiskus
ist ein seelenloses, liebeleeres Gebilde, das nur von Paragraphen
regiert wird. Aber wir können ihm eine Seele geben, wenn wir anstatt
des Unpersönlichen die Persönlichkeit irgendeines Staatsvertreters
setzen. Was kann uns z. B. ein heimattreuer Amtshauptmann alles
nützen, wenn er erzieherisch auf seine Beamten einwirkt, wenn er
uns rechtzeitig Warnungen zugehen läßt, uns Kenntnis von wichtigen
Aktenvorgängen und Gelegenheit zu gutachtlicher Aeußerung gibt. Wie
wichtig kann uns ein Forstmann werden, der seine Bäume wie seine
Kinder liebt, der sich als Pfleger des Waldes fühlt! Ohne große Kosten
läßt sich mitten im geregelten Umtrieb hier ein besonders stattlicher
Baum, dort eine zerzauste Wetterfichte erhalten oder eine malerische
Felsgruppe etwas freilegen. Es gibt natürlich auch andere, die im
Baume nur das Nutzholz, im seltenen Raubvogel nur den Schädling sehen.
Man muß versuchen, sie freundlich zu beeinflussen – glückt es nicht,
nun, dann geht man eben eine Instanz höher und versucht von dort
aus das Widerstreben zu besiegen. Ohne Diplomatie geht es auch im
Heimatschutz nicht! Aber leider manchmal auch nicht ohne _Polizei_.
Unsere Trollblumen und Märzenbecher, Orchideen und Maiglocken, das sind
uns rechte Sorgenkinder! Wer wollte es einem Naturfreund verargen,
wenn er sich ein Sträußlein dieser Frühlingskinder mit in die grauen
Mauern der Großstadtwohnung nimmt! Zwar selbst die »Sträußlein«
können der nächsten Umgebung einer Großstadt gefährlich werden. Wo
haben wir in unmittelbarer Nähe Dresdens z. B. noch einen wirklich
bunten Blumenteppich auf der Wiese, wo sind die Leberblümchen, wo die
Himmelschlüssel hin? Aber brutal wirkt erst der richtige Massenraub.
Geht einmal zur Trollblumenzeit zum Abendzug an den Bahnhof in
Gottleuba! Wir haben es erlebt, daß ganze Familien hinausgezogen,
mit nicht mehr zu umspannenden Blumenbündeln heimkehrten, die Blumen
verkauften und mit dem Erlös sämtliche Reisespesen deckten! Eine
Sonntagspartie mit gestohlenen Blumen bezahlt. Und an Wochentagen
konnten wir die Körbe der Marktfrauen mit ihrer Blütenlast bewundern.
So ging es nicht weiter. Wir riefen nach der Polizei, nach behördlichem
Schutz. Wir führten die Polizeibeamten selbst hinaus in die Natur,
damit sie dann ihre Pflicht tun konnten mit einigem Verständnis für
das, was auf dem Spiele steht, mit wirklicher Liebe und mit ehrlichem
Zorn. Wir gingen zu den Bauern und legten ihnen nahe, ob sie nicht
die Spitzbuben, die ihnen überdies die Wiesen zertrampelten, nicht
einmal mit einer Tracht gut deutscher Prügel bezahlen wollten. Es ist
schon besser geworden; aber noch viel gibt es zu tun, bis das Volk
die gefährdeten Pflanzen kennt und den Blumenraub als unmoralisch
brandmarkt.
Es sind noch andere Schwierigkeiten, mit denen der Heimatschutz
zu kämpfen hat und die leider die harmlosen Idealisten unter den
Naturfreunden viel zu wenig würdigen. Das sind vor allem jene
Fälle, in denen Naturschutzbestrebungen in Konflikt mit großen
_volkswirtschaftlichen_ Interessen geraten. Da ist z. B. im Gebirge
ein weithin das Landschaftsbild beherrschender Basaltgipfel. Tausende
suchen ihn auf und blicken vom Aussichtsturm in die Ferne. An seiner
Flanke hat menschliche Vernichtungstätigkeit eine Wunde gerissen,
damit aber gleichzeitig eine neue Sehenswürdigkeit in Form von
prächtigen Basaltsäulen geschaffen. So ist einstweilen Natur und
Kultureingriff friedlich ausgeglichen. Aber die Gemeinde braucht
Geld. Der Steinbruch wird einer ortsfremden Firma übertragen, die mit
Brechwerk und Drahtseilbahn den Vernichtungskampf im großen führt. Im
Schoße des Gemeinderates war noch die Liebe zum Geld mit der Liebe zur
heimatlichen Scholle gepaart. Jetzt kommt der kühlrechnende Fremde,
überschätzt, wieviel Jahre oder Jahrzehnte nötig sind, um den ganzen
Berg »aufzuarbeiten«. Das sind keine Utopien – wir haben schon Berge
aufgearbeitet! Im Hohburger Gebiet, in der Lausitz sieht man die
Großindustrie eifrig an der Arbeit! Und geht der Betrieb gut, so kann
sich der Unternehmer sogar als Wohltäter der Gegend aufspielen – er
schafft ja Arbeit und Verdienst für die Beschäftigungslosen! »Was nützt
mir die schönste Aussicht, wenn ich Hunger leide«, sagte kürzlich
ein solcher Industrievertreter, und zwar nicht ganz mit Unrecht.
Was ist in solchen Fällen zu machen? Zuerst fangen gewöhnlich die
ortsansässigen Touristen- oder Verschönerungsvereine an zu schreien.
Die Presse wird mobil gemacht. »Unersetzliche Heimatwerte stehen
auf dem Spiel.« Unterdessen arbeitet der Industrielle unbeirrt und
zielbewußt. Er kennt die Stellen, wo man für volkswirtschaftliche
Belange Verständnis hat; er hat seinen Rechtsbeistand, der genau
weiß, welche Paragraphen als Bundesgenossen dienen können. Es kommt
zu einem Verwaltungsstreitverfahren. Der Amtshauptmann beruft eine
Ortsbesichtigung durch die Beteiligten und bittet vielleicht den
»Landesverein« um Entsendung eines Sachverständigen. Der ist überzeugt,
daß mit dem Direktor einer Steinbruchsgenossenschaft nicht so leicht
Kirschenessen ist wie mit dem schlichten Bauersmann, der an seiner
Scholle hängt. So wird er versuchen, ob er den Betrieb nicht von der
gefährdeten Stelle ablenken kann. Könnte man nicht mehr nach der Tiefe
arbeiten und den Gipfel schonen? Könnte man nicht praktischer in der
Richtung auf die nahe Bahnlinie abbauen? Ist nicht in der Nähe ein
anderes ähnliches Gesteinsvorkommnis zu erwerben? Manchmal glückt
es; manchmal läßt sich auf Grund genauer geologischer und einiger
technologischer Kenntnis ein Vorschlag machen, der dem Betriebsleiter
entgangen ist. Aber im allgemeinen haben die großen Werke so
durchgebildete Oberbeamte, daß man ihnen nichts Neues sagt. Höchstens
denken sie im stillen: Schön, das könnte man _auch_ noch machen! So
bleibt zunächst nur übrig, durch Überredungskunst wenigstens einiges
zu retten, eine Bereitwilligkeitserklärung herauszulocken, daß dieser
oder jener Teil des Felsens unberührt bleiben solle, »falls es sich mit
dem Betrieb vereinbaren läßt«. Es wird ein Protokoll aufgenommen, sehr
vorsichtig abgefaßt. Man geht friedlich auseinander – und nach ein paar
Jahren kommt ein neuer Schmerzensschrei: Die Zerstörung geht weiter
– es hat sich nicht anders mit dem Betrieb vereinbaren lassen! Warum
_kauft_ aber der Heimatschutz den Berg nicht? Sehr einfach, weil er
dazu kein Geld hat! Wer würde uns die Mittel geben, den Scheibenberg,
den Geising, Wilisch oder auch nur die »Kleine Landeskrone« bei Löbau
oder den Spitzberg bei Wurzen zu kaufen? Und wenn wir ihn gekauft
hätten, wäre es doch kein vollständiger Schutz. Wenn allgemeine
volkswirtschaftliche Notwendigkeiten vorliegen, würde der Staat keinen
Augenblick zögern, unser opferfreudig erworbenes Naturschutzgebiet
zu _enteignen_! Manchmal hilft uns allerdings das Gesetz aus der
Verlegenheit. Da hat ein Unternehmer begonnen, einen Steinbruchsbetrieb
mitten in ein in der Planung bereits festgelegtes Villengelände oder
in Parkanlagen vorzutreiben. Gemeinde und Unternehmer kommen in
Streit, die Grundstücksbesitzer legen Beschwerde ein; wieder soll der
Heimatschutz das Zünglein an der Wage sein. Der Sachverständige findet
nach langem Abwägen, daß hier auf beiden Seiten volkswirtschaftliche
Werte auf dem Spiele stehen und er findet einen Ausweg in der Berufung
auf das Gesetz über die »Verunstaltung von Stadt und Land«. Sein
Gutachten fällt gegen den Unternehmer aus; die Behörde entscheidet
dementsprechend. Gemeinderat und Grundstücksbesitzer atmen auf; der
Unternehmer hat forthin »kein Interesse mehr für den Heimatschutz«.
Genug der Beispiele! Ob sich wohl unsere Mitglieder von all diesen
Schwierigkeiten ein richtiges Bild gemacht haben? Eines möchten unsere
Aufführungen zeigen: Wir können nicht jeden Baum, jeden Fels schützen,
weil irgendein paar Naturschwärmer ihn für schön erklären. Es muß schon
eine _große_ Gemeinde von Naturfreunden ihr Interesse und vielleicht
auch ihre Opferfreudigkeit bekunden, wenn der _Landes_verein sich
schützend vor das Naturdenkmal stellen soll. Den kleinen örtlichen
Organisationen bleibt noch immer ihr Betätigungsfeld offen. Und
endlich, der Landesverein würde den Heimatschutz falsch auffassen,
wenn er nicht auch für die heimische _Volkswirtschaft_ ein warmes Herz
hätte! Wir wissen, wir haben in den Kreisen der Industriellen manchen
scharfen Gegner; wir wissen auch, daß wir vielen Naturfreunden lange
nicht weit genug in unseren Schutzbestrebungen gehen. »Naturlandschaft«
und »Kulturlandschaft« können nun einmal nicht ohne Kampf nebeneinander
bestehen! Wir können nur eins versprechen: mit warmem Herzen der
Schönheit unserer Heimat und mit volkswirtschaftlicher Einsicht
der Volkswohlfahrt zu dienen. Ob uns das neue Gesetz in andere
Arbeitsgeleise zwingt, davon später ein Wort!
Verwaiste Storchniststätten im Niederlande um Oschatz
Von _Georg Dörfel_, Calbitz b. Oschatz
Er ist ein seltener Gast bei uns geworden, Freund Stelzbein mit
seinen leuchtenden deutschen Farben schwarzweißrot. So selten ist
er geworden, daß das letzthin verwaiste Nest auf der Malkwitzer
Friedhofslinde als ein Naturdenkmal allerersten Ranges galt, als
eine Art Nationalheiligtum der Vogelwelt westlich der Elbe. Und doch
waren früher die Störche bei uns bekannte Gäste, mit deren Rückkehr
man im Frühjahr ebenso rechnete, wie mit der anderer Zugvögel. Die
Chronisten bezeugen uns, daß früher das Storchengeschlecht über ganz
Sachsen verbreitet war, mit Ausnahme des rauhen Obererzgebirges.
Auch im mittleren Erzgebirge nisteten sie, in Gegenden, wo man
sie heute vergeblich sucht. So lebten und brüteten welche bis ins
siebzehnte Jahrhundert hinein in der Gegend von Schneeberg, wie
ein Chronist Meltzer in seiner »Bergläuffigten Beschreibung der
Bergstadt Schneeberg« aus dem Jahre 1684 erzählt. Krenkel berichtet
dasselbe in seinen »Blicken in die Vergangenheit der Stadt Adorf«
unterm Jahre 1862. Georg Fabricius erzählt in seinen »~res misnicae~«
unterm Jahre 1564, daß der weiße Storch (~ciconia alba~) mit seinem
Vetter, dem schwarzen Waldstorche (~ciconia nigra~), der heute nur
noch ganz vereinzelt in Norddeutschland brütet, in den Elbauen ein
guter Bekannter war. Was sagen die Chroniken aus dem nordsächsischen
Flachlande über die Störche? Sie waren einst hier überaus häufig.
In der Chronik der früheren Stiftsstadt Wurzen berichtet Christian
Schöttgen, daß 1679 zu 1680 der Winter so warm gewesen ist, daß die
Leute barfuß gingen und die Störche bereits am 19. Hornung wiederkamen.
Hieraus sieht man, daß man mit ihrer Wiederkehr ebenso rechnete, wie
mit der anderer Zugvögel, selbst in der alten Pleißenstadt Leipzig.
Adam Friedrich Glasig bemerkt nämlich in seiner 1721 erschienenen
»Geschichte des Hauses Sachsen«: »Störche pflegen absonderlich
zu Leipzig in der Stadt auf den Dächern der Häuser jährlich zu
hecken.« Johannes Kleinpaul erwähnt in seinem kulturgeschichtlich
wertvollen Büchlein »Anno dazumal« unterm Jahre 1591 ein Nest an der
Grimmaischen Straße nahe der Nikolaikirche, und noch 1830 soll nahe
der Peterskirche in Löhrs Garten eine besetzte Niststätte gewesen
sein. In der Mügelschen »Ehren- und Gedächtnissäule« aus dem Jahre
1709 berichtet der damalige Pastor Fiedler: »Anno 1621, den 28. Juli,
ist eine ungewöhnliche und unzählbare Menge Störche hierher kommen
/ die jedermann mit großer Verwunderung angesehn / haben sich auf
Kirche und Schloß niedergelassen / und kaum Raum zu sitzen gefunden.
Man hat daraus ominieren und deuten wollen / daß man künftige Zeit
würde Gäste ins Land bekommen / wie auch geschehen.« (Dreißigjähriger
Krieg.) Aus all diesen Angaben ist zu ersehen, daß es vor zwei- bis
dreihundert Jahren im Niederlande noch Störche genug gegeben hat. Der
große Rückgang des Storchengeschlechts in Sachsen erfolgte zu Ende des
neunzehnten und zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Im Jahre 1906
hat der Ornithologe R. Heyder noch zehn besetzte Nester in Westsachsen
festgestellt, alle im Gebiet der vereinigten Mulde und Pleiße, sowie
einige bei Oschatz. Rudolf Zimmermann ergänzt und erwähnt fürs
Pleißengebiet welche in Regis, bei Berbisdorf, drei in Deutzen, zwei
in Blumroda, weitere in Röthigen, Görnitz, Großzössen. Im Muldengebiet
waren Storchnester in Großbardau bei Grimma, in Golzern, Gornewitz,
Wäldgen, Kühren, in Burkhardtshain bei Wurzen nach meinen Erkundigungen
sogar vier. Auch im Tieflande um Oschatz nisteten um 1900 und vorher
noch eine Anzahl Störche. Durch Umfragen ist es mir gelungen, diese
nunmehr verwaisten Niststätten zu ermitteln. Ich habe ihrer zwölf
erfahren können, das Malkwitzer ungerechnet.
Als das älteste ist wohl das Nest von Görzig bei Strehla anzusehen.
Nach Mitteilungen soll es bereits den ältesten Leuten des Ortes als
Kindern bekanntgewesen sein. Angeblich stammt es aus dem Jahre 1840.
Als Standort wird eine Eiche am sogenannten Eichberge angegeben. Als im
Jahre 1907 ein Wintersturm das Nest herabwarf, bauten die Störche nicht
wieder. Die Eiche selbst brach 1919 infolge hohen Alters zusammen.
Noch jetzt sollen sich zeitweilig Störche auf den angrenzenden
feuchten Elbwiesen aufhalten. Sicher sind es Gäste von preußischen
Nestern, da ja diese Tiere oft sehr weit auf Nahrungssuche fliegen. Im
Nachbardorfe von Görzig, in dem schon auf preußischem Gebiet liegenden
Paußnitz, ist noch so ein beflogenes Nest. – Eine gleichfalls sehr alte
Niststätte war in Lampertswalde an der sogenannten Winterseite des
Ortes auf einem Eichbaum inmitten einer Wiese. Eiche und Niststätte
sind verschwunden. Wann, ist nicht genau zu ermitteln, soviel ich
herausbekommen habe, vor fünfzig bis sechzig Jahren. – In diesem Orte
gab es noch zwei weitere Nester. Das erstere war auf einer Pappel des
Gutsbesitzers Böhme (Nummer 21). Die Störche nisteten und brüteten
hier von 1902 bis 1906. Einer starb in diesem Jahre. Im folgenden
Jahre wurde das Nest nur von einem Tiere beflogen, das sich aber nicht
paarte. Seit 1908 ist es völlig verwaist. – Die dritte Niststätte war
auf dem Dache eines Seitengebäudes bei Gutsbesitzer Frost. – Zwei
weitere Nester sind in Zaußwitz gewesen. Genauere Mitteilungen über
diese verdanke ich Herrn Kantor Büttner, Zaußwitz. Das eine war bei
Gutsbesitzer Oskar Kühne (Gut Nummer 32) auf einer Pappel, das andere
auf einer Eiche bei Gutsbesitzer Hermann Kühne (Gut Nummer 45). Das
Nest auf der Pappel ist 1897 errichtet worden. Die Störche brüteten bis
zum trockenen Sommer des Jahres 1911. Die Folge der Trockenheit war
eine entsetzliche Mäuseplage, so daß man diesen Nagern mit Phosphor
zu Leibe rücken mußte. Die Alten und die schon hochgekommenen drei
Jungstörche fraßen solche vergiftete Tiere und gingen daher ein. –
Das Nest auf der Eiche von Gutsbesitzer Hermann Kühne hatte 1910 zum
letzten Male Storchengäste, doch nur für kurze Zeit. Sie nisteten
nicht wieder, weil der Horst schief hing und blieben schließlich
ganz weg. – Zum Oschatzer Nest. Genaueres erfuhr ich durch Herrn
Uhrmachermeister Lehmann. Die Niststätte war auf dem strohgedeckten
Dache eines Hauses, das nahe Ecke Gartenstraße an der Viehweide, nicht
weit von der Gasanstalt stand. Es gehörte einem gewissen Streubel. Die
Störche brüteten dort von 1867 bis 1870. Als das Haus 1871 umgebaut
und mit Ziegeln umgedeckt wurde, errichtete der Besitzer ein Wagenrad
darauf, um so die Störche beim Horstbau zu unterstützen. Nach ihrer
Rückkehr aus dem Süden siedelten sie sich aber nicht darauf an, obwohl
sie sich zuweilen auf Dach und Wagenrad niederließen. Man hat das Paar
oft auf dem alten Stadtturme hinterm Amtsgericht beobachtet. Im Jahre
1872 ist es nicht wieder gesehen worden. – Die Störche von Luppa. Sie
nisteten lange auf der Brennereiesse des jetzigen Gutes von Rudolf
Knoll, Wendisch-Luppa. Wenn dann in den Herbst- und Wintermonaten die
kleinen Brennereien in Tätigkeit traten, wurde allemal der Horst durch
ein großes, angefachtes Strohbündel weggeräuchert. Nach Mitteilungen
des Herrn Gutsauszüglers Winkler, Deutsch-Luppa, sollen die Störche
in den achtziger Jahren angeblich nach Malkwitz übergesiedelt sein.
Möglich ist es, da die Malkwitzer Linde gerade in dieser Zeit infolge
zu dichten Laubwuchses einmal verwaist war. – An der Westgrenze unseres
Bezirkes war ein Nest auf dem strohgedeckten Dache einer Scheune in
Göttwitz-Döbern. Errichtet 1862 oder 1863, mußte es 1879 entfernt
werden, weil das schadhaft gewordene Strohdach durch Schieferdach
ersetzt wurde. Neuerdings hat der Wirt der Pappelschenke in demselben
Orte, Herr Höhne, auf dem Scheunendache eine Niststätte befestigt,
in der Hoffnung, die auf den naheliegenden Wiesen sich aufhaltenden
Störche darauf zu bekommen. Leider ohne Erfolg, wie er mitteilt.
Wahrscheinlich sind die Gäste der bekannten Göttwitzsee-Wiesen unsere
Malkwitzer Freunde.
In der Klostergärtnerei Sornzig entdeckte ich ein Wagenrad auf dem
First eines kleinen Wirtschaftsgebäudes. Nach meiner Erkundigung in
der Vogtei sollen hier seit zwanzig bis dreißig Jahren keine Störche
genistet haben. – Eine Niststätte, die nur ein Jahr von Störchen
besucht wurde, war auf einer Erle auf Lonnewitzer Flur. Herr Oberlehrer
i. R. Marx teilt dazu mit, daß dieser Baum an einem aus dem Zöschauer
Teiche abfließenden Bache nahe der Dresdner–Leipziger Staatsstraße
gestanden hat.
Als das jüngste verwaiste Nest ist das von Lorenzkirch anzusehen. Die
Störche errichteten es im Jahre 1915 auf einer etwas geköpften Pappel
vor dem Gehöft des Gastwirts Förster. In den Jahren 1915 und 1916
sind fünf und drei Junge erbrütet worden. Leider wurde im letzteren
Jahre kurz vor der Abreise nach dem Süden das Männchen von einem
gewissenlosen Schützen abgeschossen. Das Weibchen erschien 1917 allein
wieder und legte unbefruchtete Eier, die sie aber bald wieder abwarf.
Eine stumme Anklage gegen den unvernünftigen Schützen! Bis 1921 wurde
das Nest von einzelnen Störchen beflogen. Zur Brut kam es jedoch
niemals.
Verzeichnis verwaister Storch-Niststätten im Oschatzer Land
====+=============+=================+=========+=========+=============
Lfd.|Name des |Platz der |Jahr der |Jahr der | Grund des
Nr. |Ortes |Niststätte |Errichtg.|Verwaisg.| Ausbleibens
----+-------------+-----------------+---------+---------+-------------
1. |Görzig bei |Auf einer Eiche |Vor 1840 | 1907 |Abst. des
|Strehla |am Eichberg | | |Nestes d.
| | | | | Winterstürme
| | | | |
2. |Göttwitz bei |Auf Strohdach in |1862 | 1879 |Umdeckung des
|Wermsdorf |Gehöft Nr. 3b | od. 63 | | Daches
| | | | |
3. |Lampertswalde|Auf einer Eiche | ? |Vor etwa | ?
| | | |50 Jahren|
| | | | |
4. |Lampertswalde|Auf einer Pappel,| 1902 | 1908 | —
| |hinter Gehöft | | |
| |Nr. 21 | | |
| | | | |
5. |Lampertswalde|Auf dem First | ? | ? | ?
| |eines | | |
| |Seitengebäudes | | |
| |in Gehöft Nr. 36 | | |
| | | | |
6. |Lonnewitz |Auf einer Erle am| Um 1900 | ?
| |Abflußbach | | |
| |des Zöschauer | | |
| |Teiches | | |
| | | | |
7. |Lorenzkirch |Auf einer Pappel | 1915 | 1921 |Abschuß eines
| |vor Gehöft | | |Alten
| |Nr. 20a | | |
| | | | |
8. |Wendisch- |Auf der | ? |Nach 1880| ?
| Luppa|Brennereiesse des| | |
| |Gutes Nr. 7a | | |
| | | | |
9. |Oschatz |Auf dem Strohdach| 1867 | 1871 |Umdeckung des
| |eines Hauses | | |Daches
| |Ecke Gartenstraße| | |
| | | | |
10. |Sornzig |Auf dem First |Vor etwa 30 Jahren | ?
| |eines kleinen | | |
| |Wirtschafts- | | |
| |gebäudes im | | |
| |Klostergut | | |
| | | | |
11. |Zaußwitz |Auf einer Pappel | 1897 | 1911 |Verendung
| |bei Gehöft Nr. 32| | |d. Mäusegift
| | | | |
12. |Zaußwitz |Auf einer Eiche | 1898 | 1910 |Verleidung
| |bei Gehöft Nr. 45| | |des Nestbaues
Über die Gründe dieses raschen Aussterbens der Störche hat ja Klengel
in dem Aufsatze »Unsere sächsischen Störche und Storchnester« in
Band VI und VII der Heimatschutzmitteilungen genauere Ausführungen
gemacht. Fremde und Heimat sind von Einflüssen nicht frei. Viele Tiere
erliegen in den warmen Zonen Südafrikas nach dem Genusse vergifteter
Heuschrecken. Weiter hat man in diesen Gegenden ganze Züge zu allen
Zeiten des Jahres gesehen, was vielleicht mit einer klimatischen
Verschiebung zusammenhängt. In der Heimat werden viele ein Opfer der
Hochspannungsdrähte, sowie immer noch der Jagdleidenschaft mancher
Jäger, obwohl Adebar für Deutschland bereits unter Schutzgesetz steht.
Vielleicht liegt es daran, daß er in storchenreichen Gegenden, wie
Mecklenburg, Pommern ab und zu Junghasen oder Gelege von Hühnervögeln
aufnimmt. Die Ansichten über seine »Nützlichkeit« und »Schädlichkeit«
gehen jedenfalls in Jagdkreisen weit auseinander. Um mit Schiller
zu sprechen: »Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt
sein Charakterbild in der Geschichte«. Wir in Sachsen hätten allen
Anlaß, ihn zu schonen. Als Hauptgründe des raschen Aussterbens im
nordsächsischen Niederlande kommt wohl hauptsächlich die Entwässerung
weiter Strecken Landes in Frage, wodurch ergiebige Nahrungsquellen
versperrt werden. Dazu kommt weiter, daß ihm Rauch, Ruß und Fabriklärm,
sowie neuerdings das Geknatter der Motorpflüge und Zugmaschinen der
Landwirtschaft ungebetene Gäste sind. Ihm wird das friedliche Treiben
vergällt, so daß er abwandert. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß
auch auf der Reise viele umkommen. Professor Thienemann, Rossitten,
hat nachgewiesen, daß viele Vögel mit völlig leerem oder fast leerem
Magen fliegen, um schneller vorwärts zu kommen. Dieser Vorteil bringt
Nachteile. Dem Kopfe und Hirn fehlt es an Blut. Das schwächt die
Urteils- und Sehkraft, so daß die Tiere entgegentretenden Hindernissen
wie Schiffstakelwerken, Zäunen, Bäumen oft nicht auszuweichen vermögen,
so daß sie flügellahm niederfallen und verenden. Möglich ist es, daß
dem männlichen Malkwitzer Storche in diesem Jahre auf der Rückreise
ein ähnliches Unheil widerfahren ist, so daß schließlich das Nest
verwaisen mußte, weil es das Weibchen nur noch beflog und schließlich
ganz wegblieb. Ich habe das Nest noch nicht mit in der Zusammenstellung
verwaister Storchnester aufgenommen, da ich hoffe, daß in diesem Jahre
sich ein neues Paar einstellt. Über das Nest selbst, das gerade im
letzten Jahre sehr vom Unstern des Glücks verfolgt wurde, noch etliche
Bemerkungen, besonders über seine Geschichte.
[Illustration]
Es ist alt und soll ursprünglich, bereits 1852, auf dem strohgedeckten
Dache eines Gehöftes gewesen sein. Im Winter des Jahres 1873 starb
die Besitzerin des Gutes, die diesen Tieren immer besonderen Schutz
gewährte. Nach der Rückkehr aus dem Süden nahmen die Störche die alte
Niststätte nicht an, sondern bezogen die hohe Friedhofslinde, die in
unmittelbarer Nähe des Grabes ihrer Beschützerin war. Das mag zufällig
geschehen sein, doch sah die Bevölkerung in diesem Tun ein Zeichen
von Treue und Anhänglichkeit. Ein Beweis, welche Rolle der Storch im
Volksglauben spielt. Jährlich sind im Nest zwei bis fünf Junge erbrütet
worden. Einmal, in den achtziger Jahren, blieben die Störche aus, als
die Linde oben recht zugewachsen war. Ein Schornsteinfeger stellte
den Schaden ab, der ausgeästete Baum wurde im nächsten Jahr erneut
beflogen. Die Jahre kamen und gingen. Die Linde wurde morsch, so daß
man schließlich einmal ihren Sturz befürchten mußte. Da beschlossen
1923 die Kirchgemeindevertretung Malkwitz und Kircheninspektion
Oschatz unter Teilnahme eines Vertreters des Heimatschutzes (Klengel,
Meißen), am Firste des nahen Kirchendaches ein dauerhaftes Wagenrad zu
befestigen. Der Plan wurde ausgeführt, der Storch nahm die Niststätte
nicht an, sondern ging wieder nach dem altgewohnten Horst. Mir
kam schon in dieser Sitzung der Gedanke einer Auszementierung der
Linde, da ich aber nur als Gast zugegen war, machte ich davon keinen
Gebrauch. In den Jahren 1923 und 1924 kamen zwei und drei Dunenjunge
hoch. Sie wurden beringt und tragen die Nummern 11741 bis 11745 der
Vogelwarte Rossitten. Einzelfragen über die Störche, wie Zugrichtung,
Zugschnelligkeit, Heimat- und Nesttreue, Dauerehe usw. sollen durch
solche Beringungen immer mehr geklärt werden. Anfang April 1925 kehrte
das Malkwitzer Storchenweibchen zurück. Das Männchen blieb aus, so daß
schließlich auch das Weibchen dem Neste fernblieb. Am 22. September
trat nun das Unglück ein, von dem bereits in der Tagespresse berichtet
wurde. Die morsche Linde wurde bei heiterstem Herbstwetter, sagen wir
ein Opfer der Windstille. Der »Heimatschutz« ließ um diese Zeit einen
Aufsatz durch sächsische Tageszeitungen gehen, betitelt »Erhaltung
von Naturdenkmälern«. Der betreffende Mitarbeiter spricht da von der
Malkwitzer Linde als einem herrlichen Naturdenkmal, um das wir ärmer
geworden sind. Er fragt weiter, ob dieses beklagenswerte Ereignis nicht
noch für eine lange Reihe von Jahren hätte aufgehalten werden können,
wenn man rechtzeitig für eine zweckentsprechende Sicherung des Baumes
gesorgt hätte. Zunächst ist da zu bemerken, daß der Baum an sich, man
wolle mich recht verstehen, gar kein Naturdenkmal mehr war; denn einen
Lindenstumpf, der seit drei Jahren nicht mehr ausschlug und so die
Spuren sich verjüngenden Lebens an sich gezeigt hätte, kann man nicht
als solches bezeichnen. Für die Sicherung des Nestes war bereits Anfang
1923, wie weiter oben erwähnt, etwas geschehen. In diesem Frühjahre nun
will sich die Gemeinde ebenfalls wieder dafür einsetzen, daß sich ein
Storchenpaar an der verwaisten Stätte niederläßt. Es wird an derselben
Stelle von drei acht bis zehn Meter langen starken Stämmen eine Art
Dreibock (/|\) errichtet und darauf ein Wagenrad befestigt. Ob die
Störche das neue Heim annehmen? Wir hoffen es zuversichtlich. Freilich
scheint es mir bald, als wäre die Zeit nicht mehr ferne, da es auch von
den Störchen Sachsens heißt: Die Ruinen des einen braucht die allzeit
wirksame Natur zum Leben des anderen. Die vielen verwaisten Nester
reden eine zu deutliche Sprache.
[Illustration: Die gestürzte Linde in Malkwitz bei Dahlen, auf der das
Storchnest war]
Die sächsische Schule und der Heimatschutzgedanke
Von _Rudolf Schumann_
Schon vor dem Kriege begann die Schule, den Begriff der Heimat immer
mehr in ihre Arbeit hereinzunehmen, und vor allem in den letzten
Jahren hat die Heimat eine höhere Beachtung gewonnen. Ist doch der
Heimatkundeunterricht von einem Jahr auf zwei Jahre ausgedehnt worden,
und ist doch in allen späteren Schuljahren dauernd zurück auf die
Heimat zu greifen. Der »Lehrplan für die einfachen Volksschulen des
Königreichs Sachsen« von Kockel führt in seiner 11. Auflage 1911 als
Ziel der eigentlichen Heimatkunde an: »~a~) _Das heimatliche Gebiet
nach geographischen Gesichtspunkten erhellen_ ..., _anleiten, damit die
Kinder ihre Heimat genau kennenlernen, geographische Grundbegriffe sich
aneignen_ ...; ~b~) _das Kartenverständnis vermitteln_ ...; ~c~) _Liebe
zur Heimat einpflanzen, die ihnen einen sittlichen Halt für das ganze
Leben bietet und sich leicht zur Vaterlandsliebe weiter aufschließt_«
(nach Grüllich). Die Heimat bietet danach also reiche Anschauungen und
Apperzeptionshilfen. Sie ist aber auch die Grundlage zu bilden imstande
nicht nur für den späteren geographischen Unterricht, sondern auch für
eine sittliche und ästhetische Entwicklung, vermag doch die Heimat
Schönheitsbegriffe zu vermitteln und ist dauernd jedem zugänglich,
was vor allem für ein verarmtes Volk von großer Bedeutung ist. »Die
Heimat wird für den ideal veranlagten Menschen zum Paradies der höheren
Freuden, wenn durch Erziehung und Bildung die Fähigkeit gegeben
wurde, in der Natur die Leiden des Daseins zu vergessen.« (Blätter
für Naturschutz 1920, 11/12 S. 6.) Der Lehrplan von Kockel weist
ferner 1911 schon auf die Bestrebungen des Landesvereins Sächsischer
Heimatschutz hin, und im Jahre 1908 hat das Kultusministerium laut
Gesetz-Verordnung vom 12. August 1908 deren Unterstützung empfohlen.
Ehe auf die Heimatschutzarbeit der Schule eingegangen werden kann,
erscheint es notwendig, einen Blick auf Grundlage und Notwendigkeit von
bewußtem Heimatschutz zu werfen. Daß der Natur- und Heimatschutz von
eigens dafür geschaffenen Organisationen in die Hand genommen wird,
ist eine Erscheinung der Neuzeit. Noch bis in das vorige Jahrhundert
hinein kann man von einem natürlichen Heimatschutz reden. Der große
Teil der Bevölkerung war in irgendeiner Weise bodenständig, entweder
als Handwerker oder als Landwirt, und unter der noch nicht ins
Ungemessene gewachsenen Zahl der Beamten und Arbeiter gab es viele, die
eigenen Grund und Boden, ein eigenes Haus besaßen. Einer bodenständigen
Bevölkerung ist aber der Schutz der Heimat etwas Gegebenes, nicht nur
aus praktischen Gründen, sondern auch aus dem Gefühl der Zugehörigkeit
zu ihrer Scholle heraus. Ferner konnten bei wenig dichter Bevölkerung
Maßnahmen einzelner, die gegen Natur und Heimat verstießen, nicht allzu
schwer schädigende Folgen haben, wie bei einer dichten Bevölkerung.
_Die bewußte Durchführung des Heimatschutzes ist also zu betrachten
als eine Reaktion gegen irgendeine Aktion, ein Ereignis des letzten
Jahrhunderts._ Als dieses Ereignis kann ganz allgemein genannt
werden das plötzliche und rasche Vorwärtsschreiten der Zivilisation:
die Ausnutzung der Dampfmaschinen und Eisenbahnen, das Entstehen
der Fabriken und die Vermehrung der Verwaltungsarbeit. Damit Hand
in Hand ging eine rasche Bevölkerungszunahme, vor allem in der
Industriearbeiter- und Beamtenschaft. Dadurch entstanden die Hemmungen
gegen die Durchführung des natürlichen Heimatschutzes, und zwar
direkter und indirekter Art. Aus einem natürlichen war das Leben der
Menschen mehr und mehr in einen Zwangsverlauf gedrängt worden.
Die erste Folge genannter Ursache war direkter Art. Es wurden Fabriken
gebaut, Eisenbahnlinien gezogen, es mußten neue Wohnstätten geschaffen
werden, als deren einer Typ jetzt auch die Mietkaserne auftrat. Die
harte Lebensnotwendigkeit verlangte die leichtere Zugänglichmachung
entlegener Ackerbaugebiete, überhaupt einen regeren Austausch zwischen
Stadt und Land, die Bebauung schöner Landstrecken, die Regulierung
von Wasserläufen, und als Folge der Konkurrenz trat die Reklame auf.
Es mußten ferner Fabrikabwässer beseitigt werden, wodurch ganze
Flüsse vergiftet wurden, Rauch, Ruß und Benzingeruch nahmen der Luft
ihre ursprüngliche Frische. Das engere Zusammenwohnen von Menschen
verlangte die Anlage von Schuttablagerungsplätzen. In stillen
Tälern erscholl jetzt das Pfeifen der Lokomotive, das Rattern von
Maschinen, die Sprengschüsse von Steinbrüchen, die den Anblick ehemals
reizender Landschaftsbilder auf ewig verdarben. _Die Anforderungen
des Lebens rechtfertigten diese Maßnahmen. Jedoch wurde oft darauf
losgewirtschaftet, ohne Rücksicht auf die Natur und heimatliche
Schönheit zu nehmen._ So brachte die Bauweise der Gründerzeit Formen,
zu denen unser Volk keine inneren Beziehungen fand, sowohl bei Villen
als auch bei Mietkasernen. Fabriken wurden in erster Zeit nur unter
dem Gesichtspunkte des Praktischen gebaut, was besonders dann häßlich
und aufdringlich wirkte, wenn sie an Stelle ehemaliger idyllischer
Mühlen gesetzt wurden. Bei der Anlage von Steinbrüchen versagte man
die Schonung oft den reizendsten Gegenden. Da man die Folgen einer so
raschen Entwicklung noch nie kennengelernt hatte, fehlten auch die
Erfahrungen, wie man ihre üblen Folgen vermeiden könnte, ja diese
wurden überhaupt erst als solche erkannt, als schon viel verloren war.
Im einzelnen Fall und dem einzelnen war die Gefährdung heimatlicher
Schönheit kaum ins Auge gefallen. Erst bei einem Rückblick nach einem
längeren Zeitabschnitt trat sie als vollendete Tatsache auf.
Neben diese immerhin noch natürliche Entwicklung trat aber auch
immer mehr eine unnatürliche. Die Gier nach Luxus und die Ausnützung
der Natur zu Geldzwecken versetzten der Heimat an ihren schönsten
Punkten die schwersten Schläge. Wo früher der einsame Wanderer nach
beschwerlichem Wege von einer Hochwarte aus die Augen ins weite Land
schweifen ließ, dahin baute man Luxushotels, erreichbar auf breiten,
staubigen Automobilstraßen oder durch Gebirgsbahnen. Um die Schönheit
dieser Punkte heute noch zu genießen, genügt nicht mehr gemütvolles
Auffassen. Wer nicht über geldliche Mittel verfügt, ist an solchen
Stellen meist ein wenig gern gesehener Gast, er ist heimatlos geworden
in seiner Heimat. Dieses Spekulantentum ohne Ideale macht sich auch in
anderer Weise breit. Weit ins Land schauende Berge wurden eingeschätzt
nach dem Werte der Steine, die sich aus ihnen gewinnen ließen, und es
bedurfte erst des Eingreifens der Behörden, ehe sie geschützt wurden.
Aus rauschenden Bächen errechnete man lediglich Kilowattstunden,
und romantische Gebirgslandschaften regten zu gewinnbringenden
Filmaufnahmen an. Unter all diesen Erscheinungen litt die Natur direkt
mehr oder weniger.
Dadurch, daß diese Entwicklung auch andere Menschen schuf, trat noch
eine indirekte, aber nicht minder große Bedrohung und Gefährdung
der Heimat ein. Durch die starke Bevölkerungszunahme und die immer
häufiger werdende Beschäftigung als Beamter oder Arbeiter trat eine
Entwurzlung weiter Schichten ein. Das innere Verhältnis zwischen Arbeit
und Arbeiter – besonders wenn die Arbeit eintönig war –, zwischen
Scholle und Bewohner – wenn dieser nicht selbst Besitzer war – schwand.
Der einzelne war auch nicht mehr an den Ort in dem Maße gebunden wie
vorher, zudem machten ihm die Verkehrsmittel einen Ortswechsel sehr
leicht. Von dem, was eigentlich Heimat ist, lernten viele ihre ganze
Kindheit hindurch in den Mauern der Stadt fast nichts kennen. _Die
Folgen dieser Entwurzlung waren verschiedener Art: Gemütsverflachung,
völlige Gleichgültigkeit, Gemütsverderbnis, aber auch der Trieb nach
oben, nach einem eigenen, vielleicht neuen Boden._
_Die Gemütsverflachung_ tritt uns entgegen in der Oberflächlichkeit
weiter Kreise. Der Sinn nach Tand, kleinlichem Luxus, Vergnügen, steter
Abwechslung ist ihr Kennzeichen, ferner der Drang nach unsolider
Lebensweise. Daneben kann nicht mehr der Sinn für die stille Schönheit
der Natur wohnen, ja deren Verachtung tritt ein. Solche Menschen
zerstören dann aber auch ohne das Bewußtsein, daß sie unrecht tun.
Mancher Käfer oder Schmetterling, manch seltene Pflanze fällt ihrem
Spielen und Tändeln zum Opfer, ohne daß sich Gewissensbisse regen.
_Die Gleichgültigkeit_ hat ihren Grund vor allem darin zu suchen, daß
der nicht mehr Bodenständige gewisser Pflichten enthoben ist. Dem
Grundbesitzer ist es selbstverständliche Pflicht, z. B. den Wald zu
schonen, der ihm Wasser speichert und sein Tal vor Stürmen schützt. So
sorgte und sorgt noch in jedem Gebiet mit dünner, aber bodenständiger
Besiedlung jeder für die Erhaltung der Heimatscholle; denn jeder
hat teil daran, jeder weiß, daß seine Vorfahren hier saßen, seine
Kinder hier sitzen werden. Die Enthebung von solchen ungeschriebenen
– weil natürlichen – Gesetzen muß zu einer laxen staatsbürgerlichen
Auffassung führen, was sich darin kund gibt, daß der Gemeinsinn mehr
oder weniger verschwindet. Die Folge davon ist die Rücksichtslosigkeit
im allgemeinen, angewandt auf die Heimat, das Sichgehenlassen in der
Natur, das gedankenlose Zerstören, ohne daß damit gesagt sein soll,
daß solchen der Sinn für das Unrechte fehle. Aufmerksam gemacht,
erkennen sie unter Umständen, daß ihr Verhalten falsch ist. Schlimmer
als Gemütsverflachung und Gleichgültigkeit ist _die Gemütsverderbnis_.
Sie gibt sich kund in einem brutalen Sichdurchsetzen. Sie sucht ihre
Stärke in rohem Auftreten. Ein Zeichen verdorbenen Gemüts ist das
mutwillige Zerstören, der böse Wille in der freien Natur. Solche
Menschen können zufriedengestellt werden durch das Zerstören der
Freude anderer Menschen. Gegen sie kann, wenn es Erwachsene sind, nur
mit der strengsten Durchführung von Gesetzen eingeschritten werden.
Schließlich muß sich als eine Folge der Entwurzlung bei vielen auch
der Trieb zeigen, wieder Wurzeln zu schlagen, _ein Trieb nach oben_,
entweder in geistiger oder materieller Beziehung. Dem entsprechend
können sich ihm auch zwei Hemmungen entgegenstellen. Vielen fehlt
das eigene geistige Gebiet. Wollen sie nun geistig etwas leisten, so
werden sie die Hohlredner, die Lauten, die sich gern reden hören.
Vermißt ein anderer mehr die materielle Grundlage, so führt das zur
Unzufriedenheit. Unzufriedene können Nörgler werden, vor allem, wenn
sie auch nach einem geistigen Gebiete streben, ohne es zu finden. Aus
ihnen rekrutieren sich aber auch die Resignierten, die sich stets für
betrogen ansehen, die in nichts mehr eine Freude erblicken zu können
glauben. Sie werden darum auch wieder die Gleichgültigen. Schließlich
gibt es die konsequenten Unzufriedenen, die Verbrecher. Alle die, denen
in irgendeiner Weise der Trieb nach oben innewohnt, können für den
Gedanken des Heimatschutzes gewonnen werden.
Nachdem nun die Hemmungen bekannt sind, die sich dem Natur- und
Heimatschutz entgegenstellen, können die Wege gesucht werden, sie zu
umgehen. Sie werden bestehen müssen in einem _Führen, Erziehen des
Volkes_. _Zeit und Ort dafür kann in wirksamster Weise die Schule
sein_; denn diese wird von allen durchlaufen. Ihr Einfluß trifft alle,
während der Aufklärungsdienst – wie Presseaufsätze, Zeitschriften
usw. – oft diejenigen nicht erreicht, die seiner am bedürftigsten
sind. Zudem ist es eine schwere, oft kaum lösbare Aufgabe, den
schon in festen Bahnen sich bewegenden Geist Erwachsener in für
sie völlig neue Bahnen zu leiten, zumal sich da auch fast stets
Voreingenommenheit, Eigensinn, falsches Selbstbewußtsein, und vor
allem die Angst vor Bevormundung einstellen. Glaubt man wirklich,
nach eifriger Werbetätigkeit dem Heimatschutz einen neuen Anhänger
gewonnen zu haben, so wird sich bei näherer Untersuchung oft genug
zeigen, daß er schon vorher aus natürlichem Gefühl heraus durchaus
nicht zu den Naturverwüstern gehörte. Wohl bildungsfähig aber ist das
Kind, sind es auch noch erwachsene Schüler, und vor allem kann durch
die Kinder der Schutzgedanke in die Familie hineingetragen werden,
wobei dann einige der genannten Hemmungen schon hinwegfallen oder doch
leichter überwunden werden können. Um die Kinder für den Gedanken des
Heimatschutzes zu gewinnen, bedürfen sie natürlich erst einer gewissen
Kenntnis von der Heimat, die der Heimatkundeunterricht laut Lehrplan zu
vermitteln hat. Dies ist aber nicht die alleinige Voraussetzung. Wer
schützen will, muß erst einmal wissen, warum und was. Er muß wissen,
was überhaupt schön, was häßlich ist, was verloren, was gefährdet ist.
Dem Schüler muß der Gedanke der Schönheit nahegebracht werden. Daß er
nicht von vornherein in jedem Kinde wohnt, muß jeder Lehrer oft bei
Klassenwanderungen erkennen, wenn die Kinder gerade an den schönsten
Punkten die belanglosesten Gespräche führen und für die Erhabenheit
der sie umgebenden Natur weder Auge noch Ohr zu haben scheinen. Das
Schönheitsgefühl muß ihnen erst anerzogen werden. Als Vorstufe ist das
Gefühl für Ordnung zu betrachten. Schon in Elementarklassen wird wohl
von allen Lehrern darauf gehalten, daß die Kinder im Zimmer und auf dem
Hofe Papier z. B. nicht nur deswegen nicht wegwerfen, weil es verboten
ist, sondern sie müssen sehen lernen, daß es häßlich ist. Auf dasselbe
ist vor allem bei Klassenausflügen zu achten. Hier kann der Lehrer noch
weitergehen. Es ist von Freunden des Verfassers und auch von ihm selbst
schon folgender Versuch gemacht worden: Die Klasse kommt an eine oft
besuchte Raststätte. Für gewöhnlich sind solche arg verschmutzt mit
Papier usw. Da darf sich nun die Klasse nicht ohne weiteres setzen.
Erst hat sie einige Augenblicke diesen häßlichen Eindruck in sich
aufzunehmen, diesen Gegensatz zwischen der Natur ringsum und ihrer
Schändung. Dann bedarf es meist nur eines Wortes, und die Kinder
säubern diese Stelle, soweit die Arbeit nicht ekelerregend ist. Der
Lehrer weiß sicher, daß dieser Eindruck länger haften bleibt als das
bloße Wort. Gerade auf Klassenwanderungen läßt sich in vielerlei Weise
das Gefühl für Schönheit erziehen oder wenigstens der Boden bereiten,
in dem es später wachsen kann. Der Lehrer, der einen Ausflug nicht
nur körperlicher, sondern auch geistiger, seelischer Kraftbildung
dienen läßt, wird es verstehen, seine Kinder an das Verweilen mit Fuß
und Gedanke an gewissen Stellen zu gewöhnen, an das wortlose, aber
innige Genießen einer erhabenen Aussicht, an das Lauschen auf das
Rauschen des Waldes, an das Genießen der Stille des Tales. Leicht zu
lösen ist diese Aufgabe nicht, wie jeder bezeugen kann, der Kinder
in der Klassengemeinschaft auf Wanderungen beobachtet hat. Wie oft
fragen die Kinder nur nach der nächsten Raststelle und wie weit sie
noch zu laufen haben. Verfasser hat es bei seinen Klassenwanderungen
auch immer für seine Pflicht gehalten, das schon oben erwähnte unnütze
Vielreden der Kinder unterwegs auf ein gewisses Maß einzuschränken.
Vielleicht erscheint dies manchem als eine Härte. Aber es ist meine
Ansicht, spazierengehen können die Kinder allein oder mit den Eltern.
Der Lehrer soll eine höhere Arbeit leisten, und es darf von ihm
erwartet werden, daß er mehr ist als der Manager einer »Partie«, einer
Vorstufe für Bierreise mit Leiterwagen, Ziehharmonika und Clown.
Auf der Klassenwanderung soll das Kind lernen, wie es später allein
wandern soll. Es wäre ganz gut, wenn auf der Erde weniger geredet,
mehr erlebt würde. Warum sind Gebirgler und andere Naturkinder oft so
wortkarg? Beobachten sollen die Kinder unterwegs auch die Folgen der
Rohheit anderer: verschnitzte Bäume, zerstörte Quellen, weggeworfene
Blumen, zertretene Rasenflächen. Aber auch im planmäßigen Unterricht
läßt sich in dieser Richtung arbeiten. In der Heimatkunde weist der
Lehrer immer und immer wieder nicht nur darauf hin, wie die Heimat ist,
sondern auch, wie sie war. An alten Bildern kann er ihre ursprüngliche
Schönheit zeigen, wobei er besonders darauf hinweist, wo diese durch
Menschen ohne harte Notwendigkeit verlorengegangen ist. Dabei wird er
auf den Unterschied zwischen schön und häßlich bei Bauweise und Reklame
aufmerksam machen, um darzulegen, wie der Mensch sehr wohl imstande
ist, Schönheit zu wahren. Durch diese geistige Führung muß jeder
Schüler zu der Überzeugung kommen: »_Ich kann noch Schönheit genießen._«
Aber auch zu der Überzeugung muß er gebracht werden, daß es nicht
notwendig ist, resigniert zuzuschauen, wenn uns ursprüngliche Schönheit
verlorengeht. Der Lehrer kann Beispiele bringen, wie hier eine
Gemeindevertretung aus vernünftigen Männern und Frauen die Errichtung
eines Luxushotels auf ihrem Grund und Boden abgelehnt hat, wie da
die Einwohner eines Ortes Naturdenkmäler schützen oder sich gegen
Anbringung marktschreierischer Reklame wehren, wie ganze Volksteile
mobil gemacht worden sind gegen eine Zerstörung oder geldgierige
Ausnützung ihrer schönen Heimat. Das Kind muß aber auch schon als Kind
wissen, daß es einmal mit reden und raten kann, und darum sind ihm auch
schon in der Schule die Tore zu zeigen und zu öffnen, die nach oben
führen, damit es später nicht nach oben hungern muß. Früh schon muß es
hingewiesen werden auf Vereine mit edlen Bestrebungen, auf Büchereien
und Volkshochschule. Dem kindlichen Eifer kann man gerecht werden,
indem man die Kinder die Befriedigung fühlen läßt, wenn sie ihre Schul-
und anderen Ausflüge ohne Blumensträuße durchführen und wenn man
ihnen die Möglichkeit zeigt, daß sie durch ihr kindliches Wort schon
den Schutzgedanken ins Elternhaus, zu Verwandten und Freunden tragen
können. Dann wissen sie: »_Ich kann beitragen, Schönheit zu erhalten._«
Gesteigert muß dieses Bewußtsein werden. Die Kinder werden bald
erkennen, Menschen, Leute wie wir haben häßlich gebaut, haben aus
Schönheit Kapital geschlagen, sind rücksichtslos gegen unsere Heimat –
unser Eigentum – vorgeschritten. Aus unseren Kreisen auch stammen die
Rohlinge, die Gleichgültigen, denen muß jeder einzelne ein Gegengewicht
sein wollen, er muß der Naturschützer aus Grundsatz werden. Im Lehrplan
von Kockel heißt es in § 6, Erl. 163: »Die Betrachtung der Natur soll
den Menschen auch dahin führen, daß er einen rechten Gebrauch von den
Naturkörpern macht. Er soll erkennen, daß in dem großen Haushalte der
Natur ein Glied dem andern dient, daß aber nicht jedes Glied dazu
da ist, dem Menschen unmittelbar zu dienen. Eben deshalb darf der
Mensch nicht blind zerstörend in die Reihen der Wesen eingreifen. Eine
sinnlose, mutwillige Verwendung von Naturgegenständen, eine solche, die
nicht für unsere leibliche Existenz oder geistige Entwicklung vonnöten
oder von Wichtigkeit ist, muß verurteilt werden« (nach Grüllich). Um
nun das Gegengewicht gegen Gleichgültige und Rohe zu verstärken, muß
jeder so Erzogene die Pflicht fühlen, die Schutzgemeinde zu vergrößern,
vor allem zu denen zu gehen, die von Heimat- und Naturschutz
noch nichts gehört haben: »_Ich muß beitragen zur Erhaltung der
heimatlichen Schönheit!_«
Aus den drei Überzeugungen: »Ich kann noch Schönheit genießen; ich kann
beitragen, sie zu erhalten; ich muß beitragen, sie zu erhalten,« ergibt
sich dann auch das Ziel. Edelmotive werden solche Menschen zu ihren
Taten leiten, ein festes Gesamtbewußtsein wird sie erfüllen, ihr Gemüt
wird eine Vertiefung erfahren, und ein neues Pflichtbewußtsein zeigt
ihnen den neuen Boden, in dem sie Wurzeln schlagen können, der ihr
Boden ist, den sie bearbeiten dürfen nach ihrer Kraft.
Ich kann es mir nicht versagen, ein rührendes Beispiel dafür
anzuführen, wie ein elfjähriger Knabe diese Gedanken in sich verankert
hatte. Schon fünfviertel Jahr war ich von der Schule versetzt worden,
an der Lehrern und Schülern ein Direktor Döring ein leuchtendes
Vorbild eines begeisterten Heimatschutzarbeiters gewesen war. Da
besuchte mich ein ehemaliger Schüler, der in meinen Heimatkundestunden
gesessen hatte. Acht Kilometer hatte er überwunden, um mir zu sagen,
er befürchte, daß der Wilisch bei Dresden von neuem abgebaut werde.
Seine Mitteilung bewirkte eine Untersuchung der Angelegenheit, die die
Abstellung von gewissen kleinen Unregelmäßigkeiten zur Folge hatte.
Es ergibt sich also, daß die Schule den Gedanken des Heimatschutzes
aus Erziehungsgründen in staatsbürgerlicher Hinsicht in jeder Weise
fördern sollte, wenn der Gedanke nicht schon von sich aus seine
Durchführung verlangte. In seinem Programm des Naturschutzes sagte
Professor Guenther: »Der Naturschutz ist keine Liebhaberveranstaltung,
sondern Lebensnotwendigkeit für das deutsche Volk. Deshalb muß
er im Staate gerade so seinen Platz haben, seine Beobachtung und
Unterstützung finden wie andere Teile der Volkswirtschaft und der
Lehrfächer.« Aus dieser Erwägung heraus ist ja auch die oben erwähnte
Ministerialverordnung vom 12. August 1908 erlassen worden. Aber auch
in der Schule stößt der Schutzgedanke auf mancherlei Hemmungen. Nur
ein Teil der Lehrerschaft wird vollständig im Heimatschutz aufgehen
können, anderen dafür andere Interessensphären überlassend. Diese
Verschiedenheit ist der Schule natürlich von großem Wert; erinnert
sei nur daran, daß jede größere Schule Verwalter für Lehrmittel,
für Schulgarten, einen Organisator als Schulleiter, einen Musiker
als Leiter des Chorgesanges, einen Turner als Turnwart braucht. An
kleineren Schulen auf dem Lande erfolgt eine gegenseitige Befruchtung
und Ergänzung durch Bezirkskonferenzen. Eine Stellung, die derjenigen
des Schulchorleiters parallel ist, kann nun auch ein Lehrer einnehmen,
der auf dem Gebiete des Heimatschutzes zu Hause ist. Wie jene Aufgabe
nur ein musikalischer Lehrer erfüllen kann, so diese nur ein heimatlich
besonders veranlagter, der, vom Vertrauen des Lehrkörpers bestimmt,
ihr seine Kraft widmet. Für den Heimatschutz kann kein besonderes
Fach angesetzt werden. Der Gedanke ist den Kindern gelegentlich
nahezubringen, bei Behandlung von Lesestücken, im Geschichts-,
Naturgeschichts-, Deutsch-, Zeichen-, Gesangsunterricht außer natürlich
im heimatkundlichen. Eine Durchdringung, Durchsetzung des Volksganzen
soll und kann durch die Schule erfolgen. Gelegentlich heißt nicht
ohne System. Dieses hineinzubringen kann Aufgabe eines Schul- oder
Bezirksvertrauensmannes sein, der selbst seine Heimat gründlich kennt,
der beseelt ist von einer glühenden Liebe für sie, der erkennt, was im
heimatlichen Bezirk not tut, der im Heimatschutz seine Lebensaufgabe
erblickt und der von den Bestrebungen der Schutzorganisationen
dauernd unterrichtet ist. Überall im Lande arbeiten Lehrer in dieser
Richtung. Keine amtliche Bestätigung oder Verordnung schreibt ihnen
ihre Aufgabe vor. Dennoch fühlen sie die Verantwortung in sich, daß an
ihrer Schule, in ihrem Bezirke, die Kinder im oben dargelegten Sinne
erzogen werden. Sie stellen fest, was im Schulbezirk schätzenswert
ist, sowohl baulicher, als auch geologischer, botanischer und
zoologischer Art. Sie forschen nach Geschichtsquellen des Ortes,
sammeln Ortssagen. Sie achten auf lokale Unsitten der Kinder, wie z. B.
Blumenverkauf an Fremde. Sie arbeiten neue Heimatkundelehrpläne aus,
legen Heimatstuben oder Heimatmuseen an. In Konferenzen berichten sie
und bringen Anregungen. Heimatliebenden Männern und Frauen ist diese
Arbeit Notwendigkeit. In einem Dorfe des östlichen Erzgebirges ist
durch die Arbeit der Schule der Schutzgedanke Allgemeingut der Kinder
und auch der Erwachsenen geworden. Verstöße gegen die Schönheit der
Heimat kommen dort kaum vor. Die geschützten und die anderen seltenen
Pflanzen sind den Schülern alle bekannt, so daß diese in der Lage sind,
an Sonntagen eine Art freiwilliger Bergwacht darzustellen. Und dieser
Erfolg ist nicht mit einem großen Aufwand an Zeit erkauft worden,
sondern nur durch die Persönlichkeit eines heimatliebenden Schulmannes.
Wenn nun auch diese Heimatschutzvertrauensmänner der Schulen oder
Bezirke nicht amtlich bestätigt werden wie Chorleiter, Lehrmittelwarte
und Schulgärtner, so wäre doch eine wirksamere amtliche Unterstützung
des Heimatschutzgedankens in der Schule sehr zu wünschen. Schon bisher
wiesen Schulämter und Ministerien von Zeit zu Zeit darauf hin, daß
Fluren usw. geschont werden müssen und Obst nicht gestohlen werden
darf. Dabei trat das Materielle zu sehr in den Vordergrund. Der
Naturschutz gipfelte in Verboten, die oft nur wenig beachtet wurden. In
der Schuljugend soll aber der eigene Wille zum Natur- und Heimatschutz
geweckt werden. _Aus ästhetischem und ethischem Idealismus heraus
soll sich in sittlicher Freiheit ihr Handeln bestimmen, wozu ein
hartes, kaltes Verbot nicht so beitragen kann, wie ein eindringliches
Sehendmachen für das, was schön, was bedroht und was schon verloren
ist._ Vor allem sollten die amtlichen Stellen dafür sorgen, daß am
Tage vor Ferienbeginn die Schüler mit einem Eindruck entlassen werden,
der ihnen ein rücksichtsvolles Verhalten während der Ferienzeit
erleichtert. Daß Naturschutz eine ernste Angelegenheit ist, würden
sie fühlen, wenn anordnungsgemäß alle Klassen zu einem kurzen, aber
eindringlichen Vortrage von einem begeisterten Heimatschützler unter
der Lehrerschaft in den Schulsaal zusammengerufen würden. Vor allem
aber ist zu wünschen, daß vom Ministerium einmal ein unzweideutiges
Verbot jeden Blumenpflückens bei Klassenwanderungen erlassen würde. Den
Lehrern würde dies eine ganz bedeutende Erleichterung sein. Vielleicht
mag es vielen Eltern als eine Härte erscheinen, wenn ihr Kind von der
»Partie« ohne Strauß heimkehrt. Aber wie schwer schädigend kann eine
Klasse in einen reichen Blumenbestand eingreifen! Zudem ist, wie jeder
Lehrer immer wieder mit Seufzen feststellt, die Schularbeit mit viel
Halbheit verbunden. Wo kommt man zu einem endgültigen Ziele? Hier ist
einmal Gelegenheit, die Kinder das Gefühl empfinden zu lassen, das man
hat, wenn etwas restlos konsequent durchgeführt worden ist. _Durch ein
Kompromiß erziehen wir die Kinder nicht zum Heimatschutz._ Sie müssen
durch die in diesem Falle starre Haltung des Lehrers stutzig gemacht
werden, damit ihnen überhaupt einmal eine Ahnung davon aufdämmert, um
was für eine große Sache es sich hier überhaupt handelt. Die Freude am
schönen Blumenstrauß mag auf einer Wanderung ersetzt werden durch die
höhere Freude an weiten Blumenflächen, auf denen erst die Masse wirkt,
und durch das stolze Gefühl innerer Kraft.
Die Schule kann eine Schutztruppe schaffen für die Heimat, die genau
weiß, wofür sie eintritt. Es ist ein Dienst an Land und Volk, wenn
ursprüngliche Schönheit erhalten bleibt. Das Volk aber wird mit einem
Ideal durchsetzt, das von innen heraus keine Gegner finden kann. Daß
die Ziele zu erreichen sind, lehrt die Erfahrung. Wenn sich nämlich
einerseits zeigt, daß Kinder den Gedanken der Schonung von vornherein
nicht in sich tragen, den Unterschied zwischen schön und häßlich nicht
kennen, so kann man anderseits nach entsprechender Beeinflussung
feststellen, daß sie mit Begeisterung den Schutzgedanken aufnehmen, daß
sie froh und stolz sind, schaffen, mit wirken zu können am Schicksal
der sie umgebenden Heimat. – »Das ist der Heimatschule letzter
Gesichtspunkt: Aus dem einzelnen auf das Lebensgesetz zu kommen und
die Heimat als das wissenschaftliche und lebendige Ethos in der Schule
anzusehen.« (Bl. f. Naturschutz, 1920, 1/2, S. 6.)
Aus unserem Landesmuseum für Sächsische Volkskunst
Von _O. Seyffert_
Wir bringen heute drei Abbildungen aus unserem Museum zur
Weihnachtszeit. Tausende von Besuchern erlebten hier glückliche
Stunden. Viele hilfsbereite Hände hatten dieses Weihnachtsglück
geschaffen. In der vorhergehenden Nummer unserer Mitteilungen hat
Richard Bürkner über Weihnachten im Landesmuseum geplaudert. Ich kann
dieser anschaulichen Schilderung wenig hinzufügen. Es war dieses Jahr
wie alle Jahre: es war alles so vertraut und bekannt und doch war
alles neu. Die Christbäume erzählten lustige Kindermärchen, lange
Papierketten schwebten von ihnen herab, dunkelblaue und goldne Blumen
blühten, zarte Schnittarbeiten, Englein und seltsame Vögel, Sterne
und allerhand Pfefferkuchen – nein, wie die verführerisch dufteten!
– schmückten die Fichten, die wie immer aus Pfaffroda im Erzgebirge
gekommen waren. Und von einem feierlichen Adventsleuchter fielen
buntfarbige Herzen herab auf die Erde, die so etwas gebrauchen kann –
zu alledem sangen frohe Menschen:
»Wenn Weihnachten ist, wenn Weihnachten ist,
Da kommt zu uns der heilige Christ.«
Sicher hat gar mancher, der daheim das Fest aller Feste (so wurde
auch das Gauklerfest in Dresden benannt) nicht feiern konnte, es im
Landesmuseum in seiner Herrlichkeit erlebt.
Und beim Nachhausegehen klangen alte Lieder den Kindern in der Seele:
»Nun wünschen wir auch allen eine schöne gute Nacht,
Von Samt und Seide ein Bettchen gemacht,
Von Zucker und Rosinen eine Tür,
Von Pfefferkuchen ein Schlößchen dafür
Und von Muskaten eine Schwell
Und einen Engel zum Schlafgesell.[5]«
Unsere erste Abbildung zeigt einen geschmückten Baum in der
kleinbürgerlichen Stube im Erdgeschoß des Museums. Dies Zimmer ist dem
Gedenken eines im Weltkriege Gefallenen geweiht. Aus dem Fichtengrün
glühen dunkelrote Herzen und leuchten goldne Nüsse. Leider sind auf
unserem Bilde die Herzen, bedingt durch die photographische Aufnahme,
schwer erkenntlich. In Wirklichkeit aber war ihr Rot gar wundersam,
und der Dreifarbenklang Gold, Rot, Grün übte einen eigenen Zauber aus.
Junge Mädchen der höheren Töchterschule in Dresden-Neustadt hatten
diesen Baum geschaffen, der von Liebe und goldenen Träumen erzählte.
[Illustration: Abb. 1. Landesmuseum für Sächsische Volkskunst:
=Kleinbürgerliche Stube=]
Nun will ich aber noch von wichtigen Neuerwerbungen unserer Sammlung
berichten.
Zu unseren zwei Krippen sind zwei weitere gekommen. Das ist ein
Reichtum, auf den ich stolz bin.
[Illustration: Abb. 2. Landesmuseum für Sächsische Volkskunst: =Krippe
von K. Feuerriegel-Frohburg=]
Erstens: Die keramische Krippe von Kurt Feuerriegel, dem bekannten
Töpfermeister in Frohburg, der schon mit vielen Werken im Museum
vertreten ist. Die Sächsische Landesstelle für Kunstgewerbe hat die
Krippe uns überwiesen.
In einer Grotte erblicken wir Joseph und Maria, sich zu dem Kinde
neigend. Ein Esel und ein Öchslein gucken vergnüglich links und rechts
hervor. Engelsköpfe schauen aus den Wolken auf die Gruppe herab. Und
die heiligen drei Könige bringen ihre Geschenke. Sie sind über alles
Lob reich gekleidet, und viele bunte Glanzlichter glitzern auf ihren
Gewändern. Ein Kamel lagert sich in ihrer Nähe. Sein schwarzer Führer
hat sich demütig niedergeworfen, um das heilige Kind anzubeten. Aber
auch weitere Gäste sind aus dem Orient gekommen. Auf einem Elefant
reiten zwei Mohrenjungen, die kostbare Gaben mit sich führen. Der
eine ist leider im Begriff, von seinem Reittier herunterzurutschen und
befindet sich in etwas besorgniserregender Verfassung. Das Lustigste,
Volkskundlichste ist aber ein dritter kleiner Mohr, der keck auf
einem Ziegenbock sitzt. Hier ist Feuerriegel etwas ganz Köstliches
gelungen. Hirten mit ihrer Herde und ihren Schäferhunden haben sich der
vornehmen, ausländischen Gesellschaft angeschlossen und vervollkommnen
das Ganze.
Was uns dieses Werk aber besonders lieb und wert macht, ist seine
Materialechtheit. Es ist aus Ton geschaffen und will nichts anderes
vorstellen. Seine bunten Farben und die glänzende Glasur geben einen
eigenen, seltsamen Reiz.
[Illustration: Abb. 3. Landesmuseum für Sächsische Volkskunst: =Krippe
von Burkhard-Ebe=]
Zweitens: Die Krippe vom Bildhauer Burkhard-Ebe, die er gemeinsam
mit seiner Frau hergestellt hat. Sie hatten ihre Kinder damit zur
Weihnachtszeit erfreut, und nun erfreut sie im Museum alle Besucher.
Die Figuren sind aus einer Tonmasse. Sie tragen aber stoffliche
Gewänder, wie die Gestalten der Krippe von Hilda Schlüter, die schon
seit Jahren dank der Freigebigkeit eines Gönners im Besitze unseres
Museums ist. Ihr gegenüber hat die Neuerwerbung nun auch Aufstellung
gefunden. Die blonde Maria, die ihr Kindlein sorgsam auswickelt, ist
von wunderlieber Anmut. Joseph blickt zum Himmel empor. Rechts stehen
die Könige. Der Mohr ist ein prächtiger Kerl. Eine Truhe, aus der die
Geschenke für das Christkind hervorlugen, fordert ganze Aufmerksamkeit
für sich. Zwei Hirten nahen betend, während der dritte seinen Dudelsack
mit eifriger Hingebung bläst, um das liebe Jesulein zu ergötzen. Mit
dem linken Fuße tritt er den Takt zu seiner Musik, die sicherlich alle
erfreut. Im Vordergrunde sind die Schafe, die mit den Hirten gekommen
sind und ihre Anteilnahme dem Stroh in der Krippe entgegenbringen.
Das Werk hat eine feine, farbige Wirkung. Besonders volkstümlich
sind die Wacholderbäumchen, die mit ihrem dunklen Gezweig das Ganze
abschließen und an das Weihnachtsgrün der Tannen gemahnen.
Es ist eine alte Überlieferung, Krippenfiguren mit Stoffgewändern
zu schmücken. Ich erinnere an die reiche Krippenausstellung im
Nationalmuseum zu München. Es kommt in dieser Sitte eine volkskundliche
Anschauung zum Ausdruck, die wir z. B. auch bei den Marionettenfiguren
und beim Kasperle finden, die ja bekleidete Holzfiguren sind. Es ist
das Loslösen vom rein Bildhauerischen der hohen Kunst.
Ein Vergleichen unserer neuen Krippe mit der ihr gegenüber
aufgestellten Schlüterschen Anbetung gibt zu vielen Betrachtungen Anlaß.
Ist letztere aus katholischer Art erwachsen – die Jungfrau Maria thront
als Himmelskönigin mit hoher goldener Krone, der arme Zimmermann Joseph
fehlt – so ist die Neuerwerbung protestantisch. Die Maria ist keine
Königin, sondern Mutter, und der Joseph ist ihr Mann und deshalb zur
Stelle.
Ich wollte eigentlich noch viel erzählen. Da fällt mir eine Erinnerung
ein. Du mein Gott! wenn man älter wird, hat man Erinnerungen.
Ich war auf einem Volksfest und stand neugierig vor einer Bude. Der
Ausrufer rief: »Hereinspaziert, meine Herrschaften, hereinspaziert!
Innen können Sie alles genau sehen, was ich Ihnen erzählt habe!«
So ist es auch mit dem Landesmuseum für Sächsische Volkskunst. Innen
können Sie alles sehen, was ich zu schildern versucht habe. Und noch
viel mehr.
Und ein vereidigter Rechnungsrevisor beglaubigt: Das Museum hat
siebzehntausendeinhundertvierundzwanzig Nummern.
Und ein kleines dickes Mädel antwortete auf meine Frage, was ihm
am besten gefallen habe, mit leuchtenden Augen: Alles hat mir am
allerbesten gefallen!
[Illustration]
Fußnote:
[5] Aus einem Christspiel aus Neufriedersdorf bei
Neusalza.
Die Wohnräume, ausgestellt vom Landesverein Sächsischer Heimatschutz
auf der »Jahresschau 1925«
Von _O. Seyffert_
Die Jahresschau »Wohnung und Siedelung« hat ihre Pforten schon längst
geschlossen. Der Grundsatz, daß die Aussteller ihre eigenen Juroren
sein mußten, da die Ausstellungsleitung wohl die Herstellung der Hallen
übernahm, sich aber einer Aufnahmekritik enthielt, war auch bei ihr wie
bei ihren Vorgängerinnen befolgt worden. Unsere Zeit diktierte diesen
Grundsatz, und es läßt sich nicht leugnen, daß er vieles Gute zum Leben
erweckte. Aber jedes Ding hat zwei Seiten.
Es mußte sich von selbst zeigen, daß die Dresdner Ausstellungen nicht
die geschmackliche und künstlerische Höhe erreichen konnten, die
andere Veranstaltungen mit strenger Aufnahme-Jury haben mußten. Es
liegt uns fern, nachträglich eingehend Kritik üben zu wollen. Das
Suchen und die Unklarheit unserer Zeit kamen wie überall zutage. Das
Kunstgewerbe – das Wort fängt an, einen Beigeschmack zu bekommen –
zeigte sich reichlich in den _Wohnräumen_ und konnte, wenn es sich nur
auf dekorative Äußerlichkeiten stützte, nicht befriedigen. Da, wo der
Schmuck sich dem Ganzen unterordnete und wo er nicht wie eine tropische
Schlingpflanze überwucherte, empfand man ihn als eine Bereicherung.
Aber dieser Genuß wurde dem Beschauer nicht immer zuteil.
Wir wollen heute in Anschluß an diese Betrachtungen nur ein kurzes Wort
über die Wohnräume der Ausstellung sprechen. Mir kam es vor, als ob der
Geschmack Ludwig II. von Bayern noch lebendig sei und sich hier und da
in die Zimmer der sogenannten besseren bürgerlichen Stände geflüchtet
hätte.
[Illustration: Entwurf: =Heinrich Tessenow=
Ausführung: =Deutsche Werkstätten, Dresden-Hellerau=]
Die Architektur, die Mutter aller Künste, wurde oft vom Beiwerk
erstickt. Und das Schlimmste war, was den Volkskundler bedenklich
machte, daß das Publikum staunend diese falsche Herrlichkeit bewunderte
und sich innig danach sehnte, aus der »öden« Wirklichkeit in den
berauschenden Prunk zu gelangen. Und das tat nicht nur die Unschuld
vom Lande, sondern auch der Großstädter in seinen vielseitigen
Schattierungen. Immer verständlicher wird der neuzeitliche Ruf, sich
von überflüssigem Äußerlichen fernzuhalten und eine Sachlichkeit
anzustreben, die aber durchaus nicht bar von jeder Schmuckform zu
sein braucht. Denn wir teilen nicht die Ansicht derer, denen höchste
Schmucklosigkeit höchstes Gebot ist. Wir wollen nicht das Kind mit
dem Bade ausschütten. Wir wollen nicht arm von allen Gefühlswerten
sein. Wir wissen nicht nur den ästhetischen, sondern auch den
wirtschaftlichen Wert _guten_ Kunstgewerbes einzuschätzen. Wir wollen
aber auch nicht an Gefühlsduselei ersticken.
[Illustration: Entwurf: =Heinrich Tessenow=
Ausführung: =Deutsche Werkstätten, Dresden-Hellerau=]
Der Landesverein Sächsischer Heimatschutz hatte nun, um diese wichtigen
Fragen klären zu helfen, eine Anzahl Zimmer ausgestellt, die in seinem
Auftrage Professor ~Dr. h. c.~ Heinrich Tessenow entworfen hatte, und
die in den Deutschen Werkstätten, Dresden-Hellerau, ausgeführt
worden waren. Es erscheint hier überflüssig, auf die Eigenart Tessenows
einzugehen. Er ist Architekt und nicht Kunstgewerbler. Er ist
Architekt, der im Handwerklichen wurzelt.
[Illustration: Entwurf: =Heinrich Tessenow=
Ausführung: =Deutsche Werkstätten, Dresden-Hellerau=]
Unsere Ausstellung zeigte einen Weg. Tessenow hatte absichtlich in
seinen Räumen die kleinen Gebrauchsgegenstände, die hineingehören,
weggelassen: Er gab uns einen Totaleinblick. Eine vornehme Harmonie
in Form und Farbe, etwas Selbstverständliches war erreicht. Die
Abwägung der Verhältnisse war höchstes Gesetz. Und so einfach das
Ganze auch war, so machte es doch nicht den Eindruck des Armen, das
»von der ~pauvreté~ kommt.« Es war der Ausdruck geläuterter Kultur.
Freilich, in diese Räume gehörten auch Menschen, die sich schlicht und
vornehm kleiden, gute Bücher lesen usw. und sich nicht putzen wie ein
Pfingstmaienbaum. Die Familie Raffke mit ihrer Verwandtschaft fühlte
sich, wenn sie zu Besuch war, höchst unwohl.
[Illustration: =Deutsches Hygiene-Museum. Stube, zusammengestellt von
O. Seyffert=]
Ferne sei es, die Tessenowschen Zimmer als die einzige Lösung
hinzustellen. Ich bekenne von neuem, sie zeigten uns aber einen Weg
zur Gesundung. Sicher kann man auch reichlichere Ausdrucksmittel als
Tessenow wählen, wenn nur die Gesinnung eine ehrlich künstlerische ist.
Wie war nun der Eindruck auf das große Publikum? Vernichtend.
Das heißt, für das liebe Publikum.
»Das soll Heimatschutzstil sein? Hahaha! Hihihi!«
Ich weiß nicht, was Heimatschutzstil ist – gibt es überhaupt einen
solchen? Ist nicht der gute Geschmack auch Heimatschutzstil? Denken
sich die Leute noch immer Butzenscheibenromantik in moderner
Aufmachung? Die Fensterläden mit einem Herzchen versehen?
Wir sehen, die Schnörkel, Tapeziererunkünste und die Süßigkeiten der
Nippes haben die Leute allzusehr beeinflußt. Aber gerade unsere Zeit
mit ihren Nöten muß uns doch ganz von selbst zur Schlichtheit führen.
Ich war strebend bemüht, solche Gedanken zu verbreiten, denn
oberflächliche Urteile wurden vernichtend und schnell geführt.
Das letzte Bild bringt einen weiteren Beitrag zu unserem Thema.
Für das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden hatte ich eine Stube
zusammengestellt, wie sie _nicht_ sein soll. Große Buchstaben
verkündeten dies. Das war nötig, sonst hätte es wahrhaftig Menschen
gegeben, die bei diesem Schreckensraum »ach, wie nett!« ausgerufen
hätten. Waren hier in erster Linie auch hygienische, nicht ästhetische
Gründe maßgebend, so vereinigte sich doch alles zu einem echten
Bilde unserer Unkultur. Die drei Tage, an denen ich all die Sachen
zusammengekauft habe, bleiben dunkle Punkte in meinem Leben. Ich habe
mich geschämt, das Zeug zu erwerben und guckte beim Einkauf verstohlen
nach links und rechts, ob meine Missetat von jemandem beobachtet würde.
Nun – es ist alles überwunden, und dieses abschreckende Beispiel hat
seinen Zweck erfüllt. Es hat manchem die Augen geöffnet. Es wirkte
erzieherisch. Und immer und immer wieder wollen wir uns den Satz ins
Gedächtnis rufen:
Geschmack bilden, heißt den Charakter bilden.
Die Himmelmühle im Erzgebirge
Von _Curt Guratztsch_, Dresden
Mit Aufnahmen des Heimatschutzes
Wenn man auf der Straße von Wolkenstein nach Wiesenbad hinunterfährt –
vielleicht, um noch die neun Kilometer bis Annaberg zurückzulegen –,
so sieht man an einer Wegbiegung einen Augenblick ins Tal hinunter
auf die Himmelmühle. Das ist an sich nichts Besonderes. Man hat
solche Landschaftsbildchen ziemlich häufig im Obererzgebirge; in
ihrer Sonderart könnten sie allenfalls einen Maler von der Art der
Niederländer reizen, einen, den das schlichte Ineinander von Natur und
Menschenwerk Wunders genug dünkte, um es in ein Bild einzufangen, ohne
alle Zutat von Schwärmerei, mit niederdeutscher Sachlichkeit. Sein
Bild müßte aber so sein: auf gegenüberliegenden Hängen steigen hohe
Erzgebirgsfichten hernieder; dazwischen liegt ein Tal, und die tiefste
Rinne darin wird von einem Flüßchen gebildet, das ziemlich rasch und
in Schaumkreisen über Geröll hinwegstrebt. Es ist die Zschopau. Das
Tal bildet natürlich eine grüne, im Sommer sehr saftig strotzende
Wiese, und darin liegen um einen Fabrikschornstein etliche Gebäude.
Da dieser Anblick sich im Erzgebirge so oft wiederholt, könnte man
das Bild davon neben die zahllosen Bilder von niederländischen
Mühlenlandschaften stellen; es wäre ein Gleichnis dazu, denn beidemal
wird ein Stück Landschaftstum aufgefangen. In unserem Falle könnte man
dann »Himmelmühle« darunter schreiben.
[Illustration: Abb. 1. =Blick vom »Heiligen Hain« in das Zschopautal,
im Hintergrunde der Pöhlberg bei Annaberg=]
So läßt sich der Ort, von dem hier die Rede sein soll, anspruchslos
an, wie das Erzgebirge ja auch sonst. Es ist wohl möglich, daß er
Vorbeifahrenden – am rechten Ufer der Zschopau läuft nämlich der
Bahnstrang entlang – im Sommer und bis in den Spätherbst hinein aus dem
besonderen Grunde aufgefallen ist, weil zwischen den Gebäuden jenseits
des Flusses ein holder Rosenhag blüht. Der Besitzer der Himmelmühle
hat ihn vor ein paar Jahren geschaffen, und er entfaltet sich in der
milden Luft der Talsenke von Jahr zu Jahr reicher. Aber im übrigen wird
man eben, wie gesagt, nur mit den Gefühlen auf das Anwesen geschaut
haben, wie auf solche Gebäudereihen in Erzgebirgstälern überhaupt. Der
Heimatfreund _will_ ja auch gar nicht fortgesetzt etwas Neues, eine
ewig aufhaspelnde Abwechslung. Diese Himmelmühle, im Grunde zwischen
Wiesenbad und Wolkenstein, ist nur darum bemerkenswert, weil sie davor
bewahrt geblieben ist, etwas geschmackswidrig »Neuzeitliches« zu
werden, weil sie mit dem Stilgefühl wieder aufgebaut wurde, daß der
Formwille der Landschaft nicht gekränkt wurde.
Aber wir wollen unseren Wagen doch einmal auf der breiten Talstraße
oberhalb halten lassen und auf einem Fußwege zur Mühle hinuntersteigen.
[Illustration: Abb. 2. =Rundblick vom Streckewalder Rücken aus gesehen.
Im Vordergrund die Himmelmühle=]
Es ist eine Fläche von achtzigtausend Quadratmetern, die durch das
Anwesen Himmelmühle umspannt wird. Wenn man hinzunimmt, daß insgesamt
einhundertundzwanzig Seelen darauf wohnen, so findet man die stattliche
Zahl der Gebäude nicht verwunderlich. Sie scheiden sich durch den
Vorgarten des Herrenhauses und werden an beiden Enden des Raumes durch
je eine Brücke über die Zschopau abgeschlossen. Auf unserem Fußwege
gelangen wir gerade auf den Fabrikplatz zu. Mit breiter Front steht das
»Schokoladenwerk Himmelmühle« links vor uns. Es ist ein Bau von acht
Stockwerken und 17 Metern Tiefe; auf dem spitz zulaufenden Schieferdach
sitzt ein Türmchen; die Bauweise ist ländlich; das Haus überragt
wohl die Nebengebäude, bringt aber nicht etwa den Eindruck eines
amerikanischen Riesen hervor. Drei von den Stockwerken sind nämlich in
die zweifach gebrochene Dachlinie aufgenommen. Vor dem Schokoladenwerk
liegt das Kesselhaus mit dem Schornstein. Rechts, nach dem Ufer der
Zschopau zu, schließt das Herrenhaus an, ein Gebäude mit flachem Dach,
und insofern herausgehoben aus der Zahl der übrigen. Schmuckwerk fehlt
auch hier; die Bauten wirken insgesamt nur durch die Schönheit ihrer
Sachlichkeit. Zwischen Herrenhaus und Fabrik hindurch kommt man auf
einen viereckigen Platz, den drei erzgebirgische Fachwerkbauten, das
Lange Haus[6], das Kurze Haus und das ehemalige Schulhaus umgeben;
damit hat man nach der einen Seite zu das Ende erreicht. Man wendet
also, geht am Vorgarten des Herrenhauses und einem hübschen Pavillon
in seiner entferntesten Ecke vorüber und kommt nach einem Weilchen
zu der anderen Gebäudegruppe zschopauabwärts, der das Gasthaus
Himmelmühle, ein Landwirtschaftsgebäude und ein Beamtenwohnhaus des
Kraftwerkes Westsachsen, zugehören. Dahinter sieht man noch einen
Wiesenrücken, der, wie am entgegengesetzten Ende, mit Obstbäumen
bepflanzt ist; zur Höhe hinauf gewahrt man die viel begangene
Talstraße, ein Notstandswerk aus den Jahren 1923 und 1924, dem die
Ergänzung nach Wolkenstein heute noch fehlt.
[Illustration: Abb. 3. =Blick von Osten auf das Zschopautal mit
Himmelmühle=]
Was an Gebäuden zum Anwesen Himmelmühle gehört, ist nicht älter als
etwa neunzig Jahre. Denn vordem soll, nach Ausweis der Grundbücher,
nichts hier gestanden haben – außer dem Gasthaus jedenfalls. In eine
viel tiefere Zeitferne führt freilich die Erzgebirgische Kriegschronik
zurück, in der Mag. Christian Lehmann vom Jahre 1639 zu berichten weiß,
daß »eine rotte loser bursch« den Vetter des schwedischen Obristen
Göcking erschlagen habe, wobei auch ein gewisser Nicol Georg gewesen
sei. Dieser, der eigentlich ein »Heußler« zu Falkenbach gewesen,
habe sich darauf »mit seinen Viehe und mobilien in morrast bei der
Norbsmühle zwischen Neudörfel und Falkenbach retterirt,« wo er aber von
den Schwedischen gegriffen wurde. Wenige Tage später hat ihm der Obrist
dann zu Annaberg »den Kopf abschmeißen« lassen. In der Norbsmühle ist
die Himmelmühle wiederzuerkennen. Es ist dies die älteste Erwähnung der
Örtlichkeit.
1834 hat der Chemnitzer Kaufmann G. F. _Oehley_ die Gebäude des
heutigen Schokoladenwerkes aufführen lassen. Sie dienten zuerst
einer Spinnerei, und die Fabrikation ging einen guten Gang, als
Richard Hartmann aus Chemnitz daran beteiligt war. Bis 1913. Während
des Krieges brach der Verfall herein. Das Bekleidungsamt Chemnitz
quartierte sich in den Gebäuden ein. Es wurde grundsätzlich nichts
mehr auf die Erhaltung verwendet. 1921, als der gegenwärtige Inhaber,
Herr Martin _Schmidt_ aus Dresden, den Besitz übernahm, wuchsen
schon lustige Birken aus dem heutigen Werksgebäude heraus: das Kurze
Haus war polizeilich geschlossen; der Gesamtzustand derart, daß
der neue Besitzer das Dach des Herrenhauses eines Tages – in der
Zschopau wiederfand. So galt es durchgreifenden Neuaufbau, Aufwendung
erheblicher Mittel, vornehmlich aber Verständnis für den Wert des
Überkommenen und schonsame Rettung dieses Wertes in die Gegenwart
hinein. Und mit diesem allen kommt man denn auf den jetzigen Besitzer.
[Illustration: Abb. 4. =Waldpartie im Zschopautale mit Himmelmühle=]
Wer ein Freund der Heimat ist, der hegt oft auch eine stille
Schwärmerei für die Herrensitze alter Adelsgeschlechter. Wir erkennen
Kultur darin, daß da das Herrenhaus organisch mit der Kirche
verbunden zu sein pflegt; es gab noch ein anerkanntes Höchstes
über dem Herrentum, und es gab nicht das, was Nietzsche als die
Schrankenlosigkeit des modernen Fabrikherrentums in der Selbstsucht
erkannte. Wäre der Herr auf der Himmelmühle von der Sorte der
zeitgemäßen Industrieritter, er wäre gewiß dem Ratgeber gefolgt, der
ihm anno 1921 empfahl, das Spitzdach des Schokoladenwerkes in ein
flaches umzuwandeln. Praktischer wäre das gewesen, denn im Winter
hätten dann die Eiszapfen keine Ecken mehr gefunden, wo sie sich
gefahrdrohend aufbaumeln konnten, – und billiger wäre es am Ende auch
gewesen. Es ist nicht nach diesem Ratschlag gehandelt worden, denn der
neue Inhaber empfand, daß mit dem Mansardendach der Landschaft ihre
eingewurzelte Ländlichkeit verlorengegangen wäre.
[Illustration: Abb. 5. =Gasthaus Himmelmühle mit der neuen Talstraße=]
Und so ist aufgebaut worden in mühsamer, aber auch aufmunternder,
erfreuender Arbeit. Der Dresdner Architekt Oskar Röhle, daneben der
Dresdner Kunstmaler Paul Ricken, sind die verantwortlichen Werkmeister
gewesen, und alle drei, Architekt, Maler und Bauherr, haben nach
dem Grundgedanken geschafft, daß erst eine _Wohnstätte_ für die
Menschen, dann _Wasser_ und _Verpflegung_ und dann neuzeitliche
_Gesundheitlichkeit_ vorhanden sein müßten, ehe wieder Leben auf dem
Himmelmühlhof einziehen dürfte. Wirklich, man ist betroffen, wenn man
das fertige Werk betrachtet.
Überkommenes Stiltum ist mit neuem Stilverständnis erhalten und
gepflegt. Die Baumeister von 1834 haben mit köstlicher Festigkeit
gebaut. Wenn man die Mauern des Schokoladenwerkes sieht, in die zwei
Kraftmeier von heute ihre Brüste hineinstemmen könnten, so durchfährt
einen Freude: Gott, muß das warm sein hier im Winter! Die Fabrik ist
mit schlichter Farbeneinstimmung ausgemalt; Kontor und Werkräume sind
in stillen Farben gehalten. Aber durchgängig bewegt man sich eben nicht
in Fabriknüchternheit, sondern in bäuerlicher Breite und Behaglichkeit.
Und dabei herrscht doch Zwecksinn. Die Verarbeitung ist so geregelt,
daß die Rohstoffe mit Fahrstuhl in das oberste Stockwerk gefahren
und von da, je nach dem Fortschreiten der Behandlung, Stockwerk um
Stockwerk tiefer gefiltert werden. Es geht alles durch Falltrichter;
Menschen brauchen sich nicht abzuhetzen.
[Illustration: Abb. 6. =Wohnzimmer im Herrenhause=]
Eine biologische Kläranlage versorgt jeden Bewohner mit den
Grundvoraussetzungen neuzeitlicher Reinlichkeit. Eine helle Freude
schafft der Anblick der Arbeiterwohnungen – z. B. im _Kurzen Haus_. In
Riesenzimmern, riesenmäßig an Tiefe und Höhe, dabei so hell! liegen die
Kinder in ihren Bettchen und schlafen sich stark in der gesunden Luft.
Ich werde mich einmal aufmachen und forschen, wo es in der Großstadt
eine gleiche Mittelstandswohnung gäbe; ich weiß schon im voraus: da
forsche ich vergebens. Die Schule sieht sich von außen sehr sauber und
fröhlich an, aber es darf leider zurzeit kein Schulunterricht darinnen
gegeben werden. Das junge und rasch zunehmende Geschlecht muß erst
groß werden. Eine besondere Beschreibung verdient dann das _Gasthaus_.
Es ist in seinen drei Gaststuben mit wahrem Behagen als ländliche
Pfleg- und Erholungsstätte aufgerüstet, bauernbunt an den Wänden, mit
starken, hölzernen Tischen und derben Stühlen, dazu großen, hellen
Fenstern. Hier verzehren die Arbeitsleute ihr Mittagbrot. Steigt man
aber die Stiege hinan, so bekommt man mit den Fremdenzimmern eine
pure Lustigkeit zu sehen. Jegliches hat seinen Namen erhalten; dem
einen steht auf der Türe »’s Herzel«, dem andern »Himmelschlüssel«,
einem dritten »Vuglbeer«. Innen enthalten die Zimmer immer die nötigen
Wandmalereien. Sie schauen solchergestalt sehr lieb drein und locken
zum Dableiben. Gewaltige Böden über den Wohnungen sind ein Besitz aller
Himmelmühl-Häuser.
[Illustration: Abb. 7. =Blick auf Warmbad Wiesenbad im Erzgebirge=]
Bliebe noch das Herrenhaus zu erwähnen, wenn man einiges andere
wegstreichen wollte. Das Herrenhaus ist die Wohnung des Fabrikherrn. Es
ist der eigentliche Adelsbau des ganzen, mit hohen, herrlichen Zimmern,
von denen das Biedermeierzimmer ein Stück Liebhaberei verkörpert, indes
die anderen im neuen Geschmack gehalten sind, ohne irgendwie Stil zu
verleugnen.
Bleiben ein paar Wertstückchen – Nippes, sagt man gebildet. Ich
meine vornehmlich den kleinen _Pavillon_ im Garteneck. Über die
moosübergangenen Steine einer Mauer sieht man zur Zschopaurinne durch;
_vor_ einem aber steht ein romantisches Tempelchen. Es ist rund gebaut,
mit dorerartigen Säulen und einer weißgestrichenen Holzbalustrade
herum, mit großen Fenstern voll Stabwerkes zum Stübchen inmitten. Und
das Stübchen ist ein kleines festliches Gemach. Ringsherum sind bunte
Bilder über die Fenster und in die Nischen gemalt; sie stellen im
wesentlichen die vier Jahreszeiten dar – der Geschmack zwischen Ludwig
Richter und Runge spielend. Wer waren die Künstler zu dem allen? Dies
hübsche Häusel verdient noch weiteren Ausbau.
Wandert man aber noch einmal die breite Kastanienallee zum Herrenhaus
zurück, so stockt man vor zwei alten runden Säulen am Eingang. Dem
Charakter nach sind es Überreste des 18. Jahrhunderts, aus der Gleim-
und Höltyzeit, der Überlieferung nach freilich nicht. Bescheiden wir
uns beim Rätsel!
Und steigen wir so, Gedanken im Sinne, vom Tale zur Höhe zurück. Lassen
wir das _erste Schokoladenwerk_ des Erzgebirges – die Himmelmühle
ist es! – liegen in der beschaulichen Friedlichkeit seines Bezirkes
von Arbeit und Lebensgenuß. Wir sehen über den spitzen Tannen den
Erzgebirgshimmel in hellblauem Flusse, und weiße Wölkchen flattern
darüber hin. Die Einsamkeit will uns wieder fangen, und einsam scheint
auch das Stück Menschenwerk im Grunde, einsam in seine Traulichkeit
gehegt. Nichts weiter als ein Blick Heimat, aber eben Gott sei Dank,
trotz vergangener Anfechtung: Heimat!
[Illustration]
Fußnote:
[6] Dieses ist das Schmerzenskind des Besitzers, das Gebäude
befindet sich im Verfall. Man sollte meinen, daß es auch
höhere Stellen bekümmern müßte, hier keinen Schandfleck
entstehen zu lassen.
Bücherbesprechungen
_Franciscus Nagler_, »=Ein lustiger Musikante=« (Nummer 16
der Zellenbücherei im Verlage Dürr und Weber G. m. b. H.,
Leipzig-Gaschwitz).
Eine meist recht kindische Art Operette, die kunstlose Potpourriform
der Kinomusik, Jazzbands, Schlagerlieder und Schlagertänze ohne
Lebenskraft, nur einmal aufleuchtend und dann auf immer vergessen –
wir wollen es deutlich sagen: das ist die Volksmusik von heute, die
Musik, die das Volk aufnimmt. Kein Lied _im Herzen_; keine Melodie,
die von Vater und Mutter zu Kindern und Enkeln weiterklingt! – Wir
wollen versuchen, es _besser_ zu machen und die Lebensfreude, die ja
doch schließlich auch aus der gegenwärtigen Volksmusik spricht, in
_richtige_, natürliche Bahnen zu lenken.
Das will der »Lustige Musikante«! Er ist uns daher herzlich willkommen!
Heiteren Gemütes wird er uns vorgestellt. Er ist der rechte Musikante
aus dem Volke mit dem reichen, warmen Herzen. »Er freuet sich mit
den Fröhlichen und weinet mit den Weinenden.« Von allem, was zu ihm
in Beziehung steht, plaudert der Verfasser: von fahrenden Sängern,
Spielleuten, Stadtpfeifern, Dorf- und Bettelmusikanten; dann vom
Dorf- und Kleinstadtkantor, von der Kirchenmusik, den Gesang- und
Musikvereinen. Ein lustiges Leben mit Sang und Klang! – Inmitten
des Frohsinnes aber taucht mancher ernsthafte Gedanke auf. Jeder
würde eine Besprechung für sich fordern. Daher kann an dieser Stelle
nur auf einzelne hingewiesen werden. Tapfer sagt uns der Verfasser
seine trefflichen Meinungen über moderne und klassische Musik, über
Gelegenheits-, Schul- und Hausmusik, über Einfachheit und Natürlichkeit
auf musikalischem Gebiete, über den Geschmack des Publikums, über
die Notwendigkeit einer deutschen volkstümlichen Oper, besonders der
komischen Oper und des Singspiels usw.
Angenehm zu lesen ist diese (etwa neunzig Seiten umfassende) Plauderei
über volkstümliche Musik. Das Buch ist inhaltlich wertvoll; es regt an
zum Nachdenken und ist verständlich für jeden Laien, der nach Bildung
strebt. Billig ist es zu erstehen; und lustig ist er auch, der ehrliche
Musikante! Was wollt ihr mehr?
Günther Lamm.
_Richard Schlegel_, »=Die Vogelwelt des nordwestlichen Sachsenlandes=«.
Versuch einer Avifauna der Leipziger Flachlandsbucht, zugleich ein
Beitrag zur Zoogeographie des Freistaates Sachsen. V und 274 Seiten mit
5 Bildnistafeln. Zu beziehen: Heimatschutz, Dresden-A., Schießgasse 24.
Geh. 11.50 M.
Heimatschutz setzt Heimatkenntnis voraus und Naturschutz ist nur
möglich, wenn wir die Natur selbst kennen und über das Vorkommen und
die Bedingungen des Vorkommens ihrer Geschöpfe unterrichtet sind.
Veröffentlichungen, die diese Kenntnisse fördern, dienen immer auch
dem Heimat- und Naturschutz, und der Förderer und Freund der Heimat-
und Naturschutzbestrebungen wird sich daher auch mit ihnen befassen
müssen. Dies trifft auf ein Buch zu, das mir zur Beurteilung vorliegt
und das der »Vogelwelt des nordwestlichen Sachsenlandes« gewidmet ist.
Sein Verfasser, _Richard Schlegel_ in Leipzig, ist kein Neuling in
der wissenschaftlichen Vogelkunde und im ornithologischen Schrifttum
durch manche fleißige Arbeit rühmlichst vertreten. Die Erforschung der
Vogelwelt seiner zweiten Heimat – die Wiege Schlegels hat im Erzgebirge
gestanden und erzgebirgisches Erbe wohl auch ist seine Freude am
Vogel, die Liebe zum gefiederten Volk – ist ihm dabei immer Hauptzweck
gewesen, zur Lebensaufgabe geworden. Ein ganzes langes Menschenalter
hat er sich dieser Aufgabe gewidmet, und daß sie nicht vergebens
gewesen ist, daß Schlegels Tätigkeit reiche Früchte getragen hat,
bezeugt sein vorliegendes Buch. Es führt uns in die Vogelwelt eines
Gebietes ein, in dessen Bild der in Sachsen in größerer Ausdehnung
ja sonst fehlende, der Entwicklung eines reichen Vogellebens aber
ganz besonders förderliche Auwald noch einen breiten Raum einnimmt
und dessen Vogelbild sich daher auch in manchen wesentlichen Zügen
auffallend von den anderer Gegenden unseres sächsischen Vaterlandes
unterscheidet, Arten sein eigen nennt, die anderwärts entweder ganz
fehlen oder doch zu den Seltenheiten gehören. Der naturschützerischen
Fragen nachgehende aufmerksame Leser wird aus den Schlegelschen sehr
gründlichen und ins einzelne gehenden Ausführungen bald auch den
Einfluß der Kultur herausfühlen, den diese auf das ursprüngliche
Vogelbild Nordwestsachsens bereits ausgeübt hat und der in einzelnen
Fällen auch schon ein recht verhängnisvoller geworden ist. Machtlos
stehen wir ihm meistens gegenüber – die Kultur läßt sich eben nicht
zurückschrauben –, oft aber, so will es mir scheinen, könnten wir
ihm doch noch Einhalt gebieten, könnten diese oder jene bedrohte
Art retten. Nur dürfen wir uns nicht bloß in sentimentalen Klagen
ergehen, nicht papierne Resolutionen fassen, sondern müssen
handeln, den Stier fest bei den Hörnern packen und vor allem unsere
Schutzmaßnahmen spezialisieren, dem Einzelfall Rechnung tragen und
ihn nicht nach dem beliebten Schema ~F~ behandeln. Wir dürfen aber
auch nicht davor zurückschrecken, zugunsten einer gefährdeten Art
auch einmal ein paar Individuen einer nicht gefährdeten, häufigeren
zu opfern. Die Nachtigall erhalten wir unserer Heimat nicht durch
langatmende Zeitungsartikel und Vogelschutzgehölze, sondern einzig
und allein durch die Pflege noch vorhandener, ihren Ansprüchen
genügender Pflanzengemeinschaften und der Fernhaltung des der
Nachtigall unwillkommenen lärmvollen übrigen gefiederten Volkes
von diesen Stellen. Diese, mir hier nur so gekommenen Gedanken
jedoch nur nebenbei, ich hoffe, sie später ausführlicher einmal bei
einer anderen Gelegenheit behandeln zu können. – Dem Schlegelschen
Buche wünsche ich die verdiente Verbreitung besonders auch unter
den Lesern der Heimatschutz-Mitteilungen; des Verfassers auf die
Arbeit verwandter Fleiß kommt besonders dem zum Bewußtsein, der zwei
ähnliche, nach dem Schlegelschen Buche erschienene Arbeiten: »Krohns
Vogelwelt Schleswig-Holsteins« und Genglers »Vogelwelt Mittelfrankens«
kennengelernt hat – die »Vogelwelt des nordwestlichen Sachsenlandes«
überragt beide um ein ganz gewaltiges, und in die Anerkennung der
Schlegelschen Leistung darf sich daher auch die aufrichtige Freude des
Sachsen über die vorbildliche Arbeit des Landsmannes mischen.
Rud. Zimmermann.
=Mitteilungen des Vereins sächsischer Ornithologen.= Sonderheft, der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft zur Feier ihres 75jährigen
Bestehens dargebracht. VIII und 72 Seiten mit 3 Textkarten, 2
Notenbeispielen und 5 Tafeln.
Der 1922 gegründete Verein sächsischer Ornithologen, der seine
Hauptaufgabe in der Erforschung der sächsischen Vogelwelt erblickt und
auf diese Weise die wissenschaftlichen Unterlagen für ihren Schutz
zu schaffen versucht, hinsichtlich dessen zielbewußter Förderung er
sich mit dem Landesverein Sächsischer Heimatschutz einig weiß – die
gründliche und ja auch so erfolgreiche Bestandsaufnahme der heute
noch in Sachsen horstenden Wanderfalkenpaare z. B. unternahm er mit
Unterstützung des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz – konnte
im verflossenen Herbst seinen bisherigen, der Vogelkunde Sachsens
gewidmeten »Mitteilungen« eine umfangreichere Veröffentlichung
angliedern: ein Sonderheft, das er der Deutschen Ornithologischen
Gesellschaft, der ältesten sich der Vogelkunde widmenden Körperschaft
des Erdballs, zur Feier ihres 75jährigen Bestehens widmete. Das
Heft eröffnet eine historische Studie; _Rudolph Zaunick_ untersucht
mit der ihm eigenen Gründlichkeit »F. A. L. Thienemanns Anteil am
Zustandekommen der ersten Versammlungen deutscher Ornithologen« und
liefert damit zugleich auch die erste eingehendere Lebensschilderung
Thienemanns, diesen bei weitem nicht nach Gebühr gewürdigten älteren
sächsischen Vogelkundigen. Dem _Zaunick_schen Beitrag schließt sich
eine, vielleicht gerade den Lesern der Heimatschutz-Mitteilungen
besonders willkommene, Untersuchung von _Hans Förster_
»Beobachtungen über das Vorkommen der Wasseramsel als Brutvogel in
der Sächsisch-Böhmischen Schweiz« an, in der der Genannte neunzehn
Brutpaare, die sich aber wohl noch um eine Anzahl weiterer erhöhen
werden, für unser Felsengebirge nachweist, eine Zahl, die zweifellos im
Herzen jedes Vogelfreundes helles Entzücken auslösen muß. Faunistischer
Natur, wie die _Förster_sche, ist auch die _Erich Dittmann_sche Arbeit
»Zur Verbreitung des Brachpiepers in Ostsachsen nebst Mitteilungen über
seine Lebensweise«, während _Richard Heyder_, der Sachsens Ornithofaun
ist, dem wir ja die erste gründliche Gesamtdarstellung der sächsischen
Vogelwelt verdanken, in einer Arbeit Ȇber die Durchzugsfrequenz
nordischer Stelzvögel im Binnenlande« einer der heute umstrittendsten
Zugsfragen, dem Zugstraßenproblem, zu Leibe geht und überzeugend
nachweist, daß auch der Zug der Stelzvögel nicht straßenförmig, sondern
in breiter Front verläuft. Mit der »Stimme des Fichtenkreuzschnabels«
befaßt sich _Bernh. Hoffmann_, den Lesern der Heimatschutz-Mitteilungen
durch seine zahlreichen Beiträge auch in diesen ja längst kein Fremder
mehr, brutbiologische Arbeiten haben _Richard Schlegel_ (Über ein
bei Röhrbach-Belgershain gefundenes und irrtümlich als Rohrdommelei
bestimmtes Ei der Stockente) und _P. Bernhardt_ (Eine zweite Brut
des Eisvogels), beides ebenfalls wieder bekannte Mitarbeiter an den
Heimatschutz-Mitteilungen, sowie der Unterzeichnete (Beobachtungen
am »Rohrsänger«kuckuck; ein Beitrag zur Kuckucksfrage) beigesteuert,
während _E. Mayr_ die Vogelwelt Sachsens mit derjenigen Vorpommerns
vergleicht. – Das in sauberem Druck hergestellte Heft, das auf seinen
fünf Kunstdrucktafeln außer einem Bildnis Thienemanns Naturaufnahmen
von P. Bernhardt und dem Unterzeichneten bringt, dürfte seines reichen
und vielseitigen Inhaltes wegen manchem Vogelfreund Sachsens, der dem
Verein sächsischer Ornithologen noch fern steht, einen willkommenen
Lesestoff bieten; es ist aus diesem Grunde vom Verein auch in erhöhter
Auflage herausgegeben worden und für 3.-- M. portofrei durch den
Unterzeichneten (Dresden-A., Marienstraße 32) oder die Geschäftsstelle
des Heimatschutzes zu beziehen.
Rud. Zimmermann.
Naturschutz
Göttliche Tat.
Nach dem Willen von lichten Mächten,
In der Formen wunderbarer Pracht,
Ist aus Ur- und tiefen Nächten
In Schönheit die Erde einst erwacht.
Menschliche Tat.
Die Axt schlägt im Walde,
Die Kugel-Büchse kracht – – –
Öd und trauernd liegt die Halde –
Das hast du, o Mensch, vollbracht!
Folgen.
Vernichtet und mordet nur ruhig weiter,
Solang’ bis die letzte Eiche sinkt,
Solang’ bis als heimatloser Todesreiter
Deutsches Wesen im Meere des Grauens ertrinkt!
(Verfaßt und verbreitet vom Ring deutscher Jugend.)
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner
Schmidt – Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
Klischees von Römmler & Jonas, sämtlich in Dresden –
Photographische Platten »Sigurd« und »Satrap«, photographische,
sowie kinematographische Aufnahme- und Wiedergabeapparate
»Ernemann«
Photographische Aufnahmen: Max Nowak
_Einbanddecken_
Jahrgang 1925 (Band XIV)
Mark 1.50
und 30 Pfg. Postgeld und Verpackung
Landesverein
Sächsischer Heimatschutz
=Dresden-A.=, Schießgasse 24
_Bestellkarte inliegend!_
Werbt
für unseren
Heimatschutz
Vergeßt die Beitragszahlungen nicht!
_Anmeldekarte inliegend!_
_Zahlkarte inliegend!_
Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-N.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Korrekturen:
S. 32: B. → IV.
{IV.} Familiennamen als Gattungsnamen.
S. 79: ein Halt → Einhalt
könnten wir ihm doch noch {Einhalt} gebieten
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 74684 ***
Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XV, Heft 1-2
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Text ist =so dargestellt=.
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Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz, Volkskunde und Denkmalpflege
_Inhalt_: Bodentreue – Bedeutungswandel von Vor- und Familiennamen...
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— End of Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XV, Heft 1-2 —
Book Information
- Title
- Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XV, Heft 1-2
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- November 5, 2024
- Word Count
- 28,265 words
- Library of Congress Classification
- DD
- Bookshelves
- Browsing: Culture/Civilization/Society, Browsing: History - European
- Rights
- Public domain in the USA.
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