The Project Gutenberg EBook of Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen
Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein, by Immanuel Kant
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Title: Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein
Author: Immanuel Kant
Editor: C. W. Hufeland
Release Date: December 13, 2011 [EBook #38295]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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Von der Macht des Gemüts,
durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften
Gefühle Meister zu sein.
Von
Immanuel Kant.
Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von
C. W. Hufeland.
Leipzig und Wien.
Bibliographisches Institut.
Vorwort des Herausgebers.
Der Geist allein lebt -- Das Leben des Geistes allein ist wahres Leben.
Das Leben des Leibes muß jenem immer untergeordnet und von ihm
beherrscht werden, nicht umgekehrt der Geist sich den Launen, Stimmungen
und Trieben des Körpers unterordnen, wenn das wahre Leben erhalten
werden soll.
Diese große Wahrheit wurde von jeher von den Weisesten dieser Welt als
der Grundpfeiler aller Sittlichkeit, aller Tugend, aller Religion, genug
alles dessen, was groß und göttlich ist im Menschen, und sonach auch
aller wahren Glückseligkeit, betrachtet und gepredigt.
Sie kann aber nicht oft genug wiederholt werden, da es dem natürlichen
Menschen immer näher liegt und bequemer ist, leiblich zu leben als
geistig, noch mehr, wenn, wie in den neuesten Zeiten geschehen, selbst
die Philosophie, sonst die Trägerin des geistigen Lebens, in dem
Identitätssystem den Unterschied zwischen Geist und Körper ganz aufhebt,
und sowohl Philosophen als Ärzte die Abhängigkeit des Geistes von dem
Körper dergestalt in Schutz nehmen, daß sie selbst alle Verbrechen damit
entschuldigen, Unfreiheit der Seele als ihre Quelle darstellen, und es
bald dahin gekommen sein wird, daß man gar nichts mehr Verbrechen nennen
kann.
Aber wohin führt diese Ansicht? -- Ist sie nicht geradezu göttlichen und
menschlichen Gesetzen entgegen, die ja auf jene Grundlage gebaut sind?
-- Führt sie nicht zum gröbsten Materialismus? Vernichtet sie nicht alle
Moralität, alle Kraft der Tugend, die eben in dem Leben der Idee und
ihrer Herrschaft über das Leibliche besteht? -- Und somit alle wahre
Freiheit, Selbständigkeit, Selbstbeherrschung, Selbstaufopferung, genug
das Höchste, was der Mensch erreichen kann: den Sieg über sich selbst?
Ewig wahr bleibt das Sinnbild, den Menschen als den Reiter eines wilden
Pferdes sich zu denken; einen vernünftigen Geist mit einem Tiere
vereinigt, das ihn tragen und mit der Erde verbinden, aber von ihm nun
wiederum geleitet und regiert werden soll. -- Es zeigt die Aufgabe
seines ganzen Lebens. Besteht sie nicht darin, diese Tierheit in ihm zu
bekämpfen und der höheren Macht unterzuordnen? Nur dadurch, daß er sich
dies Tier unterwirft und sich möglichst unabhängig davon macht, wird
sein Leben regelmäßig, vernünftig, sittlich und so nur wahrhaft
glücklich. Läßt er dem Tier die Oberhand, so geht es mit ihm durch, und
er wird ein Spiel seiner Launen und Sprünge -- bis zum tödlichen Sturze.
Aber nicht bloß für das höhere geistige Leben und dessen Gesundheit
bedarf es dieser physischen Selbstbeherrschung, sondern sie dient
ebensosehr zur Erhaltung und Vervollkommnung des physischen Lebens und
dessen Gesundheit und wird dadurch eins der wichtigsten Diät- und
Heilmittel.
Wir wollen keinesweges den Einfluß des Leiblichen auf das Geistige
leugnen. Aber ebenso auffallend, ja noch größer ist die psychische Macht
des Geistes über das Leibliche. Sie kann Krankheiten erregen und heilen.
Ja sie kann töten und lebendig machen. Sehen wir nicht sehr häufig durch
Schrecken und andere Leidenschaften, also durch geistigen Einfluß,
Epilepsie, Ohnmachten, Lähmungen, Blutflüsse und eine Menge andere
Krankheiten, ja den Tod selbst, entstehen? -- Und woran stirbt ein
solcher Mensch? Lediglich an einer gewaltsamen, dem Blitzstrahl
ähnlichen, Einwirkung des Geistes in den Körper. -- Wie oft sind nicht
die schwersten Krankheiten durch nichts anders geheilt worden, als durch
Freude, Erhebung und Erweckung des Geistes! Der lange an der Zunge
gelähmte Sohn des Krösus bekommt die Sprache wieder, als man seinen
Vater ermorden will. Pinel sah, daß bei der allgemeinen
leidenschaftlichen Aufregung, die die französische Revolution
hervorbrachte, eine Menge seit Jahren kränklicher und schwächlicher
Menschen gesund und stark wurden und besonders die gewöhnlichen
Nervenübel der vornehmen und müßigen Stände ganz verschwanden. -- Ja,
ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß der größte Teil unsrer
langwierigen Nervenkrankheiten und sogenannten Krämpfe gar nichts anders
ist, als Trägheit und Passivität des Geistes, die Folge des schlaffen
Hingebens an körperliche Gefühle und Einflüsse.
Wer kann leugnen, daß es Wunder und Wunderheilungen gibt? -- Aber was
sind sie anders als Wirkungen des festen Glaubens entweder an himmlische
Kräfte, oder auch an irdische und folglich Wirkungen des Geistes?
Jedermann kennt die Kraft der Imagination. Niemand zweifelt daran, daß
es eingebildete Krankheiten gibt, und daß eine Menge Menschen an nichts
anders krank sind, als an der Krankheitseinbildung. Ist es nun aber
nicht ebensogut möglich und unendlich besser, sich einzubilden, gesund
zu sein? Und wird man nicht dadurch ebensogut seine Gesundheit stärken
und erhalten können, als durch das Gegenteil die Krankheit?
Als ein Beitrag zu dieser wichtigen Lehre und als Beförderungsmittel der
Herrschaft und Heilkraft des Geistes über den Körper, mögen auch
folgende Worte Kants, die letzten, die dieser große Geist zu uns
gesprochen, dienen. Er schrieb sie auf meine Veranlassung vor 30 Jahren,
wo sie in meinem Journal der prakt. Heilkunde abgedruckt wurden, und
gern habe ich der Aufforderung des Herrn Verlegers zu einem neuen
besondern Abdrucke gewillfahret und sie mit einigen Bemerkungen
versehen. Mögen sie ihren Zweck erreichen!
=Berlin= im Mai 1824.
~C. W. Hufeland.~
Von der Macht des Gemüts,
durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften
Gefühle Meister zu sein.
Ein Schreiben an Herrn Professor Hufeland zu Jena im Jahr 1797(1).
(1) Ich übersendete mein Buch Hrn. Prof. Kant, um ihm einen Beweis der
Verehrung zu geben, die gewiß jeder denkende Mensch diesem Weisen
zollt, zugleich aber um ihn vielleicht zu veranlassen, über einige
darin enthaltene und für das philosophische Tribunal gehörige Ideen
nachzudenken, wodurch ich unsrer Kunst zugleich einen Vorteil zu
verschaffen hoffte. Ich freue mich ungemein, meinen Wunsch erfüllt zu
sehen und hier meinen Lesern mehrere dadurch veranlaßte Ideen und
Entwicklungen mitteilen zu können, die für jeden denkenden Arzt höchst
interessant sein müssen, und die zugleich über die individuelle
geistige und körperliche Diätetik dieses großen Mannes sehr lehrreiche
Notizen erteilen. -- Was einige für mich zu schmeichelhafte Ausdrücke
darin betrifft, so bitte ich zu bedenken, daß sie in einem an mich
geschriebenen Briefe vorkommen, und ich hoffe dadurch jedem Vorwurf zu
entgehen, der mir darüber gemacht werden könnte, daß ich sie stehen
ließ, welches ich um so weniger verhindern konnte, da sonst der ganze
Sinn hie und da verloren gegangen wäre, auch ich überdies offenherzig
gestehe, daß ich nicht ein Wort auszustreichen wage, was ein Kant
geschrieben hat.
H.
Daß meine Danksagung, für das den 12. Dez. 1796 an mich bestellte
Geschenk, Ihres lehrreichen und angenehmen Buchs »von der Kunst das
menschliche Leben zu verlängern« selbst auf ein langes Leben berechnet
gewesen sein dürfte, möchten Sie vielleicht aus dem Datum dieser meiner
Antwort vom Januar dieses Jahres zu schließen Ursache haben; wenn das
Altgewordensein nicht schon die öftere Vertagung (_procrastinatio_)
wichtiger Beschlüsse bei sich führete, dergleichen doch wohl der des
Todes ist, welcher sich immer zu früh für uns anmeldet, und den man
warten zu lassen an Ausreden unerschöpflich ist.
Sie verlangen von mir »ein Urteil über Ihr Bestreben das Physische im
Menschen moralisch zu behandeln; den ganzen, auch physischen, Menschen
als ein auf Moralität berechnetes Wesen darzustellen, und die moralische
Kultur als unentbehrlich zur physischen Vollendung der überall nur in
der Anlage vorhandenen Menschennatur zu zeigen«, und setzen hinzu:
»wenigstens kann ich versichern, daß es keine vorgefaßte Meinungen
waren, sondern ich durch die Arbeit und Untersuchung selbst
unwiderstehlich in diese Behandlungsart hineingezogen wurde«. -- Eine
solche Ansicht der Sache verrät den Philosophen, nicht den bloßen
Vernunftkünstler; einen Mann, der nicht allein, gleich einem der
Direktoren des französischen Konvents, die von der Vernunft verordneten
Mittel der Ausführung (technisch), wie sie die Erfahrung darbietet, zu
seiner Heilkunde mit Geschicklichkeit, sondern, als gesetzgebendes Glied
im Korps der Ärzte, aus der reinen Vernunft hernimmt, welche zu dem, was
hilft, mit Geschicklichkeit, auch das, was zugleich an sich Pflicht ist,
mit Weisheit zu verordnen weiß: so, daß moralisch-praktische Philosophie
zugleich eine Universalmedizin abgibt, die zwar nicht allen für alles
hilft, aber doch in keinem Rezepte mangeln kann.
Dieses Universalmittel betrifft aber nur die Diätetik, d. i. es wirkt
nur negativ, als Kunst, Krankheiten abzuhalten. Dergleichen Kunst aber
setzt ein Vermögen voraus, das nur Philosophie, oder der Geist
derselben, den man schlechthin voraussetzen muß, geben kann. Auf diesen
bezieht sich die oberste diätetische Aufgabe, welche in dem Thema
enthalten ist:
~Von der Macht des Gemüts des Menschen, über seine krankhafte Gefühle
durch den bloßen festen Vorsatz Meister zu sein.~
Die, die Möglichkeit dieses Ausspruchs bestätigenden, Beispiele kann ich
nicht von der Erfahrung anderer hernehmen, sondern zuerst nur von der an
mir selbst angestellten; weil sie aus dem Selbstbewußtsein hervorgeht,
und sich nachher allererst andere fragen läßt: ob es nicht auch sie
ebenso in sich wahrnehmen. -- Ich sehe mich also genötigt, mein Ich laut
werden zu lassen; was im dogmatischen Vortrage(2) Unbescheidenheit
verrät; aber Verzeihung verdient, wenn es nicht gemeine Erfahrung,
sondern ein inneres Experiment oder Beobachtung betrifft, welche ich
zuerst an mir selbst angestellt haben muß, um etwas, was nicht jedermann
von selbst, und ohne darauf geführt zu sein, beifällt, zu seiner
Beurteilung vorzulegen. -- Es würde tadelhafte Anmaßung sein, andere mit
der inneren Geschichte meines Gedankenspiels unterhalten zu wollen,
welche zwar subjektive Wichtigkeit (für mich) aber keine objektive (für
jedermann geltende) enthielten. Wenn aber dieses Aufmerken auf sich
selbst und die daraus hervorgehende Wahrnehmung nicht so gemein ist,
sondern, daß jeder dazu aufgefordert werde, eine Sache ist, die es
bedarf und verdient, so kann dieser Übelstand mit seinen
Privatempfindungen andere zu unterhalten wenigstens verziehen werden.
(2) Im dogmatisch-praktischen Vortrage, z. B. derjenigen Beobachtung
seiner selbst, die auf Pflichten abzweckt, die jedermann angehen,
spricht der Kanzelredner nicht durch Ich, sondern Wir. In dem
erzählenden aber, der Privatempfindung (der Beichte, welche der
Patient seinem Arzte ablegt), oder eigener Erfahrung an sich selbst,
muß er durch Ich reden.
Ehe ich nun mit dem Resultat meiner, in Absicht auf Diätetik
angestellten, Selbstbeobachtung aufzutreten wage, muß ich noch etwas
über die Art bemerken, wie Herr Hufeland die Aufgabe der Diätetik, d. i.
der Kunst stellt, Krankheiten vorzubeugen, im Gegensatz mit der
Therapeutik, sie zu heilen.
Sie heißt ihm »die Kunst das menschliche Leben zu verlängern«.
Er nimmt seine Benennung von demjenigen her, was die Menschen am
sehnsüchtigsten wünschen, ob es gleich vielleicht weniger wünschenswert
sein dürfte. Sie möchten zwar gern zwei Wünsche zugleich thun: nämlich
lange zu leben und dabei gesund zu sein; aber der erstere Wunsch hat den
letzteren nicht zur notwendigen Bedingung: sondern er ist unbedingt.
Laßt den Hospitalkranken jahrelang auf seinem Lager leiden und darben
und ihn oft wünschen hören, daß ihn der Tod je eher je lieber von dieser
Plage erlösen möge; glaubt ihm nicht, es ist nicht sein Ernst. Seine
Vernunft sagt es ihm zwar vor, aber der Naturinstinkt will es anders.
Wenn er dem Tode, als seinem Befreier (_Jovi liberatori_), winkt, so
verlangt er doch immer noch eine kleine Frist und hat immer irgend einen
Vorwand zur Vertagung (_procrastinatio_) seines peremtorischen Dekrets.
Der in wilder Entrüstung gefaßte Entschluß des Selbstmörders, seinem
Leben ein Ende zu machen, macht hievon keine Ausnahme: denn er ist die
Wirkung eines bis zum Wahnsinn exaltierten Affekts. -- Unter den zwei
Verheißungen für die Befolgung der Kindespflicht -- »auf daß dir es
wohlgehe und du lange lebest auf Erden« -- enthält die letztere die
stärkere Triebfeder, selbst im Urteile der Vernunft, nämlich als
Pflicht, deren Beobachtung zugleich verdienstlich ist.
Die Pflicht das Alter zu ehren gründet sich nämlich eigentlich nicht auf
die billige Schonung, die man den Jüngeren gegen die Schwachheit der
Alten zumutet: denn die ist kein Grund zu einer ihnen schuldigen
Achtung. Das Alter will also noch für etwas Verdienstliches angesehen
werden; weil ihm eine Verehrung zugestanden wird. Also, nicht etwa weil
Nestorjahre zugleich durch viele und lange Erfahrung erworbene Weisheit,
zu Leitung der jüngeren Welt, bei sich führen, sondern bloß weil, wenn
nur keine Schande dasselbe befleckt hat, der Mann, welcher sich so lange
erhalten hat, d. i. der Sterblichkeit, als dem demütigendsten Ausspruch,
der über ein vernünftiges Wesen nur gefällt werden kann -- »du bist Erde
und sollst zur Erde werden« -- so lange hat ausweichen und gleichsam der
Unsterblichkeit hat abgewinnen können, weil, sage ich, ein solcher Mann
sich so lange lebend erhalten und zum Beispiel aufgestellt hat.
Mit der Gesundheit, als dem zweiten natürlichen Wunsche, ist es dagegen
nur mißlich bewandt. Man kann sich gesund fühlen (aus dem behaglichen
Gefühl seines Lebens urteilen), nie aber wissen, daß man gesund sei. --
Jede Ursache des natürlichen Todes ist Krankheit: man mag sie fühlen
oder nicht. -- Es gibt viele, von denen, ohne sie eben verspotten zu
wollen, man sagt, daß sie für immer kränkeln, nie krank werden können;
deren Diät ein immer wechselndes Abschweifen und wieder Einbeugen ihrer
Lebensweise ist, und die es im Leben, wenngleich nicht den
Kraftäußerungen, doch der Länge nach, weit bringen. Wie viel aber meiner
Freunde oder Bekannten habe ich nicht überlebt, die sich bei einer
einmal angenommenen ordentlichen Lebensart einer völligen Gesundheit
rühmten: indessen daß der Keim des Todes (die Krankheit) der
Entwickelung nahe, unbemerkt in ihnen lag, und der, welcher sich gesund
fühlte, nicht wußte, daß er krank war; denn die Ursache eines
natürlichen Todes kann man doch nicht anders als Krankheit nennen. Die
Kausalität aber kann man nicht fühlen, dazu gehört Verstand, dessen
Urteil irrig sein kann, indessen daß das Gefühl untrüglich ist, aber nur
dann, wenn man sich krankhaft fühlt, diesen Namen führt; fühlt man sich
aber so auch nicht, doch gleichwohl in dem Menschen verborgenerweise und
zur baldigen Entwickelung bereit liegen kann; daher der Mangel dieses
Gefühls keinen andern Ausdruck des Menschen für sein Wohlbefinden
verstattet, als daß er scheinbarlich gesund sei. Das lange Leben also,
wenn man dahin zurücksieht, kann nur die genossene Gesundheit bezeugen,
und die Diätetik wird vor allem in der Kunst das Leben zu verlängern
(nicht es zu genießen) ihre Geschicklichkeit oder Wissenschaft zu
beweisen haben: wie es auch Herr Hufeland so ausgedrückt haben will.
Grundsatz der Diätetik.
Auf Gemächlichkeit muß die Diätetik nicht berechnet werden; denn diese
Schonung seiner Kräfte und Gefühle ist Verzärtelung, d. i. sie hat
Schwäche und Kraftlosigkeit zur Folge und ein allmähliches Erlöschen der
Lebenskraft, aus Mangel der Übung; sowie eine Erschöpfung derselben
durch zu häufigen und starken Gebrauch derselben. Der Stoizismus, als
Prinzip der Diätetik (_sustine et abstine_), gehört also nicht bloß zur
praktischen Philosophie als Tugendlehre, sondern auch zu ihr als
Heilkunde. Diese ist alsdann philosophisch, wenn bloß die Macht der
Vernunft im Menschen, über seine sinnlichen Gefühle durch einen sich
selbst gegebenen Grundsatz Meister zu sein, die Lebensweise bestimmt.
Dagegen, wenn sie diese Empfindungen zu erregen oder abzuwehren die
Hilfe außer sich in körperlichen Mitteln (der Apotheke, oder der
Chirurgie) sucht, sie bloß empirisch und mechanisch ist.
Die Wärme, der Schlaf, die sorgfältige Pflege des nicht Kranken sind
solche Verwöhnungen der Gemächlichkeit.
1) Ich kann, der Erfahrung an mir selbst gemäß, der Vorschrift nicht
beistimmen: »man soll Kopf und Füße warm halten«(3). Ich finde es
dagegen geratener beide kalt zu halten (wozu die Russen auch die Brust
zählen); gerade der Sorgfalt wegen, um mich nicht zu verkälten. -- Es
ist freilich gemächlicher im laulichen Wasser sich die Füße zu waschen,
als es zur Winterszeit mit beinahe eiskaltem zu thun; dafür aber entgeht
man dem Übel der Erschlaffung der Blutgefäße in so weit vom Herzen
entlegenen Teilen, welches im Alter oft eine nicht mehr zu hebende
Krankheit der Füße nach sich zieht. -- Den Bauch, vornehmlich bei kalter
Witterung, warm zu halten, möchte eher zur diätetischen Vorschrift statt
der Gemächlichkeit gehören; weil er Gedärme in sich schließt, die einen
langen Gang hindurch einen nicht flüssigen Stoff forttreiben sollen,
wozu der sogenannte Schmachtriemen (ein breites, den Unterleib haltendes
und die Muskeln desselben unterstützendes Band) bei Alten, aber
eigentlich nicht der Wärme wegen, gehört.
(3) Den Kopf warm zu halten, ist gewiß immer nachteilig, und die
medizinische Regel ist eigentlich: »den Kopf kühl und die Füße warm zu
halten«. Es bedarf daher diese Äußerung des würdigen Verfassers einige
Berichtigung. Es ist allerdings vollkommen wahr, daß, wenn wir unsere
Füße von Jugend auf ebenso bloß trügen, wie unsere Hände, Gesicht, und
die Weiber auch den Hals und die Brust, wir sie ebensogut gegen Kälte
und Witterung würden abhärten können, wie diese, und Millionen von
Menschen, welche barfuß laufen, beweisen dieses. Da aber unser Klima
und unsere Lebensverhältnisse uns nicht erlauben, das Bloßtragen immer
fortzusetzen, sondern die Füße bekleidet zu tragen gebieten, so
entsteht dadurch schon die Möglichkeit einer Erkältung, durch
Weglassung der gewohnten Bedeckung. Und da es nun überdies gar nicht
zu leugnen ist, daß die Füße, besonders der Unterfuß, in einer ganz
besondern antagonistischen Verbindung mit den oberen Teilen stehen, so
daß durch Erkältung, das heißt, Unterdrückung der Hautthätigkeit, sehr
leicht ein Krankheitsreiz auf Kopf, Brust und Unterleibseingeweide
reflektiert werden kann, so folgt allerdings daraus die Notwendigkeit,
dieselben nicht sowohl warm, sondern in einer gleichmäßigen Temperatur
zu halten.
H.
2) Lange oder (wiederholentlich, durch Mittagsruhe) viel schlafen ist
freilich ebensoviel Ersparnis am Ungemache, was überhaupt das Leben im
Wachen unvermeidlich bei sich führt, und es ist wunderlich genug sich
ein langes Leben zu wünschen, um es größtenteils zu verschlafen. Aber
das, worauf es hier eigentlich ankömmt, dieses vermeinte Mittel des
langen Lebens, die Gemächlichkeit, widerspricht sich in seiner Absicht
selbst. Denn das wechselnde Erwachen und wieder Einschlummern in langen
Winternächten ist für das ganze Nervensystem lähmend, zermalmend und in
täuschender Ruhe krafterschöpfend: mithin die Gemächlichkeit hier eine
Ursache der Verkürzung des Lebens. -- Das Bett ist das Nest einer Menge
von Krankheiten.
3) Im Alter sich zu pflegen oder pflegen zu lassen, bloß um seine
Kräfte, durch die Vermeidung der Ungemächlichkeit (z. B. des Ausgehens
in schlimmem Wetter) oder überhaupt die Übertragung der Arbeit an
andere, die man selbst verrichten könnte, zu schonen, so aber das Leben
zu verlängern, diese Sorgfalt bewirkt gerade das Widerspiel, nämlich das
frühe Altwerden und Verkürzung des Lebens. -- -- Auch daß sehr alt
gewordene mehrenteils verehelichte(4) Personen gewesen wären, möchte
schwer zu beweisen sein(5). -- In einigen Familien ist das Altwerden
erblich, und die Paarung in einer solchen kann wohl einen Familienschlag
dieser Art begründen. Es ist auch kein übles politisches Prinzip zu
Beförderung der Ehen, das gepaarte Leben als ein langes Leben
anzupreisen; obgleich die Erfahrung immer verhältnisweise nur wenig
Beispiele davon an die Hand gibt, von solchen, die nebeneinander
vorzüglich alt geworden sind; aber die Frage ist hier nur vom
physiologischen Grunde des Altwerdens, -- wie es die Natur verfügt,
nicht vom politischen, wie die Konvenienz des Staats die öffentliche
Meinung seiner Absicht gemäß gestimmt zu sein verlangt.
(4) Hierwider möchte ich doch die Beobachtung anführen: daß
unverehelichte (oder jung verwitwete) alte Männer mehrenteils länger
ein jugendliches Aussehen erhalten, als verehelichte, welches doch auf
eine längere Lebensdauer zu deuten schein. -- Sollten wohl die
letztern an ihren härteren Gesichtszügen den Zustand eines getragenen
Jochs (davon _conjugium_), nämlich das frühere Altwerden verraten,
welches auf ein kürzeres Lebensziel hindeutet?
(5) Ich habe mich bei Aufstellung dieses Grundsatzes in meiner
Makrobiotik bloß durch die Erfahrung leiten lassen. Es stießen mir bei
meinen Nachforschungen über das höchste Alter so viele Verheiratete
auf, daß ich dadurch zuerst aufmerksam gemacht wurde. Ich fand nämlich
bei allen Alten einen sehr beträchtlichen Überschuß auf seiten der
Verheirateten: von den außerordentlich hohen Alten (d. h.
120-160jährigen) fand ich durchaus gar keinen unverheiratet; ja sie
hatten alle mehrmals und größtenteils noch in den letzten Zeiten ihres
Lebens geheiratet. Dies allein bewog mich zu den Vermutungen von
Einfluß der Zeugungskraft und des Ehestands aufs lange Leben, für die
ich dann erst die theoretischen Gründe aufsuchte.
H.
Übrigens ist das Philosophieren, ohne darum eben Philosoph zu sein, auch
ein Mittel der Abwehrung mancher unangenehmer Gefühle, und doch zugleich
Agitation des Gemüts, welches in seine Beschäftigung ein Interesse
bringt, das von äußern Zufälligkeiten unabhängig und ebendarum, obgleich
nur als Spiel, dennoch kräftig und inniglich ist und die Lebenskraft
nicht stocken läßt. Dagegen Philosophie, die ihr Interesse am Ganzen des
Endzwecks der Vernunft -- der eine absolute Einheit ist -- hat, ein
Gefühl der Kraft bei sich führt, welches die körperlichen Schwächen des
Alters in gewissem Maße durch vernünftige Schätzung des Werts des Lebens
wohl vergüten kann. -- Aber neu sich eröffnende Aussichten zur
Erweiterung seiner Erkenntnisse, wenn sie auch gerade nicht zur
Philosophie gehörten, leisten doch auch ebendasselbe, oder etwas dem
Ähnliches; und, sofern der Mathematiker hieran ein unmittelbares
Interesse (nicht als an einem Werkzeuge zu anderer Absicht) nimmt, so
ist er insofern auch Philosoph und genießt die Wohlthätigkeit einer
solchen Erregungsart seiner Kräfte in einem verjüngten und ohne
Erschöpfung verlängerten Leben.
Aber auch bloße Tändeleien in einem sorgenfreien Zustande leisten, als
Surrogate, bei eingeschränkten Köpfen fast ebendasselbe, und, die mit
Nichtsthun immer vollauf zu thun haben, werden gemeiniglich auch alt. --
Ein sehr bejahrter Mann fand dabei ein großes Interesse, daß die vielen
Stutzuhren in seinem Zimmer immer nacheinander, keine mit der andern
zugleich, schlagen mußten; welches ihn und den Uhrmacher den Tag über
genug beschäftigte, und dem letztern zu verdienen gab. Ein anderer fand
in der Abfütterung und Kur seiner Sangvögel hinreichende Beschäftigung,
um die Zeit zwischen seiner eigenen Abfütterung und dem Schlaf
auszufüllen. Eine alte begüterte Frau fand diese Ausfüllung am
Spinnrade, unter dabei eingemischten unbedeutenden Gesprächen, und
klagte daher in ihrem sehr hohen Alter, gleich als über den Verlust
einer guten Gesellschaft, daß, da sie nunmehr den Faden zwischen den
Fingern nicht mehr fühlen konnte, sie für Langerweile zu sterben Gefahr
liefe.
Doch, damit mein Diskurs über das lange Leben Ihnen nicht auch
Langeweile mache und ebendadurch gefährlich werde, will ich der
Sprachseligkeit, die man als einen Fehler des Alters zu belächeln,
wenngleich nicht zu schelten pflegt, hiemit Grenzen setzen.
Von der Hypochondrie.
Die Schwäche, sich seinen krankhaften Gefühlen überhaupt, ohne ein
bestimmtes Objekt, mutlos zu überlassen -- mithin ohne den Versuch zu
machen, über sie durch die Vernunft Meister zu werden -- die
Grillenkrankheit (_hypochondria vaga_(6)), welche gar keinen bestimmten
Sitz im Körper hat und ein Geschöpf der Einbildungskraft ist und daher
auch die dichtende heißen könnte -- wo der Patient alle Krankheiten, von
denen er in Büchern liest, an sich zu bemerken glaubt, -- ist das gerade
Widerspiel jenes Vermögens des Gemüts über seine krankhaften Gefühle
Meister zu sein, nämlich Verzagtheit, über Übel, welche Menschen
zustoßen könnten, zu brüten, ohne, wenn sie kämen, ihnen widerstehen zu
können; eine Art von Wahnsinn, welchem freilich wohl irgend ein
Krankheitsstoff (Blähung oder Verstopfung) zum Grunde liegen mag, der
aber nicht unmittelbar, wie er den Sinn affiziert, gefühlt, sondern als
bevorstehendes Übel von der dichtenden Einbildungskraft vorgespiegelt
wird; wo dann der Selbstquäler (_Heautontimorumenos_), statt sich selbst
zu ermannen, vergeblich die Hilfe des Arztes aufruft; weil nur er
selbst, durch die Diätetik seines Gedankenspiels, belästigende
Vorstellungen, die sich unwillkührlich einfinden, und zwar von Übeln,
wider die sich doch nichts veranstalten ließe, wenn sie sich wirklich
einstellten, aufheben kann. -- Von dem, der mit dieser Krankheit
behaftet, und solange er es ist, kann man nicht verlangen, er solle
seiner krankhaften Gefühle durch den bloßen Vorsatz Meister werden.
Denn, wenn er dieses könnte, so wäre er nicht hypochondrisch. Ein
vernünftiger Mensch statuiert keine solche Hypochondrie: sondern, wenn
ihm Beängstigungen anwandeln, die in Grillen, d. i. selbst ausgedachte
Übel, ausschlagen wollen, so fragt er sich, ob ein Objekt derselben da
sei. Findet er keines, welches gegründete Ursache zu dieser Beängstigung
abgeben kann, oder sieht er ein, daß, wenn auch gleich ein solches
wirklich wäre, doch dabei nichts zu thun möglich sei, um seine Wirkung
abzuwenden, so geht er mit diesem Anspruche seines inneren Gefühls zur
Tagesordnung, d. i. er läßt seine Beklommenheit (welche alsdann bloß
topisch ist) an ihrer Stelle liegen (als ob sie ihn nichts anginge) und
richtet seine Aufmerksamkeit auf die Geschäfte, mit denen er zu thun
hat.
(6) Zum Unterschiede von der topischen (_hypochondria abdominalis_).
H.
Ich habe wegen meiner flachen und engen Brust, die für die Bewegung des
Herzens und der Lunge wenig Spielraum läßt, eine natürliche Anlage zur
Hypochondrie, welche in früheren Jahren bis an den Überdruß des Lebens
grenzte. Aber die Überlegung, daß die Ursache dieser Herzbeklemmung
vielleicht bloß mechanisch und nicht zu heben sei, brachte es bald
dahin, daß ich mich an sie gar nicht kehrte, und während dessen, daß ich
mich in der Brust beklommen fühlte, im Kopfe doch Ruhe und Heiterkeit
herrschte, die sich auch in der Gesellschaft, nicht nach abwechselnden
Launen (wie Hypochondrische pflegen), sondern absichtlich und natürlich
mitzuteilen nicht ermangelte. Und da man des Lebens mehr froh wird durch
das, was man im freien Gebrauch desselben thut, als was man genießt, so
können Geistesarbeiten eine andere Art von befördertem Lebensgefühl den
Hemmungen entgegensetzen, welche bloß den Körper angehen. Die Beklemmung
ist mir geblieben; denn ihre Ursache liegt in meinem körperlichen Bau.
Aber über ihren Einfluß auf meine Gedanken und Handlungen bin ich
Meister geworden, durch Abkehrung der Aufmerksamkeit von diesem Gefühle,
als ob es mich gar nicht anginge(7).
(7) Selbst bei wirklichen Krankheiten müssen wir wohl unterscheiden,
die Krankheit und das Gefühl der Krankheit. -- Das letztere übertrifft
mehrenteils die erste bei weitem; ja man kann behaupten, man würde die
eigentliche Krankheit, die oft nur in einer örtlich gestörten
Verrichtung eines oft unbedeutenden Teiles besteht, gar nicht
bemerken, wenn nicht die dadurch erregte allgemeine Unlust und
Unbehaglichkeit, oder unangenehmen Gefühle und Schmerzen, unsern
Zustand höchst peinlich machten. Die Gefühle aber, diese Einwirkung
der Krankheit auf das Ganze, stehen großenteils in unserer Gewalt.
Eine schwache, verweichlichte Seele, eine dadurch erhöhte
Empfindlichkeit, wird dadurch völlig übermannt, ein starker,
abgehärteter Geist weiset sie zurück und unterdrückt sie. -- Jedermann
gibt zu, daß es möglich ist, durch ein unerwartetes Ereignis, durch
eine angenehme Zerstreuung, genug durch etwas, was die Seele stark von
sich abzieht, sein körperliches Leiden zu vergessen. -- Warum sollte
dies nun nicht der eigne feste Wille, die eigne Seelenkraft selbst
bewirken können? --
Das größte Mittel gegen Hypochondrie und alle eingebildete Übel, ist
in der That das Objektivieren seiner selbst, so wie die Hauptursache
der Hypochondrie und ihr eigentliches Wesen nichts anders ist, als das
Subjektivieren aller Dinge, das heißt, daß das physische Ich die
Herrschaft über alles erhalten hat, der alleinige Gedanke, die fixe
Idee wird, und alles andere unter diese Kategorie bringt. -- Ich habe
daher immer gefunden, daß, je praktisch-thätiger das Leben eines
Menschen ist, das heißt, je mehr es ihn immer nach außen zieht, desto
sicherer ist er für Hypochondrie. Den besten Beweis geben uns die
praktischen Ärzte. Sie sind unaufhörlich mit Krankheiten beschäftigt,
und Krankheit, Übelbefinden wird zuletzt der herrschende Gegenstand
ihres Denkens. Hier sollte also sehr leicht dasselbe auch der
herrschende Gegenstand ihres Ichs werden, und es müßten folglich alle
Ärzte endlich hypochondrisch werden. -- Und dennoch sehen wir, daß
gerade praktische Ärzte fast nie an Hypochondrie leiden. -- Warum?
Weil sie sich von Anfang an gewöhnen, alle Übel zu objektivieren,
wodurch sie am Ende dahin gelangen, sich selbst und ihre eignen Übel
zu objektivieren, sie von ihrem wahren Ich zu trennen und zum
Gegenstand der Außenwelt und der Kunst zu machen. -- Denn das wahre
Ich wird nie krank.
H.
Vom Schlafe.
Was die Türken, nach ihren Grundsätzen der Prädestination, über die
Mäßigkeit sagen: daß nämlich im Anfange der Welt jedem Menschen die
Portion zugemessen worden, wieviel er im Leben zu essen haben werde,
und, wenn er sein beschieden Teil in großen Portionen verzehrt, er auf
eine desto kürzere Zeit zu essen, mithin zu sein, sich Rechnung machen
könne: das kann in einer Diätetik, als Kinderlehre -- denn im Genießen
müssen auch Männer von Ärzten oft als Kinder behandelt werden, -- auch
zur Regel dienen: nämlich daß jedem Menschen von Anbeginn her vom
Verhängnisse seine Portion Schlaf zugemessen worden, und der, welcher
von seiner Lebenszeit in Mannsjahren zu viel (über das Dritteil) dem
Schlafen eingeräumt hat, sich nicht eine lange Zeit zu schlafen, d. i.
zu leben und alt zu werden, versprechen darf. -- Wer dem Schlaf als
süßen Genuß im Schlummern (der Siesta der Spanier) oder als Zeitkürzung
(in langen Winternächten) viel mehr als ein Dritteil seiner Lebenszeit
einräumt, oder ihm sich auch teilweise (mit Absätzen), nicht in einem
Stück, für jeden Tag zumißt, verrechnet sich sehr in Ansehung seines
Lebensquantum, teils dem Grade, teils der Länge nach. -- Da nun
schwerlich ein Mensch wünschen wird, daß der Schlaf überhaupt gar nicht
Bedürfnis für ihn wäre, -- woraus doch wohl erhellet, daß er das lange
Leben als eine lange Plage fühlt; von dem, so viel er verschlafen,
ebensoviel Mühseligkeit zu tragen er sich ersparet hat -- so ist es
geratener, fürs Gefühl sowohl als für die Vernunft, dieses genuß- und
thatleere Drittel ganz auf eine Seite zu bringen und es der
unentbehrlichen Naturrestauration zu überlassen: doch mit einer genauen
Abgemessenheit der Zeit, von wo an und wie lange sie dauern soll(8).
(8) Die naturgemäßeste Einteilung des Tages bleibt gewiß diese: Acht
Stunden der Arbeit, acht Stunden der Ruhe und acht Stunden der
Nahrung, körperlichen Bewegung, Gesellschaft und Aufheiterung.
H.
* * * * *
Es gehört unter die krankhaften Gefühle zu der bestimmten und gewohnten
Zeit nicht schlafen, oder auch sich nicht wach halten zu können;
vornehmlich aber das erstere; in dieser Absicht sich zu Bette zu legen
und doch schlaflos zu liegen. -- Sich alle Gedanken aus dem Kopf zu
schlagen ist zwar der gewöhnliche Rat, den der Arzt gibt; aber sie, oder
andere an ihre Stelle, kommen wieder und erhalten wach. Es ist kein
anderer diätetischer Rat, als beim inneren Wahrnehmen oder Bewußtwerden
irgend eines sich regenden Gedanken, die Aufmerksamkeit davon sofort
abzuwenden (gleich als ob man mit geschlossenen Augen diese auf eine
andere Seite kehrte): wo dann durch das Abbrechen jedes Gedanken, den
man inne wird, allmählich eine Verwirrung der Vorstellungen entspringt,
dadurch das Bewußtsein seiner körperlichen (äußern) Lage aufgehoben
wird, und eine ganz verschiedene Ordnung, nämlich ein unwillkürliches
Spiel der Einbildungskraft (das im gesunden Zustande der Traum ist)
eintritt, in welchem, durch ein bewundernswürdiges Kunststück der
tierischen Organisation, der Körper für die animalischen Bewegungen
abgespannt, für die Vitalbewegung aber innigst agitiert wird und zwar
durch Träume, die, wenn wir uns gleich derselben im Erwachen nicht
erinnern, gleichwohl nicht haben ausbleiben können: weil sonst bei
gänzlicher Ermangelung derselben, wenn die Nervenkraft, die vom Gehirn,
dem Sitze der Vorstellungen, ausgeht, nicht mit der Muskelkraft der
Eingeweide vereinigt wirkte, das Leben sich nicht einen Augenblick
erhalten könnte. Daher träumen vermutlich alle Tiere, wenn sie schlafen.
Jedermann aber, der sich zu Bette und in Bereitschaft zu schlafen gelegt
hat, wird bisweilen, bei aller obgedachten Ablenkung seiner Gedanken,
doch nicht zum Einschlafen kommen können. In diesem Fall wird er im
Gehirn etwas Spastisches (Krampfartiges) fühlen, welches auch mit der
Beobachtung gut zusammenhängt: daß ein Mensch gleich nach dem Erwachen
etwa ½ Zoll länger sei, als wenn er sogar im Bette geblieben und dabei
nur gewacht hätte. -- Da Schlaflosigkeit ein Fehler des schwächlichen
Alters und die linke Seite überhaupt genommen die schwächere ist(9), so
fühlte ich seit etwa einem Jahre diese krampfichte Anwandelungen und
sehr empfindliche Reize dieser Art (obzwar nicht wirkliche und sichtbare
Bewegungen der darauf affizierten Gliedmaßen als Krämpfe), die ich nach
der Beschreibung anderer für gichtische Zufälle halten und dafür einen
Arzt suchen mußte. Nun aber, aus Ungeduld, am Schlafen mich gehindert zu
fühlen, griff ich bald zu meinem stoischen Mittel, meinen Gedanken mit
Anstrengung auf irgend ein von mir gewähltes gleichgültiges Objekt, was
es auch sei (z. B. auf den viel Nebenvorstellungen enthaltenden Namen
Cicero), zu heften: mithin die Aufmerksamkeit von jener Empfindung
abzulenken; dadurch diese dann, und zwar schleunig, stumpf wurden, und
so die Schläfrigkeit sie überwog, und dieses kann ich jederzeit, bei
wiederkommenden Anfällen dieser Art in den kleinen Unterbrechungen des
Nachtschlafs, mit gleich gutem Erfolg wiederholen. Daß aber dieses nicht
etwa bloß eingebildete Schmerzen waren, davon konnte mich die des andern
Morgens früh sich zeigende glühende Röte der Zehen des linken Fußes
überzeugen. -- Ich bin gewiß, daß viele gichtische Zufälle, wenn nur die
Diät des Genusses nicht gar zu sehr dawider ist, ja Krämpfe und selbst
epileptische Zufälle (nur nicht bei Weibern und Kindern, als die
dergleichen Kraft des Vorsatzes nicht haben), auch wohl das für
unheilbar verschriene Podagra, bei jeder neuen Anwandlung desselben
durch diese Festigkeit des Vorsatzes (seine Aufmerksamkeit von einem
solchen Leiden abzuwenden) abgehalten und nach und nach gehoben werden
könnte(10).
(9) Es ist ein ganz unrichtiges Vorgeben, daß, was die Stärke im
Gebrauch seiner äußern Gliedmaßen betrifft, es bloß auf die Übung und
wie man früh gewöhnt worden, ankomme, welche von beiden Seiten des
Körpers die stärkere oder schwächere sein solle; ob im Gefechte mit
dem rechten oder linken Arm der Säbel geführt, ob sich der Reiter im
Steigbügel stehend von der rechten zur linken oder umgekehrt aufs
Pferd schwinge &c. Die Erfahrung lehrt aber, daß, wer sich am linken
Fuße Maß für seine Schuhe nehmen läßt, wenn der Schuh dem linken genau
anpaßt, er für den rechten zu enge sei, ohne daß man die Schuld davon
den Eltern geben kann, die ihre Kinder nicht besser belehrt hätten; so
wie der Vorzug der rechten Seite vor der linken auch daran zu sehen
ist, daß der, welcher über einen tiefen Graben schreiten will, den
linken Fuß ansetzt und mit dem rechten überschreitet: widrigen Falls
er in den Graben zu fallen Gefahr läuft. Daß der preußische
Infanterist geübt wird mit dem linken Fuße anzutreten, widerlegt jenen
Satz nicht, sondern bestätigt ihn vielmehr; denn er setzt diesen
voran, gleich als auf ein Hypomochlium, um mit der rechten Seite den
Schwung des Angriffs zu machen, welchen er mit der rechten gegen die
linke verrichtet.
(10) Unglaublich ist es, was der Mensch vermag, auch im Physischen,
durch die Kraft des festen Willens; und so auch durch die Not, die oft
allein einen solchen festen Willen hervorzubringen vermag. Woher kömmt
es, daß die arbeitende, durch Not oder Pflicht zur Arbeit getriebene,
Klasse viel weniger kränkelt, als die müßiggehende? Hauptsächlich
daher, daß jene keine Zeit hat krank zu sein und also eine Menge
Anwandelungen von Krankheiten übergeht, das heißt, in der Arbeit sie
vergißt und dadurch wirklich überwindet und aufhebt, statt daß der
Müßige, den Gefühlen nachgebend und sie pflegend, dadurch oft den Keim
erst zu Krankheiten ausbildet.
Wie oft habe ich diese Erfahrung in meinem Berufsleben an mir selbst
gemacht, und welcher Pflicht- und Berufsmensch hat sie nicht gemacht!
-- Wie oft glaubte ich früh nicht im stande zu sein, wegen
körperlicher Beschwerden das Zimmer zu verlassen -- die Pflicht rief
zum Krankenbett oder aufs Katheder, und so sauer es anfangs wurde,
nach einiger Zeit der Anstrengung war das Übel vergessen, der Geist
siegte über den Leib, und die Gesundheit war wiederhergestellt.
Ja am auffallendsten zeigte sich die Kraft des Geistigen bei
ansteckenden und epidemischen Krankheiten. Es ist eine ausgemachte
Erfahrungssache, daß die, welche guten Mut haben, sich nicht fürchten
und ekeln, am wenigsten angesteckt werden. Aber daß eine schon
wirklich geschehene Ansteckung noch durch freudige Exaltation des
Geistes wieder aufgehoben werden könne, davon bin ich selbst ein
Beispiel. -- Ich hatte in dem Kriegsjahre 1807, wo in Preußen ein
pestartiges Faulfieber herrschte, viele solche Kranke zu behandeln und
fühlte eines Morgens bei dem Erwachen alle Zeichen der Ansteckung,
Schwindel, Kopfbetäubung, Zerschlagenheit der Glieder, genug alle
Vorboten, die bekanntlich mehrere Tage dauern können, ehe die
Krankheit wirklich ausbricht. -- Aber die Pflicht gebot; andere waren
kränker als ich. Ich beschloß, meine Geschäfte wie gewöhnlich zu
verrichten und mittags einem frohen Mahle beizuwohnen, wozu ich
eingeladen war. Hier überließ ich mich einige Stunden ganz der Freude
und dem lauten Frohsinn, der mich umgab, trank absichtlich mehr Wein
wie gewöhnlich, ging mit einem künstlich erregten Fieber nach Hause,
legte mich zu Bett, schwitzte die Nacht hindurch reichlich und war am
andern Morgen völlig hergestellt.
H.
Vom Essen und Trinken.
Im gesunden Zustande und der Jugend ist es das Geratenste in Ansehung
des Genusses, der Zeit und Menge nach, bloß den Appetit (Hunger und
Durst) zu befragen; aber bei den mit dem Alter sich einfindenden
Schwächen ist eine gewisse Angewohnheit einer geprüften und heilsam
gefundenen Lebensart, nämlich wie man es einen Tag gehalten hat, es
ebenso alle Tage zu halten, ein diätetischer Grundsatz, welcher dem
langen Leben am günstigsten ist; doch unter der Bedingung, daß diese
Abfütterung für den sich weigernden Appetit die gehörigen Ausnahmen
mache. -- Dieser nämlich weigert im Alter die Quantität des Flüssigen
(Suppen oder viel Wasser zu trinken) vornehmlich dem männlichen
Geschlecht: verlangt dagegen derbere Kost und anreizenderes Getränke
(z. B. Wein), sowohl um die wurmförmige Bewegung der Gedärme -- die
unter allen Eingeweiden am meisten von der _vita propria_ zu haben
scheinen, weil sie, wenn sie noch warm aus dem Tier gerissen und
zerhauen werden, als Würmer kriechen, deren Arbeit man nicht bloß
fühlen, sondern sogar hören kann -- zu befördern und zugleich solche
Teile in den Blutumlauf zu bringen, die durch ihren Reiz das Geäder zur
Blutbewegung im Umlauf zu erhalten beförderlich sind.
Das Wasser braucht aber bei alten Leuten längere Zeit, um, ins Blut
aufgenommen, den langen Gang seiner Absonderung von der Blutmasse durch
die Nieren zur Harnblase zu machen, wenn es nicht dem Blute assimilierte
Teile (dergleichen der Wein ist) und die einen Reiz der Blutgefäße zum
Fortschaffen bei sich führen, in sich enthält; welcher letztere aber
alsdann als Medizin gebraucht wird, dessen künstlicher Gebrauch
ebendadurch eigentlich nicht zur Diätetik gehört. Der Anwandelung des
Appetits zum Wassertrinken (dem Durst), welche großenteils nur
Angewohnheit ist, nicht sofort nachzugeben und ein hierüber genommener
fester Vorsatz bringt diesen Reiz in das Maß des natürlichen
Bedürfnisses, des den festen Speisen beizugebenden Flüssigen, dessen
Genuß in Menge im Alter selbst durch den Naturinstinkt geweigert wird.
Man schläft auch nicht gut, wenigstens nicht tief bei dieser
Wasserschwelgerei, weil die Blutwärme dadurch vermindert wird.
Es ist oft gefragt worden: ob, gleich wie in 24 Stunden nur Ein Schlaf,
so auch in ebensoviel Stunden nur Eine Mahlzeit nach diätetischer Regel
verwilligt werden könne, oder ob es nicht besser (gesunder) sei, dem
Appetit am Mittagstische etwas abzubrechen, um dafür auch zu Nacht essen
zu können. Zeitkürzender ist freilich das letztere. -- Das erstere halte
ich auch in den sogenannten besten Lebensjahren (dem Mittelalter) für
zuträglicher; das letztere aber im späteren Alter. Denn, da das Stadium
für die Operation der Gedärme zum Behuf der Verdauung im Alter ohne
Zweifel langsamer abläuft, als in jüngeren Jahren, so kann man glauben,
daß ein neues Pensum (in einer Abendmahlzeit) der Natur aufzugeben,
indessen daß das erstere Stadium der Verdauung noch nicht abgelaufen
ist, der Gesundheit nachteilig werden müsse. -- Auf solche Weise kann
man den Anreiz zum Abendessen, nach einer hinreichenden Sättigung des
Mittags, für ein krankhaftes Gefühl halten, dessen man durch einen
festen Vorsatz so Meister werden kann, daß auch die Anwandelung
desselben nachgerade nicht mehr verspürt wird.
Von dem krankhaften Gefühl aus der Unzeit im Denken.
Einem Gelehrten ist das Denken ein Nahrungsmittel, ohne welches, wenn er
wach und allein ist, er nicht leben kann; jenes mag nun im Lernen
(Bücherlesen) oder im Ausdenken (Nachsinnen und Erfinden) bestehen. Aber
beim Essen oder Gehen sich zugleich angestrengt mit einem bestimmten
Gedanken beschäftigen, Kopf und Magen oder Kopf und Füße mit zwei
Arbeiten zugleich belästigen, davon bringt das eine Hypochondrie, das
andere Schwindel hervor. Um also dieses krankhaften Zustandes durch
Diätetik Meister zu sein, wird nichts weiter erfordert, als die
mechanische Beschäftigung des Magens, oder der Füße, mit der geistigen
des Denkens wechseln zu lassen und während dieser (der Restauration
gewidmeten) Zeit das absichtliche Denken zu hemmen und dem (dem
mechanischen ähnlichen) freien Spiele der Einbildungskraft den Lauf zu
lassen; wozu aber bei einem Studierenden ein allgemein gefaßter und
fester Vorsatz der Diät im Denken erfordert wird.
Es finden sich krankhafte Gefühle ein, wenn man in einer Mahlzeit ohne
Gesellschaft sich zugleich mit Bücherlesen oder Nachdenken beschäftigt,
weil die Lebenskraft durch Kopfarbeit von dem Magen, den man belästigt,
abgeleitet wird. Ebenso, wenn dieses Nachdenken mit der
krafterschöpfenden Arbeit der Füße (im Promenieren(11)) verbunden wird.
Man kann das Lukubrieren noch hinzufügen, wenn es ungewöhnlich ist.
Indessen sind die krankhaften Gefühle aus diesen unzeitig (_invita
Minerva_) vorgenommenen Geistesarbeiten doch nicht von der Art, daß sie
sich unmittelbar durch den bloßen Vorsatz augenblicklich, sondern allein
durch Entwöhnung, vermöge eines entgegengesetzten Prinzips, nach und
nach heben lassen, und von den ersteren soll hier nur geredet werden.
(11) Studierende können es schwerlich unterlassen, in einsamen
Spaziergängen sich mit Nachdenken selbst und allein zu unterhalten.
Ich habe es aber an mir gefunden und auch von andern, die ich darum
befrug, gehört: daß das angestrengte Denken im Gehen geschwinde matt
macht; dagegen, wenn man sich dem freien Spiel der Einbildungskraft
überläßt, die Motion restaurierend ist. Noch mehr geschieht dieses,
wenn bei dieser mit Nachdenken verbundenen Bewegung zugleich
Unterredung mit einem andern gehalten wird, so, daß man sich bald
genötigt sieht das Spiel seiner Gedanken sitzend fortzusetzen. -- Das
Spazieren im Freien hat gerade die Absicht durch den Wechsel der
Gegenstände seine Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen abzuspannen.
Von der Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle durch den Vorsatz im
Atemziehen.
Ich war vor wenigen Jahren noch dann und wann vom Schnupfen und Husten
heimgesucht, welche beide Zufälle mir desto ungelegener waren, als sie
sich bisweilen beim Schlafengehen zutrugen. Gleichsam entrüstet über
diese Störung des Nachtschlafs entschloß ich mich, was den ersteren
Zufall betrifft, mit fest geschlossenen Lippen durchaus die Luft durch
die Nase zu ziehen: welches mir anfangs nur mit einem schwachen Pfeifen,
und da ich nicht absetzte, oder nachließ, immer mit stärkeren, zuletzt
mit vollen und freien Luftzuge gelang, es durch die Nase zu stande zu
bringen, darüber ich dann sofort einschlief. -- Was dieses gleichsam
konvulsivische und mit dazwischen vorfallenden Einatmen (nicht wie beim
Lachen ein kontinuiertes, stoßweise erschallendes) Ausatmen, den Husten
betrifft, vornehmlich den, welchen der gemeine Mann in England den
Altmannshusten (im Bette liegend) nennt, so war er mir um so mehr
ungelegen, da er sich bisweilen bald nach der Erwärmung im Bette
einstellte und das Einschlafen verzögerte. Dieses Husten, welches durch
den Reiz der mit offenen Munde eingeatmeten Luft auf den Luftröhrenkopf
erregt wird(12), nun zu hemmen, bedurfte es einer nicht mechanischen
(pharmazeutischen), sondern nur unmittelbaren Gemütsoperation, nämlich
die Aufmerksamkeit auf diesen Reiz dadurch ganz abzulenken, daß sie mit
Anstrengung auf irgend ein Objekt (wie oben bei krampfhaften Zufällen)
gerichtet und dadurch das Ausstoßen der Luft gehemmet wurde, welches
mir, wie ich es deutlich fühlete, das Blut ins Gesicht trieb, wobei aber
der durch denselben Reiz erregte flüssige Speichel (_saliva_) die
Wirkung dieses Reizes, nämlich die Ausstoßung der Luft, verhinderte und
ein Herunterschlucken dieser Feuchtigkeit bewirkte. -- -- Eine
Gemütsoperation, zu der ein recht großer Grad des festen Vorsatzes
erforderlich, der aber darum auch desto wohlthätiger ist.
(12) Sollte auch nicht die atmosphärische Luft, wenn sie durch die
Eustachische Röhre (also bei geschlossenen Lippen) zirkuliert,
dadurch, daß sie auf diesem dem Gehirn naheliegenden Umwege Sauerstoff
absetzt, das erquickende Gefühl gestärkter Lebensorgane bewirken,
welches dem ähnlich ist, als ob man Luft trinke; wobei diese, ob sie
zwar keinen Geruch hat, doch die Geruchsnerven und die denselben
naheliegende einsaugende Gefäße stärkt? Bei manchem Wetter findet sich
dieses Erquickliche des Genusses der Luft nicht; bei andern ist es
eine wahre Annehmlichkeit sie auf seiner Wanderung mit langen Zügen zu
trinken: welches das Einatmen mit offenem Munde nicht bewährt. -- --
Das ist aber von der größten diätetischen Wichtigkeit, den Atemzug
durch die Nase bei geschlossenen Lippen sich so zur Gewohnheit zu
machen, daß er selbst im tiefsten Schlaf nicht anders verrichtet wird
und man sogleich aufwacht, sobald er mit offenem Munde geschieht, und
dadurch gleichsam aufgeschreckt wird; wie ich das anfänglich, ehe es
mir zur Gewohnheit wurde auf solche Weise zu atmen, bisweilen erfuhr.
-- Wenn man genötigt ist stark oder bergan zu schreiten, so gehört
größere Stärke des Vorsatzes dazu, von jener Regel nicht abzuweichen
und eher seine Schritte zu mäßigen, als von ihr eine Ausnahme zu
machen; ingleichen, wenn es um starke Motion zu thun ist, die etwa ein
Erzieher seinen Zöglingen geben will, daß dieser sie ihre Bewegung
lieber stumm als mit öfterer Einatmung durch den Mund machen lasse.
Meine jungen Freunde (ehemalige Zuhörer) haben diese diätetische
Maxime als probat und heilsam gepriesen und sie nicht unter die
Kleinigkeiten gezählt, weil sie bloßes Hausmittel ist, das den Arzt
entbehrlich macht. -- Merkwürdig ist noch: daß, da es scheint, beim
lange fortgesetzten Sprechen geschehe das Einatmen auch durch den so
oft geöffneten Mund, mithin jene Regel werde da doch ohne Schaden
überschritten, es sich wirklich nicht so verhält. Denn es geschieht
doch auch durch die Nase. Denn wäre diese zu der Zeit verstopft, so
würde man von dem Redner sagen, er spreche durch die Nase (ein sehr
widriger Laut), indem er wirklich nicht durch die Nase spräche, und
umgekehrt, er spreche nicht durch die Nase, indem er wirklich durch
die Nase spricht: wie es Hr. Hofrat Lichtenberg launicht und richtig
bemerkt -- das ist auch der Grund, warum der, welcher lange und laut
spricht (Vorleser oder Prediger), es ohne Rauhigkeit der Kehle eine
Stunde lang wohl aushalten kann; weil nämlich sein Atemziehen
eigentlich durch die Nase, nicht durch den Mund, geschieht, als durch
welchen nur das Ausatmen verrichtet wird. -- Ein Nebenvorteil dieser
Angewohnheit des Atemzuges mit beständig geschlossenen Lippen, wenn
man für sich allein wenigstens nicht im Diskurs begriffen ist, ist
der: daß die sich immer absondernde und den Schlund befeuchtende
Saliva hiebei zugleich als Verdauungsmittel (_stomachale_), vielleicht
auch (verschluckt) als Abführungsmittel wirkt; wenn man fest genug
entschlossen ist sie nicht durch üble Angewohnheit zu verschwenden.
H.
Von den Folgen dieser Angewohnheit des Atemziehens mit geschlossenen
Lippen.
Die unmittelbare Folge davon ist, daß sie auch im Schlafe fortwährt, und
ich sogleich aus dem Schlafe aufgeschreckt werde, wenn ich
zufälligerweise die Lippen öffne und ein Atemzug durch den Mund
geschieht: woraus man sieht, daß der Schlaf und mit ihm der Traum, nicht
eine so gänzliche Abwesenheit von dem Zustande des Wachenden ist, daß
sich nicht auch eine Aufmerksamkeit auf seine Lage in jenem Zustande mit
einmische: wie man denn dieses auch daraus abnehmen kann, daß die,
welche sich des Abends vorher vorgenommen haben, früher als gewöhnlich
(etwa zu einer Spazierfahrt) aufzustehen, auch früher erwachen, indem
sie vermutlich durch die Stadtuhren aufgeweckt werden, die sie also auch
mitten im Schlaf haben hören und darauf acht geben müssen. -- Die
mittelbare Folge dieser löblichen Angewöhnung ist: daß das
unwillkürliche abgenötigte Husten (nicht das Aufhusten eines Schleims
als beabsichtigter Auswurf) in beiderlei Zustande verhütet und so durch
die bloße Macht des Vorsatzes eine Krankheit verhütet wird. -- -- Ich
habe sogar gefunden, daß, da mich nach ausgelöschtem Licht (und eben zu
Bette gelegt) auf einmal ein starker Durst anwandelte, den mit
Wassertrinken zu löschen ich im Finstern hätte in eine andere Stube
gehen und durch Herumtappen das Wassergeschirr suchen müssen, ich darauf
fiel, verschiedene und starke Atemzüge mit Erhebung der Brust zu thun
und gleichsam Luft durch die Nase zu trinken, wodurch der Durst in wenig
Sekunden völlig gelöscht war. Es war ein krankhafter Reiz, der durch
einen Gegenreiz gehoben ward.
Denkgeschäft -- Alter.
Krankhafte Zufälle, in Ansehung deren das Gemüt das Vermögen besitzt,
des Gefühls derselben durch den bloßen standhaften Willen des Menschen,
als einer Obermacht des vernünftigen Tieres, Meister werden zu können,
sind alle von der spastischen (krampfhaften) Art: man kann aber nicht
umgekehrt sagen, daß alle von dieser Art durch den bloßen festen Vorsatz
gehemmet oder gehoben werden können. -- Denn einige derselben sind von
der Beschaffenheit, daß die Versuche sie der Kraft des Vorsatzes zu
unterwerfen, das krampfhafte Leiden vielmehr noch verstärken: wie es der
Fall mit mir selber ist, da diejenige Krankheit, welche vor etwa einem
Jahr in der Kopenhagener Zeitung als »epidemischer, mit Kopfbedrückung
verbundener Katarrh« beschrieben wurde(13) (bei mir aber wohl ein Jahr
älter aber doch von ähnlicher Empfindung ist) mich für eigene
Kopfarbeiten gleichsam desorganisiert, wenigstens geschwächt und stumpf
gemacht hat, und, da sich diese Bedrückung auf die natürliche Schwäche
des Alters geworfen hat, wohl nicht anders als mit dem Leben zugleich
aufhören wird.
(13) Ich halte sie für eine Gicht, die sich zum Teil aufs Gehirn
geworfen hat.
Die krankhafte Beschaffenheit des Patienten, die das Denken, insofern es
ein Festhalten eines Begriffs -- der Einheit des Bewußtseins verbundener
Vorstellungen -- ist, begleitet und erschwert, bringt das Gefühl eines
spastischen Zustandes des Organs des Denkens (des Gehirns) als eines
Drucks hervor, der zwar das Denken und Nachdenken selbst ingleichen das
Gedächtnis in Ansehung des ehedem Gedachten eigentlich nicht schwächt,
aber im Vortrage (dem mündlichen oder schriftlichen) das feste
Zusammenhalten der Vorstellungen in ihrer Zeitfolge wider Zerstreuung
sichern soll, und bewirkt selbst einen unwillkürlichen spastischen
Zustand des Gehirns, als ein Unvermögen, bei dem Wechsel der aufeinander
folgenden Vorstellungen die Einheit des Bewußtseins derselben zu
erhalten. Daher begegnet es mir, daß, wenn ich, wie es in jeder Rede
jederzeit geschieht, zuerst zu dem, was ich sagen will, den Hörer oder
Leser vorbereite, ihm den Gegenstand, wohin ich gehen will, in der
Aussicht, dann ihn auch auf das, wovon ich ausgegangen bin,
zurückgewiesen habe -- ohne welche zwei Hinweisungen kein Zusammenhang
der Rede stattfindet -- und ich nun das letztere mit dem ersteren
verknüpfen soll, ich auf einmal meinen Zuhörer, oder stillschweigend
mich selbst, fragen muß: Wo war ich doch? Wovon ging ich aus? Welcher
Fehler nicht sowohl ein Fehler des Geistes, noch des Gedächtnisses
allein, sondern der Geistesgegenwart (im Verknüpfen), d. i.
unwillkürliche Zerstreuung, und ein sehr peinigender Fehler ist, dem man
zwar in Schriften -- zumal den philosophischen, weil man da nicht immer
so leicht zurücksehen kann, von wo man ausging -- mühsam vorbeugen, aber
mit aller Mühe nie völlig vergüten kann.
Mit dem Mathematiker, der seine Begriffe, oder die Stellvertreter
derselben (Größen- und Zahlenzeichen), in der Anschauung vor sich
hinstellen und, daß, soweit er gegangen ist, alles richtig sei,
versichert sein kann, ist es anders bewandt als mit dem Arbeiter im
Fache der, vornehmlich reinen, Philosophie (Logik und Metaphysik), der
seinen Gegenstand in der Luft vor sich schwebend erhalten muß, und ihn
nicht bloß teilweise, sondern jederzeit zugleich in einem Ganzen des
Systems (d. r. V.), sich darstellen und prüfen muß. Daher es eben nicht
zu verwundern ist, wenn ein Metaphysiker eher invalid wird als der
Studierende in einem anderen Fache, ingleichen als Geschäftsphilosophen;
indessen daß es doch einige derer geben muß, die sich jenem ganz widmen,
weil ohne Metaphysik überhaupt es gar keine Philosophie geben könnte.
Hieraus ist auch zu erklären, wie jemand für sein Alter gesund zu sein
sich rühmen kann, ob er zwar in Ansehung gewisser ihm obliegenden
Geschäfte sich in die Krankenliste müßte einschreiben lassen. Denn, weil
das Unvermögen zugleich den Gebrauch und mit diesem auch den Verbrauch
und die Erschöpfung der Lebenskraft abhält, und er gleichsam nur in
einer niedrigeren Stufe (als vegetierendes Wesen) zu leben gesteht,
nämlich essen, sehen und schlafen zu können, was für seine animalische
Existenz gesund, für die bürgerliche (zu öffentlichen Geschäften
verpflichtete) Existenz aber krank, d. i. invalid, heißt: so
widerspricht sich dieser Kandidat des Todes hiemit gar nicht.
Dahin führt die Kunst das menschliche Leben zu verlängern: daß man
endlich unter den Lebenden nur so geduldet wird, welches eben nicht die
ergötzlichste Lage ist(14).
(14) Dies Resultat, so wenig tröstlich es ist, ist vollkommen richtig,
sobald wir an das, was der Mensch im vollkommenen Sinn ist und sein
soll, denken. Aber selbst das Beispiel des würdigen Herrn Verfassers
gibt ja einen sprechenden Beweis, was der Mensch auch im Alter noch
für andere sein kann, wenn die Vernunft immer, wie hier, seine oberste
Gesetzgeberin war. -- Und gesetzt auch, es fehlte ganz an dieser
objektiven und bürgerlichen Existenz, sind uns nicht auch die Ruinen
eines schönen und großen Gebäudes heilig und schätzbar? dienen sie uns
nicht als Denkzeichen des Vergangenen, als Winke der Zukunft, als
Lehre und Beispiel?
H.
Hieran aber habe ich selber schuld. Denn warum will ich auch der
hinanstrebenden jüngeren Welt nicht Platz machen und um zu leben mir den
gewöhnten Genuß des Lebens schmälern: warum ein schwächliches Leben
durch Entsagungen in ungewöhnliche Länge ziehen, die Sterbelisten, in
denen doch auf den Zuschnitt der von Natur schwächeren und ihre
mutmaßliche Lebensdauer mit gerechnet ist, durch mein Beispiel in
Verwirrung bringen, und das alles, was man sonst Schicksal nannte (dem
man sich demütig und andächtig unterwarf), dem eigenen festen Vorsatze
unterwerfen; welcher doch schwerlich zur allgemeinen diätetischen Regel,
nach welcher die Vernunft unmittelbar Heilkraft ausübt, aufgenommen
werden und die therapeutische Formeln der Offizin jemals verdrängen
wird?
Nachschrift.
Vorsorge für die Augen von seiten der Buchdrucker und Verleger.
Den Verfasser der Kunst das menschliche (auch besonders das
litterarische) Leben zu verlängern, darf ich also dazu wohl auffordern,
daß er wohlwollend auch darauf bedacht sei, die Augen der Leser --
vornehmlich der jetzt großen Zahl der Leserinnen, die den Übelstand der
Brille noch härter fühlen dürften -- in Schutz zu nehmen: auf welche
jetzt aus elender Ziererei der Buchdrucker (denn Buchstaben haben doch
als Malerei schlechterdings nichts Schönes an sich), von allen Seiten
Jagd gemacht wird; damit nicht so, wie in Marokko, durch weiße
Übertünchung aller Häuser ein großer Teil der Einwohner der Stadt blind
ist, dieses Übel aus ähnlicher Ursache auch bei uns einreiße, vielmehr
die Buchdrucker desfalls unter Polizeigesetze gebracht werden. -- Die
jetzige Mode will es dagegen anders, nämlich:
1) Nicht mit schwarzer, sondern grauer Tinte (weil es sanfter und
lieblicher auf schönem weißen Papier absteche), zu drucken.
2) Mit Didotschen Lettern, von schmalen Füßen, nicht mit Breitkopfschen,
die ihrem Namen Buchstaben (gleichsam bücherner Stäbe zum Feststehen)
besser entsprechen würden.
3) Mit lateinischer (wohl gar Kursiv) Schrift ein Werk deutschen
Inhalts, von welcher Breitkopf mit Grunde sagte, daß niemand das Lesen
derselben für seine Augen so lange aushalte, als mit der deutschen.
4) Mit so kleiner Schrift als nur möglich, damit für die unten etwa
beizufügenden Noten noch kleinere (dem Auge noch knapper angemessene)
leserlich bleibe(15).
(15) Ich stimme in diese Klage des verehrten Verfassers (mit Ausnahme
des grauen Papiers, woran es unsere Herren Verleger so schon nicht
fehlen lassen) ganz mit ein, und bin überzeugt, daß der größte Teil
der jetzt so auffallend läufiger werdenden Augenschwächen schon an und
für sich in dem weit häufigern Lesen -- besonders dem geschwind Lesen,
was jetzt wegen der weit häufigern Zeitungen, Journale, und
Flugschriften weit gewöhnlicher ist und die Augen unglaublich angreift
-- zu suchen sei und dadurch auch unbeschreiblich vermehrt wird, daß
man beim Druck die Rücksicht auf die Augen immer mehr vernachlässigt,
da sie vielmehr, weil nun einmal das Lesen zum allgemeinen Bedürfnis
geworden ist, vermehrt werden sollte.
Auch ich glaube, daß dabei die den Augen nachteiligsten Fehler dadurch
begangen werden, wenn man auf nicht weißes Papier, mit grauer
Schwärze, mit zu kleinen, oder mit zu zarten, zu wenig Körper
habenden, Lettern druckt; und ich mache es daher jedem Autor, Verleger
und Drucker zur heiligen Pflicht, das Augenwohl ihrer Leser künftig
besser zu bedenken. Besonders ist die blasse Farbe der Buchstaben
äußerst nachteilig, und es ist unverzeihlich, daß es Drucker so häufig
aus elender Gewinnsucht oder Bequemlichkeit darinnen fehlen lassen.
Je größer der Abstand der Buchstabenfarbe von der Farbe des Papiers
ist, desto leichter faßt das Auge das Bild, und desto weniger greift
dieses Auffassen, das Lesen, die Augen an. -- Also recht weißes Papier
und recht schwarze Buchstaben sind es, worum ich die deutschen Herrn
Buchhändler und Buchdrucker im Namen des lesenden Publikums recht
angelegentlich bitte. -- Mögen sie es zur Ehre der deutschen Nation
thun, denn wie schön zeichnen sich darin die ausländischen Drucke
gegen die meisten deutschen aus! Mögen sie es zu Bewahrung ihres
Gewissens thun, denn sie versündigen sich in der That, indem sie
unbewußt Ursache der überhandnehmenden Augenschwäche und Blindheit
werden!
Was aber die lateinischen Lettern als Augenverderber betrifft, so
bitte ich um Erlaubnis, darin andrer Meinung zu sein, und zwar aus
folgenden Gründen:
1) Daß diese Lettern an und für sich den Augen nicht nachteiliger
sind, als unsre deutschen, erhellt daraus, weil sonst in England,
Frankreich und andern Ländern, wo man sich ihrer bedient, die
Augenfehler häufiger sein müßten, als bei uns, welches aber nicht der
Fall ist.
2) Wenn sie also einen Deutschen, der gewohnt ist deutsch zu lesen,
etwas mehr anzugreifen scheinen, so liegt die Ursache bloß darin, weil
er sie nicht gewohnt ist, und das Angreifende verliert sich, sobald er
sich daran gewöhnt hat, und fällt ganz weg, wenn wir gleich von Jugend
auf an diese Lettern gewöhnt werden.
3) Daß diese Lettern, wenn sie klein oder zu mager sind, die Augen
angreifen, ist wahr, aber dasselbe gilt auch von den deutschen, und
ich halte es daher für äußerst nötig, bei der lateinischen Schrift
größere oder fettere Typen zu nehmen; welches auch der einzige Grund
war, warum ich sie bei der Makrobiotik von dieser Beschaffenheit
wählete, ohnerachtet man hie und da darin einen Grund zum Tadel
gefunden hat, -- ein Beweis, daß man gerade dann, wenn man fürs
Publikum sorgt, oft am meisten verkannt werden kann.
Ich finde also keinen medizinischen Gegengrund, der mich von ihrem
Gebrauch abhalten sollte; vieles aber, was mir ihren Gebrauch anriet
und mich dahin gebracht hat, sie häufig zu wählen. Zuerst nämlich
glaube ich, daß unsere Litteratur und Sprache dann ungleich mehr
Eingang in andre Länder finden wird, wenn wir lateinisch drucken, denn
viele Ausländer schreckt schon das Fremde und Unverständliche der
Typen ab, und man wird sich gewiß schwerer zu Erlernung einer Sprache
entschließen, wenn man selbst erst die Form der Lettern studieren muß.
Ich glaube daher, es würde ungemein viel zur litterarischen Verbindung
Europens und zur Beförderung der allgemeinen Gelehrtenrepublik
beitragen, wenn wir uns endlich eben der Typen bedienten, die die
aufgeklärtesten Nationen angenommen haben, und ich glaube, es muß am
Ende dahin kommen. England, selbst Italien, bedienten sich ja noch bis
zu Anfang dieses Jahrhunderts unserer Mönchsschrift und haben sie
dennoch ganz verlassen, welches zugleich beweist, daß wir nicht einmal
deutsche Originalität daran finden können. -- Dazu kommt nun noch der
Grund, daß bei scientifischen, besonders medizinischen, Büchern, wo
viel lateinische _Termini technici_ vorkommen, ein großer Übelstand
fürs Auge entsteht, wenn die deutsche Schrift alle Augenblicke durch
lateinische unterbrochen wird, oder dadurch ein noch schlimmeres Übel
bewirkt wird, daß man diese _Termini technici_ ins Deutsche übersetzt,
wodurch sie nun vollends den Ausländern ganz, und selbst den Deutschen
aus einer andern Provinz zum Teil, unverständlich werden, und sie
wirklich den Vorzug verlieren, _Termini technici_ zu sein.
Ich gebe zu, daß manche ungeübte Leser für jetzt lateinische Lettern
ungern, ja wohl gar nicht lesen; dies gilt aber nicht von
scientifischen Schriften. Man mag also bei Schriften für die niedern
Klassen noch deutsche Lettern gebrauchen, bei allen gebildeten Ständen
beiderlei Geschlechts ist das aber schon jetzt nicht mehr nötig.
H.
Diesem Unwesen zu steuern, schlage ich vor, den Druck der Berliner
Monatsschrift (nach Text und Noten) zum Muster zu nehmen; denn man mag,
welches Stück man will, in die Hand nehmen, so wird man die durch obige
Leserei angegriffenen Augen durch Ansicht des letzteren merklich
gestärkt fühlen(16).
(16) Unter den krankhaften Zufällen der Augen (nicht eigentlichen
Augenkrankheiten) habe ich die Erfahrung von einem, der mir zuerst in
meinen vierziger Jahren einmal, späterhin, mit Zwischenräumen von
einigen Jahren, dann und wann, jetzt aber in einem Jahre etlichemal
begegnet ist, gemacht; wo das Phänomen darin besteht: daß auf dem
Blatt, welches ich lese, auf einmal alle Buchstaben verwirrt und durch
eine gewisse über dasselbe verbreitete Helligkeit vermischt und ganz
unleserlich werden: ein Zustand, der nicht über 6 Minuten dauert, der
einem Prediger, welcher seine Predigt vom Blatte zu lesen gewohnt ist,
sehr gefährlich sein dürfte, von mir aber in meinem Auditorium der
Logik oder Metaphysik, wo nach gehöriger Vorbereitung im freien
Vortrage (aus dem Kopfe) geredet werden kann, nichts als die Besorgnis
entsprang, es möchte dieser Zufall der Vorbote vom Erblinden sein;
worüber ich gleichwohl jetzt beruhigt bin: da ich bei diesem jetzt
öfterer als sonst sich ereignenden Zufalle an meinem einen gesunden
Auge (denn das linke hat das Sehen seit etwa 5 Jahren verloren) nicht
den mindesten Abgang an Klarheit verspüre. -- Zufälligerweise kam ich
darauf, wenn sich jenes Phänomen ereignete, meine Augen zu schließen,
ja um noch besser das äußere Licht abzuhalten, meine Hand darüber zu
legen, und dann sahe ich eine hellweiße wie mit Phosphor im Finstern
auf einem Blatt verzeichnete Figur, ähnlich der, wie das letzte
Viertel im Kalender vorgestellt wird, doch mit einem auf der konvexen
Seite ausgezackten Rande, welche allmählich an Helligkeit verlor und
in obbenannter Zeit verschwand. -- Ich möchte wohl wissen: ob diese
Beobachtung auch von andern gemacht und wie diese Erscheinung, die
wohl eigentlich nicht in den Augen, -- als bei deren Bewegung dies
Bild nicht zugleich mit bewegt, sondern immer an derselben Stelle
gesehn wird -- sondern im _Sensorium commune_ ihren Sitz haben dürfte,
zu erklären sei(17). Zugleich ist es seltsam, daß man ein Auge
(innerhalb einer Zeit, die ich etwa auf 3 Jahre schätze) einbüßen
kann, ohne es zu vermissen.
(17) Dieser Fehler des Sehens kommt allerdings mehr vor, und gehört
unter die allgemeine Rubrik: _Visus confusus s. perversus_, weil er
noch eben keinen Mangel der Sehkraft, sondern nur eine Abalienation
derselben beweist. Ich selbst habe es zuweilen periodisch gehabt, und
der vom Hrn. Hofr. Herz im Journal d. pr. Heilk. beschriebne falsche
Schwindel hat viel Ähnliches. Mehrenteils ist eine vorübergehende
Reizung die Ursache, z. B. Blutreiz, Gichtreiz, gastrische Reize, oder
auch Schwäche.
H.
Inhalt.
Seite
Einleitung 7
Grundsatz der Diätetik 11
Von der Hypochondrie 14
Vom Schlafe 16
Vom Essen und Trinken 19
Von dem krankhaften Gefühl aus der Unzeit im Denken 21
Von der Hebung und Verhütung krankhafter Gefühle durch
den Vorsatz im Atemziehen 22
Von den Folgen dieser Angewohnheit des Atemziehens mit
geschlossenen Lippen 24
Denkgeschäft -- Alter 25
Nachschrift. -- Vorsorge für die Augen von seiten der
Buchdrucker und Verleger 27
Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig.
[ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
steht.
H
H. [Fußnote 1]
Die Schwäche, sich seinen krankhaften Gefühlen überhaupt, ohne eine
Die Schwäche, sich seinen krankhaften Gefühlen überhaupt, ohne ein
topisch ist) an ihrer Stelle liegen (als ob sie ihm nichts anginge) und
topisch ist) an ihrer Stelle liegen (als ob sie ihn nichts anginge) und
H
H. [Fußnote 8]
siegte über den Leib, und die Gesundheit war wiederhergestellt
siegte über den Leib, und die Gesundheit war wiederhergestellt.
eingeladen war Hier überließ ich mich einige Stunden ganz der Freude
eingeladen war. Hier überließ ich mich einige Stunden ganz der Freude
Im gesunden Zustande und des Jugend ist es das Geratenste in Ansehung
Im gesunden Zustande und der Jugend ist es das Geratenste in Ansehung
und recht schwarze Buchstaben sind es, warum ich die deutschen Herrn
und recht schwarze Buchstaben sind es, worum ich die deutschen Herrn
entschließen, wenn man selbst erst die Form der Lettern studieren muß
entschließen, wenn man selbst erst die Form der Lettern studieren muß.
Schwindel hat viel Ähnliches Mehrenteils ist eine vorübergehende
Schwindel hat viel Ähnliches. Mehrenteils ist eine vorübergehende
]
End of the Project Gutenberg EBook of Von der Macht des Gemüts, durch den
bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein, by Immanuel Kant
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Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein
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Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein, by Immanuel Kant
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— End of Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein —
Book Information
- Title
- Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein
- Author(s)
- Kant, Immanuel
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- December 13, 2011
- Word Count
- 14,409 words
- Library of Congress Classification
- RZ
- Bookshelves
- DE Sachbuch, Browsing: Health & Medicine, Browsing: Psychiatry/Psychology
- Rights
- Public domain in the USA.
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