The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 8 by Theodor Mommsen
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Title: Römische Geschichte Book 8
Author: Theodor Mommsen
Release Date: February, 2002 [Etext #3065]
[Most recently updated: January 15, 2020]
Language: German
Character set encoding: UTF-8
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
Römische Geschichte
Achtes Buch
Länder und Leute von Caesar bis Diocletian
von Theodor Mommsen
The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
words, nor is there any differentiation between the different accents of
ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
Contents
Vorrede
Achtes Buch—Länder und Leute von Caesar bis Diocletian
Einleitung
KAPITEL I. Die Nordgrenze Italiens
KAPITEL II. Spanien
KAPITEL III. Die gallischen Provinzen
KAPITEL IV. Das römische Germanien und die freien Germanen
KAPITEL V. Britannien
KAPITEL VI. Die Donauländer und die Kriege an der Donau
KAPITEL VII. Das griechische Europa
KAPITEL VIII. Kleinasien
KAPITEL IX. Die Euphratgrenze und die Parther
KAPITEL X. Syrien und das Nabatäerland
KAPITEL XI. Judäa und die Juden
KAPITEL XII. Ägypten
Vorrede
Der Wunsch, daß die ‘Römische Geschichte’ fortgesetzt werden möge, ist
mir öfter geäußert worden, und er trifft mit meinem eigenen zusammen,
so schwer es auch ist, nach dreißig Jahren den Faden da wieder
aufzunehmen, wo ich ihn fallen lassen mußte. Wenn er nicht unmittelbar
anknüpft, so ist daran wenig gelegen; ein Fragment würde der vierte
Band ohne den fünften ebenso sein, wie es der fünfte jetzt ist ohne den
vierten. Überdies meine ich, daß die beiden zwischen diesem und den
früheren fehlenden Bücher für das gebildete Publikum, dessen
Verständnis des römischen Altertums zu fördern diese Geschichte
bestimmt ist, eher durch andere Werke vertreten werden können als das
vorliegende. Der Kampf der Republikaner gegen die durch Caesar
errichtete Monarchie und deren definitive Feststellung, welche in dem
Sechsten Buch erzählt werden sollen, sind so gut aus dem Altertum
überliefert, daß jede Darstellung wesentlich auf eine Nacherzählung
hinausläuft. Das monarchische Regiment in seiner Eigenart und die
Fluktuationen der Monarchie sowie die durch die Persönlichkeit der
einzelnen Herrscher bedingten allgemeinen Regierungsverhältnisse, denen
das Siebente Buch bestimmt ist, sind wenigstens oftmals zum Gegenstand
der Darstellung gemacht worden. Was hier gegeben wird, die Geschichte
der einzelnen Landesteile von Caesar bis auf Diocletian, liegt, wenn
ich nicht irre, dem Publikum, an das dieses Werk sich wendet, in
zugänglicher Zusammenfassung nirgends vor, und daß dies nicht der Fall
ist, scheint mir die Ursache zu sein, weshalb dasselbe die römische
Kaiserzeit häufig unrichtig und unbillig beurteilt. Freilich kann diese
meines Erachtens für das richtige Verständnis der Geschichte der
römischen Kaiserzeit vorbedingende Trennung dieser Spezialgeschichten
von der allgemeinen des Reiches für manche Abschnitte, insbesondere für
die Epoche von Gallienus bis auf Diocletian, wieder nicht vollständig
durchgeführt werden und hat hier die noch ausstehende allgemeine
Darstellung ergänzend einzutreten.
Wenn überhaupt ein Geschichtswerk in den meisten Fällen nur mit und
durch die Landkarte anschaulich wird, so gilt dies von dieser
Darstellung des Reiches der drei Erdteile nach seinen Provinzen in
besonderem Grade, während hierfür genügende Karten nur in den Händen
weniger Leser sein können. Dieselben werden also mit mir meinem Freunde
Kiepert es danken, daß er, in der Weise und in der Begrenzung, wie der
Inhalt dieses Bandes es an die Hand gab, demselben zunächst ein
allgemeines Übersichtsblatt, das außerdem mehrfach für die
Spezialkarten ergänzend eintritt, und weiter Spezialkarten der
einzelnen Reichsteile hinzugefügt hat …
Berlin, im Februar 1885
Einige Versehen, auf die ich aufmerksam gemacht worden bin und die in
den Platten sich beseitigen ließen, sind bei dem dritten Abzuge
verbessert worden, der vierte ist ein unveränderter Abdruck des
vorigen.
Februar 1886; September 1894
Achtes Buch
Länder und Leute von Caesar bis Diocletian
Gehe durch die Welt und sprich mit jedem.
Firdusí
Einleitung
Die Geschichte der römischen Kaiserzeit stellt ähnliche Probleme wie
diejenige der früheren Republik.
Was aus der literarischen Überlieferung unmittelbar entnommen werden
kann, ist nicht bloß ohne Farbe und Gestalt, sondern in der Tat
meistens ohne Inhalt. Das Verzeichnis der römischen Monarchen ist
ungefähr ebenso glaubwürdig wie das der Konsuln der Republik und
ungefähr ebenso instruktiv. Die den ganzen Staat erschütternden großen
Krisen sind in ihren Umrissen erkennbar; viel besser aber als über die
Samnitenkriege sind wir auch nicht unterrichtet über die germanischen
unter den Kaisern Augustus und Marcus. Der republikanische
Anekdotenschatz ist sehr viel ehrbarer als der gleiche der Kaiserzeit;
aber die Erzählungen von Fabricius und die vom Kaiser Gaius sind
ziemlich gleich flach und gleich verlogen. Die innerliche Entwicklung
des Gemeinwesens liegt vielleicht für die frühere Republik in der
Überlieferung vollständiger vor als für die Kaiserzeit; dort bewahrt
sie eine, wenn auch getrübte und verfälschte Schilderung der
schließlich wenigstens auf dem Markte Roms endigenden Wandlungen der
staatlichen Ordnung; hier vollzieht sich diese im kaiserlichen Kabinett
und gelangt in der Regel nur mit ihren Gleichgültigkeiten in die
Öffentlichkeit. Dazu kommt die ungeheure Ausdehnung des Kreises und die
Verschiebung der lebendigen Entwicklung vom Zentrum in die Peripherie.
Die Geschichte der Stadt Rom hat sich zu der des Landes Italien, diese
zu der der Welt des Mittelmeers erweitert, und worauf es am meisten
ankommt, davon erfahren wir am wenigsten. Der römische Staat dieser
Epoche gleicht einem gewaltigen Baum, um dessen im Absterben
begriffenen Hauptstamm mächtige Nebentriebe rings emporstreben. Der
römische Senat und die römischen Herrscher entstammen bald jedem
anderen Reichsland ebensosehr wie Italien; die Quiriten dieser Epoche,
welche die nominellen Erben der weltbezwingenden Legionäre geworden
sind, haben zu den großen Erinnerungen der Vorzeit ungefähr dasselbe
Verhältnis wie unsere Johanniter zu Rhodos und Malta und betrachten
ihre Erbschaft als ein nutzbares Recht, als stiftungsmäßige Versorgung
arbeitsscheuer Armer. Wer an die sogenannten Quellen dieser Epoche,
auch die besseren, geht, bemeistert schwer den Unwillen über das Sagen
dessen, was verschwiegen zu werden verdiente, und das Verschweigen
dessen, was notwendig war zu sagen. Denn groß Gedachtes und weithin
Wirkendes ist auch in dieser Epoche geschaffen worden; die Führung des
Weltregiments ist selten so lange in geordneter Folge verblieben, und
die festen Verwaltungsnormen, wie sie Caesar und Augustus ihren
Nachfolgern vorzeichneten, haben sich im ganzen mit merkwürdiger
Festigkeit behauptet, trotz allem Wechsel der Dynastien und der
Dynasten, welcher in der nur darauf blickenden und bald zu
Kaiserbiographien zusammenschwindenden Überlieferung mehr als billig im
Vordergrunde steht. Die scharfen Abschnitte, welche in der
landläufigen, durch jene Oberflächlichkeit der Grundlage geirrten
Auffassung die Regierungswechsel machen, gehören weit mehr dem
Hoftreiben an als der Reichsgeschichte. Das eben ist das Großartige
dieser Jahrhunderte, daß das einmal angelegte Werk, die Durchführung
der lateinisch-griechischen Zivilisierung in der Form der Ausbildung
der städtischen Gemeindeverfassung, die allmähliche Einziehung der
barbarischen oder doch fremdartigen Elemente in diesen Kreis, eine
Arbeit, welche ihrem Wesen nach Jahrhunderte stetiger Tätigkeit und
ruhiger Selbstentwicklung erforderte, diese lange Frist und diesen
Frieden zu Lande und zur See gefunden hat. Das Greisenalter vermag
nicht neue Gedanken und schöpferische Tätigkeit zu entwickeln, und das
hat auch das römische Kaiserregiment nicht getan; aber es hat in seinem
Kreise, den die, welche ihm angehörten, nicht mit Unrecht als die Welt
empfanden, den Frieden und das Gedeihen der vielen vereinigten Nationen
länger und vollständiger gehegt, als es irgendeiner anderen Vormacht je
gelungen ist. In den Ackerstädten Afrikas, in den Winzerheimstätten an
der Mosel, in den blühenden Ortschaften der lykischen Gebirge und des
syrischen Wüstenrandes ist die Arbeit der Kaiserzeit zu suchen und auch
zu finden. Noch heute gibt es manche Landschaft des Orients wie des
Okzidents, für welche die Kaiserzeit den an sich sehr bescheidenen,
aber doch vorher wie nachher nie erreichten Höhepunkt des guten
Regiments bezeichnet; und wenn einmal ein Engel des Herrn die Bilanz
aufmachen sollte, ob das von Severus Antoninus beherrschte Gebiet
damals oder heute mit größerem Verstande und mit größerer Humanität
regiert worden ist, ob Gesittung und Völkerglück im allgemeinen seitdem
vorwärts- oder zurückgegangen sind, so ist es sehr zweifelhaft, ob der
Spruch zu Gunsten der Gegenwart ausfallen würde. Aber wenn wir finden,
daß dieses also war, so fragen wir die Bücher, die uns geblieben sind,
meistens umsonst, wie dieses also geworden ist. Sie geben darauf
sowenig eine Antwort, wie die Überlieferung der früheren Republik die
gewaltige Erscheinung des Rom erklärt, welches in Alexanders Spuren die
Welt unterwarf und zivilisierte.
Ausfüllen läßt sich die eine Lücke sowenig wie die andere. Aber es
schien des Versuches wert, einmal abzusehen sowohl von den
Regentenschilderungen mit ihren bald grellen, bald blassen und nur zu
oft gefälschten Farben wie auch von dem scheinhaft chronologischen
Aneinanderreihen nicht zusammenpassender Fragmente, und dafür zu
sammeln und zu ordnen, was für die Darstellung des römischen
Provinzialregiments die Überlieferung und die Denkmäler bieten, der
Mühe wert, durch diese oder durch jene zufällig erhaltene Nachrichten,
in dem Gewordenen aufbewahrte Spuren des Werdens, allgemeine
Institutionen in ihrer Beziehung auf die einzelnen Landesteile, mit den
für jeder. derselben, durch die Natur des Bodens und der Bewohner
gegebenen Bedingungen, durch die Phantasie, welche wie aller Poesie so
auch aller Historie Mutter ist, nicht zu einem Ganzen, aber zu dem
Surrogat eines solchen zusammenzufassen. Aber die Epoche Diocletians
habe ich dabei nicht hinausgehen wollen, weil das neue Regiment,
welches damals geschaffen wurde, höchstens im zusammenfassenden
Ausblick den Schlußstein dieser Erzählung bilden kann; seine volle
Würdigung verlangt eine besondere Erzählung und einen anderen
Weltrahmen, ein bei schärferem Verständnis des Einzelnen in dem großen
Sinn und mit dem weiten Blick Gibbons durchgeführtes selbständiges
Geschichtswerk. Italien und seine Inseln sind ausgeschlossen worden, da
diese Darstellung von der des allgemeinen Reichsregiments nicht
getrennt werden kann. Die sogenannte äußere Geschichte der Kaiserzeit
ist aufgenommen als integrierender Teil der Provinzialverwaltung; was
wir Reichskriege nennen würden, sind gegen das Ausland unter der
Kaiserzeit nicht geführt worden, wenngleich die durch die Arrondierung
oder Verteidigung der Grenzen hervorgerufenen Kämpfe einige Male
Verhältnisse annahmen, daß sie als Kriege zwischen zwei gleichartigen
Mächten erscheinen, und der Zusammensturz der römischen Herrschaft in
der Mitte des dritten Jahrhunderts, welcher einige Dezennien hindurch
ihr definitives Ende werden zu sollen schien, aus der an mehreren
Stellen gleichzeitig unglücklich geführten Grenzverteidigung sich
entwickelte. Die große Vorschiebung und Regulierung der Nordgrenze, wie
sie unter Augustus teilweise ausgeführt ward, teilweise mißlang, leitet
die Erzählung ein. Auch sonst sind die Ereignisse auf einem jeden der
drei hauptsächlichsten Schauplätze der Grenzverteidigung, des Rheins,
der Donau, des Euphrat, zusammengefaßt worden. Im übrigen ist die
Darstellung nach den Landschaften geordnet. Im einzelnen fesselndes
Detail, Stimmungsschilderungen und Charakterköpfe hat sie nicht zu
bieten; es ist dem Künstler, aber nicht dem Geschichtschreiber erlaubt,
das Antlitz des Arminius zu erfinden. Mit Entsagung ist dies Buch
geschrieben und mit Entsagung möchte es gelesen sein.
KAPITEL I.
Die Nordgrenze Italiens
Die römische Republik hat ihr Gebiet hauptsächlich auf den Seewegen
gegen Westen, Süden und Osten erweitert; nach derjenigen Richtung hin,
in welcher Italien und die von ihm abhängigen beiden Halbinseln im
Westen und im Osten mit dem großen Kontinent Europas zusammenhängen,
war dies wenig geschehen. Das Hinterland Makedoniens gehorchte den
Römern nicht und nicht einmal der nördliche Abhang der Alpen; nur das
Hinterland der gallischen Südküste war durch Caesar zum Reiche
gekommen. Bei der Stellung, die das Reich im allgemeinen einnahm,
durfte dies so nicht bleiben; die Beseitigung des trägen und unsicheren
Regiments der Aristokratie mußte vor allem an dieser Stelle sich
geltend machen. Nicht so geradezu wie die Eroberung Britanniens hatte
Caesar die Ausdehnung des römischen Gebiets am Nordabhang der Alpen und
am rechten Ufer des Rheins den Erben seiner Machtstellung aufgetragen;
aber der Sache nach war die letztere Grenzerweiterung bei weitem näher
gelegt und notwendiger als die Unterwerfung der überseeischen Kelten,
und man versteht es, daß Augustus diese unterließ und jene aufnahm.
Dieselbe zerfiel in drei große Abschnitte: die Operationen an der
Nordgrenze der griechisch-makedonischen Halbinsel im Gebiet der
mittleren und unteren Donau, in Illyricum; die an der Nordgrenze
Italiens selbst, im oberen Donaugebiet, in Rätien und Noricum; endlich
die am rechten Rheinufer, in Germanien. Meistens selbständig geführt,
hängen die militärisch-politischen Vornahmen in diesen Gebieten doch
innerlich zusammen, und wie sie sämtlich aus der freien Initiative der
römischen Regierung hervorgegangen sind, können sie auch in ihrem
Gelingen wie in ihrem teilweisen Mißlingen nur in ihrer Gesamtheit
militärisch und politisch verstanden werden. Sie werden darum auch mehr
im örtlichen als wie zeitlichen Zusammenhang dargelegt werden; das
Gebäude, von dem sie doch nur Teile sind, wird besser in seiner inneren
Geschlossenheit als in der Zeitfolge der Bauten betrachtet.
Das Vorspiel zu dieser großen Gesamtaktion machen die Einrichtungen,
welche Caesar der Sohn, so wie er in Italien und Sizilien freie Hand
gewonnen hatte, an den oberen Küsten des Adriatischen Meeres und im
angrenzenden Binnenland vornahm. In den hundertundfünfzig Jahren, die
seit der Gründung Aquileias verflossen waren, hatte wohl der römische
Kaufmann von dort aus sich des Verkehrs mehr und mehr bemächtigt, aber
der Staat unmittelbar nur geringe Fortschritte gemacht. An den
Haupthäfen der dalmatinischen Küste, ebenso auf der von Aquileia in das
Savetal führenden Straße bei Nauportus (Ober-Laibach) hatten sich
ansehnliche Handelsniederlassungen gebildet; Dalmatien, Bosnien,
Istrien und die Krain galten als römisches Gebiet und wenigstens das
Küstenland war in der Tat botmäßig; aber die rechtliche Städtegründung
stand noch ebenso aus wie die Bändigung des unwirtlichen Binnenlandes.
Hier aber kam noch ein anderes Moment hinzu. In dem Kriege zwischen
Caesar und Pompeius hatten die einheimischen Dalmater ebenso
entschieden für den letzteren Partei ergriffen wie die dort ansässigen
Römer für Caesar; auch nach der Niederlage des Pompeius bei Pharsalos
und nach der Verdrängung der Pompeianischen Flotte aus den illyrischen
Gewässern setzten die Eingeborenen den Widerstand energisch und
erfolgreich fort. Der tapfere und fähige Publius Vatinius, der früher
in diese Kämpfe mit großem Erfolg eingegriffen hatte, wurde mit einem
starken Heere nach Illyricum gesandt, wie es scheint in dem Jahre vor
Caesars Tode und nur als Vorhut des Hauptheeres, mit welchem der
Diktator selbst nachfolgend die eben damals mächtig emporstrebenden
Daker niederzuwerfen und die Verhältnisse im ganzen Donaugebiet zu
ordnen beabsichtigte. Diesen Plan schnitten die Dolche der Mörder ab;
man mußte sich glücklich schätzen, daß die Daker nicht ihrerseits in
Makedonien eindrangen, und Vatinius selbst focht gegen die Dalmater
unglücklich und mit starken Verlusten. Als dann die Republikaner im
Osten rüsteten, ging das illyrische Heer in das des Brutus über und die
Dalmatiner blieben längere Zeit unangefochten. Nach der Niederwerfung
der Republikaner ließ Antonius, dem bei der Teilung des Reiches
Makedonien zugefallen war, im Jahre 715 (39) die unbotmäßigen Dardaner
im Nordwesten und die Parthiner an der Küste (östlich von Durazzo) zu
Paaren treiben, wobei der berühmte Redner Gaius Asinius Pollio die
Ehren des Triumphes gewann. In Illyricum, welches unter Caesar stand,
konnte nichts geschehen, solange dieser seine ganze Macht auf den
sizilischen Krieg gegen Sextus Pompeius wenden mußte; aber nach dessen
glücklicher Beendigung warf Caesar selbst sich mit aller Kraft auf
diese Aufgabe. Die kleinen Völkerschaften von Doclea (Cernagora) bis zu
den Japuden (bei Fiume) wurden in dem ersten Feldzug (719 35) zur
Botmäßigkeit zurückgebracht oder jetzt zuerst gebändigt. Es war kein
großer Krieg mit namhaften Feldschlachten, aber die Gebirgskämpfe gegen
die tapferen und verzweifelnden Stämme und das Brechen der festen, zum
Teil mit römischen Maschinen ausgerüsteten Burgen waren keine leichte
Aufgabe; in keinem seiner Kriege hat Caesar in gleichem Grade eigene
Energie und persönliche Tapferkeit entwickelt. Nach der mühsamen
Unterwerfung des Japudengebiets marschierte er noch in demselben Jahre
im Tal der Kulpa aufwärts zu deren Mündung in die Save; die dort
gelegene feste Ortschaft Siscia (Sziszek), der Hauptwaffenplatz der
Pannonier, gegen den bisher die Römer noch nie mit Erfolg vorgegangen
waren, ward jetzt besetzt und zum Stützpunkt bestimmt für den Krieg
gegen die Daker, den Caesar demnächst aufzunehmen gedachte. In den
beiden folgenden Jahren (720, 721 34, 33) wurden die Dalmater, die seit
einer Reihe von Jahren gegen die Römer in Waffen standen, nach dem Fall
ihrer Feste Promona (Promina bei Dernis, oberhalb Sebenico) zur
Unterwerfung gezwungen. Wichtiger aber als diese Kriegserfolge war das
Friedenswerk, das zugleich sich vollzog und zu dessen Sicherung sie
dienen sollten. Ohne Zweifel in diesen Jahren erhielten die Hafenplätze
an der istrischen und dalmatinischen Küste, soweit sie in dem
Machtbereich Caesars lagen, Tergeste (Triest), Pola, Iader (Zara),
Salome (bei Spalato), Narona (an der Narentamündung), nicht minder
jenseits der Alpen, auf der Straße von Aquileia über die Julische Alpe
zur Save, Emona (Laibach), durch den zweiten Julier zum Teil städtische
Mauern, sämtlich städtisches Recht. Die Plätze selbst bestanden wohl
alle schon längst als römische Flecken; aber es war immer von
wesentlicher Bedeutung, daß sie jetzt unter die italischen Gemeinden
gleichberechtigt eingereiht wurden.
Der Dakerkrieg sollte folgen; aber der Bürgerkrieg ging zum zweitenmal
ihm vor. Statt nach Illyricum rief er den Herrscher in den Osten; und
der große Entscheidungskampf zwischen Caesar und Antonius warf seine
Wellen bis in das ferne Donaugebiet. Das durch den König Burebista
geeinigte und gereinigte Volk der Daker, jetzt unter dem König Cotiso,
sah sich von beiden Gegnern umworben - Caesar wurde sogar beschuldigt,
des Königs Tochter zur Ehe begehrt und ihm dagegen die Hand seiner
fünfjährigen Tochter Julia angetragen zu haben. Daß der Daker im
Hinblick auf die von dem Vater geplante, von dem Sohn durch die
Befestigung Siscias eingeleitete Invasion sich auf Antonius’ Seite
schlug, ist begreiflich; und hätte er ausgeführt, was man in Rom
besorgte, wäre er, während Caesar im Osten focht, vom Norden her in das
wehrlose Italien eingedrungen, oder hätte Antonius nach dem Vorschlag
der Daker die Entscheidung statt in Epirus vielmehr in Makedonien
gesucht und dort die dakischen Scharen an sich gezogen, so wären die
Würfel des Kriegsglücks vielleicht anders gefallen. Aber weder das eine
noch das andere geschah; zudem brach eben damals der durch Burebistas
kräftige Hand geschaffene Dakerstaat wieder auseinander; die inneren
Unruhen, vielleicht auch von Norden her die Angriffe der germanischen
Bastarner und der späterhin Dakien nach allen Richtungen umklammernden
sarmatischen Stämme, verhinderten die Daker, in den auch über ihre
Zukunft entscheidenden römischen Bürgerkrieg einzugreifen.
Unmittelbar nachdem die Entscheidung in diesem gefallen war, wandte
sich Caesar zu der Regulierung der Verhältnisse an der unteren Donau.
Indes da teils die Daker selbst nicht mehr so wie früher zu fürchten
waren, teils Caesar jetzt nicht mehr bloß über Illyricum, sondern über
die ganze griechisch-makedonische Halbinsel gebot, wurde zunächst diese
die Basis der römischen Operationen. Vergegenwärtigen wir uns die
Völker und die Herrschaftsverhältnisse; die Augustus dort vorfand.
Makedonien war seit Jahrhunderten römische Provinz. Als solche reichte
es nicht hinaus nördlich über Stobi und östlich über das
Rhodopegebirge; aber der Machtbereich Roms erstreckte sich weit über
die eigentliche Landesgrenze, obwohl in schwankendem Umfang und ohne
feste Form. Ungefähr scheinen die Römer damals bis zum Haemus (Balkan)
die Vormacht gehabt zu haben, während das Gebiet jenseits des Balkan
bis zur Donau wohl einmal von römischen Truppen betreten, aber
keineswegs von Rom abhängig war ^1. Jenseits des Rhodopegebirges waren
die Makedonien benachbarten thrakischen Dynasten, namentlich die der
Odrysen, denen der größte Teil der Südküste und ein Teil der Küste des
Schwarzen Meeres botmäßig war, durch die Expedition des Lucullus unter
römische Schutzherrschaft gekommen, während die Bewohner der mehr
binnenländischen Gebiete, namentlich die Besser an der oberen Mariza
Untertanen wohl hießen, aber nicht waren und ihre Einfälle in das
befriedete Gebiet sowie die Vergeltungszüge in das ihrige stetig
fortgingen. So hatte um das Jahr 694 (60) der leibliche Vater des
Augustus, Gaius Octavius, und im Jahre 711 (43) während der
Vorbereitungen zu dem Kriege gegen die Triumvirn Marcus Brutus gegen
sie gestritten. Eine andere thrakische Völkerschaft, die Dentheleten
(in der Gegend von Sofia), hatten noch in Ciceros Zeit bei einem
Einfall in Makedonien Miene gemacht, dessen Hauptstadt Thessalonike zu
belagern. Mit den Dardanern, den westlichen Nachbarn der Thraker, einem
Zweig der illyrischen Völkerfamilie, welche das südliche Serbien und
den Distrikt Prisrend bewohnten, hatte der Amtsvorgänger des Lucullus,
Curio, mit Erfolg und ein Dezennium später Ciceros Kollege im Konsulat,
Gaius Antonius, im Jahre 692 (62) unglücklich gefochten. Unterhalb des
dardanischen Gebiets, unmittelbar an der Donau, saßen wieder thrakische
Stämme, die einstmals mächtigen, jetzt herabgekommenen Triballer im Tal
des Oescus (in der Gegend von Plewna), weiterhin an beiden Ufern der
Donau bis zur Mündung Daker, oder wie sie am rechten Donauufer mit dem
alten, auch den asiatischen Stammgenossen gebliebenen Volksnamen
gewöhnlich genannt wurden, Myser oder Möser, wahrscheinlich zu
Burebistas Zeit ein Teil seines Reiches, jetzt wieder in verschiedene
Fürstentümer zersplittert. Die mächtigste Völkerschaft aber zwischen
Balkan und Donau waren damals die Bastarner. Wir sind diesem tapferen
und zahlreichen Stamm, dem östlichsten Zweig der großen germanischen
Sippe, schon mehrfach begegnet. Eigentlich ansässig hinter den
transdanuvianischen Dakern jenseits der Gebirge, die Siebenbürgen von
der Moldau scheiden, an den Donaumündungen und in dem weiten Gebiet von
da zum Dnjestr, befanden sie sich selber außerhalb des römischen
Bereichs; aber vorzugsweise aus ihnen hatte sowohl König Philipp von
Makedonien wie König Mithradates von Pontus seine Heere gebildet und in
dieser Weise hatten die Römer schon früher oft mit ihnen gestritten.
Jetzt hatten sie in großen Massen die Donau überschritten und sich
nördlich vom Haemus festgesetzt; insofern der dakische Krieg, wie ihn
Caesar der Vater und dann der Sohn geplant hatten, ohne Zweifel der
Gewinnung des rechten Ufers der unteren Donau galt, war er nicht minder
gegen sie gerichtet wie gegen die rechtsufrigen dakischen Möser. Die
griechischen Küstenstädte in dem Barbarenland Odessos (bei Varna),
Tomis, Istropolis, schwer bedrängt durch dies Völkergewoge, waren hier
wie überall die geborenen Klienten der Römer.
——————————————————————————-
^1 Dies sagt ausdrücklich Dio (51, 23) zum Jahre 725 (29): τέος μέν ούν
ταύτ εποίουν (d. h. solange die Bastarner nur die Triballer - bei
Oescus in Niedermösien - und die Dardaner in Obermösien angriffen),
ουδέν σφίσι πράγμα πρός τούς Ρωμαίους ήν. Επεί δέ τόν τε Αίμον
υπερέβεσαν καί τήν Θράκην τήν Δενθελήτων ένσπονδον αυτοίς ούσαν
κατέδραμον κ. τ. λ. Die Bundesgenossen in Mösien, von denen Dio 38, 10
spricht, sind die Küstenstädte.
——————————————————————————-
Zur Zeit der Diktatur Caesars, als Burebista auf der Höhe seiner Macht
stand, hatten die Daker an der Küste bis hinab nach Apollonia jenen
fürchterlichen Verheerungszug ausgeführt, dessen Spuren noch nach
anderthalb Jahrhunderten nicht verwischt waren. Es mag wohl zunächst
dieser Einfall gewesen sein, welcher Caesar den Vater bestimmte, den
Dakerkrieg zu unternehmen; und nachdem der Sohn jetzt auch über
Makedonien gebot, mußte er allerdings sich verpflichtet fühlen, eben
hier sofort und energisch einzugreifen. Die Niederlage, die Ciceros
Kollege Antonius bei Istropolis durch die Bastarner erlitten hatte,
darf als ein Beweis dafür genommen werden, daß diese Griechen wieder
einmal der Hilfe der Römer bedurften.
In der Tat wurde bald nach der Schlacht bei Actium (725 29) Marcus
Licinius Crassus, der Enkel des bei Karrhä gefallenen, von Caesar als
Statthalter nach Makedonien gesandt und beauftragt, den zweimal
verhinderten Feldzug nun auszuführen. Die Bastarner, welche eben damals
in Thrakien eingefallen waren, fügten sich ohne Widerstand, als Crassus
sie auffordern ließ, das römische Gebiet zu verlassen; aber ihr Rückzug
genügte dem Römer nicht. Er überschritt seinerseits den Haemus ^2,
schlug am Einfluß des Cibrus (Tzibritza) in die Donau die Feinde, deren
König Deldo auf der Wahlstatt blieb, und nahm, was aus der Schlacht in
eine nahe Festung entkommen war, mit Hilfe eines zu den Römern
haltenden Dakerfürsten gefangen. Ohne weiteren Widerstand zu leisten,
unterwarf sich dem Überwinder der Bastarner das gesamte mösische
Gebiet. Diese kamen im nächsten Jahr wieder, um die erlittene
Niederlage wettzumachen; aber sie unterlagen abermals und mit ihnen,
was von den mösischen Stämmen wieder zu den Waffen gegriffen hatte.
Damit waren diese Feinde von dem rechten Donauufer ein für allemal
ausgewiesen und dieses vollständig der römischen Herrschaft
unterworfen. Zugleich wurden die noch nicht botmäßigen Thraker
gebändigt, den Bessern das nationale Heiligtum des Dionysos genommen
und die Verwaltung desselben den Fürsten der Odrysen übertragen, welche
überhaupt seitdem unter dem Schutz der römischen Obergewalt die
Oberherrlichkeit über die thrakischen Völkerschaften südlich vom Haemus
führten oder doch führen sollten. Unter seinen Schutz wurden ferner die
griechischen Küstenstädte am Schwarzen Meere gestellt und auch das
übrige eroberte Gebiet verschiedenen Lehnsfürsten zugeteilt, auf die
somit zunächst der Schutz der Reichsgrenze überging ^3; eigene Legionen
hatte Rom für diese fernen Landschaften nicht übrig. Makedonien wurde
dadurch zur Binnenprovinz, die der militärischen Verwaltung nicht
ferner bedurfte. Das Ziel, das bei jenen dakischen Kriegsplänen ins
Auge gefaßt worden war, war erreicht.
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^2 Wenn Dio sagt (51, 23): τήν Σεγετικήν κακουμένην προσεποιήσατο καί
ες τήν Μυσίδα ενέβαλε, so kann jene Stadt wohl nur Serdica sein, das
heutige Sofia, am oberen Oescus, der Schlüssel für das mösische Land.
^3 Nach dem Feldzug des Crassus ist das eroberte Land wahrscheinlich in
der Weise organisiert worden, daß die Küste zum Thrakischen Reich kam,
wie dies G. Zippel (Die römische Herrschaft in Illyricum bis auf
Augustus. Leipzig 1877, S. 243) dargetan hat, der westliche Teil aber,
ähnlich wie Thrakien den einheimischen Fürsten zu Lehen gegeben ward,
an deren eines Stelle der noch unter Tiberius fungierende praefectus
civitatium Moesiae et Triballiae (CIL V, 1838) getreten sein muß. Die
übliche Annahme, daß Mösien anfänglich mit Illyricum verbunden gewesen
sei, ruht nur darauf, daß dasselbe bei der Aufzählung der im Jahre 727
(27) zwischen Kaiser und Senat geteilten Provinzen bei Dio 53, 12 nicht
genannt werde und also in “Dalmatien” enthalten sei. Aber auf die
Lehnsstaaten und die prokuratorischen Provinzen erstreckt sich diese
Aufzählung überhaupt nicht und insofern ist bei jener Annahme alles in
Ordnung. Dagegen sprechen gegen die gewöhnliche Auffassung
schwerwiegende Argumente. Wäre Mösien ursprünglich ein Teil der Provinz
Illyricum gewesen, so hätte es diesen Namen behalten; denn bei Teilung
der Provinz pflegt der Name zu bleiben und nur ein Determinativ
hinzuzutreten. Die Benennung Illyricum aber, die Dio ohne Zweifel a. a.
O. wiedergibt, hat sich in dieser Verbindung immer beschränkt auf das
obere (Dalmatien) und das untere (Pannonien). Ferner bleibt, wenn
Mösien ein Teil von Illyricum war, für jenen Präfekten von Mösien und
Triballien, resp. seinen königlichen Vorgänger kein Raum. Endlich ist
es wenig wahrscheinlich, daß im Jahre 727 (27) einem einzigen
senatorischen Statthalter ein Kommando von dieser Ausdehnung und
Wichtigkeit anvertraut worden ist. Dagegen erklärt sich alles einfach,
wenn nach dem Kriege des Crassus in Mösien kleine Klientelstaaten
entstanden; diese standen als solche von Haus aus unter dem Kaiser, und
da bei deren sukzessiver Einziehung und Umwandlung in eine
Statthalterschaft der Senat nicht mitwirkte, konnte sie leicht in den
Annalen ausfallen. Vollzogen hat sie sich in oder vor dem Jahre 743
(11), da der damals den Krieg gegen die Thraker führende Statthalter L.
Calpurnius Piso, dem Dio 54, 34 irrig die Provinz Pamphylien beilegt,
als Provinz nur Pannonien oder Mösien gehabt haben kann und da in
Pannonien damals Tiberius als Legat fungierte, für ihn nur Mösien übrig
bleibt. Im Jahre 6 n. Chr. erscheint sicher ein kaiserlicher
Statthalter von Mösien.
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Allerdings war dieses Ziel nur ein vorläufiges. Aber bevor Augustus die
definitive Regulierung der Nordgrenze in die Hand nahm, wandte er sich
zu der Reorganisation der schon zum Reiche gehörigen Landschaften; über
ein Dezennium verging mit der Ordnung der Dinge in Spanien, Gallien,
Asien, Syrien. Wie er dann, als dort das Nötige geschehen war, das
umfassende Werk angriff, soll nun erzählt werden.
Italien, das über drei Weltteile gebot, war, wie gesagt, noch
keineswegs unbedingt Herr im eigenen Hause. Die Alpen, die es gegen
Norden beschirmen, waren in ihrer ganzen Ausdehnung von einem Meer zum
andern angefüllt mit kleinen, wenig zivilisierten Völkerschaften
illyrischer, rätischer, keltischer Nationalität, deren Gebiete zum Teil
hart angrenzten an die der großen Städte der Transpadana - so das der
Trumpiliner (Val Trompia) an die Stadt Brixia, das der Camunner (Val
Camonica, oberhalb des Lago d’Iseo) an die Stadt Bergomum, das der
Salasser (Val d’Aosta) an Eporedia (Ivrea), und die keineswegs
friedliche Nachbarschaft pflogen. Oft genug überwunden und als besiegt
auf dem Kapitol proklamiert, plünderten diese Stämme, allen Lorbeeren
der vornehmen Triumphatoren zum Trotz, fortwährend die Bauern und die
Kaufleute Oberitaliens. Ernstlich zu steuern war dem Unwesen nicht,
solange die Regierung sich nicht entschloß, die Alpenhöhen zu
überschreiten und auch den nördlichen Abhang in ihre Gewalt zu bringen;
denn ohne Zweifel strömten beständig zahlreiche dieser Raubgesellen
über die Berge herüber, um das reiche Nachbarland zu brandschatzen.
Auch nach Gallien hin war noch in gleicher Weise zu tun; die
Völkerschaften im oberen Rhonethal (Wallis und Waadt) waren zwar von
Caesar unterworfen worden, aber sind auch unter denen genannt, die den
Feldherren seines Sohnes zu schaffen machten. Andererseits klagten die
friedlichen gallischen Grenzdistrikte über die stetigen Einfälle der
Räter. Eine Geschichtserzählung leiden und fordern die zahlreichen
Expeditionen nicht, welche Augustus dieser Mißstände halber
veranstaltet hat; in den Triumphalfasten sind sie nicht verzeichnet und
gehören auch nicht hinein, aber sie gaben Italien zum ersten Mal
Befriedung des Nordens. Erwähnt mögen werden die Niederwerfung der oben
erwähnten Camunner im Jahre 738 (16) durch den Statthalter von
Illyricum und die gewisser ligurischer Völkerschaften in der Gegend von
Nizza im Jahre 740 (14), weil sie zeigen, wie noch um die Mitte der
augustischen Zeit diese unbotmäßigen Stämme unmittelbar auf Italien
drückten. Wenn der Kaiser späterhin in dem Gesamtbericht über seine
Reichsverwaltung erklärte, daß gegen keine dieser kleinen
Völkerschaften von ihm zu Unrecht Gewalt gebraucht worden sei, so wird
dies dahin zu verstehen sein, daß ihnen Gebietsabtretungen und
Sitzwechsel angesonnen wurden und sie sich dagegen zur Wehr setzten;
nur der unter König Cottius von Segusio (Susa) vereinigte kleine
Gauverband fügte sich ohne Kampf in die neue Ordnung.
Der Schauplatz dieser Kämpfe waren die südlichen Abhänge und die Täler
der Alpen. Es folgte die Festsetzung auf dem Nordabhang der Gebirge und
in dem nördlichen Vorlande im Jahre 739 (15). Die beiden dem
kaiserlichen Hause zugezählten Stiefsöhne Augusts, Tiberius, der
spätere Kaiser, und sein Bruder Drusus, wurden damit in die ihnen
bestimmte Feldherrnlaufbahn eingeführt - es waren sehr sichere und sehr
dankbare Lorbeeren, die ihnen in Aussicht gestellt wurden. Von Italien
aus das Tal der Etsch hinauf drang Drusus in die rätischen Berge ein
und erfocht hier einen ersten Sieg; für das weitere Vordringen reichte
ihm der Bruder, damals Statthalter Galliens, vom helvetischen Gebiet
aus die Hand; auf dem Bodensee selbst schlugen die römischen Trieren
die Boote der Vindeliker; an dem Kaisertag, dem 1. August 739 (15),
wurde in der Umgegend der Donauquellen die letzte Schlacht geschlagen,
durch die Rätien und das Vindelikerland, das heißt Tirol, die
Ostschweiz und Bayern, fortan Bestandteile des Römischen Reiches
wurden. Kaiser Augustus selbst war nach Gallien gegangen, um den Krieg
und die Einrichtung der neuen Provinz zu überwachen. Da wo die Alpen am
Golf von Genua endigen, auf der Höhe oberhalb Monaco, wurde einige
Jahre darauf von dem dankbaren Italien dem Kaiser Augustus ein weit in
das Tyrrhenische Meer hinausschauendes, noch heute nicht ganz
verschwundenes Denkmal dafür errichtet, daß unter seinem Regiment die
Alpenvölker alle vom oberen zum unteren Meer - ihrer sechsundvierzig
zählt die Inschrift auf - in die Gewalt des römischen Volkes gebracht
worden waren. Es war nicht mehr als die einfache Wahrheit, und dieser
Krieg das, was der Krieg sein soll, der Schirmer und der Bürge des
Friedens.
Schwieriger wohl als die eigentliche Kriegsarbeit war die Organisation
des neuen Gebietes; insbesondere auch deshalb, weil die inneren
politischen Verhältnisse hier zum Teil recht störend eingriffen. Da
nach der Lage der Dinge das militärische Schwergewicht nicht in Italien
liegen durfte, so mußte die Regierung darauf bedacht sein, die großen
Militärkommandos aus der unmittelbaren Nähe Italiens möglichst zu
entfernen; ja es hat wohl bei der Besetzung Rätiens selbst das
Bestreben mitgewirkt, das Kommando, welches wahrscheinlich bis dahin in
Oberitalien selbst nicht hatte entbehrt werden können, definitiv von
dort wegzulegen, wie es dann auch zur Ausführung kam. Was man zunächst
erwarten sollte, daß für die in dem neugewonnenen Gebiet
unentbehrlichen militärischen Aufstellungen ein großer Mittelpunkt am
Nordabhang der Alpen geschaffen worden wäre, davon geschah das gerade
Gegenteil. Es wurde zwischen Italien einer- und den großen Rhein- und
Donaukommandos andererseits ein Gürtel kleinerer Statthalterschaften
gezogen, die nicht bloß alle vom Kaiser, sondern auch durchaus mit dem
Senat nicht angehörigen Männern besetzt wurden. Italien und die
südgallische Provinz wurden geschieden durch die drei kleinen
Militärdistrikte der Seealpen (Departement der Seealpen und Provinz
Cuneo), der Kottischen mit der Hauptstadt Segusio (Susa) und
wahrscheinlich der Graischen (Ostsavoyen), unter denen der zweite, von
dem schon genannten Gaufürsten Cottius und seinen Nachkommen eine
Zeitlang in den Formen der Klientel verwaltete ^4 am meisten bedeutete,
die aber alle eine gewisse Militärgewalt besaßen und deren nächste
Bestimmung war, in dem betreffenden Gebiet und vor allem auf den
wichtigen, dasselbe durchschneidenden Reichsstraßen die öffentliche
Sicherheit zu erhalten. Das obere Rhonetal dagegen, also das Wallis,
und das neu eroberte Rätien wurden einem nicht im Rang, aber wohl an
Macht höher stehenden Befehlhaber untergeben; ein relativ ansehnliches
Korps war hier nun einmal unumgänglich erforderlich. Indes wurde, um
dasselbe möglichst verringern zu können, Rätien durch Entfernung seiner
Bewohner im großen Maßstab entvölkert. Den Ring schloß die ähnlich
organisierte Provinz Noricum, den größten Teil des heutigen deutschen
Osterreich umfassend. Diese weite und fruchtbare Landschaft hatte sich
ohne wesentlichen Widerstand der römischen Herrschaft unterworfen,
wahrscheinlich in der Form, daß hier zunächst ein abhängiges Fürstenrum
entstand, bald aber der König dem kaiserlichen Prokurator wich, von dem
er ohnehin sich nicht wesentlich unterschied. Von den Rhein- und
Donaulegionen erhielten allerdings einige ihre Standlager in der
unmittelbaren Nähe, einerseits der rätischen Grenze bei Vindonissa,
andererseits der norischen bei Poetovio, offenbar, um auf die
Nachbarprovinz zu drücken; aber Armeen ersten Ranges mit Legionen unter
senatorischen Generalen gab es in jenem Zwischenbereich so wenig wie
senatorische Statthalter. Das Mißtrauen gegen das neben dem Kaiser den
Staat regierende Kollegium findet in dieser Einrichtung einen sehr
drastischen Ausdruck.
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^4 Der offizielle Titel des Cottius war nicht König, wie der seines
Vaters Donnus, sondern “Gauverbandsvorstand” (praefectus civitatium),
wie er auf dem noch stehenden, im Jahre 745/46 (9/8) von ihm zu Ehren
des Augustus errichteten Bogen von Susa genannt wird. Aber die Stellung
war ohne Zweifel lebenslänglich und, unter Vorbehalt der Bestätigung
des Lehnsherrn, auch erblich, also insofern der Verband allerdings ein
Fürstentum, wie er auch gewöhnlich heißt.
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Nächst der Befriedung Italiens war der Hauptzweck dieser Organisation
die Sicherung seiner Kommunikationen mit dem Norden, die für den
Handelsverkehr von nicht minder einschneidender Bedeutung war wie in
militärischer Beziehung. Mit besonderer Energie griff Augustus diese
Aufgabe an und es ist wohl verdient, daß in den Namen Aosta und
Augsburg, vielleicht auch in dem der Julischen Alpen der seinige noch
heute fortlebt. Die alte Küstenstraße, die Augustus von der ligurischen
Küste durch Gallien und Spanien bis an den Atlantischen Ozean teils
erneuerte, teils herstellte, hat nur Handelszwecken dienen können. Auch
die Straße über die Kottische Alpe, schon durch Pompeius eröffnet, ist
unter Augustus durch den schon erwähnten Fürsten von Susa ausgebaut und
nach ihm benannt worden; ebenfalls eine Handelsstraße, verknüpft sie
Italien über Turin und Susa mit der Handelshauptstadt Südgalliens
Arelate. Aber die eigentliche Militärlinie, die unmittelbare Verbindung
zwischen Italien und den Rheinlagern führt durch das Tal der Dora
Baltea aus Italien teils nach der Hauptstadt Galliens, Lyon, teils nach
dem Rhein. Hatte die Republik sich darauf beschränkt, den Eingang jenes
Tals durch die Anlegung von Eporedia (Ivrea) in ihre Gewalt zu bringen,
so nahm Augustus dasselbe ganz in Besitz in der Weise, daß er dessen
Bewohner, die immer noch unruhigen und schon während des dalmatinischen
Krieges von ihm bekämpften Salasser, nicht bloß unterwarf, sondern
geradezu austilgte - ihrer 36000, darunter 8000 streitbare Männer,
wurden auf dem Markt von Eporedia unter dem Hammer in die Sklaverei
verkauft und den Käufern auferlegt, binnen zwanzig Jahre keinem
derselben die Freiheit zu gewähren. Das Feldlager selbst, von dem aus
sein Feldherr Varro Murena im Jahre 729 (25) sie schließlich aufs Haupt
geschlagen hatte, wurde die Festung, welche, besetzt mit 3000 der
Kaisergarde entnommenen Ansiedlern, die Verbindungen sichern sollte,
die Stadt Augusta Praetoria, das heutige Aosta, deren damals errichtete
Mauern und Tore noch heute stehen. Sie beherrschte später zwei
Alpenstraßen, sowohl die über die Grafische Alpe oder den Kleinen St.
Bernhard an der oberen Isère und der Rhone nach Lyon führende wie die,
welche über die Pöninische Alpe, den Großen St. Bernhard, zum Rhonetal
und zum Genfer See und von da in die Täler der Aare und des Rheins
lief. Aber für die erste dieser Straßen ist die Stadt angelegt worden,
da sie ursprünglich nur nach Osten und Westen führende Tore gehabt hat,
und es konnte dies auch nicht anders sein, da die Festung ein Dezennium
vor der Besetzung Rätiens gebaut ward, auch in jenen Jahren die spätere
Organisation der Rheinlager noch nicht bestand und die direkte
Verbindung der Hauptstädte Italiens und Galliens durchaus in erster
Reihe stand. In der Richtung auf die Donau zu ist der Anlage von Emona
an der oberen Save auf der alten Handelsstraße von Aquileia über die
Julische Alpe in das pannonische Gebiet schon gedacht worden; diese
Straße war zugleich die Hauptader der militärischen Verbindung von
Italien mit dem Donaugebiet. Mit der Eroberung Rätiens endlich verband
sich die Eröffnung der Straße, welche von der letzten italischen Stadt
Tridentum (Trient) das Etschtal hinauf zu der im Lande der Vindeliker
neu angelegten Augusta, dem heutigen Augsburg, und weiter zur oberen
Donau führte. Als dann der Sohn des Feldherrn, der dieses Gebiet zuerst
aufgeschlossen hatte, zur Regierung gelangte, ist dieser Straße der
Name der Claudischen beigelegt worden ^5. Sie stellte zwischen Rätien
und Italien die militärisch unentbehrliche Verbindung her; indes hat
sie in Folge der relativ geringen Bedeutung der rätischen Armee und
wohl auch in Folge der schwierigeren Kommunikation niemals die
Bedeutung gehabt wie die Straße von Aosta.
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^5 Wir kennen diese Straße nur in der Gestalt, die der Sohn des
Erbauers, Kaiser Claudius, ihr gab; ursprünglich kann sie natürlich
nicht via Claudia Augusta geheißen haben, sondern nur via Augusta, und
schwerlich als ihr Endpunkt in Italien Altinum, ungefähr das heutige
Venedig, betrachtet worden sein, da unter Augustus noch alle
Reichsstraßen nach Rom führten. Daß die Straße auch durch das obere
Etschtal lief, ist erwiesen durch den bei Meran gefundenen Meilenstein
(CIL V 8003); daß sie an die Donau führte, ist bezeugt, die Verbindung
dieses Straßenbaus mit der Anlage von Augusta Vindelicum, wenn dies
auch zunächst nur Marktflecken (forum) war, mehr als wahrscheinlich
(CIL III, p. 711); auf welchem Wege von Meran aus Augsburg und die
Donau erreicht wurden, wissen wir nicht. Späterhin ist die Straße dahin
korrigiert worden, daß sie bei Bozen die Etsch verläßt und das
Eisacktal hinauf über den Brenner nach Augsburg führt.
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Die Alpenpässe und der Nordabhang der Alpen waren somit in gesichertem
römischen Besitz. Jenseits der Alpen erstreckte sich östlich vom Rhein
das germanische Land, südwärts der Donau das der Pannonier und der
Möser. Auch hier wurde kurz nach der Besetzung Rätiens, und ziemlich
gleichzeitig nach beiden Seiten hin, die Offensive ergriffen.
Betrachten wir zunächst die Vorgänge an der Donau.
Das Donaugebiet, allem Anschein nach bis zum Jahre 727 (27) mit
Oberitalien zusammen verwaltet, wurde damals bei der Reorganisation des
Reiches ein selbständiger Verwaltungsbezirk Illyricum unter eigenem
Statthalter. Er bestand aus Dalmatien mit seinem Hinterland bis zum
Drin, während die Küste weiter südwärts seit langem zur
Statthalterschaft Makedonien gehörte, und den römischen Besitzungen im
Lande der Pannonier an der Save. Das Gebiet zwischen dem Haemus und der
Donau bis zum Schwarzen Meer, welches kurz zuvor Crassus in
Reichsabhängigkeit gebracht hatte, sowie nicht minder Noricum und
Rätien standen im Klientelverhältnis zu Rom, gehörten also zwar nicht
zu diesem Sprengel, aber hingen doch zunächst von dem Statthalter
Illyricums ab. Auch das noch keineswegs beruhigte Thrakien südlich vom
Haemus fiel militärisch in denselben Bereich. Es ist eine bis in späte
Zeit bestehende Fortwirkung dieser ursprünglichen Organisation gewesen,
daß das ganze Donaugebiet von Rätien bis Mösien als ein Zollbezirk
unter dem Namen Illyricum im weiteren Sinne zusammengefaßt worden ist.
Legionen standen nur in dem eigentlichen Illyricum, in den übrigen
Distrikten wahrscheinlich gar keine Reichstruppen, höchstens kleinere
Detachements; das Oberkommando führte der aus dem Senat hervorgehende
Prokonsul der neuen Provinz, während die Soldaten und die Offiziere
selbstverständlich kaiserlich waren. Es zeugt von dem ernsten Charakter
der nach der Eroberung Rätiens beginnenden Offensive, daß zunächst der
Nebenherrscher Agrippa das Kommando im Donaugebiet übernahm, dem der
Prokonsul von Illyricum von Rechts wegen sich unterzuordnen hatte, und
dann, als Agrippas plötzlicher Tod im Frühjahr 742 (12) diese
Kombination scheitern machte, im Jahre darauf Illyricum in kaiserliche
Verwaltung überging, also die kaiserlichen Feldherren hier das
Oberkommando erhielten. Bald bildeten sich hier drei militärische
Mittelpunkte, welche dann auch die administrative Dreiteilung des
Donaugebiets herbeiführten. Die kleinen Fürstentümer in dem von Crassus
eroberten Gebiet machten der Provinz Mösien Platz, deren Statthalter
fortan in dem heutigen Serbien und Bulgarien die Grenzwacht hielt gegen
Daker und Bastarner. In der bisherigen Provinz Illyricum wurde ein Teil
der Legionen an der Kerka und der Cettina postiert, um die immer noch
schwierigen Dalmater im Zaum zu halten. Die Hauptmacht stand in
Pannonien an der damaligen Reichsgrenze, der Save. Chronologisch genau
läßt sich diese Dislokation der Legionen und Organisation der Provinzen
nicht fixieren; wahrscheinlich haben die gleichzeitig geführten
ernsthaften Kriege gegen die Pannonier und die Thraker, von denen wir
gleich zu berichten haben werden, zunächst dazu geführt, die
Statthalterschaft von Mösien einzurichten, und haben erst einige Zeit
nachher die dalmatischen Legionen und die an der Save eigene
Oberbefehlshaber erhalten.
Wie die Expeditionen gegen die Pannonier und die Germanen gleichsam
eine Wiederholung des rätischen Feldzugs in erweitertem Maßstab sind,
so waren auch die Führer, welche mit dem Titel kaiserlicher Legaten an
die Spitze gestellt wurden, dieselben; wieder die beiden Prinzen des
kaiserlichen Hauses, Tiberius, der an Agrippas Stelle das Kommando in
Illyricum übernahm, und Drusus, der an den Rhein ging, beide jetzt
nicht mehr unerprobte Jünglinge, sondern Männer in der Blüte ihrer
Jahre und schwerer Arbeit wohl gewachsen.
An nächsten Anlässen für die Kriegführung fehlte es in der Donaugegend
nicht. Raubgesindel aus Pannonien und selbst aus dem friedlichen
Noricum plünderte im Jahre 738 (16) bis nach Istrien hinein. Zwei Jahre
darauf ergriffen die illyrischen Provinzialen gegen ihre Herren die
Waffen und obwohl sie dann, als Agrippa im Herbst des Jahres 741 (13)
das Kommando übernahm, ohne Widerstand zu leisten zum Gehorsam
zurückkehrten, sollen doch unmittelbar nach seinem Tode die Unruhen
aufs neue begonnen haben. Wir vermögen nicht zu sagen, wieweit diese
römischen Erzählungen der Wahrheit entsprechen; der eigentliche Grund
und Zweck dieses Krieges war gewiß die durch die allgemeine politische
Lage geforderte Vorschiebung der römischen Grenze. Über die drei
Kampagnen des Tiberius in Pannonien 742 bis 744 (12-10) sind wir sehr
unvollkommen unterrichtet. Als Ergebnis derselben wurde von der
Regierung die Feststellung der Donaugrenze für die Provinz Illyricum
angegeben. Daß diese seitdem in ihrem ganzen Laufe als die Grenze des
römischen Gebiets angesehen wurde, ist ohne Zweifel richtig, aber eine
eigentliche Unterwerfung oder gar eine Besetzung dieses ganzen weiten
Gebiets ist damals keineswegs erfolgt. Hauptsächlichen Widerstand gegen
Tiberius leisteten die schon früher für römisch erklärten
Völkerschaften, insbesondere die Dalmater; unter den damals zuerst
effektiv unterworfenen ist die namhafteste die der pannonischen Breuker
an der unteren Save. Schwerlich haben die römischen Heere während
dieser Feldzüge die Drau auch nur überschritten, auf keinen Fall ihre
Standlager an die Donau verlegt. Das Gebiet zwischen Save und Drau
wurde allerdings besetzt und das Hauptquartier der illyrischen
Nordarmee von Siscia an der Save nach Poetovio (Pettau) an der
mittleren Drau verlegt, während in dem vor kurzem besetzten norischen
Gebiet die römischen Besatzungen bis an die Donau bei Carnuntum
reichten (Petronell bei Wien), damals die letzte norische Stadt gegen
Osten. Das weite und große Gebiet zwischen der Drau und der Donau, das
heutige westliche Ungarn, ist allem Anschein nach damals nicht einmal
militärisch besetzt worden. Es entsprach dies dem Gesamtplan der
begonnenen Offensive; man suchte die Fühlung mit dem gallischen Heer,
und für die neue Reichsgrenze im Nordosten war der natürliche
Stützpunkt nicht Ofen, sondern Wien.
Gewissermaßen eine Ergänzung zu dieser pannonischen Expedition des
Tiberius bildet diejenige, welche gleichzeitig gegen die Thraker von
Lucius Piso unternommen ward, vielleicht dem ersten eigenen
Statthalter, den Mösien gehabt hat. Die beiden großen benachbarten
Nationen, die Illyriker und die Thraker, von denen in einem späteren
Abschnitt eingehender gehandelt werden wird, standen damals gleichmäßig
zur Unterwerfung. Die Völkerschaften des inneren Thrakiens erwiesen
sich noch störriger als die Illyriker und den von Rom ihnen gesetzten
Königen wenig botmäßig; im Jahre 738 (16) mußte ein römisches Heer dort
einrücken und den Fürsten gegen die Besser zu Hilfe kommen. Wenn wir
genauere Berichte über die dort wie hier in den Jahren 741 bis 743
(13-11) geführten Kämpfe hätten, würde das gleichzeitige Handeln der
Thraker und der Illyriker vielleicht als gemeinschaftliches erscheinen.
Gewiß ist es, daß die Masse der Thrakerstämme südlich vom Haemus und
vermutlich auch die in Mösien sitzenden sich an diesem Nationalkrieg
beteiligten, und daß die Gegenwehr der Thraker nicht minder hartnäckig
war als die der Illyriker. Es war für sie zugleich ein Religionskrieg;
das den Bessern genommene und den römisch gesinnten Odrysenfürsten
überwiesene Dionysosheiligtum ^6 war nicht vergessen; ein Priester
dieses Dionysos stand an der Spitze der Insurrektion und sie richtete
sich zunächst eben gegen jene Odrysenfürsten. Der eine derselben wurde
gefangen und getötet, der andere verjagt; die zum Teil nach römischem
Muster bewaffneten und disziplinierten Insurgenten siegten indem ersten
Treffen über Piso und drangen vor bis nach Makedonien und in den
Thrakischen Chersones; man fürchtete für Asien. Indes die römische
Zucht behielt doch schließlich das Übergewicht auch über diese tapferen
Gegner; in mehreren Feldzügen wurde Piso des Widerstandes Herr, und das
entweder schon bei dieser Gelegenheit oder bald nachher auf dem
“thrakischen Ufer” eingerichtete Kommando von Mösien brach den
Zusammenhang der dakisch-thrakischen Völkerschaften, indem es die
Stämme am linken Ufer der Donau und die verwandten südlich vom Haemus
voneinander schied, und sicherte dauernd die römische Herrschaft im
Gebiet der unteren Donau.
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^6 Die Örtlichkeit, “in welcher die Besser den Gott Dionysos verehren”
und die Crassus ihnen nahm und den Odrysen gab (Dio 51, 25), ist gewiß
derselbe Liberi patris lucus, in welchem Alexander opferte und der
Vater des Augustus, cum per secreta Thraciae exercitum duceret, das
Orakel wegen seines Sohnes befragte (Suet. Aug. 94) und das schon
Herodot (2, 111; vgl. Eur. Hek. 1267) als unter Obhut der Besser
stehendes Orakelheiligtum erwähnt. Gewiß ist es nordwärts der Rhodope
zu suchen; wiedergefunden ist es noch nicht.
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Näher noch als von den Pannoniern und den Thrakern ward es den Römern
von den Germanen gelegt, daß der damalige Zustand der Dinge auf die
Dauer nicht bleiben könne. Die Reichsgrenze war seit Caesar der Rhein,
vom Bodensee bis zu seiner Mündung. Eine Völkerscheide war er nicht, da
schon von alters her im Nordosten Galliens die Kelten sich vielfach mit
Deutschen gemischt hatten, die Treuerer und die Nervier Germanen
wenigstens gern gewesen wären, am mittleren Rhein Caesar selbst die
Reste der Scharen des Ariovistus, Triboker (im Elsaß), Nemeter (um
Speyer), Vangionen (um Worms) seßhaft gemacht hatte. Freilich hielten
diese linksrheinischen Deutschen fester zu der römischen Herrschaft als
die keltischen Gaue und nicht sie haben den Landsleuten auf dem rechten
Ufer die Pforten Galliens geöffnet. Aber diese, seit langem der
Plunderzüge über den Fluß gewohnt und der mehrfach halb geglückten
Versuche, dort sich festzusetzen, keineswegs vergessen, kamen auch
ungerufen. Die einzige germanische Völkerschaft jenseits des Rheines,
die schon in Caesars Zeit sich von ihren Landsleuten getrennt und unter
römischen Schutz gestellt hatte, die Ubier, hatten vor dem Haß ihrer
erbitterten Stammgenossen weichen und auf dem römischen Ufer Schutz und
neue Wohnsitze suchen müssen (716 38); Agrippa, obwohl persönlich in
Gallien anwesend, hatte unter dem Druck des damals bevorstehenden
sizilischen Krieges nicht vermocht, ihnen in anderer Weise zu helfen,
und den Rhein nur überschritten, um die Überführung zu bewirken. Aus
dieser ihrer Siedlung ist später unser Köln erwachsen. Nicht bloß die
auf dem rechten Rheinufer Handel treibenden Römer wurden vielfältig von
den Germanen geschädigt, so daß sogar im Jahre 729 (25) deswegen ein
Vorstoß über den Rhein ausgeführt ward und Agrippa im Jahre 734 (20)
vom Rhein herübergekommene germanische Schwärme aus Gallien
hinauszuschlagen hatte; es geriet im Jahre 738 (16) das jenseitige Ufer
in eine allgemeinere, auf einen Einbruch in großem Maßstab
hinauslaufende Bewegung. Die Sugambrer an der Ruhr gingen voran, mit
ihnen ihre Nachbarn, nördlich im Lippetal die Usiper, südlich die
Tencterer; sie griffen die bei ihnen verweilenden römischen Händler auf
und schlugen sie ans Kreuz, überschritten dann den Rhein, plünderten
weit und breit die gallischen Gaue, und als ihnen der Statthalter von
Germanien den Legaten Marcus Lollius mit der fünften Legion
entgegenschickte, fingen sie erst deren Reiterei ab und schlugen dann
die Legion selbst in schimpfliche Flucht, wobei ihnen sogar deren Adler
in die Hände fiel. Nach allem diesem kehrten sie unangefochten zurück
in ihre Heimat. Dieser Mißerfolg der römischen Waffen, wenn auch an
sich nicht von Gewicht, war doch der germanischen Bewegung und selbst
der schwierigen Stimmung in Gallien gegenüber nichts weniger als
unbedenklich; Augustus selbst ging nach der angegriffenen Provinz, und
es mag dieser Vorgang wohl die nächste Veranlassung gewesen sein zur
Aufnahme jener großen Offensive, die, mit dem Rätischen Krieg 739 (15)
beginnend, weiter zu den Feldzügen des Tiberius in Illyricum und des
Drusus in Germanien führte.
Nero Claudius Drusus, geboren im Jahre 716 (38) von Livia im Hause
ihres neuen Gemahls, des späteren Augustus, und von diesem gleich einem
Sohn - die bösen Zungen sagten, als sein Sohn - geliebt und gehalten,
ein Bild männlicher Schönheit und von gewinnender Anmut im Verkehr, ein
tapferer Soldat und ein tüchtiger Feldherr, dazu ein erklärter
Lobredner der alten republikanischen Ordnung und in jeder Hinsicht der
populärste Prinz des kaiserlichen Hauses, übernahm bei Augustus’
Rückkehr nach Italien (741 13) die Verwaltung von Gallien und den
Oberbefehl gegen die Germanen, deren Unterwerfung jetzt ernstlich in
das Auge gefaßt ward. Wir vermögen weder die Stärke der damals am Rhein
stehenden Armee noch die bei den Germanen obwaltenden Zustände genügend
zu erkennen; nur das tritt deutlich hervor, daß die letzteren nicht
imstande waren, dem geschlossenen Angriff in entsprechender Weise zu
begegnen. Das Neckargebiet, ehemals von den Helvetiern besessen, dann
lange Zeit streitiges Grenzland zwischen ihnen und den Germanen, lag
verödet und beherrscht einerseits durch die jüngst unterworfene
Landschaft der Vindeliker, andererseits durch die römisch gesinnten
Germanen um Straßburg, Speyer und Worms. Weiter nordwärts, in der
oberen Maingegend, saßen die Markomannen, vielleicht der mächtigste der
suebischen Stämme, aber mit den Germanen des Mittelrheins seit alters
her verfeindet. Nordwärts des Mains folgten zunächst im Taunus die
Chatten, weiter rheinabwärts die schon genannten Tencterer, Sugambrer
und Usiper; hinter ihnen die mächtigen Cherusker an der Weser, außerdem
eine Anzahl Völkerschaften zweiten Ranges. Wie diese mittelrheinischen
Stämme, voran die Sugambrer, jenen Angriff auf das römische Gallien
ausgeführt hatten, so richtete sich auch der Vergeltungszug des Drusus
hauptsächlich gegen sie, und sie auch verbanden sich gegen Drusus zur
gemeinschaftlichen Abwehr und zur Aufstellung eines aus dem Zuzug aller
dieser Gaue zu bildenden Volksheers. Aber die friesischen Stämme an der
Nordseeküste schlossen sich nicht an, sondern verharrten in der ihnen
eigenen Isolierung.
Es waren die Germanen, die die Offensive ergriffen. Die Sugambrer und
ihre Verbündeten griffen wieder alle Römer auf, deren sie auf ihrem
Ufer habhaft werden konnten, und schlugen die Centurionen darunter,
ihrer zwanzig an der Zahl, ans Kreuz. Die verbündeten Stämme
beschlossen, abermals in Gallien einzufallen, und teilten auch die
Beute im voraus - die Sugambrer sollten die Leute, die Cherusker die
Pferde, die suebischen Stämme das Gold und Silber erhalten. So
versuchten sie im Anfang des Jahres 742 (12) wieder den Rhein zu
überschreiten und hofften auf die Unterstützung der linksrheinischen
Germanen und selbst auf eine Insurrektion der eben damals durch das
ungewohnte Schätzungsgeschäft erregten gallischen Gaue. Aber der junge
Feldherr traf seine Maßregeln gut: er erstickte die Bewegung im
römischen Gebiet, noch ehe sie recht in Gang kam, warf die
Eindringenden bei dem Flußübergang selbst zurück und ging dann
seinerseits über den Strom, um das Gebiet der Usiper und Sugambrer zu
brandschatzen. Dies war eine vorläufige Abwehr; der eigentliche
Kriegsplan, in größerem Stil angelegt, ging aus von der Gewinnung der
Nordseeküste und der Mündungen der Eins und der Elbe. Der zahlreiche
und tapfere Stamm der Bataver im Rheindelta ist, allem Anschein nach
damals und durch gütliche Vereinbarung, dem Römischen Reiche
einverleibt worden; mit ihrer Hilfe wurde vom Rheine zur Zuidersee und
aus dieser in die Nordsee eine Wasserverbindung hergestellt, welche der
Rheinflotte einen sichereren und kürzeren Weg zur Ems- und Elbemündung
eröffnete. Die Friesen an der Nordküste folgten dem Beispiel der
Bataver und fügten sich gleichfalls der Fremdherrschaft. Es war wohl
mehr noch die maßhaltende Politik als die militärische Übergewalt, die
hier den Römern den Weg bahnte: diese Völkerschaften blieben fast ganz
steuerfrei und wurden zum Kriegsdienst in einer Weise herangezogen, die
nicht schreckte, sondern lockte. Von da ging die Expedition an der
Nordseeküste hinauf; im offenen Meer wurde die Insel Burchanis
(vielleicht Borkum vor Ostfriesland) mit stürmender Hand genommen, auf
der Ems die Bootflotte der Bructerer von der römischen Flotte besiegt;
bis an die Mündung der Weser zu den Chaukern ist Drusus gelangt.
Freilich geriet die Flotte heimkehrend auf die gefährlichen und
unbekannten Watten, und wenn die Friesen nicht der schiffbrüchigen
Armee sicheres Geleit gewährt hätten, wäre sie in sehr kritische Lage
geraten. Nichtsdestoweniger war durch diesen ersten Feldzug die Küste
von der Rhein- zur Wesermündung römisch geworden.
Nachdem also die Küste umfaßt war, begann im nächsten Jahr (743 11) die
Unterwerfung des Binnenlandes. Sie wurde wesentlich erleichtert durch
den Zwist unter den mittelrheinischen Germanen. Zu dem im Jahre vorher
versuchten Angriff auf Gallien hatten die Chatten den versprochenen
Zuzug nicht gestellt; in begreiflichem, aber noch vielmehr
unpolitischem Zorn hatten die Sugambrer mit gesamter Hand das
Chattenland überfallen, und so wurde ihr eigenes Gebiet sowie das ihrer
nächsten Nachbarn am Rhein ohne Schwierigkeit von den Römern besetzt.
Die Chatten unterwarfen sich dann den Feinden ihrer Feinde ohne
Gegenwehr; nichtsdestoweniger wurden sie angewiesen, das Rheinufer zu
räumen und dafür dasjenige Gebiet zu besetzen, das bis dahin die
Sugambrer innegehabt hatten. Nicht minder unterlagen weiter
landeinwärts die mächtigen Cherusker an der mittleren Weser. Die an der
unteren sitzenden Chauker wurden, wie ein Jahr zuvor von der Seeseite,
so jetzt zu Lande angegriffen und damit das gesamte Gebiet zwischen
Rhein und Weser wenigstens an den militärisch entscheidenden Stellen in
Besitz genommen. Der Rückweg wäre allerdings, eben wie im vorigen
Jahre, fast verhängnisvoll geworden; bei Arbalo (unbekannter Lage)
sahen sich die Römer in einem Engpaß von allen Seiten von den Germanen
umzingelt und ihrer Verbindungen verlustig; aber die feste Zucht der
Legionäre und daneben die übermütige Siegesgewißheit der Deutschen
verwandelten die drohende Niederlage in einen glänzenden Sieg ^7. Im
nächsten Jahr (744 10) standen die Chatten auf, erbittert über den
Verlust ihrer alten schönen Heimstatt; aber jetzt blieben sie
ihrerseits allein und wurden nach hartnäckiger Gegenwehr und nicht ohne
empfindlichen Verlust von den Römern überwältigt (745 9). Die
Markomannen am oberen Main, die nach der Einnahme des Chattengebiets
zunächst dem Angriff ausgesetzt waren, wichen ihm aus und zogen sich
rückwärts in das Land der Boier, das heutige Böhmen, ohne von hier aus,
wo sie dem unmittelbaren Machtkreise Roms entrückt waren, in die Kämpfe
am Rhein einzugreifen. In dem ganzen Gebiet zwischen Rhein und Weser
war der Krieg zu Ende. Drusus konnte im Jahre 745 (9) im Cheruskergau
das rechte Weserufer betreten und von da vorgehen bis an die Elbe, die
er nicht überschritt, vermutlich angewiesen war, nicht zu
überschreiten. Manches harte Gefecht wurde geliefert, erfolgreicher
Widerstand nirgends geleistet. Aber auf dem Rückweg, der, wie es
scheint, die Saale hinauf und von da zur Weser genommen ward, traf die
Römer ein schwerer Schlag, nicht durch den Feind, aber durch einen
unberechenbaren Unglücksfall. Der Feldherr stürzte mit dem Pferd und
brach den Schenkel; nach dreißigtägigen Leiden verschied er in dem
fernen Lande zwischen Saale und Weser ^8, das nie vor ihm eine römische
Armee betreten hatte, in den Armen des aus Rom herbeigeeilten Bruders,
im dreißigsten Jahre seines Alters, im Vollgefühl seiner Kraft und
seiner Erfolge, von den Seinigen und dem ganzen Volke tief und lange
betrauert, vielleicht glücklich zu preisen, weil die Götter ihm gaben,
jung aus dem Leben zu scheiden und den Enttäuschungen und Bitterkeiten
zu entgehen, welche die Höchstgestellten am schmerzlichsten treffen,
während in der Erinnerung der Welt noch heute seine glänzende
Heldengestalt fortlebt.
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^7 Daß die Schlacht bei Arbalo (Plin. nat. 11, 17, 55) in dieses Jahr
gehört, zeigt Obsequens 72 und also geht auf sie die Erzählung bei Dio
54, 33.
^8 Daß der Sturz des Drusus in der Saalegegend erfolgte, wird aus
Strabon 7,1, 3 p. 291 gefolgert werden dürfen, obwohl er nur sagt, daß
er auf dem Heerzuge zwischen Salas und Rhein umkam und die
Identifikation des Salas mit der Saale allein auf der Namensähnlichkeit
beruht. Von der Unglücksstätte wurde er dann bis in das Sommerlager
transportiert (Sen. dial. ad Marciam 3: ipsis illum hostibus aegrum cum
veneratione et pace mutua prosequentibus nec optare quod expediebat
audentibus) und in diesem ist er gestorben (Suet. Claud. 1). Dies lag
tief im Barbarenland (Val. Max. 5, 5, 3) und nicht allzuweit von dem
Schlachtfelde des Varus (Tac. ann. 2, 7, wo die vetus ara Druso sita
gewiß auf den Sterbeplatz zu beziehen ist); man wird dasselbe im
Wesergebiet suchen dürfen. Die Leiche wurde dann in das Winterlager
geschafft (Dio 55, 2) und dort verbrannt; diese Stätte galt nach
römischem Gebrauch auch als Grabstätte, obwohl die Beisetzung der Asche
in Rom stattfand, und darauf ist der honorarius tumulus mit der
jährlichen Leichenfeier zu beziehen (Suet. a. a. O.). Wahrscheinlich
hat man dessen Stätte in Vetera zu suchen. Wenn ein späterer
Schriftsteller (Eutr. 7, 13) von dem monumentum des Drusus bei Mainz
spricht, so ist dies nicht wohl das Grabmal, sondern das anderweitig
erwähnte Tropaeum (Flor. epit. 2, 30: Marcomanorum spoliis et
insignibus quendam editum tumulum in tropaei modum excoluit).
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In dem großen Gang der Dinge änderte, wie billig, der Tod des tüchtigen
Feldherrn nichts. Sein Bruder Tiberius kam früh genug, nicht bloß um
ihm die Augen zuzudrücken, sondern auch um mit seiner sicheren Hand das
Heer zurück und die Eroberung Germaniens weiter zu führen. Er
kommandierte dort während der beiden folgenden Jahre (746, 747 8, 7);
zu größeren Kämpfen ist es während derselben nicht gekommen, aber weit
und breit zwischen Rhein und Elbe zeigten sich die römischen Truppen,
und als Tiberius die Forderung stellte, daß sämtliche Gaue die römische
Herrschaft förmlich anzuerkennen hätten, und zugleich erklärte, die
Anerkennung nur von sämtlichen Gauen zugleich entgegennehmen zu können,
fügten sie sich ohne Ausnahme, zuletzt von allen die Sugambrer, für die
es freilich einen wirklichen Frieden nicht gab. Wie weit man
militärisch gelangt war, beweist die wenig später fallende Expedition
des Lucius Domitius Ahenobarbus. Dieser konnte als Statthalter von
Illyricum, wahrscheinlich von Vindelizien aus, einem unsteten
Hermundurenschwarm im Markomannenlande selbst Sitze anweisen und
gelangte bei dieser Expedition bis an und über die obere Elbe, ohne auf
Widerstand zu treffen ^9. Die Markomannen in Böhmen waren völlig
isoliert, und das übrige Germanien zwischen Rhein und Elbe eine, wenn
auch noch keineswegs befriedete, römische Provinz.
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^9 Die Mitteilung Dios (55, IOa), zum Teil bestätigt durch Tacitus
(arm. 4, 44) kann nicht anders aufgefaßt werden. Diesem Statthalter muß
ausnahmsweise auch Noricum und Rätien unterstellt gewesen sein oder der
Lauf der Operationen veranlaßte ihn, die Grenze seiner
Statthalterschaft zu überschreiten. Daß er Böhmen selbst durchschritten
habe, was in noch größere Schwierigkeiten verwickeln würde, fordert der
Bericht nicht.
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Die militärisch-politische Organisation Germaniens, wie sie damals
angelegt ward, vermögen wir nur unvollkommen zu erkennen, da uns einmal
über die in früherer Zeit zum Schutz der gallischen Ostgrenze
getroffenen Einrichtungen jede genaue Kunde fehlt, andererseits
diejenigen der beiden Brüder durch die spätere Entwicklung der Dinge
großenteils zerstört worden sind. Eine Verlegung der römischen Grenzhut
vom Rhein weg hat keineswegs stattgefunden; so weit wollte man
vielleicht kommen, aber war man nicht. Ähnlich wie in Illyricum damals
die Donau, war die Elbe wohl die politische Reichsgrenze, aber der
Rhein die Linie der Grenzverteidigung, und von den Rheinlagern liefen
die rückwärtigen Verbindungen nach den großen Städten Galliens und nach
dessen Häfen ^10. Das große Hauptquartier während dieser Feldzüge ist
das spätere sogenannte “alte Lager”, Castra vetera (Birten bei Xanten),
die erste bedeutende Höhe abwärts Bonn am linken Rheinufer, militärisch
etwa dem heutigen Wesel am rechten entsprechend. Dieser Platz, besetzt
vielleicht seit den Anfängen der Römerherrschaft am Rhein, ist von
Augustus eingerichtet worden als Zwingburg für Germanien; und wenn die
Festung zu allen Zeiten der Stützpunkt für die römische Defensive am
linken Rheinufer gewesen ist, so war sie für die Invasion des rechten
nicht weniger wohl gewählt, gelegen gegenüber der Mündung der weit
hinauf schiffbaren Lippe und mit dem rechten Ufer durch eine feste
Brücke verbunden. Den Gegensatz zu diesem “alten Lager” an der Mündung
der Lippe, bildete wahrscheinlich das an der Mündung des Main,
Mogontiacum, das heutige Mainz, allem Anschein nach eine Schöpfung des
Drusus; wenigstens zeigen die schon erwähnten, den Chatten auferlegten
Gebietsabtretungen, sowie die weiterhin zu erwähnenden Anlagen im
Taunus, daß Drusus die militärische Wichtigkeit der Mainlinie und also
auch die ihres Schlüssels auf dem linken Rheinufer deutlich erkannt
hat. Wenn das Legionslager an der Aare, wie es scheint, eingerichtet
worden ist, um die Räter und Vindeliker im Gehorsam zu erhalten, so
fällt dessen Anlage vermutlich schon in diese Zeit, aber es ist dann
auch mit den gallisch-germanischen Militäreinrichtungen nur äußerlich
verknüpft gewesen. Das Straßburger Legionslager reicht schwerlich bis
in so frühe Zeit hinauf. Die Basis der römischen Heerstellung bildet
die Linie von Mainz bis Wesel. Daß Drusus und Tiberius, abgesehen von
der damals nicht mehr kaiserlichen narbonensischen Provinz, sowohl die
Statthalterschaft von ganz Gallien wie auch das Kommando der sämtlichen
rheinischen Legionen gehabt haben, ist ausgemacht; von diesen Prinzen
abgesehen, mag damals wohl die Zivilverwaltung Galliens von dem
Kommando der Rheintruppen getrennt gewesen sein, aber schwerlich war
das letztere damals schon in zwei koordinierte Kommandos geteilt ^11.
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^10 Auf eine rückwärtige Verbindung der Rheinlager mit dem Hafen von
Boulogne dürfte die viel bestrittene Notiz des Florus (epit. 2, 30) zu
beziehen sein: Bonnam (oder Bormam) et Gessoriacum pontibus iunxit
classibusque firmavit, womit zu vergleichen sind die von demselben
Schriftsteller erwähnten Kastelle an der Maas. Bonn kann damals füglich
die Station der Rheinflotte gewesen sein; Boulogne ist auch in späterer
Zeit noch Flottenstation gewesen. Drusus konnte wohl Veranlassung haben
den kürzesten und sichersten Landweg zwischen den beiden Flottenlagern
für Transporte brauchbar zu machen, wenn auch der Schreiber
wahrscheinlich, um das Auffallende bemüht, durch zugespitzte
Ausdrucksweise Vorstellungen erweckt, die so nicht richtig sein können.
^11 Über die administrative Teilung Galliens fehlt es, abgesehen von
der Abtrennung der Narbonensis, an allen Nachrichten, da sie nur auf
kaiserlichen Verfügungen beruhte und darüber nichts in die
Senatsprotokolle kam. Aber von der Existenz eines gesonderten ober- und
untergermanischen Kommandos geben die erste Kunde die Feldzüge des
Germanicus, und die Varusschlacht ist unter jener Voraussetzung kaum zu
verstehen; hier erscheinen wohl die hiberna inferiora, die von Vetera
(Vell. 2, 120), und den Gegensatz dazu, die superiora können nur die
von Mainz gemacht haben, aber auch diese stehen nicht unter einem
Kollegen, sondern unter dem Neffen, also einem Unterbefehlshaber des
Varus. Wahrscheinlich hat die Teilung erst in Folge der Niederlage in
den letzten Jahren des Augustus stattgefunden.
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Über den Bestand der damaligen Rheinarmee können wir nur etwa sagen,
daß die Armee des Drusus schwerlich stärker, vielleicht geringer war
als die, welche zwanzig Jahre später in Germanien stand, von fünf bis
sechs Legionen, etwa 50000 bis 60000 Mann.
Diesen militärischen Einrichtungen am linken Rheinufer sind die am
rechten getroffenen korrelat. Zunächst nahmen die Römer dieses selbst
in Besitz. Es traf dies vor allem die Sugambrer, wobei allerdings die
Vergeltung für den erbeuteten Adler und die ans Kreuz geschlagenen
Centurionen mitgewirkt hat. Die zur Erklärung der Unterwerfung
abgesandten Boten, die Vornehmsten der Nation, wurden gegen das
Völkerrecht als Kriegsgefangene behandelt und kamen in den italischen
Festungen elend um. Von der Masse des Volkes wurden 40000 Köpfe aus
ihrer Heimat entfernt und auf dem gallischen Ufer angesiedelt, wo sie
später vielleicht unter dem Namen der Cugerner begegnen. Nur ein
geringer und ungefährlicher Überrest des mächtigen Stammes durfte in
den alten Wohnsitzen bleiben. Auch suebische Haufen sind nach Gallien
übergeführt, andere Völkerschaften weiter landeinwärts gedrängt worden,
wie die Marser und ohne Zweifel auch die Chatten; am Mittelrhein wurde
überall die eingeborene Bevölkerung des rechten Ufers verdrängt oder
doch geschwächt. Längs dieses Rheinufers wurden ferner befestigte
Posten, fünfzig an der Zahl, eingerichtet. Vorwärts Mogontiacum wurde
das den Chatten abgenommene Gebiet, seitdem der Gau der Mattfiaker bei
dem heutigen Wiesbaden, in die römischen Linien gezogen und die Höhe
des Taunus stark befestigt ^12. Vor allem aber wurde von Vetera aus die
Lippelinie in Besitz genommen; von der doppelten, von Tagemarsch zu
Tagemarsch mit Kastellen besetzten Militärstraße an den beiden Ufern
des Flusses ist wenigstens die rechtsuferige sicher ebenso das Werk des
Drusus wie dies bezeugt ist von der Festung Aliso im Quellgebiet der
Lippe, wahrscheinlich dem heutigen Dorfe Elsen unweit Paderborn ^13.
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^12 Das von Drusus in monte Tauno angelegte praesidium (Tac. ann. 1,
56) und das mit Aliso zusammengestellte (φρούριον εν Χα`αττοις παρ'
αυτώ τώ Ρήνω (Dio 54, 33) sind wahrscheinlich identisch, und die
besondere Stellung des Mattiakergaus hängt augenscheinlich mit der
Anlage von Mogontiacum zusammen.
^13 Daß das “Kastell am Zusammenfluß des Lupias und des Helison” bei
Dio 54, 33 identisch ist mit dem öfter genannten Aliso und dies an der
oberen Lippe gesucht werden muß, ist keinem Zweifel unterworfen, und
daß das römische Winterlager an den Lippequellen (ad caput Lupiae,
Vell. 2, 105), unseres Wissens das einzige derartige auf germanischem
Boden, eben dort zu suchen ist, wenigstens sehr wahrscheinlich. Daß die
beiden an der Lippe hin laufenden Römerstraßen und deren befestigte
Marschlager wenigstens bis in die Gegend von Lippstadt führten, haben
namentlich Hölzermanns Untersuchungen dargetan. Die obere Lippe hat nur
einen namhaften Zufluß, die Alme, und da unweit der Mündung dieser in
die Lippe das Dorf Elsen liegt, so darf hier der Namensähnlichkeit
einiges Gewicht beigelegt werden.
Der Ansetzung von Aliso an der Mündung der Glenne (und Liese) in die
Lippe, welche unter andern Schmidt vertritt, steht vornehmlich
entgegen, daß das Lager ad caput Lupiae dann von Aliso verschieden
gewesen sein muß, überhaupt dieser Punkt von der Weserlinie zu weit
abliegt, während von Elsen aus der Weg geradezu durch die Dörenschlucht
in das Werretal führt. überhaupt bemerkt Schmidt (Westfälische
Zeitschrift für Gesch. und Alterthumskunde 20, 1862, S. 259), kein
Anhänger der Identifikation von Aliso und Elsen, daß die Höhen von
Wever (unweit Elsen) und überhaupt der linke Talrand der Alme der
Mittelpunkt eines Halbkreises sind, welchen die vorliegenden Gebirge
bilden, und diese hochgelegene, trockene, bis zu dem Gebirge eine
genaue Übersicht gestattende Gegend, welche das ganze lippische Land
deckt und selbst in der Front durch die Alme gedeckt ist, sich gut
eignet zum Ausgangspunkt eines Zuges gegen die Weser.
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Dazu kam der schon erwähnte Kanal von der Rheinmündung zur Zuidersee
und ein von Lucius Domitius Ahenobarbus durch eine längere Sumpfstrecke
zwischen der Eins und dem Unterrhein gezogener Damm, die sogenannten
“langen Brücken”. Außerdem standen durch das ganze Gebiet zerstreut
einzelne römische Posten; dergleichen werden späterhin erwähnt bei den
Friesen und den Chaukern, und in diesem Sinne mag es richtig sein, daß
die römischen Besatzungen bis zur Weser und bis zur Elbe reichten.
Endlich lagerte das Heer wohl im Winter am Rhein, im Sommer aber, auch
wenn nicht eigentlich Expeditionen unternommen wurden, durchgängig im
eroberten Lande, in der Regel bei Aliso.
Aber nicht bloß militärisch richteten die Römer in dem neugewonnenen
Gebiet sich ein. Die Germanen wurden angehalten, wie andere
Provinzialen, von dem römischen Statthalter Recht zu nehmen und die
Sommerexpeditionen des Feldherrn entwickelten sich allmählich zu den
üblichen Gerichtsreisen des Statthalters. Anklage und Verteidigung der
Angeschuldigten fand in lateinischer Zunge statt; die römischen
Sachwalter und Rechtsbeistände begannen wie diesseits so jenseits des
Rheines ihre überall schwer empfundene, hier die solcher Dinge
ungewohnten Barbaren tief erbitternde Wirksamkeit. Es fehlte viel zur
völligen Durchführung der provinzialen Einrichtung; an förmliche Umlage
der Schatzung, an regulierte Aushebung für das römische Heer ward noch
nicht gedacht. Aber wie der neue Gauverband eben jetzt in Gallien im
Anschluß an die daselbst eingeführte göttliche Verehrung des Monarchen
eingerichtet ward, so wurde eine ähnliche Einrichtung auch in dem neuen
Germanien getroffen; als Drusus für Gallien den Augustusaltar in Lyon
weihte, wurden die zuletzt auf dem linken Rheinufer angesiedelten
Germanen, die Ubier, nicht in diese Vereinigung aufgenommen, sondern in
ihrem Hauptort, der der Lage nach für Germanien ungefähr war, was Lyon
für die drei Gallien, ein gleichartiger Altar für die germanischen Gaue
errichtet, dessen Priestertum im Jahre 9 der junge Cheruskerfürst
Segimundus, des Segestes Sohn, verwaltete.
Den vollen militärischen Erfolg brach oder unterbrach doch die
kaiserliche Familienpolitik. Das Zerwürfnis zwischen Tiberius und
seinem Stiefvater führte dazu, daß jener im Anfang des Jahres 748 (6)
das Kommando niederlegte. Das dynastische Interesse gestattete es
nicht, umfassende militärische Operationen anderen Generalen als
Prinzen des kaiserlichen Hauses anzuvertrauen; und nach Agrippas und
Drusus’ Tod und Tiberius’ Rücktritt gab es fähige Feldherrn in
demselben nicht. Allerdings werden in den zehn Jahren, wo Statthalter
mit gewöhnlicher Befugnis in Illyricum und in Germanien schalteten, die
militärischen Operationen daselbst wohl nicht so vollständig
unterbrochen worden sein, wie es uns erscheint, da die höfisch gefärbte
Überlieferung über die mit und die ohne Prinzen geführten Kampagnen
nicht in gleicher Weise berichtet; aber das Stocken ist unverkennbar,
und dieses selbst war ein Rückschritt. Ahenobarbus, der infolge seiner
Verschwägerung mit dem kaiserlichen Hause - seine Gattin war die
Schwestertochter Augusts - freiere Hand hatte als andere Beamte und der
in seiner illyrischen Statthalterschaft die Elbe überschritten hatte,
ohne Widerstand zu finden, erntete später als Statthalter Germaniens
dort keine Lorbeeren. Nicht bloß die Erbitterung, auch der Mut der
Germanen waren wieder im Steigen und im Jahre 2 erscheint das Land
wieder im Aufstand, die Cherusker und die Chauker unter den Waffen.
Inzwischen hatte am Kaiserhofe der Tod sich ins Mittel geschlagen und
der Wegfall der jungen Söhne des Augustus diesen und Tiberius
ausgesöhnt. Kaum war diese Versöhnung durch die Annahme an Kindesstatt
besiegelt und proklamiert (4), so nahm Tiberius das Werk da wieder auf,
wo es unterbrochen worden war, und führte abermals in diesem und den
beiden folgenden Sommern (5-6) die Heere über den Rhein. Es war eine
Wiederholung und Steigerung der früheren Feldzüge. Die Cherusker wurden
im ersten Feldzug, die Chauker im zweiten zum Gehorsam zurückgebracht;
die den Batavern benachbarten und an Tapferkeit nicht nachstehenden
Cannenefaten, die im Quellgebiet der Lippe und an der Ems sitzenden
Bructerer und andere Gaue mehr unterwarfen sich, ebenso die hier zuerst
erwähnten mächtigen Langobarden, damals hausend zwischen der Weser und
Elbe. Der erste Feldzug führte über die Weser hinein in das Innere; in
dem zweiten standen an der Elbe selbst die römischen Legionen dem
germanischen Landsturm am anderen Ufer gegenüber. Vom Jahre 4 auf 5
nahm, es scheint zum ersten Mal, das römische Heer das Winterlager auf
germanischem Boden bei Aliso. Alles dies wurde erreicht ohne erhebliche
Kämpfe; die umsichtige Kriegführung brach nicht die Gegenwehr, sondern
machte sie unmöglich. Diesem Feldherrn war es nicht um unfruchtbare
Lorbeeren zu tun, sondern um dauernden Erfolg. Nicht minder wurde die
Seefahrt wiederholt; wie die erste Kampagne des Drusus, so ist die
letzte des Tiberius ausgezeichnet durch die Beschiffung der Nordsee.
Aber die römische Flotte gelangte diesmal weiter: die ganze Küste der
Nordsee bis zum Vorgebirge der Kimbrer, das heißt zur jütischen Spitze,
ward von ihr erkundet und sie vereinigte sich dann, die Elbe
hinauffahrend, mit dem an dieser aufgestellten Landheer. Diese zu
überschreiten, hatte der Kaiser ausdrücklich untersagt; aber die Völker
jenseits der Elbe, die eben genannten Kimbrer im heutigen Jütland, die
Charuden südlich von ihnen, die mächtigen Semnonen zwischen Elbe und
Oder traten wenigstens in Beziehung zu den neuen Nachbarn.
Man konnte meinen, am Ziel zu sein. Aber eines fehlte doch noch zur
Herstellung des eisernen Ringes, der Großdeutschland umklammern sollte:
es war die Herstellung der Verbindung zwischen der mittleren Donau und
der oberen Elbe, die Besitznahme des alten Boierheims, das in seinem
Bergkranz gleich einer gewaltigen Festung zwischen Noricum und
Germanien sich einschob. Der König Maroboduus, aus edlem
Markomannengeschlecht, aber in jungen Jahren durch längeren Aufenthalt
in Rom eingeführt in dessen straffere Heer- und Staatsordnung, hatte
nach der Heimkehr, vielleicht während der ersten Feldzüge des Drusus
und der dadurch herbeigeführten Übersiedlung der Markomannen vom Main
an die obere Elbe, sich nicht bloß zum Fürsten seines Volkes erhoben,
sondern auch diese seine Herrschaft nicht in der lockeren Weise des
germanischen Königtums, sondern, man möchte sagen, nach dem Muster der
augustischen gestaltet. Außer seinem eigenen Volk gebot er über den
mächtigen Stamm der Lugier (im heutigen Schlesien) und seine Klientel
muß sich über das ganze Gebiet der Elbe erstreckt haben, da die
Langobarden und die Semnonen als ihm untertänig bezeichnet werden.
Bisher hatte er den Römern wie den übrigen Germanen gegenüber völlige
Neutralität beobachtet; er gewährte wohl den flüchtigen Römerfeinden in
seinem Lande eine Freistatt, aber tätig mischte er sich in den Kampf
nicht, nicht einmal, als die Hermunduren von dem römischen Statthalter
auf markomannischem Gebiet Wohnsitze angewiesen erhielten und als das
linke Elbufer den Römern botmäßig ward. Er unterwarf sich ihnen nicht,
aber er nahm alle jene Vorgänge hin, ohne darum die freundlichen
Beziehungen zu den Römern zu unterbrechen. Durch diese gewiß nicht
großartige und schwerlich auch nur kluge Politik hatte er erreicht, als
der letzte angegriffen zu werden; nach den vollkommen gelungenen
germanischen Feldzügen der Jahre 4 und 5 kam die Reihe an ihn. Von zwei
Seiten her, von Germanien und Noricum aus, rückten die römischen Heere
vor gegen den böhmischen Bergring; den Main hinauf, die dichten Wälder
vom Spessart zum Fichtelgebirge mit Axt und Feuer lichtend, ging Gaius
Sentius Saturninus, von Carnuntum aus, wo die illyrischen Legionen
durch den Winter 5 auf 6 gelagert hatten, Tiberius selbst gegen die
Markomannen vor; die beiden Heere, zusammen zwölf Legionen, waren den
Gegnern, deren Streitmacht auf 70000 Mann zu Fuß und 4000 Reiter
geschätzt wurde, schon der Zahl nach fast um das Doppelte überlegen.
Die umsichtige Strategik des Feldherrn schien den Erfolg auch diesmal
völlig sichergestellt zu haben, als ein plötzlicher Zwischenfall den
weiteren Vormarsch der Römer unterbrach.
Die dalmatinischen Völkerschaften und die pannonischen wenigstens des
Savegebietes gehorchten seit kurzem den römischen Statthaltern; aber
sie ertrugen das neue Regiment mit immer steigendem Groll, vor allem
wegen der ungewohnten und schonungslos gehandhabten Steuern. Als
Tiberius später einen der Führer nach den Gründen des Abfalls fragte,
antwortete ihm dieser, es sei geschehen, weil die Römer ihren Herden zu
Hütern nicht Hunde noch Hirten, sondern Wölfe setzten. Jetzt waren die
Legionen aus Dalmatien an die Donau geführt und die wehrhaften Leute
aufgeboten worden, um eben dahin zur Verstärkung der Armeen gesendet zu
werden. Diese Mannschaften machten den Anfang und ergriffen die Waffen
nicht für, sondern gegen Rom; ihr Führer war ein Daesitiate (um
Serajevo), Bato. Dem Beispiel folgten die Pannonier unter Führung
zweier Breuker, eines anderen Bato und des Pinnes. Mit unerhörter
Schnelligkeit und Einträchtigkeit erhob sich ganz Illyricum; auf 200000
zu Fuß und 9000 zu Pferde wurde die Zahl der insurgierten Mannschaften
geschätzt. Die Aushebung für die Auxiliartruppen, welche namentlich bei
den Pannoniern in bedeutendem Maße stattfand, hatte die Kunde des
römischen Kriegswesens, zugleich mit der römischen Sprache und selbst
der römischen Bildung in weiterem Umfang verbreitet; diese gedienten
römischen Soldaten bildeten jetzt den Kern der Insurrektion ^14. Die in
den insurgierten Gebieten in großer Zahl angesessenen oder verweilenden
römischen Bürger, die Kaufleute und vor allem die Soldaten, wurden
überall aufgegriffen und erschlagen. Wie die provinzialen
Völkerschaften kamen auch die unabhängigen in Bewegung. Die den Römern
ganz ergebenen Fürsten der Thraker führten allerdings ihre ansehnlichen
und tapferen Scharen den römischen Feldherrn zu; aber vom anderen Ufer
der Donau brachen die Daker, mit ihnen die Sarmaten, in Mösien ein. Das
ganze weite Donaugebiet schien sich verschworen zu haben, um der
Fremdherrschaft ein jähes Ende zu bereiten.
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^14 Das und nicht mehr sagt Velleius (2, 110): in omnibus Pannoniis non
disciplinae (= Kriegszucht) tantummodo, sed linguae quoque notitia
Romanae, plerisque etiam litterarum Usus et familiaris animorum erat
exercitatio. Es sind das dieselben Erscheinungen, wie sie bei den
Cheruskerfürsten begegnen, nur in gesteigertem Maße; und sie sind
vollkommen begreiflich, wenn man sich der von Augustus aufgestellten
pannonischen und breukischen Alen und Kohorten erinnert.
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Die Insurgenten waren nicht gemeint, den Angriff abzuwarten, sondern
sie planten einen Überfall Makedoniens und sogar Italiens. Die Gefahr
war ernst; über die Julischen Alpen hinüber konnten die Aufständischen
in wenigen Tagen wiederum vor Aquileia und Tergeste stehen - sie hatten
den Weg dahin noch nicht verlernt - und in zehn Tagen vor Rom, wie der
Kaiser selbst im Senat es aussprach, allerdings um sich der Zustimmung
desselben zu den umfassenden und drückenden militärischen
Veranstaltungen zu versichern. In schleunigster Eile wurden neue
Mannschaften auf die Beine gebracht und die zunächst bedrohten Städte
mit Besatzung versehen; ebenso, was irgendwo von Truppen entbehrlich
war, nach den bedrohten Punkten geschickt. Der erste zur Stelle war der
Statthalter von Mösien, Aulus Caecina Severus, und mit ihm der
thrakische König Rhoemetalkes; bald folgten andere Truppen aus den
überseeischen Provinzen nach. Vor allen Dingen aber mußte Tiberius,
statt in Böhmen einzudringen, zurückkehren nach Illyricum. Hätten die
Insurgenten abgewartet, bis die Römer mit Maroboduus im Kampfe lagen,
oder dieser mit ihnen gemeinschaftliche Sache gemacht, so konnte die
Lage für die Römer eine sehr kritische werden. Aber jene schlugen zu
früh los, und dieser, getreu seinem System der Neutralität, ließ sich
dazu herbei, eben jetzt auf der Basis des Status quo mit den Römern
Frieden zu schließen. So mußte Tiberius zwar die Rheinlegionen
zurücksenden, da Germanien unmöglich von Truppen entblößt werden
konnte, aber sein illyrisches Heer konnte er mit den aus Mösien,
Italien und Syrien anlangenden Truppen vereinigen und gegen die
Insurgenten verwenden. In der Tat war der Schrecken größer als die
Gefahr. Die Dalmater brachen zwar zu wiederholten Malen in Makedonien
ein und plünderten die Küste bis nach Apollonia hinab; aber zu dem
Einfall in Italien kam es nicht, und bald war der Brand auf seinen
ursprünglichen Herd beschränkt.
Dennoch war die Kriegsarbeit nicht leicht: auch hier wie überall war
die abermalige Niederwerfung der Unterworfenen mühsamer als die
Unterwerfung selbst. Niemals ist in augustischer Zeit eine gleiche
Truppenmasse unter demselben Kommando vereinigt gewesen; schon im
ersten Kriegsjahre bestand das Heer des Tiberius aus zehn Legionen
nebst den entsprechenden Hilfsmannschaften, dazu zahlreichen freiwillig
wieder eingetretenen Veteranen und anderen Freiwilligen, zusammen etwa
120000 Mann; späterhin hatte er fünfzehn Legionen unter seinen Fahnen
vereinigt ^15. Im ersten Feldzug (6) wurde mit sehr abwechselndem Glück
gestritten; es gelang wohl, die großen Ortschaften, wie Siscia und
Sirmium, gegen die Insurgenten zu schützen, aber der Dalmatiner Bato
focht ebenso hartnäckig und zum Teil glücklich gegen den Statthalter
von Pannonien, Marcus Valerius Messalla, des Redners Sohn, wie sein
pannonischer Namensgenosse gegen den von Mösien, Aulus Caecina. Vor
allem der kleine Krieg machte den römischen Truppen viel zu schaffen.
Auch das folgende Jahr (7), in welchem neben Tiberius sein Neffe, der
junge Germanicus, auf den Kriegsschauplatz trat, brachte kein Ende der
ewigen Kämpfe. Erst im dritten Feldzug (8) gelang es, zunächst die
Pannonier zu unterwerfen, hauptsächlich, wie es scheint, dadurch, daß
ihr Führer Bato, von den Römern gewonnen, seine Truppen bewog, am Fluß
Bathinus samt und sonders die Waffen zu strecken und den Kollegen im
Oberbefehl, Pinnes, den Römern auslieferte, wofür er von diesen als
Fürst der Breuker anerkannt ward. Zwar traf den Verräter bald die
Strafe: sein dalmatinischer Namensgenosse fing ihn und ließ ihn
hinrichten, und noch einmal flackerte bei den Breukern der Aufstand
auf; aber er ward rasch wieder erstickt und der Dalmater beschränkt auf
die Verteidigung der eigenen Heimat. Hier hatte Germanicus und andere
Korpsführer in diesem wie noch im folgenden Jahr (9) in den einzelnen
Gauen heftige Kämpfe zu bestehen; in dem letzteren wurden die Pirusten
(an der epirotischen Grenze) und der Gau, dem der Führer selbst
angehörte, die Daesitiaten bezwungen, ein tapfer verteidigtes Kastell
nach dem andern gebrochen. Noch einmal im Laufe des Sommers erschien
Tiberius selbst wieder im Felde und setzte die gesamten Streitkräfte
gegen die Reste der Insurrektion in Bewegung. Auch Bato, in dem festen
Andetrium (Muck, oberhalb Salome), seiner letzten Zufluchtstau, von dem
römischen Heere eingeschlossen, gab die Sache verloren. Er verließ die
Stadt, da er nicht vermochte, die Verzweifelten zur Unterwerfung zu
bestimmen, und unterwarf sich dem Sieger, bei dem er ehrenvolle
Behandlung fand; er ist, als politischer Gefangener interniert, in
Ravenna gestorben. Ohne den Führer setzte die Mannschaft den
vergeblichen Kampf noch eine Zeitlang fort, bis die Römer das Kastell
mit stürmender Hand einnahmen - wahrscheinlich diesen Tag, den 3.
August, verzeichnen die römischen Kalender als den Jahrestag des von
Tiberius in Illyricum erfochtenen Sieges.
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^15 Nimmt man an, daß von den zwölf Legionen, die gegen Maroboduus im
Marsch waren (Tac. ann. 2, 46), so viele, als wir bald nachher in
Germanien finden, also fünf, auf dieses Heer kommen, so zählte das
illyrische Heer des Tiberius sieben, und die Zahl von zehn (Vell. 2,
113) kann füglich bezogen werden auf den Zuzug aus Mösien und Italien,
die fünfzehn auf den Zuzug aus Ägypten oder Syrien und auf die weiteren
Aushebungen in Italien, von wo die neu ausgehobenen Legionen zwar nach
Germanien, aber die dadurch abgelösten zu Tiberius’ Heer kamen. Ungenau
spricht Velleius (2, 112) gleich im Beginn des Krieges von fünf durch
A. Caecina und Plautius Silvanus ex transmarinis provinciis
herangeführten Legionen; einmal konnten die überseeischen Truppen nicht
sofort zur Stelle sein, und zweitens sind die Legionen des Caecina
natürlich die mösischen. Vgl. meinen Kommentar zum Monumentum Ancyranum
(Res gestae divi Augusti), 2. Aufl. 1883, S. 71.
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Auch die Daker jenseits der Donau traf die Vergeltung. Wahrscheinlich
in dieser Zeit, nachdem der illyrische Krieg sich zu Gunsten Roms
entschieden hatte, führte Gnaeus Lentulus ein starkes römisches Heer
über die Donau, gelangte bis an den Marisus (Marosch) und schlug sie
nachdrücklich in ihrem eigenen Lande, das damals zuerst eine römische
Armee betrat. Fünfzigtausend gefangene Daker wurden in Thrakien
ansässig gemacht.
Die Späteren haben den “Batonischen Krieg” der Jahre 6 bis 9 den
schwersten genannt, den Rom seit dem Hannibalischen gegen einen
auswärtigen Feind zu bestehen gehabt hat. Dem illyrischen Land hat er
arge Wunden geschlagen; in Italien war die Siegesfreude grenzenlos, als
der junge Germanicus die Botschaft des entscheidenden Erfolges nach der
Hauptstadt überbrachte. Lange hat der Jubel nicht gewährt; fast
gleichzeitig mit der Kunde von diesem Erfolg kam die Nachricht von
einer Niederlage nach Rom, wie sie Augustes in seiner fünfzigjährigen
Regierung nur einmal erlebt hat und die in ihren Folgen noch viel
bedeutsamer war als in sich selbst.
Die Zustände in der Provinz Germanien sind früher dargelegt worden. Der
Gegenschlag, der auf jede Fremdherrschaft mit der Unvermeidlichkeit
eines Naturereignisses folgt und der soeben in dem illyrischen Lande
eingetreten war, bereitete auch dort, in den mittelrheinischen Gauen,
sich vor. Die Reste der unmittelbar am Rhein sitzenden Stämme waren
freilich völlig entmutigt, aber die weiter zurück wohnenden,
vornehmlich die Cherusker, Chatten, Bructerer, Marser, kaum minder
geschädigt und keineswegs ohnmächtig. Wie immer in solchen Lagen,
bildete sich in jedem Gau eine Partei der fügsamen Römerfreunde und
eine nationale, die Wiedererhebung im Verborgenen vorbereitende. Die
Seele von dieser war ein junger, sechsundzwanzigjähriger Mann aus dem
Fürstengeschlecht der Cherusker, Arminius, des Sigimer Sohn; er und
sein Bruder Flavus waren vom Kaiser Augustes mit dem römischen
Bürgerrecht und mit Ritterrang beschenkt worden ^16 und beide hatten
als Offiziere in den letzten römischen Feldzügen unter Tiberius mit
Auszeichnung gefochten; der Bruder diente noch im römischen Heer und
hatte sich in Italien eine Heimstatt begründet. Begreiflicherweise galt
auch Arminius den Römern als ein Mann besonderen Vertrauens; die
Anschuldigungen, die sein besser unterrichteter Landsmann Segestes
gegen ihn vorbrachte, vermochten dies Zutrauen bei der wohlbekannten,
zwischen beiden bestehenden Verfeindung nicht zu erschüttern. Von den
weiteren Vorbereitungen haben wir keine Kunde; daß der Adel und vor
allem die adlige Jugend auf der Seite der Patrioten stand, versteht
sich von selbst und findet darin deutlichen Ausdruck, daß Segestes’
eigene Tochter Thusnelda wider das Verbot ihres Vaters sich dem
Arminius vermählte, auch ihr Bruder Segimundus und Segestes’ Bruder
Segimer sowie sein Neffe Sesithacus bei der Insurrektion eine
hervorragende Rolle spielten. Weiten Umfang hat sie nicht gehabt, bei
weitem nicht den der illyrischen Erhebung; kaum darf sie, streng
genommen, eine germanische genannt werden. Die Bataver, die Friesen,
die Chauker an der Küste waren nicht daran beteiligt, ebensowenig was
von suebischen Stämmen unter römischer Herrschaft stand, noch weniger
König Marobod; es erhoben sich in der Tat nur diejenigen Germanen, die
einige Jahre zuvor sich gegen Rom konföderiert hatten und gegen die
Drusus’ Offensive zunächst gerichtet gewesen war. Der illyrische
Aufstand hat die Gärung in Germanien ohne Zweifel gefördert, aber von
verbindenden Fäden zwischen den beiden gleichartigen und fast
gleichzeitigen Insurrektionen fehlt jede Spur; auch würden, hätten sie
bestanden, die Germanen schwerlich mit dem Losschlagen gewartet haben,
bis der pannonische Aufstand überwältigt war und in Dalmatien eben die
letzten Burgen kapitulierten. Arminius war der tapfere und verschlagene
und vor allen Dingen glückliche Führer in dem Verzweiflungskampf um die
verlorene nationale Unabhängigkeit; nicht weniger, aber auch nicht
mehr.
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^16 Das sagt Velleius (2, 118): adsiduus militiae nostrae prioris
comes, iure etiam civitatis Romanae eius equestres consequens gradus;
was mit dem ductor popularium des Tacitus (ann. 2, 10) zusammenfällt.
In dieser Zeit müssen dergleichen Offiziere nicht selten vorgekommen
sein; so fochten in dem dritten Feldzug des Drusus inter primores
Chumstinctus et Avectius tribuni ex civitate Nerviorum (Liv. ep. 141)
und unter Germanicus Chariovalda dux Batavorum (Tac. ann. 2, 11).
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Es war mehr die Schuld der Römer als das Verdienst der Insurgenten,
wenn deren Plan gelang. Insofern hat der illyrische Krieg hier
allerdings eingegriffen. Die tüchtigen Führer und allem Anschein nach
auch die erprobten Truppen waren vom Rhein an die Donau gezogen worden.
Vermindert war das germanische Heer, wie es scheint, nicht, aber der
größte Teil desselben bestand aus neuen, während des Krieges gebildeten
Legionen. Schlimmer noch war es um die Führerschaft bestellt. Der
Statthalter Publius Quinctilius Varus ^17 war wohl der Gemahl einer
Nichte des Kaisers und ein Mann von übel erworbenem, aber fürstlichem
Reichtum und von fürstlicher Hoffart, aber von trägem Körper und
stumpfem Geist und ohne jede militärische Begabung und Erfahrung, einer
jener vielen hochgestellten Römer, welche infolge des Festhaltens an
der alten Zusammenwerfung der Administrativ- und der
Oberoffiziersstellungen die Feldherrnschärpe nach dem Muster Ciceros
trugen. Er wußte die neuen Untertanen weder zu schonen noch zu
durchschauen; Bedrückung und Erpressung wurden geübt, wie er es von
seiner früheren Statthalterschaft über das geduldige Syrien her gewohnt
war; das Hauptquartier wimmelte von Advokaten und Klienten, und in
dankbarer Demut nahmen insbesondere die Verschworenen bei ihm Urteil
und Recht, während sich das Netz um den hoffärtigen Prätor dichter und
dichter zusammenzog.
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^17 Das Bildnis des Varus zeigt eine Kupfermünze der afrikanischen
Stadt Achulla, geschlagen unter seinem Prokonsulat von Afrika im Jahre
747/48 (7/6) (L. Müller, Numismatique de l’ancienne Afrique. Kopenhagen
18674, Bd. 2, S. 44, vgl. S. 52). Die Basis, welche einst die ihm von
der Stadt Pergamon gesetzte Bildsäule trug, haben die Ausgrabungen
daselbst wieder ans Licht gebracht; die Unterschrift lautet: ο δήμος
[ετίμησεν] Πόπλιον Κοινκτίλιον Σέξτου υιόν Ουάρ[ον] πάσης αρετή[ς
ένεκα].
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Die Lage der Armee war die damals normale. Es standen mindestens fünf
Legionen in der Provinz, von denen zwei ihr Winterlager in Mogontiacum,
drei in Vetera oder auch in Aliso hatten. Das Sommerlager hatten die
letzteren im Jahre 9 an der Weser genommen. Die natürliche
Verbindungsstraße von der oberen Lippe zur Weser führt über den
niederen Höhenzug des Osning und des Lippischen Waldes, welcher das Tal
der Ems von dem der Weser scheidet, durch die Dörenschlucht in das Tal
der Werre, die bei Rehme unweit Minden in die Weser fällt. Hier also
ungefähr lagerten damals die Legionen des Varus. Selbstverständlich war
dieses Sommerlager mit Aliso, dem Stützpunkt der römischen Stellungen
am rechten Rheinufer, durch eine Etappenstraße verbunden. Die gute
Jahreszeit ging zu Ende und man schickte sich zum Rückmarsch an. Da kam
die Meldung, daß ein benachbarter Gau im Aufstand sei, und Varus
entschloß sich, statt auf jener Etappenstraße das Heer zurückzuführen,
einen Umweg zu nehmen und unterwegs die Abgefallenen zum Gehorsam
zurückzubringen ^18. So brach man auf; das Heer bestand nach
zahlreichen Detachierungen aus drei Legionen und neun Abteilungen der
Truppen zweiter Klasse, zusammen etwa 20000 Mann ^19. Als nun die Armee
sich von ihrer Kommunikationslinie hinreichend entfernt hatte und tief
genug in das unwegsame Land eingedrungen war, standen in den
benachbarten Gauen die Konföderierten auf, machten die bei ihnen
stationierten kleinen Truppenabteilungen nieder und brachen von allen
Seiten aus den Schluchten und Wäldern gegen das marschierende Heer des
Statthalters vor. Arminius und die namhaftesten Führer der Patrioten
waren bis zum letzten Augenblick im römischen Hauptquartier geblieben,
um Varus sicher zu machen; noch am Abend vor dem Tage, an dem die
Insurrektion losbrach, hatten sie im Feldherrnzelt bei Varus gespeist
und Segestes, indem er den bevorstehenden Ausbruch des Aufstandes
ankündigte, den Feldherrn beschworen, ihn selbst sowie die
Angeschuldigten sofort verhaften zu lassen und die Rechtfertigung
seiner Anklage von den Tatsachen zu erwarten. Varus’ Vertrauen war
nicht zu erschüttern. Von der Tafel weg ritt Arminius zu den
Insurgenten und stand den anderen Tag vor den Wällen des römischen
Lagers. Die militärische Situation war weder besser noch schlimmer als
die der Armee des Drusus vor der Schlacht bei Arbalo und als sie unter
ähnlichen Verhältnissen oftmals für römische Armeen eingetreten ist;
die Kommunikationen waren für den Augenblick verloren, die mit schwerem
Troß beschwerte Armee in dem pfadlosen Lande und in schlimmer,
regnerischer Herbstzeit durch mehrere Tagemärsche von Aliso getrennt,
die Angreifer der Zahl nach ohne Zweifel den Römern weit überlegen. In
solchen Lagen entscheidet die Tüchtigkeit der Truppe; und wenn die
Entscheidung hier einmal zu Ungunsten der Römer fiel, so wird die
Unerfahrenheit der jungen Soldaten und vor allen Dingen die Kopf- und
Mutlosigkeit des Feldherrn dabei wohl das meiste getan haben. Nach
erfolgtem Angriff setzte das römische Heer seinen Marsch, jetzt ohne
Zweifel in der Richtung auf Aliso, noch drei Tage fort, unter stetig
steigender Bedrängnis und steigender Demoralisation. Auch die höheren
Offiziere taten teilweise ihre Schuldigkeit nicht; einer von ihnen ritt
mit der gesamten Reiterei vom Schlachtfeld weg und ließ das Fußvolk
allein den Kampf bestehen. Der erste, der völlig verzagte, war der
Feldherr selbst; verwundet im Kampfe, gab er sich den Tod, ehe die
letzte Entscheidung gefallen war, so früh, daß die Seinigen noch den
Versuch machten, die Leiche zu verbrennen und der Verunehrung durch den
Feind zu entziehen. Seinem Beispiel folgte eine Anzahl der
Oberoffiziere. Als dann alles verloren war, kapitulierte der
übriggebliebene Führer und gab auch das aus der Hand, was diesen
letzten noch blieb, den ehrlichen Soldatentod. So ging in einem der
Täler der das Münsterland begrenzenden Höhenzüge im Herbst des Jahres 9
n. Chr. das germanische Heer Zugrunde ^20. Die Adler fielen alle drei
in Feindeshand. Keine Abteilung schlug sich durch, auch jene Reiter
nicht, die ihre Kameraden im Stich gelassen hatten; nur wenige
Vereinzelte und Versprengte vermochten sich zu retten. Die Gefangenen,
vor allem die Offiziere und die Advokaten, wurden ans Kreuz geschlagen
oder lebendig begraben oder bluteten unter dem Opfermesser der
germanischen Priester. Die abgeschnittenen Köpfe wurden als
Siegeszeichen an die Bäume der heiligen Haine genagelt. Weit und breit
stand das Land auf gegen die Fremdherrschaft; man hoffte auf den
Anschluß Marobods; die römischen Posten und Straßen fielen auf dem
ganzen rechten Rheinufer ohne weiteres in die Gewalt der Sieger. Nur in
Aliso leistete der tapfere Kommandant Lucius Caedicius, kein Offizier,
aber ein altgedienter Soldat, entschlossenen Widerstand und seine
Schützen wußten den Germanen, die Fernwaffen nicht besaßen, das Lagern
vor den Wällen so zu verleiden, daß sie die Belagerung in eine Blockade
umwandelten. Als die letzten Vorräte der Belagerten erschöpft waren und
immer noch kein Entsatz kam, brach Caedicius in einer finsteren Nacht
auf, und dieser Rest des Heeres erreichte in der Tat, wenn auch
beschwert mit zahlreichen Frauen und Kindern und durch die Angriffe der
Germanen starke Verluste erleidend, schließlich das Lager von Vetera.
Dorthin waren auch die beiden in Mainz stehenden Legionen unter Lucius
Nonius Asprenas auf die Nachricht von der Katastrophe gegangen. Die
entschlossene Verteidigung von Aliso und Asprenas rasches Eingreifen
verhinderten die Germanen, ihren Sieg auf dem linken Rheinufer zu
verfolgen, vielleicht die Gallier, sich gegen Rom zu erheben.
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^18 Der Dionische Bericht, der einzige, der diese Katastrophe in
einigem Zusammenhang überliefert, erklärt den Verlauf derselben in
genügender Weise, wenn man nur, was Dio allerdings nicht hervorhebt,
das allgemeine Verhältnis des Sommer- und des Winterlagers hinzunimmt
und die von Ranke (Weltgeschichte. Leipzig 1881-88. Bd. 3, 2, S. 275)
mit Recht gestellte Frage, wie gegen eine lokale Insurrektion das ganze
Heer hat marschieren können, damit beantwortet. Der Bericht des Florus
beruht keineswegs auf ursprünglich anderen Quellen, wie derselbe
Gelehrte annimmt, sondern lediglich auf dem dramatischen Zusammenrücken
der Motive, wie es allen Historikern dieses Schlages eigen ist. Die
friedliche Rechtspflege des Varus und die Erstürmung des Lagers kennt
die bessere Überlieferung beide auch und in ihrem ursächlichen
Zusammenhang; die lächerliche Schilderung, daß, während Varus auf dem
Gerichtsstuhl sitzt und der Herold die Parteien vorladet, die Germanen
zu allen Toren in das Lager einbrechen, ist nicht Überlieferung,
sondern aus dieser verfertigtes Tableau. Daß dieses außer mit der
gesunden Vernunft auch mit Tacitus’ Schilderung der drei Marschlager in
unlösbarem Widerspruch steht, leuchtet ein.
^19 Die normale Stärke der drei Alen und der sechs Kohorten ist
insofern nicht genau zu berechnen, als darunter einzelne
Doppelabteilungen (miliariae) gewesen sein können; aber viel über 20000
Mann kann das Heer nicht gezählt haben. Andererseits liegt keine
Ursache vor, eine wesentliche Differenz der effektiven Stärke von der
normalen anzunehmen. Die zahlreichen Detachierungen, deren Erwähnung
geschieht (Dio 56, 19), finden ihren Ausdruck in der verhältnismäßig
geringen Zahl der Auxilien, die immer dafür vorzugsweise verwendet
wurden.
^20 Da Germanicus, von der Ems kommend, das Gebiet zwischen Ems und
Lippe, das heißt das Münsterland, verheert, und nicht weit davon der
Teutoburgiensis saltus liegt, wo Varus’ Heer zugrunde ging (Tat. ann.
1, 61), so liegt es am nächsten, diese Bezeichnung, welche auf das
flache Münsterland nicht paßt, von dem das Münsterland nordöstlich
begrenzenden Höhenzug, dem Osning zu verstehen; aber auch an das etwas
weiter nördlich parallel mit dem Osning von Minden zur Huntequelle
streichende Wiehengebirge kann gedacht werden. Den Punkt an der Weser,
an dem das Sommerlager stand, kennen wir nicht; indes ist nach der Lage
von Aliso bei Paderborn und nach den zwischen diesem und der Weser
bestehenden Verbindungen wahrscheinlich dasselbe etwa bei Minden
gewesen. Die Richtung des Rückmarsches kann jede andere, nur nicht die
nächste nach Aliso gewesen sein, und die Katastrophe erfolgte also
nicht auf der militärischen Verbindungslinie zwischen Minden und
Paderborn selbst, sondern in größerer oder geringerer Entfernung von
dieser. Varus mag von Minden etwa in der Richtung auf Osnabrück
marschiert sein, dann nach dem Angriff von dort aus nach Paderborn zu
gelangen versucht und auf diesem Marsch in einem jener beiden Höhenzüge
sein Ende gefunden haben. Seit Jahrhunderten ist in der Gegend von
Venne an der Huntequelle eine auffallend große Anzahl von römischen
Gold-, Silber- und Kupfermünzen gefunden worden, wie sie in
augustischer Zeit umliefen, während spätere Münzen daselbst so gut wie
gar nicht vorkommen (vgl. die Nachweisungen bei Paul Höfen Der Feldzug
des Germanicus im Jahre 16. Gotha 1884, S. 82 f.). Einem Münzschatz
können diese Funde nicht angehören, wegen des zerstreuten Vorkommens
und der Verschiedenheit der Metalle; einer Handelsstätte auch nicht,
wegen der zeitlichen Geschlossenheit; sie sehen ganz aus wie der
Nachlaß einer großen aufgeriebenen Armee, und die vorliegenden Berichte
über die Varusschlacht lassen sich mit dieser Lokalität vereinigen.
Über das Jahr der Katastrophe hätte nie gestritten werden sollen; die
Verschiebung in das Jahr 10 ist ein bloßes Versehen. Die Jahreszeit
wird einigermaßen dadurch bestimmt, daß zwischen der Anordnung der
illyrischen Siegesfeier und dem Eintreffen der Unglücksbotschaft in Rom
nur fünf Tage liegen und jene wahrscheinlich den Sieg vom 3. August zur
Voraussetzung hat wenn sie auch nicht unmittelbar auf diesen gefolgt
ist. Danach wird die Niederlage etwa im September oder Oktober
stattgefunden haben, was auch dazu stimmt, daß der letzte Marsch des
Varus offenbar der Rückmarsch aus dem Sommer- in das Winterlager
gewesen ist.
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Die Niederlage war insofern bald wieder ausgeglichen, als die
Rheinarmee sofort nicht bloß ergänzt, sondern ansehnlich verstärkt
ward. Tiberius übernahm abermals das Kommando derselben und wenn aus
dem auf die Varusschlacht folgenden Jahr (10) die Kriegsgeschichte
Gefechte nicht zu verzeichnen hatte, so ist wahrscheinlich damals die
Besetzung der Rheingrenze mit acht Legionen und wohl gleichzeitig die
Teilung dieses Kommandos in das der oberen Armee mit dem Hauptquartier
Mainz und das der unteren mit dem Hauptquartier Vetera, überhaupt also
diejenige Einrichtung daselbst getroffen worden, die dann durch
Jahrhunderte maßgebend geblieben ist. Man mußte erwarten, daß auf diese
Vermehrung der Rheinarmee die energische Wiederaufnahme der Operationen
auf dem rechten Rheinufer gefolgt wäre. Der römisch-germanische Kampf
war nicht ein Kampf zwischen zwei in politischem Gleichgewicht
stehenden Mächten, in welchem die Niederlage der einen einen
ungünstigen Friedensschluß rechtfertigen kann; es war der Kampf eines
zivilisierten und organisierten Großstaates gegen eine tapfere, aber
politisch und militärisch barbarische Nation, in welchem das
schließliche Ergebnis von vornherein feststeht und ein vereinzelter
Mißerfolg in dem vorgezeichneten Plan so wenig etwas ändern darf, wie
das Schiff darum seine Fahrt aufgibt, weil ein Windstoß es aus der Bahn
wirft. Aber es kam anders. Wohl ging Tiberius im folgenden Jahr (11)
über den Rhein; aber diese Expedition glich den früheren nicht. Er
blieb den Sommer drüben und feierte dort des Kaisers Geburtstag, aber
die Armee hielt sich in der unmittelbaren Nähe des Rheins und von Zügen
an die Weser und an die Elbe war keine Rede - es sollte offenbar den
Germanen nur gezeigt werden, daß die Römer den Weg in ihr Land noch zu
finden wußten, vielleicht auch diejenigen Einrichtungen am rechten
Rheinufer getroffen werden, welche die veränderte Politik erforderte.
Das große, beide Heere umfassende Kommando blieb und es blieb also auch
im kaiserlichen Hause. Germanicus hatte es schon im Jahre 11 neben
Tiberius geführt; im folgenden (12), wo ihn die Verwaltung des
Konsulats in Rom festhielt, kommandierte Tiberius allein am Rhein; mit
dem Anfang des Jahres 13 übernahm Germanicus den alleinigen Oberbefehl.
Man betrachtete sich als im Kriegsstand gegen die Germanen; aber es
waren tatenlose Jahre ^21. Ungern ertrug der feurige und ehrgeizige
Erbprinz den ihm auferlegten Zwang, und man begreift es von dem
Offizier, daß er die drei Adler in Feindeshand nicht vergaß, von dem
leiblichen Sohn des Drusus, daß er dessen zerstörten Bau wieder
aufzurichten wünschte. Bald bot sich ihm dazu die Gelegenheit oder er
nahm sie. Am 19. August des Jahres 14 starb Kaiser Augustus. Der erste
Thronwechsel in der neuen Monarchie verlief nicht ohne Krise und
Germanicus hatte Gelegenheit, durch Taten seinem Vater zu beweisen, daß
er gesonnen war, ihm die Treue zu wahren. Darin aber fand er zugleich
die Rechtfertigung, die lange gewünschte Invasion Germaniens auch
ungeheißen wieder aufzunehmen; er erklärte, die nicht unbedenkliche,
durch den Thronwechsel bei den Legionen hervorgerufene Gärung durch
diesen frischen Kriegszug ersticken zu müssen. Ob dies ein Grund oder
ein Vorwand war, wissen wir nicht und wußte vielleicht er selber nicht.
Dem Kommandanten der Rheinarmee konnte das Überschreiten der Grenze
überall nicht gewehrt werden, und es hing immer bis zu einem gewissen
Grade von ihm ab, wie weit gegen die Germanen vorgegangen werden
sollte. Vielleicht auch glaubte er, im Sinne des neuen Herrschers zu
handeln, der ja wenigstens ebensoviel Anspruch wie sein Bruder auf den
Namen des Besiegers von Germanien hatte und dessen angekündigtes
Erscheinen im Rheinlager wohl so aufgefaßt werden konnte, als komme er,
um die auf Augustus’ Geheiß abgebrochene Eroberung Germaniens wieder
aufzunehmen. Wie dem auch sei, die Offensive jenseits des Rheins begann
aufs neue. Noch im Herbst des Jahres 14 führte Germanicus selbst
Detachements aller Legionen bei Vetera über den Rhein und drang an der
Lippe hinauf ziemlich tief in das Binnenland vor, weit und breit das
Land verheerend, die Eingeborenen niedermachend, die Tempel - so den
hochgeehrten der Tanfana - zerstörend. Die Betroffenen, es waren
vornehmlich Bructerer, Tubanten und Usiper, suchten dem Kronprinzen auf
der Heimkehr das Schicksal des Varus zu bereiten; aber an der
energischen Haltung der Legionen prallte der Angriff ab. Da dieser
Vorstoß keinen Tadel fand, vielmehr dem Feldherrn dafür Danksagungen
und Ehrenbezeugungen dekretiert wurden, ging er weiter. Im Frühling des
Jahres 15 versammelte er seine Hauptmacht zunächst am Mittelrhein und
ging selbst von Mainz vor gegen die Chatten bis an die oberen Zuflüsse
der Weser, während das untere Heer weiter nordwärts die Cherusker und
die Marser angriff. Eine gewisse Rechtfertigung für dies Vorgehen lag
darin, daß die römisch gesinnten Cherusker, welche unter dem
unmittelbaren Eindruck der Katastrophe des Varus sich den Patrioten
hatten anschließen müssen, jetzt wieder mit der viel stärkeren
Nationalpartei in offenem Kampfe lagen und die Intervention des
Germanicus anriefen. In der Tat gelang es, den von seinen Landsleuten
hart bedrängten Römerfreund Segestes zu befreien und dabei dessen
Tochter, die Gattin des Arminius, in die Gewalt zu bekommen; auch des
Segestes Bruder Segimerus, einst neben Arminius der Führer der
Patrioten, unterwarf sich; die inneren Zerwürfnisse der Germanen
ebneten einmal mehr der Fremdherrschaft die Wege. Noch im selben Jahre
unternahm Germanicus den Hauptzug nach dem Emsgebiet; Caecina rückte
von Vetera aus an die obere Ems, er selbst ging mit der Flotte von der
Rheinmündung aus eben dorthin; die Reiterei zog die Küste entlang durch
das Gebiet der treuen Friesen. Wieder vereinigt, verwüsteten die Römer
das Land der Bructerer und das ganze Gebiet zwischen Ems und Lippe und
machten von da aus einen Zug nach der Unglücksstätte, wo sechs Jahre
zuvor das Heer des Varus geendigt hatte, um den gefallenen Kameraden
das Grabmal zu errichten. Bei dem weiteren Vormarsch wurde die römische
Reiterei von Arminius und den erbitterten Patriotenscharen in einen
Hinterhalt gelockt und wäre aufgerieben worden, wenn nicht die
anrückende Infanterie größeres Unheil verhindert hätte. Schwerere
Gefahren brachte die Heimkehr von der Ems, welche auf denselben Wegen
angetreten ward wie der Hinmarsch. Die Reiterei gelangte unbeschädigt
in das Winterlager. Dafür das Fußvolk der vier Legionen die Flotte bei
der schwierigen Fahrt - es war um die Zeit der Herbstnachtgleiche -
nicht genügte, so schiffte Germanicus zwei derselben wieder aus und
ließ sie am Strande zurückgehen; aber mit dem Verhältnis von Ebbe und
Flut in dieser Jahreszeit ungenügend bekannt, verloren sie ihr Gepäck
und gerieten in Gefahr, massenweise zu ertrinken. Der Rückmarsch der
vier Legionen des Caecina von der Ems zum Rhein glich genau dem des
Varus, ja das schwere sumpfige Land bot wohl noch größere
Schwierigkeiten als die Schluchten der Waldgebirge. Die ganze Masse der
Eingeborenen, an ihrer Spitze die beiden Cheruskerfürsten, Arminius und
dessen hochangesehener Oheim Inguiomerus, warf sich auf die abziehenden
Truppen in der sicheren Hoffnung, ihnen das gleiche Schicksal zu
bereiten, und füllte ringsum die Sümpfe und Wälder. Der alte Feldherr
aber, in vierzigjährigem Kriegsdienst erprobt, blieb kaltblütig auch in
der äußersten Gefahr und hielt seine verzagenden und hungernden
Mannschaften fest in der Hand. Dennoch hätte auch er vielleicht das
Unheil nicht abwenden können, wenn nicht nach einem glücklichen Angriff
während des Marsches, bei dem die Römer einen großen Teil ihrer
Reiterei und fast das ganze Gepäck einbüßten, die siegesgewissen und
beutelustigen Deutschen gegen Arminius Rat dem anderen Führer gefolgt
wären und statt der weiteren Umstellung des Feindes geradezu den Sturm
auf das Lager versucht hätten. Caecina ließ die Germanen bis an die
Wälle herankommen, brach aber dann aus allen Toren und Pforten mit
solcher Gewalt auf die Stürmenden ein, daß sie eine schwere Niederlage
erlitten und infolgedessen der weitere Rückzug ohne wesentliche
Hinderung stattfand. Am Rhein hatte man die Armee schon verloren
gegeben und war im Begriff gewesen, die Brücke bei Vetera abzuwerfen,
um wenigstens das Eindringen der Germanen in Gallien zu verhindern; nur
die entschlossene Einrede einer Frau, der Gattin des Germanicus, der
Tochter Agrippas, hatte den verzagten und schimpflichen Entschluß
vereitelt.
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^21 Den fortdauernden Kriegsstand bezeugen Tacitus (ann. 1, 9) und Dio
(56, 26); aber berichtet wird gar nichts aus den nominellen Feldzügen
der Sommer 12, 13 und 14, und die Expedition vom Herbst des Jahres 14
erscheint als die erste von Germanicus unternommene. Allerdings ist
Germanicus wahrscheinlich noch bei Augustus’ Lebzeiten als Imperator
ausgerufen worden (Monumentum Ancyranum, S. 17); aber es steht nichts
im Wege, dies auf den Feldzug des Jahres 11 zu beziehen, in dem
Germanicus mit prokonsularischer Gewalt neben Tiberius kommandierte
(Dio 56, 25). Im Jahre 12 war er in Rom zur Verwaltung des Konsulats,
welche er das ganze Jahr hindurch behielt und mit welcher es damals
noch ernsthaft genommen wurde; dies erklärt, weshalb Tiberius, wie dies
jetzt erwiesen ist (Hermann Schulz, Quaestiones Ovidianae. Greifswald
1883, S. 15 f.), noch im Jahre 12 nach Germanien ging und sein
Rheinkommando erst im Anfang des Jahres 13 mit der pannonischen
Siegesfeier niederlegte.
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Die Wiederaufnahme der Unterwerfung Germaniens begann also nicht gerade
mit Glück. Das Gebiet zwischen Rhein und Weser war wohl wieder betreten
und durchschritten worden, aber entscheidende Erfolge hatten die Römer
nicht aufzuzeigen, und der ungeheure Verlust an Material, namentlich an
Pferden, wurde schwer empfunden, so daß, wie in Scipios Zeiten, die
Städte Italiens und der westlichen Provinzen bei dem Ersatz des
Verlorenen mit patriotischen Beisteuern sich beteiligten.
Germanicus änderte für den nächsten Feldzug (16) seinen Kriegsplan: er
versuchte, die Unterwerfung Germaniens auf die Nordsee und die Flotte
zu stützen, teils weil die Völkerschaften an der Küste, die Bataver,
Friesen, Chauker mehr oder minder zu den Römern hielten, teils um die
zeitraubenden und verlustvollen Märsche vom Rhein zur Weser und zur
Elbe und wieder zurück abzukürzen. Nachdem er dieses Frühjahr wie das
vorige zu raschen Vorstößen am Main und an der Lippe verwendet hatte,
schiffte er im Anfang des Sommers auf der inzwischen fertiggestellten
gewaltigen Transportflotte von 1000 Segeln sein gesamtes Heer an der
Rheinmündung ein und gelangte in der Tat ohne Verlust bis an die der
Ems, wo die Flotte blieb, und weiter, vermutlich die Ems hinauf bis an
die Haasemündung und dann an dieser hinauf in das Werretal, durch
dieses an die Weser. Damit war die Durchführung der bis 80000 Mann
starken Armee durch den Teutoburger Wald, welche namentlich für die
Verpflegung mit großen Schwierigkeiten verbunden war, vermieden, in dem
Flottenlager für die Zufuhr ein sicherer Rückhalt gegeben, und die
Cherusker auf dem rechten Ufer der Weser statt von vorn in der Flanke
angegriffen. Auf diesem trat den Römern das Gesamtaufgebot der Germanen
entgegen, wiederum geführt von den beiden Häuptern der Patriotenpartei,
Arminius und Inguiomerus; über welche Streitkräfte dieselben geboten,
beweist, daß sie im Cheruskerland zunächst an der Weser selbst, dann
etwas weiter landeinwärts ^22, zweimal kurz nacheinander gegen das
gesamte römische Heer in offener Feldschlacht schlugen und in beiden
den Sieg hart bestritten. Allerdings fiel dieser den Römern zu und von
den germanischen Patrioten blieb ein beträchtlicher Teil auf den
Schlachtfeldern - Gefangene wurden nicht gemacht und von beiden Seiten
mit äußerster Erbitterung gefochten; das zweite Tropaeum des Germanicus
sprach von der Niederwerfung aller germanischen Völker zwischen Rhein
und Elbe; der Sohn stellte diese seine Kampagne neben die glänzenden
des Vaters und berichtete nach Rom, daß er im nächsten Feldzug die
Unterwerfung Germaniens vollendet haben werde. Aber Arminius entkam,
obwohl verwundet, und blieb auch ferner an der Spitze der Patrioten,
und ein unvorhergesehenes Unheil verdarb den Waffenerfolg. Auf der
Heimkehr, die von dem größten Teil der Legionen zu Schiff gemacht
wurde, geriet die Transportflotte in die Herbststürme der Nordsee; die
Schiffe wurden nach allen Seiten über die Inseln der Nordsee und bis an
die britische Küste hin geschleudert, ein großer Teil ging zugrunde und
die sich retteten, hatten größtenteils Pferde und Gepäck über Bord
werfen und froh sein müssen, das nackte Leben zu bergen. Der
Fahrtverlust kam, wie in den Zeiten der Punischen Kriege, einer
Niederlage gleich; Germanicus selbst, mit dem Admiralschiff einzeln
verschlagen an den öden Strand der Chauker, war in Verzweiflung über
diesen Mißerfolg drauf und dran, seinen Tod in demselben Ozean zu
suchen, dessen Beistand er im Beginn dieses Feldzuges so ernstlich und
so vergeblich angerufen hatte. Wohl erwies sich späterhin der
Menschenverlust nicht ganz so groß, wie es anfänglich geschienen hatte,
und einige erfolgreiche Schläge, die der Feldherr nach der Rückkehr an
den Rhein den nächstwohnenden Barbaren versetzte, hoben den gesunkenen
Mut der Truppen. Aber im ganzen genommen endigte der Feldzug des Jahres
16, verglichen mit dem des vorigen, wohl mit glänzenderen Siegen, aber
auch mit viel empfindlicherer Einbuße.
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^22 Die Annahme Schmidts (Westfälische Zeitschrift 20, 1862, S. 301),
daß die erste Schlacht auf dem Idistavisischen Feld, etwa bei
Bückeburg, geschlagen sei, die zweite, wegen der dabei erwähnten
Sümpfe, vielleicht am Steinhuder See, bei dem südlich von diesem
liegenden Dorf Bergkirchen, wird von der Wahrheit sich nicht weit
entfernen und kann wenigstens als Veranschaulichung gelten. Auf ein
gesichertes Ergebnis muß bei diesem wie bei den meisten Taciteischen
Schlachtberichten verzichtet werden.
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Germanicus Abberufung war zugleich die Aufhebung des Oberkommandos der
rheinischen Armee. Die bloße Teilung des Kommandos setzte der
bisherigen Kriegführung ein Ziel; daß Germanicus nicht bloß abberufen
ward, sondern keinen Nachfolger erhielt, kam hinaus auf die Anordnung
der Defensive am Rhein. So ist denn auch der Feldzug des Jahres 16 der
letzte gewesen, den die Römer geführt haben, um Germanien zu
unterwerfen und die Reichsgrenze vom Rhein an die Elbe zu verlegen. Daß
die Feldzüge des Germanicus dieses Ziel hatten, lehrt ihr Verlauf
selbst und das die Elbgrenze feiernde Tropaeum. Auch die
Wiederherstellung der rechtsrheinischen militärischen Anlagen, der
Taunuskastelle sowohl wie der Festung Aliso und der diese mit Vetera
verbindenden Linie, gehört nur zum Teil zu derjenigen Besetzung des
rechten Rheinufers, wie sie auch mit dem beschränkten Operationsplan
nach der Varusschlacht sich vertrug, zum Teil griff sie weit über
denselben hinaus. Aber was der Feldherr wollte, wollte der Kaiser nicht
oder nicht ganz. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Tiberius die
Unternehmungen des Germanicus am Rhein von Haus aus mehr hat geschehen
lassen, und gewiß, daß er durch dessen Abberufung im Winter 16/17
denselben ein Ziel hat setzen wollen. Ohne Zweifel ist zugleich ein
guter Teil des Erreichten aufgegeben, namentlich aus Aliso die
Besatzung zurückgezogen worden. Wie Germanicus von dem im Teutoburger
Walde errichteten Siegesdenkmal schon das Jahr darauf keinen Stein mehr
fand, so sind auch die Ergebnisse seiner Siege wie ein Schlag ins
Wasser verschwunden, und keiner seiner Nachfolger hat auf diesem Grunde
weiter gebaut.
Wenn Augustus das eroberte Germanien nach der Varusschlacht verloren
gegeben hatte, wenn Tiberius jetzt, nachdem die Eroberung abermals in
Angriff genommen worden war, sie abzubrechen befahl, so ist die Frage
wohl berechtigt, welche Motive die beiden bedeutenden Regenten hierbei
geleitet haben und was diese wichtigen Vorgänge für die allgemeine
Reichspolitik bedeuten.
Die Varusschlacht ist ein Rätsel, nicht militärisch, aber politisch,
nicht in ihrem Verlauf, aber in ihren Folgen. Augustus hatte nicht
unrecht, wenn er seine verlorenen Legionen nicht von dem Feind oder dem
Schicksal, sondern von dem Feldherrn zurückforderte; es war ein
Unglücksfall, wie ungeschickte Korpsführer sie von Zeit zu Zeit für
jeden Staat herbeiführen; schwer begreift man, daß die Aufreibung einer
Armee von 20000 Mann ohne weitere unmittelbare militärische
Konsequenzen der großen Politik eines einsichtig regierten Weltstaates
eine entscheidende Wendung gegeben hat. Und doch haben die beiden
Herrscher jene Niederlage mit einer beispiellosen und für die Stellung
der Regierung, der Armee wie den Nachbarn gegenüber bedenklichen und
gefährlichen Geduld ertragen; doch haben sie den Friedensschluß mit
Marobod, der ohne Zweifel eigentlich nur eine Waffenruhe sein sollte,
zu einem definitiven werden lassen und nicht weiter versucht, das obere
Elbtal in die Hand zu bekommen. Es muß Tiberius nicht leicht angekommen
sein, den großen, mit dem Bruder gemeinschaftlich begonnenen, dann nach
dessen Tode von ihm fast vollendeten Bau zusammenstürzen zu sehen; der
gewaltige Eifer, womit er, sowie er in das Regiment wieder eingetreten
war, den vor zehn Jahren begonnenen germanischen Krieg aufgenommen
hatte, läßt ermessen, was diese Entsagung ihn gekostet haben muß. Wenn
dennoch nicht bloß Augustus bei derselben beharrte, sondern auch nach
dessen Tode er selbst, so ist dafür ein anderer Grund nicht zu finden,
als daß sie die durch zwanzig Jahre hindurch verfolgten Pläne zur
Veränderung der Nordgrenze als unausführbar erkannten und die
Unterwerfung und Behauptung des Gebietes zwischen dem Rhein und der
Elbe ihnen die Kräfte des Reiches zu übersteigen schien.
Wenn die bisherige Reichsgrenze von der mittleren Donau bis an deren
Quelle und den oberen Rhein und dann rheinabwärts lief, so wurde sie
allerdings durch die Verlegung an die in ihrem Quellgebiet der
mittleren Donau sich nähernde Elbe und an deren ganzen Lauf wesentlich
verkürzt und verbessert; wobei wahrscheinlich außer dem evidenten
militärischen Gewinn auch noch das politische Moment in Betracht kam,
daß die möglichst weite Entfernung der großen Kommandos von Rom und
Italien eine der leitenden Maximen der Augusteischen Politik war und
ein Elbheer in der weiteren Entwicklung Roms schwerlich dieselbe Rolle
gespielt haben würde, wie sie die Rheinheere nur zu bald übernahmen.
Die Vorbedingungen dazu, die Niederwerfung der germanischen
Patriotenpartei und des Suebenkönigs in Böhmen, waren keine leichten
Aufgaben; indes man hatte dem Gelingen derselben schon einmal ganz nahe
gestanden und bei richtiger Führung konnten diese Erfolge nicht
verfehlt werden. Aber eine andere Frage war es, ob nach der Einrichtung
der Elbgrenze die Truppen aus dem zwischenliegenden Gebiet weggezogen
werden konnten; diese Frage hatte der dalmatisch-pannonische Krieg in
sehr ernster Weise der römischen Regierung gestellt. Wenn schon das
bevorstehende Einrücken der römischen Donauarmee in Böhmen einen mit
Anstrengung aller militärischen Hilfsmittel erst nach vierjährigem
Kampf niedergeworfenen Volksaufstand in Illyricum hervorgerufen hatte,
so durfte weder zur Zeit noch auf lange Jahre hinaus dies weite Gebiet
sich selbst überlassen werden. Ähnlich stand es ohne Zweifel am Rhein.
Das römische Publikum pflegte wohl sich zu rühmen, daß der Staat ganz
Gallien in Unterwürfigkeit halte durch die 1200 Mann starke Besatzung
von Lyon; aber die Regierung konnte nicht vergessen, daß die beiden
großen Armeen am Rhein nicht bloß die Germanen abwehrten, sondern auch
für die keineswegs durch Fügsamkeit sich auszeichnenden gallischen Gaue
gar sehr in Betracht kamen. An der Weser oder gar an der Elbe
aufgestellt, hätten sie diesen Dienst nicht in gleichem Maße geleistet;
und sowohl den Rhein wie die Elbe besetzt zu halten, vermochte man
nicht. So mochte Augustus wohl zu dem Schluß kommen, daß mit dem
damaligen, allerdings seit kurzem erheblich verstärkten, aber immer
noch tief unter dem Maß des wirklich Erforderlichen stehenden
Heerbestand jene große Grenzregulierung nicht auszuführen sei; die
Frage ward damit aus einer militärischen zu einer Frage der inneren
Politik und insonderheit zu einer Finanzfrage. Die Kosten der Armee
noch weiter zu steigern, hat weder Augustus noch Tiberius sich getraut.
Man kann dies tadeln. Der lähmende Doppelschlag der illyrischen und der
germanischen Insurrektion mit ihren schweren Katastrophen, das hohe
Alter und die erlahmende Kraft des Herrschers, die zunehmende Abneigung
des Tiberius gegen frisches Handeln und große Initiative und vor allem
gegen jede Abweichung von der Politik des Augustus, haben dabei ohne
Zweifel bestimmend mit- und vielleicht zum Nachteil des Staates
gewirkt. Man fühlt es in dem nicht zu billigenden, aber wohl
erklärlichen Auftreten des Germanicus, wie das Militär und die Jugend
das Aufgeben der neuen Provinz Germanien empfanden. Man erkennt in dem
dürftigen Versuch, mit Hilfe der paar linksrheinischen deutschen Gaue
wenigstens dem Namen nach das verlorene Germanien festzuhalten, in den
zweideutigen und unsicheren Worten, mit denen Augustus selbst in seinem
Rechenschaftsbericht Germanien als römisch in Anspruch nimmt oder auch
nicht, wie verlegen die Regierung in dieser Sache der öffentlichen
Meinung gegenüber stand. Der Griff nach der Elbgrenze war ein
gewaltiger, vielleicht überkühner gewesen; vielleicht von Augustus,
dessen Flug im allgemeinen so hoch nicht ging, erst nach jahrelangem
Zaudern und wohl nicht ohne den bestimmenden Einfluß des ihm vor allen
nahestehenden jüngeren Stiefsohns unternommen. Aber einen allzu kühnen
Schritt zurückzutun ist in der Regel nicht eine Verbesserung des
Fehlers, sondern ein zweiter. Die Monarchie brauchte die unbefleckte
kriegerische Ehre und den unbedingten kriegerischen Erfolg in ganz
anderer Weise als das ehemalige Bürgermeisterregiment; das Fehlen der
seit der Varusschlacht niemals ausgefüllten Nummern 17, 18 und 19 in
der Reihe der Regimenter paßte wenig zu dem militärischen Prestige, und
den Frieden mit Marobod aufgrund des Status quo konnte die loyalste
Rhetorik nicht in einen Erfolg umreden. Anzunehmen, daß Germanicus
einem eigentlichen Befehl seiner Regierung zuwider jene weit
aussehenden Unternehmungen begonnen hat, verbietet seine ganze
politische Stellung; aber den Vorwurf, daß er seine doppelte Stellung
als Höchstkommandierender der ersten Armee des Reiches und als
künftiger Thronfolger dazu benutzt hat, um seine
politisch-militärischen Pläne auf eigene Faust durchzuführen, wird man
ihm so wenig ersparen können wie dem Kaiser den nicht minder schweren,
zurückgescheut zu sein vielleicht vor dem Fassen, vielleicht auch nur
vor dem klaren Aussprechen und dem scharfen Durchführen der eigenen
Entschlüsse. Wenn Tiberius die Wiederaufnahme der Offensive wenigstens
geschehen ließ, so muß er empfunden haben, wieviel für eine kräftigere
Politik sprach; wie es überbedächtige Leute wohl tun, mag er wohl
sozusagen dem Schicksal die Entscheidung überlassen haben, bis dann der
wiederholte und schwere Mißerfolg des Kronprinzen die Politik der
Verzagtheit abermals rechtfertigte. Leicht war es für die Regierung
nicht, einer Armee Halt zu gebieten, die von den verlorenen drei Adlern
zwei zurückgebracht hatte; aber es geschah. Was immer die sachlichen
und die persönlichen Motive gewesen sein mögen, wir stehen hier an
einem Wendepunkt der Völkergeschicke. Auch die Geschichte hat ihre Flut
und ihre Ebbe; hier tritt nach der Hochflut des römischen Weltregiments
die Ebbe ein. Nordwärts von Italien hatte wenige Jahre hindurch die
römische Herrschaft bis an die Elbe gereicht; seit der Varusschlacht
sind ihre Grenzen der Rhein und die Donau. Ein Märchen, aber ein altes,
berichtet, daß dem ersten Eroberer Germaniens, dem Drusus, auf seinem
letzten Feldzug an der Elbe eine gewaltige Frauengestalt germanischer
Art erschienen sei und ihm in seiner Sprache das Wort zugerufen habe
“Zurück!” Es ist nicht gesprochen worden, aber es hat sich erfüllt.
Indes die Niederlage der Augusteischen Politik, wie der Friede mit
Maroboduus und die Hinnahme der Teutoburger Katastrophe wohl bezeichnet
werden darf, war kaum ein Sieg der Germanen. Nach der Varusschlacht muß
wohl durch die Gemüter der Besten die Hoffnung gegangen sein, daß der
Nation aus dem herrlichen Sieg der Cherusker und ihrer Verbündeten und
aus dem Zurückweichen des Feindes im Westen wie im Süden eine gewisse
Einigung erwachsen werde. Den sonst sich fremd gegenüberstehenden
Sachsen und Sueben mag vielleicht eben in diesen Krisen das Gefühl der
Einheit aufgegangen sein. Daß die Sachsen vom Schlachtfelde weg den
Kopf des Varus an den Suebenkönig schickten, kann nichts sein als der
wilde Ausdruck des Gedankens, daß für alle Germanen die Stunde gekommen
sei, in gemeinschaftlichem Ansturm sich auf das Römische Reich zu
stürzen und des Landes Grenze und des Landes Freiheit so zu sichern,
wie sie allein gesichert werden können, durch Niederschlagen des
Erbfeindes in seinem eigenen Heim. Aber der gebildete Mann und
staatskluge König nahm die Gabe der Insurgenten nur an, um den Kopf dem
Kaiser Augustus zur Beisetzung zu senden; er tat nichts für, aber auch
nichts gegen die Römer und beharrte unerschütterlich in seiner
Neutralität. Unmittelbar nach dem Tode des Augustus hatte man in Rom
den Einbruch der Markomannen in Rätien gefürchtet, aber, wie es
scheint, ohne Ursache, und als dann Germanicus die Offensive gegen die
Germanen vom Rhein aus wieder aufnahm, hatte der mächtige
Markomannenkönig untätig zugesehen. Diese Politik der Feinheit oder der
Feigheit in der wild bewegten, von patriotischen Erfolgen und
Hoffnungen trunkenen germanischen Welt grub sich ihr eigenes Grab. Die
entfernteren, nur lose mit dem Reich verknüpften Suebenstämme, die
Semnonen, Langobarden und Gothonen, sagten dem König ab und machten
gemeinschaftliche Sache mit den sächsischen Patrioten; es ist nicht
unwahrscheinlich, daß die ansehnlichen Streitkräfte, über welche
Arminius und Inguiomerus in den Kämpfen gegen Germanicus offenbar
geboten, ihnen großenteils von daher zugeströmt sind. Als bald darauf
der römische Angriff plötzlich abgebrochen ward, wendeten sich die
Patrioten (17) zum Angriff gegen Maroboduus, vielleicht zum Angriff auf
das Königtum überhaupt, wenigstens wie dieser es nach römischem Muster
verwaltete ^23. Aber auch unter ihnen selbst waren Spaltungen
eingetreten; die beiden nah verwandten cheruskischen Fürsten, die in
den letzten Kämpfen die Patrioten wenn nicht siegreich, doch tapfer und
ehrenvoll geführt und bisher stets Schulter an Schulter gefochten
hatten, standen in diesem Krieg nicht mehr zusammen. Der Oheim
Inguiomerus ertrug es nicht noch länger, neben dem Neffen der zweite zu
sein, und trat bei dem Ausbruch des Krieges auf Maroboduus’ Seite. So
kam es zur Entscheidungsschlacht zwischen Germanen und Germanen, ja
zwischen denselben Stämmen; denn in beiden Armeen fochten sowohl Sueben
wie Cherusker. Lange schwankte der Kampf; beide Heere hatten von der
römischen Taktik gelernt, und auf beiden Seiten war die Leidenschaft
und die Erbitterung gleich. Einen eigentlichen Sieg erfocht Arminius
nicht, aber der Gegner überließ ihm das Schlachtfeld, und da Maroboduus
den kürzeren gezogen zu haben schien, verließen ihn die bisher noch zu
ihm gehalten hatten und fand er sich auf sein eigenes Reich beschränkt.
Als er römische Hilfe gegen die übermächtigen Landsleute erbat,
erinnerte ihn Tiberius an sein Verhalten nach der Varusschlacht und
erwiderte, daß jetzt die Römer ebenfalls neutral bleiben würden. Es
ging nun schleunig mit ihm zu Ende. Schon im folgenden Jahr (18) wurde
er von einem Gothonenfürsten Catualda, den er früher persönlich
beleidigt hatte und der dann mit den übrigen außerböhmischen Sueben von
ihm abgefallen war, in seinem Königssitz selbst überfallen und rettete,
von den Seinigen verlassen, mit Not sich zu den Römern, die ihm die
erbetene Freistatt gewährten - als römischer Pensionär ist er viele
Jahre später in Ravenna gestorben.
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^23 Die Angabe des Tacitus (ann. 2, 45), daß dies eigentlich ein Krieg
der Republikaner gegen die Monarchisten gewesen sei, ist wohl nicht
frei von Übertragung hellenisch-römischer Anschauungen auf die sehr
verschiedene germanische Welt. Soweit der Krieg eine ethisch-politische
Tendenz gehabt hat, wird ihn nicht das nomen regis, wie Tacitus sagt,
sondern das certum imperium visque regia des Velleius (2, 108)
hervorgerufen haben.
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Also waren Arminius’ Gegner wie seine Nebenbuhler flüchtig geworden,
und die germanische Nation sah auf keinen andern als auf ihn. Aber
diese Größe war seine Gefahr und sein Verderben. Seine eigenen
Landsleute, vor allem sein eigenes Geschlecht schuldigte ihn an, den
Weg Marobods zu gehen und nicht bloß der Erste, sondern auch der Herr
und der König der Germanen sein zu wollen - ob mit Grund oder nicht und
ob, wenn er dies wollte, er damit nicht vielleicht das Rechte wollte,
wer vermag es zu sagen? Es kam zum Bürgerkrieg zwischen ihm und diesen
Vertretern der Volksfreiheit; zwei Jahre nach Maroboduus’ Verbannung
fiel auch er, gleich Caesar, durch den Mordstahl ihm nahestehender,
republikanisch gesinnter Adliger. Seine Gattin Thusnelda und sein in
der Gefangenschaft geborener Sohn Thumelicus, den er nie mit Augen
gesehen hat, zogen bei dem Triumph des Germanicus (26. Mai 17) unter
den anderen vornehmen Germanen gefesselt mit auf das Kapitol; der alte
Segestes ward für seine Treue gegen die Römer mit einem Ehrenplatz
bedacht, von wo aus er dem Einzug seiner Tochter und seines Enkels
zuschauen durfte. Sie alle sind im Römerreich gestorben; mit Maroboduus
fanden auch Gattin und Sohn seines Gegners im Exil von Ravenna sich
zusammen. Wenn Tiberius bei Abberufung des Germanicus bemerkte, daß es
gegen die Deutschen der Kriegführung nicht bedürfe und daß sie das für
Rom Erforderliche schon weiter selber besorgen würden, so kannte er
seine Gegner; darin allerdings hat die Geschichte ihm recht gegeben.
Aber dem hochsinnigen Mann, der sechsundzwanzigjährig seine sächsische
Heimat von der italischen Fremdherrschaft erlöst hatte, der dann in
siebenjährigem Kampfe für die wiedergewonnene Freiheit Feldherr wie
Soldat gewesen war, der nicht bloß Leib und Leben, sondern auch Weib
und Kind für seine Nation eingesetzt hatte, um dann
siebenunddreißigjährig von Mörderhand zu fallen, diesem Mann gab sein
Volk, was es zu geben vermochte, ein ewiges Gedächtnis im Heldenlied.
KAPITEL II.
Spanien
Die Zufälligkeiten der äußeren Politik bewirkten es, daß die Römer
früher als in irgendeinem anderen Teil des überseeischen Kontinents
sich auf der Pyrenäischen Halbinsel festsetzten und hier ein zwiefaches
ständiges Kommando einrichteten. Auch hatte die Republik hier nicht,
wie in Gallien und in Illyricum, sich darauf beschränkt, die Küsten des
italischen Meeres zu unterwerfen, vielmehr gleich von Anfang an, nach
dem Vorgang der Barkiden, die Eroberung der ganzen Halbinsel in das
Auge gefaßt. Mit den Lusitanern (in Portugal und Estremadura) hatten
die Römer gestritten, seit sie sich Herren von Spanien nannten; die
“entferntere Provinz” war recht eigentlich gegen diese und zugleich mit
der näheren eingerichtet worden; die Callaeker (Galicia) wurden ein
Jahrhundert vor der Actischen Schlacht den Römern botmäßig; kurz vor
derselben hatte in seinem ersten Feldzug der spätere Diktator Caesar
die römischen Waffen bis nach Brigantium (Coruňa) getragen und die
Zugehörigkeit dieser Landschaft zu der entfernteren Provinz aufs neue
befestigt. Es haben dann in den Jahren zwischen Caesars Tod bis auf
Augustus Einherrschaft die Waffen in Nordspanien niemals geruht: nicht
weniger als sechs Statthalter haben in dieser kurzen Zeit dort den
Triumph gewonnen, und vielleicht erfolgte die Unterwerfung des
südlichen Abhangs der Pyrenäen vorzugsweise in diese Epoche ^1. Die
Kriege mit den stammverwandten Aquitanern an der Nordseite des
Gebirges, die in die gleiche Epoche fallen und von denen der letzte im
Jahre 727 (27) siegreich zu Ende ging, werden damit in Zusammenhang
stehen. Bei der Reorganisation der Verwaltung im Jahre 727 (27) kam die
Halbinsel an Augustus, weil dort ausgedehnte militärische Operationen
in Aussicht genommen waren und sie einer dauernden Besatzung bedurfte.
Obgleich das südliche Drittel der entfernteren Provinz, seitdem benannt
vom Baetisfluß (Guadalquivir), dem Regiment des Senats bald
zurückgegeben wurde ^2, blieb doch der bei weitem größere Teil der
Halbinsel stets in kaiserlicher Verwaltung, sowohl der größere Teil der
entfernteren Provinz, Lusitanien und Callaekien ^3, wie die ganze große
nähere. Unmittelbar nach Einrichtung der neuen Oberleitung begab sich
Augustus persönlich nach Spanien, um in zweijährigem Aufenthalt (728,
729 26, 25) die neue Verwaltung zu ordnen und die Okkupation der noch
nicht botmäßigen Landesteile zu leiten. Er tat dies von Tarraco aus,
und es wurde damals überhaupt der Sitz der Regierung der näheren
Provinz von Neukarthago nach Tarraco verlegt, von welcher Stadt diese
Provinz auch seitdem gewöhnlich genannt wird. Wenn es einerseits
notwendig erschien, den Sitz der Verwaltung nicht von der Küste zu
entfernen, so beherrschte andererseits die neue Hauptstadt das
Ebrogebiet und die Kommunikationen mit dem Nordwesten und den Pyrenäen.
Gegen die Asturer (in den Provinzen Asturien und Leon) und vor allem
die Kantabrer (im Vaskenland und der Provinz Santander), welche sich
hartnäckig in ihren Bergen behaupteten und die benachbarten Gaue
überliefen, zog sich mit Unterbrechungen, die die Römer Siege nannten,
der schwere und verlustvolle Krieg acht Jahre hin, bis es endlich
Agrippa gelang, durch Zerstörung der Bergstädte und Verpflanzung der
Bewohner in die Täler den offenen Widerstand zu brechen.
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^1 Es triumphierten über Spanien, abgesehen von dem wohl politischen
Triumph des Lepidus, im Jahre 718 (36) Cn. Domitius Calvinus (Konsul
714 40), im Jahre 720 (34) C. Norbanus Flaccus (Konsul 716 38),
zwischen 720 (34) und 725 (29) L. Marcius Philippus (Konsul 716 38) und
Appius Claudius Pulcher (Konsul 716 38), im Jahre 726 (28) C. Calvisius
Sabinus (Konsul 715 39), im Jahre 728 (26) Sex. Appuleius (Konsul 725
29). Die Schriftsteller erwähnen nur den Sieg, den Calvinus über die
Cerretaner (bei Puycerda in den östlichen Pyrenäen) erfocht (Dio 48,
42; vgl. Vell. 2, 78 und die Münze des Sabinus mit Osca, Eckhel, Bd. 5,
S. 203).
^2 Da Augusta Emerita in Lusitanien erst im Jahre 729 (25) Kolonie ward
(Dio 53, 26) und diese bei dem Verzeichnis der Provinzen, in denen
Augustus Kolonien gegründet hat (Monumentum Ancyranum, S. 119, vgl. S.
222), nicht füglich unberücksichtigt geblieben sein kann, so wird die
Trennung von Lusitania und Hispania ulterior erst nach dem
kantabrischen Kriege stattgefunden haben.
^3 Callaekien ist nicht bloß von der Ulterior aus eingenommen worden,
sondern muß noch in der früheren Zeit des Augustus zu Lusitanien gehört
haben, ebenso Asturien anfänglich zu dieser Provinz geschlagen worden
sein. Sonst ist die Erzählung bei Dio 54, 5 nicht zu verstehen; T.
Carisius, der Erbauer Emeritas, ist offenbar der Statthalter von
Lusitanien, C. Furnius der der Tarraconensis. Damit stimmt auch die
parallele Darstellung bei Florus (epit. 2, 33), denn die Drigaecini der
Handschriften sind sicher die Βριγαικινοί, die Ptolemaeos (2, 6, 29)
unter den Asturern aufführt. Darum faßt auch Agrippa in seinen
Messungen Lusitania mit Asturia und Callaecia zusammen (Plin. nat. 4,
22, 118), und bezeichnet Strabon (3, 4, 20, p. 166) die Callaeker als
früher Lusitaner genannt. Schwankungen in der Abgrenzung der spanischen
Provinzen erwähnt Strabon (3, 4, 19, p. 166).
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Wenn, wie Kaiser Augustus sagt, seit seiner Zeit die Küste des Ozeans
von Cadiz bis zur Elbmündung den Römern gehorchte, so war in diesem
Winkel derselben der Gehorsam recht unfreiwillig und von geringem
Verlaß. Zu einer eigentlichen Befriedung scheint es im nordwestlichen
Spanien noch lange nicht gekommen zu sein. Noch in Neros Zeit ist von
Kriegszügen gegen die Asturer die Rede. Deutlicher noch spricht die
Besetzung des Landes, wie Augustus sie angeordnet hat. Callaekien wurde
von Lusitanien getrennt und mit der tarraconensischen Provinz
vereinigt, um den Oberbefehl in Nordspanien in einer Hand zu
konzentrieren. Diese Provinz ist nicht bloß damals die einzige gewesen,
welche, ohne an Feindesland zu grenzen, ein legionares Militärkommando
erhalten hat, sondern es wurden von Augustus nicht weniger als drei
Legionen ^4 dorthin gelegt, zwei nach Asturien, eine nach Kantabrien,
und trotz der militärischen Bedrängnis in Germanien und in Illyricum
ward diese Besatzung nicht vermindert. Das Hauptquartier ward zwischen
der alten Metropole Asturiens, Lancia, und der neuen, Asturica Augusta
(Astorga), eingerichtet, in dem noch heute von ihm den Namen führenden
Leon. Mit dieser starken Besetzung des Nordwestens hängen
wahrscheinlich die daselbst in der früheren Kaiserzeit in bedeutendem
Umfange vorgenommenen Straßenanlagen zusammen, obwohl wir, da die
Dislokation dieser Truppen in der augustischen Zeit uns unbekannt ist,
den Zusammenhang im einzelnen nicht nachzuweisen vermögen. So ist von
Augustus und Tiberius für die Hauptstadt Callaekiens Bracara (Braga)
eine Verbindung mit Asturica, das heißt mit dem großen Hauptquartier,
nicht minder mit den nördlich, nordöstlich und südlich benachbarten
Städten hergestellt worden. Ähnliche Anlagen machte Tiberius im Gebiet
der Vasconen und in Kantabrien ^5. Allmählich konnte die Besatzung
verringert, unter Claudius eine Legion, unter Nero eine zweite anderswo
verwendet werden. Doch wurden diese nur als abkommandiert angesehen,
und noch zu Anfang der Regierung Vespasians hatte die spanische
Besatzung wieder ihre frühere Stärke; eigentlich reduziert haben sie
erst die Flavier, Vespasian auf zwei, Domitian auf eine Legion. Von da
an bis in die diocletianische Zeit hat eine einzige Legion, die 7.
gemina und eine gewisse Zahl von Hilfskontingenten in Leon
garnisoniert.
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^4 Es sind dies die 4. makedonische, die 6. victrix und die 10. gemina.
Die erste von diesen kam in Folge der durch Claudius’ britannische
Expedition veranlaßten Verschiebung der Truppenlager an den Rhein. Die
beiden anderen, obwohl inzwischen mehrfach anderswo verwendet, standen
noch im Anfang der Regierung Vespasians in ihrer alten Garnison und mit
ihnen anstatt der 4. die von Galba neu errichtete 1. adiutrix (Tac.
hist. 1, 44). Alle drei wurden in Veranlassung des Bataverkrieges an
den Rhein geschickt, und es kam davon nur eine zurück. Denn noch im
Jahre 88 lagen in Spanien mehrere Legionen (Plin. paneg. 14; vgl.
Hermes 3, 1868, S. 118), von welchen eine sicher die schon vor dem
Jahre 79 in Spanien garnisonierende 7. gemina (CIL II, 2477) ist; die
zweite muß eine von jenen dreien sein und ist wahrscheinlich die 1.
adiutrix, da diese bald nach dem Jahre 88 an den Donaukriegen Domitians
sich beteiligt und unter Traian in Obergermanien steht, was die
Vermutung nahelegt, daß sie eine der mehreren im Jahre 88 von Spanien
nach Obergermanien geführten Legionen gewesen und bei dieser
Veranlassung aus Spanien weggekommen ist. In Lusitanien haben keine
Legionen gestanden.
^5 Bei dem Ort Pisoraca (Herrera am Pisuerga, zwischen Palencia und
Santander), der allein auf Inschriften des Tiberius und des Nero, und
zwar als Ausgangspunkt einer Kaiserstraße genannt wird (CIL II, 4883,
4884), dürfte das Lager der kantabrischen Legion gewesen sein, wie bei
Leon das asturische. Auch Augustobriga (westlich von Saragossa) und
Complutum (Alcalá de Henares, nordwärts von Madrid) werden nicht ihrer
städtischen Bedeutung wegen, sondern als Truppenlager
Reichsstraßenzentren gewesen sein.
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Keine Provinz ist unter dem Prinzipat weniger von den äußeren wie von
den inneren Kriegen berührt worden als dieses Land des fernen Westens.
Wenn in dieser Epoche die Truppenkommandos gleichsam die Stelle der
rivalisierenden Parteien übernahmen, so hat das spanische Heer auch
dabei durchaus eine Nebenrolle gespielt; nur als Helfer seines Kollegen
trat Galba in den Bürgerkrieg ein und der bloße Zufall trug ihn an die
erste Stelle. Die vergleichungsweise auch nach der Reduktion noch
auffallend starke Besatzung des Nordwestens der Halbinsel läßt darauf
schließen, daß diese Gegend noch im zweiten und dritten Jahrhundert
nicht vollständig botmäßig gewesen ist; indes vermögen wir über die
Verwendung der spanischen Legion innerhalb der Provinz, die sie besetzt
hielt, nichts Bestimmtes anzugeben. Der Krieg gegen die Kantabrer ist
mit Hilfe von Kriegsschiffen geführt worden; nachher haben die Römer
keine Veranlassung gehabt, hier eine dauernde Flottenstation
einzurichten. Erst in der nachdiocletianischen Zeit finden wir die
Pyrenäische Halbinsel, wie die italische und die
griechisch-makedonische, ohne ständige Besatzung.
Daß die Provinz Baetica, wenigstens seit dem Anfang des 2.
Jahrhunderts, von der gegenüberliegenden Küste aus durch die Mauren -
die Piraten des Rif - vielfach heimgesucht wurde, wird in der
Darstellung der afrikanischen Verhältnisse näher auszuführen sei.
Vermutlich ist es daraus zu erklären, daß, obwohl sonst in den
Provinzen des Senats kaiserliche Truppen nicht zu stehen pflegen,
ausnahmsweise Italica (bei Sevilla) mit einer Abteilung der Legion von
Leon belegt war ^6. Hauptsächlich aber lag es dem in der Provinz von
Tingis (Tanger) stationierten Kommando ob, das reiche südliche Spanien
vor diesen Einfällen zu schützen. Dennoch ist es vorgekommen, daß
Städte wie Italica und Singili (unweit Antequera) von den Piraten
belagert wurden.
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^6 Damit kann in Verbindung gebracht werden, daß dieselbe Legion auch,
wenngleich nur zeitweise und mit einem Detachement, in Numidien aktiv
gewesen ist.
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Wenn dem weltgeschichtlichen Werke der Kaiserzeit, der Romanisierung
des Okzidents, von der Republik irgendwo vorgearbeitet war, so war dies
in Spanien geschehen. Was das Schwert begonnen, führte der friedliche
Verkehr weiter: das römische Silbergeld hat in Spanien geherrscht,
lange bevor es sonst außerhalb Italien gangbar ward, und die Bergwerke,
der Wein- und Ölbau, die Handelsbeziehungen bewirkten an der Küste,
namentlich im Südwesten, ein stetiges Einströmen italischer Elemente.
Neukarthago, die Schöpfung der Barkiden und von seiner Entstehung an
bis in die augustische Zeit die Hauptstadt der Diesseitigen Provinz und
der erste Handelsplatz Spaniens, umschloß schon im siebenten
Jahrhundert eine zahlreiche römische Bevölkerung; Carteia, gegenüber
dem heutigen Gibraltar, ein Menschenalter vor der Gracchenzeit
gegründet, ist die erste überseeische Stadtgemeinde mit einer
Bevölkerung römischen Ursprungs; die altberühmte Schwesterstadt
Karthagos, Gades, das heutige Cadiz, die erste fremdländische Stadt
außerhalb Italien, welche römisches Recht und römische Sprache annahm.
Hatte also an dem größten Teil der Küste des Mittelländischen Meeres
die alteinheimische wie die phönikische Zivilisation bereits unter der
Republik in die Art und Weise des herrschenden Volkes eingelenkt, so
wurde in der Kaiserzeit in keiner Provinz die Romanisierung so
energisch von oben herab gefördert wie in Spanien. Vor allem die
südliche Hälfte der Baetica zwischen dem Baetis und dem Mittelmeer hat,
zum Teil schon unter der Republik oder durch Caesar, zum Teil in den
Jahren 739 (15) und 740 (14) durch Augustur, eine stattliche Reihe von
römischen Vollbürgergemeinden erhalten, die hier nicht etwa
vorzugsweise die Küste, sondern vor allem das Binnenland füllen, voran
Hispalis (Sevilla) und Corduba (Cordoba) mit Kolonialrecht, mit
Munizipalrecht Italica (bei Sevilla) und Gades (Cadiz). Auch im
südlichen Lusitanien begegnet eine Reihe gleichberechtigter Städte,
namentlich Olisipo (Lissabon), Pax Iulia (Beja) und die von Augustur
während seines Aufenthalts in Spanien gegründete und zur Hauptstadt
dieser Provinz gemachte Veteranenkolonie Emerita (Merida). In der
Tarraconensis finden sich die Bürgerstädte überwiegend an der Küste,
Karthago nova, Ilici (Elche), Valentia, Dertosa (Tortosa), Tarraco,
Barcino (Barcelona); im Binnenland tritt nur hervor die Kolonie im
Ebrotal Caesaraugusta (Saragossa). Vollbürgergemeinden zählte man in
ganz Spanien unter Augustus fünfzig; gegen fünfzig andere hatten bis
dahin latinisches Recht empfangen und standen hinsichtlich der inneren
Ordnung den Bürgergemeinden gleich. Bei den übrigen hat dann Kaiser
Vespasianus bei Gelegenheit der von ihm im Jahre 74 veranstalteten
allgemeinen Reichsschätzung die latinische Gemeindeordnung ebenfalls
eingeführt. Die Verleihung des Bürgerrechts ist weder damals noch
überhaupt in der besseren Kaiserzeit viel weiter ausgedehnt worden, als
sie in augustischer Zeit gediehen war ^7, wobei wahrscheinlich
hauptsächlich die Rücksicht auf das den Reichsbürgern gegenüber
beschränkte Aushebungsrecht maßgebend gewesen ist.
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^7 Daß “die Iberer Römer genannt werden”, wie Josephus (c. Ap. 2, 4)
sich ausdrückt, kann nur auf die Erteilung des latinischen Rechts durch
Vespasian bezogen werden und ist eine inkorrekte Angabe des Fremden.
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Die einheimische Bevölkerung Spaniens, welche also teils mit italischen
Ansiedlern vermischt, teils zu italischer Sitte und Sprache hingeleitet
ward, tritt in der Geschichte der Kaiserzeit nirgends deutlich
erkennbar hervor. Wahrscheinlich hat derjenige Stamm, dessen Reste und
dessen Sprache sich bis auf den heutigen Tag in den Bergen Vizcayas,
Guipuzcoas und Navarras behaupten, einstmals die ganze Halbinsel in
ähnlicher Weise erfüllt wie die Berber das nordafrikanische Land. Ihr
Idiom, von den indogermanischen grundverschieden und flexionslos wie
das der Finnen und Mongolen, beweist ihre ursprüngliche
Selbständigkeit, und ihre wichtigsten Denkmäler, die Münzen, umfassen
in dem ersten Jahrhundert der Herrschaft der Römer in Spanien die
Halbinsel mit Ausnahme der Südküste von Cadiz bis Granada, wo damals
die phönikische Sprache herrschte, und des Gebietes nördlich von der
Mündung des Tajo und westlich von den Ebroquellen, welches damals
wahrscheinlich großenteils faktisch unabhängig und gewiß durchaus
unzivilisiert war; in diesem iberischen Gebiet unterscheidet sich wohl
die südspanische Schrift deutlich von der der Nordprovinz, aber nicht
minder deutlich sind beide Äste eines Stammes. Die phönikische
Einwanderung hat sich hier auf noch engere Grenzen beschränkt als in
Afrika und die keltische Mischung die allgemeine Gleichförmigkeit der
nationalen Entwicklung nicht in einer für uns erkennbaren Weise
modifiziert. Aber die Konflikte der Römermit den Iberern gehören
überwiegend der republikanischen Epoche an und sind früher dargestellt
worden. Nach den bereits erwähnten letzten Waffengängen unter der
ersten Dynastie verschwinden die Iberer völlig aus unseren Augen. Auch
auf die Frage, wieweit sie in der Kaiserzeit sich romanisiert haben,
gibt die uns gebliebene Kunde keine befriedigende Antwort. Daß sie im
Verkehr mit den fremden Herren von jeher veranlaßt sein werden, sich
der römischen Sprache zu bedienen, bedarf des Beweises nicht; aber auch
aus dem öffentlichen Gebrauch innerhalb der Gemeinden schwindet unter
dem Einfluß Roms die nationale Sprache und die nationale Schrift. Schon
im letzten Jahrhundert der Republik ist die anfänglich in weitem
Umfange gestattete einheimische Prägung in der Hauptsache beseitigt
worden; aus der Kaiserzeit gibt es keine spanische Stadtmünze mit
anderer als lateinischer Aufschrift ^8. Wie die römische Tracht war die
römische Sprache auch bei denjenigen Spaniern, die des italischen
Bürgerrechts entbehrten, in großem Umfang verbreitet, und die Regierung
begünstigte die faktische Romanisierung des Landes ^9. Als Augustus
starb, überwog römische Sprache und Sitte in Andalusien, Granada,
Murcia, Valencia, Katalonien, Arragonien, und ein guter Teil davon
kommt auf Rechnung nicht der Kolonisierung, sondern der Romanisierung.
Durch die vorher erwähnte Anordnung Vespasians ward die einheimische
Sprache von Rechts wegen auf den Privatverkehr beschränkt. Daß sie in
diesem sich behauptet hat, beweist ihr heutiges Dasein; was jetzt auf
die Berge sich beschränkt, welche weder die Goten noch die Araber je
besetzt haben, wird in der römischen Zeit sicher über einen großen Teil
Spaniens, besonders den Nordwesten, sich erstreckt haben. Dennoch ist
die Romanisierung in Spanien sicher sehr viel früher und stärker
eingetreten als in Afrika; Denkmäler mit einheimischer Schrift aus der
Kaiserzeit sind in Afrika in ziemlicher Anzahl, in Spanien kaum
nachzuweisen, und die Berbersprache beherrscht heute noch halb
Nordafrika, die iberische nur die engen Täler der Basken. Es konnte das
nicht anders kommen, teils weil in Spanien die römische Zivilisation
viel früher und viel kräftiger auftrat als in Afrika, teils weil die
Eingeborenen dort nicht wie hier den Rückhalt an den freien Stämmen
hatten.
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^8 Das wohl jüngste sicher datierbare Denkmal der einheimischen Sprache
ist eine Münze von Osicerda, welche den während des Gallischen Krieges
von Caesar geschlagenen Denaren mit dem Elefanten nachgeprägt ist, mit
lateinischer und iberischer Aufschrift (Zobel, Estudio histórico de la
moneda antigua española. Bd. 2, S. 11). Unter den ganz oder teilweise
epichorischen Inschriften Spaniens mögen sich manche jüngere befinden;
öffentliche Setzung ist bei keiner derselben auch nur wahrscheinlich.
^9 Es hat eine Zeit gegeben, wo die Peregrinengemeinden das Recht, die
lateinische zur Geschäftssprache zu machen, vom Senat erbitten mußten;
aber für die Kaiserzeit gilt das nicht mehr. Vielmehr ist hier
wahrscheinlich häufig das Umgekehrte eingetreten, zum Beispiel das
Münzrecht in der Weise gestattet worden, daß die Aufschrift lateinisch
sein mußte. Ebenso sind öffentliche Gebäude, die Nichtbürger
errichteten, lateinisch bezeichnet; so lautet eine Inschrift von Ilipa
in Andalusien (CIL II, 1087): Urchail Atitta f(ilius) Chilasurgun
portas fornac(es) aedificand(a) curavit de s(ua) p(ecunia). Daß das
Tragen der Toga auch Nichtrömern gestattet und ein Zeichen von loyaler
Gesinnung war, zeigt sowohl Strabons Äußerung über die Tarraconensis
togata wie Agricolas Verhalten in Britannien (Tac. Agr. 21).
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Die einheimische Gemeindeverfassung der Iberer war von der gallischen
nicht in einer für uns erkennbaren Weise verschieden. Von Haus aus
zerfiel Spanien, wie das Keltenland dies- und jenseits der Alpen, in
Gaubezirke; die Vaccäer und die Kantabrer unterschieden sich schwerlich
wesentlich von den Cenomanen der Transpadana und den Remern der
Belgica. Daß auf den in der früheren Epoche der Römerherrschaft
geschlagenen spanischen Münzen vorwiegend nicht die Städte genannt
werden, sondern die Gaue, nicht Tarraco, sondern die Cessetaner, nicht
Saguntum, sondern die Arsenser, zeigt deutlicher noch als die
Geschichte der damaligen Kriege, daß auch in Spanien einst größere
Gauverbände bestanden. Aber die siegenden Römer behandelten diese
Verbände nicht überall in gleicher Weise. Die transalpinischen Gaue
blieben auch unter römischer Herrschaft politische Gemeinwesen; wie die
cisalpinischen sind die spanischen nur geographische Begriffe. Wie der
Distrikt der Cenomanen nichts ist als ein Gesamtausdruck für die
Territorien von Brixia, Bergomum und so weiter, so bestehen die Asturer
aus zweiundzwanzig politisch selbständigen Gemeinden, die allem
Anschein nach rechtlich sich nicht mehr angehen als die Städte Brixia
und Bergomum ^10. Dieser Gemeinden zählte die tarraconensische Provinz
in augustischer Zeit 293, in der Mitte des zweiten Jahrhunderts 275. Es
sind also hier die alten Gauverbände aufgelöst worden. Dabei ist
schwerlich bestimmend gewesen, daß die Geschlossenheit der Vettonen und
der Kantabrer bedenklicher für die Reichseinheit erschien als diejenige
der Sequaner und der Treuerer; hauptsächlich beruht der Unterschied
wohl in der Verschiedenheit der Zeit und der Form der Eroberung. Die
Landschaft am Guadalquivir ist anderthalb Jahrhunderte früher römisch
geworden als die Ufer der Loire und der Seine; die Zeit, wo das
Fundament der spanischen Ordnung gelegt wurde, liegt derjenigen Epoche
nicht so gar fern, wo die samnitische Konföderation aufgelöst ward.
Hier waltet der Geist der alten Republik, in Gallien die freiere und
mildere Anschauung Caesars. Die kleineren und machtlosen Distrikte,
welche nach Auflösung der Verbände die Träger der politischen Einheit
wurden, die Kleingaue oder Geschlechter, wandelten sich im Laufe der
Zeit hier wie überall in Städte um. Die Anfänge der städtischen
Entwicklung, auch außerhalb der zu italischem Recht gelangten
Gemeinden, gehen weit in die republikanische, vielleicht in die
vorrömische Zeit zurück; später mußte die allgemeine Verleihung des
latinischen Rechts durch Vespasian diese Umwandlung allgemein oder so
gut wie allgemein machen ^11. Wirklich gab es unter den 293
augustischen Gemeinden der Provinz von Tarraco 114, unter den 275 des
zweiten Jahrhunderts nur 27 nicht städtische Gemeinden.
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^10 Diese merkwürdigen Ordnungen erhellen namentlich aus den spanischen
Ortsverzeichnissen bei Plinius, und sind von Detlefsen (Philologus 32,
1878, S. 606f.) gut dargelegt worden. Die Terminologie freilich ist
schwankend. Da die Bezeichnungen civitas, populus, gens der
selbständigen Gemeinde eigen sind, kommen sie von Rechts wegen diesen
Teilen zu; also wird zum Beispiel gesprochen von den X civitates der
Autrigonen, den XXII populi der Asturer, der gens Zoelarum (CIL II,
2633), welche eben eine dieser 22 Völkerschaften ist. Das merkwürdige
Dokument, das wir von diesen Zoelae besitzen (CIL II, 2633) lehrt, daß
diese gens wieder in gentilitates zerfiel, welche letzteren auch selbst
gentes hießen, wie eben dieses selbst und andere Zeugnisse (Eph. epigr.
II, p. 243) beweisen. Es findet sich auch civis in Beziehung auf einen
der kantabrischen populi (Eph. epigr. II p. 243). Aber auch für den
größeren Gau, der ja einstmals die politische Einheit war, gibt es
andere Bezeichnungen nicht als diese eigentlich retrospektive und
inkorrekte; namentlich gens wird dafür selbst im technischen Stil
verwendet (z. B. CIL II, 4233: Intercat(iensis) ex gente Vaccaeorum).
Daß das Gemeinwesen in Spanien auf jenen kleinen Distrikten ruht, nicht
auf den Gauen, erhellt sowohl aus der Terminologie selbst wie auch
daraus, daß Plinius (3, 3, 18) jenen 293 Ortschaften die civitates
contributae aliis gegenüberstellt; ferner zeigt es der Beamte at census
accipiendos civitatium XXIII Vasconum et Vardulorum (CIL VI, 1463)
verglichen mit dem censor civitates Remorum foederatae (CIL XI, 1855
vgl. 2607).
^11 Da die latinische Gemeindeverfassung für eine nicht städtisch
organisierte Gemeinde nicht paßt, so müssen diejenigen spanischen,
welche noch nach Vespasian der städtischen Organisation entbehrten,
entweder von der Verleihung des latinischen Rechts ausgeschlossen oder
für sie besondere Modifikationen eingetreten sein. Das letztere dürfte
mehr Wahrscheinlichkeit haben. Latinische Namensform zeigen
nachvespasianische Inschriften auch der gentes, wie CIL II, 2633 und
Eph. epigr. II, 322; und wenn einzelne aus dieser Zeit sich finden
sollten mit nichtrömischen Namen, so wird immer noch zu fragen sein, ob
hier nicht bloß faktische Vernachlässigung zugrunde liegt. Indizien
nichtrömischer Gemeindeordnung, in den sparsamen sicher
vorvespasianischen Inschriften verhältnismäßig häufig (CIL II, 172,
1953, 2633, 5048), sind mir in sicher nachvespasianischen nicht
vorgekommen.
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Über die Stellung Spaniens in der Reichsverwaltung ist wenig zu sagen.
Bei der Aushebung haben die spanischen Provinzen eine hervorragende
Rolle gespielt. Die daselbst garnisonierenden Legionen sind
wahrscheinlich seit dem Anfang des Prinzipats vorzugsweise im Lande
selbst ausgehoben worden; als späterhin einerseits die Besatzung
vermindert ward, andererseits die Aushebung mehr und mehr auf den
eigentlichen Garnisonsbezirk sich beschränkte, hat die Baetica, auch
hierin das Los Italiens teilend, das zweifelhafte Glück genossen,
gänzlich vom Wehrdienst ausgeschlossen zu werden. Die auxiliare
Aushebung, welcher namentlich die in der städtischen Entwicklung
zurückgebliebenen Landschaften unterlagen, ist in Lusitanien,
Callaekien, Asturien, nicht minder im ganzen nördlichen und inneren
Spanien in großem Maßstab durchgeführt worden; Augustus, dessen Vater
sogar seine Leibwache aus Spaniern gebildet hatte, hat abgesehen von
der Belgica in keinem der ihm unterstellten Gebiete so umfassend
rekrutiert wie in Spanien.
Für die Finanzen des Staates ist dies reiche Land ohne Zweifel eine der
sichersten und ergiebigsten Quellen gewesen; Näheres ist darüber nicht
überliefert.
Auf die Bedeutung des Verkehrs dieser Provinzen gestattet die Fürsorge
der Regierung für das spanische Straßenwesen einigermaßen einen Schluß.
Zwischen den Pyrenäen und Tarraco haben sich römische Meilensteine
schon aus der letzten republikanischen Zeit gefunden, wie sie keine
andere Provinz des Okzidents aufweist. Daß Augustus und Tiberius den
Straßenbau in Spanien hauptsächlich aus militärischen Rücksichten
förderten, ist schon bemerkt worden; aber die bei Karthago nova von
Augustur gebaute Straße kann nur des Verkehrs wegen angelegt sein, und
hauptsächlich dem Verkehr diente auch die von ihm benannte und
teilweise regulierte, teilweise neu angelegte durchgehende Reichsstraße
^12, welche, die italisch-gallische Küstenstraße fortführend und die
Pyrenäen bei dem Paß von Puycerda überschreitend, von da nach Tarraco
ging, dann über Valentia hinaus bis zur Mündung des Jucar ungefähr der
Küste folgte, von da aber quer durch das Binnenland das Tal des Baetis
aufsuchte, sodann von dem Augustusbogen an, der die Grenze der beiden
Provinzen bezeichnete und mit dem eine neue Milienzählung anhob, durch
die Provinz Baetica bis an die Mündung des Flusses lief und also Rom
mit dem Ozean verband. Dies ist allerdings die einzige Reichsstraße in
Spanien. Später hat die Regierung für die Straßen Spaniens nicht viel
getan; die Kommunen, welchen dieselben bald wesentlich überlassen
wurden, scheinen, soviel wir sehen, abgesehen von dem inneren
Hochplateau, überall die Kommunikationen in dem Umfang hergestellt zu
haben, wie der Kulturstand der Provinz sie verlangte. Denn gebirgig wie
Spanien ist, und nicht ohne Steppen und Ödland, gehört es doch zu den
ertragreichsten Ländern der Erde, sowohl durch die Fülle der
Bodenfrucht wie durch den Reichtum an Wein und Öl und an Metallen.
Hinzu trat früh die Industrie, vorzugsweise in Eisenwaren und in
wollenen und leinenen Geweben. Bei den Schätzungen unter Augustus hatte
keine römische Bürgergemeinde, Patavium ausgenommen, eine solche Anzahl
von reichen Leuten aufzuweisen wie das spanische Gades mit seinen durch
die ganze Welt verbreiteten Großhändlern; und dem entsprach die
raffinierte Üppigkeit der Sitten, die dort heimischen
Kastagnettenschlägerinnen und die den eleganten Römern gleich dem
alexandrinischen geläufigen gaditanischen Lieder. Die Nähe Italiens und
der bequeme und billige Seeverkehr gaben für diese Epoche besonders der
spanischen Süd- und Ostküste die Gelegenheit, ihre reichen Produkte auf
den ersten Markt der Welt zu bringen, und wahrscheinlich hat Rom mit
keinem Lande der Welt einen so umfassenden und stetigen Großhandel
betrieben wie mit Spanien.
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^12 Die Richtung der via Augusta gibt Strabon (3, 4, 9 p. 160) an; ihr
gehören alle Meilensteine an, die jenen Namen haben, sowohl die aus der
Gegend von Lerida (CIL II, 4920-4928) wie die zwischen Tarragona und
Valencia gefundenen (das. 4949-4954), wie endlich die zahlreichen ab
Iano Augusto, qui est ad Baetem oder ab arcu, unde incipit Baetica, ad
oceanum.
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Daß die römische Zivilisation Spanien früher und stärker durchdrungen
hat als irgendeine andere Provinz, bestätigt sich nach verschiedenen
Seiten, insbesondere in dem Religionswesen und in der Literatur.
Zwar in dem noch später iberischen, von Einwanderung ziemlich
freigebliebenen Gebiet, in Lusitanien, Callaekien, Asturien, haben die
einheimischen Götter mit ihren seltsamen, meist auf -icus und -ecus
ausgehenden Namen, der Endovellicus, der Eaecus, Vagodonnaegus und wie
sie weiter heißen, auch unter dem Prinzipat noch sich in den alten
Stätten behauptet. Aber in der ganzen Baetica ist nicht ein einziger
Votivstein gefunden worden, der nicht ebensogut auch in Italien hätte
gesetzt sein können; und von der eigentlichen Tarraconensis gilt
dasselbe, nur daß von dem keltischen Götterwesen am oberen Duero
vereinzelte Spuren begegnen ^13. Eine gleich energische sakrale
Romanisierung weist keine andere Provinz auf.
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^13 In Clunia ist eine Dedikation an die Mütter gefunden (CIL II, 2776)
- die einzige spanische dieses bei den westlichen Kelten so weit
verbreiteten und so lange anhaltenden Kults -, in Uxama eine den
Lugoves gesetzte (das. 2818), welche Gottheit bei den Kelten von
Aventicum wiederkehrt.
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Die lateinischen Poeten in Corduba nennt Cicero nur, um sie zu tadeln;
und das augustische Zeitalter der Literatur ist auch noch wesentlich
das Werk der Italiener, wenngleich einzelne Provinzialen daran
mithalfen und unter anderen der gelehrte Bibliothekar des Kaisers, der
Philolog Hyginus, als Unfreier in Spanien geboren war. Aber von da an
übernahmen die Spanier darin fast die Rolle wenn nicht des Führers, so
doch des Schulmeisters. Die Cordubenser Marcus Porcius Latro, der
Lehrer und das Muster Ovids, und sein Landsmann und Jugendfreund
Annaeus Seneca, beide nur etwa ein Dezennium jünger als Horaz, aber
längere Zeit in ihrer Vaterstadt als Lehrer der Beredsamkeit tätig,
bevor sie ihre Lehrtätigkeit nach Rom verlegten, sind recht eigentlich
die Vertreter der die republikanische Redefreiheit und Redefrechheit
ablösenden Schulrhetorik. Als der erstere einmal in einem wirklichen
Prozeß aufzutreten nicht umhin konnte, blieb er mit seinem Vortrag
stecken und kam erst wieder in Fluß, als das Gericht dem berühmten Mann
zu Gefallen vom Tribunal weg in den Schulsaal verlegt ward. Auch
Senecas Sohn, der Minister Neros und der Modephilosoph der Epoche, und
sein Enkel, der Poet der Gesinnungsopposition gegen den Prinzipat,
Lucanus, haben eine literarisch ebenso zweifelhafte wie geschichtlich
unbestreitbare Bedeutung, die doch auch in gewissem Sinn Spanien
zugerechnet werden darf. Ebenfalls in der frühen Kaiserzeit haben zwei
andere Provinzialen aus der Baetica, Mela unter Claudius, Columella
unter Nero, jener durch seine kurze Erdbeschreibung, dieser durch eine
eingehende, zum Teil auch poetische Darstellung des Ackerbaus einen
Platz unter den anerkannten stilisierenden Lehrschriftstellern
gewonnen. Wenn in der domitianischen Zeit der Poet Canius Rufus aus
Gades, der Philosoph Decianus aus Emerita und der Redner Valerius
Licinianus aus Bilbilis (Calatayud, unweit Saragossa) als literarische
Größen neben Vergil und Catull und neben den drei cordubensischen
Sternen gefeiert werden, so geschieht dies allerdings ebenfalls von
einem Bilbilitaner, Valerius Martialis ^14, welcher selbst an Feinheit
und Mache, freilich aber auch an Feilheit und Leere unter den Dichtern
dieser Epoche keinem weicht, und man wird mit Recht dabei die
Landsmannschaft in Anrechnung bringen; doch zeigt schon die bloße
Möglichkeit, einen solchen Dichterstrauß zu binden, die Bedeutung des
spanischen Elements in der damaligen Literatur. Aber die Perle der
spanisch-lateinischen Schriftstellerei ist Marcus Fabius Quintilianus
(35 bis 95) aus Calagurris am Ebro. Schon sein Vater hatte als Lehrer
der Beredsamkeit im Rom gewirkt; er selbst wurde durch Galba nach Rom
gezogen und nahm, namentlich unter Domitian, als Erzieher der
kaiserlichen Neffen eine angesehene Stellung ein. Sein Lehrbuch der
Rhetorik und bis zu einem Grade der römischen Literaturgeschichte ist
eine der vorzüglichsten Schriften, die wir aus dem römischen Altertum
besitzen, von feinem Geschmack und sicherem Urteil getragen, einfach in
der Empfindung wie in der Darstellung, lehrhaft ohne Langweiligkeit,
anmutig ohne Bemühung, in scharfem und bewußtem Gegensatz zu der
phrasenreichen und gedankenleeren Modeliteratur. Nicht am wenigsten ist
es sein Werk, daß die Richtung sich, wenn nicht besserte, so doch
änderte. Späterhin tritt in der allgemeinen Nichtigkeit der Einfluß der
Spanier nicht weiter hervor. Was bei ihrer lateinischen
Schriftstellerei geschichtlich besonders ins Gewicht fällt, ist das
vollständige Anschmiegen dieser Provinzialen an die literarische
Entwicklung des Mutterlandes. Cicero freilich spottet über das
Ungeschick und die Provinzialismen der spanischen Dichtungsbeflissenen;
und noch Latros Latein fand nicht den Beifall des römisch geborenen,
ebenso vornehmen wie korrekten Messalla Corvinus. Aber nach der
augustischen Zeit wird nichts Ähnliches wieder vernommen. Die
gallischen Rhetoren, die großen afrikanischen Kirchenschriftsteller
sind auch als lateinische Schriftsteller einigermaßen Ausländer
geblieben; die Seneca und Martialis würde an ihrem Wesen und Schreiben
niemand als solche erkennen; an inniger Liebe zu der eigenen Literatur
und an feinem Verständnis derselben hat nie ein Italiener es dem
calagurritanischen Sprachlehrer zuvorgetan.
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^14 Die Hinkejamben (1, 61) lauten:
Hoch schätzt des feinen Dichters Lieder Verona;
Des Ivlaro freut sich Mantua.
Pataviums großer Livius macht der Stadt Ruhm aus
Und Stella wie ihr Flaccus auch.
Apollodoren rauscht Beifall des Nils Woge;
Von Nasos Ruhm ist Sulmo voll.
Die beiden Seneca und den einzigen Lucanus
Rühmt das beredte Corduba.
Das lustige Gades wird den Canius sein nennen,
Emerita meinen Decian.
Also wird unser Bilbilis auf dich stolz sein,
Licinian, und auch auf mich.
KAPITEL III.
Die gallischen Provinzen
Wie Spanien war auch das südliche Gallien bereits in republikanischer
Zeit ein Teil des Römischen Reiches geworden, jedoch weder so früh noch
so vollständig wie jenes. Die beiden spanischen Provinzen sind in der
hannibalischen, die Provinz Narbo in der gracchischen Zeit eingerichtet
worden; und wenn dort Rom die ganze Halbinsel an sich nahm, so begnügte
es sich hier nicht bloß bis in die letzte Zeit der Republik mit dem
Besitz der Küste, sondern es nahm auch von dieser unmittelbar nur die
kleinere und die entferntere Hälfte. Nicht mit Unrecht bezeichnete die
Republik diesen ihren Besitz als das Stadtgebiet Narbo (Narbonne); der
größere Teil der Küste, etwa von Montpellier bis Nizza, gehörte der
Stadt Massalia. Diese Griechengemeinde war mehr ein Staat als eine
Stadt, und das von alters her bestehende gleiche Bündnis mit Rom
erhielt durch ihre Machtstellung eine reale Bedeutung, wie sie bei
keiner zweiten Bundesstadt je vorgekommen ist. Freilich waren
nichtsdestoweniger die Römer für diese benachbarten Griechen, mehr noch
als für die entfernteren des Ostens, der Schild wie das Schwert. Die
Massalioten hatten wohl das untere Rhonegebiet bis nach Avignon hinauf
in ihrem Besitz; aber die ligurischen und die keltischen Gaue des
Binnenlandes waren ihnen keineswegs botmäßig, und das römische
Standlager bei Aquae Sextiae (Aix), einen Tagemarsch nordwärts von
Massalia, ist recht eigentlich zum dauernden Schutz der reichen
griechischen Kaufstadt eingerichtet worden. Es war eine der
schwerwiegendsten Konsequenzen des römischen Bürgerkrieges, daß mit der
legitimen Republik zugleich ihre treueste Verbündete, die Stadt
Massalia, politisch vernichtet, aus einem mitherrschenden Staat
umgewandelt ward in eine auch ferner reichsfreie und griechische, aber
ihre Selbständigkeit und ihren Hellenismus in den bescheidenen
Verhältnissen einer provinzialen Mittelstadt bewahrende Gemeinde. In
politischer Hinsicht ist nach der Einnahme im Bürgerkrieg nicht weiter
von Massalia die Rede; die Stadt ist fortan nur für Gallien, was
Neapolis für Italien, das Zentrum griechischer Bildung und griechischer
Lehre. Insofern als der größere Teil der späteren Provinz Narbo erst
damals unter unmittelbare römische Verwaltung trat, gehört auch deren
Einrichtung gewissermaßen erst dieser Epoche an.
Wie das übrige Gallien in römische Gewalt kam, ist auch bereits erzählt
worden. Vor Caesars Gallischem Krieg erstreckte die Römerherrschaft
sich ungefähr bis nach Toulouse, Vienne und Genf, nach demselben bis an
den Rhein in seinem ganzen Lauf und an die Küsten des Atlantischen
Meeres im Norden wie im Westen. Allerdings war diese Unterwerfung
wahrscheinlich nicht vollständig, im Nordwesten vielleicht nicht viel
weniger oberflächlich gewesen als diejenige Britanniens. Indes erfahren
wir von Ergänzungskriegen hauptsächlich nur hinsichtlich der Distrikte
iberischer Nationalität. Den Iberern gehörte nicht bloß der südliche,
sondern auch der nördliche Abhang der Pyrenäen mit deren Vorland,
Bearn, die Gascogne, das westliche Languedoc ^1; und es ist schon
erwähnt worden, daß, als das nordwestliche Spanien mit den Römern die
letzten Kämpfe bestand, auch auf der nördlichen Seite der Pyrenäen und
ohne Zweifel in Zusammenhang damit, ernsthaft gestritten wurde, zuerst
von Agrippa im Jahre 716 (38), dann von Marcus Valerius Messalla, dem
bekannten Patron der römischen Poeten, welcher im Jahre 726 (28) oder
727 (27), also ungefähr gleichzeitig mit dem Kantabrischen Krieg, in
dem altrömischen Gebiet unweit Narbonne die Aquitaner in offener
Feldschlacht überwand. In Betreff der Kelten wird nichts weiter
gemeldet, als daß kurz vor der Actischen Schlacht die Moriner in der
Picardie niedergeworfen wurden; und wenn auch während des
zwanzigjährigen, fast ununterbrochenen Bürgerkrieges unsere
Berichterstatter die verhältnismäßig unbedeutenden gallischen
Angelegenheiten aus den Augen verloren haben mögen, so beweist doch das
Schweigen des hier vollständigen Verzeichnisses der Triumphe, daß keine
weiteren militärischen Unternehmungen von Bedeutung im Keltenland
während dieser Zeit stattgefunden haben. Auch nachher, während der
langen Regierung des Augustus und bei allen, zum Teil recht
bedenklichen Krisen der germanischen Kriege, sind die gallischen
Landschaften botmäßig geblieben. Freilich hat die römische Regierung
sowohl wie die germanische Patriotenpartei, wie wir gesehen haben,
beständig in Rechnung gezogen, daß ein entscheidender Erfolg der
Deutschen und deren Einrücken in Gallien eine Erhebung der Gallier
gegen Rom im Gefolge haben werde; sicher also kann die Fremdherrschaft
damals noch keineswegs gestanden haben. Zu einer wirklichen
Insurrektion kam es im Jahre 21 unter Tiberius. Es bildete sich unter
dem keltischen Adel eine weit verzweigte Verschwörung zum Sturz des
römischen Regiments. Sie kam vorzeitig zum Ausbruch in den wenig
bedeutenden Gauen der Turoner und der Andecaven an der unteren Loire,
und es wurde sogleich nicht bloß die kleine Lyoner Besatzung, sondern
auch ein Teil der Rheinarmee gegen die Aufständischen in Marsch
gesetzt. Dennoch schlossen die angesehensten Distrikte sich an; die
Treuerer unter Führung des Iulius Florus warfen sich haufenweise in die
Ardennen; in der unmittelbaren Nachbarschaft von Lyon erhoben sich
unter Führung des Iulius Sacrovir die Häduer und die Sequaner. Freilich
wurden die geschlossenen Legionen ohne große Mühe der Rebellen Herr;
allein der Aufstand, an dem die Germanen sich in keiner Weise
beteiligten, zeigt doch den im Lande und namentlich bei dem Adel damals
noch herrschenden Haß gegen die fremden Gebieter, welcher durch den
Steuerdruck und die Finanznot, die als die Ursachen der Insurrektion
bezeichnet werden, gewiß verstärkt, aber nicht erst erzeugt war. Eine
größere Leistung der römischen Staatskunst, als daß sie Galliens Herr
zu werden vermocht hat, ist es, daß sie verstanden hat, es zu bleiben,
und daß Vercingetorix keinen Nachfolger gefunden hat, obwohl es, wie
man sieht, nicht ganz an Männern fehlte, die gern den gleichen Weg
gewandelt wären. Erreicht ward dies durch kluge Verbindung des
Schreckens und des Gewinnens, man kann hinzusetzen des Teilens. Die
Stärke und die Nähe der Rheinarmee ist ohne Frage das erste und das
wirksamste Mittel gewesen, um die Gallier in der Furcht des Herrn zu
erhalten. Wenn dieselbe durch das ganze Jahrhundert hindurch auf der
gleichen Höhe geblieben ist, wie dies in dem folgenden Abschnitt
dargelegt werden wird, so ist dies wahrscheinlich ebenso sehr der
eigenen Untertanen wegen geschehen, als wegen der späterhin keineswegs
besonders furchtbaren Nachbarn. Daß schon die zeitweilige Entfernung
dieser Truppen die Fortdauer der römischen Herrschaft in Frage stellte,
nicht weil die Germanen dann den Rhein überschreiten, sondern weil die
Gallier den Römern die Treue aufsagen konnten, lehrt die Erhebung nach
Neros Tod trotz ihrer Haltlosigkeit: nachdem die Truppen nach Italien
abgezogen waren, um ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, wurde in
Trier das selbständige Gallische Reich proklamiert und die
übriggebliebenen römischen Soldaten auf dieses in Eid und Pflicht
genommen. Aber wenn auch diese Fremdherrschaft, wie jede, auf der
übermächtigen Gewalt, der Überlegenheit der geschlossenen und
geschulten Truppe über die Menge zunächst und hauptsächlich beruhte, so
beruhte sie doch darauf keineswegs ausschließlich. Die Kunst des
Teilens ist auch hier erfolgreich angewandt worden. Gallien gehörte
nicht den Kelten allein; nicht bloß die Iberer waren im Süden stark
vertreten, sondern auch germanische Stämme am Rhein in beträchtlicher
Zahl angesiedelt und durch ihre hervorragende kriegerische Tüchtigkeit
mehr noch als durch ihre Zahl von Bedeutung. In geschickter Weise wußte
die Regierung den Gegensatz zwischen den Kelten und den
linksrheinischen Germanen zu nähren und auszunutzen. Aber mächtiger
wirkte die Politik der Verschmelzung und der Versöhnung. Welche
Maßregeln zu diesem Zwecke ergriffen wurden, wird weiterhin
auseinandergesetzt werden; indem die Gauverfassung geschont und selbst
eine Art nationaler Vertretung bewilligt, gegen das nationale
Priestertum auch, aber allmählich vorgegangen ward, dagegen die
lateinische Sprache von Anfang an obligatorisch und mit jener
nationalen Vertretung die neue Kaiserreligion verschmolzen wurde,
überhaupt indem die Romanisierung nicht in schroffer Weise angefaßt,
aber vorsichtig und geduldig gefördert ward, hörte die römische
Fremdherrschaft in dem Keltenland auf, dies zu sein, da die Kelten
selber Römer wurden und sein wollten. Wie weit die Arbeit bereits nach
Ablauf des ersten Jahrhunderts der Römerherrschaft in Gallien gediehen
war, zeigen die eben erwähnten Vorgänge nach Neros Tod, die in ihrem
Gesamtverlauf teils der Geschichte des römischen Gemeinwesens, teils
den Beziehungen desselben zu den Germanen angehören, aber auch in
diesem Zusammenhang wenigstens andeutungsweise erwähnt werden müssen.
Der Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie ging von einem keltischen
Adligen aus und begann mit einer keltischen Insurrektion; aber es war
dies keine Auflehnung gegen die Fremdherrschaft wie die des
Vercingetorix oder noch des Sacrovir, ihr Ziel nicht die Beseitigung,
sondern die Umgestaltung des römischen Regiments; daß ihr Führer seine
Abstammung von einem Bastard Caesars zu den Adelsbriefen seines
Geschlechts zählte, drückt den halb nationalen, halb römischen
Charakter dieser Bewegung deutlich aus. Einige Monate später
proklamierten allerdings, nachdem die abgefallenen römischen Truppen
germanischer Herkunft und die freien Germanen für den Augenblick die
römische Rheinarmee überwältigt hatten, einige keltische Stämme die
Unabhängigkeit ihrer Nation, aber dieser Versuch scheiterte kläglich,
nicht erst durch das Einschreiten der Regierung, sondern schon an dem
Widerspruch der großen Majorität der Keltengaue selbst, die den Abfall
von Rom nicht wollen konnten und nicht wollten. Die römischen Namen der
führenden Adligen, die lateinische Aufschrift der Insurrektionsmünzen,
die durchgehende Travestie der römischen Ordnungen zeigen auf das
deutlichste, daß die Befreiung der keltischen Nation von dem Joch der
Fremden im Jahre 70 n. Chr. deshalb nicht mehr möglich war, weil es
eine solche Nation nicht mehr gab und die römische Herrschaft nach
Umständen als ein Joch, aber nicht mehr als Fremdherrschaft empfunden
ward. Wäre eine solche Gelegenheit zur Zeit der Schlacht bei Philippi
oder noch unter Tiberius den Kelten geboten worden, so wäre der
Aufstand wohl auch nicht anders, aber in Strömen Bluts verlaufen; jetzt
verlief er im Sande. Wenn einige Dezennien nach diesen schweren Krisen
die Rheinarmee beträchtlich reduziert ward, so hatten eben sie den
Beweis geliefert, daß die Gallier in ihrer großen Mehrzahl nicht mehr
daran dachten, sich von den Italienern zu scheiden, und die vier
Generationen, die seit der Eroberung sich gefolgt waren, ihr Werk getan
hatten. Was später dort vorgeht, sind Krisen innerhalb der römischen
Welt. Als diese auseinanderzubrechen drohte, sonderte sich für einige
Zeit wie der Osten so auch der Westen von dem Zentrum des Reiches ab;
aber der Sonderstaat des Postumus war das Werk der Not, nicht der Wahl,
und auch die Sonderung nur eine faktische; die Imperatoren, die über
Gallien, Britannien und Spanien geboten, haben gerade ebenso auf die
Beherrschung des ganzen Reiches Anspruch gemacht wie ihre italischen
Gegenkaiser. Gewiß blieben genug Spuren des alten keltischen Wesens und
auch der alten keltischen Unbändigkeit. Wie der Bischof Hilarius von
Poitiers, selbst ein Gallier, über das trotzige Wesen seiner Landsleute
klagt, so heißen die Gallier auch in den späteren Kaiserbiographien
störrig und unregierlich und geneigt zur Widersetzlichkeit, so daß
ihnen gegenüber Konsequenz und Strenge des Regiments besonders
erforderlich erscheint. Aber an eine Trennung vom Römischen Reich oder
gar an eine Lossagung von der römischen Nationalität, soweit es
überhaupt eine solche damals gab, ist in diesen späteren Jahrhunderten
nirgends weniger gedacht worden als in Gallien; vielmehr füllt die
Entwicklung der römisch-gallischen Kultur, zu welcher Caesar und
Augustus den Grund gelegt haben, die spätere römische Epoche ebenso aus
wie das Mittelalter und die Neuzeit.
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^1 Das iberische Münzgebiet reicht entschieden über die Pyrenäen
hinüber, wenn auch die einzelnen Münzaufschriften, welche unter anderm
auf Perpignan und Narbonne bezogen werden, nicht sicherer Deutung sind.
Da alle diese Prägungen unter römischer Autorisation stattgefunden
haben, so legt dies die Frage nahe, ob nicht früher, namentlich vor der
Gründung von Narbo (636 118), dieser Teil der späteren Narbonensis
unter dem Statthalter des Diesseitigen Spaniens gestanden hat.
Aquitanische Münzen mit iberischer Aufschrift gibt es nicht, so wenig
wie aus dem nordwestlichen Spanien, wahrscheinlich, weil die römische
Oberherrschaft, unter deren Tutel diese Prägung erwachsen ist, solange
dieselbe dauerte, das heißt vielleicht bis zum Numantinischen Krieg,
jene Gebiete nicht umfaßte.
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Die Regulierung Galliens ist das Werk des Augustus. Bei derjenigen der
Reichsverwaltung nach dem Schluß der Bürgerkriege kam das gesamte
Gallien, so wie es Caesar übertragen oder von ihm hinzugewonnen worden
war, nur mit Ausschluß des inzwischen mit Italien vereinigten Gebiets
diesseits der Alpen, unter kaiserliche Verwaltung. Unmittelbar nachher
begab Augustus sich nach Gallien und vollzog im Jahre 727 (27) in der
Hauptstadt Lugudunum die Schatzung der gallischen Provinz, wodurch die
durch Caesar zum Reiche gekommenen Landesteile zuerst einen geordneten
Kataster erhielten und für sie die Steuerzahlung reguliert ward. Er
verweilte damals nicht lange, da die spanischen Angelegenheiten seine
Gegenwart erheischten. Aber die Durchführung der neuen Ordnung stieß
auf große Schwierigkeiten und vielfach auf Widerstand; es sind nicht
bloß militärische Angelegenheiten gewesen, welche Agrippas Aufenthalt
in Gallien im Jahre 735 (19) und den des Kaisers selbst während der
Jahre 738-741 (16-13) veranlaßten; und die dem kaiserlichen Hause
angehörigen Statthalter oder Kommandoführer am Rhein, Augustus’
Stiefsohn Tiberius 738 (16), dessen Bruder Drusus 742-745 (12-9),
wieder Tiberius 745-747 (9-7), 757-759 (3-5 n. Chr.), 763-765 (9-11 n.
Chr.), dessen Sohn Germanicus 766-769 (12-15 n. Chr.), hatten alle auch
die Aufgabe, die Organisation Galliens weiterzuführen. Das Friedenswerk
war sicher nicht minder schwierig und nicht minder wichtig als die
Waffengänge am Rhein; man erkennt dies darin, daß der Kaiser die
Fundamentierung selbst in die Hand nahm und die Durchführung den
nächst- und höchstgestellten Männern des Reiches anvertraute. Die von
Caesar im Drange der Bürgerkriege getroffenen Festsetzungen haben erst
in diesen Jahren diejenige Gestalt bekommen, welche sie dann im
wesentlichen behielten. Sie erstreckten sich über die alte wie über die
neue Provinz; indes gab Augustus das altrömische Gebiet nebst dem von
Massalia vom Mittelmeer bis an die Cevennen schon im Jahre 732 (22) an
die senatorische Regierung ab und behielt nur Neugallien in eigener
Verwaltung. Dieses immer noch sehr ausgedehnte Gebiet wurde dann in
drei Verwaltungsbezirke aufgelöst, deren jedem ein selbständiger
kaiserlicher Statthalter vorgesetzt wurde. Diese Einteilung knüpfte an
an die schon von dem Diktator Caesar vorgefundene und auf den
nationalen Gegensätzen beruhende Dreiteilung des Keltenlandes in das
von Iberern bewohnte Aquitanien, das rein keltische Gallien und das
keltisch-germanische Gebiet der Bellten; auch ist wohl beabsichtigt
worden, diese den Ausbau der römischen Herrschaft fördernden Gegensätze
einigermaßen in der administrativen Teilung zum Ausdruck zu bringen.
Indes ist dies nur annähernd durchgeführt worden und konnte auch
praktisch nicht anders realisiert werden. Das rein keltische Gebiet
zwischen Garonne und Loire ward zu dem allzu kleinen iberischen
Aquitanien hinzugelegt, das gesamte linksrheinische Ufer vom Lemansee
bis zur Mosel mit der Belgica vereinigt, obwohl die meisten dieser Gaue
keltisch waren; überhaupt überwog der Keltenstamm in dem Grade, daß die
vereinigten Provinzen die “drei Gallien” heißen konnten. Von der
Bildung der beiden sogenannten Germanien, nominell dem Ersatz für die
verlorene oder nicht zustande gekommene wirklich germanische Provinz,
der Sache nach der gallischen Militärgrenze, wird in dem folgenden
Abschnitt die Rede sein.
Die rechtlichen Verhältnisse wurden in durchaus verschiedener Weise für
die alte Provinz Gallien und für die drei neuen geordnet: jene wurde
sofort und vollständig latinisiert, in dieser zunächst nur das
bestehende nationale Verhältnis reguliert. Dieser Gegensatz der
Verwaltung, welcher weit tiefer eingreift als die formale
Verschiedenheit der senatorischen und der kaiserlichen Administration,
hat wohl die noch heute nachwirkende Verschiedenheit der Länder der
Langue d’oc und der Provence zu denen der Langue d’oui zunächst und
hauptsächlich herbeigeführt.
Soweit wie die Romanisierung Südspaniens war die des gallischen Südens
in republikanischer Zeit nicht vorgeschritten. Die zwischen den beiden
Eroberungen liegenden achtzig Jahre waren nicht rasch einzuholen; die
Truppenlager in Spanien waren bei weitem stärker und stetiger als die
gallischen, die Städte latinischer Art dort zahlreicher als hier. Wohl
war auch hier in der Zeit der Gracchen und unter ihrem Einfluß Narbo
gegründet worden, die erste eigentliche Bürgerkolonie jenseits des
Meeres; aber sie blieb vereinzelt und im Handelsverkehr zwar Rivalin
von Massalia, aber allem Anscheine nach an Bedeutung ihr keineswegs
gleich. Aber als Caesar anfing, die Geschicke Roms zu leiten, wurde vor
allem hier, in diesem Lande seiner Wahl und seines Sterns, das
Versäumte nachgeholt. Die Kolonie Narbo wurde verstärkt und war unter
Tiberius die volkreichste Stadt im gesamten Gallien. Dann wurden,
hauptsächlich auf dem von Massalia abgetretenen Gebiet, vier neue
Bürgergemeinden angelegt, darunter die bedeutendsten militärisch Forum
Iulii (Fréjus), Hauptstation der neuen Reichsflotte, für den Verkehr
Arelate (Arles) an der Rhonemündung, das bald, als Lyon sich hob und
der Verkehr sich wieder mehr nach der Rhone zog, Narbo überflügelnd,
die rechte Erbin Massalias und das große Emporium des
gallisch-italischen Handels ward. Was er selbst noch und was sein Sohn
in diesem Sinne geschaffen hat, ist nicht bestimmt zu unterscheiden,
und geschichtlich kommt darauf auch wenig an; wenn irgendwo, war hier
Augustus nichts als der Testamentsvollstrecker Caesars. Überall weicht
die keltische Gauverfassung der italischen Gemeinde. Der Gau der Volker
im Küstengebiet, früher den Massalioten untertänig, empfing durch
Caesar latinische Gemeindeverfassung in der Weise, daß die “Prätoren”
der Volker dem ganzen, 24 Ortschaften umfassenden Bezirk vorstanden ^2,
bis dann bald darauf die alte Ordnung auch dem Namen nach verschwand
und an die Stelle des Gaus der Volker die latinische Stadt Nemausus
(Nîmes) trat. Ähnlich erhielt der ansehnlichste aller Gaue dieser
Provinz, der der Allobrogen, welche das Land nördlich der Isère und
östlich der mittleren Rhone, von Valence und Lyon bis in die
savoyischen Berge und an den Lemansee in Besitz hatten, wahrscheinlich
bereits durch Caesar eine gleiche städtische Organisation und
italisches Recht, bis dann Kaiser Gaius der Stadt Vienna das römische
Bürgerrecht gewährte. Ebenso wurden in der gesamten Provinz die
größeren Zentren durch Caesar oder in der ersten Kaiserzeit nach
latinischem Recht organisiert, so Ruscino (Roussillon), Avennio
(Avignon), Aquae Sextiae (Aix), Apta (Apt). Schon am Schluß der
augustischen Zeit war die Landschaft an beiden Ufern der unteren Rhone
in Sprache und Sitte vollständig romanisiert, die Gauverfassung
wahrscheinlich in der gesamten Provinz bis auf geringe Überreste
beseitigt. Die Bürger der Gemeinden, denen das Reichsbürgerrecht
verliehen war, und nicht minder die Bürger derjenigen latinischen
Rechts, welche durch den Eintritt in das Reichsheer oder durch
Bekleidung von Ämtern in ihrer Heimatstadt für sich und ihre Nachkommen
das Reichsbürgerrecht erworben hatten, standen rechtlich den Italienern
vollständig gleich und gelangten gleich ihnen im Reichsdienst zu Ämtern
und Ehren.
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^2 Das zeigt die merkwürdige Inschrift von Avignon (Herzog, Galliae
Narbonensis historia, descriptio, institutorum compositio. Leipzig 1864
n. 403): T. Carisius T. f. pr(aetor) Volcar(um) dar, das älteste
Zeugnis für die römische Ordnung des Gemeinwesens in diesen Gegenden.
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Dagegen in den drei Gallien gab es Städte römischen und latinischen
Rechts nicht, oder vielmehr es gab dort nur eine solche ^3, die eben
darum auch zu keiner der drei Provinzen oder zu allen gehörte, die
Stadt Lugudunum (Lyon). Am äußersten Südrand des kaiserlichen Gallien,
unmittelbar an der Grenze der städtisch geordneten Provinz, am
Zusammenfluß der Rhone und der Saône, an einer militärisch wie
kommerziell gleich wohlgewählten Stelle war während der Bürgerkriege,
zunächst infolge der Vertreibung einer Anzahl in Vienna ansässiger
Italiener ^4, im Jahre 711 (43) diese Ansiedlung entstanden, nicht
hervorgegangen aus einem Keltengau ^5 und daher auch immer mit eng
beschränktem Gebiet, sondern von Haus aus von Italienern gebildet und
im Besitz des vollen römischen Bürgerrechts, einzig in ihrer Art
dastehend unter den Gemeinden der drei Gallien, den Rechtsverhältnissen
nach einigermaßen wie Washington in dem nordamerikanischen Bundesstaat.
Diese einzige Stadt der drei Gallien wurde zugleich die gallische
Hauptstadt. Eine gemeinschaftliche Oberbehörde hatten die drei
Provinzen nicht und von hohen Reichsbeamten hatte dort nur der
Statthalter der mittleren oder der lugudunensischen Provinz seinen
Sitz; aber wenn Kaiser oder Prinzen in Gallien verweilten, residierten
sie regelmäßig in Lyon. Lyon war neben Karthago die einzige Stadt der
lateinischen Reichshälfte, welche nach dem Muster der hauptstädtischen
Garnison eine ständige Besatzung erhielt ^6. Die einzige Münzstätte für
Reichsgeld, die wir im Westen für die frühere Kaiserzeit mit Sicherheit
nachweisen können, ist die von Lyon. Hier war die Zentralstelle des
ganz Gallien umfassenden Grenzzolles, hier der Knotenpunkt des
gallischen Straßennetzes. Aber nicht bloß alle Regierungsanstalten,
welche Gallien gemeinschaftlich waren, hatten ihren geborenen Sitz in
Lyon, sondern diese Römerstadt wurde auch, wie wir weiterhin sehen
werden, der Sitz des keltischen Landtags der drei Provinzen und aller
daran sich knüpfenden politischen und religiösen Institutionen, seiner
Tempel und seiner Jahresfeste. Also blühte Lugudunum rasch empor,
gefördert durch die mit der Metropolenstellung verbundene reiche
Dotation und die für den Handel ungemein günstige Lage. Ein
Schriftsteller aus Tiberius’ Zeit bezeichnet sie als die zweite in
Gallien nach Narbo; späterhin nimmt sie daselbst den Platz neben oder
vor ihrer Rhoneschwester Arelate. Bei der Feuersbrunst, die im Jahre 64
einen großen Teil Roms in Asche legte, sandten die Lugudunenser den
Abgebrannten eine Beihilfe von 4 Millionen Sesterzen (870000 Mark), und
als ihre eigene Stadt im nächsten Jahr dasselbe Schicksal in noch
härterer Weise traf, steuerte auch ihnen das ganze Reich seinen Beitrag
und sandte der Kaiser die gleiche Summe aus seiner Schatulle.
Glänzender als zuvor erstand die Stadt aus ihren Ruinen, und sie ist
fast durch zwei Jahrtausende unter allen Zeitläuften eine Großstadt
geblieben bis auf den heutigen Tag. In der späteren Kaiserzeit freilich
tritt sie zurück hinter Trier. Die Stadt der Treverer, Augusta genannt
wahrscheinlich von dem ersten Kaiser, gewann bald in der Belgica den
ersten Platz; wenn noch in Tiberius’ Zeit Durocortorum der Remer
(Reims) die volkreichste Ortschaft der Provinz und der Sitz der
Statthalter genannt wird, so teilt bereits ein Schriftsteller aus der
Zeit des Claudius den Primat daselbst dem Hauptort der Treverer zu.
Aber die Hauptstadt Galliens ^7, man darf vielleicht sagen des
Okzidents, ist Trier erst geworden durch die Umgestaltung der
Reichsverwaltung unter Diocletian. Seit Gallien, Britannien und Spanien
unter einer Oberverwaltung stehen, hat diese ihren Sitz in Trier, und
seitdem ist Trier auch, wenn die Kaiser in Gallien verweilen, deren
regelmäßige Residenz und, wie ein Grieche des 5. Jahrhunderts sagt, die
größte Stadt jenseits der Alpen. Indes die Epoche, wo dieses Rom des
Nordens seine Mauern und seine Thermen empfing, die wohl genannt werden
dürfen neben den Stadtmauern der römischen Könige und den Bädern der
kaiserlichen Reichshauptstadt, liegt jenseits unserer Darstellung.
Durch die ersten drei Jahrhunderte der Kaiserzeit ist Lyon das römische
Zentrum des Keltenlandes geblieben, und nicht bloß, weil es an
Volkszahl und Reichtum den ersten Platz einnahm, sondern weil es, wie
keine andere des gallischen Nordens und nur wenige des Südens, eine von
Italien aus gegründete und nicht nur dem Recht, sondern dem Ursprung
und dem Wesen nach römische Stadt war.
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^3 Nur etwa Noviodunum (Nyon am Genfer See) kann in den drei Gallien
der Anlage nach mit Lugudunum zusammengestellt werden; aber da diese
Gemeinde später als civitas Equestrium auftritt (Inscr. Helv. 115), so
scheint sie unter die Gaue eingereiht zu sein, was von Lugudunum nicht
gilt.
^4 Die aus Vienna von den Allobrogen früher Vertriebenen (οι εκ
Ουιέννης τής Ναρβονησίας υπό τών Αλλοβρίγων ποτέ εκπεσόντες) bei Dio
46, 50 können nicht wohl andere gewesen sein als römische Bürger, da
die Gründung einer Bürgerkolonie zu ihren Gunsten nur unter dieser
Voraussetzung sich begreift. Die “frühere” Vertreibung stand wohl in
Zusammenhang mit dem Allobrogenaufstand unter Catugνatus im Jahre 693
(61). Die Erklärung, warum die Vertriebenen nicht zurückgeführt,
sondern anderweitig angesiedelt wurden, fehlt, aber es lassen sich
dafür mancherlei Veranlassungen denken, und die Tatsache selbst wird
dadurch nicht in Zweifel gestellt. Die der Stadt zufließenden Renten
(Tac. hist. 1, 65) mögen ihr wohl auf Kosten von Vienna verliehen
worden sein.
^5 Der Boden gehörte früher den Segusiavern (Plin. nat. 4, 18, 107;
Strab. p. 186, 192), einem der kleinen Klientelgaue der Häduer (Caes.
Gall. 7, 75); aber in der Gaueinteilung zählt sie nicht zu diesen,
sondern steht für sich als μητρόπολις (Ptol. geogr. 2, 8, 11 u. 12).
^6 Dies sind die 1200 Soldaten, mit welchen, wie der Judenkönig Agrippa
bei Josephus (bel. Iud. 2, 16, 4) sagt, die Römer das gesamte Gallien
in Botmäßigkeit halten.
^7 Nichts ist so bezeichnend für die Stellung Triers in dieser Zeit als
die Verordnung des Kaisers Gratianus vom Jahre 376 (Cod. Theod. 13, 3,
11), daß den Professoren der Rhetorik und der Grammatik beider Sprachen
in sämtlichen Hauptstädten der damaligen siebzehn gallischen Provinzen
zu ihrem städtischen Gehalt die gleiche Zulage aus der Staatskasse
gegeben, für Trier aber diese höher bemessen werden solle.
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Wie für die Organisation der Südprovinz die italische Stadt die
Grundlage war, so für die nördliche der Gau, und zwar überwiegend
derjenige der keltischen ehemaligen Staats-, jetzigen Gemeindeordnung.
Die Bedeutung des Gegensatzes von Stadt und Gau ist nicht zunächst
abhängig von seinem Inhalt; selbst wenn er ein bloß rechtlich formaler
gewesen wäre, hätte er die Nationalitäten geschieden, auf der einen
Seite das Gefühl der Zugehörigkeit zu Rom, auf der andern Seite das der
Fremdartigkeit geweckt und geschärft. Hoch darf für diese Zeit die
praktische Verschiedenheit der beiden Ordnungen nicht angeschlagen
werden, da die Elemente der Gemeindeordnung, die Beamten, der Rat, die
Bürgerversammlung, dort wie hier dieselben waren und etwa früher
vorhandene, tiefer gehende Gegensätze von der römischen Oberherrschaft
schwerlich lange geduldet wurden. Daher hat auch der Übergang von der
Gauordnung zu der städtischen sich häufig und ohne Anstoß, man kann
vielleicht sagen im Laufe der Entwicklung mit einer gewissen
Notwendigkeit von selber vollzogen. Infolgedessen treten die
qualitativen Unterschiede der beiden Rechtsformen in unserer
Überlieferung wenig hervor. Dennoch war der Gegensatz sicher nicht ein
bloß nomineller, sondern es bestanden in den Befugnissen der
verschiedenen Gewalten, in Rechtspflege, Besteuerung, Aushebung,
Verschiedenheiten, die für die Administration, teils an sich, teils
infolge der Gewöhnung, von Bedeutung waren oder doch bedeutend
schienen. Bestimmt erkennbar ist der quantitative Gegensatz. Die Gaue,
wenigstens wie sie bei den Kelten und den Germanen auftreten, sind
durchgängig mehr Völkerschaften als Ortschaften; dieses sehr
wesentliche Moment ist allen keltischen Gebieten eigentümlich und
selbst durch die später eintretende Romanisierung oft mehr verdeckt als
verwischt. Mediolanum und Brixia haben ihre weiten Grenzen und ihre
dauernde Potenz wesentlich dem zu danken, daß sie eigentlich nichts
sind als die Gaue der Insubrer und der Cenomanen. Daß das Territorium
der Stadt Vienna die Dauphiné und Westsavoyen umfaßt und die ebenso
alten und fast ebenso ansehnlichen Ortschaften Cularo (Grenoble) und
Genava (Genf) bis in die späte Kaiserzeit dem Rechte nach Dörfer der
Kolonie Vienna sind, erklärt sich ebenfalls daraus, daß dieses der
spätere Name der Völkerschaft der Allobrogen ist. In den meisten
keltischen Gauen überwiegt eine Ortschaft so durchaus, daß es einerlei
ist, ob man die Remer oder Durocortorum, die Bituriger oder Burdigala
nennt; aber es kommt auch das Gegenteil vor, wie zum Beispiel bei den
Vocontiern Vasio (Vaison) und Lucus, bei den Carnuten Autricum
(Chartres) und Cenabum (Orleans) sich die Waage halten; und ob die
Vorrechte, die nach italischer und griechischer Ordnung sich
selbstverständlich der Flur gegenüber an den Mauerring knüpfen, bei den
Kelten rechtlich oder auch nur tatsächlich in ähnlicher Weise geordnet
waren, ist mehr als fraglich. Das Gegenbild für diesen Gau im
griechisch-italischen Westen ist viel weniger die Stadt als die
Völkerschaft; die Carnuten hat man mit den Böotern zu gleichen,
Autricum und Cenabum mit Tanagra und Thespiae. Die Besonderheit der
Stellung der Kelten unter der römischen Herrschaft gegenüber anderen
Nationen, den Iberern zum Beispiel und den Hellenen, beruht darauf, daß
diese größeren Verbände dort als Gemeinden fortbestanden, hier
diejenigen Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzten, die
Gemeinden bildeten. Dabei mögen ältere, der vorrömischen Zeit
angehörige Verschiedenheiten der nationalen Entwicklung mitgewirkt
haben; es mag wohl leichter ausführbar gewesen sein, den Böotern den
gemeinschaftlichen Städtetag zu nehmen, als die Helvetier in ihre vier
Distrikte aufzulösen; politische Verbände behaupten sich auch nach der
Unterwerfung unter eine Zentralgewalt da, wo ihre Auflösung die
Desorganisation herbeiführen würde. Dennoch ist, was in Gallien durch
Augustus oder, wenn man will durch Caesar geschah, nicht durch den
Zwang der Verhältnisse herbeigeführt worden, sondern hauptsächlich
durch den freien Entschluß der Regierung, wie er auch allein zu der
übrigens gegen die Kelten geübten Schonung paßt. Denn es gab in der Tat
in der vorrömischen Zeit und noch zur Zeit der Caesarischen Eroberung
eine bei weitem größere Anzahl von Gauen, als wir sie später finden;
namentlich ist es bemerkenswert, daß die zahlreichen, durch Klientel
einem größeren Gau angeschlossenen kleineren in der Kaiserzeit nicht
selbständig geworden, sondern verschwunden sind ^8. Wenn späterhin das
Keltenland geteilt erscheint in eine mäßige Anzahl bedeutender, zum
Teil sogar sehr großer Gaudistrikte, innerhalb deren abhängige Gaue
nirgends zum Vorschein kommen, so ist diese Ordnung freilich durch das
vorrömische Klientelwesen angebahnt, aber erst durch die römische
Reorganisation vollständig durchgeführt worden. Dieser Fortbestand und
diese Steigerung der Gauverfassung wird für die weitere politische
Entwicklung Galliens vor allem bestimmend gewesen sein. Wenn die
tarraconensische Provinz in 293 selbständige Gemeinden zerfiel, so
zählten die drei Gallien zusammen, wie wir sehen werden, deren nicht
mehr als 64. Die Einheit und ihre Erinnerungen blieben ungebrochen; die
eifrige Verehrung, die die ganze Kaiserzeit hindurch dem Quellgott
Nemausus bei den Volkern gezollt wurde, zeigt, wie selbst hier, im
Süden des Landes und in einem zur Stadt umgewandelten Gau die
traditionelle Zusammengehörigkeit noch immer lebendig empfunden ward.
In dieser Art innerlich fest zusammenhaltende Gemeinden mit weiten
Grenzen waren eine Macht. Wie Caesar die gallischen Gemeinden vorfand,
mit einer in völliger politischer wie ökonomischer Abhängigkeit
gehaltenen Volksmasse und einem übermächtigen Adel, so sind sie im
wesentlichen auch unter römischer Herrschaft geblieben; genau wie in
vorrömischer Zeit die großen Adligen mit ihrem nach Tausenden zählenden
Gesinde von Hörigen und Schuldknechten ein jeder in seiner Heimat die
Herren spielten, so schildert uns Tacitus in Tiberius’ Zeit die
Zustände bei den Treverern. Das römische Regiment gab der Gemeinde
weitgehende Rechte, sogar eine gewisse Militärgewalt, so daß sie unter
Umständen Festungen einzurichten und besetzt zu halten befugt war, wie
dies bei den Helvetiern vorkommt, die Beamten die Bürgerwehr aufbieten
konnten und in diesem Falle Offiziersrecht und Offiziersrang hatten.
Diese Befugnis war nicht dieselbe in den Händen des Vorstehers einer
kleinen Stadt Andalusiens und desjenigen eines Bezirkes an der Loire
oder der Mosel vom Umfang einer kleinen Provinz. Die weitherzige
Politik Caesars des Vaters, auf den die Grundzüge dieses Systems
notwendig zurückgeführt werden müssen, zeigt sich hier in ihrer ganzen
großartigen Ausdehnung.
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^8 Bei Caesar erscheinen wohl, im großen und ganzen genommen, dieselben
Gaue, wie sie dann in der augustischen Ordnung vertreten sind, aber
zugleich vielfache Spuren kleinerer Klientelverbände (vgl. 3, 249); so
werden als “Klienten” der Häduer genannt die Segusiaver, die
Ambivareten, die Aulerker Brannoviker und die Brannovier (Caes. Gall.
7, 75), als Klienten der Treuerer die Condruser (Caes. Gall. 4; 6), als
solche der Helvetier die Tulinger und Latobrigen. Mit Ausnahme der
Segusiaver fehlen diese alle auf dem Lyoner Landtage. Dergleichen
kleinere, nicht völlig in die Vororte aufgegangene Gaue mag es in
Gallien zur Zeit der Unterwerfung in großer Zahl gegeben haben. Wenn
nach Josephus (bel. Iud. 2, 16, 4) den Römern 305 gallische Gaue und
1200 Städte gehorchten, so mögen dies die Ziffern sein, die für Caesars
Waffenerfolge herausgerechnet worden sind; wenn die kleinen iberischen
Völker in Aquitanien und die Klientelgaue im Keltenland mitgezählt
wurden, konnten dergleichen Zahlen wohl herauskommen.
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Aber die Regierung beschränkte sich nicht darauf, die Gauordnung den
Kelten zu lassen; sie ließ oder gab ihnen vielmehr auch eine nationale
Verfassung, soweit eine solche mit der römischen Oberherrschaft sich
vereinbaren ließ. Wie der hellenischen Nation, so verlieh Augustus der
gallischen eine organisierte Gesamtvertretung, welche dort wie hier in
der Epoche der Freiheit und der Zerfahrenheit wohl erstrebt, aber nie
erreicht worden war. Unter dem Hügel, den die Hauptstadt Galliens
krönte, da wo die Saône ihr Wasser mit dem der Rhone mischt, weihte am
1. August des Jahres 742 (12) der kaiserliche Prinz Drusus als
Vertreter der Regierung in Gallien der Roma und dem Genius des
Herrschers den Altar, an welchem fortan jedes Jahr an diesem Tage
diesen Göttern von der Gemeinschaft der Gallier die Festfeier
abgehalten werden sollte. Die Vertreter der sämtlichen Gaue wählten aus
ihrer Mitte Jahr für Jahr den “Priester der drei Gallien”, und dieser
brachte am Kaisertag das Kaiseropfer dar und leitete die dazu gehörigen
Festspiele. Diese Landesvertretung hatte nicht bloß eine eigene
Vermögensverwaltung mit Beamten, welche den vornehmen Kreisen des
provinzialen Adels angehörten, sondern auch einen gewissen Anteil an
den allgemeinen Landesangelegenheiten. Von unmittelbarem Eingreifen
derselben in die Politik findet sich allerdings keine andere Spur, als
daß bei der ernsten Krise des Jahres 70 der Landtag der “drei Gallien”
die Treverer von der Auflehnung gegen Rom abmahnte; aber er hatte und
gebrauchte das Recht der Beschwerdeführung über die in Gallien
fungierenden Reichs- und Hausbeamten und wirkte ferner mit wenn nicht
bei der Auflegung, so doch bei der Repartition der Steuern ^9, zumal da
diese nicht nach den einzelnen Provinzen, sondern für Gallien insgemein
angelegt wurden. Ähnliche Einrichtungen hat allerdings die
Kaiserregierung in allen Provinzen ins Leben gerufen, in einer jeden
nicht bloß die sakrale Zentralisierung eingeführt, sondern auch, was
die Republik nicht getan hatte, einer jeden ein Organ verliehen, um
Bitten und Klagen vor die Regierung zu bringen. Dennoch hat Gallien in
dieser Hinsicht vor allen übrigen Reichsteilen wenigstens ein
tatsächliches Privilegium, wie sich denn diese Institution auch allein
hier voll entwickelt findet ^10. Einmal steht der vereinigte Landtag
der drei Provinzen den Legaten und Prokuratoren einer jeden notwendig
unabhängiger gegenüber als zum Beispiel der Landtag von Thessalonike
dem Statthalter von Makedonien. Sodann aber kommt es bei Institutionen
dieser Art weit weniger auf das Maß der verliehenen Rechte an, als auf
das Gewicht der darin vertretenen Körperschaften; und die Stärke der
einzelnen gallischen Gemeinden übertrug sich ebenso auf den Landtag von
Lyon wie die Schwäche der einzelnen hellenischen auf den von Argos. In
der Entwicklung Galliens unter den Kaisern hat der Landtag von Lyon
allem Anschein nach diejenige allgemein gallische Homogenität, welche
daselbst mit der Latinisierung Hand in Hand geht, wesentlich gefördert.
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^9 Darauf führt außer der Inschrift bei Boissieu, Lyon, S. 609, wo die
Worte tot[i]us cens[us Galliarum] mit dem Namen eines der Altarpriester
in Verbindung gebracht werden, die Ehreninschrift, welche die drei
Gallien einem kaiserlichen Beamten a censibus accipiendis setzen
(Heuzen 6944); derselbe scheint die Katasterrevision für das ganze Land
geleitet zu haben, eben wie früher Drusus, während die Schätzung selbst
durch Kommissarien für die einzelnen Landschaften erfolgte. Auch ein
sacerdos Romae et Augusti der Tarraconensis wird belobt ob curam
tabulari censualis fideliter administratam (CIL II, 4248); es waren
also mit der Steuerrepartierung wohl die Landtage aller Provinzen
befaßt. Die kaiserliche Finanzverwaltung der drei Gallien war
wenigstens der Regel nach so geteilt, daß die beiden westlichen
Provinzen (Aquitanien und Lugudunensis) unter einem Prokurator standen,
Belgica und die beiden Germanien unter einem andern; doch hat es
rechtlich feste Kompetenzen dafür wohl nicht gegeben. Auf eine
regelmäßige Beteiligung bei der Aushebung darf aus der von Hadrian,
offenbar außerordentlicher Weise, mit Vertretern aller spanischen
Distrikte gepflogenen Verhandlung (vita 12) nicht geschlossen werden.
^10 Für die arca Galliarum, den Freigelassenen der drei Gallien (Heuzen
6393), den adlector arcae Galliarum, inquisitor Galliarum, iudex arcae
Galliarum gibt meines Wissens keine andere Provinz Analogien; und von
diesen Einrichtungen hätten, wenn sie allgemein gewesen wären, die
Inschriften sicher auch sonst Spuren bewahrt. Diese Einrichtungen
scheinen auf eine sich selbst verwaltende und besteuernde Körperschaft
zu führen (der in seiner Bedeutung unklare adlector kommt als Beamter
in Kollegien vor CIL VI, 355; Orelli 2406); wahrscheinlich bestritt
diese Kasse die wohl nicht unbeträchtlichen Ausgaben für die
Tempelgebäude und für das Jahrfest. Eine Staatskasse ist die arca
Galliarum nicht gewesen.
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Die Zusammensetzung des Landtags, welche uns ziemlich genau bekannt ist
^11, zeigt, in welcher Weise die Nationalitätenfrage von der Regierung
behandelt ward. Von den sechzig, später vierundsechzig auf dem Landtag
vertretenen Gauen kommen nur vier auf die iberischen Bewohner
Aquitaniens, obwohl dieses Gebiet zwischen der Garonne und den Pyrenäen
unter eine sehr viel größere Zahl durchgängig kleiner Stämme geteilt
war, sei es, daß die übrigen von der Vertretung überhaupt
ausgeschlossen waren, sei es, daß jene vier vertretenen Gaue die
Vororte von Gauverbänden sind ^12. Späterhin, wahrscheinlich in
traianischer Zeit, ist der iberische Bezirk von dem Lyoner Landtag
abgetrennt und ihm eine selbständige Vertretung gegeben worden ^13.
Dagegen sind die keltischen Gaue in derjenigen Organisation, die wir
früher kennengelernt haben, im wesentlichen alle auf dem Landtag
vertreten und ebenso die halb oder ganz germanischen ^14, soweit sie
zur Zeit der Stiftung des Altars zum Reiche gehörten; daß für die
Hauptstadt Galliens in dieser Gauvertretung kein Platz war, versteht
sich von selbst. Außerdem erscheinen die Ubier nicht auf dem Landtag
von Lyon, sondern opfern an ihrem eigenen Augustus-Altar - es ist dies,
wie wir sahen, ein stehengebliebener Überrest der beabsichtigten
Provinz Germanien.
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^11 Als Gesamtzahl der auf dem Lyoner Altar verzeichneten Gemeinden
gibt Strabo (4, 3, 2, p. 192) sechzig an, als die Zahl der
aquitanischen in dem keltischen Teil, nördlich von der Garonne,
vierzehn (4,1, 1, p. 177). Tacitus (ann. 3, 44) nennt als Gesamtzahl
der gallischen Gaue vierundsechzig, ebenso, wenn auch in unrichtiger
Verbindung, der Scholiast zur Aeneis (1, 286). Auf die gleiche
Gesamtzahl führt das Verzeichnis bei Ptolemaeos aus dem zweiten
Jahrhundert, welches für Aquitanien siebzehn, für die Lugudunensis 25,
für Belgica 22 Gaue aufführt. Von seinen aquitanischen Gauen fallen
dreizehn auf das Gebiet zwischen Loire und Garonne, vier auf das
zwischen Garonne und Pyrenäen. In dem späteren aus dem 5. Jahrhundert,
das unter dem Namen der Notitia Galliarum bekannt ist, fallen auf
Aquitanien 26, auf die Lugudunensis (ausschließlich Lyons) 24, auf
Belgica 27. Alle diese Zahlen sind vermutlich eine jede für ihre Zeit
richtig; zwischen der Errichtung des Altars im Jahre 742 (12) und der
Zeit des Tacitus (denn auf diese ist seine Angabe wohl zu beziehen)
können ebenso vier Gaue hinzugetreten sein, wie sich die Verschiebung
der Zahlen vom 2, bis zum 5. Jahrhundert auf einzelne, zum guten Teil
speziell noch nachweisliche Änderungen zurückführen läßt.
Bei der Wichtigkeit dieser Ordnungen wird es nicht überflüssig sein,
sie wenigstens für die beiden westlichen Provinzen im speziellen
darzulegen. In der rein keltischen Mittelprovinz stimmen die drei
Verzeichnisse bei Plinius (1. Jahrhundert), Ptolemaeos (2. Jahrhundert)
und der Notitia (5. Jahrhundert) in 21 Namen überein: Abrincates -
Andecavi - Aulerci Cenomani - Aulerci Diablintes - Aulerci Eburovici -
Baiocasses (Bodiocasses Plin., Vadicasii Ptol.) - Carnutes -
Coriosolites (ohne Zweifel die Samnitae des Ptolemaeos) - Haedui -
Lexovii - Meldae - Namnetes - Osismii - Parisii - Redones - Senones -
Tricassini - Turones - Veliocasses (Rotomagenses) - Veneti - Unelli
(Constantia); in drei weiteren: Caletae - Segusiavi - Viducasses
stimmen Plinius und Ptolemaeos, während sie in der Notitia fehlen, weil
inzwischen die Caletae mit den Veliocasses oder den Rotomagenses, die
Viducasses mit den Baiocasses zusammengelegt und die Segusiavi in Lyon
aufgegangen waren. Dagegen erscheinen hier statt der drei
verschwundenen zwei neue durch Teilung entstandene: Aureliani
(Orleans), abgezweigt aus den Carnutes (Chartres), und Autessiodurum
(Auxerre), abgezweigt aus den Senones (Sens). Übrig bleiben bei Plinius
zwei Namen: Boi - Atesui; bei Ptolemaeos einer: Arvii; in der Notitia
einer: Saii.
Für das keltische Aquitanien stimmen die drei Listen in elf Namen
überein:
Arverni - Bituriges Cubi - Bituriges Vivisci (Burdigalenses) - Cadurci
- Gabales - Lemovici - Nitiobriges (Aginnenses) - Petrucorii - Pictones
- Ruteni -Sautones; die zweite und dritte in dem zwölften der Vellauni,
der bei Plinius ausgefallen sein wird; Plinius allein hat (abgesehen
von den problematischen Aquitani) zwei Namen mehr: Ambilatri und
Anagnutes, Ptolomaeos einen sonst unbekannten: Datii; vielleicht ist
mit zweien von diesen die Strabonische Zahl der vierzehn voll zu
machen. Die Notitia hat außer jenen elf noch zwei auf Spaltung
beruhende, die Albigenses (Albi am Tarn) und die Ecolismenses
(Angoulême).
In ähnlicher Weise verhalten sich die Listen der östlichen Gaue. Obwohl
untergeordnete Differenzen sich ergeben, die hier nicht erörtert werden
können, liegt das Wesen und die Beständigkeit der gallischen Gauteilung
deutlich vor.
^12 Die vier vertretenen Völkerschaften sind die Tarbeller, Vasaten,
Auscier und Convener. Außer diesen zählt Plinius im südlichen
Aquitanien nicht weniger als 25 größtenteils sonst unbekannte
Völkerschaften auf als rechtlich jenen vier gleichstehend.
^13 Plinius und, vermutlich auch hier älteren Quellen folgend,
Ptolemaeos wissen von dieser Teilung nichts; aber wir besitzen noch die
ungefügen Verse des Gascogner Bauern (B. Borghesi, (Oeuvres complètes.
Paris 1862-79. Bd. 8, S. 544), der dies in Rom auswirkte, ohne Zweifel
in Gemeinschaft mit einer Anzahl seiner Landsleute, obwohl er es
vorgezogen hat, dies nicht hinzuzusetzen:
Flamen, item dumvir, quaestor pagiq(ue) magister
Verus ad Augustum legato (so) munere functus
pro novem optinuit populis seiungere Gallos:
urbe redux Genio pagi hanc dedicat aram.
Flamen, auch Zweimann, Schatzmeister und Schulze des Dorfes
Ging den Kaiser ich an, Verus, nach erhaltenem Auftrag;
Wirkte dem Neungau aus von ihm zu scheiden die Galler
Und zurück von Rom weih den Altar ich dem Dorfgeist.
Die älteste Spur der administrativen Trennung des iberischen
Aquitaniens von dem gallischen ist die Nennung des “Bezirks von
Lactora” (Lectoure) neben Aquitanien in einer Inschrift aus
traianischer Zeit (CIL V 875: procurator provinciarum Luguduniensis et
Aquitanicae, item Lactorae). Diese Inschrift beweist allerdings an sich
mehr die Verschiedenheit der beiden Gebiete als die formelle
Absonderung des einen von dem andern; aber es läßt sich anderweitig
zeigen, daß bald nach Traian die letztere durchgeführt war. Denn daß
der abgetrennte Bezirk ursprünglich in neun Gaue zerfiel, wie jene
Verse es sagen, bestätigt der seitdem gebliebene Name Novempopulana;
unter Pius aber zählt der Bezirk bereits elf Gemeinden (denn der
dilectator er Apquitanicae XI populos, Boissieu, Lyon, S. 246, gehört
gewiß hierher), im fünften Jahrhundert zwölf; denn so viele zählt die
Notitia unter der Novempopulana auf. Diese Vermehrung erklärt sich
ebenso wie die in Anm. 11 erörterte. Auf die Statthalterschaft bezieht
die Teilung sich nicht; vielmehr blieben das keltische und das
iberische Aquitanien beide unter demselben Legaten. Aber die
Novempopulana erhielt unter Traian ihren eigenen Landtag, während die
keltischen Distrikte Aquitaniens nach wie vor den Landtag von Lyon
beschickten.
^14 Es fehlen einige kleinere germanische Völkerschaften, wie die
Baetasier und die Sunuker, vielleicht aus ähnlichen Gründen wie die
kleineren iberischen; ferner die Cannenefaten und die Friesen,
wahrscheinlich weil diese erst später reichsuntertänig geworden sind.
Die Bataver sind vertreten.
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Wurde die keltische Nation also in dem kaiserlichen Gallien in sich
selbst konsolidiert, so wurde sie auch dem römischen Wesen gegenüber
gewissermaßen garantiert durch das hinsichtlich der Erteilung des
Reichsbürgerrechts für dieses Gebiet eingehaltene Verfahren. Die
Hauptstadt Galliens freilich war und blieb eine römische Bürgerkolonie,
und es gehört dies wesentlich mit zu der eigenartigen Stellung, die sie
dem übrigen Gallien gegenüber einnahm und einnehmen sollte. Aber
während die Südprovinz mit Kolonien bedeckt und durchaus nach
italischem Gemeinde recht geordnet ward, hat Augustus in den “drei
Gallien” nicht eine einzige Bürgerkolonie eingerichtet, und
wahrscheinlich ist auch dasjenige Gemeinderecht, welches unter dem
Namen des latinischen eine Zwischenstufe zwischen Bürgern und
Nichtbürgern bildet und seinen angeseheneren Inhabern von Rechts wegen
das Bürgerrecht für ihre Person und ihre Nachkommen gewährt, längere
Zeit von Gallien ferngehalten worden. Die persönliche Verleihung des
Bürgerrechts, teils nach allgemeinen Bestimmungen an den Soldaten bald
bei dem Eintritt, bald bei dem Abschied, teils aus besonderer Gunst an
einzelne Personen, konnte allerdings auch dem Gallier zuteil werden; so
weit, wie die Republik gegangen war, dem Helvetier zum Beispiel den
Gewinn des römischen Bürgerrechts ein für allemal zu untersagen, ging
Augustus nicht und konnte es auch nicht, nachdem Caesar das Bürgerrecht
an geborene Gallier vielfach auf diese Weise vergeben hatte. Aber er
nahm wenigstens den aus den “drei Gallien” stammenden Bürgern - mit
Ausnahme immer der Lugudunenser - das Recht der Ämterbewerbung und
schloß sie damit zugleich aus dem Reichssenat aus. Ob diese Bestimmung
zunächst im Interesse Roms oder zunächst in dem der Gallier getroffen
war, können wir nicht wissen; gewiß hat Augustus beides gewollt, einmal
dem Eindringen des fremdartigen Elements in das Römertum wehren und
damit dasselbe reinigen und heben, andererseits den Fortbestand der
gallischen Eigenartigkeit in einer Weise verbürgen, die eben durch
verständiges Zurückhalten die schließliche Verschmelzung mit dem
römischen Wesen sicherer förderte, als die schroffe Aufzwingung
fremdländischer Institutionen getan haben würde.
Kaiser Claudius, selbst in Lyon geboren und, wie die Spötter von ihm
sagten, ein richtiger Gallier, hat diese Schranken zum guten Teil
beseitigt. Die erste Stadt in Gallien, welche sicher italisches Recht
empfangen hat, ist die der Ubier, wo der Altar des römischen Germaniens
angelegt war; dort im Feldlager ihres Vaters, des Germanicus, wurde die
nachmalige Gemahlin des Claudius Agrippina geboren, und sie hat im
Jahre 50 ihrem Geburtsort das wahrscheinlich latinische Kolonialrecht
erwirkt, dem heutigen Köln. Vielleicht gleichzeitig, vielleicht schon
früher ist dasselbe für die Stadt der Treverer, Augusta, geschehen, das
heutige Trier. Auch noch einige andere gallische Gaue sind in dieser
Weise dem Römertum näher gerückt worden, so der der Helvetier durch
Vespasian, ferner der der Sequaner (Besançon); große Ausdehnung aber
scheint das latinische Recht in diesen Gegenden nicht gefunden zu
haben. Noch weniger ist in der früheren Kaiserzeit in dem kaiserlichen
Gallien ganzen Gemeinden das volle Bürgerrecht beigelegt worden. Wohl
aber hat Claudius mit der Aufhebung der Rechtsbeschränkung den Anfang
gemacht, welche die zum persönlichen Reichsbürgerrecht gelangten
Gallier von der Reichsbeamtenlaufbahn ausschloß; es wurde zunächst für
die ältesten Verbündeten Roms, die Häduer, bald wohl allgemein diese
Schranke beseitigt. Damit war wesentlich die Gleichstellung erreicht.
Denn nach den Verhältnissen dieser Epoche hatte das Reichsbürgerrecht
für die durch ihre Lebensstellung von der Ämterlaufbahn
ausgeschlossenen Kreise kaum einen besonderen praktischen Wert und war
für vermögende Peregrinen guter Herkunft, die diese Laufbahn zu
betreten wünschten und deshalb seiner bedurften, leicht zu erlangen;
wohl aber war es eine empfindliche Zurücksetzung, wenn dem römischen
Bürger aus Gallien und seinen Nachkommen von Rechts wegen die
Ämterlaufbahn verschlossen blieb.
Wenn in der Organisation der Verwaltung das nationale Wesen der Kelten
so weit geschont ward, als dies mit der Reichseinheit sich irgend
vertrug, so ist dies hinsichtlich der Sprache nicht geschehen. Auch
wenn es praktisch ausführbar gewesen wäre, den Gemeinden die Führung
ihrer Verwaltung in einer Sprache zu gestatten, deren die
kontrollierenden Reichsbeamten nur ausnahmsweise mächtig sein konnten,
lag es unzweifelhaft nicht in den Absichten der römischen Regierung,
diese Schranke zwischen den Herrschenden und Beherrschten aufzurichten.
Dementsprechend ist unter den in Gallien unter römischer Herrschaft
geschlagenen Münzen und von Gemeinde wegen gesetzten Denkmälern keine
erweislich keltische Aufschrift gefunden worden. Der Gebrauch der
Landessprache wurde übrigens nicht gehindert; wir finden sowohl in der
Südprovinz wie in den nördlichen Denkmäler mit keltischer Aufschrift,
dort immer mit griechischem ^15, hier immer mit lateinischem Alphabet
geschrieben ^16, und wahrscheinlich gehören wenigstens manche von
jenen, sicher diese sämtlich der Epoche der Römerherrschaft an. Daß in
Gallien außerhalb der Städte italischen Rechts und der römischen Lager
inschriftliche Denkmäler überhaupt nur in geringer Zahl auftreten, wird
wahrscheinlich hauptsächlich dadurch herbeigeführt sein, daß die als
Dialekt behandelte Landessprache ebenso für solche Verwendung
ungeeignet erschien wie die ungeläufige Reichssprache und daher das
Denksteinsetzen hier überhaupt nicht so wie in den latinisierten
Gegenden in Aufnahme kam; das Lateinische mag in dem größten Teil
Galliens damals ungefähr die Stellung gehabt haben wie nachher im
früheren Mittelalter gegenüber der damaligen Volkssprache. Das
energische Fortleben der nationalen Sprache zeigt am bestimmtesten die
Wiedergabe der gallischen Eigennamen im Latein nicht selten unter
Beibehaltung unlateinischer Lautformen. Daß Schreibungen wie Lousonna
und Boudicca mit dem unlateinischen Diphthong ou selbst in die
lateinische Literatur eingedrungen sind und für den aspirierten Dental,
das englische th, sogar in römischer Schrift ein eigenes Zeichen (Đ)
verwendet wird, ferner Epaciatextorigus neben Epasnactus geschrieben
wird, Đirona neben Sirona, machen es fast zur Gewißheit, daß die
keltische Sprache, sei es im römischen Gebiet, sei es außerhalb
desselben, in oder vor dieser Epoche einer gewissen schriftmäßigen
Regulierung unterlegen hatte und schon damals so geschrieben werden
konnte, wie sie noch heute geschrieben wird. Auch an Zeugnissen für
ihren fortdauernden Gebrauch in Gallien fehlt es nicht. Als die
Stadtnamen Augustodunum (Autun), Augustonemētum (Clermont), Augustobona
(Troyes) und manche ähnliche aufkamen, sprach man notwendig auch im
mittleren Gallien noch keltisch. Arrian unter Hadrian gibt in seiner
Abhandlung über die Kavallerie für einzelne den Kelten entlehnte
Manöver den keltischen Ausdruck an. Ein geborener Grieche, Eirenaeos,
der gegen das Ende des 2. Jahrhunderts als Geistlicher in Lyon
fungierte, entschuldigt die Mängel seines Stils damit, daß er im Lande
der Kelten lebe und genötigt sei, stets in barbarischer Sprache zu
reden. In einer juristischen Schrift aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts
wird, im Gegensatz zu der Rechtsregel, daß die letztwilligen
Verfügungen im allgemeinen lateinisch oder griechisch abzufassen sind,
für Fideikommisse auch jede andere Sprache, zum Beispiel die punische
und die gallische zugelassen. Dem Kaiser Alexander wurde sein Ende von
einer gallischen Wahrsagerin in gallischer Sprache angekündigt. Noch
der Kirchenvater Hieronymus, der selber in Ancyra wie in Trier gewesen
ist, versichert, daß die kleinasiatischen Galater und die Treverer
seiner Zeit ungefähr die gleiche Sprache redeten, und vergleicht das
verdorbene Gallisch der Asiaten mit dem verdorbenen Punisch der
Afrikaner. Wenn die keltische Sprache sich in der Bretagne, ähnlich wie
in Wales, bis auf den heutigen Tag behauptet hat, so hat die Landschaft
zwar ihren heutigen Namen von den im fünften Jahrhundert dorthin vor
den Sachsen flüchtenden Inselbriten erhalten, aber die Sprache ist
schwerlich erst mit diesen eingewandert, sondern allem Anschein nach
hier seit Jahrtausenden von einem Geschlecht dem andern überliefert. In
dem übrigen Gallien hat natürlich im Laufe der Kaiserzeit das römische
Wesen schrittweise Boden gewonnen; ein Ende gemacht hat aber dem
keltischen Idiom hier wohl nicht so sehr die germanische Einwanderung
als die Christianisierung, welche in Gallien nicht, wie in Syrien und
Ägypten, die von der Regierung beiseite geschobene Landessprache
aufnahm und zu ihrem Träger machte, sondern das Evangelium lateinisch
verkündigte.
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^15 So hat sich in Nemausus eine in keltischer Sprache geschriebene
Weihinschrift gefunden, gesetzt Ματρεβο Ναμαυσικαβο (CIL XI, p. 383),
das heißt, den örtlichen Müttern.
^16 Beispielsweise liest man auf einem in Néris-les-Bains (Allier)
gefundenen Altarstein (E. Desjardins, Geographie historique et
administrative de la Gaule Romaine. 4 Bde. Paris 1876-93. Bd. 2, S.
476): Bratronos Nantonicn Epadatextorici Leucullo Suio rebelocitoi. Auf
einem andern, den die Pariser Schiffergilde unter Tiberius dem höchsten
besten Jupiter setzte (Mowat im Bulletin épigraphique de la Gaule 1, S.
25f.), ist die Hauptinschrift lateinisch, aber über den Reliefs der
Seitenflächen, die eine Prozession von neun bewaffneten Priestern
darzustellen scheinen, stehen erklärende Beischriften: Senani Useiloni
. . . und Eurises, die nicht lateinisch sind. Solches Gemenge begegnet
auch sonst, zum Beispiel in einer Inschrift von Arrenes (Creuse im
Bulletin épigraphique de la Gaule 1, S. 38): Sacer Peroco ieuru
(wahrscheinlich = fecit) Duorico v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito).
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In dem Vorschreiten der Romanisierung, welche in Gallien, abgesehen von
der Südprovinz, wesentlich der inneren Entwicklung überlassen blieb,
zeigt sich eine bemerkenswerte Verschiedenheit zwischen dem östlichen
Gallien und dem Westen und Norden, die wohl mit, aber nicht allein auf
dem Gegensatz der Germanen und der Gallier beruht. In den Vorgängen bei
und nach Neros Sturz tritt diese Verschiedenheit selbst politisch
bestimmend hervor. Die nahe Berührung der östlichen Gaue mit den
Rheinlagern und die hier vorzugsweise stattfindende Rekrutierung der
Rheinlegionen hat dem römischen Wesen hier früher und vollständiger
Eingang verschafft als im Gebiet der Loire und der Seine. Bei jenen
Zerwürfnissen gingen die rheinischen Gaue, die keltischen Lingonen und
Treverer sowohl wie die germanischen Ubier oder vielmehr die
Agrippinenser mit der Römerstadt Lugudunum und hielten fest zu der
legitimen römischen Regierung, während die, wie bemerkt ward,
wenigstens in gewissem Sinn nationale Insurrektion von den Sequanern,
Häduern und Arvernern ausgeht. In einer späteren Phase desselben
Kampfes finden wir unter veränderten Parteiverhältnissen dieselbe
Spaltung, jene östlichen Gaue mit den Germanen im Bunde, während der
Landtag von Reims den Anschluß an diese verweigert.
Wurde somit das gallische Land in Betreff der Sprache im wesentlichen
ebenso behandelt wie die übrigen Provinzen, so begegnet wiederum die
Schonung seiner alten Institutionen bei den Bestimmungen über Maß und
Gewicht. Allerdings haben neben der allgemeinen Reichsordnung, welche
in dieser Hinsicht von Augustus erlassen ward, entsprechend dem
toleranten oder vielmehr indifferenten Verhalten der Regierung in
dergleichen Dingen, die örtlichen Bestimmungen vielerorts
fortbestanden, aber nur in Gallien hat die örtliche Ordnung späterhin
die des Reiches verdrängt. Die Straßen sind im ganzen Römischen Reich
gemessen und bezeichnet nach der Einheit der römischen Meile (1,48
Kilometer), und bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts trifft dies auch
für diese Provinzen zu. Aber von Severus an tritt in den “drei Gallien”
und den beiden Germanien an deren Stelle eine zwar der römischen
angefügte, aber doch verschiedene und gallisch benannte Meile, die
Leuga (2,22 Kilometer), gleich anderthalb römischen Meilen. Unmöglich
kann Severus damit den Kelten eine nationale Konzession haben machen
wollen; es paßt dies weder für die Epoche, noch insbesondere für diesen
Kaiser, der eben diesen Provinzen in ausgesprochener Feindseligkeit
gegenüberstand; ihn müssen Zweckmäßigkeitsrücksichten bestimmt haben.
Diese können nur darauf beruhen, daß das nationale Wegemaß, die Leuga
oder auch die Doppelleuga, die germanische Rasta, welche letztere der
französischen Lieue entspricht, in diesen Provinzen nach der Einführung
des einheitlichen Wegemaßes in ausgedehnterem Umfang fortbestanden
haben, als dies in den übrigen Reichsländern der Fall war. Augustus
wird die römische Meile formell auf Gallien erstreckt und die
Postbücher und die Reichsstraßen darauf gestellt, aber der Sache nach
dem Lande das alte Wegemaß gelassen haben; und so mag es gekommen sein,
daß die spätere Verwaltung es weniger unbequem fand, die zwiefache
Einheit im Postverkehr sich gefallen zu lassen ^17, als noch länger
sich eines praktisch im Lande unbekannten Wegemaßes zu bedienen.
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^17 Die Postbücher und Straßentafeln verfehlen nicht bei Lyon und
Toulouse anzumerken, daß hier die Leugen beginnen.
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Von weit größerer Bedeutung ist das Verhalten der römischen Regierung
zu der Landesreligion; ohne Zweifel hat das gallische Volkstum seinen
festesten Rückhalt an dieser gefunden. Selbst in der Südprovinz muß die
Verehrung der nichtrömischen Gottheiten lange, viel länger als zum
Beispiel in Andalusien sich behauptet haben. Die große Handelsstadt
Arelate freilich hat keine anderen Weihungen aufzuweisen als an die
auch in Italien verehrten Götter; aber in Fréjus, Aix, Nîmes und
überhaupt der ganzen Küstenlandschaft sind die alten keltischen
Gottheiten in der Kaiserepoche nicht viel weniger verehrt worden als im
inneren Gallien. Auch in dem iberischen Teil Aquitaniens begegnen
zahlreiche Spuren des einheimischen, von dem keltischen durchaus
verschiedenen Kultus. Indes tragen alle im Süden Galliens zum Vorschein
gekommenen Götterbilder einen minder von dem gewöhnlichen abweichenden
Stempel als die Denkmäler des Nordens, und vor allem war es leichter,
mit den nationalen Göttern auszukommen als mit dem nationalen
Priestertum, das uns nur im kaiserlichen Gallien und auf den
britannischen Inseln begegnet, den Druiden. Es würde vergebliche Mühe
sein, von dem inneren Wesen der aus Spekulation und Imagination
wunderbar zusammengestellten Druidenlehre eine Vorstellung geben zu
wollen; nur die Fremdartigkeit und die Fruchtbarkeit derselben sollen
einige Beispiele erläutern. Die Macht der Rede wurde symbolisch
dargestellt in einem kahlköpfigen, runzligen, von der Sonne verbrannten
Greis, der Keule und Bogen führt und von dessen durchbohrter Zunge zu
den Ohren des ihm folgenden Menschen feine goldene Ketten laufen - das
heißt, es fliegen die Pfeile und schmettern die Schläge des
redegewaltigen Alten und willig folgen ihm die Herzen der Menge. Das
ist der Ogmius der Kelten; den Griechen erschien er wie ein als
Herakles staffierter Charon. Ein in Paris gefundener Altar zeigt uns
drei Götterbilder mit Beischrift, in der Mitte den Jovis, zu seiner
Linken den Vulcan, ihm zur Rechten den Esus, “den Entsetzlichen mit
seinen grausen Altären”, wie ihn ein römischer Dichter nennt, aber
dennoch ein Gott des Handelsverkehrs und des friedlichen Schaffens ^18;
er ist zur Arbeit geschürzt wie Vulcan, und wie dieser Hammer und Zange
führt, so behaut er mit dem Beil einen Weidenbaum. Eine öfter
wiederkehrende Gottheit, wahrscheinlich Cernunnos genannt, wird
kauernd, mit untergeschlagenen Beinen, dargestellt; auf dem Kopf trägt
sie ein Hirschgeweih, an dem eine Halskette hängt, und hält auf dem
Schoß den Geldsack; vor ihr stehen zuweilen Rinder und Hirsche - es
scheint, als solle damit der Erdboden als die Quelle des Reichtums
ausgedrückt werden. Die ungeheure Verschiedenheit dieses aller Reinheit
und Schönheit baren, im barocken und phantastischen Mengen sehr
irdischer Dinge sich gefallenden keltischen Olymp von den einfach
menschlichen Formen der griechischen und den einfach menschlichen
Begriffen der römischen Religion gibt eine Ahnung der Schranke, die
zwischen diesen Besiegten und ihren Siegern stand. Daran hingen weiter
sehr bedenkliche praktische Konsequenzen: ein umfassender Geheimmittel-
und Zauberkram, bei dem die Priester zugleich die Ärzte spielten und wo
neben dem Besprechen und Besegnen auch Menschenopfer und Krankenheilung
durch das Fleisch der also Geschlachteten vorkam. Daß direkte
Opposition gegen die Fremdherrschaft in dem Druidentum dieser Zeit
gewaltet hat, läßt sich wenigstens nicht erweisen; aber auch, wenn dies
nicht der Fall war, ist es wohl begreiflich, daß die römische
Regierung, welche sonst alle örtlichen Besonderheiten der
Gottesverehrung mit gleichgültiger Duldung gewähren ließ, diesem
Druidenwesen nicht bloß in seinen Ausschreitungen, sondern überhaupt
mit Apprehension gegenüberstand. Die Einrichtung des gallischen
Jahrfestes in der rein römischen Landeshauptstadt und unter Ausschluß
aller Anknüpfung an den nationalen Kultus ist offenbar ein Gegenzug der
Regierung gegen die alte Landesreligion mit ihrem jährlichen
Priesterkonzil in Chartres, dem Mittelpunkt des gallischen Landes.
Unmittelbar aber ging Augustus gegen das Druidentum nicht weiter vor,
als daß er jedem römischen Bürger die Beteiligung an dem gallischen
Nationalkult untersagte. Tiberius in seiner energischeren Weise griff
durch und verbot dieses Priestertum mit seinem Anhang von Lehrern und
Heilkünstlern überhaupt; aber es spricht nicht gerade für den
praktischen Erfolg dieser Verfügung, daß dasselbe Verbot abermals unter
Claudius erging - von diesem wird erzählt, daß er einen vornehmen
Gallier lediglich deshalb köpfen ließ, weil er überwiesen ward, für
guten Erfolg bei Verhandlungen vor dem Kaiser das landübliche
Zaubermittel in Anwendung gebracht zu haben. Daß die Besetzung
Britanniens, welches von alters her der Hauptsitz dieses
Priestertreibens gewesen war, zum guten Teil beschlossen ward, um damit
dieses an der Wurzel zu fassen, wird weiterhin ausgeführt werden. Trotz
alledem hat noch in dem Abfall, den die Gallier nach dem Sturz der
claudischen Dynastie versuchten, dies Priestertum eine bedeutende Rolle
gespielt; der Brand des Kapitols, so predigten die Druiden, verkünde
den Umschwung der Dinge und den Beginn der Herrschaft des Nordens über
den Süden. Indes wenn auch dies Orakel späterhin in Erfüllung ging,
durch diese Nation und zugunsten ihrer Priester ist es nicht geschehen.
Die Besonderheiten der gallischen Gottesverehrung haben wohl auch
später noch ihre Wirkung geübt; als im dritten Jahrhundert für einige
Zeit ein gallisch-römisches Sonderreich ins Leben trat, spielt auf
dessen Münzen die erste Rolle der Herkules, teils in seiner
griechisch-römischen Gestalt, teils auch als gallischer Deusoniensis
oder Magusanus. Von den Druiden aber ist nur noch etwa insofern die
Rede, als die klugen Frauen in Gallien bis in die diocletianische Zeit
unter dem Namen der Druidinnen gehen und orakeln, und daß die alten
adligen Häuser noch lange nachher in ihrer Ahnenreihe sich druidischer
Altvordern berühmen. Wohl rascher noch als die Landessprache ging die
Landesreligion zurück und das eindringende Christentum hat kaum noch an
dieser ernstlichen Widerstand gefunden.
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^18 Die zweite Berner Glosse zu Lucan 1, 445, die den Teutates richtig
zum Mars macht und auch sonst glaubwürdig scheint, sagt von ihm: Hesum
Mercurium credunt, si quidem a mercatoribus colitur.
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Das südliche Gallien, mehr als irgendeine andere Provinz durch seine
Lage jedem feindlichen Angriff entzogen und gleich Italien und
Andalusien ein Land der Olive und der Feige, gedieh unter dem
Kaiserregiment zu hohem Wohlstand und reicher städtischer Entwicklung.
Das Amphitheater und das Sarkophagfeld von Arles, der “Mutter ganz
Galliens”, das Theater von Orange, die in und bei Nîmes noch heute
aufrecht stehenden Tempel und Brücken sind davon bis in die Gegenwart
lebendige Zeugen. Auch in den nördlichen Provinzen stieg der alte
Wohlstand des Landes weiter durch den dauernden Frieden, der,
allerdings mit dem dauernden Steuerdruck, durch die Fremdherrschaft in
das Land kam. “In Gallien”, sagt ein Schriftsteller der vespasianischen
Zeit, “sind die Quellen des Reichtums heimisch und ihre Fülle strömt
über die ganze Erde ^19.” Vielleicht nirgends sind gleich zahlreiche
und gleich prächtige Landhäuser zum Vorschein gekommen, vor allen
Dingen im Osten Galliens, am Rhein und seinen Zuflüssen; man erkennt
deutlich den reichen gallischen Adel. Berühmt ist das Testament des
vornehmen Lingonen, welcher anordnet, ihm das Grabdenkmal und die
Bildsäule aus italischem Marmor oder bester Bronze zu errichten und
unter anderem sein sämtliches Gerät für Jagd und Vogelfang mit ihm zu
verbrennen - es erinnert dies an die anderweitig erwähnten,
meilenlangen eingefriedigten Jagdparks im Keltenland und an die
hervorragende Rolle, welche die keltischen Jagdhunde und keltische
Waidmannsart bei dem Xenophon der hadrianischen Zeit spielen, welcher
nicht verfehlt hinzuzufügen, daß dem Xenophon, des Gryllos Sohn, das
Jagdwesen der Kelten nicht habe bekannt sein können. Nicht minder
gehört in diesen Zusammenhang die merkwürdige Tatsache, daß in dem
römischen Heerwesen der Kaiserzeit die Kavallerie eigentlich keltisch
ist, nicht bloß insofern diese vorzugsweise aus Gallien sich
rekrutiert, sondern auch, indem die Manöver und selbst die technischen
Ausdrücke zum guten Teil den Kelten entlehnt sind; man erkennt hier,
wie nach dem Hinschwinden der alten Bürgerreiterei unter der Republik
die Kavallerie durch Caesar und Augustus mit gallischen Mannschaften
und in gallischer Weise reorganisiert worden ist. Die Grundlage dieses
vornehmen Wohlstandes war der Ackerbau, auf dessen Hebung auch Augustus
selbst energisch hinwirkte und der in ganz Gallien, etwa abgesehen von
der Steppengegend an der aquitanischen Küste, reichen Ertrag gab.
Einträglich war auch die Viehzucht, besonders im Norden, namentlich die
Zucht von Schweinen und Schafen, welche bald für die Industrie und die
Ausfuhr von Bedeutung wurden - die menapischen Schinken (aus Flandern)
und die atrebatischen und nervischen Tuchmäntel (bei Arras und Tournay)
gingen in späterer Zeit in das gesamte Reich. Von besonderem Interesse
ist die Entwicklung des Weinbaus. Weder das Klima noch die Regierung
waren demselben günstig. Der “gallische Winter” blieb lange Zeit bei
den Südländern sprichwörtlich; wie denn in der Tat das Römische Reich
nach dieser Seite hin am weitesten gegen Norden sich ausdehnt. Aber
engere Schranken zog der gallischen Weinkultur die italische
Handelskonkurrenz. Allerdings hat der Gott Dionysos seine Welteroberung
überhaupt langsam vollbracht und nur Schritt vor Schritt ist der aus
der Halmfrucht bereitete Trank dem Saft der Rebe gewichen; aber es
beruht auf dem Prohibitivsystem, daß in Gallien das Bier sich
wenigstens im Norden als das gewöhnliche geistige Getränk die ganze
Kaiserzeit hindurch behauptete und noch Kaiser Julianus bei seinem
Aufenthalt in Gallien mit diesem falschen Bacchus in Konflikt kam ^20.
So weit freilich, wie die Republik, welche den Wein- und Ölbau an der
gallischen Südküste polizeilich untersagte, ging das Kaiserregiment
nicht; aber die Italiener dieser Zeit waren doch die rechten Söhne
ihrer Väter. Die Blüte der beiden großen Rhoneemporien Arles und Lyon
beruhte zu einem nicht geringen Teil auf dem Vertrieb des italienischen
Weins nach Gallien; daran mag man ermessen, welche Bedeutung der
Weinbau damals für Italien selbst gehabt haben muß. Wenn einer der
sorgfältigsten Verwalter, die das Kaiseramt gehabt hat, Domitianus, den
Befehl erließ, in sämtlichen Provinzen mindestens die Hälfte der
Rebstöcke zu vertilgen ^21, was freilich so nicht zur Ausführung kam,
so darf daraus geschlossen werden, daß die Ausbreitung des Weinbaus
allerdings von Regierungs wegen ernstlich eingeschränkt ward. Noch in
augustischer Zeit war er in dem nördlichen Teil der narbonensischen
Provinz unbekannt, und wenn er auch hier bald in Aufnahme kam, scheint
er doch durch Jahrhunderte auf die Narbonensis und das südliche
Aquitanien beschränkt geblieben zu sein; von gallischen Weinen kennt
die bessere Zeit nur den allobrogischen und den biturigischen, nach
unserer Redeweise den Burgunder und den Bordeaux ^22. Erst als die
Zügel des Reiches den Händen der Italiener entfielen, im Laufe des
dritten Jahrhunderts, änderte sich dies, und Kaiser Probus (276-282)
gab endlich den Provinzialen den Weinbau frei. Wahrscheinlich erst
infolgedessen hat die Rebe festen Fuß gefaßt an der Seine wie an der
Mosel. “Ich habe”, schreibt Kaiser Julianus, “einen Winter” (es war der
von 357 auf 358) “in dem lieben Lutetia verlebt, denn so nennen die
Gallier das Städtchen der Pariser, eine kleine Insel im Flusse gelegen
und rings ummauert; das Wasser ist dort trefflich und rein zu schauen
und zu trinken. Die Einwohner haben einen ziemlich milden Winter, und
es wächst bei ihnen guter Wein; ja einige ziehen sogar auch Feigen,
indem sie sie im Winter mit Weizenstroh wie mit einem Rocke zudecken.”
Und nicht viel später schildert dann der Dichter von Bordeaux in der
anmutigen Beschreibung der Mosel, wie die Weinberge diesen Fluß an
beiden Ufern einfassen, “gleich wie die eigenen Reben mir kränzen die
gelbe Garonne”.
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^19 Ios. bel. Iud. 2, 16, 4. Ebenda sagt König Agrippa zu seinen Juden,
ob sie sich etwa einbildeten, reicher zu sein als die Gallier, tapferer
als die Germanen, klüger als die Hellenen. Damit stimmen alle anderen
Zeugnisse überein. Nero vernimmt den Aufstand nicht ungern occasione
nata spoliandarum iure belli opulentissimarum provinciarum (Suet. Nero
40; Plut. Galba 5); die dem Insurgentenheer des Vindex abgenommene
Beute ist unermeßlich (Tac. hist. 1, 51). Tacitus (hist. 3, 46) nennt
die Häduer pecunia dites et voluptatibus opulentos. Nicht mit Unrecht
sagt der Feldherr Vespasians zu den abgefallenen Galliern bei Tacitus
(bist. 4, 74); regna bellaque per Gallias semper fuere, donec in
nostrum ius concederetis; nos quamquam totiens lacessiti iure victoriae
id solum vobis addidimus quo pacem tueremur, nam neque quies gentium
sine armis neque arma sine stipendiis neque stipendia sine tributis
haberi queunt. Die Steuern drückten wohl schwer, aber nicht so schwer
wie der alte Fehde- und Faustrechtzustand.
^20 Sein Epigramm ‘Auf den Gerstenwein’ ist erhalten (AP 9, 368):
Τίς πόθεν είς, Διόνυσε? Μά γάρ τόν αληθέα Βάκχον
σύσ' επιγιγνώσκω. τόν Διός οίδα μόνον
κείνος νέκταρ οδώδε. σύ δέ τράγου. ή ρά σε Κελτοί
τή πενιή βοτρύων τεύξαν απ' ασταχύων.
τώ σε χρή καλέειν Δημήτριον, ου Διόνυσον
πυρσγένη μάλλον καί βρόμον, ου Βρόμιον.
Du, Dionysos, von wo kommst du? Bei dem richtigen Bacchus!
Ich erkenne dich nicht; Zeus Sohn kenn’ ich allein.
Jener duftet nach Nektar; du riechst nach dem Bocke. Die Kelten,
Denen die Rebe versagt, braueten dich aus dem Halm,
Scheuer-, nicht Feuersohn, Erdkind, nicht Kind dich des Himmels,
Nur für das Futtern gemacht, nicht für den lieblichen Trunk.
Auf einem in Paris gefundenen irdenen Ring (Mowat im Bulletin
épigraphique de la Gaule 2, S. 110; 3, S. 133), der hohl und zum Füllen
der Becher eingerichtet ist, sagt der Trinkende zu dem Wirt: copo,
conditu(m) [cnoditu ist Schreibfehler] abes; est reple(n)da - Wirt, du
hast mehr im Keller; die Flasche ist leer, und zu der Kellnerin:
ospita, reple, lagona(m) cervesa - Mädchen, fülle die Flasche mit Bier.
^21 Suet. Dom. 7. Wenn als Grund angegeben ward, daß die hohen
Kornpreise durch das Umwandeln des Ackerlandes in Weinberge veranlaßt
seien, so war das natürlich ein auf den Unverstand des Publikums
berechneter Vorwand.
^22 Wenn noch V. Hehn (Kulturpflanzen und Haustiere. Berlin 1870, S.
76) für den Weinbau der Arverner und der Sequaner außerhalb der
Narbonensis sich auf Plinius (nat. 14, 1, 18) beruft, so folgt er
beseitigten Textinterpolationen. Es ist möglich, daß das straffere
kaiserliche Regiment in den “drei Gallien” den Weinbau mehr zurückhielt
als das schlaffe senatorische in der Narbonensis.
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Der innere Verkehr so wie der mit den Nachbarländern, besonders mit
Italien, muß ein sehr reger gewesen sein und das Straßennetz entwickelt
und gepflegt. Die große Reichsstraße von Rom nach der Mündung des
Baetis, deren bei Spanien gedacht ward, war die Hauptader für den
Landhandel der Südprovinz; die ganze Strecke, in republikanischer Zeit
von den Alpen bis zur Rhone durch die Massalioten, von da bis zu den
Pyrenäen durch die Römer instand gehalten, wurde von Augustus neu
chaussiert. Im Norden führten die Reichsstraßen hauptsächlich teils
nach der gallischen Hauptstadt, teils nach den großen Rheinlagern; doch
scheint auch außerdem für die übrige Kommunikation in ausreichender
Weise gesorgt gewesen zu sein.
Wenn die Südprovinz in der älteren Zeit auf dem geistigen Gebiet zu dem
hellenischen Kreise gehörte, so hat der Rückgang von Massalia und das
gewaltige Vordringen des Römertums im südlichen Gallien darin freilich
eine Änderung herbeigeführt; dennoch aber ist dieser Teil Galliens
immer, wie Kampanien, ein Sitz hellenischen Wesens geblieben. Daß
Nemausus, eine der Teilerben von Massalia, auf seinen Münzen aus
augustischer Zeit alexandrinische Jahreszahlen und das Wappen Ägyptens
zeigt, ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit darauf bezogen worden, daß
durch Augustus selbst in dieser, dem Griechentum nicht fremd
gegenüberstehenden Stadt Veteranen aus Alexandreia angesiedelt worden
sind. Es darf wohl auch mit dem Einfluß Massalias in Verbindung
gebracht werden, daß dieser Provinz, wenigstens der Abstammung nach,
derjenige Historiker angehörte, welcher, es scheint im bewußten
Gegensatz zu der nationalrömischen Geschichtschreibung und gelegentlich
mit scharfen Ausfällen gegen deren namhafteste Vertreter, Sallustius
und Livius, die hellenische vertrat, der Vocontier Pompeius Trogus,
Verfasser einer von Alexander und den Diadochenreichen ausgehenden
Weltgeschichte, in welcher die römischen Dinge nur innerhalb dieses
Rahmens oder anhangsweise dargestellt werden. Ohne Zweifel gab er damit
nur wieder, was eigentlich der literarischen Opposition des Hellenismus
angehörte; immer bleibt es bemerkenswert, daß diese Tendenz ihren
lateinischen Vertreter, und einen geschickten und sprachgewandten
Vertreter, hier in augustischer Zeit fand. Aus späterer ist
erwähnenswert Favorinus, aus einem angesehenen Bürgerhaus von Arles,
einer der Hauptträger der Polymathie der hadrianischen Zeit; Philosoph
mit aristotelischer und skeptischer Tendenz, daneben Philolog und
Kunstredner, Schüler des Dion von Prusa, Freund des Plutarchos und des
Herodes Atticus, polemisch auf dem wissenschaftlichen Gebiet
angegriffen von Galenus, feuilletonistisch von Lucian, überhaupt in
lebhaften Beziehungen mit den namhaften Gelehrten des zweiten
Jahrhunderts und nicht minder mit Kaiser Hadrian. Seine mannigfaltigen
Forschungen, unter anderm über die Namen der Genossen des Odysseus, die
die Scylla verschlang, und über den des ersten Menschen, der zugleich
ein Gelehrter war, lassen ihn als den rechten Vertreter des damals
beliebten gelehrten Kleinkrams erscheinen, und seine Vorträge für ein
gebildetes Publikum über Thersites und das Wechselfieber sowie seine
zum Teil uns aufgezeichneten Unterhaltungen über alles und noch etwas
mehr gewähren kein erfreuliches, aber ein charakteristisches Bild des
damaligen Literatentreibens. Hier ist hervorzuheben, was er selbst
unter die Merkwürdigkeiten seines Lebenslaufes rechnete, daß er
geborener Gallier und zugleich griechischer Schriftsteller war. Obwohl
die Literaten des Okzidents häufig nebenbei auch griechisch
speziminierten, so haben doch nur wenige sich dieser als ihrer
eigentlichen Schriftstellersprache bedient; hier wird dies mit durch
die Heimat des Gelehrten bedingt sein. Im übrigen war Südgallien an der
augustischen Literaturblüte insofern beteiligt, als einige der
namhaftesten Gerichtsredner der späteren augustischen Zeit, Votienus
Montanus († 27 n. Chr.) aus Narbo - der Ovid der Redner genannt - und
Gnaeus Domitius Afer (Konsul 39 n. Chr.) aus Nemausus, dieser Provinz
angehörten. überhaupt erstreckt die römische Literatur ihre Kreise
natürlich auch über diese Landschaft; die Dichter der domitianischen
Zeit sandten ihre Freiexemplare den Freunden in Tolosa und Vienna.
Plinius unter Traian ist erfreut, daß seine kleinen Schriften auch in
Lugudunum nicht bloß günstige Leser, sondern auch Buchhändler finden,
die sie vertreiben. Einen besonderen Einfluß aber, wie ihn die Baetica
in der früheren, das nördliche Gallien in der späteren Kaiserzeit auf
die geistige und literarische Entwicklung Roms ausgeübt hat, vermögen
wir für den Süden nicht nachzuweisen. Wein und Früchte gediehen in dem
schönen Land; aber weder Soldaten noch Denker sind dem Reiche von
dorther gekommen.
Das eigentliche Gallien ist im Gebiet der Wissenschaft das gelobte Land
des Lehrens und des Lernens; vermutlich geht dies zurück auf die
eigentümliche Entwicklung und den mächtigen Einfluß des nationalen
Priestertums. Das Druidentum war keineswegs ein naiver Volksglaube,
sondern eine hoch entwickelte und anspruchsvolle Theologie, die nach
guter Kirchensitte alle Gebiete des menschlichen Denkens und Tuns,
Physik und Metaphysik, Rechts- und Heilkunde bestrebt war zu erleuchten
oder doch zu beherrschen, die von ihren Schülern unermüdliches, man
sagt zwanzigjähriges Studium forderte und diese ihre Schüler vor allem
in den adligen Kreisen suchte und fand. Die Unterdrückung der Druiden
durch Tiberius und seine Nachfolger muß in erster Reihe diese
Priesterschulen betroffen und deren wenigstens öffentliche Beseitigung
herbeigeführt haben; aber wirksam konnte dies nur dann geschehen, wenn
der nationalen Jugendbildung die römisch-griechische ebenso
gegenübergestellt ward, wie dem carnutischen Druidenkonzil der
Roma-Tempel in Lyon. Wie früh dies, ohne Frage unter dem bestimmenden
Einfluß der Regierung, in Gallien eingetreten ist, zeigt die
merkwürdige Tatsache, daß bei dem früher erwähnten Aufstand unter
Tiberius die Insurgenten vor allen Dingen versuchten, sich der Stadt
Augustodunum (Autun) zu bemächtigen, um die dort studierende vornehme
Jugend in ihre Gewalt zu bekommen und dadurch die großen Familien zu
gewinnen oder zu schrecken. Zunächst mögen wohl diese gallischen Lyzeen
trotz ihres keineswegs nationalen Bildungskursus dennoch ein Ferment
des spezifisch gallischen Volkstums gewesen sein; schwerlich zufällig
hat das damals bedeutendste derselben nicht in dem römischen Lyon
seinen Sitz, sondern in der Hauptstadt der Häduer, des vornehmsten
unter den gallischen Gauen. Aber die römisch-hellenische Bildung, wenn
auch vielleicht der Nation aufgenötigt und zunächst mit Opposition
aufgenommen, drang, wie allmählich der Gegensatz sich verschliff, in
das keltische Wesen so sehr ein, daß mit der Zeit die Schüler sich ihr
eifriger zuwandten als die Lehrmeister. Die Gentlemanbildung, etwa in
der Art, wie sie heute in England besteht, ruhend auf dem Studium des
Lateinischen und in zweiter Reihe des Griechischen und in der
Entwicklung der Schulrede mit ihren Schnitzelpointen und Glanzphrasen
lebhaft an neuere, demselben Boden entstammende literarische
Erscheinungen erinnernd, ward allmählich im Okzident eine Art
Privilegium der Galloromanen. Besser bezahlt als in Italien wurden dort
die Lehrer wohl von jeher, und vor allen Dingen auch besser behandelt.
Schon Quintilianus nennt mit Achtung unter den hervorragenden
Gerichtsrednern mehrere Gallier; und nicht ohne Absicht macht Tacitus
in dem feinen Dialog über die Redekunst den gallischen Advokaten Marcus
Aper zum Verteidiger der modernen Beredsamkeit gegen die Verehrer
Ciceros und Caesars. Den ersten Platz unter den gallischen
Universitäten nahm späterhin Burdigala ein, wie denn überall Aquitanien
hinsichtlich der Bildung dem mittleren und nördlichen Gallien weit
voran war - in einem dort geschriebenen Dialog aus dem Anfang des 5.
Jahrhunderts wagt einer der Mitsprechenden, ein Geistlicher aus
Chalon-sur-Saône, kaum den Mund aufzutun vor dem gebildeten
aquitanischen Kreise. Hier wirkte der früher erwähnte, von Kaiser
Valentinianus zum Lehrer seines Sohnes Grabanus (geb. 359) berufene
Professor Ausonius, der in seinen vermischten Gedichten einer großen
Anzahl seiner Kollegen ein Denkmal gestiftet hat; und als sein
Zeitgenosse Symmachus, der berühmteste Redner dieser Epoche, für seinen
Sohn einen Hofmeister suchte, ließ er in Erinnerung an seinen alten, an
der Garonne heimischen Lehrer sich einen aus Gallien kommen. Daneben
ist Augustodunum immer einer der großen Mittelpunkte der gallischen
Studien geblieben; wir haben noch die Reden, welche wegen der
Wiederherstellung dieser Lehranstalt bittend und dankend vor dem Kaiser
Konstantin gehalten worden sind.
Die literarische Vertretung dieser eifrigen Schultätigkeit ist
untergeordneter Art und geringen Wertes: Prunkreden, die namentlich
durch die spätere Umwandlung von Trier in eine kaiserliche Residenz und
das häufige Verweilen des Hofes im gallischen Land gefördert worden
sind, und Gelegenheitsgedichte mannigfaltiger Art. Wie die Redeleistung
war das Versemachen ein notwendiges Attribut des Lehramts und der
öffentliche Lehrer der Literatur zugleich nicht gerade geborener, aber
doch bestallter Dichter. Wenigstens die Geringschätzung der Poesie,
welche der übrigens gleichartigen hellenischen Literatur der gleichen
Epoche eigen ist, hat sich auf diese Okzidentalen nicht übertragen. In
den Versen herrscht die Schulreminiszenz und das Pedantenkunststück vor
^23 und nur selten begegnen, wie in der Moselfahrt des Ausonius,
lebendige und empfundene Schilderungen. Die Reden, die wir freilich nur
nach einigen späten, am kaiserlichen Hoflager gehaltenen Vorträgen zu
beurteilen in der Lage sind, sind Musterstücke in der Kunst, mit vielen
Worten wenig zu sagen und die unbedingte Loyalität in gleich
unbedingter Gedankenlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Wenn eine
vermögende Mutter ihren Sohn, nachdem er die Fülle und den Schmuck der
gallischen Rede sich angeeignet hat, weiter nach Italien schickt, um
auch die römische Würde ^24 zu gewinnen, so war diesen gallischen
Rhetoren allerdings diese schwieriger abzulernen als der Wortpomp. Für
das frühe Mittelalter sind diese Leistungen bestimmend gewesen; durch
sie ist in der ersten christlichen Zeit Gallien die eigentliche Stätte
der frommen Verse und doch auch der letzte Zufluchtsort der
Schulliteratur geworden, während die große geistige Bewegung innerhalb
des Christentums ihre Hauptvertreter nicht hier gefunden hat.
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^23 Eines der Professorengedichte des Ausonius ist vier griechischen
Grammatikern gewidmet: “Alle fleißig walteten sie des Lehramts; Schmal
nur war der Sold ja und dünn der Vortrag; Aber da sie lehrten zu meinen
Zeiten, Will ich sie nennen.” Dies ist um so verdienstlicher, da er
nichts Rechtes bei ihnen gelernt hat: “Wohl, weil mich gehindert die
allzu schwache Fassungskraft des Geistes und mich von Hellas Bildung
fernhielt leider damals des Knaben trauriger Irrtum.” Diese Gedanken
sind öfter, aber selten in sapphischem Maße vorgetragen worden.
^24 Romana gravitas: Hier. epist. 125 p. 929 Vall.
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In dem Kreise der bauenden und der bildenden Künste rief schon das
Klima manche Erscheinung hervor, welche der eigentliche Süden nicht
oder nur in den Anfängen kennt; so ist die in Italien nur bei Bädern
gebräuchliche Luftheizung und der dort ebenfalls wenig verbreitete
Gebrauch der Glasfenster in der gallischen Baukunst in umfassender
Weise zur Anwendung gekommen. Aber auch von einer diesem Gebiet eigenen
Kunstentwicklung darf vielleicht insofern gesprochen werden, als die
Bildnisse und in weiterer Entwicklung die Darstellung der Szenen des
täglichen Lebens in dem keltischen Gebiet relativ häufiger auftreten
als in Italien und die abgenutzten mythologischen Darstellungen durch
erfreulichere ersetzen. Wir können diese Richtung auf das Reale und das
Genre allerdings fast nur an den Grabmonumenten erkennen, aber sie hat
wohl in der Kunstübung überhaupt vorgeherrscht. Der Bogen von Arausio
(Orange) aus der frühen Kaiserzeit mit seinen gallischen Waffen und
Feldzeichen, die bei Vetera gefundene Bronzestatue des Berliner
Museums, wie es scheint, den Ortsgott mit Gerstenähren im Haar
darstellend, das wahrscheinlich zum Teil aus gallischen Werkstätten
hervorgegangene Hildesheimer Silbergerät beweisen eine gewisse Freiheit
in der Aufnahme und Umbildung der italischen Motive. Das Juliergrabmal
von St. Remy bei Avignon, ein Werk augustischer Zeit, ist ein
merkwürdiges Zeugnis für die lebendige und geistreiche Rezeption der
hellenischen Kunst im südlichen Gallien, sowohl in seinem kühnen
architektonischen Aufbau zweier quadratischer Stockwerke, welche ein
Säulenkreis mit konischer Kuppel krönt, wie auch in seinen Reliefs,
welche, im Stil den pergamenischen nächst verwandt, figurenreiche
Kampf- und Jagdszenen, wie es scheint, dem Leben der Geehrten
entnommen, in malerisch bewegter Ausführung darstellen.
Merkwürdigerweise liegt der Höhepunkt dieser Entwicklung neben der
Südprovinz in der Gegend der Mosel und der Maas; diese Landschaft,
nicht so völlig unter römischem Einfluß stehend wie Lyon und die
rheinischen Lagerstädte und wohlhabender und zivilisierter als die
Gegenden an der Loire und der Seine, scheint diese Kunstübung
einigermaßen aus sich selbst erzeugt zu haben. Das unter dem Namen der
Igeler Säule bekannte Grabdenkmal eines vornehmen Trierers gibt ein
deutliches Bild der hier einheimischen turmartigen, mit spitzem Dach
gekrönten, auf allen Seiten mit Darstellungen aus dem Leben des
Verstorbenen bedeckten Denkmäler. Häufig sehen wir auf denselben den
Gutsherrn, dem seine Kolonen Schafe, Fische, Geflügel, Eier darbringen.
Ein Grabstein aus Arlon bei Luxemburg zeigt außer den Porträts der
beiden Gatten auf der einen Seite einen Karren und eine Frau mit einem
Fruchtkorb, auf der andern über zwei auf dem Boden hockenden Männern
einen Äpfelverkauf. Ein anderer Grabstein aus Neumagen bei Trier hat
die Form eines Schiffes: in diesem sitzen sechs Schiffer, die Ruder
führend; die Ladung besteht aus großen Fässern, neben denen der lustig
blickende Steuermann, man möchte meinen, sich des darin geborgenen
Weines zu freuen scheint. Wir dürfen sie wohl in Verbindung bringen mit
dem heiteren Bilde, das der Poet von Bordeaux uns vom Moseltal bewahrt
hat mit den prächtigen Schlössern, den lustigen Rebgeländen und dem
regen Fischer- und Schiffertreiben, und den Beweis darin finden, daß in
diesem schönen Lande bereits vor anderthalb Jahrtausenden friedliche
Tätigkeit, heiterer Genuß und warmes Leben pulsiert hat.
KAPITEL IV.
Das römische Germanien und die freien Germanen
Die beiden römischen Provinzen Ober- und Untergermanien sind das
Ergebnis derjenigen Niederlage der römischen Waffen und der römischen
Staatskunst unter der Regierung des Augustus, welche früher geschildert
worden ist. Die ursprüngliche Provinz Germanien, die das Land vom Rhein
bis zur Elbe umfaßte, hat nur zwanzig Jahre, vom ersten Feldzug des
Drusus (742 12 v. Chr.) bis zur Varusschlacht und dem Falle Alisos (762
9 n. Chr.) bestanden; da sie aber einerseits die Militärlager auf dem
linken Rheinufer, Vindonissa, Mogontiacum, Vetera in sich schloß,
andererseits auch nach jener Katastrophe mehr oder minder beträchtliche
Teile des rechten Ufers römisch blieben, so wurden durch jene
Katastrophe die Statthalterschaft und das Kommando nicht eigentlich
aufgehoben, obwohl sie sozusagen in der Luft standen. Die innere
Ordnung der drei Gallien ist früher dargelegt worden; sie umfaßten das
gesamte Gebiet bis an den Rhein, ohne Unterschied der Abstammung -nur
etwa die erst während der letzten Krisen nach Gallien übergesiedelten
Ubier gehörten nicht zu den 64 Gauen, wohl aber die Helvetier, die
Triboker und überhaupt die sonst von den rheinischen Truppen besetzt
gehaltenen Distrikte. Es war die Absicht gewesen, die germanischen Gaue
zwischen Rhein und Elbe zu einer ähnlichen Gemeinschaft unter römischer
Hoheit zusammenzufassen, wie dies mit den gallischen geschehen war, und
denselben in dem Augustusaltar der Ubierstadt, dem Keim des heutigen
Köln, einen ähnlichen exzentrischen Mittelpunkt zu verleihen, wie der
Augustusaltar von Lyon ihn für Gallien bildete; für die fernere Zukunft
war wohl auch die Verlegung der Hauptlager auf das rechte Rheinufer und
die Rückgabe des linken, wenigstens im wesentlichen, an den Statthalter
der Belgica in Aussicht genommen. Allein diese Entwürfe gingen mit den
Legionen des Varus zugrunde; der germanische Augustusaltar am Rhein
ward oder blieb der Altar der Ubier; die Legionen behielten dauernd
ihre Standquartiere in dem Gebiet, welches eigentlich zur Belgica
gehörte, aber, da eine Trennung der Militär- und Zivilverwaltung nach
der römischen Ordnung ausgeschlossen war, so lange, als die Truppen
hier standen, auch administrativ unter den Kommandanten der beiden
Heere gelegt war. Denn, wie schon früher angegeben worden ist, Varus
ist wahrscheinlich der letzte Kommandant der vereinigten Rheinarmee
gewesen ^1; bei der Vermehrung der Armee auf acht Legionen, welche
diese Katastrophe im Gefolge gehabt hat, ist allem Anschein nach auch
deren Teilung eingetreten. Es sind also in diesem Abschnitt nicht
eigentlich die Zustände einer römischen Landschaft zu schildern,
sondern die Geschicke einer römischen Armee, und, was damit aufs engste
zusammenhängt, die der Nachbarvölker und der Gegner, soweit sie in die
Geschichte Roms verflochten sind.
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^1 Diese Teilung einer Provinz unter drei Statthalter ist in der
römischen Verwaltung sonst ohne Beispiel; das Verhältnis von Afrika und
Numidien bietet wohl eine äußere Analogie, ist aber politisch bedingt
durch die Stellung des senatorischen Statthalters zu dem kaiserlichen
Militärkommandanten, während die drei Statthalter der Belgica
gleichmäßig kaiserlich sind und gar nicht abzusehen ist, warum den
beiden germanischen Sprengel innerhalb der Belgica statt eigener
angewiesen werden. Nur das Zurücknehmen der Grenze unter Beibehaltung
des bisherigen Namens - ähnlich wie das transdanuvianische Dakien
späterhin als cisdanuvianisches dem Namen nach fortbestand - erklärt
diese Seltsamkeit.
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Die beiden Hauptquartiere der Rheinarmee waren von jeher Vetera bei
Wesel und Mogontiacum, das heutige Mainz, beide wohl älter als die
Teilung des Kommandos und eine der Ursachen, daß dieselbe eintrat. Die
beiden Armeen zählten jede im ersten Jahrhundert n. Chr. vier Legionen,
also ungefähr 30000 Mann ^2; in oder zwischen jenen beiden Punkten lag
die Hauptmasse der römischen Truppen, außerdem eine Legion bei
Noviomagus (Nimwegen), eine andere in Argentoratum (Straßburg), eine
dritte bei Vindonissa (Windisch, unweit Zürich), nicht weit von der
rätischen Grenze. Zu dem unteren Heere gehörte die nicht
unbeträchtliche Rheinflotte. Die Grenze zwischen der oberen und der
unteren Armee liegt zwischen Andernach und Remagen bei Brohl ^3, so daß
Koblenz und Bingen in das obere, Bonn und Köln in das untere
Militärgebiet fielen. Auf dem linken Ufer gehörten zu dem
obergermanischen Verwaltungsbezirk die Distrikte der Helvetier
(Schweiz), der Sequaner (Besançon), der Lingonen (Langres), der
Rauriker (Basel), der Triboker (Elsaß), der Nemeter (Speyer) und der
Vangionen (Worms); zu dem beschränkteren untergermanischen der Distrikt
der Ubier oder vielmehr die Kolonie Agrippina (Köln), der Tungrer
(Tongern), der Menapier (Brabant) und der Bataver, während die weiter
westlich gelegenen Gaue mit Einschluß von Metz und Trier unter den
verschiedenen Statthaltern der drei Gallien standen. Wenn diese
Scheidung nur administrative Bedeutung hat, so fällt dagegen die
wechselnde Ausdehnung der beiden Sprengel auf dem rechten Ufer mit den
wechselnden Beziehungen zu den Nachbarn und der dadurch bedingten Vor-
und Zurückschiebung der Grenzen der römischen Herrschaft zusammen.
Diesen Nachbarn gegenüber sind die unterrheinischen und die
oberrheinischen Verhältnisse in so verschiedener Weise geordnet worden
und die Ereignisse in so durchaus anderer Richtung verlaufen, daß hier
die provinziale Trennung geschichtlich von der eingreifendsten
Bedeutung wurde. Betrachten wir zunächst die Entwicklung der Dinge am
Unterrhein.
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^2 Die Stärke der Auxilien der oberen Armee läßt sich für die
domitianisch-traianische Epoche mit ziemlicher Sicherheit auf etwa
10000 Mann bestimmen. Eine Urkunde vom Jahre 90 zählt vier Alen und
vierzehn Kohorten dieser Armee auf; zu diesen kommt wenigstens eine
Kohorte (I Germanorum), die nachweislich, sowohl im Jahre 82 wie im
Jahre 116, daselbst garnisonierte; ob zwei Alen, die im Jahre 82, und
mindestens drei Kohorten, die im Jahre 116 daselbst sich befanden und
die in der Liste vom Jahre 90 fehlen, im Jahr 90 dort garnisonierten
oder nicht, ist zweifelhaft, die meisten derselben aber sind wohl vor
90 aus der Provinz weg oder erst nach 90 in dieselbe gekommen. Von
jenen neunzehn Auxilien ist eine sicher (coh. I Damascenorum), eine
andere (ala I Flavia gemina) vielleicht eine Doppelabteilung. Im
Minimum also ergibt sich als Normaletat der Auxilien dieses Heeres die
oben bezeichnete Ziffer, und bedeutend kann sie nicht überschritten
sein. Wohl aber mögen die Auxilien von Untergermanien, dessen
Garnisonen weniger ausgedehnt waren, an Zahl geringer gewesen sein.
^3 An der Grenzbrücke über den Abrinca-, jetzt Vinxtbach, der alten
Grenze der Erzdiözesen Köln und Trier, standen zwei Altäre, der auf der
Seite von Remagen den Grenzen, dem Ortsgeist und dem Jupiter (Finibus
et Genio loci et Iovi optimo maximo) gewidmet von Soldaten der 30.
niedergermanischen Legion, der auf der Seite von Andernach dem Jupiter,
dem Ortsgott und der Juno geweiht von einem Soldaten der 8.
obergermanischen (Brambach 649, 650).
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Es ist früher dargestellt worden, wieweit die Römer zu beiden Seiten
des Unterrheins die Germanen sich unterworfen hatten. Die germanischen
Bataver sind nicht durch Caesar, aber nicht lange nachher, vielleicht
durch Drusus, auf friedlichem Wege mit dem Reiche vereinigt worden. Sie
saßen im Rheindelta, das heißt auf dem linken Rheinufer und auf den
durch die Rheinarmee gebildeten Inseln aufwärts bis wenigstens an den
Alten Rhein, also etwa von Antwerpen bis Utrecht und Leiden in Seeland
und dem südlichen Holland, auf ursprünglich keltischem Gebiet -
wenigstens sind die Ortsnamen überwiegend keltisch; ihren Namen führt
noch die Betuwe, die Niederung zwischen Waal und Leck mit der
Hauptstadt Noviomagus, jetzt Nimwegen. Sie waren, insbesondere
verglichen mit den unruhigen und störrigen Kelten, gehorsame und
nützliche Untertanen und nahmen daher im römischen Reichsverband und
namentlich im Heerwesen eine Sonderstellung ein. Sie blieben gänzlich
steuerfrei, wurden aber dagegen so stark wie kein anderer Gau bei der
Rekrutierung angezogen; der eine Gau stellte zu dem Reichsheer 1000
Reiter und 9000 Fußsoldaten; außerdem wurden die kaiserlichen
Leibwächter vorzugsweise aus ihnen genommen. Das Kommando dieser
batavischen Abteilungen wurde ausschließlich an geborene Bataver
vergeben. Die Bataver galten unbestritten nicht bloß als die besten
Reiter und Schwimmer der Armee, sondern auch als das Muster treuer
Soldaten, wobei allerdings der gute Sold der batavischen Leibwächter
sowohl wie der bevorzugte Offiziersdienst der Adligen die Loyalität
erheblich befestigte. Diese Germanen waren denn auch bei der
Varuskatastrophe weder vorbereitend noch nachfolgend beteiligt; und
wenn Augustus unter dem ersten Eindruck der Schreckensnachricht seine
batavischen Leibwächter verabschiedete, so überzeugte er sich bald
selbst von der Grundlosigkeit seines Argwohns, und die Truppe wurde
kurze Zeit darauf wieder hergestellt.
Am anderen Ufer des Rheins wohnten den Batavern zunächst, im heutigen
Kennemerland (Nordholland über Amsterdam), die ihnen eng verwandten,
aber weniger zahlreichen Cannenefaten; sie werden nicht bloß unter den
durch Tiberius unterworfenen Völkerschaften genannt, sondern sind auch
in der Stellung von Mannschaften wie die Bataver behandelt worden.
Die weiterhin sich anschließenden Friesen in dem noch heute nach ihnen
benannten Küstenland bis zu der unteren Ems unterwarfen sich dem Drusus
und erhielten eine ähnliche Stellung wie die Bataver; es wurde ihnen,
anstatt der Steuer, nur die Ablieferung einer Anzahl von Rindshäuten
für die Bedürfnisse des Heeres auferlegt; dagegen hatten auch sie
verhältnismäßig zahlreiche Mannschaften für den römischen Dienst zu
stellen. Sie waren seine so wie später des Germanicus treueste
Bundesgenossen, ihm nützlich sowohl bei dem Kanalbau wie besonders nach
den unglücklichen Nordseefahrten.
Auf sie folgen östlich die Chauker, ein weitausgedehntes Schiffer- und
Fischervolk an der Nordseeküste zu beiden Seiten der Weser, vielleicht
von der Ems bis zur Elbe; sie wurden durch Drusus zugleich mit den
Friesen, aber nicht wie diese ohne Gegenwehr, den Römern botmäßig.
Alle diese germanischen Küstenvölker fügten sich entweder durch Vertrag
oder doch ohne schweren Kampf der neuen Herrschaft, und wie sie an dem
Cheruskeraufstand keinen Teil gehabt haben, blieben sie nach der
Varusschlacht gleichfalls in den früheren Verhältnissen zum Römischen
Reich; selbst aus den entfernter liegenden Gauen der Friesen und der
Chauker sind die Besatzungen damals nicht herausgezogen worden, und
noch zu den Feldzügen des Germanicus haben die letzteren Zuzug
gestellt. Bei der abermaligen Räumung Germaniens im Jahre 17 scheint
allerdings das arme und ferne, schwer zu schützende Chaukerland
aufgegeben worden zu sein; wenigstens gibt es für die Fortdauer der
römischen Herrschaft daselbst keine späteren Belege, und einige
Dezennien nachher finden wir sie unabhängig. Aber alles Land westwärts
der unteren Ems blieb bei dem Reiche, dessen Grenze also die heutigen
Niederlande einschloß. Die Verteidigung dieses Teils der Reichsgrenze
gegen die nicht zum Reich gehörigen Germanen blieb in der Hauptsache
den botmäßigen Seegauen selber überlassen.
Weiter stromaufwärts wurde anders verfahren; hier ward eine Grenzstraße
abgesteckt und das Zwischenland entvölkert. An die in größerer oder
geringerer Entfernung vom Rhein gezogene Grenzstraße, den Limes ^4,
knüpfte sich die Kontrolle des Grenzverkehrs, indem die Überschreitung
dieser Straße zur Nachtzeit überhaupt, am Tage den Bewaffneten
untersagt und den übrigen in der Regel nur unter besonderen
Sicherheitsmaßregeln und unter Erlegung der vorgeschriebenen Grenzzölle
gestattet war. Eine solche Straße hat gegenüber dem unterrheinischen
Hauptquartier im heutigen Münsterland Tiberius nach der Varusschlacht
gezogen, in einiger Entfernung vom Rhein, dazwischen ihr und dem Fluß
der seiner Lage nach nicht näher bekannte “Caesische Wald” sich
erstreckte. Ähnliche Anstalten müssen gleichzeitig in den Tälern der
Ruhr und der Sieg bis zu dem der Wied hin, wo die unterrheinische
Provinz endigte, getroffen worden sein. Militärisch besetzt und zur
Verteidigung eingerichtet brauchte diese Straße nicht notwendig zu
sein, obwohl natürlich die Grenzverteidigung und die Grenzbefestigung
immer darauf hinausgingen, die Grenzstraße möglichst sicher zu stellen.
Ein hauptsächliches Mittel für den Grenzschutz war die Entvölkerung des
Landstrichs zwischen dem Fluß und der Straße. “Vom rechten Rheinufer”,
sagt ein kundiger Schriftsteller der tiberischen Zeit, “haben teils die
Römer die Völkerschaften auf das linke übergeführt, teils diese selbst
sich in das Innere zurückgezogen.” Dies traf im heutigen Münsterland
die daselbst früher ansässigen germanischen Stämme der Usiper,
Tencterer, Tubanten. In den Zügen des Germanicus erscheinen dieselben
vom Rhein abgedrängt, aber noch in der Gegend der Lippe, später,
wahrscheinlich eben infolge jener Expeditionen, weiter südwärts, Mainz
gegenüber. Ihr altes Heim lag seitdem öde und bildete das ausgedehnte,
für die Herden der niedergermanischen Armee reservierte Triftland, auf
welchem im Jahre 58 erst die Friesen und dann die heimatlos irrenden
Amsivarier sich niederzulassen gedachten, ohne dazu die Erlaubnis der
römischen Behörden auswirken zu können. Weiter südwärts blieb von den
Sugambrern, die ebenfalls zum großen Teil derselben Behandlung
unterlagen, wenigstens ein Teil am rechten Ufer ansässig ^5, während
andere kleinere Völkerschaften ganz verdrängt wurden. Die spärliche
innerhalb des Limes geduldete Bevölkerung war selbstverständlich
reichsuntertänig, wie dies die bei den Sugambrern stattfindende
römische Aushebung bestätigt.
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^4 Limes (von limus quer) ist ein unseren Rechtsverhältnissen fremder
und daher auch in unserer Sprache nicht wiederzugebender technischer
Ausdruck, davon hergenommen, daß die römische Ackerteilung, die alle
Naturgrenzen ausschließt, die Quadrate, in welche der im Privateigentum
stehende Boden geteilt wird, durch Zwischenwege von einer bestimmten
Breite trennt; diese Zwischenwege sind die limites, und insofern
bezeichnet das Wort immer zugleich sowohl die von Menschenhand gezogene
Grenze wie die von Menschenhand gebaute Straße. Diese Doppelbedeutung
behält das Wort auch in der Anwendung auf den Staat (unrichtig
Rudorff); limes ist nicht jede Reichsgrenze, sondern nur die von
Menschenhand abgesteckte und zugleich zum Begehen und Postenstellen für
die Grenzverteidigung eingerichtete (vita Hadriani 12: locis in quibus
barbari non fluminibus, sed limitibus dividuntur), wie wir sie in
Germanien und in Afrika finden. Darum werden auch auf die Anlage dieses
Limes die für den Straßenbau dienenden Bezeichnungen angewandt aperire
(Vell. 2, 121, was nicht, wie Müllenhoff in der Zeitschrift für
deutsches Altertum, N. F. 2, S. 32 will, so zu verstehen ist wie unser
öffnen des Schlagbaums), munire, agere (Frontin. straf. 1, 3, 10:
limitibus per CXX m. p. actis). Darum ist der Limes nicht bloß eine
Längenlinie, sondern auch von einer gewissen Breite (Tac. ann. 1, 50:
castra in limite locat). Daher verbindet sich die Anlage des limes oft
mit derjenigen des agger, das heißt des Straßendammes (Tac. ann. 2, 7:
cuncta novis limitibus aggeribusque permunita) und die Verschiebung
desselben mit der Verlegung der Grenzposten (Tac. Germ. 29: limite acto
promotisque praesidiis). Der Limes ist also die Reichsgrenzstraße,
bestimmt zur Regulierung des Grenzverkehrs dadurch, daß ihre
Überschreitung nur an gewissen, den Brücken der Flußgrenze
entsprechenden Punkten gestattet, sonst untersagt wird. Zunächst ist
dies ohne Zweifel herbeigeführt worden durch Abpatrouillierung der
Linie, und solange dies geschah blieb der Limes ein Grenzweg. Er blieb
dies auch, wenn er an beiden Seiten befestigt ward, wie dies in
Britannien und an der Donaumündung geschah; auch der britannische Wall
heißt limes. Es konnten aber auch an den gestatteten
Überschreitungspunkten Posten aufgestellt und die Zwischenstrecken der
Grenzwege in irgendeiner Weise unwegsam gemacht werden, In diesem Sinne
sagt der Biograph in der oben angeführten Steile von Hadrian, daß an
den limites er stipitibus magnis in modum muralis saepis funditus
iactis atque conexis barbaros separavit. Damit verwandelt sich die
Grenzstraße in eine mit gewissen Durchgängen versehene Grenzbarrikade,
und das ist der Limes Obergermaniens in der entwickelten, weiterhin
darzulegenden Gestalt. Übrigens wird das Wort in diesem Werte in
republikanischer Zeit nicht gebraucht und ist ohne Zweifel dieser
Begriff des limes erst entstanden mit der Einrichtung der den Staat, wo
Naturgrenzen fehlen, umschließenden Postenkette, welcher
Reichsgrenzschutz der Republik fremd, aber das Fundament des
Augusteischen Militär- und vor allem des Augusteischen Zollsystems ist.
^5 Die auf das linke Ufer übergesiedelten Sugambrer werden unter diesem
Namen nachher nicht erwähnt und sind wahrscheinlich die unterhalb Köln
am Rhein wohnenden Cugerner. Aber daß die Sugambrer auf dem rechten
Ufer, welche Strabo erwähnt, wenigstens noch zu Claudius’ Zeit
bestanden, zeigt die nach diesem Kaiser benannte, also sicher unter ihm
und zwar aus Sugambrern errichtete Kohorte (CIL III p. 877); und sie,
sowie die vier anderen, wahrscheinlich augustischen Kohorten dieses
Namens bestätigen, was eigentlich auch Strabon sagt, daß diese
Sugambrer zum Römischen Reich gehörten. Sie sind wohl, wie die
Mattiaker, erst in den Stürmen der Völkerwanderung verschwunden.
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In dieser Weise wurden nach dem Aufgeben der weiter greifenden Entwürfe
die Verhältnisse am Unterrhein geordnet, immer also noch ein nicht
unbeträchtliches Gebiet am rechten Ufer von den Römern gehalten. Aber
es knüpften sich daran mancherlei unbequeme Verwicklungen. Gegen das
Ende der Regierung des Tiberius (28) fielen die Friesen infolge der
unerträglichen Bedrückung bei der Erhebung der an sich geringen Abgabe
vom Reiche ab, erschlugen die bei der Erhebung beschäftigten Leute und
belagerten den hier fungierenden römischen Kommandanten mit dem Reste
der im Gebiet verweilenden römischen Soldaten und Zivilpersonen in dem
Kastell Flevum, da, wo vor der im Mittelalter erfolgten Ausdehnung der
Zuidersee die östlichste Rheinmündung war, bei der heutigen Insel
Vlieland neben dem Texel. Der Aufstand nahm solche Verhältnisse an, daß
beide Rheinheere gemeinschaftlich gegen die Friesen marschierten; aber
der Statthalter Lucius Apronius richtete dennoch nichts aus. Die
Belagerung des Kastells gaben die Friesen auf, als die römische Flotte
die Legionen herantrug; aber ihnen selbst war in dem durchschnittenen
Lande schwer beizukommen; mehrere römische Heerhaufen wurden vereinzelt
aufgerieben und die römische Vorhut so gründlich geschlagen, daß selbst
die Leichen der Gefallenen in der Gewalt des Feindes blieben. Zu einer
entscheidenden Aktion kam es nicht, aber auch nicht zu rechter
Unterwerfung; größeren Unternehmungen, die dem kommandierenden
Feldherrn eine Machtstellung gaben, war Tiberius, je älter er wurde,
immer weniger geneigt. Damit steht in Zusammenhang, daß in den nächsten
Jahren die Nachbarn der Friesen, die Chauker, den Römern sehr unbequem
wurden, im Jahre 41 der Statthalter Publius Gabinius Secundus gegen sie
eine Expedition unternehmen mußte und sechs Jahre später (47) sie sogar
unter Führung des römischen Überläufers Gannascus, eines geborenen
Cannenefaten, mit ihren leichten Piratenschiffen die gallische Küste
weithin brandschatzten. Gnaeus Domitius Corbulo, von Claudius zum
Statthalter Niedergermaniens ernannt, legte mit der Rheinflotte diesen
Vorgängern der Sachsen und Normannen das Handwerk und brachte dann die
Friesen energisch zum Gehorsam zurück, indem er ihr Gemeinwesen neu
ordnete und römische Besatzung dorthin legte. Er hatte die Absicht,
weiter die Chauker zu züchtigen; auf sein Anstiften wurde Gannascus aus
dem Wege geräumt - gegen den Überläufer hielt er sich auch dazu
berechtigt -, und er war im Begriff, die Ems überschreitend in das
Chaukerland einzurücken, als er nicht bloß Gegenbefehl von Rom erhielt,
sondern die römische Regierung überhaupt ihre Stellung am Unterrhein
vollständig änderte. Kaiser Claudius wies den Statthalter an, alle
römischen Besatzungen vom rechten Ufer wegzunehmen. Es ist begreiflich,
daß der kaiserliche General die freien Feldherren des ehemaligen Rom
mit bitteren Worten glücklich pries; es wurde allerdings damit die nach
der Varusschlacht nur halb gezogene Konsequenz der Niederlage
vervollständigt. Wahrscheinlich ist diese durch keine unmittelbare
Nötigung veranlaßte Einschränkung der römischen Okkupation Germaniens
hervorgerufen worden durch den eben damals gefaßten Entschluß,
Britannien zu besetzen, und findet darin ihre Rechtfertigung, daß die
Truppen beidem zugleich nicht genügten. Daß der Befehl ausgeführt ward
und es auch später dabei blieb, beweist das Fehlen der römischen
Militärinschriften am ganzen rechten Unterrhein ^6. Nur einzelne
Übergangspunkte und Ausfallstore, wie insbesondere Deutz gegenüber
Köln, machen Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel. Auch die
Militärstraße hält sich hier auf dem linken Ufer und streng an den
Rheinlauf, während der hinter derselben herlaufende Verkehrsweg, die
Krümmungen abschneidend, die gerade Verbindung verfolgt. Auf dem
rechten Rheinufer sind hier nirgends, weder durch aufgefundene
Meilensteine noch anderweitig, römische Militärstraßen bezeugt.
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^6 Das Kastell von Niederbiber, unweit der Mündung der Wied in den
Rhein, sowie das von Arzbach bei Montabaur im Lahngebiet gehören schon
zu Obergermanien. Die besondere Bedeutung jener Festung, des größten
Kastells in Obergermanien, beruht darauf, daß sie die römischen Linien
auf dem rechten Rheinufer militärisch abschloß.
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Einen eigentlichen Verzicht auf den Besitz des rechten Ufers in dieser
Provinz schließt die Zurückziehung der Besatzungen nicht ein. Dasselbe
galt den Römern seitdem etwa wie dem Festungskommandanten das unter
seinen Kanonen liegende Terrain. Die Cannenefaten und wenigstens ein
Teil der Friesen ^7 sind nach wie vor reichsuntertänig gewesen. Daß
auch später noch im Münsterland die Herden der Legionen weideten und
den Germanen nicht gestattet wurde, sich dort niederzulassen, ist schon
bemerkt worden. Aber die Regierung hat seitdem für den Schutz des
Grenzgebietes auf dem rechten Ufer, das es in dieser Provinz auch
ferner gab, im Norden sich auf die Cannenefaten und die Friesen
verlassen, weiter stromaufwärts im wesentlichen der Ödgrenze vertraut
und auch die römische Ansiedelung hier, wenn nicht geradezu untersagt,
doch nicht aufkommen lassen. Der in Altenberg (Kreis Mülheim) am
Dhünfluß gefundene Altarstein eines Privaten ist fast das einzige
Zeugnis römischer Einwohnerschaft in diesen Gegenden. Es ist dies um so
bemerkenswerter, als das Aufblühen von Köln, wenn hier nicht besondere
Hindernisse im Wege gestanden hätten, die römische Zivilisation von
selber weithin auf das andere Ufer getragen haben würde. Oft genug
werden römische Truppen diese ausgedehnten Gebiete betreten, vielleicht
selbst die gerade hier in augustischer Zeit zahlreich angelegten
Straßen einigermaßen gangbar gehalten, auch wohl neue angelegt haben;
spärliche Ansiedler, teils Überreste der alten germanischen
Bevölkerung, teils Kolonisten aus dem Reich, werden hier gesessen
haben, ähnlich wie wir sie bald in der früheren Kaiserzeit am rechten
Ufer des Oberrheins finden werden; aber den Wegen wie den Besitzungen
fehlte der Stempel der Dauerhaftigkeit. Man wollte hier nicht eine
Arbeit von gleicher Ausdehnung und gleicher Schwierigkeit unternehmen,
wie wir sie weiterhin in der oberen Provinz kennenlernen werden, nicht
hier, wie es dort geschah, die Reichsgrenze militärisch schützen und
befestigen. Darum hat den Unterrhein wohl die römische Herrschaft, aber
nicht, wie den Oberrhein, auch die römische Kultur überschritten.
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^7 Dies fordern die Aushebungen (Eph. epigr. V, p. 274), während die
Friesen, wie sie im Jahre 58 (Tac. ann. 13, 54) auftreten, eher
unabhängig erscheinen; auch der ältere Plinius (nat. 25, 3, 22) unter
Vespasian nennt sie im Rückblick auf die Zeit des Germanicus gens tum
fida. Wahrscheinlich hängt dies zusammen mit der Unterscheidung der
Frisii und Frisiavones bei Plinius (nat. 4, 15, 101) und der Frisii
maiores und minores bei Tacitus (Germ. 34). Die römisch gebliebenen
Friesen werden die westlichen sein, die freien die östlichen; wenn die
Friesen überhaupt bis zur Ems reichen (Ptol. geogr. 3, 11, 7), so mögen
die später römischen etwa westwärts der Yssel gesessen haben. Anderswo
als an der noch heute ihren Namen tragenden Küste darf man sie nicht
ansetzen; die Nennung bei Plinius (nat. 4, 17, 106) steht vereinzelt
und ist ohne Zweifel fehlerhaft.
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Ihrer doppelten Aufgabe, das benachbarte Gallien in Gehorsam und die
Germanen des rechten Rheinufers von Gallien abzuhalten, hatte die Armee
am Unterrhein auch nach dem Verzicht auf Besetzung des
rechtsrheinischen Gebietes ausreichend genügt; und es wäre die Ruhe
nach außen und innen voraussichtlich nicht unterbrochen worden, wenn
nicht der Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie und der dadurch
hervorgerufene Bürger- oder vielmehr Korpskrieg in diese Verhältnisse
in verhängnisvoller Weise eingegriffen hätte. Die Insurrektion des
Keltenlandes unter Führung des Vindex wurde zwar von den beiden
germanischen Armeen niedergeschlagen; aber Neros Sturz erfolgte
dennoch, und als sowohl das spanische Heer wie die Kaisergarde in Rom
ihm einen Nachfolger bestellten, taten auch die Rheinarmeen das
gleiche, und im Anfang des Jahres 69 überschritt der größte Teil dieser
Truppen die Alpen, um auf den Schlachtfeldern Italiens auszumachen, ob
dessen Herrscher Marcus oder Aulus heißen werde. Im Mai desselben
Jahres folgte der neue Kaiser Vitellius, nachdem die Waffen für ihn
entschieden hatten, begleitet von dem Rest der guten kriegsgewohnten
Mannschaften. Durch eilig in Gallien ausgehobene Rekruten waren
allerdings die Lücken in den Rheinbesatzungen notdürftig ausgefüllt
worden; aber daß es nicht die alten Legionen waren, wußte das ganze
Land, und bald zeigte es sich auch, daß jene nicht zurückkamen. Hätte
der neue Herrscher die Armee, die ihn auf den Thron gesetzt hatte, in
seiner Gewalt gehabt, so hätte gleich nach der Niederwerfung Othos im
April wenigstens ein Teil derselben an den Rhein zurückkehren müssen;
aber mehr noch die Unbotmäßigkeit der Soldaten als die bald eintretende
neue Verwicklung mit dem im Osten zum Kaiser ausgerufenen Vespasian
hielt die germanischen Legionen in Italien zurück.
Gallien war in der furchtbarsten Aufregung. Die Insurrektion des Vindex
war, wie früher bemerkt ward, an sich nicht gegen die Herrschaft Roms,
sondern gegen den dermaligen Herrscher gerichtet; aber darum war sie
nicht weniger eine Kriegführung gewesen zwischen den Rheinarmeen und
dem Landsturm der großen Mehrzahl der keltischen Gaue, und diese nicht
weniger gleich Besiegten geplündert und mißhandelt worden. Die
Stimmung, die zwischen den Provinzialen und den Soldaten bestand, zeigt
zum Beispiel die Behandlung, welche der Gau der Helvetier bei dem
Durchmarsch der nach Italien bestimmten Truppen erfuhr: weil hier ein
von den Vitellianern nach Pannonien abgesandter Kurier aufgegriffen
worden war, rückten die Marschkolonnen von der einen Seite, von der
anderen die in Rätien in Garnison stehenden Römer in den Gau ein,
plünderten weit und breit die Ortschaften, namentlich das heutige Baden
bei Zürich, jagten die in die Berge Flüchtenden aus ihrem Versteck auf
und machten sie zu Tausenden nieder oder verkauften die Gefangenen nach
Kriegsrecht. Obwohl die Hauptstadt Aventicum (Avenches bei Murten) sich
ohne Gegenwehr unterwarf, forderten die Agitatoren der Armee ihre
Schleifung und alles, was der Feldherr gewährte, war die Verweisung der
Frage nicht etwa an den Kaiser, sondern an die Soldaten des großen
Hauptquartiers; diese saßen über das Schicksal der Stadt zu Gericht und
nur der Umschlag ihrer Laune rettete den Ort vor der Zerstörung.
Dergleichen Mißhandlungen brachten die Provinzialen aufs äußerste; noch
bevor Vitellius Gallien verließ, trat ein gewisser Mariccus aus dem von
den Häduern abhängigen Gau der Boier auf, ein Gott auf Erden, wie er
sagte, und bestimmt, die Freiheit der Kelten wieder herzustellen; und
scharenweise strömten die Leute unter seine Fahnen. Indes kam auf die
Erbitterung im Keltenland nicht allzu viel an. Eben der Aufstand des
Vindex hatte auf das deutlichste gezeigt, wie völlig unfähig die
Gallier waren, sich der römischen Umklammerung zu entwinden. Aber die
Stimmung der zu Gallien gerechneten germanischen Distrikte in den
heutigen Niederlanden, der Bataver, der Cannenefaten, der Friesen,
deren Sonderstellung schon hervorgehoben ward, hatte etwas mehr zu
bedeuten; und es traf sich, daß eben diese einerseits aufs äußerste
erbittert worden waren, andererseits ihre Kontingente zufällig sich in
Gallien befanden. Die Masse der batavischen Truppen, 8000 Mann, der 14.
Legion beigegeben, hatte längere Zeit mit dieser bei dem oberen
Rheinheere gestanden und war dann unter Claudius bei der Besetzung
Britanniens nach dieser Insel gekommen, wo dieses Korps kurz zuvor die
entscheidende Schlacht unter Paullinus durch seine unvergleichliche
Tapferkeit für die Römer gewonnen hatte; von diesem Tag an nahm
dasselbe unter allen römischen Heeresabteilungen unbestritten den
ersten Platz ein. Eben dieser Auszeichnung wegen von Nero abberufen, um
mit ihm zum Kriege in den Orient abzugehen, hatte die in Gallien
ausbrechende Revolution ein Zerwürfnis zwischen der Legion und ihren
Hilfsmannschaften herbeigeführt: jene, dem Nero treu ergeben, eilte
nach Italien, die Bataver dagegen weigerten sich zu folgen. Vielleicht
hing dies damit zusammen, daß zwei ihrer angesehensten Offiziere, die
Brüder Paulus und Civilis, ohne jeden Grund und ohne Rücksicht auf
vieljährige treue Dienste und ehrenvolle Wunden, kurz vorher als des
Hochverrats verdächtig in Untersuchung gezogen, der erstere
hingerichtet, der zweite gefangengesetzt worden war. Nach Neros Sturz,
zu welchem der Abfall der batavischen Kohorten wesentlich beigetragen
hatte, gab Galba den Civilis frei und sandte die Bataver in ihr altes
Standquartier nach Britannien zurück. Während sie auf dem Marsch dahin
bei den Lingonen (Langres) lagerten, fielen die Rheinlegionen von Galba
ab und riefen den Vitellius zum Kaiser aus. Die Bataver schlossen nach
längerem Schwanken schließlich sich an; dieses Schwanken vergab ihnen
Vitellius nicht, doch wagte er nicht, den Führer des mächtigen Korps
geradezu zur Verantwortung zu ziehen. So waren die Bataver mit den
Legionen von Untergermanien nach Italien marschiert und hatten mit
gewohnter Tapferkeit in der Schlacht von Betriacum für Vitellius
gefochten, während ihre alten Legionskameraden ihnen in dem Heere Othos
gegenüberstanden. Aber der Übermut dieser Germanen erbitterte ihre
römischen Siegesgenossen, wie sehr sie ihre Tapferkeit im Kampf
anerkannten; auch die kommandierenden Generale trauten ihnen nicht und
machten sogar einen Versuch, durch Detachierung sie zu teilen, was
freilich in diesem Krieg, in dem die Soldaten kommandierten und die
Generale gehorchten, nicht durchzuführen war und fast dem General das
Leben gekostet hätte. Nach dem Siege wurden sie beauftragt, ihre
feindlichen Kameraden von der 14. Legion nach Britannien zu
eskortieren; aber da es zwischen beiden in Turin zum Handgemenge
gekommen war, gingen diese allein dorthin und sie selbst nach
Germanien. Inzwischen war im Orient Vespasianus zum Kaiser ausgerufen
worden, und während infolgedessen Vitellius sowohl den batavischen
Kohorten Marschbefehl nach Italien gab wie auch bei den Batavern neue
umfassende Aushebungen anordnete, knüpften Vespasians Beauftragte mit
den batavischen Offizieren an, um diesen Abmarsch zu verhindern und in
Germanien selbst einen Aufstand hervorzurufen, der die Truppen dort
festhielte. Civilis ging darauf ein. Er begab sich in seine Heimat und
gewann leicht die Zustimmung der Seinigen, sowie der benachbarten
Cannenefaten und Friesen. Bei jenen brach der Aufstand aus; die beiden
Kohortenlager in der Nähe wurden überfallen und die römischen Posten
aufgehoben; die römischen Rekruten schlugen sich schlecht; bald warf
Civilis mit seiner Kohorte, die er hatte nachkommen lassen, um sie
angeblich gegen die Insurgenten zu gebrauchen, sich selbst offen in die
Bewegung, sagte mit den drei germanischen Gauen dem Vitellius auf und
forderte die übrigen, eben damals von Mainz zum Abmarsch nach Italien
aufbrechenden Bataver und Cannenefaten auf, sich ihm anzuschließen.
Das alles war mehr ein Soldatenaufstand als eine Insurrektion der
Provinz oder gar ein germanischer Krieg. Wenn damals die Rheinlegionen
mit denen von der Donau und weiter mit diesen und der Euphratarmee
schlugen, so war es nur folgerichtig, daß auch die Soldaten zweiter
Klasse, und vor allem die angesehenste Truppe derselben, die
batavische, selbständig in diesen Korpskrieg eintrat. Wer diese
Bewegung bei den Kohorten der Bataver und den linksrheinischen Germanen
mit der Insurrektion der rechtsrheinischen unter Augustus
zusammenstellt, der darf nicht übersehen, daß in jener die Alen und
Kohorten die Rolle des Landsturms der Cherusker übernahmen; und wenn
der treulose Offizier des Varus seine Nation aus der Römerherrschaft
erlöste, so handelte der batavische Führer im Auftrag Vespasians, ja
vielleicht auf geheime Anweisung des im stillen Vespasian geneigten
Statthalters seiner Provinz, und richtete sich der Aufstand zunächst
lediglich gegen Vitellius. Freilich war die Lage der Dinge von der Art,
daß dieser Soldatenaufstand jeden Augenblick in einen Germanenkrieg
gefährlichster Art sich verwandeln konnte. Dieselben römischen Truppen,
die den Rhein gegen die Germanen des rechten Ufers deckten, standen
infolge der Korpskriege den linksrheinischen Germanen feindlich
gegenüber; die Rollen waren solcher Art, daß es fast leichter schien,
sie zu wechseln als sie durchzuführen. Civilis selbst mag es wohl auf
den Erfolg haben ankommen lassen, ob die Bewegung auf einen
Kaiserwechsel oder auf die Vertreibung der Römer aus Gallien durch die
Germanen hinauslaufen werde.
Das Kommando über die beiden Rheinarmeen führte damals, nachdem der
Statthalter von Untergermanien Kaiser geworden war, sein bisheriger
Kollege in Obergermanien Hordeonius Flaccus, ein hochbejahrter
podagrischer Mann, ohne Energie und ohne Autorität, dazu entweder in
der Tat im geheimen zu Vespasian haltend oder doch bei den eifrig dem
Kaiser ihrer Mache anhängenden Legionen solcher Treulosigkeit sehr
verdächtig. Es zeichnet ihn und seine Stellung, daß er, um sich von dem
Verdacht des Verrats zu reinigen, Befehl gab, die einlaufenden
Regierungsdepeschen uneröffnet den Adlerträgern der Legionen
zuzustellen und diese sie zunächst den Soldaten vorlasen, bevor sie
dieselben an ihre Adresse beförderten. Von den vier Legionen des
unteren Heeres, das zunächst mit den Aufständischen zu tun hatte,
standen zwei, die 5. und die 15., unter dem Legaten Munius Lupercus im
Hauptquartier zu Vetera, die 16. unter Numisius Rufus in Novaesium
(Neuß), die 1. unter Herennius Gallus in Bonna (Bonn). Von dem oberen
Heer, das damals nur drei Legionen zählte ^8, blieb die eine, die 21.,
in ihrem Standquartier Vindonissa diesen Vorgängen fern, wenn sie nicht
vielmehr ganz nach Italien gezogen worden war; die beiden anderen, die
4. makedonische und die 22., standen im Hauptquartier Mainz, wo auch
Flaccus sich befand und faktisch der tüchtige Legat des letzteren,
Dillius Vocula, den Oberbefehl führte. Die Legionen hatten durchgängig
nur die Hälfte der vollen Zahl, und die meisten Soldaten waren
Halbinvalide oder Rekruten.
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^8 Die 4. obergermanische Legion war im Jahre 58 nach Kleinasien
geschickt, wegen des Armenisch-Parthischen Krieges (Tac. ann. 13, 35).
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Civilis, an der Spitze einer kleinen Zahl regulärer Truppen, aber des
Gesamtaufgebots der Bataver, Cannenefaten und Friesen, ging aus der
Heimat zum Angriff vor. Zunächst am Rhein stieß er auf Reste der aus
den nördlichen Gauen vertriebenen römischen Besatzungen und eine
Abteilung der römischen Rheinflotte; als er angriff, lief nicht bloß
die großenteils aus Batavern bestehende Schiffsmannschaft zu ihm über,
sondern auch eine Kohorte der Tungrer - es war der erste Abfall einer
gallischen Abteilung; was von italischen Mannschaften dabei war, wurde
erschlagen oder gefangen. Dieser Erfolg brachte endlich die
rechtsrheinischen Germanen in Bewegung. Was sie seit langem vergeblich
gehofft hatten, die Erhebung der römischen Untertanen auf dem anderen
Ufer, ging nun in Erfüllung und sowohl die Chauker und die Friesen an
der Küste wie vor allem die Bructerer zu beiden Seiten der oberen Ems
bis hinab zur Lippe, und am Mittelrhein, Köln gegenüber, die Tencterer,
in minderem Maße die südlich an diese sich anschließenden
Völkerschaften, Usiper, Mattiaker, Chatten, warfen sich in den Kampf.
Als auf Befehl des Flaccus die beiden schwachen Legionen von Vetera
gegen die Insurgenten ausrückten, konnten ihnen diese schon mit
zahlreichem überrheinischem Zuzug entgegentreten; und die Schlacht
endigte wie das Gefecht am Rhein mit einer Niederlage der Römer durch
den Abfall der batavischen Reiterei, welche zu der Garnison von Vetera
gehörte, und durch die schlechte Haltung der Reiter der Ubier wie der
Treverer. Die insurgierten wie die zuströmenden Germanen schritten
dazu, das Hauptquartier des unteren Heeres zu umstellen und zu
belagern. Während dieser Belagerung erreichte die Kunde der Vorgänge am
Unterrhein die übrigen batavischen Kohorten in der Nähe von Mainz; sie
machten sofort kehrt gegen Norden. Statt sie zusammenhauen zu lassen,
ließ der schwachmütige Oberfeldherr sie ziehen, und als der
Legionskommandant in Bonn sich ihnen entgegenwarf, unterstützte Flaccus
diesen nicht, wie er es gekonnt und sogar anfänglich zugesagt hatte. So
sprengten die tapferen Germanen die Bonner Legion auseinander und
gelangten glücklich zu Civilis, fortan der geschlossene Kern seines
Heeres, in welchem jetzt die römischen Kohortenfahnen neben den
Tierstandarten aus den heiligen Hainen der Germanen standen. Noch immer
aber hielt der Bataver, wenigstens angeblich, an Vespasian; er schwur
die römischen Truppen auf dessen Namen ein und forderte die Besatzung
von Vetera auf, sich mit ihm für diesen zu erklären. Indes diese
Mannschaften sahen darin, vermutlich mit Recht, nur einen Versuch der
Überlistung und wiesen diesen ebenso entschlossen ab wie die
anstürmenden Scharen der Feinde, die bald durch die überlegene römische
Taktik sich gezwungen sahen, die Belagerung in eine Blockade zu
verwandeln. Aber da die römische Heerleitung durch diese Vorgänge
überrascht worden war, waren die Vorräte knapp und baldiger Entsatz
dringend geboten. Um diesen zu bringen, brachen Flaccus und Vocula mit
ihrer gesamten Mannschaft von Mainz auf, zogen unterwegs die beiden
Legionen aus Bonna und Novaesium sowie die auf den erhaltenen Befehl
zahlreich sich einstellenden Hilfstruppen der gallischen Gaue an sich
und näherten sich Vetera. Aber statt sofort die gesamte Macht von innen
und außen auf die Belagerer zu werfen, mochte deren Überzahl noch so
gewaltig sein, schlug Vocula sein Lager bei Gelduba (Gellep am Rhein,
unweit Krefeld), einen starken Tagemarsch entfernt von Vetera, während
Flaccus weiter zurückstand. Die Nichtigkeit des sogenannten Feldherrn
und die immer steigende Demoralisation der Truppen, vor allem das oft
bis zu Mißhandlungen und Mordanschlägen sich steigernde Mißtrauen gegen
die Offiziere kann allein dies Einhalten wenigstens erklären. Also zog
sich das Unheil immer dichter von allen Seiten zusammen. Ganz Germanien
schien sich an dem Krieg beteiligen zu wollen; während die belagernde
Armee beständig neuen Zuzug von dort erhielt, gingen andere Schwärme
über den in diesem trocknen Sommer ungewöhnlich niedrigen Rhein teils
in den Rücken der Römer in die Gaue der Ubier und der Treverer, das
Moseltal zu brandschatzen, teils unterhalb Vetera in das Gebiet der
Maas und der Schelde; weitere Haufen erschienen vor Mainz und machten
Miene, dies zu belagern. Da kam die Nachricht von der Katastrophe in
Italien. Auf die Kunde von der zweiten Schlacht bei Betriacum im Herbst
des Jahres 69 gaben die germanischen Legionen die Sache des Vitellius
verloren und schwuren, wenn auch widerwillig, dem Vespasian; vielleicht
in der Hoffnung, daß Civilis, der ja auch den Namen Vespasians auf
seine Fahnen geschrieben hatte, dann seinen Frieden machen werde. Aber
die germanischen Schwärme, die inzwischen über ganz Nordgallien sich
ergossen hatten, waren nicht gekommen, um die Flavische Dynastie
einzusetzen; selbst wenn Civilis dies einmal gewollt hatte, jetzt hätte
er es nicht mehr gekonnt. Er warf die Maske weg und sprach es offen
aus, was freilich längst feststand, daß die Germanen Nordgalliens sich
mit Hilfe der freien Landsleute der römischen Herrschaft zu entwinden
gedachten.
Aber das Kriegsglück schlug um. Civilis versuchte das Lager von Gelduba
zu überrumpeln; der Überfall begann glücklich und der Abfall der
Kohorten der Nervier brachte Voculas kleine Schar in eine kritische
Lage. Da fielen plötzlich zwei spanische Kohorten den Germanen in den
Rücken; die drohende Niederlage verwandelte sich in einen glänzenden
Sieg; der Kern der angreifenden Armee blieb auf dem Schlachtfeld.
Vocula rückte zwar nicht sofort gegen Vetera vor, was er wohl gekonnt
hätte, aber drang einige Tage später, nach einem abermaligen heftigen
Gefecht mit den Feinden, in die belagerte Stadt. Freilich Lebensmittel
brachte er nicht; und da der Fluß in der Gewalt des Feindes war, mußten
diese auf dem Landweg von Novaesium herbeigeschafft werden, wo Flaccus
lagerte. Der erste Transport kam durch; aber die inzwischen wieder
gesammelten Feinde griffen die zweite Proviantkolonne unterwegs an und
nötigten sie, sich nach Gelduba zu werfen. Zu ihrer Unterstützung ging
Vocula mit seinen Truppen und einem Teil der alten Besatzung von Vetera
dorthin ab. In Gelduba angelangt, weigerten sich die Mannschaften, nach
Vetera zurückzukehren und die Leiden der abermals in Aussicht stehenden
Belagerung weiter auf sich zu nehmen; statt dessen marschierten sie
nach Novaesium, und Vocula, welcher den Rest der alten Garnison von
Vetera einigermaßen verproviantiert wußte, mußte wohl oder übel folgen.
In Novaesium war inzwischen die Meuterei zum Ausbruch gelangt. Die
Soldaten hatten in Erfahrung gebracht, daß ein von Vitellius für sie
bestimmtes Donativ an den Feldherrn gelangt sei und erzwangen dessen
Verteilung auf den Namen Vespasians. Kaum hatten sie es, so brach in
den wüsten Gelagen, welche die Spende im Gefolge hatte, der alte
Soldatengroll wieder hervor; sie plünderten das Haus des Feldherrn, der
die Rheinarmee an den General der syrischen Legionen verraten hatte,
erschlugen ihn und hätten auch dem Vocula das gleiche Schicksal
bereitet, wenn dieser nicht in Vermummung entkommen wäre. Darauf riefen
sie abermals den Vitellius zum Kaiser aus, nicht wissend, daß dieser
schon tot war. Als diese Kunde ins Lager kam, kam der bessere Teil der
Soldaten, namentlich die beiden obergermanischen Legionen, einigermaßen
zur Besinnung; sie vertauschten an ihren Standarten das Bildnis des
Vitellius wieder mit dem Vespasians und stellten sich unter Voculas
Befehle; dieser führte sie nach Mainz, wo er den Rest des Winters 69/70
verblieb. Civilis besetzte Gelduba und schnitt damit Vetera ab, das
aufs neue eng blockiert ward; die Lager von Novaesium und Bonna wurden
noch gehalten.
Bisher hatte das gallische Land, abgesehen von den wenigen insurgierten
germanischen Gauen im Norden, fest an Rom gehalten. Allerdings ging die
Parteiung durch die einzelnen Gaue; unter den Tungrern zum Beispiel
hatten die Bataver starken Anhang, und die schlechte Haltung der
gallischen Hilfsmannschaften während des ganzen Feldzugs wird wohl zum
Teil durch dergleichen römerfeindliche Stimmungen hervorgerufen sein.
Aber auch unter den Insurgierten gab es eine ansehnliche römisch
gesinnte Partei; ein vornehmer Bataver, Claudius Labeo, führte gegen
seine Landsleute in seiner Heimat und der Nachbarschaft einen
Parteigängerkrieg nicht ohne Erfolg und Civilis’ Schwestersohn Iulius
Briganticus fiel in einem dieser Gefechte an der Spitze einer römischen
Reiterschar. Dem Befehl, Zuzug zu senden, hatten alle gallischen Gaue
ohne weiteres Folge geleistet; die Ubier, obwohl germanischer Herkunft,
waren auch in diesem Kriege lediglich ihres Römerrums eingedenk und
sie, wie die Treverer, hatten den in ihr Gebiet einbrechenden Germanen
tapferen und erfolgreichen Widerstand geleistet. Es war das
begreiflich. Die Dinge lagen in Gallien noch so wie in den Zeiten
Caesars und Ariovists; eine Befreiung der gallischen Heimat von der
römischen Herrschaft durch diejenigen Schwärme, welche, um dem Civilis
landsmannschaftlichen Beistand zu leisten, eben damals das Mosel-,
Maas- und Scheldetal ausraubten, war ebensosehr eine Auslieferung des
Landes an die germanischen Nachbarn; in diesem Krieg, der aus einer
Fehde zwischen zwei römischen Truppenkorps zu einem
römisch-germanischen sich entwickelt hatte, waren die Gallier
eigentlich nichts als der Einsatz und die Beute. Daß die Stimmung der
Gallier, trotz aller wohlbegründeten allgemeinen und besonderen
Beschwerden über das römische Regiment, überwiegend antigermanisch war
und für jene aufflammende und rücksichtslose nationale Erhebung, wie
sie vor Zeiten wohl durch das Volk gegangen war, in diesem inzwischen
halb romanisierten Gallien der Zündstoff fehlte, hatten die bisherigen
Vorgänge auf das deutlichste gezeigt. Aber unter den beständigen
Mißerfolgen der römischen Armee wuchs allmählich den römerfeindlichen
Galliern der Mut, und ihr Abfall vollendete die Katastrophe. Zwei
vornehme Treverer, Iulius Classicus, der Befehlshaber der treverischen
Reiterei, und Iulius Tutor, der Kommandant der Uferbesatzungen am
Mittelrhein, der Lingone Iulius Sabinus, Nachkomme, wie er wenigstens
sich berühmte, eines Bastards Caesars, und einige andere gleichgesinnte
Männer aus verschiedenen Gauen glaubten in der fahrigen keltischen
Weise zu erkennen, daß der Untergang Roms in den Sternen geschrieben
und durch den Brand des Kapitols (Dezember 69) der Welt verkündigt sei.
So beschlossen sie, die Römerherrschaft zu beseitigen und ein
Gallisches Reich zu errichten. Dazu gingen sie den Weg des Arminius.
Vocula ließ sich wirklich durch gefälschte Rapporte dieser römischen
Offiziere bestimmen, mit den unter ihrem Kommando stehenden
Kontingenten und einem Teil der Mainzer Besatzung im Frühjahr 70 nach
dem Unterrhein aufzubrechen, um mit diesen Truppen und den Legionen von
Bonna und Novaesium das hart bedrängte Vetera zu entsetzen. Auf dem
Marsch von Novaesium nach Vetera verließen Classicus und die mit ihm
einverstandenen Offiziere das römische Heer und proklamierten das neue
Gallische Reich. Vocula führte die Legionen zurück nach Novaesium;
unmittelbar davor schlug Classicus sein Lager auf. Vetera konnte sich
nicht mehr lange halten; die Römer mußten erwarten, nach dessen Fall
die gesamte Macht des Feindes sich gegenüber zu finden. Dies vor Augen,
versagten die römischen Truppen und kapitulierten mit den abgefallenen
Offizieren. Vergeblich versuchte Vocula noch einmal die Bande der Zucht
und der Ehre anzuziehen; die Legionen Roms ließen es geschehen, daß ein
römischer Überläufer von der ersten Legion auf Befehl des Classicus den
tapferen Feldherrn niederstieß und lieferten selbst die übrigen
Oberoffiziere gefesselt an den Vertreter des Reiches Gallien aus, der
dann die Soldaten auf dieses Reich in Eid und Pflicht nahm. Denselben
Schwur leistete in die Hände der eidbrüchigen Offiziere die Besatzung
von Vetera, die, durch Hunger bezwungen, sofort sich ergab, und ebenso
die Besatzung von Mainz, wo nur wenige einzelne der Schande sich durch
Flucht oder Tod entzogen. Das ganze stolze Rheinheer, die erste Armee
des Reiches, hatte vor seinen eigenen Auxilien, Rom vor Gallien
kapituliert.
Es war ein Trauerspiel und zugleich eine Posse. Das Gallische Reich
verlief, wie es mußte. Civilis und seine Germanen ließen es zunächst
sich wohl gefallen, daß der Zwist im römischen Lager ihnen die eine wie
die andere Hälfte der Feinde in die Hände lieferte, aber er dachte
nicht daran, jenes Reich anzuerkennen, und noch weniger seine
rechtsrheinischen Genossen.
Ebenso wenig wollten die Gallier selbst davon etwas wissen, wobei
allerdings der schon bei dem Aufstand des Vindex hervorgetretene Riß
zwischen den östlichen Distrikten und dem übrigen Lande mit ins Gewicht
fiel. Die Treverer und die Lingonen, deren leitende Männer jene
Lagerverschwörung angezettelt hatten, standen zu ihren Führern, aber
sie blieben so gut wie allein, nur die Vangionen und Triboker schlossen
sich an. Die Sequaner, in deren Gebiet die benachbarten Lingonen
einrückten, um sie zum Beitritt zu bestimmen, schlugen dieselben
kurzweg zum Lande hinaus. Die angesehenen Remer, der führende Gau in
der Belgica, riefen den Landtag der drei Gallien ein, und obwohl es an
politischen Freiheitsrednern auf demselben nicht mangelte, so beschloß
derselbe lediglich, die Treverer von der Auflehnung abzumahnen.
Wie die Verfassung des neuen Reiches ausgefallen sein würde, wenn es
zustande gekommen wäre, ist schwer zu sagen; wir erfahren nur, daß
jener Sabinus, der Urenkel der Kebse Caesars, sich auch Caesar nannte
und in dieser Eigenschaft sich von den Sequanern schlagen ließ,
Classicus dagegen, dem solche Aszendenz nicht zu Gebote stand, die
Abzeichen der römischen Magistratur anlegte, also wohl den
republikanischen Prokonsul spielte. Dazu paßt eine Münze, die von
Classicus oder seinen Anhängern geschlagen sein muß, welche den Kopf
der Gallia zeigt, wie die Münzen der römischen Republik den der Roma,
und daneben das Legionssymbol mit der recht verwegenen Umschrift der
“Treue” (fides).
Zunächst am Rhein freilich hatten die Reichsmänner in Gemeinschaft mit
den insurgierten Germanen freie Hand. Die Reste der beiden Legionen,
die in Vetera kapituliert hatten, wurden gegen die Kapitulation und
gegen Civilis’ Willen niedergemacht, die beiden von Novaesium und Bonna
nach Trier geschickt, die sämtlichen römischen Rheinlager, große und
kleine, mit Ausnahme von Mogontiacum niedergebrannt. In der schlimmsten
Lage fanden sich die Agrippinenser. Die Reichsmänner hatten sich
allerdings darauf beschränkt, von ihnen den Treueid zu fordern; aber
ihnen vergaßen es die Germanen nicht, daß sie eigentlich die Ubier
waren. Eine Botschaft der Tencterer vom rechten Rheinufer - es war dies
einer der Stämme, deren alte Heimat die Römer ödegelegt hatten und als
Viehtrift benutzten, und die infolgedessen sich andere Wohnsitze hatten
suchen müssen - forderte die Schleifung dieses Hauptsitzes der
germanischen Apostaten und die Hinrichtung aller ihrer Bürger römischer
Herkunft. Dies wäre auch wohl beschlossen worden, wenn nicht sowohl
Civilis, der ihnen persönlich verpflichtet war, wie auch die
germanische Prophetin, Veleda im Bructerergau, welche diesen Sieg
vorhergesagt hatte und deren Autorität das ganze Insurgentenheer
anerkannte, ihr Fürwort eingelegt hätten.
Lange Zeit blieb den Siegern nicht, über die Beute zu streiten. Die
Reichsmänner versicherten allerdings, daß der Bürgerkrieg in Italien
ausgebrochen, alle Provinzen vom Feinde überzogen und Vespasianus
wahrscheinlich tot sei; aber der schwere Arm Roms wurde bald genug
empfunden. Das neu befestigte Regiment konnte die besten Feldherren und
zahlreiche Legionen an den Rhein entsenden, und es bedurfte allerdings
hier einer imposanten Machtentwicklung. Annius Gallus übernahm das
Kommando in der oberen, Petillius Cerialis in der unteren Provinz, der
letztere, ein ungestümer und oft unvorsichtiger, aber tapferer und
fähiger Offizier, die eigentliche Aktion. Außer der 21. Legion von
Vindonissa kamen fünf aus Italien, drei aus Spanien, eine nebst der
Flotte aus Britannien, dazu ein weiteres Korps von der rätischen
Besatzung. Dieses und die 21. Legion trafen zuerst ein. Die
Reichsmänner hatten wohl davon geredet, die Alpenpässe zu sperren; aber
geschehen war nichts und das ganze oberrheinische Land bis nach Mainz
lag offen da. Die beiden Mainzer Legionen hatten zwar dem gallischen
Reich geschworen und leisteten anfänglich Widerstand; aber sowie sie
erkannten, daß eine größere römische Armee ihnen gegenüberstand,
kehrten sie zum Gehorsam zurück und ihrem Beispiel folgten sofort die
Vangionen und die Triboker. Sogar die Lingonen unterwarfen sich ohne
Schwertstreich, bloß gegen Zusage milder Behandlung, ihrer 70000
waffenfähigen Männer ^9. Fast hätten die Treverer selbst das gleiche
getan; doch wurden sie daran durch den Adel verhindert. Die beiden von
der niederrheinischen Armee übriggebliebenen Legionen, die hier
standen, hatten auf die erste Kunde von dem Annahen der Römer die
gallischen Insignien von ihren Feldzeichen gerissen und rückten ab zu
den treugebliebenen Mediomatrikern (Metz), wo sie sich der Gnade des
neuen Feldherrn unterwarfen. Als Cerialis bei dem Heer eintraf, fand er
schon ein gutes Stück der Arbeit getan. Die Insurgentenführer freilich
boten das Äußerste auf - damals sind auf ihr Geheiß die bei Novaesium
ausgelieferten Legionslegaten umgebracht worden -, aber militärisch
waren sie ohnmächtig und ihr letzter politischer Schachzug, dem
römischen Feldherrn selber die Herrschaft des Gallischen Reiches
anzutragen, des Anfangs würdig. Nach kurzem Gefecht besetzte Cerialis
die Hauptstadt der Treverer, nachdem die Führer und der ganze Rat zu
den Germanen geflüchtet waren; das war das Ende des Gallischen Reiches.
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^9 Frontin strat. 4, 3, 14. In ihrem Gebiet müssen die einrückenden
Truppen eine Reservestellung und ein Depot angelegt haben; nach
kürzlich bei Mirabeau-sur-Bèze, 22 Kilometer nordöstlich von Dijon,
gefundenen Ziegeln haben Mannschaften von wenigstens fünf der
einrückenden Legionen hier Bauten ausgeführt (Heymes 19, 1884, S. 437).
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Ernster war der Kampf mit den Germanen. Civilis überfiel mit seiner
gesamten Streitmacht, den Batavern, dem Zuzug der Germanen und den
landflüchtigen Scharen der gallischen Insurgenten die viel schwächere
römische Armee in Trier selbst; schon war das römische Lager in seiner
Gewalt und die Moselbrücke von ihm besetzt, als seine Leute, statt den
gewonnenen Sieg zu verfolgen, vorzeitig zu plündern begannen und
Cerialis, seine Unvorsichtigkeit durch glänzende Tapferkeit
wiedergutmachend, den Kampf wiederherstellte und schließlich die
Germanen aus dem Lager und der Stadt hinausschlug. Es gelang nichts
mehr von Bedeutung. Die Agrippinenser schlugen sich sofort wieder zu
den Römern und brachten die bei ihnen weilenden Germanen in den Häusern
um; eine ganze dort lagernde germanische Kohorte wurde eingesperrt und
in ihrem Quartier verbrannt. Was in der Belgica noch zu den Germanen
hielt, brachte die aus Britannien eintreffende Legion zum Gehorsam
zurück; ein Sieg der Cannenefaten über die römischen Schiffe, die die
Legion gelandet hatten, andere einzelne Erfolg der tapferen
germanischen Haufen und vor allem der zahlreicheren und besser
geführten germanischen Schiffe änderten die allgemeine Kriegslage
nicht. Auf den Ruinen von Vetera bot Civilis dem Feind die Stirn; aber
dem inzwischen verdoppelten römischen Heere mußte er weichen, dann
endlich auch die eigene Heimat nach verzweifelter Gegenwehr dem Feind
überlassen. Wie immer stellte im Gefolge des Unglücks die Zwietracht
sich ein; Civilis war seiner eigenen Leute nicht mehr sicher und suchte
und fand Schutz vor ihnen bei den Feinden. Im Spätherbst des Jahres 70
war der ungleiche Kampf entschieden; die Auxilien kapitulierten nun
ihrerseits vor den Bürgerlegionen und die Priesterin Veleda kam als
Gefangene nach Rom.
Blicken wir zurück auf diesen Krieg, einen der seltsamsten und einen
der entsetzlichsten aller Zeiten, so ist kaum je einer Armee eine
gleich schwere Aufgabe gestellt worden wie den beiden römischen
Rheinheeren in den Jahren 69 und 70: im Laufe weniger Monate Soldaten
Neros, dann des Senats, dann Galbas, dann des Vitellius, dann
Vespasians; die einzige Stütze der Herrschaft Italiens über die zwei
mächtigen Nationen der Gallier und der Germanen, und die Soldaten der
Auxilien fast ganz, die der Legionen großenteils aus eben diesen
Nationen genommen; ihrer besten Mannschaften beraubt, meist ohne
Löhnung und oft hungernd und über alle Maßen elend geführt, ist ihnen
allerdings innerlich wie äußerlich Übermenschliches zugemutet worden.
Sie haben die schwere Probe übel bestanden. Es ist dieser Krieg weniger
einer gewesen zwischen zwei Armeekorps, wie die anderen Bürgerkriege
dieser entsetzlichen Zeit, als ein Krieg der Soldaten und vor allem der
Offiziere zweiter Klasse gegen die der ersten, verbunden mit einer
gefährlichen Insurrektion und Invasion der Germanen und einer
beiläufigen und unbedeutenden Auflehnung einiger keltischer Distrikte.
In der römischen Militärgeschichte sind Cannae und Karrhä und der
Teutoburger Wald Ruhmesblätter, verglichen mit der Doppelschmach von
Novaesium; nur wenige einzelne Männer, keine einzige Truppe hat in der
allgemeinen Verunehrung sich reinen Schild bewahrt. Die grauenhafte
Zerrüttung des Staats- und vor allem des Heerwesens, welche bei dem
Untergang der Julisch-Claudischen Dynastie uns entgegentritt, erscheint
deutlicher noch als in der führerlosen Schlacht von Betriacum in diesen
Vorgängen am Rhein, derengleichen die Geschichte Roms nie vorher und
nie nachher aufweist.
Bei dem Umfang und der Allgemeinheit dieser Frevel war ein
entsprechendes Strafgericht unmöglich. Es verdient Anerkennung, daß der
neue Herrscher, der glücklicherweise persönlich all diesen Vorgängen
fern geblieben war, in echt staatsmännischer Weise das Vergangene
vergangen sein ließ und nur bemüht war, der Wiederholung ähnlicher
Auftritte vorzubeugen. Daß die hervorragenden Schuldigen, sowohl aus
den Reihen der Truppen wie aus den Insurgenten, für ihre Verbrechen zur
Rechenschaft gezogen wurden, versteht sich von selbst; man mag das
Strafgericht daran messen, daß, als fünf Jahre später einer der
gallischen Insurgentenführer in einem Versteck aufgefunden wurde, in
dem seine Gattin ihn bis dahin verborgen gehalten hatte, Vespasian ihn
wie sie dem Henker übergab. Aber man gestattete den abtrünnigen
Legionen, mit gegen die Deutschen zu kämpfen und in den heißen
Schlachten bei Trier und bei Vetera ihre Schuld einigermaßen zu sühnen.
Allerdings wurden nichtsdestoweniger die vier Legionen des
unterrheinischen Heeres alle, und von den beiden beteiligten
oberrheinischen die eine kassiert - gern möchte man glauben, daß die
22. verschont ward in ehrender Erinnerung an ihren tapferen Legaten.
Auch von den batavischen Kohorten ist wahrscheinlich eine beträchtliche
Anzahl von dem gleichen Schicksal betroffen worden, nicht minder, wie
es scheint, das Reiterregiment der Treverer und vielleicht noch manche
andere besonders hervorgetretene Truppe. Noch viel weniger als gegen
die abtrünnigen Soldaten konnte gegen die insurgierten keltischen und
germanischen Gaue mit der vollen Schärfe des Gesetzes eingeschritten
werden; daß die römischen Legionen die Schleifung der treverischen
Augustuskolonie forderten, diesmal nicht der Beute, sondern der Rache
wegen, ist wenigstens ebenso begreiflich wie die von den Germanen
begehrte Zerstörung der Ubierstadt; aber wie Civilis diese, so schützte
jene Vespasian. Selbst den linksrheinischen Germanen wurde ihre
bisherige Stellung im ganzen gelassen. Wahrscheinlich aber trat - wir
sind hier ohne sichere Überlieferung - in der Aushebung und der
Verwendung der Auxilien eine wesentliche Änderung ein, welche die in
dem Auxilienwesen liegende Gefahr minderte. Den Batavern blieb die
Steuerfreiheit und ein immer noch bevorzugtes Dienstverhältnis; hatte
doch ein nicht ganz geringer Teil derselben die Sache der Römer mit den
Waffen verfochten. Aber die batavischen Truppen wurden beträchtlich
verringert, und wenn ihnen bisher, wie es scheint von Rechts wegen, die
Offiziere aus dem eigenen Adel gesetzt worden waren, und auch gegenüber
den sonstigen germanischen und keltischen das gleiche wenigstens häufig
geschehen war, so werden die Offiziere der Alen und Kohorten späterhin
überwiegend aus dem Stande genommen, dem Vespasian selber entstammte,
aus dem guten städtischen Mittelstand Italiens und der italisch
geordneten Provinzialstädte. Offiziere von der Stellung des Cheruskers
Arminius, des Batavers Civilis, des Treverers Classicus begegnen
seitdem nicht wieder. Die bisherige Geschlossenheit der aus dem
gleichen Gau ausgehobenen Truppen findet sich später ebensowenig,
sondern die Leute dienen ohne Unterschied ihrer Herkunft in den
verschiedensten Abteilungen; es ist das wahrscheinlich eine Lehre,
welche die römische Militärverwaltung sich aus diesem Kriege gezogen
hat. Eine andere durch diesen Krieg gewiesene Änderung wird es sein,
daß, wenn bis dahin die in Germanien verwendeten Auxilien der Mehrzahl
nach aus den germanischen und den benachbarten Gauen genommen waren,
seitdem eben, wie die dalmatischen und pannonischen infolge des
Batonischen Krieges, fortan auch die germanischen Auxiliartruppen
überwiegend außerhalb ihrer Heimat Verwendung fanden. Vespasian war ein
einsichtiger und erfahrener Militär; es ist wahrscheinlich zum guten
Teil sein Verdienst, wenn von Auflehnung der Auxilien gegen ihre
Legionen kein späteres Beispiel begegnet.
Daß die eben berichtete Insurrektion der linksrheinischen Germanen,
obwohl sie, infolge der zufälligen Vollständigkeit der darüber
erhaltenen Berichte, allein uns einen deutlichen Einblick in die
politischen und militärischen Verhältnisse am Unterrhein und Galliens
überhaupt gewährt und darum auch eine ausführliche Erzählung verdiente,
dennoch mehr durch äußere und zufällige Ursachen als durch die innere
Notwendigkeit der Dinge hervorgerufen wurden, beweist die nun folgende,
anscheinend vollständige Ruhe daselbst und der, soviel wir sehen,
ununterbrochene Status quo eben in dieser Gegend. Die römischen
Germanen sind in dem Reiche nicht minder vollständig aufgegangen als
die römischen Gallier; von Insurrektionsversuchen jener ist nie wieder
die Rede. Am Ausgang des dritten Jahrhunderts wird von den über den
Unterrhein in Gallien einbrechenden Franken auch das batavische Gebiet
mit erfaßt; doch haben sich die Bataver in ihren alten, wenn auch
geschmälerten Sitzen und ebenso die Friesen selbst während der Wirren
der Völkerwanderung behauptet und, soviel wir wissen, auch dem
baufälligen Reichsganzen die Treue bewahrt.
Wenden wir uns von den römischen zu den freien Germanen östlich vom
Rhein, so ist für diese mit ihrer Beteiligung an jener batavischen
Insurrektion das offensive Vorgehen nicht minder vorbei, wie mit den
Expeditionen des Germanicus die Versuche der Römer zu Ende sind, eine
Grenzveränderung im großen Stil in diesen Gebieten herbeizuführen.
Unter den freien Germanen sind die dem römischen Gebiet nächstwohnenden
die Bructerer an beiden Ufern der mittleren Ems und in dem Quellgebiet
der Ems und der Lippe, weshalb sie auch vor allen übrigen Germanen sich
an der batavischen Insurrektion beteiligten. Aus ihrem Gau war das
Mädchen Veleda, die ihre Landsleute in den Krieg gegen Rom entsandte
und ihnen den Sieg verhieß, deren Ausspruch über das Schicksal der
Ubierstadt entschied, zu deren hohem Turm die gefangenen Senatoren und
das erbeutete Admiralschiff der Rheinflotte gesendet wurden. Die
Niederwerfung der Bataver traf auch sie, vielleicht noch ein besonderer
Gegenschlag der Römer, da jene Jungfrau späterhin gefangen nach Rom
geführt ward. Diese Katastrophe sowie Fehden mit den benachbarten
Völkern brachen ihre Macht; unter Nerva ist ihnen ein König, den sie
nicht wollten, von ihren Nachbarn unter passiver Assistenz des
römischen Legaten mit den Waffen aufgezwungen worden.
Die Cherusker im oberen Wesergebiet, zu Augustus’ und Tiberius’ Zeit
der führende Gau in Mitteldeutschland, werden seit Armins Tode selten
genannt, immer aber als in guten Beziehungen zu den Römern stehend. Als
der Bürgerkrieg, der bei ihnen auch nach Arminius’ Fall weiter gewütet
haben muß, ihr ganzes Fürstengeschlecht hingerafft, erbaten sie sich
den letzten des Hauses, den in Italien lebenden Brudersohn Armins,
Italicus, von der römischen Regierung zum Herrscher; freilich
entzündete die Heimkehr des tapferen, aber mehr seinem Namen als seiner
Herkunft entsprechenden Mannes die Fehde abermals und, von den Seinen
vertrieben, setzten ihn noch einmal die Langobarden auf den wankenden
Herrschersitz. Einer seiner Nachfolger, der König Chariomerus, ergriff
in dem Chattenkrieg Domitians so ernstlich für die Römer Partei, daß er
nach dessen Beendigung, von den Chatten vertrieben, zu den Römern
flüchtete und deren Intervention, freilich vergebens, anrief. Durch
diese ewigen inneren und äußeren Fehden ward das Cheruskervolk so
geschwächt, daß es seitdem aus der aktiven Politik verschwindet. Der
Name der Marser wird seit den Zügen des Germanicus überhaupt nicht mehr
gefunden. Daß die weiter östlich an der Elbe wohnenden Völkerschaften,
wie alle entfernteren Germanen, an den Kämpfen der Bataver und ihrer
Genossen in den Jahren 69 und 70 sich so wenig beteiligt haben wie
diese an den germanischen Kriegen unter Augustus und Tiberius, darf bei
der Ausführlichkeit des Berichtes als sicher bezeichnet werden. Wo sie
späterhin einmal begegnen, erscheinen sie nie in feindlicher Haltung
gegen die Römer. Daß die Langobarden den römischen Cheruskerkönig
wieder einsetzten, wurde schon erwähnt. Der König der Semnonen, Masuus,
und merkwürdigerweise mit ihm die Prophetin Ganna, welche bei diesem,
wegen besonderer Gläubigkeit berühmten Stamme in hohem Ansehen stand,
besuchten den Kaiser Domitianus in Rom und wurden an dessen Hofe
freundlich aufgenommen. Es mag in den Gegenden von der Weser bis zur
Elbe in diesen Jahrhunderten manche Fehde getobt, manche Machtstellung
sich verschoben, mancher Gau den Namen gewechselt oder sich anderer
Verbindung eingefügt haben; den Römern gegenüber trat, nachdem der
feste Verzicht derselben auf Unterwerfung dieser Landschaft allgemein
empfunden ward, ein dauernder Grenzfriede ein. Auch Invasionen aus dem
fernen Osten können denselben in dieser Epoche nicht wesentlich gestört
haben; denn der Rückschlag davon auf die römische Grenzwacht hätte
nicht ausbleiben können und von ernsteren Krisen auf diesem Gebiet
würde die Kunde nicht fehlen. Zu allem diesem gibt das Siegel die
Reduktion der niederrheinischen Armee auf die Hälfte des früheren
Bestandes, welche, wir wissen nicht genau wann, aber in dieser Epoche
eingetreten ist. Das niederrheinische Heer, mit welchem Vespasian zu
kämpfen hatte, zählte vier Legionen, das der traianischen Zeit
vermutlich die gleiche Zahl, mindestens drei ^10; wahrscheinlich schon
unter Hadrian, gewiß unter Marcus, standen daselbst nicht mehr als
zwei, die 1. minervische und die 30. Traians.
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^10 Unter dem Legaten Q. Acutius Nerva, welcher wahrscheinlich der
Konsul des Jahres 100 ist, also nach diesem Jahre Untergermanien
verwaltete, standen nach Inschriften von Brohl (Brambach 660, 662, 679,
680) in dieser Provinz vier Legionen, die 1. Minervia, 6. victrix, 10.
gemina, 22. primigenia. Da jede dieser Inschriften nur zwei oder drei
nennt, so kann die Besatzung damals nur aus drei Legionen bestanden
haben, wenn während Acutius’ Statthalterschaft die 1. Minervia für die
anderswohin abgegebene 22. primigenia eintrat. Aber bei weitem
wahrscheinlicher ist es, da bei den Detachierungen in die Steinbrüche
bei Brohl nicht immer alle Legionen beteiligt waren, daß jene vier
Legionen gleichzeitig in Untergermanien garnisonierten. Diese vier
Legionen sind wahrscheinlich eben die, welche bei der Reorganisation
der germanischen Heere durch Vespasian nach Untergermanien kamen, nur
daß die 1. Minervia von Domitian an die Stelle der wahrscheinlich von
ihm aufgelösten 21. gesetzt ist.
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In anderer Weise entwickelten sich die germanischen Verhältnisse in der
oberen Provinz. Von den linksrheinischen Germanen, die dieser
angehörten, den Tribokern, Nemetern, Vangionen, ist geschichtlich
nichts hervorzuheben als daß sie, seit langem unter den Kelten
ansässig, die Schicksale Galliens teilten. Die hauptsächliche
Verteidigungslinie der Römer ist auch hier der Rhein immer geblieben.
Alle Standlager der Legionen finden sich zu aller Zeit auf dem linken
Rheinufer; nicht einmal das von Argentoratum ist auf das rechte verlegt
worden, als das ganze Neckargebiet römisch war. Aber wenn in der
unteren Provinz die römische Herrschaft auf dem rechten Rheinufer im
Laufe der Zeit beschränkt wird, so wird sie umgekehrt hier erweitert.
Die von Augustus beabsichtigte Verknüpfung der Rheinlager mit denen an
der Donau durch Vorschiebung der Reichsgrenze in östlicher Richtung,
welche, wenn sie zur Ausführung gekommen wäre, mehr Ober- als
Untergermanien erweitert haben würde, ist in diesem Kommando wohl
niemals völlig aufgegeben und späterhin, wenn auch in bescheidenerem
Maßstabe, wieder aufgenommen worden. Die Überlieferung gestattet uns
nicht, die in diesem Sinne durch Jahrhunderte fortgeführten
Operationen, die dazu gehörigen Straßen- und Wallbauten, die deshalb
geführten Kriege in ihrem Zusammenhang darzulegen; und auch der noch
vorhandene große Militärbau, dessen gleichfalls Jahrhunderte umfassende
Entstehung einen guten Teil jener Geschichte in sich schließen muß, ist
bisher nicht so, wie es wohl geschehen könnte, von militärisch
geschärften Augen in seiner Gesamtheit untersucht worden - die
Hoffnung, daß das geeinigte Deutschland sich auch zu der Erforschung
dieses seines ältesten geschichtlichen Gesamtdenkmals vereinigen werde,
ist fehlgeschlagen. Was zur Zeit aus den Trümmern der römischen Annalen
oder der römischen Kastelle darüber ans Licht gekommen ist, soll hier
versucht werden zusammenzufassen.
Auf dem rechten Ufer legt sich, nicht weit von dem nördlichen Ende der
Provinz, dem ebenen oder hügeligen niederrheinischen Land in
westöstlicher Richtung die Taunuskette vor, die gegenüber Bingen auf
den Rhein stößt. Diesem Bergzug parallel, auf der anderen Seite
abgeschlossen durch die Ausläufer des Odenwaldes, erstreckt sich die
Ebene des unteren Maintales, der rechte Zugang zum inneren Deutschland,
beherrscht von der Schlüsselstellung an der Mündung des Mains in den
Rhein, Mogontiacum oder Mainz, seit Drusus’ Zeit bis zum Ausgang Roms
der Ausfallsburg der Römer aus Gallien gegen Germanien ^11 wie
heutzutage dem rechten Riegel Deutschlands gegen Frankreich. Hier
behielten die Römer, auch nachdem sie auf die Herrschaft im
überrheinischen Land im allgemeinen verzichtet hatten, nicht bloß den
Brückenkopf am anderen Ufer, das castellum Mogontiacense (Kastel),
sondern jene Mainebene selbst in ihrem Besitz; und in diesem Gebiet
durfte auch die römische Zivilisation sich festsetzen. Es war dies
ursprünglich chattisches Land und ein chattischer Stamm, die Mattiaker,
sind auch unter römischer Herrschaft hier ansässig geblieben; aber
nachdem die Chatten diesen Distrikt an Drusus hatten abtreten müssen,
ist derselbe ein Teil des Reiches geblieben. Die warmen Quellen in der
nächsten Nähe von Mainz (aquae Mattiacae, Wiesbaden) wurden erweislich
in Vespasians Zeit, und sicher schon lange vorher, von den Römern
benutzt; unter Claudius wurde hier auf Silber gebaut; die Mattiaker
haben schon früh wie andere Untertanendistrikte Truppen zur Armee
gestellt. An der allgemeinen Auflehnung der Germanen unter Civilis
nahmen sie Anteil; aber nach der Besiegung stellten die früheren
Verhältnisse sich wieder her. Seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts
finden wir die Gemeinde der taunensischen Mattiaker unter römisch
geordneten Behörden ^12.
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^11 Nach Zangemeisters (Korrespondenzblatt der Westdeutschen
Zeitschrift 3, 1884, S. 307ff.) schönen Entzifferungen steht es fest,
daß eine Militärstraße am linken Rheinufer von Mainz bis an die Grenze
der obergermanischen Provinz schon unter Claudius angelegt ward.
^12 Der volle Name c(ivitas) M(attiacorum) Ta(unensium) erscheint auf
der Inschrift von Kastel (Brambach 1330); als civitas Mattiacorum oder
civitas Taunensium kommt sie öfter vor, mit Duovirn Ädilen, Decurionen,
Sacerdotalen Sevirn; eigentümlich und für die Grenzstadt bezeichnend
sind die wahrscheinlich als Munizipalmiliz zu fassenden hastiferi
civitatis Mattiacorum (Brambach 1336). Das älteste datierte Dokument
dieser Gemeinde ist vom Jahre 198 (Brambach 956).
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Die Chatten, obwohl also vom Rhein abgedrängt, erscheinen in der
folgenden Zeit als der mächtigste Stamm unter denen des germanischen
Binnenlandes, die mit den Römern in Beziehung kamen; die Führung, die
unter Augustur und Tiberius die Cherusker an der mittleren Weser gehabt
hatten, ging in der stetigen Fehde mit diesen, ihren stammverwandten
südlichen Nachbarn auf die letzteren über. Alle Kriege zwischen Römern
und Germanen, von denen wir aus der Zeit nach Arminius’ Tod bis auf die
beginnende Völkerverschiebung am Ende des 3. Jahrhunderts Kunde haben,
sind gegen die Chatten geführt worden; so im Jahre 41 unter Claudius
durch den späteren Kaiser Galba, im Jahre 50 unter demselben Kaiser
durch den als Dichter gefeierten Publius Pomponius Secundus. Dies waren
die üblichen Grenzeinfälle, und an dem großen Batavischen Kriege waren
die Chatten zwar auch, aber nur nebenbei beteiligt. Aber in dem
Feldzug, den der Kaiser Domitianus im Jahre 83 unternahm, waren die
Römer die Angreifenden, und dieser Krieg führte zwar nicht zu
glänzenden Siegen, aber wohl zu einer bedeutenden und folgenreichen
Vorschiebung der römischen Grenze ^13. Damals wird die Grenzlinie so,
wie wir sie seitdem gezogen finden, geordnet und in dieselbe, welche in
ihrem nördlichsten Stück sich nicht weit vom Rhein entfernte, hier ein
großer Teil des Taunus und das Maingebiet bis oberhalb Friedberg
hineingezogen worden sein. Die Usiper, die nach ihrer schon berichteten
Vertreibung aus dem Lippegebiet um die Zeit Vespasians in der Nähe von
Mainz auftreten und östlich von den Mattiakern an der Kinzig oder im
Fuldischen neue Sitze gefunden haben mögen, sind damals zum Reiche
gezogen worden, und zugleich mit ihnen eine Anzahl kleinerer, von den
Chatten abgesprengter Völkerschaften. Als dann im Jahre 88 unter dem
Statthalter Lucius Antonius Saturninus das obergermanische Heer gegen
Domitian sich erhob, hätte fast der Krieg sich erneuert; die
abgefallenen Truppen machten gemeinschaftliche Sache mit den Chatten
^14 und nur die Unterbrechung der Kommunikationen, indem das Eis auf
dem Rhein aufging, machte den treu gebliebenen Regimentern möglich, mit
den abgefallenen fertigzuwerden, bevor der gefährliche Zuzug eintraf.
Es wird berichtet, daß die römische Herrschaft von Mainz landeinwärts
80 Leugen weit, also noch über Fulda hinaus, sich erstreckt hat ^15;
und diese Nachricht erscheint glaubwürdig, wenn dabei in Betracht
gezogen wird, daß die militärische Grenzlinie, die allerdings nicht
weit über Friedberg hinausgegangen zu sein scheint, sich wohl auch hier
innerhalb der Gebietsgrenze hielt.
^13 Die Berichte über diesen Krieg sind verloren gegangen; Zeit und Ort
lassen sich bestimmen. Da die Münzen dem Domitian den Titel Germanicus
seit dem Anfang des Jahres 84 geben (Eckhel, Bd. 6, S. 378, 397), so
fällt der Feldzug in das Jahr 83. Dazu stimmt die in eben dieses Jahr
fallende Aushebung der Usiper und ihr verzweifelter Fluchtversuch (Tac.
Agr. 28; vgl. Matt. 6, 60). Es war ein Angriffskrieg (Suet. Dom. 6:
expeditio sponte suscepta; Zon. 11, 19: λε πλτήας τινά τών πέραν Ρήνου
τών εσπόνδων}). Die Verlegung der Postenlinie bezeugt Frontmus, der den
Krieg mitgemacht hat (strat. 2, 11, 7): cum in finibus Cubiorum (Name
unbekannt und wohl verdorben) castella poneret und (strat. 1, 3, 10):
limitibus per CXX m. p. actis, was hier mit den militärischen
Operationen in unmittelbare Verbindung gebracht wird, daher auch von
dem Chattenkrieg selbst nicht getrennt und nicht auf die längst in
römischer Gewalt stehenden agri decumates bezogen werden darf. Auch ist
das Maß von 177 Kilometern wohl denkbar für die Militärlinie, die
Domitian am Taunus angelegt hat (nach v. Cohausens Ansetzungen - Der
römische Grenzwall in Deutschland. Wiesbaden 1884, S. 8 - stellt sich
der spätere Limes vom Rhein um den Taunus herum bis zum Main auf 237½
Kilometer), aber viel zu klein, um auf die Verbindungslinie von da bis
Regensburg bezogen werden zu können.
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^14 Die Germanen (Suet. Dom. 6) können nur die Chatten und deren
frühere Verbündete sein, vielleicht zunächst eben die Usiper und ihre
Schicksalsgenossen. Ausgebrochen ist der Aufstand in Mainz, das allein
ein Doppellager zweier Legionen war. Saturninus wurde von Rätien aus
angegriffen durch die Truppen des L. Appius Maximus Korbanus. Denn
anders kann das Epigramm Martials 9, 84 um so weniger gefaßt werden,
als sein Besiegen senatorischen Standes wie er war, ein reguläres
Kommando in Rätien und Vindelicien nicht verwalten und nur durch einen
Kriegsfall in diese Landschaft geführt werden konnte, wie denn auch die
sacrilegi furores deutlich auf den Aufstand weisen. Die Ziegel
desselben Appius, die in den Provinzen Obergermanien und Aquitanien
sich gefunden haben, berechtigen nicht, ihn zum Legaten der Lugdunensis
zu machen, wie Asbach (Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift
3, 1884, S. 9) vorschlägt, sondern müssen auf die Epoche nach der
Überwindung des Antonius bezogen werden (Heymes 19, 1884, S. 438). Wo
die Schlacht geliefert ward, bleibt zweifelhaft; am nächsten liegt die
Gegend von Vindonissa, bis wohin Saturninus dem Norbanus entgegen
gegangen sein kann. Wäre Norbanus erst bei Mainz auf die Aufständischen
gestoßen, was an sich auch denkbar erscheint, so hatten diese den
Rheinübergang in der Gewalt und konnte der Zuzug der Germanen durch das
Aufgehen des Rheines nicht verhindert werden.
^15 Die abgerissene Notiz findet sich hinter dem Veroneser
Provinzialverzeichnis (Notitia dignitatum, ed. Seeck, p. 253): nomina
civitatum trans Renum fluvium quae sunt: Usiphorum (schr. Usiporum) -
Tuvanium (schr. Tubantum) - Nictrensium - Novarii - Casuariorum: istae
omnes civitates trans Renum in formulam Belgicae primae redactae trans
castellum .Montiacese: nam LXXX leugas trans Renum Romani possederunt.
Istae civitates sub Gallieno imperatore a barbaris occupatae sunt. Daß
die Usiper später in dieser Gegend gewohnt haben, bestätigt Tacitus
(hist. 4, 37; Germ. 32); daß sie im Jahre 83 zum Reich gehört haben,
vielleicht aber erst kurz vorher unterworfen waren, geht aus der
Erzählung Agr. 28 hervor. Die Tubanten und Chasuarier stellt Ptolemaeos
(geogr. 2, 11, 11) in die Nähe der Chatten; daß sie das Schicksal der
Usiper teilten, ist demnach wahrscheinlich. Eine sichere Identifikation
der anderen beiden verdorbenen Namen ist bisher nicht gefunden;
vielleicht standen die Tencterer hier oder einige der kleinen, nur bei
Ptolemaeos (geogr. 2, 11, 6) mit diesen genannten Stämme. Die Notiz
nannte in ihrer ursprünglichen Form die Belgica schlechthin, da die
Provinz erst durch Diocletian geteilt worden ist, und diese insofern
mit Recht, als die beiden Germanien geographisch zu Belgica gehörten.
Das angegebene Maß führt, wenn man das Kinzigtal nach Nordosten
verfolgt, über Fulda hinaus nahezu bis Hersfeld. Auch Inschriftenfunde
reichen hier östlich weit über den Rhein hinaus, bis in die Wetterau;
Friedberg und Butzbach waren stark belegte Militärpositionen; in
Altenstadt zwischen Friedberg und Büdingen ist eine auf Grenzschutz
deutende (collegium iuventutis) Inschrift vom Jahre 242 (CIRh 1410)
gefunden worden.
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Aber nicht bloß das untere Maintal vorwärts Mainz ist in die
militärische Grenzlinie hineingezogen worden; auch im südwestlichen
Deutschland wurde die Grenze noch in größerem Maßstab vorgeschoben. Das
Neckargebiet, einst von den keltischen Helvetiern eingenommen, dann
lange Zeit streitiges Grenzland zwischen diesen und den vordringenden
Germanen und darum das helvetische Ödland genannt, späterhin vielleicht
teilweise von den Markomannen besetzt, bevor diese nach Böhmen
zurückwichen, kam bei der Regulierung der germanischen Grenzen nach der
Varusschlacht in die gleiche Verfassung wie der größte Teil des rechten
unterrheinischen Ufers. Es wird auch hier schon damals eine Grenzlinie
bezeichnet worden sein, innerhalb deren germanische Ansiedlungen nicht
geduldet wurden. Wie auf nicht eingedeichter Marsch ließen dann
einzelne, meist gallische Einwanderer, die nicht viel zu verlieren
hatten, in diesen fruchtbaren, aber wenig geschützten Strichen, dem
damals sogenannten Dekumatenland sich nieder ^16. Dieser vermutlich von
der Regierung nur geduldeten privaten Okkupation folgte die förmliche
Besetzung wahrscheinlich unter Vespasian. Da schon um das Jahr 74 von
Straßburg aus eine Chaussee auf das rechte Rheinufer wenigstens bis
nach Offenburg geführt worden ist ^17, so wird um diese Zeit in diesem
Gebiet ein ernstlicherer Grenzschutz eingerichtet worden sein, als ihn
das bloße Verbot germanischer Siedelung gewährte. Was der Vater
begonnen hatte, führten die Söhne durch. Vielleicht ist sogar, sei es
von Vespasian, sei es von Titus oder Domitian, durch die Anlegung der
“Flavischen Altäre” ^18 an der Neckarquelle bei dem heutigen Rottweil,
von welcher Ansiedlung wir freilich nichts als den Namen kennen, für
das rechtsrheinische neue Obergermanien ein ähnlicher Mittelpunkt
geschaffen worden, wie es früher der ubische Altar für Großgermanien
hatte werden sollen und bald nachher für das neu eroberte Dakien der
Altar von Sarmizegetusa wurde. Die erste Einrichtung der weiterhin zu
schildernden Grenzwehr, durch welche das Neckartal in die römische
Linie hineingezogen wurde, ist also das Werk der Flavier, hauptsächlich
wohl Domitians ^19, welcher damit die Anlage am Taunus weiterführte.
Die rechtsrheinische Militärstraße von Mogontiacum über Heidelberg und
Baden in der Richtung auf Offenburg, die notwendige Konsequenz dieser
Einziehung des Neckargebiets, ist, wie wir jetzt wissen ^20, im Jahre
100 von Traian angelegt und ein Teil der von demselben Kaiser
hergestellten direkteren Verbindung Galliens mit der Donaulinie. Die
Soldaten sind bei diesen Werken tätig gewesen, aber schwerlich die
Waffen; germanische Völkerschaften wohnten im Neckargebiet nicht, und
noch weniger kann der schmale Streifen am linken Ufer der Donau,
welcher dadurch mit in die Grenzlinie gezogen ward, ernstliche Kämpfe
gekostet haben. Das nächste namhafte germanische Volk daselbst, die
Hermunduren, waren den Römern freundlich gesinnt wie kein anderes und
führten in der Vindelikerstadt Augusta mit ihnen lebhaften
Handelsverkehr; daß bei ihnen diese Vorschiebung keinen Widerstand
gefunden hat, davon werden wir weiterhin die Spuren finden. Unter den
folgenden Regierungen, des Hadrian, des Pius, des Marcus, ist dann an
diesen militärischen Einrichtungen weitergebaut worden.
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^16 Was die nur bei Tacitus (Germ. 29) vorkommende Benennung agri
decumates denn mit agri wird das letztere Wort doch zu verbinden sein)
bedeutet, ist ungewiß; möglich ist es, daß das in der früheren
Kaiserzeit gewiß als Eigentum des Staats oder vielmehr des Kaisers
betrachtete Gebiet, wie der alte ager occupatorius der Republik, von
dem zuerst Besitz Ergreifenden gegen Abgabe des Zehnten benutzt werden
konnte; aber weder ist es sprachlich erwiesen, daß decumas
“zehntpflichtig” heißen kann, noch kennen wir derartige Einrichtungen
der Kaiserzeit. Übrigens sollte man nicht übersehen, daß die
Schilderung des Tacitus sich auf die Zeit vor der Einrichtung der
Neckarlinie bezieht; auf die spätere paßt sie so wenig wie die zwar
nicht klare, aber doch sicher mit dem früheren Rechtsverhältnis
zusammenhängende Benennung.
^17 Dies hat Zangemeister (a. a.O., S. 246) erwiesen.
^18 Daß hier mehrere Altäre dediziert wurden, während sonst bei diesen
Zentralheiligtümern nur einer genannt wird, erklärt sich vielleicht
durch das Zurücktreten des Romakults neben dem der Kaiser. Wenn gleich
zu Anfang mehrere Altäre errichtet wurden, was wahrscheinlich ist, so
hat einer der Söhne sowohl dem oder den verstorbenen flavischen Kaisern
wie auch seinem eigenen Genius Altäre setzen lassen.
^19 Daß die Verlegung stattfand, kurz bevor Tacitus im Jahre 98 die
‘Germania’ schrieb, sagt er, und daß Domitian der Urheber ist, folgt
auch daraus, daß er den Urheber nicht nennt.
^20 Auch dies hat Karl Zangemeister (a.a.O., S. 237f.) urkundlich
festgestellt.
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Den Grenzschutz zwischen Rhein und Donau, wie er zum großen Teil in
seinen Fundamenten noch heute besteht, vermögen wir nicht in seiner
Entstehungsgeschichte zu verfolgen, wohl aber zu erkennen nicht bloß,
wie er lief, sondern auch, wozu er diente. Die Anlage ist nach Art und
Zweck eine andere in Obergermanien und eine andere in Rätien. Der
obergermanische Grenzschutz, in der Gesamtlänge von etwa 250 römischen
Milien (368 Kilometer) ^21, beginnt unmittelbar an der Nordgrenze der
Provinz, umfaßt, wie schon gesagt ward, den Taunus und die Mainebene
bis in die Gegend von Friedberg und wendet sich von da südwärts dem
Main zu, auf welchen er bei Großkrotzenburg, oberhalb Hanau, trifft.
Dem Main von da bis Wörth folgend, schlägt er hier die Richtung nach
dem Neckar ein, den er etwas unterhalb Wimpfen erreicht und nicht
wieder verläßt. Später ist der südlichen Hälfte dieser Grenzlinie eine
zweite vorgelegt worden, die dem Main über Wörth hinaus bis nach
Miltenberg folgt und von da, zum größeren Teil in schnurgerader
Richtung, auf Lorch, zwischen Stuttgart und Aalen, geführt ist. Hier
schließt an den obergermanischen der rätische Grenzschutz an von nur
120 Milien (174 Kilometer) Länge; er verläßt die Donau bei Kelheim,
oberhalb Regensburg, und läuft von da, zweimal die Altmühl
überschreitend, im Bogen nach Westen zu, ebenfalls bis Lorch.
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^21 Dies Maß gilt für die Kastellinie von Rheinbrohl bis Lorch (v.
Cohausen, Der römische Grenzwall, S. 7f.). Für den Erdwall kommt die
Mainstrecke von Miltenberg bis Großkrotzenburg von etwa 30 römischen
Milien in Abzug. Bei der älteren Neckarlinie ist der Erdwall
beträchtlich kürzer, da statt desjenigen von Miltenberg bis Lorch hier
der viel kürzere des Odenwaldes von Wörth bis Wimpfen ein tritt.
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Der obergermanische Limes besteht aus einer Reihe von Kastellen, die
höchstens einen halben Tagemarsch (15 Kilometer) voneinander entfernt
sind. Wo die Verbindungslinien zwischen den Kastellen nicht durch den
Main oder den Neckar, wie angegeben, gesperrt sind, ist eine künstliche
Sperrung angebracht, anfangs vielleicht bloß durch Verhaue ^22,
späterhin durch einen fortlaufenden Wall von mäßiger Höhe mit außen
vorgelegtem Graben und in kurzen Entfernungen auf der inneren Seite
eingebauten Wachttürmen. ^23 Die Kastelle sind in den Wall nicht
eingezogen, aber unmittelbar hinter ihm angelegt, nicht leicht über
einen halben Kilometer von ihm entfernt.
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^22 Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Angabe, daß Hadrian die
Reichsgrenzstraßen durch Verhaue gegen die Barbaren sperrte, mit und
vielleicht zunächst auf die obergermanische sich bezieht, so ist der
Wall, dessen Reste vorhanden sind, sein Werk nicht; mag dieser
Pallisaden getragen haben oder nicht, kein Bericht würde diese erwähnen
und den Wallbau übergehen. Daß Hadrian die Grenzverteidigung im ganzen
Reiche revidierte, sagt Dio 69, 9.
Die Benennung des Pfahls oder Pfahlgrabens kann nicht römisch sein;
römisch heißen die Pfähle, welche, in den Lagerwall eingerammt, auf
demselben eine Pallisadenkette bilden, nicht pali, sondern valli oder
sudes, ebenso der Wall selbst nie anders als vallum. Wenn die, wie es
scheint, auf der ganzen Linie bei den Germanen dafür von jeher übliche
Bezeichnung wirklich von den Pallisaden entlehnt ist, so muß sie
germanischen Ursprungs sein und kann nur aus der Zeit herstammen, wo
dieser Wall ihnen in seiner Integrität und seiner Bedeutung vor Augen
stand. Ob die “Gegend” Palas, die Ammian (18, 2, 15) erwähnt, damit
zusammenhängt, ist zweifelhaft.
^23 In einem solchen, kürzlich zwischen den Kastellen von Schlossau und
Hesselbach, 1700 Meter von dem ersteren, vier bis fünf Kilometer von
dem letzteren, aufgedeckten hat sich eine Weihinschrift
(Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift, 1. Juli 1884)
gefunden, welche die Truppe, die ihn erbaut hat, ein Detachement der 1.
Kohorte der Sequaner und Rauriker unter Kommando eines Centurionen der
22. Legion, gesetzt hat als Danksagung ob burgum explic(itum). Diese
Türme also waren burgi.
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Der rätische Grenzschutz ist eine bloße, durch Aufschüttung von
Bruchsteinen bewirkte Sperrung; Graben und Wachttürme fehlen und die
hinter dem Limes ohne regelrechte Folge und in ungleichen Abständen
(keines näher als 4 bis 5 Kilometer) angelegten Kastelle stehen mit der
Sperrlinie in keiner unmittelbaren Verbindung. Über die zeitliche Folge
der Anlagen fehlen bestimmte Zeugnisse; erwiesen ist, daß die
obergermanische Neckarlinie unter Pius ^24, die ihr vorgelegte von
Miltenberg nach Lorch unter Marcus ^25 bestand. Gemeinschaftlich ist
beiden sonst so verschiedenen Anlagen die Grenzsperrung; daß in dem
einen Fall die Erdaufschüttung vorgezogen ist, durch welche der Graben
sich meistens von selber ergab, in dem andern die Steinschichtung,
beruht wahrscheinlich nur auf der Verschiedenartigkeit des Bodens und
des Baumaterials. Gemeinschaftlich ist ihnen ferner, daß weder die eine
noch die andere angelegt ist zur Gesamtverteidigung der Grenze. Nicht
bloß ist das Hindernis, welches die Erd- oder Steinschüttung dem
Angreifer entgegenstellt, an sich geringfügig, sondern es begegnen auf
der Linie überall überhöhende Stellungen, hinterliegende Sümpfe,
Verzicht auf den Ausblick in das Vorland und ähnliche deutliche Spuren
davon, daß bei deren Trassierung an Kriegszwecke überhaupt nicht
gedacht ist. Die Kastelle sind natürlich jedes für sich zur
Verteidigung eingerichtet, aber sie sind nicht durch chaussierte
Querstraßen verbunden; also stützte die einzelne Besatzung sich nicht
auf die der benachbarten Kastelle, sondern auf den Rückhalt, zu welchem
die Straße führte, welche eine jede besetzt hielt. Es waren ferner
diese Besatzungen nicht eingefügt in ein militärisches System der
Grenzverteidigung, mehr befestigte Stellungen für den Notfall als
strategisch gewählte für die Okkupation des Gebiets, wie denn auch
schon die Ausdehnung der Linie selbst, verglichen mit der disponiblen
Truppenzahl, die Möglichkeit einer Gesamtverteidigung ausschließt. ^26
Also haben diese ausgedehnten militärischen Anlagen nicht den Zweck
gehabt, wie der Britannische Wall, dem Feinde den Einbruch zu wehren.
Es sollten vielmehr, wie an den Flußgrenzen die Brücken, so an den
Landgrenzen die Straßen durch die Kastelle beherrscht werden, im
übrigen aber, wie an den Wassergrenzen der Fluß, so an den Landgrenzen
der Wall die nicht kontrollierte Überschreitung der Grenzen hindern.
Anderweitige Benutzung mochte sich damit verbinden; die oft
hervortretende Bevorzugung der geradlinigen Richtung deutet auf
Verwendung für Signale, und gelegentlich mag die Anlage auch geradezu
für Kriegszwecke benutzt worden sein. Aber der eigentliche und nächste
Zweck der Anlage war die Verhinderung der Grenzüberschreitung. Daß
dabei nicht an der rätischen, wohl aber an der obergermanischen Grenze
Wachtposten und Forts eingerichtet worden sind, erklärt sich aus dem
verschiedenen Verhältnis zu den Nachbarn, dort den Hermunduren, hier
den Chatten. Die Römer standen in Obergermanien ihren Nachbarn nicht so
gegenüber wie den britannischen Hochländern, gegen die die Provinz sich
stets im Belagerungsstand befand; aber die Abwehr räuberischer
Einbrecher sowie die Erhebung der Grenzzölle forderten doch bereite und
nahe militärische Hilfe. Man konnte die obergermanische Armee und
dementsprechend die Besatzungen am Limes allmählich reduzieren, aber
entbehrlich ward das römische Pilum im Neckarlande nie. Wohl aber war
es entbehrlich gegenüber den Hermunduren, welchen in traianischer Zeit
allein von allen Germanen das überschreiten der Reichsgrenze ohne
besondere Kontrolle und der freie Verkehr im römischen Gebiet,
namentlich in Augsburg, freistand, und mit denen, soviel wir wissen,
niemals Grenzkollisionen stattgefunden haben. Es war also für diese
Zeit zu einer ähnlichen Anlage an der rätischen Grenze keine
Veranlassung; die Kastelle nordwärts der Donau, welche erweislich
bereits in traianischer Zeit bestandenem ^27, genügten hier für den
Schutz der Grenze und die Kontrolle des Grenzverkehrs. Dem kommt die
Wahrnehmung entgegen, daß der rätische Limes, wie er uns vor Augen
steht, allein mit der jüngeren, vielleicht erst unter Marcus angelegten
obergermanischen Sperrlinie korrespondiert. Damals fehlte dazu die
Veranlassung nicht. Die Chattenkriege ergriffen, wie wir sehen werden,
in dieser Zeit auch Rätien; auch die Verstärkung der Besatzung der
Provinz kann füglich mit der Einrichtung dieses Limes in Verbindung
stehen, welcher, wie wenig er für militärische Zwecke eingerichtet ist,
doch wohl ebenfalls einer wenn auch milderen Grenzsperre wegen angelegt
wurde ^28.
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^24 Das älteste datierte Zeugnis für diese sind zwei Inschriften der
Besatzung von Böckingen, gegenüber Heilbronn am linken Ufer des Neckar,
vom Jahre 148 (Brambach CIRh, 1583, 1590).
^25 Das älteste datierte Zeugnis für die Existenz dieser Linie ist die
Inschrift von vicus Aurelii (Öhringen) vom Jahre 169 (Brambach CIRh,
1558), zwar nur privat, aber gewiß nicht gesetzt vor der Anlage dieses
zu der Linie Miltenberg-Lorch gehörenden Kastells; wenig jünger die von
dem ebenfalls dazu gehörigen Jagsthausen vom Jahre 179 (CIRh, 1618).
Danach dürfte vicus Aurelii seinen Namen von Marcus führen, nicht von
Caracalla, wenn auch von diesem bezeugt ist, daß er manche Kastelle in
diesen Gegenden anlegte und nach sich benannte (Dio 77, 13).
^26 Über die Dislokation der obergermanischen Truppen fehlt es zwar an
genügender Kunde, doch nicht ganz an Anhaltspunkten. Von den beiden
Hauptquartieren in Obergermanien ist das von Straßburg nach der
Einrichtung der Neckarlinie erweislich nur schwach belegt und
wahrscheinlich mehr administratives als militärisches Zentrum gewesen
(Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift, 3,1884, S. 132).
Dagegen hat die Besatzung von Mainz immer einen beträchtlichen Teil der
Gesamtstärke in Anspruch genommen, um so mehr, als dieselbe
wahrscheinlich der einzige größere, geschlossene Truppenkörper in ganz
Obergermanien war. Die übrigen Truppen verteilen sich teils auf den
Limes, dessen Kastelle nach v. Cohausens (Der römische Grenzwall, S.
335) Schätzung durchschnittlich acht Kilometer voneinander entfernt,
also insgesamt gegen 50 waren, teils auf die inneren Kastelle,
insbesondere an der Odenwaldlinie von Gundelsheim bis Wörth; daß die
letzteren wenigstens zum Teil auch nach Anlegung des äußeren Limes
besetzt blieben, ist mindestens wahrscheinlich. Bei der ungleichen
Größe der noch meßbaren Kastelle ist es schwer zu sagen, welche
Truppenzahl erforderlich war, um sie verteidigungsfähig zu machen.
Cohausen (S. 340) rechnet auf ein mittelgroßes Kastell einschließlich
der Reserve 720 Mann. Da die gewöhnliche Kohorte der Legion wie der
Auxilien 500 Mann zählt und die Kastenbauten notwendig auf diese Zahl
haben Rücksicht nehmen müssen, wird die Besatzung des Kastells für den
Fall der Belagerung durchschnittlich mindestens auf diese Zahl
angesetzt werden müssen. Unmöglich hat nach der Reduktion die
obergermanische Armee die Kastelle auch nur des Limes gleichzeitig in
dieser Stärke besetzen können. Noch weit weniger konnte sie, selbst vor
der Reduktion, mit ihren 30000 Mann die zwischen den Kastellen
befindlichen Linien auch nur besetzt halten; wenn aber dies nicht
möglich war, so hatte die gleichzeitige Besetzung auch der sämtlichen
Kastelle in der Tat keinen Zweck. Allem Anschein nach ist wohl jedes
Kastell in der Weise angelegt worden, daß es, gehörig besetzt, gehalten
werden konnte, aber der Regel nach - und an dieser Grenze war der
Friedensstand Regel - war das einzelne Kastell nicht nach Kriegsfuß,
sondern nur insoweit mit Truppen belegt, daß die Posten in den
Wachttürmen ausgesetzt und die Straßen sowie die Schleichwege unter
Aufsicht gehalten werden konnten. Die ständigen Besatzungen der
Kastelle sind vermutlich sehr viel schwächer gewesen, als gewöhnlich
angenommen wird. Wir besitzen aus dem Altertum ein einziges Verzeichnis
einer derartigen Besatzung; es ist vom Jahre 155 und betrifft das
Kastell von Kutlowitza, nördlich von Sofia (Eph. epigr. IV, p. 524),
wofür die Armee von Untermösien, und zwar die 11. Legion, die Besatzung
stellte. Diese Truppe zählte damals außer dem kommandierenden
Centurionen nur 76 Mann.
Die rätische Armee war, wenigstens vor Marcus, noch viel weniger
imstande, ausgedehnte Linien zu besetzen: sie zählte damals höchstens
10000 Mann und hatte außer dem rätischen Limes noch die Donaulinie von
Regensburg bis Passau zu belegen.
^27 Dies beweist die bei Weißenburg gefundene Urkunde Traians vom Jahre
107.
^28 Die bisherigen Untersuchungen über den rätischen Limes haben die
Bestimmung dieser Anlage noch wenig aufgeklärt; ausgemacht ist nur, daß
sie weniger als die analoge obergermanische auf militärische Besetzung
eingerichtet war. Eine derartige schwächere Grenzsperrung kann füglich
schon vor dem Markomannenkrieg den Hermunduren gegenüber beliebt worden
sein; auch schließt, was Tacitus über deren Verkehr in Augusta
Vindelicum berichtet, die damalige Existenz eines rätischen Limes
keineswegs aus. Nur müßte man dann erwarten, daß er nicht in Lorch
endigte, sondern sich an die Neckarlinie anschloß; einigermaßen tut er
dies auch, insofern bei Lorch an die Stelle des Limes die Rems tritt,
welche bei Cannstatt in den Neckar einmündet.
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Militärisch wie politisch ist die verlegte Grenze oder vielmehr der
verstärkte Grenzschutz eingreifend und nützlich gewesen. Wenn früher
die römische Postenkette in Obergermanien und Rätien wahrscheinlich
rheinaufwärts über Straßburg nach Basel und an Vindonissa vorbei an den
Bodensee, dann von da zu der oberen Donau gegangen war, so wurden jetzt
das obergermanische Hauptquartier in Mainz und das rätische in
Regensburg und überhaupt die beiden Hauptarmeen des Reiches einander
beträchtlich genähert. Das Legionslager von Vindonissa (Windfisch bei
Zürich) wurde dadurch überflüssig. Das oberrheinische Heer konnte, wie
das benachbarte, nach einiger Zeit auf die Hälfte seines früheren
Bestandes herabgesetzt werden. Die anfängliche Zahl von vier Legionen,
welche während des batavischen Krieges nur zufällig auf drei vermindert
war, bestand allerdings wahrscheinlich noch unter Traian ^29; unter
Marcus aber war die Provinz nur mit zwei Legionen besetzt, der achten
und der zweiundzwanzigsten, von denen die erste in Straßburg stand, die
zweite in dem Hauptquartier Mainz, während die meisten Truppen, in
kleinere Posten aufgelöst, an dem Grenzwall lagerten. Innerhalb der
neuen Linie blühte das städtische Leben auf fast wie links vom
Rheinland: Sumelocenna (Rottenburg am Neckar), Aquae (civitas Aurelia
Aquensis, Baden), Lopodunum (Ladenburg) hatten, wenn man von Köln und
Trier absieht, in römisch-städtischer Entwicklung den Vergleich mit
keiner Stadt der Belgica zu scheuen. Das Emporkommen dieser
Ansiedlungen ist hauptsächlich das Werk Traians, welcher sein Regiment
mit dieser Friedenstat eröffnete ^30; “den auf beiden Ufern römischen
Rhein” fleht ein römischer Dichter an, den noch nicht gesehenen
Herrscher ihnen bald zuzusenden. Die große und fruchtbare Landschaft,
die auf diese Weise unter den Schutz der Legionen gestellt ward, war
dieses Schutzes bedürftig, aber auch wert gewesen. Wohl bezeichnet die
Varusschlacht die beginnende Ebbe der römischen Macht, aber nur
insofern, als das Vorschreiten damit ein Ende hat und die Römer seitdem
sich im allgemeinen begnügten, das damals Festgehaltene stärker und
dauernder zu schirmen.
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^29 Von den sieben Legionen, die bei Neros Tode in den beiden Germanien
standen, löste Vespasian fünf auf; es blieben die 21. und die 22., wozu
dann die zur Niederwerfung des Aufstandes eingerückten sieben oder acht
Legionen, die 1. adiutrix, 2. adiutrix, 6. victrix, 8., 10. gemina,
11., 13. (?) und 14. hinzutraten. Von diesen ist nach Beendigung des
Krieges die 1. adiutrix wahrscheinlich nach Spanien, die 2. adiutrix
wahrscheinlich nach Britannien, die 13. gemina (wenn diese überhaupt
nach Germanien kam) nach Pannonien gesandt worden; die anderen sieben
blieben, und zwar in der unteren Provinz die 6., 10., 21. und 22., in
der oberen die 8., 11, und 14. Zu den letzteren trat wahrscheinlich im
Jahre 88 die aus Spanien abermals nach Obergermanien gesandte 1.
adiutrix hinzu. Daß unter Traian die 1. adiutrix und die 11. in
Obergermanien standen beweist die Inschrift von Baden-Baden, Brambach
1666. Die 8. und die 14. sind erwiesenermaßen beide mit Cerialis nach
Germanien gekommen und haben beide längere Zeit daselbst garnisoniert.
^30 Traianus ward von Nerva im Jahre 96 oder 97 als Legat nach
Germanien gesandt, wahrscheinlich dem oberen, da dem unteren damals
Vestricius Spurinna vorgestanden zu haben scheint. Hier im Oktober des
Jahres 97 zum Mitregenten ernannt, erhielt er die Nachricht von Nervas
Tode und seiner Ernennung zum Augustus im Februar 98 in Köln. Den
Winter und den folgenden Sommer mag er dort geblieben sein; im Winter
98/99 war er an der Donau. Die Worte des Eutropius (8, 2): urbes trans
Rhenum in Germania reparavit (woraus die oft gemißbrauchte Notiz bei
Orosius, hist. 7, 12, 2, abgeschrieben ist), welche nur auf die obere
Provinz bezogen werden können, aber natürlich nicht dem Legaten,
sondern dem Caesar oder dem Augustur gelten, erhalten eine Bestätigung
durch die civitas Ulpia s(altus?) N(icerini?) Lopodunum der
Inschriften. Die “Wiederherstellung” dürfte im Gegensatz stehen nicht
zu den Einrichtungen Domitians, sondern zu den ungeordneten Anfängen
städtischer Anlagen im Decumatenland vor der Verlegung der
Militärgrenze. Auf kriegerische Vorgänge unter Traian führt keine Spur;
daß er ein castellum in Alamannorum solo, nach dem Zusammenhang am Main
unweit Mainz, anlegte und nach seinem Namen nannte (Amm. 17, 1, 11),
beweist dafür ebenso wenig, wie daß ein später Dichter (Sidon. carm. 7,
115), Altes und Neues vermengend, Agrippina unter ihm den Schrecken der
Sugambrer, das heißt in seinem Sinn der Franken nennt.
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Bis in den Anfang des 3. Jahrhunderts zeigt die römische Macht am Rhein
keine Spuren des Schwankens. Während des Markomannenkrieges unter
Marcus blieb in der unteren Provinz alles ruhig. Wenn ein Legat der
Belgica damals den Landsturm gegen die Chauker aufbieten mußte, so ist
dies vermutlich ein Piratenzug gewesen, wie sie die Nordküste oftmals,
in dieser Zeit ebenso wie früher und später, heimgesucht haben. An die
Donauquellen und selbst bis in das Rheingebiet reichte der Wellenschlag
der großen Völkerbewegung; aber die Fundamente erschütterte er hier
nicht. Die Chatten, das einzige bedeutende germanische Volk an der
obergermanisch-rätischen Grenzwacht, brachen in beiden Richtungen vor
und sind wahrscheinlich damals selbst unter den in Italien einfallenden
Germanen gewesen, wie dies weiterhin bei der Darstellung dieses Krieges
gezeigt werden soll. Auf jeden Fall kann die von Marcus damals verfügte
Verstärkung der rätischen Armee und ihre Umwandlung in ein Kommando
erster Klasse mit Legion und Legaten nur erfolgt sein, um den Angriffen
der Chatten zu steuern, und beweist, daß man sie auch für die Zukunft
nicht leicht nahm. Die schon erwähnte Verstärkung der Grenzverteidigung
wird damit ebenfalls in Verbindung stehen. Für das nächste
Menschenalter müssen diese Maßregeln ausgereicht haben.
Unter Antoninus, dem Sohn des Severus, brach (213) abermals in Rätien
ein neuer und schwererer Krieg aus. Auch dieser ist gegen die Chatten
geführt worden; aber neben ihnen wird ein zweites Volk genannt, das
hier zum erstenmal begegnet, das der Alamannen. Woher sie kamen, wissen
wir nicht. Einem wenig später schreibenden Römer zufolge war es
zusammengelaufenes Mischvolk; auf einen Gemeindebund scheint auch die
Benennung hinzuweisen sowie, daß später noch die verschiedenen, unter
diesem Namen zusammengefaßten Stämme mehr als bei den sonstigen großen
germanischen Völkern in ihrer Besonderheit hervortreten, und die
Juthungen, die Lentienser und andere Alamannenvölker nicht selten
selbständig handeln. Aber daß es nicht die Germanen dieser Gegend sind,
welche unter dem neuen Namen verbündet und durch den Bund verstärkt
hier auftreten, zeigt sowohl die Nennung der Alamannen neben den
Chatten wie die Meldung von der ungewohnten Geschicklichkeit der
Alamannen im Reitergefecht. Vielmehr sind es der Hauptsache nach sicher
aus dem Osten nachrückende Scharen gewesen, die dem fast erloschenen
Widerstand der Germanen am Rhein neue Kraft verliehen haben; es ist
nicht unwahrscheinlich, daß die in früherer Zeit an der mittleren Elbe
hausenden mächtigen Semnonen, deren seit dem Ende des 2. Jahrhunderts
nicht wieder gedacht wird, zu den Alamannen ein starkes Kontingent
gestellt haben. Das stetig sich steigernde Mißregiment im Römischen
Reich hat natürlich auch, wenngleich nur in zweiter Reihe, zu der
Machtverschiebung seinen Teil beigetragen. Der Kaiser zog persönlich
gegen die neuen Feinde ins Feld; im August des Jahres 213 überschritt
er die römische Grenze und ein Sieg über sie am Main wurde erfochten
oder wenigstens gefeiert; es wurden noch Kastelle angelegt; die
Völkerschaften von der Elbe und der Nordsee beschickten den römischen
Herrscher und verwunderten sich, wenn er sie in ihrer eigenen Tracht
empfing, in silberbeschlagener Jacke und Haar und Bart nach deutscher
Art gefärbt und geordnet. Aber von da an hören die Kriege am Rhein
nicht auf, und die Angreifer sind die Germanen; die sonst so fügsamen
Nachbarn waren wie ausgetauscht. Zwanzig Jahre später wurden an der
Donau wie am Rhein die Einfälle der Barbaren so stetig und so
ernsthaft, daß Kaiser Alexander deswegen den weniger unmittelbar
gefährlichen Persischen Krieg abbrechen und sich persönlich in das
Lager von Mainz begeben maßte, nicht so sehr, um das Gebiet zu
verteidigen, als um von den Deutschen den Frieden durch hohe Geldsummen
zu erkaufen. Die Erbitterung der Soldaten darüber führte zu seiner
Ermordung (235) und damit zu dem Untergang der Severischen Dynastie,
der letzten, die es bis auf die Regeneration des Staats überhaupt
gegeben hat. Sein Nachfolger Maximinus, ein roher, aber tapferer, vom
gemeinen Soldaten aufgedienter Thraker, machte das feige Verhalten
seines Vorgängers wieder gut durch einen nachdrücklichen Feldzug tief
in Germanien hinein. Noch wagten die Barbaren nicht, einem starken und
wohlgeführten Römerheere die Spitze zu bieten; sie wichen in ihre
Wälder und Sümpfe, und auch dahin ihnen folgend, focht im Handgemenge
der tapfere Kaiser allen voran. Von diesen Kämpfen, die ohne Zweifel
von Mainz aus zunächst gegen die Alamannen sich richteten, durfte er
mit Recht sich Germanicus nennen; und auch für die Zukunft hat die
Expedition vom Jahre 236, auf lange hinaus der letzte große Sieg, den
die Römer am Rhein gewannen, wohl einiges gefruchtet. Obwohl die
stetigen und blutigen Thronwechsel und die schweren Katastrophen im
Osten und an der Donau die Römer nicht zu Atem kommen ließen, ist doch
durch die nächsten zwanzig Jahre am Rhein wenn nicht eigentlich die
Ruhe erhalten worden, doch eine größere Katastrophe nicht eingetreten.
Es scheint sogar damals eine der obergermanischen Legionen nach Afrika
geschickt worden zu sein, ohne daß dafür Ersatz kam, also Obergermanien
als wohl gesichert gegolten zu haben. Aber als im Jahre 253 wieder
einmal die verschiedenen Feldherren Roms um die Kaiserwürde
untereinander schlugen und die Rheinlegionen nach Italien marschierten,
um ihren Kaiser Valerianus gegen den Aemilianus der Donauarmee
durchzufechten, scheint dies das Signal gewesen zu sein ^31 für das
Vorbrechen der Germanen namentlich auch gegen den Unterrhein ^32. Diese
Germanen sind die hier zuerst auftretenden Franken, allerdings
vielleicht nur dem Namen nach neue Gegner; denn obwohl die schon im
späteren Altertum begegnende Identifikation derselben mit früher am
Unterrhein genannten Völkerschaften, teils den neben den Bructerern
sitzenden Chamavern, teils den früher genannten, den Römern
untertänigen Sugambrern, unsicher und mindestens unzulänglich ist, so
hat es hier größere Wahrscheinlichkeit als bei den Alamannen, daß die
bisher von Rom abhängigen Germanen am rechten Rheinufer und die früher
vom Rhein abgedrängten germanischen Stämme damals unter dem Gesamtnamen
der “Freien” gemeinschaftlich die Offensive gegen die Römer ergriffen
haben. Solange Gallienus selbst am Rhein blieb, hielt er, trotz der
geringen, ihm zur Verfügung stehenden Streitkräfte, die Gegner
einigermaßen im Zaum, verhinderte sie am Überschreiten des Flusses oder
schlug die Eingedrungenen wieder hinaus, räumte auch wohl einem der
germanischen Führer einen Teil des begehrten Ufergebietes ein unter der
Bedingung, die römische Herrschaft anzuerkennen und seinen Besitz gegen
seine Landsleute zu verteidigen, was freilich schon fast auf eine
Kapitulation hinauskam. Aber als der Kaiser, abgerufen durch die noch
gefährlichere Lage der Dinge an der Donau, sich dorthin begab und in
Gallien als Repräsentanten seinen noch im Knabenalter stehenden älteren
Sohn zurückließ, ließ einer der Offiziere, denen er die Verteidigung
der Grenze und die Hut seines Sohnes anvertraut hatte, Marcus
Cassianius Latinius Postumus ^33, sich von seinen Leuten zum Kaiser
ausrufen und belagerte in Köln den Hüter des Kaisersohnes Silvanus. Es
gelang ihm, die Stadt einzunehmen und seinen früheren Kollegen sowie
den kaiserlichen Knaben in seine Gewalt zu bekommen, worauf er beide
hinrichten ließ. Aber während dieser Wirren brachen die Franken über
den Rhein und überschwemmten nicht bloß ganz Gallien, sondern drangen
auch in Spanien ein, ja plünderten selbst die afrikanische Küste. Bald
nachher, nachdem Valerians Gefangennahme durch die Perser das Maß des
Unheils voll gemacht hatte, ging in der oberrheinischen Provinz alles
römische Land auf dem linken Rheinufer verloren, ohne Zweifel an die
Alamannen, deren Einbruch in Italien in den letzten Jahren des
Gallienus diesen Verlust notwendig voraussetzt. Dieser ist der letzte
Kaiser, dessen Name auf rechtsrheinischen Denkmälern gefunden wird.
Seine Münzen feiern ihn wegen fünf großer Siege über die Germanen, und
nicht minder sind die seines Nachfolgers in der gallischen Herrschaft,
des Postumus, voll des Preises der deutschen Siege des Retters von
Gallien. Gallienus hatte in seinen früheren Jahren nicht ohne Energie
den Kampf am Rhein aufgenommen, und Postumus war sogar ein vorzüglicher
Offizier und wäre gern auch ein guter Regent gewesen. Aber bei der
Meisterlosigkeit, welche damals in dem römischen Staat oder vielmehr in
der römischen Armee waltete, nützte Talent und Tüchtigkeit des
Einzelnen weder ihm noch dem Gemeinwesen. Eine Reihe blühender
römischer Städte wurde damals von den einfallenden Barbaren ödegelegt,
und das rechte Rheinufer ging den Römern auf immer verloren.
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^31 Nicht bloß der ursächliche Zusammenhang, sondern selbst die
zeitliche Folge dieser wichtigen Vorgänge liegen im unklaren. Der
relativ beste Bericht bei Zosimus (hist. 1, 29) bezeichnet den
germanischen Krieg als die Ursache, weshalb Valerianus gleich bei
seiner Thronbesteigung 253 seinen Sohn zum Mitherrscher gleichen Rechts
gemacht habe; und den Titel Germanicus maximus führt Valerian schon im
Jahre 256 (CIL VIII, 2380; ebenso 259 CIL XI, 826), vielleicht sogar,
wenn der Münze Cohen n. 54 zu trauen ist, den Titel Germanicus maximus
ter.
^32 Daß die Germanen, gegen die Gallienus zu streiten hatte, wenigstens
hauptsächlich am Unterrhein zu suchen sind, zeigt die Residenz seines
Sohnes in Agrippina, wo er doch nur als nomineller Repräsentant des
Vaters zurückgeblieben sein kann. Auch der Biograph (c. 8) nennt die
Franken.
^33 Von dem Grade der Geschichtsfälschung, welche in einem Teil der
Kaiserbiographien herrscht, macht man sich schwer eine Vorstellung; es
wird nicht unnütz sein, hier an dem Bericht über Postumus dies
beispielsweise zu zeigen. Er heißt hier (freilich in einer Einlage)
Iulius Postumus (tyr. 6), auf den Münzen und Inschriften al. Cassianius
Latinius Postumus, im epitomierten Victor 32 Cassius Labienus Postemus.
Er regiert sieben Jahre (Gall. 4; tyr. 3 und 5); Münzen nennen seine
tr. p. X, und zehn Jahre gibt ihm Eutropius (9, 10).
Sein Gegner heißt Lollianus, nach den Münzen Ulpius Cornelias
Laelianus, Laelianus bei Eutropius (9, 9; nach der einen
Handschriftenklasse, während die andere der Interpolation der
Biographen folgt) und bei Victor (c. 33), Aelianus in der
Victorianischen Epitome.
Postumus und Victorinus herrschen nach dem Biographen gemeinschaftlich;
aber es gibt keine beiden gemeinschaftliche Münzen, und somit
bestätigen diese den Bericht bei Victor und Eutropius, daß Victorinus
der Nachfolger des Postumus gewesen ist.
Es ist eine Besonderheit dieser Kategorie von Fälschungen, daß sie in
den eingelegten Urkunden gipfeln. Das Kölner Epitaphium der beiden
Victorinus (tyr. 7): hic duo Victorini tyranni(!) siti sunt kritisiert
sich selbst. Das angebliche Patent Valerians (tyr. 3), womit dieser den
Galliern die Ernennung des Postumus mitteilt, rühmt nicht bloß
prophetisch des Postumus Herrschergaben, sondern nennt auch
verschiedene unmögliche Ämter: einen Transrhenani limitis dux et
Galliae praeses hat es zu keiner Zeit gegeben und kann Postumus αρχήν
εν Κέλτοίς στρατιωτών εμπεπιστευμένος ;Zos. hist. 1, 38) nur praeses
einer der beiden Germanien oder, wenn sein Kommando ein
außerordentliches war, dux per Germanias gewesen sein. Ebenso unmöglich
ist in derselben Quasi-Urkunde der tribunatus Vocontiorum des Sohnes,
eine offenbare Nachbildung der Tribunate, wie sie in der Notitia
dignitatum aus der Zeit des Honorius auftreten.
Gegen Postumus und Victorinus, unter denen die Gallier und die Franken
fechten, zieht Gallienus mit Aureolus, später seinem Gegner, und dem
späteren Kaiser Claudius; er selbst wird durch einen Pfeilschuß
verwundet, siegt aber, ohne daß durch den Sieg sich etwas ändert. Von
diesem Kriege wissen die anderen Berichte nichts. Postumus fällt in dem
von dem sogenannten Lollianus angezettelten Militäraufstand, während
nach dem Bericht bei Victor und Eutropius Postumus dieser Mainzer
Insurrektion Herr wird, aber dann die Soldaten ihn erschlagen, weil er
ihnen Mainz nicht zur Plünderung überliefern will. Über die Erhebung
des Postumus steht neben der im wesentlichen mit der gewöhnlichen
übereinstimmenden Erzählung, daß Postumus den seiner Hut anvertrauten
Sohn des Gallienus treulos beseitigt habe, eine andere, offenbar als
Rettung erfundene, wonach das Volk in Gallien dies tat und dann dem
Postumus die Krone antrug. Die enkomiastische Tendenz für den, der
Gallien das Schicksal der Donauländer und Asiens erspart und es vor den
Germanen gerettet habe, tritt hier und überall (am offenbarsten tyr. 5)
zutage; womit denn zusammenhängt, daß dieser Bericht den Verlust des
rechten Rheinufers und die Züge der Franken nach Gallien, Spanien und
Afrika nicht kennt. Bezeichnend ist noch, daß der angebliche Stammvater
des konstantinischen Hauses auch hier mit einer ehrenvollen Nebenrolle
bedacht wird. Diese nicht zerrüttete, sondern durchgefälschte Erzählung
wird völlig beseitigt werden müssen; die Berichte einerseits bei
Zosimus, andererseits der aus einer gemeinschaftlichen Quelle
schöpfenden Lateiner Victor und Eutropius, kurz und zerrüttet wie sie
sind, können allein in Betracht kommen.
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Die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Gallien hing zunächst ab
von dem Zusammenhalten des Reichs überhaupt; solange die italischen
Kaiser ihre Truppen in der Narbonensis aufstellten, um den gallischen
Rivalen zu beseitigen und dieser wieder Miene machte, die Alpen zu
überschreiten, war eine wirksame Operation gegen die Germanen von
selber ausgeschlossen. Erst nachdem um das Jahr 272 ^34 der damalige
Herrscher Galliens, Tetricus, seiner undankbaren Rolle müde, selbst
dazu getan hatte, daß seine Truppen sich dem vom römischen Senat
anerkannten Kaiser Aurelianus unterwarfen, konnte wieder daran gedacht
werden, den Germanen zu wehren. Den Zügen der Alamannen, die fast ein
Jahrzehnt hindurch das obere Italien bis nach Ravenna hinab heimgesucht
hatten, setzte derselbe tüchtige Herrscher, der Gallien wieder zum
Reich gebracht hatte, für lange Zeit ein Ziel und schlug an der oberen
Donau nachdrücklich einen ihrer Stämme, die Juthungen. Hätte sein
Regiment Dauer gehabt, so würde er wohl auch in Gallien den Grenzschutz
erneuert haben; nach seinem baldigen und jähen Ende (275) überschritten
die Germanen abermals den Rhein und verheerten weit und breit das Land.
Sein Nachfolger Probus (seit 276), auch ein tüchtiger Soldat, warf sie
nicht bloß wieder hinaus - siebzig Städte soll er ihnen abgenommen
haben -, sondern ging auch wieder angreifend vor, überschritt den Rhein
und trieb die Deutschen über den Neckar zurück; aber die Linien der
früheren Zeit erneuerte er nicht ^35, sondern begnügte sich, an den
wichtigeren Rheinpositionen Brückenköpfe auf dem anderen Ufer
einzurichten und zu besetzen - das heißt, er kam etwa auf die
Einrichtungen zurück, wie sie hier vor Vespasian bestanden hatten.
Gleichzeitig wurden durch seine Feldherren in der nördlichen Provinz
die Franken niedergeschlagen. Große Massen der überwundenen Germanen
wurden als gezwungene Ansiedler nach Gallien und vor allem nach
Britannien gesandt. In dieser Weise wurde die Rheingrenze wieder
gewonnen und auf das spätere Kaiserreich übertragen. Freilich war wie
die Herrschaft am rechten Rheinufer so auch der Friede am linken
unwiderbringlich dahin. Drohend standen die Alamannen gegenüber Basel
und Straßburg, die Franken gegenüber Köln. Daneben melden sich andere
Stämme. Daß auch die Burgundionen, einst jenseits der Elbe seßhaft,
westwärts vorrückend bis an den oberen Main, Gallien bedrohen, davon
ist zuerst unter Kaiser Probus die Rede; wenige Jahre später beginnen
die Sachsen in Gemeinschaft mit den Franken ihre Angriffe zur See auf
die gallische Nordküste wie auf das römische Britannien. Aber unter den
größtenteils tüchtigen und fähigen Kaisern des
Diocletianisch-Konstantinischen Hauses und noch unter den nächsten
Nachfolgern hielt der Römer die drohende Völkerflut in gemessenen
Schranken.
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^34 Postumus Herrschaft dauerte zehn Jahre. Daß im Jahre 259 der ältere
Sohn des Gallienus bereits tot war, lehrt die Inschrift von Modena CIL
XI, 826; also fällt Postumus Abfall sicher in oder vor dieses Jahr. Da
die Gefangennahme des Tetricus nicht wohl später als 272, unmittelbar
nach der zweiten Expedition gegen Zenobia, angesetzt werden kann und
die drei gallischen Herrscher Postumus zehn, Victorinus zwei (Eutr. 9,
9), Tetricus zwei (Aur. Vict. Caes. 35) Jahre regiert haben, so bringt
dies Postumus Abfall etwa auf 259; doch sind dergleichen Zahlen häufig
etwas verschoben. Wenn die Dauer der Germanenzüge in Spanien unter
Gallienus auf zwölf Jahre bestimmt wird (Oros. hist. 7, 41, 2), so
scheint dies nach der Hieronymischen Chronik oberflächlich berechnet zu
sein. Die üblichen genauen Zahlen sind unbeglaubigt und täuschend.
^35 Nach dem Biographen (c. 14, 15) hat Probus die Germanen des rechten
Rheinufers in Abhängigkeit gebracht, so daß sie den Römern
tributpflichtig sind und die Grenze für sie verteidigen (omnes iam
barbari vobis arant, vobis iam serviunt et contra interiores gentes
militant); das Recht der Waffenführung wird ihnen vorläufig gelassen,
aber daran gedacht, bei weiteren Erfolgen die Grenze vorzuschieben und
eine Provinz Germanien einzurichten. Auch als freie Phantasien eines
Römers des vierten Jahrhunderts - mehr ist es nicht - haben diese
Äußerungen ein gewisses Interesse.
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Die Germanen in ihrer nationalen Entwicklung darzustellen, ist nicht
die Aufgabe des Geschichtschreibers der Römer; für ihn erscheinen sie
nur hemmend oder auch zerstörend. Eine Durchdringung der beiden
Nationalitäten und eine daraus hervorgehende Mischkultur, wie das
romanisierte Keltenland, hat das römische Germanien nicht aufzuweisen
oder sie fällt für unsere Auffassung mit der römisch-gallischen um so
mehr zusammen, als die längere Zeit in römischem Besitz gebliebenen
germanischen Gebiete auf dem linken Rheinufer durchaus mit keltischen
Elementen durchsetzt waren und auch die auf dem rechten, ihrer
ursprünglichen Bevölkerung größtenteils beraubt, die Mehrzahl der neuen
Ansiedler aus Gallien erhielten. Dem germanischen Element fehlten die
kommunalen Zentren, wie sie das Keltentum zahlreich besaß. Teils
deswegen, teils infolge äußerer Umstände konnte, wie schon
hervorgehoben worden ist, in dem germanischen Osten das römische
Element sich eher und voller entwickeln als in den keltischen Gegenden.
Von wesentlichstem Einfluß darauf sind die Heerlager der Rheinarmee
geworden, die alle auf das römische Germanien fallen. Die größeren
derselben erhielten teils durch die Handelsleute, die dem Heere sich
anschlossen, teils und vor allem durch die Veteranen, die in ihren
gewohnten Quartieren auch nach der Entlassung verblieben, einen
städtischen Anhang, eine von den eigentlichen Militärquartieren
gesonderte Budenstadt (canabae); überall und namentlich in Germanien
sind aus diesen bei den Legionslagern und besonders den Hauptquartieren
mit der Zeit eigentliche Städte erwachsen. An der Spitze steht die
römische Ubierstadt, ursprünglich das zweitgrößte Lager der
niederrheinischen Armee, dann seit dem Jahre 50 römische Kolonie und
von bedeutendster Wirksamkeit für die Hebung der römischen Zivilisation
im Rheinland. Hier wich die Lagerstadt der römischen Pflanzstadt;
späterhin erhielten, ohne Verlegung der Truppen, Stadtrecht die zu den
beiden großen unterrheinischen Lagern gehörenden Ansiedlungen Ulpia
Noviomagus im Bataverland und Ulpia Traiana bei Vetera durch Traianus,
im dritten Jahrhundert die Militärhauptstadt Obergermaniens
Mogontiacum. Freilich haben diese Zivilstädte neben den davon
unabhängigen militärischen Verwaltungszentren immer eine untergeordnete
Stellung behalten.
Blicken wir über die Grenze hinüber, wo diese Erzählung abschließt, so
begegnet uns allerdings anstatt der Romanisierung der Germanen
gewissermaßen eine Germanisierung der Romanen. Die letzte Phase des
römischen Staats ist bezeichnet durch dessen Barbarisierung und
speziell dessen Germanisierung; und die Anfänge reichen weiter zurück.
Sie beginnt mit der Bauernschaft in dem Kolonat, geht weiter zu der
Truppe, wie Kaiser Severus sie gestaltete, erfaßt dann die Offiziere
und Beamte und endigt mit den römisch-germanischen Mischstaaten der
Westgoten in Spanien und Gallien, der Vandalen in Afrika, vor allem dem
Italien Theoderichs. Für das Verständnis dieser letzten Phase bedarf es
allerdings der Einsicht in die staatliche Entwicklung der einen wie der
anderen Nation. Freilich steht in dieser Beziehung die germanische
Forschung sehr im Nachteil. Die staatlichen Einrichtungen, in welche
diese Germanen dienend oder mitherrschend eintraten, sind wohlbekannt,
weit besser als die pragmatische Geschichte der gleichen Epoche; aber
über den germanischen Anfängen liegt ein Dunkel, mit dem verglichen die
Anfänge von Rom und von Hellas lichte Klarheit sind. Während die
nationale Gottesverehrung der antiken Welt relativ erkennbar ist, ist
die Kunde des deutschen Heidentums, vom fernen Norden abgesehen, vor
der historischen Zeit untergegangen. Die Anfänge der staatlichen
Entwicklung der Germanen schildert uns teils die schillernde und in der
Gedankenschablone des sinkenden Altertums befangene, die eigentlich
entscheidenden Momente nur zu oft auslassende Darstellung des Tacitus,
teils müssen wir sie den auf ehemals römischem Boden entstandenen,
überall mit römischen Elementen durchsetzten Zwitterstaaten entnehmen.
Wie die germanischen Worte hier überall fehlen und wir fast
ausschließlich auf lateinische, notwendig inadäquate Bezeichnungen
angewiesen sind, so versagen auch durchgängig die scharfen
Grundanschauungen, derer unsere Kunde des klassischen Altertums nicht
entbehrt. Es gehört zur Signatur unserer Nation, daß es ihr versagt
geblieben ist, sich aus sich selbst zu entwickeln; und dazu gehört es
mit, daß deutsche Wissenschaft vielleicht weniger vergeblich bemüht
gewesen ist, die Anfänge und die Eigenart anderer Nationen zu erkennen
als die der eigenen.
KAPITEL V.
Britannien
Siebenundneunzig Jahre waren vergangen, seitdem römische Truppen das
große Inselland im nordwestlichen Ozean betreten und unterworfen und
wiederum verlassen hatten, bevor die römische Regierung sich entschloß,
die Fahrt zu wiederholen und Britannien bleibend zu besetzen.
Allerdings war Caesars britannische Expedition nicht bloß, wie seine
Züge gegen die Germanen, ein defensiver Vorstoß gewesen. So weit sein
Arm reichte, hatte er die einzelnen Völkerschaften reichsuntertänig
gemacht und ihre Jahresabgabe an das Reich hier wie in Gallien
geordnet. Auch die führende Völkerschaft, welche durch ihre bevorzugte
Stellung fest an Rom geknüpft und somit der Stützpunkt der römischen
Herrschaft werden sollte, war gefunden: die Trinovanten (Essex) sollten
auf der keltischen Insel dieselbe, mehr vorteilhafte als ehrenvolle
Rolle übernehmen wie auf dem gallischen Kontinent die Häduer und die
Reiner. Die blutige Fehde zwischen dem Fürsten Cassivellaunus und dem
Fürstenhaus von Camalodunum (Colchester) hatte unmittelbar die römische
Invasion herbeigeführt; dieses wieder einzusetzen, war Caesar gelandet,
und der Zweck ward für den Augenblick erreicht. Ohne Zweifel hat Caesar
sich nie darüber getäuscht, daß jene Tribute ebenso wie diese
Schutzherrschaft zunächst nur Worte waren; aber diese Worte waren ein
Programm, das die bleibende Besetzung der Insel durch römische Truppen
herbeiführen maßte und herbeiführen sollte.
Caesar selbst kam nicht dazu, die Verhältnisse der unterworfenen Insel
bleibend zu ordnen; und für seine Nachfolger war Britannien eine
Verlegenheit. Die reichsuntertänig gewordenen Briten entrichteten den
schuldigen Tribut gewiß nicht lange, vielleicht überhaupt niemals; das
Protektorat über die Dynastie von Camalodunum wird noch weniger
respektiert worden sein und hatte lediglich zur Folge, daß Fürsten und
Prinzen dieses Hauses wieder und wieder in Rom erschienen und die
Intervention der römischen Regierung gegen Nachbarn und Rivalen
anriefen - so kam König Dubnovellaunus, wahrscheinlich der Nachfolger
des von Caesar bestätigten Trinovantenfürsten, als Flüchtling nach Rom
zu Kaiser Augustas, so später einer der Prinzen desselben Hauses zu
Kaiser Gaius ^1.
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^1 Allem Anschein nach sind die politischen Relationen zwischen Rom und
Britannien in der Zeit vor der Eroberung wesentlich auf das von Caesar
wiederhergestellte und garantierte (Gall. 5, 22) Fürstentum der
Trinovanten zu beziehen. Daß König Dubnovellaunus, der nebst einem
anderen ganz unbekannten Britannerfürsten bei Augustas Schutz suchte,
hauptsächlich in Essex herrschte, zeigen seine Münzen (mein Monumentum
Ancyranum. 2. Aufl. 1883, S. 138f.). Die britannischen Fürsten, die den
Augustus beschickten und seine Oberherrschaft anerkannten (denn so
scheint Strab. 4, 5, 3, p. 200 gefaßt werden zu müssen; vgl. Tac. ann.
2, 24), haben wir auch zunächst dort zu suchen. Cunobelinus, nach den
Münzen der Sohn des Königs Tasciovanus, von dem die Geschichte
schweigt, gestorben, wie es scheint, bejahrt, zwischen 40 und 43, im
Regiment also wahrscheinlich dem späteren des Augustus und denen des
Tiberius und Gaius parallel gehend, residierte in Camalodunum (Dio 60,
21); um ihn und um seine Söhne dreht sich die Vorgeschichte der
Invasion. Wohin Bericus, der zum Claudias kam (Dio 60, 19), gehört,
wissen wir nicht, und es mögen auch andere brittische Dynasten dem
Beispiel derer von Colchester gefolgt sein; aber an der Spitze stehen
diese.
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In der Tat war die Expedition nach Britannien ein notwendiger Teil der
Caesarischen Erbschaft; es hatte auch schon während der Zweiherrschaft
Caesar der Sohn zu einer solchen einen Anlauf genommen und nur davon
abgesehen wegen der dringenderen Notwendigkeit, in Illyricum Ruhe zu
schaffen, oder auch wegen des gespannten Verhältnisses zu Antonius, das
zunächst den Parthern sowohl wie den Britannern zustatten kam. Die
höfischen Poeten aus Augustus’ früheren Jahren haben die britannische
Eroberung vielfach antizipierend gefeiert; das Programm Caesars also
nahm der Nachfolger an und auf. Als dann die Monarchie feststand,
erwartete ganz Rom, daß der Beendigung des Bürgerkrieges die
britannische Expedition auf dem Fuße folgen werde; die Klagen der
Poeten über den schrecklichen Hader, ohne welchen längst die Britanner
im Siegeszug zum Kapitol geführt worden wären, verwandelten sich in die
stolze Hoffnung auf die neu zum Reich hinzutretende Provinz Britannien.
Die Expedition wurde auch zu wiederholten Malen angekündigt (727, 728
27, 26); dennoch stand Augustus, ohne das Unternehmen förmlich
fallenzulassen, bald von der Durchführung ab, und Tiberius hielt,
seiner Maxime getreu, auch in dieser Frage an dem System des Vaters
fest ^2. Die nichtigen Gedanken des letzten Julischen Kaisers
schweiften wohl auch über den Ozean hinüber; aber ernste Dinge
vermochte er nicht einmal zu planen. Erst die Regierung des Claudius
nahm den Plan des Diktators wieder auf und führte ihn durch.
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^2 Tac. Agr. 13: consilium id divus Augustas vocabat, Tiberius
praeceptum.
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Welche Motive nach der einen wie nach der andern Seite hin bestimmend
waren, läßt sich teilweise wenigstens erkennen. Augustus selbst hat
geltend gemacht, daß die Besetzung der Insel militärisch nicht nötig
sei, da ihre Bewohner nicht imstande seien, die Römer auf dem Kontinent
zu belästigen, und für die Finanzen nicht vorteilhaft; was aus
Britannien zu ziehen sei, fließe in Form des Einfuhr- und Ausfuhrzolles
der gallischen Häfen in die Kasse des Reiches; als Besatzung werde
wenigstens eine Legion und etwas Reiterei erforderlich sein und nach
Abzug der Kosten derselben von den Tributen der Insel nicht viel übrig
bleiben ^3. Dies alles war unbestreitbar richtig, ja noch keineswegs
genug; die Erfahrung erwies später, daß eine Legion bei weitem nicht
ausreichte, um die Insel zu halten. Hinzuzunehmen ist, was die
Regierung zu sagen allerdings keine Veranlassung hatte, daß bei der
Schwäche des römischen Heeres, wie sie durch die innere Politik Augusts
einmal herbeigeführt war, es sehr bedenklich erscheinen mußte, einen
erheblichen Bruchteil desselben ein für allemal auf eine ferne Insel
des Nordmeers zu bannen. Man hatte vermutlich nur die Wahl, von
Britannien abzusehen oder deswegen das Heer zu vermehren; und bei
Augustus hat die Rücksicht auf die innere Politik stets die auf die
äußere überwogen.
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^3 Die Auseinandersetzung bei Strabon (2, 5, 8, p. 115; 4, 5, 3, p.
200) gibt offenbar die gouvernementale Version. Daß nach Einziehung der
Insel der freie Verkehr und damit der Ertrag der Zölle sinken werde,
muß wohl als Eingeständnis des Satzes genommen werden, daß die römische
Herrschaft und die römischen Tribute den Wohlstand der Untertanen
herabdrückten.
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Aber dennoch muß die Überzeugung von der Notwendigkeit der Unterwerfung
Britanniens bei den römischen Staatsmännern vorgewogen haben. Caesars
Verhalten würde unbegreiflich sein, wenn man sie nicht bei ihm
voraussetzt. Augustus hat das von Caesar gesteckte Ziel trotz seiner
Unbequemlichkeit zuerst förmlich anerkannt und niemals förmlich
verleugnet. Gerade die weitsichtigsten und folgerichtigsten
Regierungen, die des Claudius, des Nero, des Domitian, haben zu der
Eroberung Britanniens den Grund gelegt oder sie erweitert; und sie ist,
nachdem sie erfolgt war, nie betrachtet worden wie etwa die Traianische
von Dakien und Mesopotamien. Wenn die sonst so gut wie unverbrüchlich
festgehaltene Regierungsmaxime, daß das Römische Reich seine Grenzen
nur zu erfüllen, nicht aber auszudehnen habe, allein in betreff
Britanniens dauernd beiseite gesetzt worden ist, so liegt die Ursache
darin, daß die Kelten so, wie Roms Interesse es erheischte, auf dem
Kontinent allein nicht unterworfen werden konnten. Diese Nation war
allem Anschein nach durch den schmalen Meeresarm, der England und
Frankreich trennt, mehr verbunden als geschieden; dieselben Völkernamen
begegnen hüben und drüben; die Grenzen der einzelnen Staaten griffen
öfter über den Kanal hinüber; der Hauptsitz des hier mehr wie irgendwo
sonst das ganze Volkstum durchdringenden Priestertums waren von jeher
die Inseln der Nordsee. Den römischen Legionen das Festland Galliens zu
entreißen, vermochten diese Insulaner freilich nicht; aber wenn der
Eroberer Galliens selbst, und weiter die römische Regierung in Gallien
andere Zwecke verfolgte als in Syrien und Ägypten, wenn die Kelten der
italischen Nation angegliedert werden sollten, so war diese Aufgabe
wohl unausführbar, solange das unterworfene und das freie Keltengebiet
über das Meer hin sich berührten und der Römerfeind wie der römische
Deserteur in Britannien eine Freistatt fand ^4. Zunächst genügte dafür
schon die Unterwerfung der Südküste, obwohl die Wirkung natürlich sich
steigerte, je weiter das freie Keltengebiet zurückgeschoben ward.
Claudius’ besondere Rücksicht auf seine gallische Heimat und seine
Kenntnis gallischer Verhältnisse mag auch hierbei mit im Spiel gewesen
sein ^5. Den Anlaß zum Kriege gab, daß eben dasjenige Fürstentum,
welches von Rom in einer gewissen Abhängigkeit stand, unter der Führung
seines Königs Cunobelinus - es ist dies Shakespeares Cymbeline - seine
Herrschaft weit ausbreitete ^6 und sich von der römischen
Schutzherrschaft emanzipierte. Einer der Söhne desselben, Adminius, der
gegen den Vater sich aufgelehnt hatte, kam schutzbegehrend zum Kaiser
Gaius, und darüber, daß dessen Nachfolger sich weigerte, dem britischen
Herrscher diese seine Untertanen auszuliefern, entspann sich der Krieg
zunächst gegen den Vater und die Brüder dieses Adminius. Der
eigentliche Grund desselben freilich war der unerläßliche Abschluß der
Unterwerfung einer bisher nur halb besiegten, eng zusammenhaltenden
Nation.
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^4 Als Ursache des Krieges gibt Sueton (Claud. 17) an: Britanniam tunc
tumultuantem ob non redditos transfugas; was O. Hirschfeld mit Recht in
Verbindung bringt mit Gai. 44: Adminio Cunobellini Britannorum regis
filio, qui pulsus a patre cum exigua mani transfugerat, in deditionem
recepto. Mit dem tumultuari werden wohl wenigstens beabsichtigte
Plünderfahrten nach der gallischen Küste gemeint sein. Um den Bericus
(Dio 60, 19) ist der Krieg gewiß nicht geführt worden.
^5 Ebenso war Mona nachher receptaculum perfugarum (Tac. ann. 14, 29).
^6 Tac. ann. 12, 37: pluribus gentibus imperitantem.
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Daß die Besetzung Britanniens nicht erfolgen könne ohne gleichzeitige
Vermehrung des stehenden Heeres, war auch die Ansicht derjenigen
Staatsmänner, die sie veranlaßten; es wurden drei der Rhein-, eine der
Donaulegionen dazu bestimmt ^7, gleichzeitig aber zwei neu errichtete
Legionen den germanischen Heeren zugeteilt. Zum Führer dieser
Expedition und zugleich zum ersten Statthalter der Provinz wurde ein
tüchtiger Soldat, Aulus Plautius, ausersehen; sie ging im Jahre 43 nach
der Insel ab. Die Soldaten zeigten sich schwierig, wohl mehr wegen der
Verbannung auf die ferne Insel als aus Furcht vor dem Feinde. Einer der
leitenden Männer, vielleicht die Seele des Unternehmens, der
kaiserliche Kabinettssekretär Narcissus, wollte ihnen Mut einsprechen -
sie ließen den Sklaven vor höhnendem Zuruf nicht zu Worte kommen, aber
taten, wie er wollte, und schifften sich ein.
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^7 Die drei Legionen vom Rhein sind die 2. Augusta, die 14. und die
20.; aus Pannonien kam die 9. spanische. Dieselben vier Legionen
standen dort noch zu Anfang der Regierung Vespasians; dieser rief die
14. ab zum Kriege gegen Civilis, und diese kam nicht zurück, dafür aber
wahrscheinlich die 2. adiutrix. Diese ist vermutlich unter Domitian
nach Pannonien verlegt, unter Hadrian die 9. aufgelöst und durch die 6.
victrix ersetzt worden. Die beiden anderen Legionen, 2. Augusta und
20., haben vom Anfang bis zum Ende der Römerherrschaft in England
gestanden.
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Besondere Schwierigkeit hatte die Besetzung der Insel nicht. Die
Eingeborenen standen politisch wie militärisch auf derselben niedrigen
Entwicklungsstufe, welche Caesar auf der Insel vorgefunden hatte.
Könige oder Königinnen regierten in den einzelnen Gauen, die kein
äußeres Band zusammenschloß und die in ewiger Fehde miteinander lagen.
Die Mannschaften waren wohl von ausdauernder Körperkraft und von
todesverachtender Tapferkeit und namentlich tüchtige Reiter. Aber der
homerische Streitwagen, der hier noch eine Wirklichkeit war und auf dem
die Fürsten des Landes selber die Zügel führten, hielt den
geschlossenen römischen Reiterschwadronen ebensowenig stand, wie der
Infanterist ohne Panzer und Helm, nur durch den kleinen Schild
verteidigt, mit seinem kurzen Wurfspieß und seinem breiten Schwert im
Nahkampf dem kurzen römischen Messer gewachsen war oder gar dem
schweren Pilum des Legionärs und dem Schleuderblei und dem Pfeil der
leichten römischen Truppen. Der Heermasse von etwa 40000 wohlgeschulten
Soldaten hatten die Eingeborenen überall keine entsprechende Abwehr
entgegenzustellen. Die Ausschiffung traf nicht einmal auf Widerstand;
die Briten hatten Kunde von der schwierigen Stimmung der Truppen und
die Landung nicht mehr erwartet. König Cunobelinus war kurz vorher
gestorben; die Gegenwehr führten seine beiden Söhne, Caratacus und
Togodumnus. Der Marsch des Invasionsheeres ward sofort auf Camalodunum
gerichtet ^8 und in raschem Siegeslauf gelangte es bis an die Themse;
hier wurde Halt gemacht, vielleicht hauptsächlich, um dem Kaiser die
Gelegenheit zu geben, den leichten Lorbeer persönlich zu pflücken.
Sobald er eintraf, ward der Fluß überschritten, das britische Aufgebot
geschlagen, wobei Togodumnus den Tod fand, Camalodunum selber genommen.
Wohl setzte der Bruder Caratacus den Widerstand hartnäckig fort und
gewann sich, siegend oder geschlagen, einen stolzen Namen bei Freund
und Feind; aber das Vorschreiten der Römer war dennoch unaufhaltsam.
Ein Fürst nach dem andern ward geschlagen und abgesetzt - elf britische
Könige nennt der Ehrenbogen des Claudius als von ihm besiegt; und was
den römischen Waffen nicht erlag, das ergab sich den römischen Spenden.
Zahlreiche vornehme Männer nahmen die Besitzungen an, die auf Kosten
ihrer Landsleute der Kaiser ihnen verlieh; auch manche Könige fügten
sich in die bescheidene Lehnsstellung, wie denn der der Regner
(Chichester), Cogidumnus, und der der Icener (Norfolk), Prasutagus,
eine Reihe von Jahren als Lehnsfürsten die Herrschaft geführt haben.
Aber in den meisten Distrikten der bis dahin durchgängig monarchisch
regierten Insel führten die Eroberer ihre Gemeindeverfassung ein und
gaben, was noch zu verwalten blieb, den örtlichen Vornehmen in die
Hand; was denn freilich schlimme Parteiungen und innere Zerwürfnisse im
Gefolge hatte. Noch unter dem ersten Statthalter scheint das gesamte
Flachland bis etwa zum Humber hinauf in römische Gewalt gekommen zu
sein; die Icener zum Beispiel haben bereits ihm sich ergeben. Aber
nicht bloß mit dem Schwert bahnten die Römer sich den Weg. Unmittelbar
nach der Einnahme wurden nach Camalodunum Veteranen geführt und die
erste Stadt römischer Ordnung und römischen Bürgerrechts, die
“Claudische Siegeskolonie”, in Britannien gegründet, bestimmt zur
Landeshauptstadt. Unmittelbar nachher begann auch die Ausbeutung der
britannischen Bergwerke, namentlich der ergiebigen Bleigruben; es gibt
britannische Bleibarren aus dem sechsten Jahre nach der Invasion.
Offenbar hat in gleicher Schleunigkeit der Strom römischer Kaufleute
und Industrieller sich über das neu geschlossene Gebiet ergossen; wenn
Camalodunum römische Kolonisten empfing, so bildeten anderswo im Süden
der Insel, namentlich an den warmen Quellen der Sulis (Bath), in
Verulamium (St. Albans, nordwestlich von London) und vor allem in dem
natürlichen Emporium des Großverkehrs, in Londinium an der
Themsemündung, bloß infolge des freien Verkehrs und der Einwanderung
sich römische Ortschaften, die bald auch formell städtische
Organisation erhielten. Die vordringende Fremdherrschaft machte nicht
bloß in den neuen Abgaben und Aushebungen, sondern vielleicht mehr noch
in Handel und Gewerbe überall sich geltend. Als Plautius nach
vierjähriger Verwaltung abberufen ward, zog er, der letzte Private, der
zu solcher Ehre gelangt ist, triumphierend in Rom ein, und Ehren und
Orden strömten herab auf die Offiziere und Soldaten der siegreichen
Legionen; dem Kaiser wurden in Rom und danach in anderen Städten
Triumphbogen errichtet wegen des “ohne irgendwelche Verluste”
errungenen Sieges; der kurz vor der Invasion geborene Kronprinz erhielt
anstatt des großväterlichen den Namen Britannicus. Man wird hierin die
unmilitärische, der Siege mit Verlust entwöhnte Zeit und die der
politischen Altersschwäche angemessene Überschwenglichkeit erkennen
dürfen; aber wenn die Invasion Britanniens vom militärischen Standpunkt
aus nicht viel bedeuten will, so muß doch den leitenden Männern das
Zeugnis gegeben werden, daß sie das Werk in energischer und
folgerichtiger Weise angriffen und die peinliche und gefahrvolle Zeit
des Übergangs von der Unabhängigkeit zur Fremdherrschaft in Britannien
eine ungewöhnlich kurze war.
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^8 Die nur auf bedenkliche Emendationen gestützte Identifikation der
Boduner und Catuellaner bei Dio 60, 20 mit Völkerschaften ähnlichen
Namens bei Ptolemaeos kann nicht richtig sein; diese ersten Kämpfe
müssen zwischen der Küste und der Themse stattgefunden haben.
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Nach dem ersten raschen Erfolg freilich entwickelten auch hier sich die
Schwierigkeiten und selbst die Gefahren, welche die Besetzung der Insel
nicht bloß den Eroberten brachte, sondern auch den Eroberern.
Des Flachlandes war man Herr, aber nicht der Berge noch des Meeres. Vor
allem der Westen machte den Römern zu schaffen. Zwar im äußersten
Südwest, im heutigen Cornwall, hielt sich das alte Volkstum wohl mehr,
weil die Eroberer sich um diese entlegene Ecke wenig kümmerten, als
weil es geradezu sich gegen sie auflehnte. Aber die Siluren im Süden
des heutigen Wales und ihre nördlichen Nachbarn, die Ordoviker,
trotzten beharrlich den römischen Waffen; die den letzteren anliegende
Insel Mona (Anglesey) war der rechte Herd der nationalen und religiösen
Gegenwehr. Nicht die Bodenverhältnisse allein hemmten das Vordringen
der Römer; was Britannien für Gallien gewesen, das war jetzt für
Britannien, und insbesondere für diese Westküste, die große Insel
Ivernia; die Freiheit drüben ließ die Fremdherrschaft hüben nicht feste
Wurzel fassen. Deutlich erkennt man an der Anlegung der Legionslager,
daß die Invasion hier zum Stehen kam. Unter Plautius’ Nachfolger wurde
das Lager für die vierzehnte Legion am Einfluß des Tern in den Severn
bei Viroconium (Wroxeter, unweit Shrewsbury ^9) angelegt, vermutlich um
dieselbe Zeit südlich davon das von Isca (Caerleon = castra legionis)
für die zweite, nördlich das von Deva (Chester = castra) für die
zwanzigste; diese drei Lager schlossen das walisische Gebiet ab gegen
Süden, Norden und Westen und schützten also das befriedete Land gegen
das frei gebliebene Gebirge. Dorthin warf sich, nachdem seine Heimat
römisch geworden war, der letzte Fürst von Camalodunum, Caratacus. Er
wurde von dem Nachfolger des Plautius, Publius Ostorius Scapula, im
Ordovikergebiet geschlagen und bald darauf von den geschreckten
Briganten, zu denen er geflüchtet war, den Römern ausgeliefert (51) und
mit all den Seinen nach Italien geführt. Verwundert fragte er, als er
die stolze Stadt sah, wie es die Herren solcher Paläste nach den armen
Hütten seiner Heimat verlangen könne. Aber damit war der Westen
keineswegs bezwungen; die Siluren vor allem verharrten in hartnäckiger
Gegenwehr, und daß der römische Feldherr ankündigte, sie bis auf den
letzten Mann ausrotten zu wollen, trug auch nicht dazu bei, sie
fügsamer zu machen. Der unternehmende Statthalter Gaius Suetonius
Paullinus versuchte einige Jahre später (61), den Hauptsitz des
Widerstandes, die Insel Mona, in römische Gewalt zu bringen, und trotz
der wütenden Gegenwehr, welche ihn hier empfing und in der die Priester
und die Weiber vorangingen, fielen die heiligen Bäume, unter denen
mancher römische Gefangene geblutet hatte, unter den Äxten der
Legionäre. Aber aus der Besetzung dieses letzten Asyls der keltischen
Priesterschaft entwickelte sich eine gefährliche Krise in dem
unterworfenen Gebiete selbst, und die Eroberung Monas zu vollenden, war
dem Statthalter nicht beschieden.
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^9 Tac. ann. 12, 31: (P. Ostorius) cuncta castris ad . . . ntonam
(überliefert ist castris antonam) et Sabrinam fluvios cohibere parat.
So ist hier herzustellen, nur daß der sonst nicht überlieferte Name des
Flusses Tern nicht ergänzt werden kann. Die einzigen in England
gefundenen Inschriften von Soldaten der 14. Legion, die unter Nero
England verließ, sind in Wroxeter, dem sogenannten “englischen Pompeii”
zum Vorschein gekommen. Da dort sich auch die Grabschrift eines
Soldaten der 20. gefunden hat, war das von Tacitus bezeichnete Lager
vielleicht anfänglich beiden Legionen gemeinsam und ist die 20. erst
später nach Deva gekommen. Daß das Lager bei Isca gleich nach der
Invasion angelegt ward, geht aus Tac. ann. 12, 32 u. 38 hervor.
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Auch in Britannien hatte die Fremdherrschaft die Probe der nationalen
Insurrektion zu bestehen. Was Mithradates in Kleinasien, Vercingetorix
bei den Kelten des Kontinents, Civilis bei den unterworfenen Germanen
unternahmen, das versuchte bei den Inselkelten eine Frau, die Gattin
eines jener von Rom bestätigten Vasallenfürsten, die Königin der
Icener, Boudicca. Ihr verstorbener Gatte hatte, um seiner Frau und
seiner Töchter Zukunft zu sichern, seine Herrschaft dem Kaiser Nero
vermacht, sein Vermögen zwischen ihm und den Seinigen geteilt. Der
Kaiser nahm die Erbschaft an, aber was ihm nicht zufallen sollte, dazu;
die fürstlichen Vettern wurden in Ketten gelegt, die Witwe geschlagen,
die Töchter in schändlicherer Weise mißhandelt. Dazu kam andere Unbill
des späteren Neronischen Regiments. Die in Camalodunum angesiedelten
Veteranen jagten die früheren Besitzer von Haus und Hof, wie es ihnen
beliebte, ohne daß die Behörden dagegen einschritten. Die vom Kaiser
Claudius verliehenen Geschenke wurden als widerrufliche Gaben
eingezogen. Römische Minister, die zugleich Geldgeschäfte machten,
trieben auf diesem Wege die britannischen Gemeinden eine nach der
anderen zum Bankrott. Der Moment war günstig. Der mehr tapfere als
vorsichtige Statthalter Paullinus befand sich, wie gesagt wurde, mit
dem Kern der römischen Armee auf der entlegenen Insel Mona, und dieser
Angriff auf den heiligsten Sitz der nationalen Religion erbitterte
ebenso die Gemüter, wie er dem Aufstande den Weg ebnete. Der alte
gewaltige Keltenglaube, der den Römern so viel zu schaffen gemacht,
loderte noch einmal, zum letzten Mal, in mächtiger Flamme empor. Die
geschwächten und weitgetrennten Legionslager im Westen und im Norden
gewährten dem ganzen Südosten der Insel mit seinen aufblühenden
römischen Städten keinen Schutz. Vor allem die Hauptstadt Camalodunum
war völlig wehrlos, eine Besatzung nicht vorhanden, die Mauern nicht
vollendet, wohl aber der Tempel ihres kaiserlichen Stifters, des neuen
Gottes Claudius. Der Westen der Insel, wahrscheinlich niedergehalten
durch die dort stehenden Legionen, scheint sich bei der Schilderhebung
nicht beteiligt zu haben und ebensowenig der nicht botmäßige Norden;
aber, wie das bei keltischen Aufständen öfter vorgekommen ist, es erhob
sich im Jahre 61 auf die vereinbarte Losung das ganze übrige
unterworfene Gebiet auf einen Schlag gegen die Fremden, voran die aus
ihrer Hauptstadt vertriebenen Trinovanten. Der zweite Befehlshaber, der
zur Zeit den Statthalter vertrat, der Prokurator Decianus Catus, hatte
im letzten Augenblick, was er von Soldaten hatte, dieser zum Schutz
gesandt: es waren 200 Mann. Sie wehrten sich mit den Veteranen und den
sonstigen waffenfähigen Römern zwei Tage im Tempel; dann wurden sie
überwältigt und was in der Stadt römisch war, umgebracht bis auf den
letzten. Das gleiche Schicksal erfuhr das Hauptemporium des römischen
Handels, Londinium, und eine dritte aufblühende römische Stadt,
Verulamium (St. Albans, nordwestlich von London), nicht minder die auf
der Insel zerstreuten Ausländer - es war eine nationale Vesper, gleich
jener Mithradatischen und die Zahl der Opfer - angeblich 70000 - nicht
geringer. Der Prokurator gab die Sache Roms verloren und flüchtete nach
dem Kontinent. Auch die römische Armee ward in die Katastrophe
verwickelt. Eine Anzahl zerstreuter Detachements und Besatzungen erlag
den Angriffen der Insurgenten. Quintus Petillius Cerialis, der im Lager
von Lindum den Befehl führte, marschierte auf Camalodunum mit der
neunten Legion; zur Rettung kam er zu spät und verlor, von ungeheurer
Übermacht angegriffen, in der Feldschlacht sein gesamtes Fußvolk; das
Lager erstürmten die Briganten. Es fehlte nicht viel, daß den obersten
Feldherrn das gleiche Schicksal erreichte. Eilig zurückkehrend von der
Insel Mona, rief er die bei Isca stehende zweite Legion heran; aber sie
gehorchte dem Befehle nicht und mit nur etwa 10000 Mann mußte Paullinus
den ungleichen Kampf gegen das zahllose und siegreiche Insurgentenheer
aufnehmen. Wenn je der Soldat die Fehler der Führung gutgemacht hat, so
war es an dem Tage, wo dieser kleine Haufen, hauptsächlich die seitdem
gefeierte vierzehnte Legion, wohl zu seiner eigenen Überraschung den
vollen Sieg erfocht und die römische Herrschaft in Britannien abermals
festigte; viel fehlte nicht, daß Paullinus Name neben dem des Varus
genannt worden wäre. Aber der Erfolg entscheidet, und hier blieb er den
Römern ^10. Der schuldige Kommandant der ausgebliebenen Legion kam dem
Kriegsgericht zuvor und stürzte sich in sein Schwert. Die Königin
Boudicca trank den Giftbecher. Der übrigens tapfere Feldherr wurde zwar
nicht in Untersuchung gezogen, wie anfangs die Absicht der Regierung zu
sein schien, aber bald unter einem schicklichen Vorwand abgerufen.
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^10 Eine schlechtere Relation als die des Tacitus über diesen Krieg
(14, 31-39) ist selbst bei diesem unmilitärischsten aller
Schriftsteller kaum aufzufinden. Wo die Truppen standen und wo die
Schlachten geliefert wurden, hören wir nicht dafür aber von Zeichen und
Wundern genug und leere Worte nur zu viel. Die wichtigen Tatsachen, die
im Leben des Agricola (31) erwähnt werden, fehlen im Hauptbericht
insonderheit die Erstürmung des Lagers. Daß Paullinus, von Mona
kommend, nicht bedacht ist, die Römer im Südosten zu retten, sondern
seine Truppen Zu vereinigen, begreift sich, aber nicht, warum er, wenn
er Londinium aufopfern wollte, deswegen dahin marschiert. Ist er
wirklich dorthin gekommen, so kann er nur mit einer persönlichen
Bedeckung, ohne das Korps, das er auf Mona bei sich gehabt, dort
erschienen sein; was freilich auch keinen Sinn hat. Das Gros der
römischen Truppen, sowohl der von Mona zurückgeführten wie der sonst
noch vorhandenen, kann nach Rufreibung der 9. Legion nur auf der Linie
Deva - Viroconium - Isca gestanden haben; Paullinus schlug die Schlacht
mit den beiden in den beiden ersten dieser Lager stehenden Legionen der
14. und der (unvollständigen) 20. Daß Paullinus schlug, weil er
schlagen maßte, sagt Dio (62, 1-12), und wenngleich dessen Erzählung
sonst auch nicht gebraucht werden kann, um die des Tacitus zu bessern,
so scheint dies durch die Sachlage selbst gefordert.
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Die Unterwerfung der westlichen Teile der Insel wurde von Paullinus
Nachfolgern nicht sogleich fortgesetzt. Erst der tüchtige Feldherr
Sextus Iulius Frontinus unter Vespasian zwang die Siluren zur
Anerkennung der römischen Herrschaft; sein Nachfolger Gnaeus Iulius
Agricola führte nach harten Kämpfen mit den Ordovikern das aus, was
Paullinus nicht erreicht hatte, und besetzte im Jahre 78 die Insel
Mona. Nachher ist von aktivem Widerstand in diesen Gegenden nicht die
Rede; das Lager von Viroconium konnte, wahrscheinlich um diese Zeit,
aufgehoben, die dadurch frei gewordene Legion im nördlichen Britannien
verwendet werden. Aber die anderen beiden Legionslager von Isca und von
Deva sind noch bis in die diocletianische Zeit an Ort und Stelle
geblieben und erst in dem späteren Besatzungsstand verschwunden. Wenn
dabei auch politische Rücksichten mitgewirkt haben mögen, so ist doch
der Widerstand des Westens wahrscheinlich, vielleicht gestützt auf
Verbindungen mit Ivernia, auch später noch fortgeführt worden. Dafür
spricht ferner das völlige Fehlen römischer Spuren in dem inneren Wales
und das daselbst bis auf den heutigen Tag sich behauptende keltische
Volkstum.
Im Norden bildete den Mittelpunkt der römischen Stellung, östlich von
Viroconium das Lager der neunten spanischen Legion in Lindum (Lincoln).
Zunächst mit diesem berührte sich in Nordengland das mächtigste
Fürstentum der Insel, das der Briganten (Yorkshire); es hatte sich
nicht eigentlich unterworfen, aber die Königin Cartimandus suchte doch
mit den Eroberern Frieden zu halten und erwies sich ihnen gefügig. Die
Partei der Römerfeinde hatte hier im Jahre 50 loszuschlagen versucht,
aber der Versuch war rasch unterdrückt worden. Caratacus, im Westen
geschlagen, hatte gehofft, seinen Widerstand im Norden fortführen zu
können, aber die Königin lieferte ihn, wie schon gesagt ward, den
Römern aus. Diese inneren Zwistigkeiten und häuslichen Händel müssen
dann in dem Aufstand gegen Paullinus, bei dem wir die Briganten in
einer führenden Stellung fanden und der eben die Legion des Nordens mit
seiner ganzen Schwere traf, mit im Spiel gewesen sein. Indes war die
römische Partei der Briganten einflußreich genug, um nach Niederwerfung
des Aufstandes die Wiederherstellung des Regiments der Cartimandus zu
erlangen. Aber einige Jahre nachher bewirkte die Patriotenpartei
daselbst, getragen durch die Losung des Abfalles von Rom, welche
während des Bürgerkrieges nach Neros Katastrophe den ganzen Westen
erfüllte, eine neue Schilderhebung der Briganten gegen die
Fremdherrschaft, an deren Spitze Cartimandus’ früherer, von ihr
beseitigter und beleidigter Gemahl, der kriegserfahrene Venutius stand;
erst nach längeren Kämpfen bezwang Petillius Cerialis das mächtige
Volk, derselbe, der unter Paullinus nicht glücklich gegen eben diese
Briten gefochten hatte, jetzt einer der namhaftesten Feldherren
Vespasians und der erste von ihm ernannte Statthalter der Insel. Der
allmählich nachlassende Widerstand des Westens machte es möglich, die
eine der drei bisher dort stationierten Legionen mit der in Lindum
stehenden zu vereinigen und das Lager selbst von Lindum nach dem
Hauptort der Briganten, Eburacum (York), vorzuschieben. Indes so lange
der Westen ernstliche Gegenwehr leistete, geschah im Norden nichts
weiter für die Ausdehnung der römischen Grenze; am Kaledonischen Walde,
sagt ein Schriftsteller vespasianischer Zeit stocken seit dreißig
Jahren die römischen Waffen. Erst Agricola griff, nachdem er im Westen
fertig war, die Unterwerfung auch des Nordens energisch an. Er schuf
vor allem sich eine Flotte, ohne welche die Verpflegung der Truppen in
diesen, wenige Hilfsmittel darbietenden Gebirgen unmöglich gewesen sein
würde. Gestützt auf diese gelangte er unter Titus (80) bis an die
Tava-Bucht (Firth of Tay) in die Gegend von Perth und Dundee und wandte
die drei folgenden Feldzüge daran, die weiten Landstriche zwischen
dieser Bucht und der bisherigen römischen Grenze an beiden Meeren genau
zu erkunden, den örtlichen Widerstand überall zu brechen und an den
geeigneten Stellen Verschanzungen anzulegen, wobei namentlich die
natürliche Verteidigungslinie, welche durch die beiden tief
einschneidenden Buchten Clota (Firth of Clyde) bei Glasgow und Bodotria
(Firth of Forth) bei Edinburgh gebildet wird, zum Rückhalt ausersehen
ward. Dieser Vorstoß rief das gesamte Hochland unter die Waffen; aber
die gewaltige Schlacht, welche die vereinigten kaledonischen Stämme den
Legionen zwischen den beiden Buchten Forth und Tay an den Graupischen
Bergen lieferten, endigte mit dem Siege Agricolas. Nach seiner Ansicht
mußte die Unterwerfung der Insel, einmal begonnen, auch vollendet, ja
auch auf Ivernia ausgedehnt werden; und es ließ sich dafür mit
Rücksicht auf das römische Britannien geltend machen, was mit Rücksicht
auf Gallien die Besetzung der Insel herbeigeführt hatte; hinzu kam, daß
bei energischer Durchführung der Besetzung des gesamten Inselkomplexes
der Aufwand an Menschen und Geld für die Zukunft wahrscheinlich sich
verringert haben würde.
Die römische Regierung folgte diesen Ratschlägen nicht. Wieweit bei der
Rückberufung des siegreichen Feldherrn im Jahre 85, der übrigens
länger, als sonst der Fall zu sein pflegte, im Amte geblieben war,
persönliche und gehässige Motive mitgewirkt haben, muß dahingestellt
bleiben; das Zusammentreffen der letzten Siege des Generals in
Schottland und der ersten Niederlagen des Kaisers im Donauland war
allerdings in hohem Grade peinlich. Aber für das Einstellen der
Operationen in Britannien ^11 und für die, wie es scheint, damals
erfolgte Abberufung einer der vier Legionen, mit denen Agricola seine
Feldzüge ausgeführt hatte, nach Pannonien, gibt die damalige
militärische Lage des Staats, die Ausdehnung der römischen Herrschaft
auf dem rechten Rheinufer in Obergermanien und der Ausbruch der
gefährlichen Kriege in Pannonien, eine völlig hinreichende Erklärung.
Das freilich ist damit nicht erklärt, warum hiermit dem Vordringen
gegen Norden überhaupt ein Ziel gesetzt und Nordschottland sowohl wie
Irland sich selber überlassen wurden. Daß seitdem die Regierung, nicht
wegen Zufälligkeiten der augenblicklichen Lage, sondern ein für allemal
von der Vorschiebung der Reichsgrenze absah und daran bei allem Wechsel
der Persönlichkeiten festhielt, lehrt die gesamte spätere Geschichte
der Insel und lehren insbesondere die gleich zu erwähnenden mühsamen
und kostspieligen Wallbauten. Ob sie im rechten Interesse des Staates
auf die Vollendung der Eroberung verzichtet hat, ist eine andere Frage.
Daß die Reichsfinanzen bei dieser Erweiterung der Grenzen nur einbüßen
würden, wurde auch jetzt ebenso geltend gemacht ^12, wie früher gegen
die Besetzung der Insel selbst, konnte aber freilich nicht entscheiden.
Militärisch durchführbar war die Besetzung so, wie Agricola sie gedacht
hatte, ohne Zweifel ohne wesentliche Schwierigkeit. Aber ins Gewicht
mochte die Erwägung fallen, daß die Romanisierung der noch freien
Gebiete große Schwierigkeit bereitet haben würde wegen der
Stammesverschiedenheit. Die Kelten im eigentlichen England gehörten
durchaus zu denen des Festlands; Volksname, Glaube, Sprache waren
beiden gemeinsam. Wenn die keltische Nationalität des Kontinents einen
Rückhalt an der Insel gefunden hatte, so griff umgekehrt die
Romanisierung Galliens notwendig auch nach England hinüber, und diesem
vornehmlich verdankte es Rom, daß in so überraschender Schnelligkeit
Britannien sich gleichfalls romanisierte. Aber die Bewohner Irlands und
Schottlands gehörten einem anderen Stamme an und redeten eine andere
Sprache; ihr Gadhelisch verstand der Brite wahrscheinlich so wenig wie
der Germane die Sprache der Skandinaven. Als Barbaren wildester Art
werden die Kaledonier - mit den Ivernern haben die Römer sich kaum
berührt - durchaus geschildert. Andererseits waltete der Eichenpriester
(Derwydd, Druida) seines Amtes an der Rhone wie in Anglesey, aber nicht
auf der Insel des Westens noch in den Bergen des Nordens. Wenn die
Römer den Krieg hauptsächlich geführt hatten, um das Druidengebiet ganz
in ihre Gewalt zu bringen, so war dieses Ziel einigermaßen erreicht.
Ohne Frage hätten in anderer Zeit alle diese Erwägungen die Römer nicht
vermocht, auf die so nahe gerückte Seegrenze im Norden zu verzichten
und wenigstens Kaledonien wäre besetzt worden. Aber weitere
Landschaften mit römischem Wesen zu durchdringen, vermochte das
damalige Rom nicht mehr; die zeugende Kraft und der vorschreitende
Volksgeist waren aus ihm entwichen. Wenigstens diejenige Eroberung, die
nicht durch Verordnungen und Märsche erzwungen werden kann, wäre, wenn
man sie versucht hätte, schwerlich gelungen.
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^11 Tac. hist. I, 2 faßt das Resultat zusammen in die Worte perdomita
Britannia et statim missa.
^12 Der kaiserliche Finanzbeamte unter Pius, Appian (prooem. 5),
bemerkt, daß die Römer den besten Teil (τό κράτιστον) der britischen
Insel besetzt hätten οιδέν τής άλλης δεόμενοι. ου' γάρ εύφορος αυτοίς
εστίν ουδ' ήν έχουσιν. Das ist die Antwort der Gouvernementalen an
Agricola und seine Meinungsgenossen.
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Es kam also darauf an, die Nordgrenze für die Verteidigung in
geeigneter Weise einzurichten; und darum dreht sich fortan hier die
militärische Arbeit. Der militärische Mittelpunkt blieb Eburacum. Das
weite, von Agricola besetzte Gebiet wurde festgehalten und mit
Kastellen belegt, die als vorgeschobene Posten für das zurückliegende
Hauptquartier dienten; wahrscheinlich ist der größte Teil der nicht
legionären Truppen zu diesem Zweck verwendet worden. Später folgte die
Anlage zusammenhängender Befestigungslinien. Die erste der Art rührt
von Hadrian her und ist auch insofern merkwürdig, als sie in gewissem
Sinn bis auf den heutigen Tag noch besteht und vollständiger bekannt
ist als irgendeine andere der großen militärischen Bauten der Römer. Es
ist genau genommen eine von Meer zu Meer in der Länge von etwa 16
deutschen Meilen westlich an den Solway Firth, östlich an die Mündung
der Tyne führende, nach beiden Seiten hin festungsmäßig geschützte
Heerstraße. Die Verteidigung bildet nördlich eine gewaltige
ursprünglich mindestens 16 Fuß hohe und 8 Fuß dicke, an beiden
Außenseiten aus Quadersteinen erbaute, dazwischen mit Bruchsteinen und
Mörtel ausgefüllte Mauer, vor welcher ein nicht minder imponierender, 9
Fuß tiefer, oben bis 34 Fuß und mehr breiter Graben sich hinzieht.
Gegen Süden ist die Straße geschützt durch zwei parallele, noch jetzt 6
bis 7 Fuß hohe Erddämme, zwischen denen ein 7 Fuß tiefer Graben mit
einem nach Süden aufgehöhten Rande sich hinzieht, so daß die Anlage von
Damm zu Damm eine Gesamtbreite von 24 Fuß hat. Zwischen der Steinmauer
und den Erddämmen, auf der Straße selbst, liegen die Lagerplätze und
Wachthäuser, nämlich in der Entfernung einer kleinen Meile voneinander
die Kohortenlager, angelegt als selbständig wehrfähige Kastelle mit
Toröffnungen nach allen vier Seiten; zwischen je zweien derselben eine
kleinere Anlage ähnlicher Art mit Ausfallstoren nach Norden und Süden;
zwischen je zweien von diesen vier kleinere Wachthäuser in Rufweite
voneinander. Diese Anlage von großartiger Solidität, welche als
Besatzung 10000 bis 12000 Mann erfordert haben muß, bildete seitdem das
Fundament der militärischen Operationen im nördlichen England.
Eigentlicher Grenzwall war sie nicht; vielmehr haben nicht bloß die
schon seit Agricolas Zeit weit darüber hinaus vorgeschobenen Posten
daneben fortbestanden, sondern es ist späterhin, zuerst unter Pius,
dann in umfassenderer Weise unter Severus gleichsam als Vorposten für
den Hadrianswall ^13 die schon von Agricola mit einer Postenreihe
besetzte, um die Hälfte kürzere Linie vom Firth of Clyde zum Firth of
Forth in ähnlicher, aber schwächerer Weise befestigt worden. Der Anlage
nach war diese Linie von der Hadrianischen nur insofern verschieden,
als sie sich auf einen ansehnlichen Erdwall, mit Graben davor und
Straße dahinter, beschränkte, nach Süden also nicht zur Verteidigung
eingerichtet war; im übrigen schloß auch sie eine Anzahl kleinerer
Lager in sich. An dieser Linie endigten die römischen Reichsstraßen
^14, und obwohl auch jenseits dieser noch römische Posten standen - der
nördlichste Punkt, auf dem der Grabstein eines römischen Soldaten sich
gefunden hat, ist Ardoch zwischen Stirling und Perth -, kann die Grenze
der Züge Agricolas, der Firth of Tay, auch später noch als die Grenze
des Römischen Reiches angesehen werden.
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^13 Die Meinung, daß der nördliche Wall an die Stelle des südlichen
getreten sei, ist ebenso verbreitet wie unhaltbar; die Kohortenlager am
Hadrianswall, wie sie uns die Inschriften des 2. Jahrhunderts zeigen,
bestanden im wesentlichen unverändert noch am Ende des 3. (denn dieser
Epoche gehört der betreffende Abschnitt der Notitia an). Beide Anlagen
haben nebeneinander bestanden, seit die jüngere hinzugetreten war; auch
zeigt die Masse der Denkmäler am Severuswall mit Evidenz, daß er bis
zum Ende der römischen Herrschaft in Britannien besetzt geblieben ist.
Der Bau des Severus kann nur auf die nördliche Anlage bezogen werden.
Einmal war die Anlage des Hadrian von der Art, daß eine etwaige
Wiederherstellung unmöglich, wie dies von der Severischen gesagt wird,
als Neubau aufgefaßt werden konnte; aber die Anlage des Pius war ein
bloßer Erddamm (murus cespiticius, vita c. 5) und unterliegt hier die
gleiche Annahme minderem Bedenken. Zweitens paßt die Länge des
Severuswalles von 32 Milien (Aur. Vict. epit. 20; die unmögliche Zahl
132 ist ein Schreibfehler unserer Handschriften des Eutropius 8, 19 -
wo Paulus das Richtige bewahrt hat -, der dann von Hier. chron. a. Abr.
2221, Oros. hist. 7, 17, 7 und Cassiod. chron. zum Jahre 207 übernommen
worden ist) nicht auf den Hadrianswall von 80 Milien; aber die Anlage
des Pius, die nach den inschriftlichen Erhebungen etwa 40 Milien lang
war, kann wohl gemeint sein, da die Endpunkte der Severischen Anlage an
den beiden Meeren recht wohl andere und näher gelegene gewesen sein
können. Wenn endlich nach Dio 76,12 von der Mauer, welche die Insel in
zwei Teile teilt, nördlich die Kaledonien südlich die Maeaten wohnen,
so sind zwar die Wohnsitze der letzteren sonst nicht bekannt (vgl. Dio
75, 5), können aber unmöglich auch nach der Schilderung, die Dio von
ihrer Gegend macht, südlich vom Hadrianswall angesetzt und die der
Kaledonier bis an diesen erstreckt werden. Also ist hier die Linie
Glasgow-Edinburgh gemeint.
^14 A limite id est a vallo heißt es im Itinerarium, p. 464.
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Weniger als von diesen imponierenden Verteidigungsanlagen wissen wir
von der Anwendung, die sie gefunden haben und überhaupt den späteren
Ereignissen auf diesem fernen Kriegsschauplatz. Unter Hadrian ist eine
schwere Katastrophe hier eingetreten, allem Anschein nach ein Überfall
des Lagers von Eburacum und die Vernichtung der dort stehenden Legion
^15, derselben neunten, die im Boudiccakrieg so unglücklich gefochten
hatte. Wahrscheinlich ist diese nicht durch feindlichen Einfall
herbeigeführt, sondern durch den Abfall der nördlichen als
reichsuntertänig geltenden Völkerschaften, insbesondere der Briganten.
Damit wird in Verbindung zu bringen sein, daß der Hadrianswall ebenso
gegen Süden wie gegen Norden Front macht; offenbar war er auch dazu
bestimmt, das nur oberflächlich unterworfene Nordengland
niederzuhalten. Auch unter Hadrians Nachfolger Pius haben hier Kämpfe
stattgefunden, an denen die Briganten wieder beteiligt waren; doch läßt
sich Genaueres nicht erkennen ^16. Der erste ernstliche Angriff auf
diese Reichsgrenze und die erste nachweisliche Überschreitung der Mauer
- ohne Zweifel derjenigen des Pius - erfolgte unter Marcus und weiter
unter Commodus; wie denn auch Commodus der erste Kaiser ist, der den
Siegesbeinamen des Britannikers angenommen hat, nachdem der tüchtige
General Ulpius Marcellus die Barbaren zu Paaren getrieben hatte. Aber
das Sinken der römischen Macht tritt seitdem hier ebenso hervor wie an
der Donau und am Euphrat. In den unruhigen Anfangsjahren des Severus
hatten die Kaledonier ihre Zusage, sich nicht mit den römischen
Untertanen einzulassen, gebrochen, und, auf sie gestützt, ihre
südlichen Nachbarn, die Maeaten, den römischen Statthalter Lupus
genötigt, gefangene Römer mit großen Summen zu lösen. Dafür traf sie
Severus’ schwerer Arm nicht lange vor seinem Tode; er drang in ihr
eigenes Gebiet ein und zwang sie zur Abtretung beträchtlicher Strecken
^17, aus welchen freilich, nachdem der alte Kaiser im Jahre 211 im
Lager von Eburacum gestorben war, seine Söhne die Besatzungen sofort
freiwillig zurückzogen, um der lästigen Verteidigung überhoben zu sein.
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^15 Der Hauptbeweis dafür liegt in dem unzweifelhaft bald nach dem
Jahre 108 (CIL VII, 241) eintretenden Verschwinden dieser Legion und
ihrer Ersetzung durch die 6. victrix. Die beiden Notizen, welche auf
dies Ereignis hindeuten (Fronto p. 217 Naher: Hadriano imperium
obtinente quantum militum a Britannis caesum? Vita 5: Britanni teneri
sub Romana dicione non poterant) sowie die Anspielung bei Iuvenal (14,
196: castella Brigantum) führen auf einen Aufstand, nicht auf einen
Einfall.
^16 Wenn Pius nach Pausanias (8, 43, 4) απετέμετο τών εν Βριταννία
Βριγάντων τήν πολλήν ότι επεσβαίνειν καί ούτοι σύν όπλοις ήρξαν εις τήν
Γενουνίαν μοίραν (unbekannt, vielleicht, wie O. Hirschfeld vorschlägt,
die Brigantenstadt Vinovia) υπκόους Ρωμαίων, so folgt daraus nicht, daß
es auch Briganten in Kaledonien gab, sondern daß die Briganten in
Nordengland damals das befriedete Brittenland heimsuchten und darum ein
Teil ihres Gebiets konfisziert ward.
^17 Daß er die Absicht gehabt hat, den ganzen Norden in römische Gewalt
zu bringen (Dio 76, 13), verträgt sich weder recht mit der Abtretung
(a. a. O.) noch mit dem Mauerbau und ist wohl ebenso fabelhaft wie der
römische Verlust von 50000 Mann, ohne daß es auch nur zum Kampfe kam.
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Aus dem dritten Jahrhundert wird von den Schicksalen der Insel kaum
etwas gemeldet. Da keiner der Kaiser, bis auf Diocletian und seine
Kollegen, den Siegernamen von der Insel geführt hat, mögen ernstere
Kämpfe hier nicht stattgefunden haben, und wenn auch in dem Landstrich
zwischen den Wällen des Pius und des Hadrianus das römische Wesen wohl
nie festen Fuß gefaßt hat, scheint doch wenigstens der Hadrianswall was
er sollte, auch damals geleistet und hinter ihm die fremdländische
Zivilisation gesichert sich entwickelt zu haben. In der Zeit
Diocletians finden wir den Bezirk zwischen beiden Wällen geräumt, aber
den Hadrianswall nach wie vor besetzt und das übrige römische Heer
zwischen ihm und dem Hauptquartier Eburacum kantonierend zur Abwehr der
seitdem oft erwähnten Raubzüge der Kaledonier, oder wie sie jetzt
gewöhnlich heißen, der Tätowierten (picti) und der von Ivernia her
einströmenden Skoten.
Eine ständige Flotte haben die Römer in Britannien gehabt; aber wie das
Seewesen immer die schwache Seite der römischen Wehrordnung geblieben
ist, war auch die britische Flotte nur unter Agricola vorübergehend von
Bedeutung.
Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Regierung darauf gerechnet
hatte, nach erfolgter Besetzung der Insel den größten Teil der dorthin
gesandten Truppen zurücknehmen zu können, so erfüllte diese Hoffnung
sich nicht: nur eine der entsendeten vier Legionen ist, wie wir sahen,
unter Domitian abberufen worden; die drei anderen müssen unentbehrlich
gewesen sein, denn es ist nie der Versuch gemacht worden, sie zu
verlegen. Dazu kamen die Auxilien, die zu dem wenig einladenden Dienst
auf der abgelegenen Nordseeinsel dem Anschein nach im Verhältnis
stärker als die Bürgertruppen herangezogen wurden. In der Schlacht am
Graupischen Berge im Jahre 84 fochten außer den vier Legionen 8000 zu
Fuß und 3000 zu Pferde von den Hilfssoldaten. Für die Zeit von Traian
und Hadrian, wo von diesen in Britannien sechs Alen und 21 Kohorten,
zusammen etwa 15000 Mann standen, wird man das gesamte britannische
Heer auf etwa 30000 Mann anzuschlagen haben. Britannien war von Haus
aus ein Kommandobezirk ersten Ranges, den beiden rheinischen und dem
syrischen vielleicht im Rang, aber nicht an Bedeutung nachstehend,
gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts wahrscheinlich die angesehenste
aller Statthalterschaften. Es lag nur an der weiten Entfernung, daß die
britannischen Legionen in der Korpsparteiung der früheren Kaiserzeit in
zweiter Reihe erscheinen; bei dem Korpskrieg nach dem Erlöschen des
Antoninischen Hauses fochten sie in der ersten. Darum aber war es auch
eine der Konsequenzen des Sieges des Severus, daß die Statthalterschaft
geteilt ward. Seitdem standen die beiden Legionen von Isca und Deva
unter dem Legaten der oberen, die eine von Eburacum und die Truppen an
den Wällen, also die Hauptmasse der Auxilien, unter dem der unteren
Provinz ^18. Wahrscheinlich ist die Verlegung der ganzen Besatzung nach
dem Norden, die, wie oben bemerkt ward, nach bloß militärischen
Rücksichten wohl zweckmäßig gewesen sein würde, mit deswegen
unterblieben, weil sie einem Statthalter drei Legionen in die Hand
gegeben hätte.
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^18 Die Teilung ergibt sich aus Dio 55, 23.
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Daß finanziell die Provinz mehr kostete, als sie eintrug, kann hiernach
nicht verwundern. Für die Wehrkraft des Reiches dagegen kam Britannien
erheblich in Betracht; das Kompensationsverhältnis von Besteuerung und
Aushebung wird auch für die Insel in Anwendung gekommen sein und die
britischen Truppen galten neben den illyrischen für die besten der
Armee. Gleich anfänglich sind dort sieben Kohorten aus den Eingeborenen
aufgestellt und diese weiter bis auf Hadrian stetig vermehrt worden;
nachdem dieser das System aufgebracht hatte, die Truppen möglichst aus
ihren Garnisonsbezirken zu rekrutieren, scheint Britannien dies für
seine starke Besatzung wenigstens zum großen Teil geleistet zu haben.
Es war ein ernster und tapferer Sinn in den Leuten; sie trugen die
Steuern und die Aushebung willig, nicht aber Hoffart und Brutalität der
Beamten.
Für die innere Ordnung Britanniens bot als Grundlage sich die dort zur
Zeit der Eroberung bestehende Gauverfassung, welche, wie schon bemerkt
ward, von derjenigen der Kelten des Kontinents sich nur darin
wesentlich entfernte, daß die einzelnen Völkerschaften der Insel, es
scheint sämtlich, unter Fürsten standen. Aber diese Ordnung scheint
nicht beibehalten und der Gau (civitas) in Britannien, wie in Spanien,
ein geographischer Begriff geworden zu sein; wenigstens ist es kaum
anders zu erklären, daß die britannischen Völkerschaften genau genommen
verschwinden, sowie sie unter römische Herrschaft geraten, und von den
einzelnen Gauen nach ihrer Unterwerfung so gut wie gar nicht die Rede
ist. Wahrscheinlich sind die einzelnen Fürstentümer, wie sie
unterworfen und eingezogen wurden, in kleinere Gemeinden zerschlagen
worden; es ward dies dadurch erleichtert, daß auf der Insel sich nicht,
wie auf dem Kontinent, eine ohne monarchische Spitze geordnete
Gauverfassung vorfand. Damit hängt auch wohl zusammen, daß, während die
gallischen Gaue eine gemeinsame Hauptstadt und in dieser eine
politische und religiöse Gesamtvertretung besessen haben, von
Britannien nichts ähnliches gemeldet wird. Gefehlt hat der Provinz ein
Concilium und ein gemeinsamer Kaiserkultus nicht; aber wäre der Altar
des Claudius in Camalodunum ^19 auch nur annähernd gewesen, was der des
Augustus in Lugudunum, so würde davon wohl etwas verlauten. Die freie
und große politische Gestaltung, welche dem gallischen Lande von Caesar
gewährt und von seinem Sohne bestätigt worden war, paßt in den Rahmen
der späteren Kaiserpolitik nicht mehr.
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^19 Auf ihn geht wohl das Epigramm des Seneca (vol. 4, p. 69 Bährens):
oceanus que tuas ultra se respicit aras. Auch der Tempel, der nach der
Spottschrift desselben Seneca (8, 3) dem Claudius bei Lebzeiten in
Britannien errichtet ward, und der damit sicher identische Tempel des
Gottes Claudius in Camalodunum (Tac. ann. 14, 31) ist wohl nicht als
städtisches Heiligtum zu fassen, sondern nach Analogie der
Augustusheiligtümer von Lugudunum und Tarraco. Die delecti sacerdotes,
welche specie religionis omnes fortunas effundebant, sind die bekannten
Provinzialpriester und Spielgeber.
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Von der mit der Invasion ziemlich gleichzeitigen Gründung der Kolonie
Camalodunum war schon die Rede, wie es auch bereits hervorgehoben
wurde, daß die italische Stadtverfassung früh in einer Reihe
britannischer Ortschaften eingeführt worden ist. Auch hierin ist
Britannien mehr nach dem Muster Spaniens als nach dem des keltischen
Kontinents behandelt worden.
Die inneren Zustände Britanniens müssen, trotz der allgemeinen
Gebrechen des Reichsregiments, wenigstens im Vergleich mit anderen
Gebieten, nicht ungünstige gewesen sein. Kannte man im Norden nur Jagd
und Weide und waren hier die Einwohner wie die Anwohner zu Fehde und
Raub jederzeit bei der Hand, so entwickelte sich der Süden in dem
ungestörten Friedensstand vor allem durch Ackerbau, daneben durch
Viehzucht und Bergwerksbetrieb zu mäßiger Wohlfahrt: die gallischen
Redner der diocletianischen Zeit preisen den Reichtum der fruchtbaren
Insel, und oft genug haben die Rheinlegionen ihr Getreide aus
Britannien empfangen.
Das Straßennetz der Insel, das ungemein entwickelt ist und für das
namentlich Hadrian in Verbindung mit seinem Wallbau viel getan hat, hat
natürlich zunächst militärischen Zwecken gedient; aber neben, ja vor
den Legionslagern nimmt Londinium darin einen Platz ein, welcher seine
leitende Stellung im Verkehr deutlich vor Augen bringt. Nur in Wales
gab es Reichsstraßen allein in der nächsten Nähe der römischen Lager,
von Isca nach Nidum (Neath) und von Deva zur Überfahrt nach Mona.
Zu der Romanisierung verhielt sich das römische Britannien ähnlich wie
das nördliche und mittlere Gallien. Die nationalen Gottheiten, der Mars
Belatucadrus oder Cocidius, die der Minerva gleichgesetzte Göttin
Sulis, nach welcher die heutige Stadt Bath hieß, sind auch in
lateinischer Sprache noch vielfach auf der Insel verehrt worden. Ein
exotisches Gewächs ist die aus Italien eindringende Sprache und Sitte
auf der Insel noch mehr gewesen als auf dem Kontinent; noch gegen das
Ende des ersten Jahrhunderts lehnten die angesehenen Familien dort
sowohl die lateinische Sprache ab wie die römische Tracht. Die großen
städtischen Zentren, die eigentlichen Herde der neuen Kultur, sind in
Britannien schwächer entwickelt; wir wissen nicht bestimmt, welche
englische Stadt für das Concilium der Provinz und die gemeinschaftliche
Kaiserverehrung als Sitz gedient und in welchem der drei Legionslager
der Statthalter der Provinz residiert hat; wenn, wie es scheint, die
Zivilhauptstadt Britanniens Camalodunum gewesen ist, die
Militärhauptstadt Eburacum ^20, so kann dieses sich so wenig mit Mainz
messen wie jenes mit Lyon. Die Trümmerstätten auch der namhaften
Ortschaften, der Claudischen Veteranenstadt Camalodunum und der
volkreichen Kaufstadt Londinium, nicht minder die vielhundertjährigen
Legionslager von Deva, Isca, Eburacum haben Inschriftsteine nur in
geringfügiger Zahl, namhafte Städte römischen Rechts wie die Kolonie
Glevum (Gloucester), das Municipium Verulamium bis jetzt nicht einen
einzigen ergeben; die Sitte des Denksteinsetzens, auf deren Ergebnisse
wir für solche Fragen großenteils angewiesen sind, hat in Britannien
nie recht durchgeschlagen. Im inneren Wales und in anderen weniger
zugänglichen Strichen sind römische Denkmäler überhaupt nicht zum
Vorschein gekommen. Daneben aber stehen deutliche Zeugen des von
Tacitus hervorgehobenen regen Handels und Verkehrs, so die zahllosen
Trinkschalen, die aus den Ruinen Londons hervorgegangen sind, und das
Londoner Straßennetz. Wenn Agricola bemüht war, den munizipalen
Wetteifer in der Ausschmückung der eigenen Stadt durch Bauten und
Denkmäler, wie er von Italien sich auf Afrika und Spanien übertragen
hatte, auch nach Britannien zu verpflanzen, und die vornehmen Insulaner
zu bestimmen, in ihrer Heimat die Märkte zu schmücken und Tempel und
Paläste zu errichten, wie dies anderswo üblich war, so ist ihm das für
die Gemeindebauten nur in geringem Umfang gelungen. Aber in der
Privatwirtschaft ist es anders; die stattlichen, römisch angelegten und
geschmückten Landhäuser, von denen jetzt nur noch die Mosaikfußböden
übrig geblieben sind, finden sich im südlichen Britannien bis in die
Gegend von York hinauf ^21 ebenso häufig wie im Rheinland. Die höhere
schulmäßige Jugendbildung drang von Gallien aus allmählich in
Britannien ein. Unter Agricolas administrativen Erfolgen wird
angeführt, daß der römische Hofmeister in die vornehmen Häuser der
Insel anfange, seinen Weg zu finden. In hadrianischer Zeit wird
Britannien als ein von den gallischen Schulmeistern erobertes Gebiet
bezeichnet, und “schon spricht Thule davon, sich einen Professor zu
mieten”. Diese Schulmeister waren zunächst Lateiner, aber es kamen auch
Griechen; Plutarchos erzählt von einer Unterhaltung, die er in Delphi
pflog mit einem aus Britannien heimkehrenden griechischen Sprachlehrer
aus Tarsos. Wenn im heutigen England, abgesehen von Wales, und bis vor
kurzem von Cornwall, die alte Landessprache verschwunden ist, so ist
sie nicht den Angeln oder den Sachsen, sondern dem römischen Idiom
gewichen; und wie es in Grenzländern zu geschehen pflegt, in der
späteren Kaiserzeit stand keiner treuer zu Rom als der britannische
Mann. Nicht Britannien hat Rom aufgegeben, sondern Rom Britannien - das
letzte, was wir von der Insel erfahren, sind die flehentlichen Bitten
der Bevölkerung bei Kaiser Honorius um Schutz gegen die Sachsen, und
dessen Antwort, daß sie sich selber helfen möchten, wie sie könnten.
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^20 Das hier stationierte Kommando war wenigstens in späterer Zeit ohne
Frage das wichtigste unter den britannischen; und es wird auch dort
(denn an Eburacum ist hier ohne Zweifel gedacht) ein Palatium erwähnt
(vita Severi 22). Das praeto rium, unterhalb Eburacum wohl an der Küste
gelegen (Irin. Anton. Aug., p. 466), mag der Sommersitz des
Statthalters gewesen sein.
^21 Nördlich von Aldborough und Easingwold (beide etwas nördlich von
York) haben sich keine gefunden (J. C. Bruce, Description of the Roman
wall. 3. Aufl. 1867, S. 61).
KAPITEL VI.
Die Donauländer und die Kriege an der Donau
Wie die Rheingrenze Caesars, so ist die Donaugrenze das Werk des
Augustus. Als er an das Ruder kam, waren die Römer auf der italischen
Halbinsel kaum Herren der Alpen, auf der griechischen kaum des Haemus
(Balkan) und der Küstenstreifen am Adriatischen und am Schwarzen Meer;
nirgends reichte ihr Gebiet an den mächtigen Strom, der das südliche
Europa vom nördlichen scheidet; sowohl das nördliche Italien wie auch
die illyrischen und pontischen Handelsstädte und mehr noch die
zivilisierten Landschaften Makedoniens und Thrakiens waren den
Raubzügen der rohen und unruhigen Nachbarstämme stetig ausgesetzt. Als
Augustus starb, waren an die Stelle der einen, kaum zu selbständiger
Verwaltung gelangten Provinz Illyricum fünf große römische
Verwaltungsbezirke getreten, Rätien, Noricum, Unterillyrien oder
Pannonien, Oberillyrien oder Dalmatien und Mösien, und die Donau in
ihrem ganzen Lauf, wenn nicht überall die militärische, doch die
politische Reichsgrenze geworden. Die verhältnismäßig leichte
Unterwerfung dieser weiten Gebiete sowie die schwere Insurrektion der
Jahre 6 bis 9 und das dadurch veranlaßte Aufgeben der früher
beabsichtigten Verlegung der Grenzlinie von der oberen Donau nach
Böhmen und an die Elbe sind früher dargestellt worden. Es bleibt übrig,
die Entwicklung dieser Landschaften in der Zeit nach Augustus und die
Beziehungen der Römer zu den jenseits der Donau wohnhaften Stämmen
darzustellen.
Die Schicksale Rätiens sind mit denen der Obergermanischen Provinz so
eng verflochten, daß dafür auf die frühere Darstellung verwiesen werden
kann. Die römische Zivilisation hat hier, im ganzen genommen, sich
wenig entwickelt. Das Hochland der Alpen mit den Tälern des oberen Inn
und des oberen Rhein umschloß eine schwache und eigenartige
Bevölkerung, wahrscheinlich diejenige, die einstmals die östliche
Hälfte der norditalischen Ebene besessen hatte, vielleicht den
Etruskern verwandt. Von dort zurückgedrängt durch die Kelten und
vielleicht auch die Illyriker, behauptete sie sich in den nördlichen
Gebirgen. Während die nach Süden sich öffnenden Täler, wie das der
Etsch, zu Italien gezogen wurden, boten jene den Südländern wenig Platz
und noch weniger Reiz zur Ansiedelung und Städtegründung. Weiter
nördlich, auf der Hochebene zwischen dem Bodensee und dem Inn, welche
von den keltischen Stämmen der Vindeliker eingenommen war, wäre wohl
für römische Kultur Raum und Stätte gewesen; aber es scheint in diesem
Gebiet, das nicht so wie das norische unmittelbare Fortsetzung Italiens
werden konnte und das, gleich dem angrenzenden sogenannten
Decumatenland, wohl zunächst nur als Scheide gegen die Germanen für die
Römer von Wert war, die Politik der früheren Kaiserzeit die Kultur
vielmehr zurückgehalten zu haben. Es ist schon darauf hingewiesen
worden, daß gleich nach der Eroberung man bedacht war, die Landschaft
zu entvölkern. Diesem geht zur Seite, daß in der früheren Kaiserzeit
keine römisch organisierte Gemeinde hier entstanden ist. Zwar von der
Anlage der großen Straße, die gleich mit der Eroberung selbst von dem
älteren Drusus durch die Hochalpen an die Donau geführt ward, war die
Gründung der Augusta der Vindeliker, des heutigen Augsburg, ein
notwendiger Teil; aber es war und blieb dieser rasch aufblühende Ort
über ein Jahrhundert ein Marktflecken, bis endlich Hadrian auch in
dieser Hinsicht die von Augustus vorgezeichnete Bahn verließ und die
Landschaft der Vindeliker in die Romanisierung des Nordens hineinzog.
Die Verleihung des römischen Stadtrechts an den Vorort der Vindeliker
durch Hadrian wird damit zusammengestellt werden dürfen, daß ungefähr
um dieselbe Zeit die Militärgrenze am Oberrhein vorgeschoben ward und
römische Städte im ehemaligen Decumatenland entstanden; indes ist in
Rätien auch später Augusta der einzige größere Mittelpunkt römischer
Zivilisation geblieben. Auch die militärischen Einrichtungen haben auf
das Zurückhalten derselben eingewirkt. Die Provinz stand von Anfang an
unter kaiserlicher Verwaltung und konnte nicht ohne Besatzung gelassen
werden; aber besondere Rücksichten nötigten, wie dies früher gezeigt
ward, die Regierung, nach Rätien lediglich Truppen zweiter Klasse zu
legen, und wenn diese auch der Zahl nach nicht unbeträchtlich waren, so
haben doch die kleineren Standlager der Alen und Kohorten nicht die
zivilisierende und städtebildende Wirkung ausüben können wie die
Legionslager. Unter Marcus ist allerdings infolge des Markomannischen
Krieges das rätische Hauptquartier, die castra Regina, das heutige
Regensburg, mit einer Legion belegt worden; aber selbst dieser Ort
scheint in römischer Zeit bloß Militärniederlassung geblieben zu sein
und kaum mit den Lagern zweiten Ranges am Rhein, wie zum Beispiel
Bonna, in der städtischen Entwicklung auf einer Linie gestanden zu
haben.
Daß die Grenze Rätiens schon zu Traianus’ Zeit von Regensburg westlich
eine Strecke über die Donau hinaus vorgeschoben war, ist früher bemerkt
und daselbst auch ausgeführt worden, daß dieses Gebiet wahrscheinlich
ohne Anwendung von Waffengewalt, ähnlich wie das Decumatenland, zum
Reiche gezogen worden ist. Es wurde ebenfalls schon erwähnt, daß die
Befestigung dieses Gebiets vielleicht mit den unter Marcus bis hierher
sich erstreckenden Einfällen der Chatten zusammenhängt, sowie daß diese
und später die Alamannen im dritten Jahrhundert sowohl dies Vorland wie
Rätien selbst heimsuchten und schließlich unter Gallienus den Römern
entrissen.
Die Nachbarprovinz Noricum ist wohl in der provinzialen Einrichtung
ähnlich wie Rätien behandelt worden, aber hat sich sonst anders
entwickelt. Nach keiner Richtung hin ist Italien für den Landverkehr so
wie gegen Nordosten aufgeschlossen; die Handelsbeziehungen Aquileias
sowohl durch das Friaul nach der oberen Donau und zu den Eisenwerken
von Noreia wie über die Julische Alpe zum Savetal haben hier der
augustischen Grenzerweiterung vorgearbeitet wie nirgends sonst im
Donaugebiet. Nauportus (Oberlaibach), jenseits des Passes, war ein
römischer Handelsflecken schon in republikanischer Zeit, Emona
(Laibach) eine später förmlich Italien einverleibte, der Sache nach
seit ihrer Gründung durch Augustus zu Italien gehörige römische
Bürgerkolonie. Daher genügte, wie früher schon hervorgehoben ward, für
die Umwandlung dieses “Königreichs” in eine römische Provinz
wahrscheinlich die bloße Ankündigung. Die ursprünglich wohl illyrische,
später zum guten Teil keltische Bevölkerung zeigt keine Spur von
demjenigen Festhalten an der nationalen Weise und Sprache, welche wir
bei den Kelten des Westens wahrnehmen. Römische Sprache und römische
Sitte muß hier früh Eingang gefunden haben, und von Kaiser Claudius
wurde dann das gesamte Gebiet, selbst der nördliche, durch die
Tauernkette vom Drautal getrennte Teil, nach italischer
Gemeindeverfassung organisiert. Während in den Nachbarländern Rätien
und Pannonien die Denkmäler römischer Sprache entweder fehlen oder doch
nur in den größeren Zentren erscheinen, sind die Täler der Drau, der
Mut und der Salzach und ihrer Nebenflüsse bis in das hohe Gebirge
hinauf erfüllt mit Zeugnissen der hier tief eingedrungenen
Romanisierung. Noricum ward ein Vorland und gewissermaßen ein Teil
Italiens; bei der Aushebung für die Legion und für die Garde ist, so
lange hier die Italiker überhaupt bevorzugt wurden, diese Bevorzugung
auf keine andere Provinz so völlig erstreckt worden wie auf diese.
Hinsichtlich der militärischen Belegung gilt von Noricum dasselbe wie
von Rätien. Aus den schon entwickelten Gründen gab es auch in Noricum
während der ersten zwei Jahrhunderte der Kaiserzeit nur Alen- und
Kohortenlager; Carnuntum (Petronell bei Wien), das in der augustischen
Zeit zu Noricum gehörte, ist, als die illyrischen Legionen dorthin
gelegt wurden, eben darum zu Pannonien gezogen worden. Die kleineren
norischen Standlager an der Donau und selbst das von Marcus, der auch
in diese Provinz eine Legion legte, für diese eingerichtete Lager von
Lauriacum (bei Enns) sind für die städtische Entwicklung von keiner
Bedeutung gewesen; die großen Ortschaften Noricums, wie Celeia (Cilli)
im Sanntal, Aguontum (Lienz), Teurnia (unweit Spittal), Virunum
(Zollfeld bei Klagenfurt), im Norden Iuvavum (Salzburg) sind rein aus
bürgerlichen Elementen hervorgegangen.
Illyricum, das heißt das römische Gebiet zwischen Italien und
Makedonien, wurde in republikanischer Zeit zum kleineren Teil mit der
griechisch-makedonischen Statthalterschaft vereinigt, zum größeren als
Nebenland von Italien und, nach der Einrichtung der Statthalterschaft
des Cisalpinischen Galliens, als ein Teil von dieser verwaltet. Das
Gebiet deckt sich bis zu einem gewissen Grade mit dem weitverbreiteten
Stamm, von dem es die Römer benannt haben: es ist derjenige, dessen
dürftiger Rest an dem südlichen Ende seines ehemals weitgedehnten
Besitzes unter dem Namen der Skipetaren, welchen sie sich selbst
beilegen, oder, wie ihre Nachbarn sie heißen, der Arnauten oder
Albanesen noch heute seine alte Nationalität und seine eigene Sprache
bewahrt hat. Es ist derselbe ein Glied der indogermanischen Familie und
innerhalb derselben wohl am nächsten dem griechischen Kreise verwandt,
wie dies auch den örtlichen Verhältnissen angemessen ist; aber er steht
neben diesem wenigstens ebenso selbständig wie der lateinische und der
keltische. In ihrer ursprünglichen Ausdehnung erfüllte diese Nation die
Küste des Adriatischen Meeres von der Mündung des Po durch Istrien,
Dalmatien und Epirus bis gegen Akarnanien und Ätolien, ferner im
Binnenlande das obere Makedonien sowie das heutige Serbien und Bosnien
und das ungarische Gebiet auf dem rechten Ufer der Donau; sie grenzt
also östlich an die thrakischen Völkerschaften, westlich an die
keltischen, von welchen letzteren Tacitus sie ausdrücklich
unterscheidet. Es ist ein kräftiger Schlag südländischer Art, mit
schwarzem Haar und dunklen Augen, sehr verschieden von den Kelten und
mehr noch von den Germanen, nüchterne, mäßige, unerschrockene, stolze
Leute, vortreffliche Soldaten, aber bürgerlicher Entwicklung wenig
zugänglich, mehr Hirten als Ackerbauer. Zu einer größeren politischen
Entwicklung ist er nicht gelangt. An der italischen Küste traten ihnen
wahrscheinlich zunächst die Kelten entgegen; die wahrscheinlich
illyrischen Völkerschaften daselbst, insbesondere die Veneter, wurden
durch die Rivalität mit den Kelten früh zu fügsamen Untertanen der
Römer. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt engte die Gründung von
Aquileia und die Unterwerfung der Halbinsel Istrien weiter ihre Grenzen
ein. An der Ostküste des Adriatischen Meeres waren die wichtigeren
Inseln und die Südhäfen des Kontinents seit langem von den kühnen
hellenischen Schiffern okkupiert. Als dann in Skodra (Scutari),
gewissermaßen in alter Zeit wie heutzutage dem Zentralpunkt des
illyrischen Landes, die Herrscher anfingen, sich zu eigener Macht zu
entwickeln und besonders auf dem Meere die Griechen zu befehden, schlug
Rom schon vor dem Hannibalischen Kriege sie mit gewaltiger Hand nieder
und nahm die ganze Küste unter seine Schutzherrschaft, welche bald,
nachdem der Herr von Skodra mit dem König Perseus von Makedonien den
Krieg und die Niederlage geteilt hatte, die völlige Auflösung dieses
Fürstentums herbeiführte. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt und in
der ersten Hälfte des siebenten wurde in langjährigen Kämpfen auch die
Küste zwischen Istrien und Skodra von den Römern besetzt. Im Binnenland
wurden die Illyrier in republikanischer Zeit von den Römern wenig
berührt; dafür aber müssen, von Westen her vordringend, die Kelten
einen guten Teil ursprünglich illyrischen Gebiets in ihre Gewalt
gebracht haben, so das späterhin überwiegend keltische Noricum. Kelten
sind auch die Latobiker im heutigen Krain; und in dem gesamten Gebiet
zwischen Save und Drau, ebenso im Raabtal saßen die beiden großen
Stämme im Gemenge, als Caesar Augustus die südlichen Distrikte
Pannoniens der römischen Herrschaft unterwarf. Wahrscheinlich hat diese
starke Mischung mit keltischen Elementen neben der ebenen
Bodenbeschaffenheit zu dem frühen Untergang der illyrischen Nation in
den pannonischen Landschaften ihren Teil beigetragen. In die südliche
Hälfte der von Illyriern bewohnten Landschaften dagegen sind von den
Kelten nur die Skordisker vorgedrungen, deren Festsetzung an der
unteren Save bis zur Morawa und deren Streifereien bis in die Nähe von
Thessalonike früher erwähnt worden sind. Die Griechen aber haben hier
ihnen gewissermaßen den Platz geräumt; das Sinken der makedonischen
Macht und die Verödung von Epirus und Ätolien müssen die Ausbreitung
der illyrischen Nachbarn gefördert haben. Bosnien, Serbien, vor allem
Albanien sind in der Kaiserzeit illyrisch gewesen, und Albanien ist es
noch heute.
Es ist früher erzählt worden, daß Illyricum schon nach der Absicht des
Diktators Caesar als eigene Statthalterschaft konstituiert werden
sollte und diese Absicht bei der Teilung der Provinzen zwischen
Augustus und dem Senat zur Ausführung kam; daß diese anfangs dem Senat
überwiesene Statthalterschaft wegen der daselbst notwendigen
Kriegführung auf den Kaiser überging; daß Augustus diese
Statthalterschaft teilte und die bis dahin im ganzen nur nominelle
Herrschaft über das Binnenland sowohl in Dalmatien wie im Savegebiet
effektiv machte; daß er endlich die gewaltige nationale Insurrektion,
die bei den dalmatischen wie bei den pannonischen Illyriern im Jahre 6
n. Chr. ausbrach, nach schwerem vierjährigem Kampf überwältigte. Es
bleibt übrig, die ferneren Schicksale zunächst der südlichen Provinz zu
berichten.
Nach den bei der Insurrektion gemachten Erfahrungen schien es
erforderlich, nicht bloß die in Illyricum ausgehobenen Mannschaften
statt wie bisher in ihrer Heimat, vielmehr auswärts zu verwenden,
sondern auch die Dalmater wie die Pannonier durch ein Kommando ersten
Ranges in Botmäßigkeit zu halten. Dasselbe hat seinen Zweck rasch
erfüllt. Der Widerstand, den die Illyriker unter Augustus der
ungewohnten Fremdherrschaft entgegensetzten, hat sich ausgetobt mit dem
einen gewaltigen Sturm; späterhin verzeichnen unsere Berichte keine
ähnliche auch nur partielle Bewegung. Für das südliche oder, nach dem
römischen Ausdruck, das obere Illyricum, die Provinz Dalmatien, wie sie
seit der Zeit der Flavier gewöhnlich heißt, begann mit dem
Kaiserregiment eine neue Epoche. Die griechischen Kaufleute hatten wohl
auf der ihnen nächst liegenden Küste die beiden großen Emporien
Apollonia (bei Valona) und Dyrrachium (Durazzo) gegründet; eben darum
war dieser Teil schon unter der Republik der griechischen Verwaltung
überwiesen worden. Aber weiter nordwärts hatten die Hellenen nur auf
den vorliegenden Inseln Issa (Lissa), Pharos (Lesina), Schwarz-Kerkyra
(Curzola) sich angesiedelt und von da aus den Verkehr mit den
Eingeborenen, namentlich an der Küste von Narona und in den Salonae
vorliegenden Ortschaften, unterhalten. Unter der römischen Republik
hatten die italischen Händler, welche hier die Erbschaft der
griechischen antraten, in den Haupthäfen Epitaurum (Ragusa vecchia),
Narona, Salonae, Iader (Zara) sich in solcher Zahl niedergelassen, daß
sie in dem Kriege zwischen Caesar und Pompeius eine nicht unwesentliche
Rolle spielen konnten. Aber Verstärkung durch dort angesiedelte
Veteranen und, was die Hauptsache war, städtisches Recht empfingen
diese Ortschaften erst durch Augustus, und zugleich kam teils die
energische Unterdrückung der auf den Inseln noch bestehenden
Piratenschlupfwinkel, teils die Unterwerfung des Binnenlandes und die
Vorschiebung der römischen Grenze gegen die Donau insbesondere diesen
auf der Ostküste des Adriatischen Meeres angesiedelten Italikern
zugute. Vor allem die Hauptstadt des Landes, der Sitz des Statthalters
und der gesamten Verwaltung, Salonae, blühte rasch auf und überflügelte
weit die älteren griechischen Ansiedlungen Apollonia und Dyrrachium,
obwohl in die letztere Stadt, ebenfalls unter Augustus, italische
Kolonisten, freilich nicht Veteranen, sondern expropriierte Italiker,
gesendet und die Stadt als römische Bürgergemeinde eingerichtet wurde.
Vermutlich hat bei dem Aufblühen Dalmatiens und dem Verkümmern der
illyrisch-makedonischen Küste der Gegensatz des kaiserlichen und des
Senatsregimentes eine wesentliche Rolle gespielt, die bessere
Verwaltung sowohl wie die Bevorzugung bei dem eigentlichen Machthaber.
Damit wird weiter zusammenhängen, daß die illyrische Nationalität sich
in dem Bereich der makedonischen Statthalterschaft besser behauptet hat
als in dem der dalmatischen: in jenem lebt sie heute noch fort und es
muß in der Kaiserzeit, abgesehen von dem griechischen Apollonia und der
italischen Kolonie Dyrrachium, neben den beiden Reichssprachen im
Binnenland, die des Volkes, die illyrische, geblieben sein. In
Dalmatien dagegen wurden die Küste und die Inseln, soweit sie irgend
sich eigneten - die unwirtliche Strecke nordwärts von Iader blieb in
der Entwicklung notwendig zurück -, nach italischer Ordnung
kommunalisiert, und bald sprach die ganze Küste lateinisch, etwa wie
heutzutage venezianisch. Dem Vordringen der Zivilisation in das
Binnenland traten örtliche Schwierigkeiten entgegen. Dalmatiens
bedeutende Ströme bilden mehr Wasserfälle als Wasserstraßen; und auch
die Herstellung der Landstraßen stößt bei der Beschaffenheit seines
Bergnetzes auf ungewöhnliche Schwierigkeiten. Die römische Regierung
hat ernstliche Anstrengungen gemacht, das Land aufzuschließen. Unter
dem Schutz des Legionslagers von Burnum entwickelte im Kerkatal, in dem
der Cettina unter dem des Lagers von Delminium, welche Lager auch hier
die Träger der Zivilisierung und der Latinisierung gewesen sein werden,
sich die Bodenbestellung nach italischer Art, auch die Pflanzung der
Rebe und der Olive und überhaupt italische Ordnung und Gesittung.
Dagegen jenseits der Wasserscheide, zwischen dem Adriatischen Meer und
der Donau, sind die auch für den Ackerbau wenig günstigen Täler von der
Kulpa bis zum Drin in römischer Zeit in ähnlichen primitiven
Verhältnissen verblieben, wie sie das heutige Bosnien aufweist. Kaiser
Tiberius allerdings hat durch die Soldaten der dalmatinischen Lager von
Salonae bis in die Täler Bosniens verschiedene Chausseen geführt; aber
die späteren Regierungen ließen, wie es scheint, die schwierige Aufgabe
fallen. An der Küste und in den der Küste nähergelegenen Strichen
bedurfte Dalmatien bald keiner weiteren militärischen Hut; die Legionen
des Kerka- und des Cettinatales konnte schon Vespasian von dort
wegziehen und anderweitig verwenden. Unter dem allgemeinen Verfall des
Reiches im dritten Jahrhundert hat Dalmatien verhältnismäßig wenig
gelitten, ja Salonae wohl erst damals seine höchste Blüte erreicht.
Freilich ist dies zum Teil dadurch veranlaßt, daß der Regenerator des
römischen Staates, Kaiser Diocletianus, ein geborener Dalmatiner war
und sein auf die Dekapitalisierung Roms gerichtetes Streben der
Hauptstadt seines Heimatlandes vorzugsweise zugute kommen ließ: er
baute neben derselben den gewaltigen Palast, von dem die heutige
Hauptstadt der Provinz den Namen Spalato trägt, innerhalb dessen sie
zum größten Teil Platz gefunden hat und dessen Tempel ihr heute als Dom
und als Baptisterium ^1 dienen. Aber zur Großstadt hat nicht erst
Diocletian Salonae gemacht, sondern, weil sie es war, sie für seine
Privatresidenz gewählt; Handel und Schiffahrt und Gewerbe müssen damals
in diesen Gewässern vorzugsweise in Aquileia und in Salonae sich
konzentriert haben und die Stadt eine der volkreichsten und
wohlhabendsten des Okzidents gewesen sein. Die reichen Eisengruben
Bosniens waren, wenigstens in der späteren Kaiserzeit, in starkem
Betrieb; ebenso lieferten die Wälder der Provinz massenhaftes und
vorzügliches Bauholz; auch von der blühenden Textilindustrie des Landes
bewahrt die priesterliche Dalmatica noch heute eine Erinnerung.
Überhaupt ist die Zivilisierung und die Romanisierung Dalmatiens eine
der eigensten und eine der bedeutendsten Erscheinungen der Kaiserzeit.
Die Grenze Dalmatiens und Makedoniens ist zugleich die politische und
die sprachliche Scheide des Okzidents und des Orients. Bei Skodra
berühren sich, wie die Herrschaftsgebiete Caesars und Marc Antons, so
auch nach der Reichsteilung des vierten Jahrhunderts die von Rom und
Byzanz. Hier grenzt die lateinische Provinz Dalmatien mit der
griechischen Provinz Makedonien; und kräftig emporstrebend und
überlegen, mit gewaltig treibender Propaganda, steht hier die jüngere
neben der älteren Schwester.
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^1 Das Baptisterium ist vielleicht das Grabmal des Kaisers.
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Wenn die südliche illyrische Provinz und ihr Friedensregiment bald in
geschichtlicher Beziehung nicht ferner hervortritt, so bildet das
nördliche Illyricum oder, wie es gewöhnlich heißt, Pannonien in der
Kaiserzeit eines der großen militärischen und somit auch politischen
Zentren. In dem Donauheer haben die pannonischen Lager die führende
Stellung wie im Westen die rheinischen, und die dalmatischen und die
mösischen schließen ihnen in ähnlicher Weise sich an und ordnen ihnen
sich unter wie den rheinischen die Legionen Spaniens und Britanniens.
Die römische Zivilisation steht und bleibt hier unter dem Einfluß der
Lager, die in Pannonien nicht, wie in Dalmatien, nur einige
Generationen hindurch, sondern dauernd verblieben. Nach der
Überwältigung des Batonischen Aufstandes belief die regelmäßige
Besatzung der Provinz sich zuerst auf drei, später, wie es scheint, nur
auf zwei Legionen, und durch deren Standlager und ihre Vorschiebung ist
die weitere Entwicklung bedingt. Wenn Augustus nach dem ersten Kriege
gegen die Dalmater Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save zum
Hauptwaffenplatz ausersehen hatte, so waren, nachdem Tiberius Pannonien
mindestens bis an die Drau unterworfen hatte, die Lager an diese
vorgeschoben worden, und wenigstens eines der pannonischen
Hauptquartiere befand sich seitdem in Poetovio (Pettau) an der
norischen Grenze. Die Ursache, weshalb die pannonische Armee ganz oder
zum Teil im Drautal verblieb, kann nur die gleiche gewesen sein, welche
zu der Anlage der dalmatinischen Legionslager geführt hat: man brauchte
hier die Truppen, um die Untertanen sowohl in dem nahen Noricum wie vor
allem im Draugebiet selbst in Gehorsam zu halten. Auf der Donau hielt
die römische Flotte Wacht, die schon im Jahre 50 erwähnt wird und
vermutlich mit der Einrichtung der Provinz entstanden war. Legionslager
gab es am Flusse selbst unter der Julisch-Claudischen Dynastie
vielleicht noch nicht ^2, wobei in Betracht kommt, daß der zunächst der
Provinz vorliegende Suebenstaat von Rom damals vollständig abhängig war
und für die Grenzdeckung einigermaßen genügte. Wie die dalmatinischen,
hat dann, wie es scheint, Vespasian auch die Lager an der Drau
aufgehoben und sie an die Donau selbst verlegt; seitdem ist das große
Hauptquartier der pannonischen Armee das früher norische Carnuntum
(Petronell östlich von Wien) und daneben Vindobona (Wien).
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^2 Daß im Jahre 50 noch keine Legionen an der Donau selbst standen,
folgt aus Tac. ann. 12, 29; sonst wäre es nicht nötig gewesen, zur
Aufnahme der übertretenden Sueben eine Legion dorthin zu schicken. Auch
die Anlage des claudischen Savaria paßt besser, wenn die Stadt damals
norisch war, als wenn sie schon zu Pannonien gehörte; und da die
Zuteilung dieser Stadt zu Pannonien mit der gleichen Abtrennung von
Carnuntum und mit der Verlegung der Legion dahin sicher der Zeit nach
zusammengehört, so dürfte dies alles erst in nachclaudischer Zeit
stattgefunden haben. Auch die geringe Zahl der in den Donaulagern
gefundenen Inschriften von Italikern (Eph. epigr. 5, p. 225) deutet auf
spätere Entstehung. Allerdings haben sich in Carnuntum einige
Grabschriften von Soldaten der 15. Legion gefunden, die nach der
äußeren Form und nach dem Fehlen des Cognomen älter zu sein scheinen
(O. Hirschfeld in Ärchäologisch-epigraphische Mittheilungen 5, 1881, S.
217). Derartige Zeitbestimmungen können, wo es sich um ein Dezennium
handelt, volle Sicherheit nicht in Anspruch nehmen; indes muß
eingeräumt werden, daß auch jene Argumente keinen vollen Beweis machen
und die Translokation früher, etwa unter Nero, begonnen haben kann. Für
die Anlegung oder Erweiterung dieses Lagers durch Vespasian spricht die
einen derartigen Bau bezeugende Inschrift von Carnuntum aus dem Jahre
73 (Hirschfeld a. a. O.).
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Die bürgerliche Entwicklung, wie wir sie in Noricum und an der Küste
Dalmatiens fanden, zeigt in Pannonien in gleicher Weise sich nur in
einigen, an der norischen Grenze gelegenen und zum Teil ursprünglich zu
Noricum gehörigen Distrikten; Emona und das obere Savetal stehen mit
Noricum gleich, und wenn Savaria (Steinamanger) zugleich mit den
norischen Städten italische Stadtverfassung empfangen hat, so wird,
solange Carnuntum eine norische Stadt war, wohl auch jener Ort zu
Noricum gehört haben. Erst seitdem die Truppen an der Donau standen,
ging die Regierung daran, das Hinterland städtisch zu organisieren. In
dem westlichen, ursprünglich norischen Gebiet erhielt Scarbantia
(Ödenburg am Neusiedler See) unter den Flaviern Stadtrecht, während
Vindobona und Carnuntum von selbst zu Lagerstädten wurden. Zwischen
Save und Drau empfingen Siscia und Sirmium unter den Flaviern, an der
Drau Poetovio (Pettau) unter Traianus Stadtrecht, Mursa (Eszeg) unter
Hadrian Kolonialrecht, um hier nur der Hauptorte zu gedenken. Daß die
überwiegend illyrische, aber zum guten Teil auch keltische Bevölkerung
der Romanisierung keinen energischen Widerstand entgegensetzte, ist
schon ausgesprochen worden; die alte Sprache und die alte Sitte
schwanden, wo die Römer hinkamen, und hielten sich nur in den
entfernteren Bezirken. Die weiten, aber wenig zur Ansiedelung
einladenden Striche östlich vom Raabfluß und nördlich der Drau bis zur
Donau sind wohl schon seit Augustus zum Reiche gerechnet worden, aber
vielleicht in nicht viel anderer Weise als Germanien vor der
Varusschlacht; hier hat die städtische Entwicklung weder damals noch
später rechten Boden gefunden, und auch militärisch ist dieses Gebiet
lange Zeit wenig oder gar nicht belegt worden. Dies hat sich erst
infolge der Einverleibung Dakiens unter Traian einigermaßen geändert;
die dadurch herbeigeführte Vorschiebung der pannonischen Lager gegen
die Ostgrenze der Provinz und die weitere innere Entwicklung Pannoniens
wird besser im Zusammenhang mit den Traianischen Kriegen geschildert.
Das letzte Stück des rechten Donauufers, das Bergland zu beiden Seiten
des Margus (Morawa) und das zwischen dem Haemus und der Donau lang sich
hinstreckende Flachland, war bewohnt von thrakischen Völkerschaften;
und es erscheint zunächst erforderlich, auf diesen großen Stamm als
solchen einen Blick zu werfen. Er geht dem illyrischen in gewissem
Sinne parallel. Wie die Illyrier einst die Landschaften vom
Adriatischen Meer bis zur mittleren Donau erfüllten, so saßen ehemals
die Thraker östlich von ihnen, vom Ägäischen Meer bis zur Donaumündung
und nicht minder einerseits auf dem linken Donauufer namentlich in dem
heutigen Siebenbürgen, andererseits jenseits des Bosporus wenigstens in
Bithynien und bis nach Phrygien; nicht mit Unrecht nennt Herodot die
Thraker das größte der ihm bekannten Völker nach den Indern. Wie der
illyrische ist auch der thrakische Stamm zu keiner vollen Entwicklung
gelangt und erscheint mehr gedrängt und verdrängt als in eigener,
geschichtliche Erinnerung hinterlassender Entwicklung. Aber während
Sprache und Sitte der Illyrier sich in einer wenngleich im Laufe der
Jahrhunderte verschlissenen Form bis auf den heutigen Tag erhalten
haben und wir mit einigem Recht das Bild der Palikaren aus der neueren
Geschichte in die der römischen Kaiserzeit übertragen, so gilt das
gleiche von den thrakischen Stämmen nicht. Vielfach und sicher ist es
bezeugt, daß die Völkerschaften des Gebiets, welchem infolge der
römischen Provinzialteilung schließlich der Name Thrakien geblieben
ist, sowie die mösischen zwischen dem Balkan und der Donau, und nicht
minder die Geten oder Daker am anderen Donauufer alle eine und dieselbe
Sprache redeten. Es hatte diese Sprache in dem römischen Kaiserreich
eine ähnliche Stellung wie die der Kelten und der Syrer. Der Historiker
und Geograph der augustischen Zeit, Strabo, erwähnt die Gleichheit der
Sprache der genannten Völker; in botanischen Schriften der Kaiserzeit
werden von einer Anzahl Pflanzen die dakischen Benennungen angegeben
^3. Als seinem Zeitgenossen, dem Poeten Ovidius Gelegenheit gegeben
wurde, über seinen allzu flotten Lebenswandel fern in der Dobrudscha
nachzudenken, benutzte er seine Muße, um getisch zu lernen, und wurde
fast ein Getenpoet:
Und ich schrieb, o weh! ein Gedicht in getischer Sprache,
Gratulierst du mir nicht, daß ich den Geten gefiel?
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^3 Thrakischer, getischer, dakischer Orts- und Personennamen kennen wir
ganze Reihen; sprachlich bemerkenswert ist eine mit -centhus
zusammengesetzte Gruppe von Personennamen: Bithicenthus, Zipacenthus,
Disacenthus, Tracicenthus, Linicenthus (BCH 6, 1882, S. 179), von denen
die ersten beiden in ihrer anderen Hälfte (Bithus, Zipa) auch isoliert
häufig begegnen. Eine ähnliche Gruppe bilden die Composita mit -poris,
wie Mucaporis (Thraker BCH, a. a. O., Daker zahlreich), Cetriporis,
Rhaskyporis, Bithoporis, Dirdiporis.
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Aber wenn die irischen Barden, die syrischen Missionare, die Bergtäler
Albaniens anderen Idiomen der Kaiserzeit eine gewisse Fortdauer gewahrt
haben, so ist das thrakische unter dem Völkergewoge des Donaugebiets
und dem übermächtigen Einfluß Konstantinopels verschollen, und wir
vermögen nicht einmal die Stelle zu bestimmen, welche ihm in dem
Völkerstammbaum zukommt. Die Schilderungen von Sitten und Gebräuchen
einzelner dazugehöriger Völkerschaften, über welche mancherlei Notizen
sich erhalten haben, ergeben keine für den ganzen Stamm gültigen
individuellen Züge und heben meistens nur Einzelheiten hervor, wie sie
bei allen Völkern auf niederer Kulturstufe sich zeigen. Aber ein
Soldatenvolk sind sie gewesen und geblieben, als Reiter nicht minder
brauchbar wie für die leichte Infanterie, von den Zeiten des
Peloponnesischen Krieges und Alexanders bis hinab in die der römischen
Caesaren, mochten sie gegen diese sich stemmen oder später für sie
fechten. Auch die wilde, aber großartige Weise der Götterverehrung darf
vielleicht als ein diesem Stamm eigentümlicher Grundzug aufgefaßt
werden, der gewaltige Ausbruch der Frühlings- und der Jugendlust, die
nächtlichen Bergfeste fackelschwingender Mädchen, die rauschende,
sinnverwirrende Musik, der strömende Wein und das strömende Blut, der
in Aufregung aller sinnlichen Leidenschaften zugleich rasende Taumel
der Feste. Dionysos, der herrliche und der schreckliche, ist ein
thrakischer Gott, und was der Art in dem hellenischen und dem römischen
Kult besonders hervortritt, knüpft an thrakische oder phrygische Sitte
an.
Während die illyrischen Völkerschaften in Dalmatien und Pannonien nach
der Niederwerfung der großen Insurrektion in den letzten Jahren des
Augustus die Entscheidung der Waffen nicht wieder gegen die Römer
angerufen haben, gilt von den thrakischen Stämmen nicht das gleiche;
der oft bewiesene Unabhängigkeitssinn und die wilde Tapferkeit dieser
Nation verleugnete auch in ihrem Untergang sich nicht. In dem Thrakien
südlich vom Haemus blieb das alte Fürstenrum unter römischer
Oberhoheit. Das einheimische Herrscherhaus der Odrysen, mit der
Residenz Bizye (Wiza) zwischen Adrianopel und der Küste des Schwarzen
Meeres, tritt schon in der früheren Zeit unter den thrakischen
Fürstengeschlechtern am meisten hervor; nach der Triumviralzeit ist von
anderen thrakischen Königen als denen dieses Hauses nicht ferner die
Rede, so daß die übrigen Fürsten durch Augustus zu Vasallen gemacht
oder beseitigt zu sein scheinen und mit dem thrakischen Königtum fortan
nur Glieder dieses Geschlechts belehnt worden sind. Es geschah dies
wahrscheinlich deshalb, weil während des ersten Jahrhunderts, wie
weiterhin zu zeigen sein wird, an der unteren Donau keine römischen
Legionen standen; den Grenzschutz an der Donaumündung erwartete
Augustus von dem thrakischen Vasallen. Rhoemetalkes, welcher in der
zweiten Hälfte der Regierung des Augustus als römischer Lehnskönig das
gesamte Thrakien beherrschte ^4, und seine Kinder und Enkel spielten
denn auch in diesem Lande ungefähr dieselbe Rolle wie Herodes und seine
Nachkommen in Palästina: unbedingte Ergebenheit gegen den Oberherrn,
entschiedene Hinneigung zu römischem Wesen, Verfeindung mit den
eigenen, die nationale Unabhängigkeit festhaltenden Landsleuten
bezeichnen die Stellung des thrakischen Herrscherhauses. Die große,
früher erzählte thrakische Insurrektion der Jahre 741-743 (13-11)
richtete sich zunächst gegen diesen Rhoemetalkes und seinen Bruder und
Mitherrscher Kotys, der dabei umkam, und wie er damals den Römern die
Wiedereinsetzung in seine Herrschaft verdankte, so trug er ihnen einige
Jahre später seinen Dank ab, indem er bei dem Aufstand der Dalmater und
der Pannonier, dem seine dakischen Stammesgenossen sich anschlossen,
treu zu den Römern hielt und an der Niederwerfung desselben
wesentlichen Anteil hatte. Sein Sohn Kotys war mehr Römer oder vielmehr
Grieche als Thraker; er führte seinen Stammbaum zurück auf Eumolpos und
Erichthonios und gewann die Hand einer Verwandten des kaiserlichen
Hauses, der Urenkelin des Triumvirn Antonius; nicht bloß die
griechischen und die lateinischen Poeten seiner Zeit sangen ihn an,
sondern er selbst war ebenfalls und nicht getischer Dichter ^5. Der
letzte der thrakischen Könige, des früh gestorbenen Kotys Sohn
Rhoemetalkes, war in Rom aufgewachsen und gleich dem Herodeer Agrippa
des Kaisers Gaius Jugendgespiele. Die thrakische Nation aber teilte
keineswegs die römischen Neigungen des regierenden Hauses, und die
Regierung überzeugte sich allmählich in Thrakien wie in Palästina, daß
der schwankende, nur durch beständiges Eingreifen der Schutzmacht
aufrecht erhaltene Vasallenthron weder für sie noch für das Land von
Nutzen und die Einführung der unmittelbaren Verwaltung in jeder
Hinsicht vorzuziehen sei. Kaiser Tiberius benutzte die in dem
thrakischen Königshause entstandenen Zerwürfnisse, um in der Form der
Vormundschaftsführung über die unmündigen Prinzen im Jahre 19 einen
römischen Statthalter, Titus Trebellenus Rufus, nach Thrakien zu
schicken. Doch vollzog sich diese Okkupation nicht ohne freilich
erfolglosen, aber ernstlichen Widerstand des Volkes, das namentlich in
den Bergtälern sich um die von Rom gesetzten Herrscher wenig kümmerte,
und dessen Mannschaften, von ihren Stammhäuptern geführt, sich kaum als
königliche, noch weniger als römische Soldaten fühlten. Die Sendung des
Trebellenus rief im Jahre 21 einen Aufstand hervor, an dem nicht bloß
die angesehensten thrakischen Völkerschaften sich beteiligten, sondern
der größere Verhältnisse anzunehmen drohte; Boten der Insurgenten
gingen über den Haemus, um in Mösien und vielleicht noch weiter hin den
Nationalkrieg zu entfachen. Indes die mösischen Legionen erschienen
rechtzeitig, um Philippopolis, das die Aufständischen belagerten, zu
entsetzen und die Bewegung zu unterdrücken. Aber als einige Jahre
später (25) die römische Regierung in Thrakien Aushebungen anordnete,
weigerten sich die Mannschaften, außerhalb des eigenen Landes zu
dienen. Da keine Rücksicht darauf genommen wurde, stand das ganze
Gebirge auf und es folgte ein Verzweiflungskampf, in welchem die
Insurgenten, endlich durch Durst und Hunger bezwungen, zum großen Teil
teils in die Schwerter der Feinde, teils in die eigenen sich stürzten
und lieber dem Leben entsagten als der altgewohnten Freiheit. Das
unmittelbare Regiment dauerte in der Form der Vormundschaftsführung in
Thrakien bis zum Tode des Tiberius; und wenn Kaiser Gaius bei dem
Antritt der Regierung dem thrakischen Jugendfreund ebenso wie dem
jüdischen die Herrschaft zurückgab, so machte wenige Jahre darauf, im
Jahre 46, die Regierung des Claudius ihr definitiv ein Ende. Auch diese
schließliche Einziehung des Königreichs und Umwandlung in einen
römischen Bezirk traf noch auf eine gleich hoffnungslose und gleich
hartnäckige Gegenwehr. Aber mit der Einführung der unmittelbaren
Verwaltung ist der Widerstand gebrochen. Eine Legion hat der
Statthalter, anfangs von Ritter-, seit Traian von Senatorenrang,
niemals gehabt; die in das Land gelegte Besatzung, wenn sie auch nicht
stärker war als 2000 Mann nebst einem kleinen bei Perinthos
stationierten Geschwader, genügte in Verbindung mit den sonst von der
Regierung getroffenen Vorsichtsmaßregeln, um die Thraker
niederzuhalten. Mit der Anlegung der Militärstraßen wurde gleich nach
der Einziehung begonnen; wir finden, daß die bei dem Zustand des Landes
erforderlichen Stationsgebäude für die Unterkunft der Reisenden bereits
im Jahre 61 von der Regierung eingerichtet und dem Verkehr übergeben
wurden. Thrakien ist seitdem eine gehorsame und wichtige Reichsprovinz;
kaum hat irgendeine andere für alle Teile der Kriegsmacht, insbesondere
auch für die Reiterei und die Flotte, so zahlreiche Mannschaften
gestellt wie dieses alte Heimatland der Fechter und der Lohnsoldaten.
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^4 Das sagt Tac. ann. 2, 64 ausdrücklich. Freie Thraker, vom römischen
Standpunkt aus betrachtet, gab es damals nicht; wohl aber behauptete
das thrakische Gebirge, namentlich die Rhodope der Besser, auch im
Friedensstand den von Rom eingesetzten Fürsten gegenüber eine kaum als
Untertänigkeit zu bezeichnende Stellung; sie erkannten wohl den König
an, gehorchten ihm aber, wie Tacitus (a. a. O. und 4, 46 u. 51) sagt,
nur, wenn es ihnen paßte.
^5 Wir haben noch ein Kotys gewidmetes griechisches Epigramm des
Antipater von Thessalonike (Anthol. Planud. 4, 75), desselben Dichters,
der auch den Thrakersieger Piso feierte, und eine an Kotys gerichtete
lateinische Epistel in Versen des Ovidius (Pont. 2, 9).
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Die ernsten Kämpfe, welche die Römer auf dem sogenannten thrakischen
Ufer, in der Landschaft zwischen dem Balkan und der Donau mit derselben
Nation zu bestehen hatten und welche zu der Einrichtung des mösischen
Kommandos führten, bilden einen wesentlichen Bestandteil der
Regulierung der Nordgrenze in augustischer Zeit und sind in ihrem
Zusammenhang bereits geschildert worden. Von ähnlichem Widerstand, wie
die Thraker ihn den Römern entgegensetzten, wird aus Mösien nichts
berichtet; die Stimmung daselbst mag nicht anders gewesen sein, aber in
dem ebenen Lande und unter dem Druck der bei Viminacium lagernden
Legionen trat der Widerstand nicht offen hervor.
Die Zivilisation kam den thrakischen Völkerschaften, wie den
illyrischen, von zwei Seiten: von der Küste her und von der
makedonischen Grenze die der Hellenen, von der dalmatischen und
pannonischen die lateinische. Über jene wird zweckmäßiger zu handeln
sein, wo wir versuchen, die Stellung der europäischen Griechen unter
der Kaiserherrschaft zu bezeichnen; hier genügt es im allgemeinen
hervorzuheben, daß dieselbe auch hier nicht bloß das Griechentum, wo
sie es fand, geschützt hat und die gesamte Küste, auch die dem
Statthalter von Mösien untergebene, stets griechisch geblieben ist,
sondern daß die Provinz Thrakien, deren Zivilisation ernstlich erst von
Traian begonnen und durchaus ein Werk der Kaiserzeit ist, nicht in die
römische Bahn gelenkt, sondern hellenisiert ward. Selbst die nördlichen
Abhänge des Haemus, obwohl administrativ zu Mösien gehörig, sind in
diese Hellenisierung hineingezogen, Nikopolis an der Jantra und
Markianopolis unweit Varna, beides Gründungen Traians, nach
griechischem Schema organisiert worden.
Von der lateinischen Zivilisation Mösiens gilt das gleiche wie von der
des angrenzenden dalmatischen und pannonischen Binnenlandes; nur tritt
dieselbe, wie natürlich, um so viel später, schwächer und unreiner auf,
je weiter sie von ihrem Ausgangspunkt sich entfernt. Überwiegend ist
sie hier den Legionslagern gefolgt und mit diesen nach Osten hin
vorgedrungen, ausgehend von den wahrscheinlich ältesten Mösiens bei
Singidunum (Belgrad) und Viminacium (Kostolatz) ^6. Freilich hat sie,
der Beschaffenheit ihrer bewaffneten Apostel entsprechend, auch in
Obermösien sich auf sehr niedriger Stufe gehalten und den primitiven
Zuständen noch Spielraum genug gelassen. Viminacium hat durch Hadrian
italisches Stadtrecht erhalten. Niedermösien zwischen dem Balkan und
der Donau ist in der früheren Kaiserzeit wohl durchaus in der
Verfassung geblieben, welche die Römer vorfanden; erst als die
Legionslager an der unteren Donau bei Novae, Durostorum und Troesmis
gegründet wurden, was, wie weiter unten dargelegt werden wird, wohl
erst im Anfang des 2. Jahrhunderts geschah, ist auch dieser Teil des
rechten Donauufers eine Stätte derjenigen italischen Zivilisation
geworden, welche mit der Lagerordnung sich vertrug. Seitdem sind hier
auch bürgerliche Ansiedlungen entstanden, namentlich an der Donau
selbst zwischen den großen Standlagern die nach italischem Muster
eingerichteten Städte Ratiaria unweit Widin und Oescus am Einfluß der
Iskra in die Donau, und allmählich näherte sich die Landschaft dem
Niveau der damals noch bestehenden, freilich in sich verfallenden
römischen Kultur. Für den Wegebau in Untermösien sind seit Hadrian, von
dem die ältesten bisher daselbst gefundenen Meilensteine herrühren, die
Regenten vielfach tätig gewesen.
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^6 Es ist eine der empfindlichsten Lücken der römischen
Kaisergeschichte, daß die Standlager der beiden Legionen, welche unter
den Julisch-Claudischen Kaisern die Besatzung von Mösien bildeten, der
4. Scythica und der 5. Macedonica (wenigstens standen diese dort im
Jahre 33: CIL III, 1698) sich bis jetzt nicht mit Sicherheit nachweisen
lassen. Wahrscheinlich waren es Viminacium und Singidunum in dem
späteren Obermösien. Unter den Legionslagern Niedermösiens, von denen
namentlich das von Troesmis zahlreiche Monumente aufzuweisen hat,
scheint keines älter zu sein als Hadrian; die Überreste der
obermösischen sind bis jetzt so sparsam, daß sie wenigstens nicht
hindern, deren Entstehung ein Jahrhundert weiter zurück zu legen. Wenn
der König von Thrakien im Jahre 18 gegen Bastarner und Skythen rüstet
(Tac. ann. 2, 65), so hätte dies auch als Vorwand nicht geltend gemacht
werden können, wenn niedermösische Legionslager schon damals bestanden
hätten. Eben diese Erzählung zeigt, daß die Kriegsmacht dieses
Lehnsfürsten nicht unbedeutend war, und die Beseitigung eines
unfügsamen Königs von Thrakien Vorsicht erheischte.
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Wenden wir uns von der Übersicht der römischen Herrschaft, wie sie seit
Augustus in den Ländern am rechten Ufer der Donau sich gestaltet hatte,
zu den Verhältnissen und den Anwohnern des linken, so ist, was über die
westliche Landschaft zu bemerken wäre, im wesentlichen schon bei der
Schilderung Obergermaniens zur Sprache gekommen und namentlich
hervorgehoben worden, daß die zunächst an Rätien angrenzenden Germanen,
die Hermunduren, unter den sämtlichen Nachbarn der Römer die
friedfertigsten gewesen und, soviel uns bekannt, niemals mit denselben
in Konflikt geraten sind.
Daß das Volk der Markomannen oder, wie die Römer sie in früherer Zeit
gewöhnlich nennen, der Sueben, nachdem es in augustischer Zeit in dem
alten Boierland, dem heutigen Böhmen, neue Sitze gefunden und durch den
König Maroboduus eine festere staatliche Organisation sich gegeben
hatte, während der römisch-germanischen Kriege zwar Zuschauer blieb,
aber doch durch die Dazwischenkunft der rheinischen Germanen vor der
drohenden römischen Invasion bewahrt ward, ist bereits erzählt worden;
nicht minder, daß der Rückschlag des abermaligen Abbruchs der römischen
Offensive am Rhein diesen allzu neutralen Staat über den Haufen warf.
Die Vormachtstellung, welche die Markomannen unter Maroboduus über die
entfernteren Völker im Elbegebiet gewonnen hatten, ging damit verloren,
und der König selbst ist als vertriebener Mann auf römischer Erde
gestorben. Die Markomannen und ihre stammverwandten östlichen Nachbarn,
die Quaden in Mähren, gerieten insofern in römische Klientel, als hier,
ungefähr wie in Armenien, die um die Herrschaft streitenden
Prätendenten sich teilweise auf die Römer stützten und diese das
Belehnungsrecht in Anspruch nahmen und je nach Umständen auch ausübten.
Der Gotonenfürst Catualda, der zunächst den Maroboduus gestürzt hatte,
konnte als dessen Nachfolger sich nicht lange behaupten, zumal da der
König der benachbarten Hermunduren, Vibilius, gegen ihn eintrat; auch
er mußte auf römisches Gebiet übertreten und, gleich Maroboduus, die
kaiserliche Gnade anrufen. Tiberius bewirkte dann, daß ein vornehmer
Quade, Vannius, an seine Stelle kam; dem zahlreichen Gefolge der beiden
verbannten Könige, das auf dem rechten Donauufer nicht bleiben durfte,
verschaffte Tiberius Sitze auf dem linken im Marchtal ^7 und dem
Vannius die Anerkennung von Seiten der mit Rom befreundeten
Hermunduren. Nach dreißigjähriger Herrschaft wurde dieser im Jahre 50
gestürzt durch seine beiden Schwestersöhne Vangio und Sido, die sich
gegen ihn auflehnten und die Nachbarvölker, die Hermunduren im
Fränkischen, die Lugier in Schlesien, für sich gewannen. Die römische
Regierung, die Vannius um Unterstützung anging, blieb der Politik des
Tiberius getreu: sie gewährte dem gestürzten König das Asylrecht,
intervenierte aber nicht, da zumal die Nachfolger, die das Gebiet unter
sich teilten, bereitwillig die römische Oberherrschaft anerkannten. Der
neue Suebenfürst Sido und sein Mitherrscher Italicus, vielleicht der
Nachfolger Vangios, fochten in der Schlacht, die zwischen Vitellius und
Vespasian entschied, mit der römischen Donauarmee auf der Seite der
Flavianer. In den großen Krisen der römischen Herrschaft an der Donau
unter Domitian und Marcus werden wir ihren Nachfolgern wieder begegnen.
Zum Römischen Reich haben die Donausueben nicht gehört; die
wahrscheinlich von denselben geschlagenen Münzen zeigen wohl
lateinische Aufschriften, aber nicht römischen Fuß, geschweige denn das
Bildnis des Kaisers; eigentliche Abgaben und Aushebungen für Rom haben
hier nicht stattgefunden. Aber in dem Machtbereich Roms ist, namentlich
im ersten Jahrhundert, der Suebenstaat in Böhmen und Mähren
einbegriffen gewesen und, wie schon bemerkt ward, ist dies auch auf die
Aufstellung der römischen Grenzwacht nicht ohne Einfluß geblieben.
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^7 Daß das regnum Vannianum (Plin. nat. 4, 12, 81), der Suebenstaat
(Tac. ann. 12, 29; hist. 3, 5 u. 21) nicht bloß, wie es nach Tacitus
ann. 2, 63 scheinen könnte, auf die Wohnsitze der mit Maroboduus und
Catualda übergetretenen Leute, sondern auf das ganze Gebiet der
Markomannen und Quaden bezogen werden muß, zeigt deutlich der zweite
Bericht ann. 12, 29 u. 30, da hier als Gegner des Vannius neben seinen
eigenen insurgierten Untertanen die westlich und nördlich an Böhmen
angrenzenden Völker, die Hermunduren und Lugier, erscheinen. Als Grenze
gegen Osten bezeichnet Plinius (a. a. O.) die Gegend von Carnuntum
(Germanorum ibi confinium), genauer den Fluß Marus oder Duria, der die
Sueben und das regnum Vannianum von ihren östlichen Nachbarn scheidet,
mag man nun das dirimens eos mit Müllenhoff (SB Berlin 1883, S. 871)
auf die Jazygen oder, was näher liegt, auf die Bastarner beziehen.
Sachlich grenzten wohl beide, die Jazygen südlich, die Bastarner
nördlich, mit den Quaden des Marchtals. Demnach ist der Marus die March
und die Scheide machen die zwischen dem March- und dem Waagtal sich
erstreckenden kleinen Karpaten. Wenn also jene Gefolgschaften inter
flumen Marum et Cusum angesiedelt werden, so ist der sonst nicht
genannte Cusus, falls die Angabe genau ist, nicht die Waag oder gar,
wie Müllenhoff meinte, die, unterhalb Gran in die Donau fallende Eipel,
sondern ein Zufluß der Donau westlich der March, etwa der Gusen bei
Linz. Auch fordert die Erzählung bei Tacitus (ann. 12, 29 u. 30), daß
das Gebiet des Vannius westlich noch über die March hinausgereicht hat.
Die Subskription unter dem ersten Buch der Betrachtungen des Kaisers
Marcus εν Κουάδοις πρός τώ Γρανοία beweist wohl, daß damals der
Quadenstaat sich bis zum Granfluß erstreckte; aber dieser Staat deckt
sich nicht mit dem regnum Vannianum.
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In der Ebene zwischen Donau und Theiß, ostwärts von dem römischen
Pannonien, hat zwischen dieses und die thrakischen Daker sich ein
Splitter geschoben des wahrscheinlich zum medisch-persischen Stamm
gehörigen Volkes der Sarmaten, das, nomadisch lebend als Hirten- und
Reitervolk, die weite osteuropäische Ebene zum großen Teil füllte; es
sind dies die Jazygen, die “ausgewanderten” (μετανάσται) genannt zum
Unterschied von dem am Schwarzen Meer zurückgebliebenen Hauptstamm. Die
Benennung zeigt, daß sie erst verhältnismäßig spät in diese Gegenden
vorgedrungen sind; vielleicht gehört ihre Einwanderung mit zu den
Stößen, unter denen um die Zeit der Actischen Schlacht das Dakerreich
des Burebista zusammenbrach. Uns begegnen sie hier zuerst unter Kaiser
Claudius; dem Suebenkönig Vannius stellten die Jazygen für seine Kriege
die Reiterei. Die römische Regierung war auf der Hut vor den flinken
und räuberischen Reiterscharen, stand aber übrigens zu ihnen nicht in
feindlichen Beziehungen. Als die Donaulegionen im Jahre 70 nach Italien
marschierten, um Vespasian auf den Thron zu setzen, lehnten sie den von
den Jazygen angebotenen Reiterzuzug ab und führten nur in schicklicher
Form eine Anzahl der Vornehmsten mit sich, damit diese inzwischen für
die Ruhe an der entblößten Grenze bürgten.
Ernstlicher und dauernder Wacht bedurfte es weiter abwärts an der
unteren Donau. Jenseits des mächtigen Stromes, der jetzt des Reiches
Grenze war, saßen hier in den Ebenen der Walachei und dem heutigen
Siebenbürgen die Daker, in dem östlichen Flachland, in der Moldau,
Bessarabien und weiter hin zunächst die germanischen Bastarner, alsdann
sarmatische Stämme, wie die Roxolaner, ein Reitervolk gleich den
Jazygen, anfänglich zwischen Dnjepr und Don, dann am Meerufer entlang
vorrückend. In den ersten Jahren des Tiberius verstärkte der Lehnsfürst
von Thrakien seine Truppen, um die Bastarner und Skythen abzuwehren; in
Tiberius’ späteren Jahren wurde unter anderen Beweisen seines mehr und
mehr alles gehen lassenden Regiments geltend gemacht, daß er die
Einfälle der Daker und der Sarmaten ungestraft hinnehme. Wie es in den
letzten Jahren Neros diesseits und jenseits der Donaumündung zuging,
zeigt ungefähr der zufällig erhaltene Bericht des damaligen
Statthalters von Mösien, Tiberius Plautius Silvanus Aelianus. Dieser
“führte über 100000 jenseits der Donau wohnhafte Männer mit ihren
Weibern und Kindern und ihren Fürsten oder Königen über den Fluß, so
daß sie der Steuerentrichtung unterlagen. Eine Bewegung der Sarmaten
unterdrückte er, bevor sie zum Ausbruch kam, obwohl er einen großen
Teil seiner Truppen zur Kriegführung in Armenien (an Corbulo) abgegeben
hatte. Eine Anzahl bis dahin unbekannter oder mit den Römern in Fehde
stehender Könige führte er über auf das römische Ufer und nötigte sie,
vor den römischen Feldzeichen den Fußfall zu tun. Den Königen der
Bastarner und der Roxolaner sandte er die gefangenen oder den Feinden
wieder abgenommenen Söhne, denen der Daker die gefangenen Brüder zurück
^8 und nahm von mehreren derselben Geiseln. Dadurch wurde der
Friedensstand der Provinz sowohl befestigt wie weiter erstreckt. Auch
den König der Skythen bestimmte er, abzustehen von der Belagerung der
Stadt Chersonesos (Sevastopol) jenseits des Borysthenes. Es war der
erste, der durch große Getreidesendungen aus dieser Provinz das Brot in
Rom wohlfeiler machte”. Man erkennt hier deutlich sowohl den unter der
Julisch-Claudischen Dynastie am linken Donauufer gärenden
Völkerstrudel, wie auch den starken Arm der Reichsgewalt, der selbst
über den Strom hinüber die Griechenstädte am Dnjepr und in der Krim
noch zu schützen suchte und einigermaßen auch zu schützen vermochte,
wie dies bei der Darstellung der griechischen Verhältnisse weiter
dargelegt werden wird.
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^8 Regibus Bastarnarum et Roxolanorum filios, Dacorum fratrum captos
aut hostibus ereptos remisit (Orelli 750) ist verschrieben; es muß
Fratres heißen oder allenfalls fratrum filios. Ebenso ist nachher per
quaezu lesen für per quem und rege statt regem.
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Indes die Streitkräfte, über welche Rom hier verfügte, waren mehr als
unzulänglich. Die geringfügige Besatzung Kleinasiens und die ebenfalls
geringe Flotte auf dem Schwarzen Meer kamen höchstens für die
griechischen Anwohner der nördlichen und der westlichen Küste desselben
in Betracht. Dem Statthalter von Mösien, der mit seinen beiden Legionen
das Donauufer von Belgrad bis zur Mündung zu schirmen hatte, war eine
sehr schwierige Aufgabe gestellt; und die Beihilfe der wenig botmäßigen
Thraker war unter Umständen eine Gefahr mehr. Insbesondere nach der
Mündung der Donau zu mangelte ein genügendes Bollwerk gegen die hier
mit steigender Wucht andrängenden Barbaren. Der zweimalige Abzug der
Donaulegionen nach Italien in den Wirren nach Neros Tod rief mehr noch
an der Donaumündung als am Unterrhein Einfälle der Nachbarvölker
hervor, zuerst der Roxolaner, dann der Daker, dann der Sarmaten, das
heißt wohl der Jazygen. Es waren schwere Kämpfe; in einem dieser
Gefechte, wie es scheint gegen die Jazygen, blieb der tapfere
Statthalter von Mösien, Gaius Fonteius Agrippa. Dennoch schritt
Vespasian nicht zu einer Vermehrung der Donauarmee ^9; die
Notwendigkeit, die asiatischen Garnisonen zu verstärken, muß noch
dringender erschienen sein und die damals besonders gebotene
Sparsamkeit verbot jede Erhöhung der Gesamtarmee. Er begnügte sich, wie
es die Befriedung des Binnenlandes erlaubte und die an der Grenze
bestehenden Verhältnisse sowie die durch die Einziehung Thrakiens
herbeigeführte Auflösung der thrakischen Truppen gebieterisch
verlangten, die großen Lager der Donauarmee an die Reichsgrenze
vorzuschieben. So kamen die pannonischen von der Drau weg dem
Suebenreich gegenüber nach Carnuntum und Vindobona und die dalmatischen
von der Kerka und der Cettina an die mösischen Donauufer ^10, so daß
der Statthalter von Mösien seitdem über die doppelte Zahl von Legionen
verfügte.
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^9 In Pannonien standen um das Jahr 70 zwei Legionen, die 13. gemina
und die 15. Apollinaris, für welche letztere während ihrer Beteiligung
am Armenischen Krieg einige Zeit die 7. gemina eintrat (CIL III, p.
482). Von den beiden später hinzugetretenen Legionen, 1. adiutrix und
2. adiutrix, lag die erste noch im Anfang der Regierung Traians in
Obergermanien und kann erst unter diesem nach Pannonien gekommen sein;
die zweite unter Vespasian in Britannien stationierte ist
wahrscheinlich erst unter Domitian nach Pannonien gekommen. Auch das
mösische Heer zählte nach der Vereinigung mit dem dalmatischen unter
Vespasian wahrscheinlich nur vier Legionen, also soviel wie bisher
beide Heere zusammen, die späteren obermösischen 4. Flavia und 7.
Claudia und die späteren untermösischen 1. Italica und 5. Macedonica.
Die durch die Hin- und Hermärsche des Vierkaiserjahres verschobenen
Stellungen (Marquardt, Römische Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 435),
welche zeitweilig drei Legionen nach Mösien brachten, dürfen nicht
täuschen. Die spätere dritte untermösische Legion, die 11., stand noch
unter Traian in Obergermanien.
^10 Ios. bel. Iud. 7, 4, 3: πλείοσι καί μείζοσι φυλακαίς τόν τόπον
διέλαβεν, ως είναι τοίς βαρβάροιςτήν διάβασιν τελέως αδύνατον. Damit
scheint die Verlegung der beiden dalmatischen Legionen nach Mφsien
gemeint. Wohin sie gelegt wurden, wissen wir nicht. Nach der sonstigen
römischen Weise ist es wahrscheinlicher, daß sie in dem Umkreis des
bisherigen Hauptquartiers Viminacium stationiert worden sind als in der
entfernten Gegend der Donaumündungen. Die Entstehung der dortigen Lager
ist wohl erst erfolgt bei der Teilung des mösischen Kommandos und bei
Einrichtung der selbständigen Provinz Untermösien unter Domitian.
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Eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu Ungunsten Roms trat unter
Domitian ein ^11, oder es wurden vielmehr damals die Konsequenzen der
ungenügenden Grenzverteidigung gezogen. Nach dem wenigen, was wir
darüber wissen, knüpfte die Wandlung der Dinge, ganz wie die gleiche in
Caesars Zeit, an einen einzelnen dakischen Mann an; was König Burebista
geplant hatte, schien König Decebalus ausführen zu sollen. Wie sehr in
seiner Persönlichkeit die eigentliche Triebfeder lag, beweist die
Erzählung, daß der Dakerkönig Duras, um den rechten Mann an die rechte
Stelle zu bringen, zu Gunsten des Decebalus von seinem Amt zurücktrat.
Daß Decebalus, um zu schlagen, vor allem organisierte, beweisen die
Berichte über seine Einführung der römischen Disziplin bei der
dakischen Armee und die Anwerbung tüchtiger Leute unter den Römern
selbst, und selbst die nach dem Siege von ihm den Römern gestellte
Bedingung, ihm zur Unterweisung der Seinigen in den Handwerken des
Friedens wie des Krieges die nötigen Arbeiter zu liefern. In welchem
großen Stil er sein Werk ergriff, beweisen die Verbindungen, die er
nach Westen und Osten anknüpfte, mit den Sueben und den Jazygen und
sogar mit den Parthern. Die Angreifenden waren die Daker. Der
Statthalter der Provinz Mösien, der ihnen zuerst entgegentrat, Oppius
Sabinus, ließ sein Leben auf dem Schlachtfelde. Eine Reihe kleinerer
Lager wurde erobert, die großen bedroht, der Besitz der Provinz selbst
stand in Frage. Domitianus selbst begab sich zu der Armee und sein
Stellvertreter - er selbst war kein Feldherr und blieb zurück -, der
Gardekommandant Cornelias Fuscus, führte das Heer über die Donau; aber
er büßte das unbedachte Vorgehen mit einer schweren Niederlage, und
auch er, der zweite Höchstkommandierende, blieb vor dem Feind. Sein
Nachfolger Iulianus, ein tüchtiger Offizier, schlug die Daker in ihrem
eigenen Gebiet in einer großen Schlacht bei Tapae und war auf dem Wege,
dauernde Erfolge zu erreichen. Aber während der Kampf gegen die Daker
schwebte, hatte Domitianus die Sueben und die Jazygen mit Krieg
überzogen, weil sie es unterlassen hatten, ihm Zuzug gegen jene zu
senden; die Boten, die dies zu entschuldigen kamen, ließ er hinrichten
^12. Auch hier verfolgte das Mißgeschick die römischen Waffen. Die
Markomannen erfochten einen Sieg über den Kaiser selbst; eine ganze
Legion ward von den Jazygen umzingelt und niedergehauen. Durch diese
Niederlage erschüttert, schloß Domitian trotz der von Iulianus über die
Daker gewonnenen Vorteile mit diesen voreilig einen Frieden, der ihn
zwar nicht hinderte, dem Vertreter des Decebalus in Rom, Diegis, gleich
als wäre dieser Lehnsträger der Römer, die Krone zu verleihen und als
Sieger auf das Kapitol zu ziehen, der aber in Wirklichkeit einer
Kapitulation gleich kam. Wozu Decebalus bei dem Einrücken des römischen
Heeres in Dakien sich höhnisch erboten hatte, jeden Mann, für den ihm
eine jährliche Zahlung von 2 Assen zugesichert werde, ungeschädigt nach
Hause zu entlassen, das wurde beinahe wahr; in dem Frieden wurden mit
einer jährlich zu entrichtenden Abstandssumme die Einfälle in Mösien
abgekauft.
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^11 Die Chronologie des dakischen Krieges liegt sehr im Ungewissen. Daß
er bereits vor dem Chattenkrieg (83) begonnen hat, lehrt die
karthagische Inschrift CIL VIII, 1082 eines dreimal von Domitian, im
dakischen, im germanischen und wieder im dakischen Kriege dekorierten
Soldaten. Eusebius setzt den Ausbruch des Krieges oder vielmehr den
ersten großen Kampf in das Jahr Abrahams 2101 oder 2102 = n. Chr. 85
(genauer 1. Oktober 84-30. September 85) oder 86, den Triumph in das
Jahr 2106 = 90; auf völlige Zuverlässigkeit haben diese Zahlen freilich
keinen Anspruch. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird der Triumph in das
Jahr 89 gesetzt (W. Henzen, Acta fratrum Arvalium. Berlin 1874, S.
116).
^12 Das Fragment Dio 67, 7, 1 Dind. steht in der Folge der Ursinischen
Exzerpte vor 67, 5, 1 bis 3 und gehört auch nach der Folge der
Ereignisse vor die Verhandlung mit den Lugiern. Vgl. Hermes 3, 1868, S.
115.
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Hier mußte Wandel geschafft werden. Auf Domitian, der wohl ein guter
Reichsverwalter, aber stumpf für die Forderungen der militärischen Ehre
war, folgte nach dem kurzen Regiment Nervas Kaiser Traianus, der,
zuerst und vor allem Soldat, nicht bloß jenen Vertrag zerriß, sondern
auch die Maßregeln danach traf, daß ähnliche Dinge sich nicht
wiederholten. Der Krieg gegen die Sueben und Sarmaten, der bei
Domitians Tod (96) noch dauerte, ward, wie es scheint, unter Nerva im
Jahre 97 glücklich beendigt. Der neue Kaiser ging, noch bevor er in die
Hauptstadt des Reiches seinen Einzug hielt, vom Rhein an die Donau, wo
er im Winter 98/99 verweilte, aber nicht, um sofort die Daker
anzugreifen, sondern um den Krieg vorzubereiten; in diese Zeit gehört
die an die Straßenbauten in Obergermanien anschließende Anlage der am
rechten Donauufer, in der Gegend von Orsowa, im Jahre 100 vollendeten
Straße. Zum Kriege gegen die Daker, in dem er wie in allen seinen
Feldzügen selbst kommandierte, ging er erst im Frühjahr 101 ab. Er
überschritt die Donau unterhalb Viminacium und rückte gegen die nicht
weit davon entfernte Hauptstadt des Königs Sarmizegetusa vor. Decebalus
mit seinen Verbündeten - die Barer und andere nordwärts wohnende Stämme
beteiligten sich an diesem Kampf - leistete entschlossenen Widerstand,
und nur mit heftigen und blutigen Gefechten bahnten die Römer sich den
Weg; die Zahl der Verwundeten war so groß, daß der Kaiser seine eigene
Garderobe den Ärzten zur Verfügung stellte. Aber der Sieg schwankte
nicht. Eine feste Burg nach der anderen fiel; die Schwester des Königs,
die Gefangenen aus dem vorigen Krieg, die den Heeren Domitians
abgenommenen Feldzeichen fielen den Römern in die Hände; durch Traianus
selbst und durch den tapferen Lusius Quietus in die Mitte genommen,
blieb dem König nichts übrig als vollständige Ergebung (102). Auch
verlangte Traianus nichts geringeres als den Verzicht auf die souveräne
Gewalt und den Eintritt des Dakischen Reiches in die römische Klientel.
Die Überläufer, die Waffen, die Kriegsmaschinen, die einst für diese
von Rom gestellten Arbeiter maßten abgeliefert werden und der König
persönlich vor dem Sieger den Fußfall tun; er begab sich des Rechts auf
Krieg und Frieden und versprach die Heerfolge; die Festungen wurden
entweder geschleift oder den Römern ausgeliefert und in diesen, vor
allem in der Hauptstadt, blieb römische Besatzung. Die mächtige
steinerne Brücke, die Traian bei Drobetae (gegenüber Turnu Severinului)
über die Donau schlagen ließ, stellte die Verbindung auch in der
schlimmen Jahreszeit sicher und gab den dakischen Besatzungen an den
nahen Legionen Obermösiens einen Rückhalt. Aber die dakische Nation und
vor allem der König selbst wußten sich in die Abhängigkeit nicht so zu
fügen, wie es die Könige von Kappadokien und Mauretanien verstanden
hatten, oder hatten vielmehr das Joch nur auf sich genommen in der
Hoffnung, bei erster Gelegenheit sich desselben wieder zu entledigen.
Die Anzeichen dafür traten bald hervor. Ein Teil der auszuliefernden
Waffen wurde zurückgehalten, die Kastelle nicht, wie es bedungen war,
übergeben, römischen Überläufern auch ferner noch eine Freistatt
gewährt, den mit den Dakern verfeindeten Jazygen Gebietsstücke
entrissen oder vielleicht auch nur deren Grenzverletzungen nicht
hingenommen, mit den entfernteren, noch freien Nationen ein lebhafter
und bedenklicher Verkehr unterhalten. Traianus mußte sich überzeugen,
daß er halbe Arbeit gemacht, und kurz entschlossen, wie er war,
erklärte er, ohne auf weitere Verhandlungen sich einzulassen, drei
Jahre nach dem Friedensschluß (105) dem König abermals den Krieg. Gern
hätte dieser ihn abgewandt; aber die Forderung, sich gefangen zu geben,
sprach allzu deutlich. Es blieb nichts als der Kampf der Verzweiflung,
und dazu waren nicht alle bereit; ein großer Teil der Daker unterwarf
sich ohne Gegenwehr. Der Aufruf an die Nachbarvölker, in die Abwehr für
die auch ihrer Freiheit und ihrem Volkstum drohende Gefahr mit
einzutreten, verhallte ohne Wirkung; Decebalus und die ihm
treugebliebenen Daker standen in diesem Krieg allein. Die Versuche, den
kaiserlichen Feldherrn durch Überläufer aus dem Wege zu schaffen, oder
mit der Losgebung eines gefangengenommenen hohen Offiziers erträgliche
Bedingungen zu erkaufen, scheiterten ebenfalls. Der Kaiser zog abermals
als Sieger in die feindliche Hauptstadt ein und Decebalus, der bis zum
letzten Augenblick mit dem Verhängnis gerungen hatte, gab, als alles
verloren war, sich selber den Tod (107). Diesmal machte Traianus ein
Ende; der Krieg galt nicht mehr der Freiheit des Volkes, sondern seiner
Existenz. Aus dem besten Teile des Landes wurde die eingeborene
Bevölkerung ausgetrieben und diese Striche mit einer, für die Bergwerke
aus den Gebirgen Dalmatiens, sonst überwiegend, wie es scheint, aus
Kleinasien herangezogenen nationslosen Bevölkerung wiederbesetzt. In
manchen Gegenden freilich blieb dennoch die alte Bevölkerung und
behauptete sich sogar die Landessprache ^13; diese Daker sowohl wie die
außerhalb der Grenzen hausenden Splitter haben auch nachher noch, zum
Beispiel unter Commodus und Maximinus, den Römern zu schaffen gemacht;
aber sie standen vereinzelt und verkamen. Die Gefahr, mit der der
kräftige Thrakerstamm mehrmals die römische Herrschaft bedroht hatte,
durfte nicht wiederkehren, und dies Ziel hat Traianus erreicht. Das
traianische Rom war nicht mehr das der hannibalischen Zeit; aber es war
immer noch gefährlich, die Römer besiegt zu haben.
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^13 Arr. takt. 44 erwähnt unter den Änderungen, die Hadrian bei der
Kavallerie einführte, daß er den einzelnen Abteilungen ihre nationalen
Schlachtrufe gestattet habe, Κελτικούς μέν τοίς Κελτοίς ιππεύσιν,
Γετικούς δέ τοίς Γέταις, Ραίτικους δέ όσοι εκ Ραίτων.
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Die stattliche Säule, welche sechs Jahre darauf dem Kaiser von dem
Reichssenat auf dem neuen Traiansmarkt der Hauptstadt errichtet ward
und die ihn heute noch schmückt, ist ein Zeugnis der verwüsteten
Geschichtsüberlieferung der römischen Kaiserzeit, wie wir kein zweites
besitzen. In ihrer ganzen Höhe von genau 100 römischen Fuß ist sie
bedeckt mit einzelnen Darstellungen - man zählt deren 124; ein
gemeißeltes Bilderbuch der dakischen Kriege, zu welchem uns fast
überall der Text fehlt. Wir sehen die Wachttürme der Römer mit ihrem
spitzen Dach, ihrem pallisadierten Hof, ihrem oberen Umgang, ihren
Feuersignalen. Die Stadt am Ufer des Donaustroms, dessen Flußgott den
römischen Kriegern zuschaut, wie sie unter ihren Feldzeichen auf der
Schiffbrücke entlangziehen. Den Kaiser selbst im Kriegsrat, dann vor
den Wällen des Lagers am Altar opfernd. Es wird erzählt, daß die den
Dakern verbündeten Burer den Traian vom Kriege abmahnten in einem
lateinischen, auf einen gewaltigen Pilz geschriebenen Spruch: man
meint, diesen Pilz zu erkennen, auf ein Saumtier geladen, von dem
gestürzt ein Barbar mit der Keule, auf dem Boden liegend, dem
heranschreitenden Kaiser mit dem Finger den Pilz weist. Wir sehen das
Lager schlagen, die Bäume fällen, Wasser holen, die Brücke legen. Die
ersten gefangenen Daker, leicht kenntlich an ihren langärmligen Kitteln
und ihren weiten Hosen, werden, die Hände auf den Rücken gebunden und
an ihrem langen Haarbusch von den Soldaten gefaßt, vor den Kaiser
geführt. Wir sehen die Gefechte, die Speer- und Steinschleuderer, die
Sichelträger, die Bogenschützen zu Fuß, die auch den Bogen führenden
schweren Panzerreiter, die Drachenfahne der Daker, die feindlichen
Offiziere, geschmückt mit dem Zeichen ihres Ranges, der runden Mütze,
den Fichtenwald, in den die Daker ihre Verwundeten tragen, die
abgehauenen Köpfe der Barbaren, vor dem Kaiser niedergelegt. Wir sehen
das dakische Pfahldorf mitten im See, in dessen runde Hütten mit
spitzem Dach die Brandfackeln fliegen. Frauen und Kinder flehen den
Kaiser um Gnade an. Die Verwundeten werden gepflegt und verbunden,
Ehrenzeichen an Offiziere und Soldaten ausgeteilt. Dann geht es weiter
im Kampf: die feindlichen Verschanzungen, teils von Holz, teils
Steinmauern, werden angegriffen, das Belagerungsgeschütz fährt auf, die
Leitern werden herangetragen, unter dem Schilderdach greift die
Sturmkolonne an. Endlich liegt der König mit seinem Gefolge zu den
Füßen Traians; die Drachenfahnen sind in Römerhand; die Truppen
begrüßen jubelnd den Imperator; vor den aufgetürmten Waffen der Feinde
steht die Victoria und beschreibt die Tafel des Sieges.. Es folgen die
Bilder des zweiten Krieges, im ganzen der ersten Reihe gleichartig;
bemerkenswert ist eine große Darstellung, welche, nachdem die
Königsburg in Flammen aufgegangen ist, die Fürsten der Daker zu zeigen
scheint, sitzend um einen Kessel und einer nach dem andern den
Giftbecher leerend; eine andere, wo des tapferen Dakerkönigs Haupt auf
einer Schüssel dem Kaiser gebracht wird; endlich das Schlußbild, die
lange Reihe der Besiegten mit Frauen, Kindern und Herden aus der Heimat
abziehend. Die Geschichte dieses Krieges hat der Kaiser selbst
geschrieben, wie Friedrich der Große die des Siebenjährigen, und nach
ihm viele andere; uns ist alles dies verloren, und wie niemand es wagen
würde, nach Menzels Bildern die Geschichte des Siebenjährigen Krieges
zu erfinden, so bleibt auch uns nur mit dem Einblick in halb
verständliche Einzelheiten die schmerzliche Empfindung einer bewegten
und großen, auf ewig verblaßten und selbst für die Erinnerung
vergangenen geschichtlichen Katastrophe.
Die Grenzverteidigung im Donaugebiet wurde infolge der Verwandlung
Dakiens in eine römische Provinz nicht in dem Grade verschoben, wie man
wohl erwarten sollte; eine eigentliche Veränderung der
Verteidigungslinie trat nicht ein, sondern es wurde die neue Provinz im
ganzen als eine exzentrische Position behandelt, die nur nach Süden
hin, an der Donau selbst, unmittelbar mit dem römischen Gebiet
zusammenhing, nach den anderen drei Seiten in das barbarische Land
hineinragte. Die zwischen Pannonien und Dakien sich erstreckende
Theißebene blieb auch ferner den Jazygen; es haben sich wohl Reste
alter Wälle gefunden, die von der Donau über die Theiß weg bis an das
dakische Gebirge führen und das Jazygengebiet nördlich begrenzen, aber
über die Zeit und die Urheber dieser Verschanzungen ist nichts Sicheres
ermittelt. Auch Bessarabien wird von einer doppelten Sperrlinie
durchschnitten, welche, vom Prut zum Dnjestr laufend, bei Tyra endigt,
und nach den darüber bis jetzt vorliegenden, ungenügenden Berichten von
den Römern herzurühren scheint ^14. Ist dies der Fall, so sind die
Moldau und die südliche Hälfte von Bessarabien sowie die gesamte
Walachei dem Römischen Reich einverleibt gewesen. Aber mag dies auch
nominell geschehen sein, effektiv hat die Römerherrschaft sich
schwerlich auf diese Länder erstreckt; wenigstens fehlt es an sicheren
Beweisen römischer Ansiedlung bis jetzt sowohl in der östlichen
Walachei wie in der Moldau und in Bessarabien völlig. Auf alle Fälle
blieb hier viel mehr noch als in Germanien der Rhein die Donau die
Grenze der römischen Zivilisation und der eigentliche Stützpunkt der
Grenzverteidigung. Die Positionen an dieser wurden erheblich verstärkt.
Es war ein Glücksfall für Rom, daß, während die Völkerbrandung an der
Donau stieg, sie am Rhein sank und die dort entbehrlich gewordenen
Truppen anderweitig verfügbar wurden. Wenn noch unter Vespasian
wahrscheinlich nicht mehr als sechs Legionen an der Donau standen, so
ist deren Zahl durch Domitianus und Traianus später auf zehn
gesteigert, womit zusammenhängt, daß die bisherigen beiden
Oberkommandanturen von Mösien und Pannonien, die erstere unter
Domitian, die zweite unter Traian, geteilt wurden und, indem weiter die
dakische hinzutrat, die Gesamtzahl der Kommandanturen an der unteren
Donau sich auf fünf stellte. Anfänglich scheint man freilich die Ecke,
welche dieser Strom unterhalb Durostorum (Silistria) macht, die heutige
Dobrudscha, abgeschnitten und von dem heutigen Ort Rassowa an, wo der
Fluß bis auf sieben deutsche Meilen sich dem Meere nähert, um dann fast
im rechten Winkel nach Norden abzubiegen, die Flußlinie durch eine
befestigte Straße nach Art der britannischen ersetzt zu haben, welche
bei Tomis die Küste erreichte ^15. Indes diese Ecke ist wenigstens seit
Hadrian in die römische Grenzbefestigung eingezogen worden; denn von da
an finden wir Untermösien, das vor Traian wahrscheinlich gar keine
größeren ständigen Besatzungen gehabt hatte, belegt mit den drei
Legionslagern von Novae (bei Svischtova), Durostorum (Silistria) und
Troesmis (Iglitza bei Galatz), von welchen das letzte eben jener
Donauecke vorliegt. Gegen die Jazygen wurde die Stellung dadurch
verstärkt, daß zu den obermösischen Lagern bei Singidunuum und
Viminacium das unterpannonische an der Mündung der Theiß in die Donau
bei Acumincum hinzutrat. Dakien selbst ist damals nur schwach besetzt
worden. Die Hauptstadt, jetzt traianische Kolonie Sarmizegetusa, lag
nicht weit von den Hauptübergängen über die Donau in Obermösien; hier
und an dem mittleren Marisus sowie jenseits desselben, in dem Bezirk
der Goldgruben, haben die Römer vorzugsweise sich ansässig gemacht;
auch die eine seit Traian in Dakien garnisonierende Legion hat ihr
Hauptquartier wenigstens bald nachher in dieser Gegend bei Apulum
(Karlsburg) erhalten. Weiter nördlich sind Potaissa (Thorda) und Napoca
(Klausenburg) wohl auch sofort von den Römern in Besitz genommen
worden, aber erst allmählich schoben die großen pannonisch-dakischen
Militärzentren sich weiter gegen Norden vor. Die Verlegung der
unterpannonischen Legion von Acumincum nach Aquincum, dem heutigen
Ofen, und die Okkupierung dieser militärisch beherrschenden Position
fällt nicht später als Hadrian und wahrscheinlich unter ihn; wohl
gleichzeitig ist die eine der oberpannonischen Legionen nach Brigetio
(gegenüber Komorn) gekommen. Unter Commodus wurde an der Nordgrenze
Dakiens in der Breite von einer deutschen Meile jede Ansiedelung
untersagt, was mit den später zu erwähnenden Grenzordnungen nach dem
Markomannenkrieg zusammenhängen wird. Damals mögen auch die befestigten
Linien entstanden sein, welche diese Grenze, ähnlich wie die
obergermanische, sperrten. Unter Severus kam eine der bisher
niedermösischen Legionen an die dakische Nordgrenze nach Potaissa
(Thorda). Aber auch nach diesen Verlegungen bleibt Dakien eine von
Bergen und Schanzen gedeckte, vorgeschobene Stellung am linken Ufer,
bei der es wohl zweifelhaft sein mochte, ob sie die allgemeine
Defensivstellung der Römer mehr förderte oder mehr beschwerte.
Hadrianus hat in der Tat daran gedacht, dies Gebiet aufzugeben, also
dessen Einverleibung als einen Fehler betrachtet; nachdem sie einmal
geschehen war, überwog allerdings die Rücksicht, wenn nicht auf die
einträglichen Goldgruben des Landes, so doch auf die rasch sich
entwickelnde römische Zivilisation im Marisusgebiet. Aber wenigstens
den Oberbau der steinernen Donaubrücke ließ er entfernen, da ihm die
Besorgnis vor der Benutzung derselben durch die Feinde schwerer wog als
die Rücksicht auf die dakische Besatzung. Die spätere Zeit hat von
dieser Ängstlichkeit sich freigemacht; aber die exzentrische Stellung
Dakiens zu der übrigen Grenzverteidigung ist geblieben.
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^14 Die Wälle, welche 3 Meter hoch, 2 Meter dick, mit breitem
Außengraben und vielen Resten von Kastellen in zwei fast parallelen
Linien, teils in der Länge vor. 150 Kilometern vom linken Ufer des
Pruth über Tabak und Tatarbunar zum Dnjestr-Liman zwischen Akerman und
dem Schwarzen Meer, teils in der Länge von 100 Kilometern von Leowa am
Pruth zum Dnjestr unterhalb Bendery ziehen (Petermanns Geographische
Mittheilungen 1857, S. 129), mögen wohl auch römisch sein; aber es
fehlt bis jetzt an jeder genaueren Feststellung.
^15 Nach v. Vinckes Aufnahme (Monatsberichte über die Verhandlungen der
Gesellschaft für Erdkunde in Berlin 1, 1839/40, S. 179 f.; vgl. in v.
Moltkes Briefen über Zustände in der Türkei den vom 2. November 1837)
sowie nach den mir mitgeteilten Aufzeichnungen und Plänen des Herrn Dr.
C. Schuchhardt sind hier drei Sperrungen angelegt. Die südlichste,
wahrscheinlich älteste, ist ein einfacher Erdwall mit (auffallender
Weise) gegen Süden vorliegendem Graben; ob römischen Ursprungs, kann
zweifelhaft sein. Die beiden anderen Linien sind ein jetzt noch
vielfach bis 3 Meter hoher Erd- und ein niederigerer einst mit Steinen
gefütterter Wall, die oft dicht nebeneinander her, anderswo wieder
stundenweit voneinander entfernt laufen. Man möchte sie für die beiden
Verteidigungslinien einer befestigten Straße halten, wenn auch in der
östlichen Hälfte der Erdwall, in der südlicheren der Steinwall der
nördlichere ist und sie in der Mitte sich kreuzen. An einer Stelle
bildet der (hier südlichere) Erdwall die Hinterseite eines hinter dem
Steinwall angelegten Kastells. Der Erdwall ist auf der Nordseite von
einem tiefen, auf der Südseite von einem flachen Graben gedeckt; jeden
Graben schließt ein Aufwurf ab. Dem Steinwall liegt auch nördlich ein
Graben vor. Hinter dem Erdwall, und meist an ihn angelehnt, finden sich
je 750 Meter voneinander entfernt Kastelle; andere in unregelmäßigen
Entfernungen desgleichen hinter dem Steinwall. Alle Linien halten sich
hinter den Karasu-Seen als der natürlichen Verteidigungsstütze; von da,
wo diese aufhört, bis zum Meer sind sie mit geringer Rücksicht auf die
Terrainverhältnisse geführt. Die Stadt Tomis liegt außerhalb des Walls
und nördlich davon; es sind aber ihre Festungsmauern durch einen
besonderen Wall mit der Sperrbefestigung in Verbindung gesetzt.
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Die sechzig Jahre nach den Dakerkriegen Traians sind für die
Donauländer eine Zeit des Friedens und der friedlichen Entwicklung
gewesen. Ganz zur Ruhe kam es freilich, namentlich an den
Donaumündungen, nie, und auch das bedenkliche Hilfsmittel von den
angrenzenden, unruhigen Nachbarn, ähnlich wie es mit Decebalus
geschehen war, durch Aussetzung jährlicher Gratiale die Grenzsicherheit
zu erkaufen, ist ferner angewandt worden ^16; dennoch zeigen die Reste
des Altertums eben in dieser Zeit überall das Aufblühen städtischen
Lebens, und nicht wenige Gemeinden namentlich Pannoniens nennen als
ihren Stifter Hadrian oder Pius. Aber auf diese Stille folgte ein
Sturm, wie das Kaisertum noch keinen bestanden hatte, und der, obwohl
eigentlich auch nur ein Grenzkrieg, durch seine Ausdehnung über eine
Reihe von Provinzen und durch seine dreizehnjährige Dauer das Reich
selbst erschütterte.
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^16 Vita Hadriani 6: cum rege Roxolanorum qui de imminutis stipendiis
querebatur cognito negotio pacem composuit.
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Den nach den Markomannen benannten Krieg hat nicht eine einzelne
Persönlichkeit vom Schlage des Hannibal und des Decebalus angefacht.
Ebensowenig haben Übergriffe römischerseits diesen Krieg
heraufbeschworen; Kaiser Pius verletzte keinen Nachbarn, weder den
mächtigen, noch den geringen, und hielt den Frieden fast mehr als
billig hoch. Das Reich des Maroboduus und des Vannius hatte sich
seitdem, vielleicht infolge der Teilung unter Vangio und Sido, in das
Königtum der Markomannen im heutigen Böhmen und das der Quaden in
Mähren und Oberungarn geschieden. Konflikte mit den Römern scheinen
hier nicht stattgefunden zu haben; das Lehnsverhältnis der
Quadenfürsten wurde sogar unter Pius’ Regierung durch die erbetene
Bestätigung in förmlicher Weise anerkannt. Völkerverschiebungen, die
jenseits des römischen Horizonts liegen, sind die nächste Ursache des
großen Krieges gewesen. Bald nach Pius’ Tode (161) erschienen Haufen
von Germanen, namentlich Langobarden von der Elbe her, aber auch
Markomannen und andere Mannschaften in Pannonien, es scheint, um neue
Wohnsitze am rechten Ufer zu gewinnen. Gedrängt von den römischen
Truppen, die ihnen entgegengeschickt wurden, entsandten sie den
Markomannenfürsten Ballomarius und mit ihm je einen Vertreter der zehn
beteiligten Stämme, um ihre Bitte um Landanweisung zu erneuern. Aber
der Statthalter ließ es bei dem Bescheid und zwang sie, über die Donau
zurückzugehen. Dies ist der Anfang des großen Donaukrieges ^17. Auch
der Statthalter von Obergermanien, Gaius Aufidius Victorinus, der
Schwiegersohn des literarisch bekannten Fronto, hatte bereits um das
Jahr 162 einen Ansturm der Chatten abzuschlagen, welcher ebenfalls
durch nachdrängende Völkerschaften von der Elbe her veranlaßt sein mag.
Wäre gleich energisch eingeschritten worden, so hätte größerem Unheil
vorgebeugt werden können. Aber eben damals hatte der Armenische Krieg
begonnen, in den bald die Parther eintraten; wenn auch die Truppen
nicht gerade von der bedrohten Grenze weg nach dem Osten geschickt
wurden, wofür wenigstens keine Beweise vorliegen ^18, so fehlte es doch
an Mannschaft, um den zweiten Krieg sofort energisch aufzunehmen. Dies
Temporisieren hat sich schwer gerächt. Eben als in Rom über die Könige
des Ostens triumphiert ward, brachen an der Donau die Chatten, die
Markomannen, die Quaden, die Jazygen wie mit einem Schlag ein in das
römische Gebiet. Rätien, Noricum, beide Pannonien, Dakien waren im
selben Augenblick überschwemmt; im dakischen Grubendistrikt können noch
wir die Spuren dieses Einbruchs verfolgen. Welche Verheerungen sie in
diesen Landschaften, die seit langem keinen Feind gesehen hatten,
damals anrichteten, zeigt die Tatsache, daß mehrere Jahre später die
Quaden erst 13000, dann noch 50000, die Jazygen gar 100000 römische
Gefangene zurückgaben. Es blieb nicht einmal bei der Schädigung der
Provinzen. Es geschah, was seit drei Jahrhunderten nicht geschehen war
und anfing als unmöglich zu gelten: die Barbaren durchbrachen den
Alpenwall und fielen in Italien selbst ein; von Rätien aus zerstörten
sie Opitergium (Oderzo), die Scharen von der Julischen Alpe berannten
Aquileia ^19. Niederlagen einzelner römischer Armeekorps müssen
mehrfach stattgefunden haben; wir erfahren nur, daß einer der
Gardekommandanten, Victorinus, vor dem Feind blieb und die Reihen der
römischen Heere sich in arger Weise lichteten.
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^17 Vita Marci 14: gentibus quae pulsae a superioribus barbaris
fugerant nisi reciperentur bellum ireferentibus. Dio bei Petrus
Patricius fr. 6: Λαγγιβάρδων καί Οβίων (sonst unbekannt) εξακισχιλίων
Ίστρων περαιωθέντων τών περί Βίνδικα (vielleicht schon damals praef.
praetorio, in welchem Fall die Garde wegen dieses Vorganges
ausmarschiert wäre) ιππέων εξελασάντων καί τών αμφί Κάνδιδον πεζών
επιφθασάντων εις παντελή φυγήν οι βάρβαροι ετράποντο. εφ'οίσ ούτω
πραχθήσιν εν δέει καταστάντες εκ πρώτησ επιχειρήςεως οι βάρβαροι
πρέσβεις παρά Αίλιον Βάσσον τήν Παιονίαν διέποντα στέλλουσι Βαλλομάριόν
τε τον βασιλέα Μαρκομάνων καί ετέρους δέκα, κατ' έθνος επιλεξάμενοι
ένα. καί όρκοις τήν ειρήνην οι πρέσβεις πιστωσάμενοι οίκαδε χωρούσιν.
Daß dieser Vorfall vor den Ausbruch des Krieges fällt, zeigt seine
Stellung; fr. 7 des Patricius ist Exzerpt aus Dio 71, 11, 2.
^18 Das mösische Heer gab Soldaten zum Armenischen Krieg ab (O.
Hirschfeld, Archäologisch-epigraphische Mittheilungen 6, S. 41); aber
hier war die Grenze nicht gefährdet.
^19 Die Beteiligung der rechtsrheinischen Germanen bezeugt Dio 71, 3,
und nur dadurch erklären sich die Maßregeln, die Marcus für Raetia und
Noricum traf. Auch die Lage von Oderzo spricht dafür, daß diese
Angreifer über den Brenner kamen.
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Der schwere Angriff traf den Staat zur unglücklichsten Stunde. Zwar der
orientalische Krieg war beendigt; aber in seinem Gefolge hatte eine
Seuche sich in Italien und dem ganzen Westen verbreitet, die dauernder
als der Krieg und in entsetzlicherem Maße die Menschen hinraffte. Wenn
die Truppen, wie es notwendig war, zusammengezogen wurden, so fielen
der Pest die Opfer nur um so zahlreicher. Wie zu der Pestilenz immer
die teure Zeit gehört, so erschien auch hier mit ihr Mißwachs und
Hungersnot und schwere Finanzkalamität - die Steuern gingen nicht ein,
und im Laufe des Krieges sah sich der Kaiser veranlaßt, die Kleinodien
seines Palastes in öffentlicher Auktion zu veräußern. Es fehlte an
einem geeigneten Leiter. Eine so ausgedehnte und so verwickelte
militärisch-politische Aufgabe konnte, wie die Dinge in Rom lagen, kein
beauftragter Feldherr, sondern allein der Herrscher selbst auf sich
nehmen. Marcus hatte, in richtiger und bescheidener Erkenntnis dessen,
was ihm abging, bei der Thronbesteigung sich seinen jüngeren
Adoptivbruder Lucius Verus gleichberechtigt zur Seite gestellt, in der
wohlwollenden Voraussetzung, daß der flotte junge Mann, wie er ein
tüchtiger Fechter und Jäger war, so auch zum fähigen Feldherrn sich
entwickeln werde. Aber den scharfen Blick des Menschenkenners besaß der
ehrliche Kaiser nicht; die Wahl war so unglücklich wie möglich
ausgefallen; der eben beendigte Parthische Krieg hatte den nominellen
Feldherrn als eine wüste Persönlichkeit und einen unfähigen Offizier
gezeigt. Verus’ Mitregentschaft war nichts als eine Kalamität mehr, die
freilich durch seinen, nicht lange nach dem Ausbruch des
Markomannischen Krieges erfolgten Tod (169) in Wegfall kam. Marcus,
seinen Neigungen nach mehr reflektiv als dem praktischen Leben
zugewandt und ganz und gar kein Soldat, überhaupt keine hervorragende
Persönlichkeit, übernahm die ausschließliche und persönliche Leitung
der erforderlichen Operationen. Er mag dabei im einzelnen Fehler genug
gemacht haben, und vielleicht geht die lange Dauer der Kämpfe darauf
mit zurück; aber die Einheit des Oberbefehls, die klare Einsicht in den
Zweck der Kriegführung, die Folgerichtigkeit des staatsmännischen
Handelns, vor allem die Rechtschaffenheit und Festigkeit des seines
schweren Amtes mit selbstvergessener Treue waltenden Mannes haben
schließlich den gefährlichen Ansturm gebrochen. Es ist dies ein um so
höheres Verdienst, als der Erfolg mehr dem Charakter als dem Talent
verdankt wird.
Worauf man sich gefaßt machte, zeigt die Tatsache, daß die Regierung,
trotz des Mangels an Menschen und an Geld, in dem ersten Jahre dieses
Krieges mit ihren Soldaten und auf ihre Kosten die Mauern der
Hauptstadt Dalmatiens, Salonae, und der Hauptstadt Thrakiens,
Philippopolis, herstellen ließ; sicher sind dies nicht vereinzelte
Anordnungen gewesen. Man mußte sich darauf vorbereiten, die Nordländer
überall die großen Städte des Reiches berennen zu sehen; die Schrecken
der Gotenzüge pochten schon an die Pforten und wurden vielleicht für
diesmal nur dadurch abgewandt, daß die Regierung sie kommen sah. Die
unmittelbare Oberleitung der militärischen Operationen und die durch
die Sachlage geforderte Regulierung der Beziehungen zu den Grenzvölkern
und Reformierung der bestehenden Ordnungen an Ort und Stelle durfte
weder fehlen noch dem charakterlosen Bruder oder Einzelführern
überlassen werden. In der Tat änderte sich die Lage der Dinge, sowie
die beiden Kaiser in Aquileia eintrafen, um von dort mit dem Heer nach
dem Kriegsschauplatz abzugehen. Die Germanen und Sarmaten, wenig in
sich geeinigt und ohne gemeinschaftliche Leitung, fühlten sich solchem
Gegenschlag nicht gewachsen. Die eingedrungenen Haufen zogen überall
sich zurück; die Quaden sandten den kaiserlichen Statthaltern ihre
Unterwerfung ein, und vielfach büßten die Führer der gegen die Römer
gerichteten Bewegung diesen Rückschlag mit dem Leben. Lucius meinte,
daß der Krieg Opfer genug gefordert habe und riet zur Rückkehr nach
Rom. Aber die Markomannen verharrten in trotzigem Widerstand, und die
Kalamität, die über Rom gekommen war, die Hunderttausende der
weggeschleppten Gefangenen, die von den Barbaren errungenen Erfolge
forderten gebieterisch eine kräftigere Politik und die offensive
Fortsetzung des Krieges. Marcus’ Schwiegersohn Tiberius Claudius
Pompeianus übernahm außerordentlicherweise das Kommando in Rätien und
Noricum; sein tüchtiger Unterbefehlshaber, der spätere Kaiser Publius
Helvius Pertinax, säuberte ohne Schwierigkeit mit der aus Pannonien
herbeigerufenen ersten Hilfslegion das römische Gebiet. Trotz der
Finanznot wurden namentlich aus illyrischen Mannschaften, bei deren
Aushebung freilich mancher bisherige Straßenräuber zum
Landesverteidiger gemacht ward, zwei neue Legionen gebildet und, wie
schon früher angegeben ward, die bisher geringfügige Grenzwacht dieser
beiden Provinzen durch die neuen Legionslager von Regensburg und Enns
verstärkt. In die oberpannonischen Lager begaben sich die Kaiser
selbst. Vor allen Dingen kam es darauf an, den Herd des Kriegsfeuers
einzuschränken. Die von Norden kommenden Barbaren, die ihre Hilfe
anboten, wurden nicht zurückgewiesen und fochten in römischem Sold,
soweit sie nicht, was auch vorkam, ihr Wort brachen und mit dem Feind
gemeinschaftliche Sache machten. Den Quaden, welche um Frieden und um
die Bestätigung des neuen Königs Furtius baten, wurde diese
bereitwillig zugestanden und nichts gefordert als Rückgabe der
Überläufer und der Gefangenen. Es gelang einigermaßen, den Krieg auf
die beiden Hauptgegner, die Markomannen und die von alters her ihnen
verbündeten Jazygen, zu beschränken. Gegen diese beiden Völker wurde in
den folgenden Jahren in schweren Kämpfen und nicht ohne Niederlage
gestritten. Wir wissen davon nur Einzelheiten, die sich nicht in festen
Zusammenhang bringen lassen. Marcus Claudius Fronto, dem die
außerordentlicherweise vereinigten Kommandos von Obermösien und Dakien
anvertraut waren, fiel um das Jahr 171 im Kampfe gegen Germanen und
Jazygen. Ebenso fiel vor dem Feind der Gardekommandant Marcus Macrinius
Vindex. Sie und andere hochgestellte Offiziere erhielten in diesen
Jahren Ehrendenkmäler in Rom an der Säule Traians, weil sie in
Verteidigung des Vaterlandes den Tod gefunden hatten. Die barbarischen
Stämme, die sich für Rom erklärt hatten, fielen zum Teil wieder ab, so
die Cotiner und vor allem die Quaden, welche den flüchtigen Markomannen
eine Freistatt gewährten und ihren Vasallenkönig Furtius vertrieben,
worauf Kaiser Marcus auf den Kopf seines Nachfolgers Ariogaesus einen
Preis von 1000 Goldstücken setzte. Erst im sechsten Kriegsjahr (172)
scheint die völlige Überwindung der Markomannen erreicht worden zu sein
und danach Marcus den wohlverdienten Siegestitel Germanicus angenommen
zu haben. Es folgte dann die Niederwerfung der Quaden, endlich im Jahre
175 die der Jazygen, infolge deren der Kaiser den weiteren Beinamen des
Sarmatensiegers empfing. Die Bedingungen, welche den überwundenen
Völkerschaften gestellt wurden, zeigen, daß Marcus nicht zu strafen
beabsichtigte, sondern zu unterwerfen. Den Markomannen und den Jazygen,
wahrscheinlich auch den Quaden, wurde auferlegt, einen Grenzstreifen am
Flusse in der Breite von zwei, nach späterer Milderung von einer
deutschen Meile zu räumen. In die festen Plätze am rechten Donauufer
wurden römische Besatzungen gelegt, die allein bei den Markomannen und
Quaden zusammen sich auf nicht weniger als 20000 Mann beliefen. Alle
Unterworfenen hatten Zuzug zum römischen Heer zu stellen, die Jazygen
zum Beispiel 8000 Reiter. Wäre der Kaiser nicht durch die Insurrektion
Syriens abgerufen worden, so hätte er die letzteren ganz aus ihrer
Heimat getrieben, wie Traianus die Daker. Daß Marcus die abgefallenen
Transdanuvianer nach diesem Muster zu behandeln gedachte, bestätigt der
weitere Verlauf. Kaum war jenes Hindernis beseitigt, so ging der Kaiser
wieder an die Donau und begann, eben wie Traianus, im Jahre 178 den
zweiten, abschließenden Krieg. Die Motivierung dieser Kriegserklärung
ist nicht bekannt; der Zweck wird ohne Zweifel richtig dahin angegeben,
daß er zwei neue Provinzen, Marcomania und Sarmatia, einzurichten
gedachte. Den Jazygen, die sich den Absichten des Kaisers fügsam
gezeigt haben werden, wurden die lästigen Auflagen größtenteils
erlassen, ja ihnen für den Verkehr mit ihren östlich von Dakien
hausenden Stammverwandten, den Roxolanern, der Durchgang durch Dakien
unter angemessener Aufsicht gewährt - wahrscheinlich auch nur, weil sie
schon als römische Untertanen betrachtet wurden. Die Markomannen wurden
durch Schwert und Hunger fast aufgerieben. Die verzweifelnden Quaden
wollten nach Norden auswandern und bei den Semnonen sich Sitze suchen;
aber auch dies wurde ihnen nicht gestattet, da sie die Äcker zu
bestellen hatten, um die römischen Besatzungen zu versorgen. Nach
vierzehnjähriger, fast ununterbrochener Waffenarbeit stand der
Kriegsfürst wider Willen am Ziel und die Römer zum zweiten Mal vor der
Gewinnung der oberen Elbe; jetzt fehlte in der Tat nur die Ankündigung,
das Gewonnene festhalten zu wollen. Da starb er, noch nicht sechzig
Jahre alt, im Lager von Vindobona am 17. März 180.
Man wird nicht bloß die Entschlossenheit und die Konsequenz des
Herrschers anerkennen, sondern auch einräumen müssen, daß er tat, was
die richtige Politik gebot. Die Eroberung Dakiens durch Traian war ein
zweifelhafter Gewinn, obwohl eben in dem Markomannischen Krieg der
Besitz Dakiens nicht bloß ein gefährliches Element aus den Reihen der
Gegner Roms entfernt, sondern wahrscheinlich auch bewirkt hat, daß der
Völkerschwarm an der unteren Donau, die Bastarner, die Roxolaner und
andere mehr in den Markomannenkrieg nicht eingegriffen haben. Aber
nachdem der gewaltige Ansturm der Transdanuvianer westlich von Dakien
die Niederwerfung derselben zur Notwendigkeit gemacht hatte, konnte
diese nur in abschließender Weise ausgeführt werden, indem Böhmen,
Mähren und die Theißebene in die römische Verteidigungslinie eingezogen
wurden, wenn auch diesen Gebieten wohl nur, wie Dakien, eine
Vorpostenstellung zugedacht war und die strategische Grenzlinie sicher
die Donau bleiben sollte.
Des Marcus Nachfolger, Kaiser Commodus, war im Lager anwesend, als der
Vater starb und trat, da er die Krone schon seit mehreren Jahren dem
Namen nach mit dem Vater teilte, mit dessen Tode sofort in den Besitz
der unumschränkten Gewalt. Nur kurze Zeit ließ der neunzehnjährige
Nachfolger die Vertrauensmänner des Vaters, seinen Schwager Pompeianus
und andere, die mit Marcus die schwere Last des Krieges getragen
hatten, im Sinne desselben schalten. Commodus war in jeder Hinsicht das
Gegenteil seines Vaters; kein Gelehrter, sondern ein Fechtmeister, so
feig und charakterschwach, wie dieser entschlossen und konsequent, so
träge und pflichtvergessen wie dieser tätig und gewissenhaft. Er gab
nicht bloß die Einverleibung des gewonnenen Gebiets auf, sondern
gewährte auch den Markomannen freiwillig Bedingungen, wie sie sie nicht
hatten hoffen dürfen. Die Regulierung des Grenzverkehrs unter römischer
Kontrolle und die Verpflichtung, ihre den Römern befreundeten Nachbarn
nicht zu schädigen, verstanden sich von selbst; aber die Besatzungen
wurden aus ihrem Lande zurückgezogen und nur das Gebot, den
Grenzstreifen nicht zu besiedeln, festgehalten. Die Leistung von
Abgaben und die Stellung von Rekruten wurde wohl ausbedungen, aber jene
bald erlassen und diese sicher nie gestellt. Ähnlich ward mit den
Quaden abgeschlossen und wird mit den übrigen Transdanuvianern
abgeschlossen worden sein. Damit waren die gemachten Eroberungen
aufgegeben, und die vieljährige Kriegsarbeit war umsonst; wenn man
nicht mehr wollte, so war eine ähnliche Ordnung der Dinge schon viel
früher zu erreichen. Dennoch hat der Markomannische Krieg die
Suprematie Roms in diesen Landschaften für die Folgezeit
sichergestellt, trotzdem Rom den Siegespreis aus der Hand gab. Nicht
von den Stämmen, welche dabei beteiligt waren, ist der Stoß geführt
worden, dem die römische Weltmacht erlag.
Eine andere bleibende Folge dieses Krieges hängt zusammen mit den durch
denselben veranlaßten Oberführungen der Transdanuvianer in das Römische
Reich. An sich waren derartige Umsiedlungen zu aller Zeit vorgekommen;
die unter Augustus nach Gallien verpflanzten Sugambrer, die nach
Thrakien gesandten Daker waren nichts als neue, zu den früher
vorhandenen hinzutretende Untertanen oder Untertanengemeinden, und
etwas anderes sind wohl auch die 3000 Naristen nicht gewesen, denen
Marcus gestattete, ihre Sitze westlich von Böhmen mit solchen im Reich
zu vertauschen, während den sonst unbekannten Astingern an der
dakischen Nordgrenze die gleiche Bitte abgeschlagen ward. Aber die
nicht bloß im Donauland, sondern in Italien selbst, bei Ravenna, von
ihm angesiedelten Germanen waren weder freie Untertanen noch eigentlich
unfreie Leute; es sind dies die Anfänge der römischen Leibeigenschaft,
des Kolonats, dessen Eingreifen in die Bodenwirtschaft des gesamten
Staats in anderem Zusammenhang darzulegen ist. Jene ravennatische
Ansiedlung hat indes keinen Bestand gehabt; die Leute lehnten sich auf
und mußten wieder weggeschafft werden, so daß der neue Kolonat zunächst
auf die Provinzen, namentlich die Donaulandschaften, beschränkt blieb.
Wiederum folgte auf den großen Krieg an der mittleren Donau eine fast
sechzigjährige Friedenszeit, deren Segen durch das während derselben
stetig steigende innere Mißregiment nicht vollständig aufgehoben werden
konnte. Wohl zeigt manche vereinzelte Nachricht, daß die Grenze,
namentlich die am meisten exponierte dakische, nicht ohne Anfechtung
blieb; aber vor allem das straffe Militärregiment des Severus tat hier
seine Schuldigkeit, und wenigstens Markomannen und Quaden erscheinen
auch unter dessen nächsten Nachfolgern in unbedingter Abhängigkeit, so
daß der Sohn des Severus einen Quadenfürsten vor sich zitieren und ihm
den Kopf vor die Füße legen konnte. Auch die in dieser Epoche an der
unteren Donau gelieferten Kämpfe sind von untergeordnetem Belang. Aber
wahrscheinlich hat in dieser Zeit eine umfassende Völkerverschiebung
von Nordosten her gegen das Schwarze Meer stattgefunden und die
römische Grenzwacht an der unteren Donau neuen und gefährlicheren
Gegnern gegenübergestellt. Bis auf diese Zeit hatten den Römern dort
vorzugsweise sarmatische Völkerschaften gegenüber gestanden, unter
denen sich die Roxolaner mit den Römern am nächsten berührten; von
Germanen saßen damals hier nur die seit langem in dieser Gegend
heimischen Bastarner. Jetzt verschwinden die Roxolaner, vielleicht
unter den dem Anschein nach, ihnen stammverwandten Carpern, welche
fortan an der unteren Donau, etwa in den Tälern des Sereth und Pruth,
die nächsten Nachbarn der Römer sind. Neben die Carper, ebenfalls als
unmittelbare Nachbarn der Römer an der Donaumündung, tritt das Volk der
Goten. Dieser germanische Stamm ist nach der einheimischen Erzählung,
die uns erhalten ist, von Skandinavien über die Ostsee nach der
Weichselgegend und aus dieser zum Schwarzen Meer gewandert; damit
übereinstimmend kennen die römischen Geographen des 2. Jahrhunderts sie
an der Weichset und die römische Geschichte seit dem ersten Drittel des
dritten an der nordwestlichen Küste des Schwarzen Meeres. Von da an
erscheinen sie hier in stetigem Anschwellen; die Reste der Bastarner
sind unter Kaiser Probus, die Reste der Carper unter Kaiser Diocletian
vor ihnen auf das rechte Donauufer gewichen, während ohne Zweifel ein
großer Teil dieser wie jener sich unter die Goten mischten und ihnen
sich anschlossen. überall darf diese Katastrophe nur in dem Sinne als
die des Gotenkrieges bezeichnet werden, wie die unter Marcus
eingetretene von den Markomannen heißt; die ganze Masse der durch den
Wanderstrom vom Nordosten zum Schwarzen Meer in Bewegung gesetzten
Völkerschaften ist daran beteiligt, und um so mehr beteiligt, als diese
Angriffe ebenso zu Lande über die untere Donau, wie zu Wasser von der
Nordküste des Schwarzen Meeres aus in einer unentwirrbaren
Verschlingung der Land- und der Seepiraterie erfolgten. Nicht unpassend
nennt darum der gelehrte Athener, der in ihm gefochten und ihn erzählt
hat, diesen Krieg vielmehr den Skythischen, indem er unter diesem,
gleich dem pelasgischen die Verzweiflung der Historiker machenden Namen
alle germanischen und nichtgermanischen Reichsfeinde zusammenfaßt. Was
über diese Züge zu berichten ist, soll, soweit die der Verwirrung
dieser schrecklichen Zeiten nur zu sehr entsprechende Verwirrung der
Überlieferung es gestattet, hier zusammengefaßt werden.
Das Jahr 238, auch ein Vierkaiserjahr des Bürgerkriegs, wird bezeichnet
als dasjenige, in dem der Krieg gegen die hier zuerst genannten Goten
begann ^20. Da die Münzen von Tyra und Olbia mit Alexander († 235)
aufhören, so sind diese außerhalb der Reichsgrenze gelegenen römischen
Besitzungen wohl schon einige Jahre früher eine Beute der neuen Feinde
geworden. In jenem Jahr überschritten sie zuerst die Donau, und die
nördlichste der mösischen Küstenstädte, Istros, war das erste Opfer.
Gordian, der aus den Wirren dieser Zeit als Herrscher hervorging, wird
als Besieger der Goten bezeichnet; gewisser ist es, daß die römische
Regierung, wenn nicht schon früher, so doch unter ihm, sich dazu
verstand, die gotischen Einfälle abzukaufen ^21. Begreiflicherweise
forderten die Carper das gleiche, was der Kaiser den schlechteren Goten
bewilligt habe; als die Forderung nicht gewährt ward, fielen sie im
Jahre 245 in das römische Gebiet ein. Kaiser Philippus - Gordianus war
damals schon tot - schlug sie zurück, und eine energische Aktion mit
der vereinigten Kraft des großen Reiches würde den Barbaren wohl hier
Halt geboten haben. Aber in diesen Jahren fand der Kaisermörder so
sicher den Thron wie wiederum seinen Mörder und Nachfolger; eben in den
gefährdeten Donaulandschaften rief die Armee gegen Kaiser Philippus
erst den Marinus Pacatianus und nach dessen Beseitigung den Traianus
Decius aus, welcher letztere in der Tat in Italien seinen Gegner
überwand und als Herrscher anerkannt ward. Er war ein tüchtiger und
tapferer Mann, nicht unwert der beiden Namen, die er trug, und trat,
sowie er konnte, entschlossen in die Kämpfe an der Donau ein; aber was
der inzwischen geführte Bürgerkrieg verdorben hatte, ließ sich nicht
mehr einbringen. Während die Römer miteinander schlugen, hatten die
Goten und die Carper sich geeinigt und waren unter dem Gotenfürsten
Cniva in das von Truppen entblößte Mösien eingefallen. Der Statthalter
der Provinz, Trebonianus Gallus, warf sich mit seiner Mannschaft nach
Nikopolis am Haemus und wurde hier von den Goten belagert; diese
raubten zugleich Thrakien aus und belagerten dessen Hauptstadt, das
große und feste Philippopolis; ja sie gelangten bis nach Makedonien und
berannten Thessalonike, wo der Statthalter Priscus eben diesen Moment
geeignet fand, um sich zum Kaiser ausrufen zu lassen. Als Decius
anlangte, um zugleich den Nebenbuhler und den Landesfeind zu bekämpfen,
wurde wohl jener ohne Mühe beseitigt und gelang auch der Entsatz von
Nikopolis, wo 30000 Goten gefallen sein sollen. Aber die nach Thrakien
zurückweichenden Goten siegten ihrerseits bei Beroe (Alt-Zagora),
warfen die Römer nach Mösien zurück und bezwangen sowohl Nikopolis
daselbst wie in Thrakien Anchialos und sogar Philippopolis, wo 100000
Menschen in ihre Gewalt gekommen sein sollen. Darauf zogen sie
nordwärts, um die ungeheure Beute in Sicherheit zu bringen. Decius
entwarf den Plan, dem Feind bei dem Übergang über die Donau einen
Schlag zu versetzen. Er stellte eine Abteilung unter Gallus am Ufer auf
und hoffte, diese auf die Goten werfen und ihnen den Rückzug
abschneiden zu können. Aber bei dem mösischen Grenzort Abrittus
entschied das Kriegsglück oder auch der Verrat des Gallus gegen ihn;
Decius kam mit seinem Sohn um, und Gallus, der als sein Nachfolger
ausgerufen ward, begann sein Regiment damit, den Goten die jährlichen
Geldzahlungen abermals zuzusichern (251) ^22. Diese völlige Niederlage
der römischen Waffen wie der römischen Politik, der Fall des Kaisers,
des ersten, der im Kampf gegen die Barbaren das Leben verlor, eine
Kunde, welche selbst in dieser, in der Gewohnheit des Unheils
erschlaffenden Zeit tief die Gemüter erregte, die darauf folgende
schimpfliche Kapitulation, stellte in der Tat die Integrität des
Reiches in Frage. Ernste Krisen an der mittleren Donau, wahrscheinlich
der drohende Verlust Dakiens müssen die nächste Folge gewesen sein.
Noch einmal ward dieser abgewandt: der Statthalter von Pannonien,
Marcus Aemilius Aemilianus, ein guter Soldat, errang einen bedeutenden
Waffenerfolg und trieb die Feinde über die Grenze. Aber die Nemesis
waltete. Die Konsequenz dieses auf Gallus’ Namen erfochtenen Sieges
war, daß die Armee dem Verräter des Decius den Gehorsam aufkündigte und
ihren Feldherrn zu seinem Nachfolger erkor. Abermals ging also der
Bürgerkrieg der Grenzverteidigung vor, und während Aemilianus in
Italien zwar den Gallus überwand, aber bald darauf dem Feldherrn
desselben, Valerianus, unterlag (254), ging Dakien, wie und an wen,
wissen wir nicht ^23, dem Reiche verloren. Die letzte von dieser
Provinz geschlagene Münze und die jüngste dort gefundene Inschrift sind
vom Jahre 255, die letzte Münze des benachbarten Viminacium in
Obermösien vom folgenden Jahre; in den ersten Jahren Valerians und
Galliens also besetzten die Barbaren das römische Gebiet am linken Ufer
der Donau und drangen sicher auch hinüber auf das rechte.
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^20 Die angebliche erste Erwähnung der Goten in der Biographie
Caracallas c. 10 beruht auf Mißverständnis. Wenn wirklich ein Senator
sich den boshaften Scherz gestattet hat, dem Mörder Getas den Namen
Geticus beizulegen, weil er auf seinem Zug von der Donau nach dem
Orient einige Getenschwärme (tumultuariis proeliis) besiegt habe, so
meinte er Daker, nicht die damals schwerlich dort wohnenden und dem
römischen Publikum kaum bekannten Goten, deren Gleichung mit den Geten
auch gewiß erst später erfunden ward.
Übrigens führt noch weiter zurück die Angabe, daß Kaiser Maximinus
(235-238) der Sohn eines in das benachbarte Thrakien übergesiedelten
Goten gewesen sei; doch wird auch darauf nicht viel zu geben sein.
^21 Petrus Patricius fr. 8. Die Verwaltung des hier genannten Legaten
von Untermösien, Tullius Menophilus, ist durch Münzen sicher auf die
Zeit Gordians und mit Wahrscheinlichkeit auf 238-240 bestimmt (B.
Borghesi, Oeuvres complètes. Bd. 2, S. 227). Da der Anfang des
Gotenkrieges und die Zerstörung von Istros durch Dexippos (vita Max. et
Balb. 16) auf 238 festgestellt ist, so liegt es nahe, die Übernahme des
Tributs damit in Zusammenhang zu bringen; auf jeden Fall ist er damals
erneuert worden. Die vergeblichen Belagerungen von Markianopolis und
Philippopolis durch die Goten (Dexippus fr. 18, 19) mögen auf die
Einnahme von Istros gefolgt sein. Iordanes (Get. 16, 92) setzt die
erstere unter Philippus, ist aber in chronologischen Fragen kein
gültiger Zeuge.
^22 Die Berichte über diese Vorgänge bei Zosimus (bist. 1, 21-24),
Zonaras (12, 20), Ammian (31, 5, 16 u. 17) (welche Nachrichten bis zu
der Philippopolis betreffenden dadurch, daß diese bei Zosimus
wiederkehrt, als hierher gehörig fixiert werden), obwohl alle
fragmentarisch oder zerrüttet, dürften aus dem Bericht des Dexippus,
wovon fr. 16 u. 19 erhalten sind, geflossen sein und lassen sich
einigermaßen vereinigen. Dieselbe Quelle liegt auch den
Kaiserbiographien und Iordanes zu Grunde; beide aber haben sie in dem
Grade entstellt und verfälscht, daß von ihren Angaben nur mit großer
Vorsicht Gebrauch gemacht werden kann. Unabhängig ist Aur. Vict. Caes.
29.
^23 Vielleicht bezieht sich darauf der Einbruch der Markomannen bei
Zos. hist. 1, 29.
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Bevor wir die Entwicklung der Dinge an der unteren Donau weiter
verfolgen, erscheint es notwendig, einen Blick zu werfen auf die
Piraterie, wie sie in der östlichen Hälfte des Mittelmeeres damals im
Gange war, und die daraus hervorgegangenen Seezüge der Goten und ihrer
Genossen.
Daß auf dem Schwarzen Meer die römische Flotte zu keiner Zeit
entbehrlich, die Piraterie daselbst wahrscheinlich nie ausgerottet
worden ist, liegt im Wesen der Römerherrschaft, wie sie an seinen
Küsten sich gestaltet hatte. In festem Besitz waren sie nur etwa von
der Donaumündung abwärts bis Trapezunt. Römisch waren freilich auch
einerseits Tyra, an der Mündung des Dnjestr, und Olbia, an der Bucht
der Dnjeprmündung, andererseits die kaukasischen Hafenorte in der
Gegend des heutigen Suchum-Kaleh, Dioskurias und Pityus. Auch das
dazwischenliegende Bosporanische Königreich auf der Krim stand in
römischem Schutz und hatte römische, dem Statthalter von Mösien
unterstehende Besatzung. Aber es waren an diesen größtenteils wenig
einladenden Gestaden nur jene Hafenplätze entweder als alte griechische
Ansiedlungen oder als römische Festungen in festem Besitz, die Küste
selbst öde oder in den Händen der das Binnenland erfüllenden
Eingeborenen, die unter dem allgemeinen Namen der Skythen
zusammengefaßt, meistens sarmatischer Abkunft, den Römern niemals
botmäßig wurden noch werden sollten; man war zufrieden, wenn sie sich
nicht geradezu an den Römern oder deren Schutzbefohlenen vergriffen.
Danach ist es nicht zu verwundern, daß schon in Tiberius’ Zeit die
Piraten der Ostküste nicht bloß das Schwarze Meer unsicher machten,
sondern auch landeten und die Dörfer und die Städte der Küste
brandschatzten. Wenn unter Pius oder Marcus eine Schar der an dem
nordwestlichen Ufer hausenden Kostoboker die im Herzen von Phokis
gelegene Binnenstadt Elateia überfiel und unter deren Mauern mit den
Bürgern sich herumschlug, so zeigt dieser gewiß nur zufällig für uns
einzeln dastehende Vorgang, daß dieselben Erscheinungen, welche dem
Sturz des Senatsregiments voraufgingen, jetzt sich erneuerten und noch
bei äußerlich unerschüttert aufrecht stehender Reichsgewalt nicht bloß
einzelne Piratenschiffe, sondern Piratengeschwader im Schwarzen und
selbst im Mittelmeere kreuzten. Das nach dem Tode des Severus und vor
allem nach dem Ausgang der letzten Dynastie deutlich erkennbare Sinken
des Regiments offenbarte sich dann, wie billig, vor allem in dem
weiteren Verfall der Seepolizei. Die im einzelnen wenig zuverlässigen
Berichte melden bereits in der Zeit vor Decius das Erscheinen einer
großen Piratenflotte im Ägäischen Meer; dann unter Decius die
Plünderung der pamphylischen Küste und der griechisch-asiatischen
Inseln, unter Gallus Piratenstreifereien in Kleinasien bis nach
Pessinus und Ephesos ^24. Dies waren Räuberzüge. Diese Gesellen
plünderten die Küsten weit und breit, und machten auch, wie man sieht,
dreiste Züge in das Binnenland; aber von zerstörten Städten wird nichts
gemeldet, und die Piraten vermieden es, mit den römischen Truppen
zusammenzustoßen; vorzugsweise richtete sich der Angriff gegen solche
Landschaften, in denen keine Truppen standen.
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^24 Amm. Marc. 31, 5, 15: duobus navium milibus perrupto Bosporo et
litoribus Propontidis Scythicarum gentium catervae transgressae
ediderunt quidem acerbas terra marique strages: sed amissa suorum parte
maxima reverterunt, worauf die Katastrophe der Decier erzählt und in
diese die weitere Notiz eingeflochten wird: obsessae Pamphyliae
civitates (dahin wird die Belagerung von Side gehören, bei Dexippus
selbst fr. 23), insulae populatae complures, ebenso die Belagerung von
Kyzikos. Wenn in diesem Rückblick nicht alles verwirrt ist, was bei
Ammian doch nicht wohl angenommen werden kann, so fällt dies vor
diejenigen Seefahrten, die mit der Belagerung von Pityus beginnen und
mehr ein Teil der Völkerwanderung sind als Piratenzüge. Die Zahl der
Schiffe freilich dürfte durch Gedächtnisfehler von dem Zug des Jahres
269 hierher übertragen sein. In denselben Zusammenhang gehört die Notiz
bei Zosimus (hist. 1, 28) über die Skythenzüge in Asien und Kappadokien
bis Ephesos und Pessinus. Die Nachricht über Ephesos in der Biographie
Gallienus’ c. 6 ist dieselbe, aber der Zeit nach verschoben.
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Unter Valerianus nehmen diese Expeditionen einen anderen Charakter an.
Die Art der Züge weicht von den früheren so sehr ab, daß der an sich
nicht besonders wichtige Zug der Boraner gegen Pityus unter Valerianus
von kundigen Berichterstattern geradezu als der Anfang dieser Bewegung
bezeichnet werden konnte ^25 und daß die Piraten eine Zeitlang in
Kleinasien mit dem Namen dieser uns sonst nicht bekannten Völkerschaft
genannt wurden. Nicht mehr von den alten einheimischen Anwohnern des
Schwarzen Meeres gehen diese Züge aus, sondern von den nachdrängenden
Schwärmen. Was bis dahin Seeraub gewesen war, fängt an, ein Stück
derjenigen Völkerverschiebung zu werden, welcher das Vordringen der
Goten an die untere Donau angehört. Die beteiligten Völker sind sehr
mannigfach und zum Teil wenig bekannt; bei den späteren Zügen scheinen
die germanischen Heruler, damals Anwohner der Maeotis, eine führende
Rolle gespielt zu haben. Beteiligt sind auch die Goten, indes soweit es
sich um eigentliche Seefahrten handelt und über diese leidlich genaue
Berichte vorliegen, nicht in hervorragender Weise; recht eigentlich
diese Züge heißen richtiger skythische als gotische. Der maritime
Mittelpunkt dieser Angriffe ist die Dnjestrmündung, der Hafen von Tyra
^26. Die griechischen Städte des Bosporus, durch den Bankrott der
Reichsgewalt schutzlos den andrängenden Haufen preisgegeben und der
Belagerung durch dieselben gewärtig, ließen halb gezwungen, halb
freiwillig sich dazu herbei, die unbequemen neuen Nachbarn auf ihren
Schiffen und durch ihre Seeleute nach den nächstgelegenen römischen
Besitzungen an der Nordküste des Pontus überzuführen, wofür diesen
selbst die nötigen Mittel und das nötige Geschick mangelte. So kam jene
Expedition gegen Pityus zustande. Die Boraner wurden gelandet und
sandten, auf den Erfolg vertrauend, die Schiffe zurück. Aber der
entschlossene Befehlshaber von Pityus, Successianus, wies den Angriff
ab und die Angreifer, den Anmarsch der übrigen römischen Besatzungen
befürchtend, zogen eilig ab, wozu sie mühsam die nötigen Fahrzeuge
beschafften. Aufgegeben aber war der Plan nicht; im nächsten Jahr kamen
sie wieder, und da der Kommandant inzwischen gewechselt war, ergab sich
die Festung. Die Boraner, welche diesmal die bosporanischen Schiffe
festgehalten hatten und aus gepreßten Schiffsleuten und gefangenen
Römern deren Bemannung beschafften, bemächtigten sich weithin der Küste
und gelangten bis nach Trapezunt. In diese gut befestigte und stark
besetzte Stadt hatte alles sich geflüchtet und zu einer wirklichen
Belagerung waren die Barbaren nicht imstande. Aber die Führung der
Römer war schlecht und die Kriegszucht so verfallen, daß nicht einmal
die Mauer besetzt wurde; so erstiegen die Barbaren dieselbe bei
Nachtzeit, ohne auch nur Gegenwehr zu finden, und in der großen und
reichen Stadt fiel ungeheure Beute, darunter auch eine Anzahl von
Schiffen, in ihre Hände. Glücklich kehrten sie aus dem fernen Lande
zurück an die Maeotis.
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^25 Bei Zosimus selbst wird man völliges Verständnis dafür nicht
erwarten; aber sein Gewährsmann Dexippus, der Zeitgenosse und
Beteiligte, wußte wohl, warum er die bithynische Expedition die δευτέρα
έφοδος nannte (Zos. hist. 1, 35); und auch bei Zosimus noch erkennt man
deutlich den von Dexippus beabsichtigten Gegensatz der Expedition der
Boraner gegen Pityus und Trapezunt zu den hergebrachten Piratenfahrten.
In der Biographie des Gallienus wird die c. 11 unter dem Jahre 264
erzählte skythische Expedition nach Kappadokien die trapezuntische sein
sowie die damit verknüpfte bithynische die, welche Zosimus die zweite
nennt; verwirrt ist hier freilich alles.
^26 Dies sagt Zosimus (hist. 1, 42) und folgt auch aus dem Verhältnis
der Bosporaner zu dem ersten (1, 32) und dem des ersten zu dem zweiten
Zug (1, 34).
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Ein zweiter, durch diesen Erfolg angeregter Zug anderer, aber
benachbarter skythischer Haufen im folgenden Winter richtete sich gegen
Bithynien; es ist bezeichnend für die zerrütteten Verhältnisse, daß der
Anstifter dieses Zuges ein Grieche aus Nikomedeia, Chrysogonos, war,
und daß er für den glücklichen Erfolg von den Barbaren hochgeehrt ward.
Diese Expedition wurde, da die nötige Zahl von Schiffen nicht zu
beschaffen war, teils zu Lande, teils zu Wasser unternommen; erst in
der Nähe von Byzanz gelang es den Piraten, sich einer beträchtlichen
Zahl von Fischerbooten zu bemächtigen, und so gelangten sie an die
asiatische Küste nach Kalchedon, dessen starke Besatzung auf diese
Kunde davonlief. Nicht bloß diese Stadt geriet in ihre Hand, sondern
auch an der Küste Nikomedeia, Kios, Apameia, im Binnenland Nikaea und
Prusa; Nikomedeia und Nikaea brannten sie nieder und gelangten bis zum
Rhyndakos. Von da aus fuhren sie heim, beladen mit den Schätzen des
reichen Landes und seiner ansehnlichen Städte.
Schon der Zug gegen Bithymen war zum Teil auf dem Landweg unternommen
worden; um so mehr setzten die Angriffe, die gegen das europäische
Griechenland gerichtet wurden, sich aus Land- und Seeraubfahrten
zusammen. Wenn Mösien und Thrakien auch nicht dauernd von den Goten
besetzt wurden, so kamen und gingen sie doch hier, gleich als wären sie
zu Hause, und streiften von da aus weit nach Makedonien hinein. Selbst
Achaia erwartete unter Valerianus von dieser Seite her den Einbruch;
die Thermopylen und der Isthmos wurden verrammelt und die Athener
gingen daran, ihre seit Sullas Belagerung in Trümmern liegenden Mauern
wiederherzustellen. Damals und auf diesem Wege kamen die Barbaren
nicht. Aber unter Gallienus erschien eine Flotte von 500 Segeln,
diesmal vornehmlich Heruler, vor dem Hafen von Byzanz, das indes seine
Wehrhaftigkeit noch nicht eingebüßt hatte; die Schiffe der Byzantier
schlugen glücklich die Räuber ab. Diese fuhren weiter, zeigten sich an
der asiatischen Küste vor dem früher nicht angegriffenen Kyzikos und
gelangten von da über Lemnos und Imbros nach dem eigentlichen
Griechenland. Athen, Korinth, Argos, Sparta wurden geplündert und
zerstört. Es war immer etwas, daß, wie in den Zeiten der Perserkriege,
die Bürger des zerstörten Athen, 2000 an der Zahl, den abziehenden
Barbaren einen Hinterhalt legten und unter Führung ihres ebenso
gelehrten wie tapferen Vormanns Publius Herennius Dexippus aus dem
altadligen Geschlecht der Keryken, mit Unterstützung der römischen
Flotte, den Piraten einen namhaften Verlust beibrachten. Auf der
Heimkehr, die zum Teil auf dem Landweg erfolgte, griff Kaiser Gallienus
sie in Thrakien am Fluß Nestos an und tötete ihnen eine beträchtliche
Anzahl Leute ^27.
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^27 Dexippus’ Bericht über diesen Zug geben im Auszug Synkellos (p.
717) (wo ανελόντος für ανελόντες gelesen werden muß), Zosimus (hist. 1,
39) und der Biograph des Gallienus (c. 13). Ein Bruchstück seiner
eigenen Erzählung ist fr. 22. Bei dem Fortsetzer des Dio, von dem
Zonaras abhängt, ist der Vorgang unter Claudius gesetzt, durch Irrtum
oder durch Fälschung, die dem Gallienus diesen Sieg nicht gönnte. Die
Biographie des Gallienus erzählt den Vorgang, wie es scheint, zweimal,
zuerst kurz c. 6 unter dem Jahre 262, dann besser unter oder nach 265
(c. 13).
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Um das Maß des Unheils vollständig zu übersehen, muß man hinzunehmen,
daß in diesem in Scherben gehenden Reiche und vor allem in den vom
Feind überschwemmten Provinzen ein Offizier nach dem andern nach der
Krone griff, die es kaum noch gab. Es lohnt der Mühe nicht, die Namen
dieser ephemeren Purpurträger zu verzeichnen; die Lage zeichnet, daß
nach der Verwüstung Bithyniens durch die Piraten Kaiser Valerian es
unterließ, einen außerordentlichen Kommandanten dorthin zu schicken,
weil ihm jeder General, nicht ohne Grund, als Rivale galt. Dies hat
mitgewirkt bei dem fast durchaus passiven Verhalten der Regierung
gegenüber dieser schweren Not. Doch ist andererseits unzweifelhaft ein
guter Teil dieser unverantwortlichen Passivität auf die Persönlichkeit
der Herrscher zurückzuführen; Valerianus war schwach und bejahrt,
Gallienus fahrig und wüst, und der Lenkung des Staatsschiffs im Sturme
weder jener noch dieser gewachsen. Marcianus, dem Gallienus nach dem
Einfall in Achaia das Kommando in diesen Gegenden übertragen hatte,
operierte nicht ohne Erfolg; aber zu einer wirklichen Wendung zum
Besseren kam es nicht, solange Gallienus den Thron einnahm.
Nach Gallienus’ Ermordung (268), vielleicht auf die Kunde von dieser,
unternahmen die Barbaren, wieder unter Führung der Heruler, aber
diesmal mit vereinigten Kräften, einen Ansturm gegen die Reichsgrenzen,
wie er also noch nicht dagewesen war, mit einer mächtigen Flotte und
wahrscheinlich gleichzeitig zu Lande, von der Donau aus ^28. Die Flotte
hatte in der Propontis viel von Stürmen zu leiden; dann teilte sie sich
und es gingen die Goten teils gegen Thessalien und Griechenland vor,
teils gegen Kreta und Rhodos; die Hauptmasse begab sich nach Makedonien
und drang von da in das Binnenland ein, ohne Zweifel in Verbindung mit
den in Thrakien eingerückten Haufen. Aber den oft belagerten, jetzt bis
aufs äußerste gebrachten Thessalonikern brachte Kaiser Claudius, der
persönlich mit starker Macht heranrückte, endlich Entsatz; er trieb die
Goten vor sich her das Tal des Axios (Vardar) hinauf und weiter über
die Berge hinüber nach Obermösien; nach mancherlei Kämpfen mit
wechselndem Kriegsglück erfocht er hier im Moravatal bei Naissus einen
glänzenden Sieg, in welchem 50000 Feinde gefallen sein sollen. Die
Goten wichen in Auflösung zurück, in der Richtung erst auf Makedonien,
dann durch Thrakien zum Haemus, um die Donau zwischen sich und den
Feind zu bringen. Fast hätte ihnen ein Zwist im römischen Lager,
diesmal zwischen Infanterie und Reiterei, noch einmal Luft gemacht;
aber als es zum Schlagen kam, ertrugen die Reiter es doch nicht, ihre
Kameraden im Stich zu lassen und so siegte die vereinigte Armee
abermals. Eine schwere Seuche, welche in all den Jahren der Not, aber
besonders damals in diesen Gegenden und vor allem in den Heeren wütete,
tat zwar auch den Römern großen Schaden - Kaiser Claudius selbst erlag
ihr -, aber das große Heer der Nordländer wurde völlig aufgerieben und
die zahlreichen Gefangenen in die römischen Heere eingereiht oder zu
Leibeigenen gemacht. Auch die Hydra der Militärrevolutionen wurde
einigermaßen gebändigt; Claudius und nach ihm Aurelianus waren in
anderer Weise Herren im Reich, als dies von Gallienus gesagt werden
kann. Die Erneuerung der Flotte, wozu unter Gallienus ein Anfang
gemacht worden war, wird nicht gefehlt haben. Das traianische Dakien
war und blieb verloren; Aurelianus zog die dort sich noch haltenden
Posten heraus und gab den vertriebenen oder zur Auswanderung geneigten
Besitzern neue Wohnstätten auf dem mösischen Ufer. Aber Thrakien und
Mösien, die eine Zeitlang mehr den Goten als den Römern gehört hatten,
kehrten unter römische Herrschaft zurück, und wenigstens die
Donaugrenze ward wieder befestigt.
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^28 In unserer Überlieferung erscheint dieser Zug als eine reine
Seefahrt, unternommen mit (wahrscheinlich) 2000 Schiffen (so die
Biographie des Claudius; die Zahlen 6000 und 900, zwischen denen die
Überlieferung bei Zos. hist. 1, 42, schwankt, sind wohl beide
verdorben) und 320000 Menschen. Indes ist es wenig glaublich daß
Dexippus, auf den diese Angaben zurückgehen müssen die letztere Ziffer
in dieser Weise hat setzen können. Andererseits ist bei der Richtung
des Zuges zunächst gegen Tomis und Markianopolis es mehr als
wahrscheinlich, daß dabei das von Zos. hist. 1, 34 beschriebene
Verfahren befolgt ward und ein Teil zu Lande marschierte, und unter
dieser Voraussetzung mochte auch ein Zeitgenosse die Zahl der Angreifer
wohl auf jene Ziffer schätzen. Auch zeigt der Verlauf des Feldzugs,
namentlich der Ort der Entscheidungsschlacht, daß man es keineswegs
bloß mit einer Flotte zu tun hatte.
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Man wird diesen Goten- und Skythenzügen zu Lande und zur See, welche
die zwanzig Jahre 250 bis 269 ausfüllen, nicht die Bedeutung beilegen
dürfen, daß die ausschwärmenden Haufen darauf bedacht gewesen wären,
die Landschaften, die sie betraten, in bleibenden Besitz zu nehmen. Ein
solcher Plan ist nicht einmal für Mösien und Thrakien nachweisbar,
geschweige denn für die entfernteren Küsten; schwerlich waren auch die
Angreifer zahlreich genug, um eigentliche Invasionen zu unternehmen.
Wie das schlechte Regiment der letzten Herrscher und vor allem die
Unzuverlässigkeit der Truppen viel mehr als die Übermacht der Barbaren
die Überflutung des Gebietes durch Land- und Seeräuber hervorriefen, so
zog die Wiederherstellung der inneren Ordnung und das energische
Auftreten der Regierung von selbst die Befreiung desselben nach sich.
Noch konnte der römische Staat nicht gebrochen werden, wenn er nicht
sich selber brach. Immer aber war es ein großes Werk, das Regiment so
wieder zusammenzunehmen, wie Claudius es getan hat. Wir wissen noch
etwas weniger von ihm, als von den meisten Regenten dieser Zeit, da die
wahrscheinlich fiktive Zurückführung des konstantinischen Stammbaumes
auf ihn sein Bild nach der platten Vollkommenheitsschablone übermalt
hat; aber diese Anknüpfung selbst, sowie die zahllosen nach seinem Tode
ihm zu Ehren geschlagenen Münzen beweisen, daß er der nächsten
Generation als der Retter des Staates galt, und sie wird darin nicht
geirrt haben. Ein Vorspiel der späteren Völkerwanderung sind diese
Skythenzüge allerdings; und die Städtezerstörung, welche sie vor den
gewöhnlichen Piratenfahrten auszeichnet, hat damals in einem Umfang
stattgefunden, daß der Wohlstand wie die Bildung Griechenlands und
Kleinasiens sich niemals davon erholt haben.
An der wiederhergestellten Donaugrenze befestigte Aurelianus den
erfochtenen Sieg, indem er die Defensive wiederum offensiv führte und
die Donau an ihrer Mündung überschreitend, jenseits derselben sowohl
die Carper schlug, die seitdem zu den Römern im Schutzverhältnis
standen, wie auch die Goten unter ihrem König Canabaudes. Sein
Nachfolger Probus nahm, wie schon angegeben ward, die Überreste der von
den Goten bedrängten Bastarner herüber auf das römische Ufer, ebenso im
Jahre 295 Diocletian die Reste der Carper. Dies deutet darauf hin, daß
jenseits des Flusses das Reich der Goten sich konsolidierte; aber
weiter kamen sie auch nicht. Die Grenzbefestigungen wurden verstärkt;
Gegen-Aquincum (contra Aquincum, Pest) ist im Jahre 294 angelegt
worden. Die Piratenfahrten verschwanden nicht völlig. Unter Tacitus
zeigten sich Schwärme von der Maeotis in Kilikien. Die Franken, die
Probus am Schwarzen Meer angesiedelt hatte, verschafften sich Fahrzeuge
und fuhren heim nach ihrer Nordsee, nachdem sie unterwegs an der
sizilischen und der afrikanischen Küste geplündert hatten. Auch zu
Lande ruhten die Waffen nicht, wie denn die zahlreichen Sarmatensiege
Diocletians alle, und ein Teil seiner germanischen, auf die
Donaugegenden fallen werden; aber erst unter Konstantin kam es wieder
zu einem ernsthaften Kriege mit den Goten, der glücklich verlief. Das
Übergewicht Roms stand seit Claudius’ gotischem Siege wieder so fest
wie vorher.
Die eben entwickelte Kriegsgeschichte blieb auf die innere Ordnung des
römischen Staats- und Heerwesens nicht ohne allgemeine und bleibende
militärisch-politische Rückwirkung. Es ist bereits darauf hingewiesen
worden, daß die Rheinheere, in der frühen Kaiserzeit die führenden in
der Armee, ihren Primat schon unter Traian an die Donaulegionen
abgaben. Wenn unter Augustus sechs Legionen im Donau- und acht im
Rheinland standen, so zählten nach den dakischen Kriegen Domitians und
Traians im 2. Jahrhundert die Rheinlager nur vier, die Donaulager zehn,
nach dem Markomannischen sogar zwölf Legionen. Nachdem seit Hadrian aus
der Armee, abgesehen von den Offizieren, das italische Element
verschwunden war und im ganzen genommen jedes Regiment sich in der
Gegend, in welcher es lagerte, auch rekrutierte, waren die meisten
Soldaten der Donauarmee und nicht weniger die aus dem Gliede
hervorgegangenen Centurionen in Pannonien, Dakien, Mösien, Thrakien zu
Hause. Auch die neuen, unter Marcus gebildeten Legionen gingen aus
Illyricum hervor, und die außerordentlichen Ergänzungen, deren die
Truppen damals bedurften, wurden wahrscheinlich ebenfalls vorzugsweise
aus den Gegenden genommen, in denen die Heere standen. Also war der
Primat der Donauarmeen, den der Dreikaiserkrieg der severischen Zeit
feststellte und steigerte, zugleich ein Primat der illyrischen
Soldaten; und es kam dies bei der Reform der Garde unter Severus zu
sehr energischem Ausdruck. In die höheren Kreise des Regiments griff
dieser Primat nicht eigentlich ein, solange die Offizierstellung noch
mit der Reichsbeamtenstellung zusammenfiel, obwohl die ritterliche
Laufbahn dem gemeinen Soldaten durch das Zwischenglied des Centurionats
zu allen Zeiten zugänglich war und also die Illyriker auch in jene
schon früh eindrangen, wie denn bereits im Jahre 235 ein geborener
Thraker, Gaius Iulius Verus Maximinus, im Jahre 248 ein geborener
Pannonier, Traianus Decius, auf diesem Wege sogar zum Purpur gelangt
sind. Aber als dann Gallienus in allerdings nur zu gerechtfertigtem
Mißtrauen die Rangklasse der Senatoren von dem Offizierdienst
ausschloß, erstreckte sich notwendigerweise, was bisher von den
Soldaten galt, auch auf die Offiziere. Es ist also nur in der Ordnung,
daß die der Donauarmee angehörigen, meistens aus den illyrischen
Gegenden herstammenden Soldaten seitdem auch im Regiment die erste
Rolle spielen und, soweit die Armee die Kaiser machte, diese ebenfalls
der Mehrzahl nach Illyriker sind. Also folgen auf Gallienus der
Dardaner Claudius, Aurelianus aus Mösien, Probus aus Pannonien,
Diocletianus aus Dalmatien, Maximianus aus Pannonien, Constantius aus
Dardanien, Galerius aus Serdica; von den letztgenannten hebt ein unter
der konstantinischen Dynastie schreibender Schriftsteller die Herkunft
aus Illyricum hervor und fügt hinzu, daß sie mit wenig Bildung, aber
guter Vorschulung durch Feldarbeit und Kriegsdienst treffliche
Herrscher gewesen seien. Was die Albanesen lange Zeit dem Türkischen
Reich gewesen sind, das haben ihre Vorfahren dem römischen Kaiserstaat,
als dieser bei ähnlicher Zerrüttung und ähnlicher Barbarei angelangt
war, in gleicher Weise geleistet. Nur darf die illyrische Regeneration
des römischen Kaisertums nicht etwa als eine nationale Reorganisation
aufgefaßt werden; es war lediglich die soldatische Stützung eines durch
das Mißregiment vornehm geborener Herrscher völlig herabgekommenen
Reiches. Die Demilitarisierung Italiens war vollständig geworden, und
Herrscherrecht ohne kriegerische Kraft erkennt die Geschichte nicht an.
KAPITEL VII.
Das griechische Europa
Mit der allgemeinen geistigen Entwicklung der Hellenen hatte die
politische ihrer Republiken sich nicht im Gleichgewicht gehalten, oder
vielmehr die Überschwenglichkeit jener hatte, wie die allzu volle Blüte
den Kelch sprengt, keinem einzelnen Gemeinwesen verstattet, diejenige
Ausdehnung und Stetigkeit zu gewinnen, welche für die staatliche
Ausgestaltung vorbedingend ist. Die Kleinstaaterei der einzelnen Städte
oder Städtebünde mußte in sich verkümmern oder den Barbaren verfallen;
nur der Panhellenismus verbürgte, wie den Fortbestand der Nation, so
ihre Weiterentwicklung gegenüber den stammfremden Umwohnern. Er ward
verwirklicht durch den Vertrag, den König Philipp von Makedonien, der
Vater Alexanders, in Korinth mit den Staaten von Hellas abschloß. Es
war dies dem Namen nach ein Bundesvertrag, in der Tat die Unterwerfung
der Republiken unter die Monarchie, aber eine Unterwerfung, welche nur
dem Ausland gegenüber sich vollzog, indem die unumschränkte
Feldherrnschaft gegen den Nationalfeind von fast allen Städten des
griechischen Festlandes dem makedonischen Feldherrn übertragen, sonst
ihnen die Freiheit und die Autonomie gelassen ward, und es war, wie die
Verhältnisse lagen, dies die einzig mögliche Realisierung des
Panhellenismus und die im wesentlichen für die Zukunft Griechenlands
maßgebende Form. Philipp und Alexander gegenüber hat sie Bestand
gehabt, wenn auch die hellenischen Idealisten wie immer das realisierte
Ideal als solches anzuerkennen sich sträubten. Als dann Alexanders
Reich zerfiel, war es wie mit dem Panhellenismus selbst, so auch mit
der Einigung der griechischen Städte unter der monarchischen Vormacht
vorbei und rieben diese in Jahrhunderten ziellosen Ringens ihre letzte
geistige und materielle Macht auf, hin- und hergezogen zwischen der
wechselnden Herrschaft der übermächtigen Monarchien und vergeblichen
Versuchen, unter dem Schutz des Haders derselben den alten
Partikularismus zu restaurieren.
Als dann die mächtige Republik des Westens in den bisher einigermaßen
gleichgewogenen Kampf der Monarchien des Ostens eintrat und bald sich
mächtiger als jeder der dort miteinander ringenden griechischen Staaten
erwies, erneuerte sich mit der festen Vormachtstellung auch die
panhellenische Politik. Hellenen im vollen Sinn des Worts waren weder
die Makedonier noch die Römer; es ist nun einmal der tragische Zug der
griechischen Entwicklung, daß das attische Seereich mehr eine Hoffnung
als eine Wirklichkeit war und das Einigungswerk nicht aus dem eigenen
Schoß der Nation hat hervorgehen dürfen. Wenn in nationaler Hinsicht
die Makedonier den Griechen näher standen als die Römer, so war das
Gemeinwasen Roms den hellenischen politisch bei weitem mehr
wahlverwandt als das makedonische Erbkönigtum. Was aber die Hauptsache
ist, die Anziehungskraft des griechischen Wesens ward von den römischen
Bürgern wahrscheinlich nachhaltiger und tiefer empfunden als von den
Staatsmännern Makedoniens, eben weil jene ihm ferner standen als diese.
Das Begehren, sich wenigstens innerlich zu hellenisieren, der Sitte und
der Bildung, der Kunst und der Wissenschaft von Hellas teilhaftig zu
werden, auf den Spuren des großen Makedoniers Schild und Schwert der
Griechen des Ostens sein und diesen Osten nicht italisch, sondern
hellenistisch weiter zivilisieren zu dürfen, dieses Verlangen
durchdringt die späteren Jahrhunderte der römischen Republik und die
bessere Kaiserzeit mit einer Macht und einer Idealität, welche fast
nicht minder tragisch ist als jenes nicht zum Ziel gelangende
politische Mühen der Hellenen. Denn auf beiden Seiten wird Unmögliches
erstrebt: dem hellenischen Panhellenismus ist die Dauer versagt und dem
römischen Hellenismus der Vollgehalt. Indes hat er darum nicht weniger
die Politik der römischen Republik wie die der Kaiser wesentlich
bestimmt. Wie sehr auch die Griechen, namentlich im letzten Jahrhundert
der Republik, den Römern es bewiesen, daß ihre Liebesmühe eine
verlorene war, es hat dies weder an der Mühe noch an der Liebe etwas
geändert.
Die Griechen Europas waren von der römischen Republik zu einer
einzigen, nach dem Hauptlande Makedonien benannten Statthalterschaft
zusammengefaßt worden. Wenn diese mit dem Beginn der Kaiserzeit
administrativ aufgelöst ward, so wurde damals gleichzeitig dem gesamten
griechischen Harnen eine religiöse Gemeinschaft verliehen, die sich
anschloß an die alte, des Gottesfriedens wegen eingeführte und dann zu
politischen Zwecken mißbrauchte Delphische Amphiktyonie. Unter der
römischen Republik war dieselbe im wesentlichen auf die ursprünglichen
Grundlagen zurückgeführt worden: Makedonien sowohl wie Ätolien, die
sich beide usurpatorisch eingedrängt hatten, wurden wieder
ausgeschieden und die Amphiktyonie umfaßte abermals nicht alle, aber
die meisten Völkerschaften Thessaliens und des eigentlichen
Griechenlands. Augustus veranlaßte die Erstreckung des Bundes auf
Epirus und Makedonien und machte ihn dadurch im wesentlichen zum
Vertreter des hellenischen Landes in dem weiteren, dieser Epoche allein
angemessenen Sinne. Eine bevorzugte Stellung nahmen in diesem Verein
neben dem altheiligen Delphi die beiden Städte Athen und Nikopolis ein,
jene die Kapitale des alten, diese nach Augustus’ Absicht die des neuen
kaiserlichen Hellenentums ^1. Diese neue Amphiktyonie hat eine gewisse
Ähnlichkeit mit der Landesversammlung der drei Gallien; in ähnlicher
Weise wie für diese der Kaiseraltar bei Lyon war der Tempel des
pythischen Apollon der religiöse Mittelpunkt der griechischen
Provinzen. Indes während jenem daneben eine geradezu politische
Wirksamkeit zugestanden hat, so besorgten die Amphiktyonen dieser
Epoche außer der eigentlich religiösen Feier lediglich die Verwaltung
des delphischen Heiligtums und seiner immer noch beträchtlichen
Einkünfte ^2. Wenn ihr Vorsteher sich in späterer Zeit die
“Helladarchie” zuschreibt, so ist diese Herrschaft über Griechenland
lediglich ein idealer Begriff. ^3 Immer aber bleibt die offizielle
Konservierung der griechischen Nationalität ein Kennzeichen der
Haltung, welche das neue Kaisertum gegen dieselbe einnimmt, und seines
den republikanischen weit überbietenden Philhellenismus.
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^1 Die Ordnung der Delphischen Amphiktyonie unter der römischen
Republik erhellt namentlich aus der delphischen Inschrift CIL III, p.
987 (vgl. BCH 7,1883, S. 427f.). Den Verein bildeten damals siebzehn
Völkerschaften mit zusammen 24 Stimmen, sämtlich dem eigentlichen
Griechenland oder Thessalien angehörig; Ätolien, Epirus, Makedonien
fehlen. Nach der Umgestaltung durch Augustus (Paus. 10, 8) blieb diese
Organisation im übrigen bestehen, nur daß durch Beschränkung der
unverhältnismäßig zahlreichen thessalischen die Stimmen der bisher
vertretenen Völkerschaften auf achtzehn herabgemindert wurden; dazu
traten neu Nikopolis in Epirus mit sechs und Makedonien ebenfalls mit
sechs Stimmen. Ferner sollten die sechs Stimmen von Nikopolis ein für
allemal geführt werden, ebenso wie dies blieb für die zwei von Delphi
und die eine von Athen, die übrigen Stimmen dagegen von den Verbänden,
so daß zum Beispiel die eine Stimme der peloponnesischen Dorier
wechselte zwischen Argos, Sikyon, Korinth und Megara. Eine
Gesamtvertretung der europäischen Hellenen waren die Amphiktyonen
insofern auch jetzt nicht, als die früher ausgeschlossenen
Völkerschaften im eigentlichen Griechenland, ein Teil der Peloponnesier
und die nicht zu Nikopolis gezogenen Ätoler, darin nicht repräsentiert
waren.
^2 Die stehenden Zusammenkünfte in Delphi und an den Thermopylen
währten fort (Paus. 7, 24, 3; Vita Apoll. 4, 23) und natürlich auch die
Ausrichtung der Pythischen Spiele nebst der Erteilung der Preise durch
das Kollegium der Amphiktyonen (vit. soph. 2, 27); dasselbe hat die
Verwaltung der “Zinsen und Einkünfte” des Tempels (Inschrift von
Delphi, Rheinisches Museum, N. F. 2, 1843, S. 111) und legt aus
denselben, zum Beispiel in Delphi, eine Bibliothek an (Lebas-Foucart
II, S. 845) oder setzt daselbst Bildsäulen.
^3 Die Mitglieder des Kollegiums der Αμψικτίονεσ oder, wie sie in
dieser Epoche heißen, Αμψικτύονεσ, werden von den einzelnen Städten in
der früher bezeichneten Weise bald von Fall zu Fall (Iteration: CIG
1085), bald auf Lebenszeit (Plut. an seni 20) bestellt; was wohl davon
abhängt, ob die Stimme ständig war oder alternierend (Wilamowitz). Ihr
Vorsteher heißt in früherer Zeit επιμελητής τού κοινού τών Αμψικτυόνων
(Inschriften von Delphi, Rheinisches Museum, N. F. 2, 1843, S. 111; CIG
1713), später Ελλαδάρχης τών Αμψικτυόνων (CIG 1124).
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Hand in Hand mit der sakralen Einigung der europäischen Griechen ging
die administrative Auflösung der griechisch-makedonischen
Statthalterschaft der Republik. An der Teilung der Reichsverwaltung
unter Kaiser und Senat hing sie nicht, da dieses gesamte Gebiet und
nicht minder die vorliegenden Donaulandschaften bei der ursprünglichen
Teilung dem Senat zugewiesen wurden; ebensowenig haben militärische
Rücksichten hier eingegriffen, da die ganze Halbinsel bis hinauf zur
thrakischen Grenze, als gedeckt teils durch diese Landschaft, teils
durch die Besatzungen an der Donau, immer dem befriedeten Binnenlande
zugerechnet worden ist. Wenn der Peloponnes und das attisch-böotische
Festland damals seinen eigenen Prokonsul erhielt und von Makedonien
getrennt ward, was wohl schon Caesar beabsichtigt haben mag, so war
dabei, neben der allgemeinen Tendenz, die senatorischen
Statthalterschaften nicht zu groß zu nehmen, vermutlich die Rücksicht
maßgebend, das rein hellenische Gebiet von dem halb hellenischen zu
scheiden. Die Grenze der Provinz Achaia war anfänglich der Oeta, und
auch nachdem die Ätoler später dazu gelegt worden ^4, ist sie nicht
hinausgegangen über den Acheloos und die Thermopylen.
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^4 Die ursprünglichen Grenzen der Provinz bezeichnet Strabon (17, 3, 25
p. 840) in der Aufzählung der senatorischen Provinzen: Αχαία μέχρι
Θετταλίας καί Αιτωλών καί Ακαρνάνων καί τινων Ηπειρωτικών εθνών όσα τή
Μακεδονία προσώριστο, wobei der übrige Teil von Epirus der (von Strabon
hier, für seine Zeit irrig, den senatorischen zugezählten) Provinz
Illyricum zugeteilt zu werden scheint. Μέχρι einschließend zu nehmen
geht, von sachlichen Erwägungen abgesehen, schon deswegen nicht an,
weil nach den Schlußworten die vorher genannten Gebiete “Makedonien
zugeteilt sind”. Späterhin finden wir die Ätoler zu Achaia gelegt
(Ptol. geogr. 3, 14). Daß Epirus eine Zeitlang auch dazu gehört hat,
ist möglich, nicht so sehr wegen der Angabe bei Dio 53, 12, die weder
für Augustus’ Zeit noch für diejenige Dios verteidigt werden kann,
sondern weil Tacitus zum Jahre 17 (ann. 2, 53) Nikopolis zu Achaia
rechnet. Aber wenigstens seit Traian bildet Epirus mit Akarnanien eine
eigene prokuratorische Provinz (Ptol. geogr. 3, 13; CIL III, 536;
Marquardt, Römische Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 331). Thessalien und
alles Land nördlich vom Oeta ist stets bei Makedonien geblieben.
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Diese Ordnungen betrafen die Landschaft im ganzen. Wir wenden uns zu
der Stellung, welche den einzelnen Stadtgemeinden unter der römischen
Herrschaft gegeben ward.
Die ursprüngliche Absicht der Römer, die Gesamtheit der griechischer.
Stadtgemeinden in ähnlicher Weise an das eigene Gemeinwesen
anzuschließen, wie dies mit den italischen geschehen war, hatte infolge
des Widerstandes, auf den diese Einrichtungen trafen, insbesondere
infolge der Auflehnung des Achäischen Bundes im Jahre 608 (146) und des
Abfalls der meisten Griechenstädte zu König Mithradates im Jahre 666
(88) wesentliche Einschränkungen erfahren. Die Städtebünde, das
Fundament aller Machtentwicklung in Hellas wie in Italien, und von den
Römern anfänglich akzeptiert, waren sämtlich, namentlich der wichtigste
der Peloponnesier oder, wie er sich nannte, der Achäer, aufgelöst und
die einzelnen Städte angehalten worden, ihr Gemeinwesen für sich zu
ordnen. Es wurden ferner für die einzelnen Gemeindeverfassungen von der
Vormacht gewisse allgemeine Normen aufgestellt und nach diesem Schema
dieselben in antidemokratischer Tendenz reorganisiert. Nur innerhalb
dieser Schranken blieb der einzelnen Gemeinde die Autonomie und die
eigene Magistratur. Es blieben ihr auch die eigenen Gerichte; aber
daneben stand der Grieche von Rechts wegen unter den Ruten und Beilen
des Prätors, und wenigstens konnte wegen eines jeden Vergehens, das als
Auflehnung gegen die Vormacht sich betrachten ließ, von den römischen
Beamten auf Geldbuße oder Ausweisung oder auch Lebensstrafe erkannt
werden ^5. Die Gemeinden besteuern sich selbst; aber sie hatten
durchgängig eine bestimmte, im ganzen, wie es scheint, nicht hoch
gegriffene Summe nach Rom zu entrichten. Besatzungen wurden nicht so,
wie einst in makedonischer Zeit, in die Städte gelegt, da die in
Makedonien stehenden Truppen nötigenfalls in der Lage waren, auch in
Griechenland einzuschreiten. Aber schwerer als die Zerstörung Thebens
auf dem Andenken Alexanders, lastet auf der römischen Aristokratie die
Schleifung Korinths. Die übrigen Maßregeln, wie gehässig und erbitternd
sie auch teilweise waren, namentlich als von der Fremdherrschaft
oktroyiert, mochten im ganzen genommen unvermeidlich sein und vielfach
heilsam wirken; sie waren die unvermeidliche Palinodie der
ursprünglichen, zum Teil recht unpolitischen römischen Politik des
Verzeihens und Verziehens gegenüber den Hellenen. Aber in der
Behandlung Korinths hatte sich der kaufmännische Egoismus in
unheimlicher Weise mächtiger erwiesen als alles Philhellenentum.
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^5 Nichts gibt von der Lage der Griechen des letzten Jahrhunderts der
römischen Republik ein deutlicheres Bild als das Schreiben eines dieser
Statthalter an die achäische Gemeinde Dyme (CIG 1543). Weil diese
Gemeinde sich Gesetze gegeben hat, welche der im allgemeinen den
Griechen geschenkten Freiheit (η αποδεδομένη κατά κοινόν τοίς 'Ελλησιν
ελευθερία) und der von den Römern den Achäern gegebenen Ordnung (η
αποδευθείσα τοίς Αχαιοίς υπό Ρωμαίων πολιτεια; wahrscheinlich unter
Mitwirkung des Polybios Paus. 8, 30, 9) zuwiderliefen, worüber es
allerdings auch zu Aufläufen gekommen war, zeigt der Statthalter der
Gemeinde an, daß er die beiden Rädelsführer habe hinrichten, lassen und
ein minder schuldiger Dritter nach Rom exiliert sei.
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Bei allem dem war der Grundgedanke der römischen Politik, die
griechischen Städte dem italischen Städtebund anzugliedern, nie
vergessen worden; gleich wie Alexander niemals Griechenland hat
beherrschen wollen wie Illyrien und Ägypten, so haben auch seine
römischen Nachfolger das Untertanenverhältnis nie vollständig auf
Griechenland angewandt und schon in republikanischer Zeit von dem
strengen Recht des den Römern aufgezwungenen Krieges wesentlich
nachgelassen. Insbesondere geschah dies gegenüber Athen. Keine
griechische Stadt hat vom Standpunkt der römischen Politik aus so
schwer gegen Rom gefehlt wie diese; ihr Verhalten im Mithradatischen
Kriege hätte bei jedem anderen Gemeinwesen unvermeidlich die Schleifung
herbeigeführt. Aber vom philhellenischen Standpunkt aus freilich war
Athen das Meisterstück der Weit, und es knüpften sich an dasselbe für
die vornehme Welt des Auslandes ähnliche Neigungen und Erinnerungen wie
für unsere gebildeten Kreise an Pforta und an Bonn; dies überwog damals
wie früher. Athen hat nie unter den Beilen des römischen Statthalters
gestanden und niemals nach Rom gesteuert, hat immer mit Rom
beschworenes Bündnis gehabt und nur außerordentlicher und, wenigstens
der Form nach, freiwilliger Weise den Römern Beihilfe gewährt. Die
Kapitulation nach der Sullanischen Belagerung führte wohl eine Änderung
der Gemeindeverfassung herbei, aber das Bündnis ward erneuert, ja sogar
alle auswärtigen Besitzungen zurückgegeben; selbst die Insel Delos,
welche, als Athen zu Mithradates übertrat, sich losgemacht und als
selbständiges Gemeinwesen konstituiert hatte und zur Strafe für ihre
Treue gegen Rom von der pontischen Flotte ausgeraubt und zerstört
worden war ^6.
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^6 Die delischen Ausgrabungen der letzten Jahre haben die Beweise
geliefert, daß die Insel, nachdem die Römer sie einmal an Athen gegeben
hatten, beständig athenisch geblieben ist und sich zwar infolge des
Abfalls der Athener von Rom als Gemeinde der “Delier” konstituierte
(Eph, epigr. V, p. 604), aber schon sechs Jahre nach der Kapitulation
Athens wieder athenisch war (Ep h. epigr. V, n. 184; Homolle im BCH 8,
1884, S. 142).
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Mit ähnlicher Rücksicht, und wohl auch zum guten Teil seines großen
Namens wegen, ist Sparta behandelt worden. Auch einige andere Städte
der später zu nennenden befreiten Gemeinden hatten diese Stellung
bereits unter der Republik. Wohl kamen dergleichen Ausnahmen in jeder
römischen Provinz vor; aber dem griechischen Gebiet ist dies von Haus
aus eigen, daß eben die beiden namhaftesten Städte desselben außerhalb
des Untertanenverhältnisses standen und dieses demnach nur die
geringeren Gemeinwesen traf.
Auch für die untertänigen Griechenstädte traten schon unter der
Republik Milderungen ein. Die anfänglich untersagten Städtebünde lebten
allmählich wieder auf, insbesondere die kleineren und machtlosen, wie
der böotische, sehr bald ^7; mit der Gewöhnung an die Fremdherrschaft
schwanden die oppositionellen Tendenzen, welche ihre Aufhebung
herbeigeführt hatten, und ihre enge Verknüpfung mit dem sorgfältig
geschonten, althergebrachten Kultus wird ihnen weiter zugute gekommen
sein, wie denn schon bemerkt worden ist, daß die römische Republik die
Amphiktyonie in ihren ursprünglichen nicht politischen Funktionen
wiederherstellte und schützte. Gegen das Ende der republikanischen Zeit
scheint die Regierung den Böotern sogar gestattet zu haben, mit den
kleinen nördlich angrenzenden Landschaften und der Insel Euböa eine
Gesamtverbindung einzugehen ^8.
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^7 Ob das κοινόν τών Αχαιών, das in der eigentlich republikanischen
Zeit natürlicherweise nicht vorkommt, schon am Ende derselben oder erst
nach Einführung der kaiserlichen Provinzialordnung rekonstruiert worden
ist, ist zweifelhaft. Inschriften wie die olympische des Proquästors Q.
Ancharius Q. f. (Archäologische Zeitung 36, 1878, S. 38, n. 114)
sprechen mehr für die erstere Annahme; doch kann sie nicht mit
Gewißheit als voraugustisch bezeichnet werden. Das älteste sichere
Zeugnis für die Existenz dieser Vereinigung ist die von ihr dem
Augustus in Olympia gesetzte Inschrift (Archäologische Zeitung 35,
1877, S. 36, n. 33). Vielleicht sind dies Ordnungen des Diktators
Caesar und im Zusammenhang mit dem unter ihm begegnenden Statthalter
“Griechenlands”, wahrscheinlich des Achaia der Kaiserzeit (Cic. ad fam.
6, 6, 10).
Übrigens haben sicher auch unter der Republik, nach Ermessen des
jedesmaligen Statthalters, mehrere Gemeinden für einen bestimmten
Gegenstand durch Deputierte zusammentreten und Beschlüsse fassen
können; wie das κοινόν der Sikelioten also dem Verres eine Statue
dekretierte (Cic. Verr. 1, 2, 46, 114), wird ähnliches auch in
Griechenland unter der Republik vorgekommen sein. Aber die regelmäßigen
provinzialen Landtage mit ihren festen Beamten und Priestern sind eine
Einrichtung der Kaiserzeit.
^8 Dies ist das κοινόν Βοιωτών Ευβοέων Λοκρών Φωκέων Δωριέων
merkwürdigen, wahrscheinlich kurz vor der Attischen Schlacht gesetzten
Inschrift CIA III, 568. Unmöglich kann mit Dittenberger (Archäologische
Zeitung 34, 1876, S. 220) auf diesen Bund die Meldung des Pausanias (7,
16, 10) bezogen werden, daß die Römer “nicht viele Jahre” nach der
Zerstörung Korinths sich der Hellenen erbarmt und ihnen die
landschaftlichen Vereinigungen (συνέδρια κατά εθνος εκάστοις) wieder
gestattet hätten; dies geht auf die kleineren Einzelbünde.
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Den Schlußstein der republikanischen Epoche macht die Sühnung der
Schleifung Korinths durch den größten aller Römer und aller
Philhellenen, den Diktatar Caesar, und die Erneuerung des Sternes von
Hellas in der Form einer selbständigen Gemeinde römischer Bürger, der
neuen “julischen Ehre”.
Diese Verhältnisse fand das eintretende Kaiserregiment in Griechenland
vor, und diese Wege ist es weiter gegangen. Die von dem unmittelbaren
Eingreifen der Provinzialregierung und von der Steuerzahlung an das
Reich befreiten Gemeinden, denen die Kolonien der römischen Bürger in
vieler Hinsicht gleichstehen, begreifen weitaus den größten und besten
Teil der Provinz Achaia: im Peloponnes Sparta, mit seinem zwar
geschmälerten, aber doch jetzt wieder die nördliche Hälfte Lakoniens
umfassenden Gebiet ^9, immer noch das Gegenbild Athens, sowohl in den
versteinerten altfränkischen Institutionen wie in der wenigstens
äußerlich bewahrten Ordnung und Haltung; ferner die achtzehn Gemeinden
der freien Lakonen, die südliche Hälfte der lakonischen Landschaft,
einst spartanische Untertanen, nach dem Kriege gegen Nabis von den
Römern als selbständiger Städtebund organisiert und von Augustus gleich
Sparta mit der Freiheit beliehen ^10; endlich in der Landschaft der
Achäer außer Dyme, das schon von Pompeius mit Piratenkolonisten belegt
worden war und dann durch Caesar neue römische Ansiedler empfangen
hatte ^11, vor allem Patrae, aus einem herabgekommenen Flecken von
Augustus, seiner für den Handel günstigen Lage wegen, teils durch
Zusammenziehung der umliegenden kleinen Ortschaften, teils durch
Ansiedelung zahlreicher italischer Veteranen zu der volkreichsten und
blühendsten Stadt der Halbinsel umgeschaffen und als römische
Bürgerkolonie konstituiert, unter die auch auf der gegenüberliegenden
lokrischen Küste Naupaktos (italienisch Lepanto) gelegt ward. Auf dem
Isthmos war Korinth, wie es einst das Opfer der Gunst seiner Lage
geworden war, so jetzt nach seiner Wiederherstellung, ähnlich wie
Karthago, rasch emporgekommen und die gewerb- und volkreichste Stadt
Griechenlands, überdies der regelmäßige Sitz der Regierung. Wie die
Korinther die ersten Griechen gewesen waren, welche die Römer als
Landsleute anerkannt hatten durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen,
so leitete dieselbe Stadt jetzt, obgleich römische Bürgergemeinde,
dieses hohe griechische Nationalfest. Auf dem Festlande gehörten zu den
befreiten Distrikten nicht bloß Athen mit seinem ganz Attika und
zahlreiche Inseln des Ägäischen Meeres umfassenden Gebiet, sondern auch
Tanagra und Thespiae, damals die beiden ansehnlichsten Städte der
böotischen Landschaft, ferner Plataeae ^12; in Phokis Delphi, Abae,
Elateia, sowie die ansehnlichste der lokrischen Städte, Amphissa. Was
die Republik begonnen hatte, das vollendete Augustus in der eben
dargelegten, wenigstens in den Hauptzügen von ihm festgestellten und
auch später im wesentlichen festgehaltenen Ordnung. Wenngleich die dem
Prokonsul unterworfenen Gemeinden der Provinz der Zahl nach gewiß und
vielleicht auch nach der Gesamtbevölkerung überwogen, so sind in echt
philhellenischem Geiste die durch materielle Bedeutung oder durch große
Erinnerungen ausgezeichnetsten Städte Griechenlands befreite ^13.
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^9 Dazu gehörte nicht bloß das nahe Amyklae, sondern auch Kardmyle
(durch Schenkung Augusts, Paus. 3, 26, 7), Pherae (Paus. 4, 30, 2),
Thuria (das. 4, 31, 1) und eine Zeitlang auch Korone (CIG 1258; vgl.
Lebas-Foucart II, S. 305) am Messenischen Busen, ferner die Insel
Kythera (Dio 54, 7).
^10 In republikanischer Zeit erscheint dieser Distrikt als τό κοινόν
τών Λακεδαιμονίων (Lebas-Foucart II, S. 110); Pausanias (3, 21, 6) irrt
also, wenn er ihn erst durch Augustus von Sparta lösen läßt. Aber
Ελευθερολάκονες nennen sie sich erst seit Augustus, und die Erteilung
der Freiheit wird also mit Recht auf diesen zurückgeführt.
^11 Es gibt Münzen dieser Stadt mit der Aufschrift c(olonia) I(ulia)
D(ume)und dem Kopf Caesars, andere mit der Aufschrift c(olonia) I(ulia)
A(ugusta) Du m(e) und dem Kopf Augusts neben dem des Tiberius (F.
Imhoof-Blumer, Monnaies Grècques. Leipzig 1883, S. 165). Daß Augustus
Dyme der Kolonie Patrae zugeteilt hat, ist wohl ein Irrtum des
Pausanias (7,17, 5); möglich bleibt es freilich, daß Augustus in seinen
späteren Jahren diese Vereinigung verfügt hat.
^12 Dies zeigt, wenigstens für die Zeit des Pius, die afrikanische
Inschrift CIL VIII, 7059 (vgl. Plut. Arist. 21). Die
Schriftstellernachrichten über die befreiten Gemeinden geben überhaupt
keine Gewähr für die Vollständigkeit der Liste. Wahrscheinlich gehört
zu denselben auch Elis, das von der Katastrophe der Achäer nicht
betroffen ward und auch später noch nach Olympiaden, nicht nach der Ära
der Provinz datierte; überdies ist es unglaublich, daß die Stadt der
olympischen Feier nicht bestes Recht gehabt hat.
^13 Scharf drückt dies Aristeides aus in der Lobrede auf Rom (or. p.
224 Jebb): διατελείτε τών μέν Ελλήνων ώσπερ τροφέων επιμελόμενοι … τούς
μέν αρίστους καί πάλαι ηγεμόνας (Athen und Sparta) ελευθέρους καί
αυτονόμους αφεικότεσ αυτών, τών δ'άλλων μετρίως … εξηγούμενοι, τούς δέ
βαρβάρους πρός τήν εκάστοις αυτών ούσαν φύσιν παιδύοντες.
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Weiter, als in dieser Richtung Augustus gegangen war, ging der letzte
Kaiser des Claudischen Hauses, einer vom Schlage der verdorbenen Poeten
und insofern allerdings ein geborener Philhellene. Zum Dank für die
Anerkennung, die seine künstlerischen Leistungen in dem Heimatlande der
Musen gefunden hatten, sprach Nero, wie einst Titus Flamininus und
wieder in Korinth bei den Isthmischen Spielen, die sämtlichen Griechen
des römischen Regiments ledig, frei von Tributen und gleich den
Italikern keinem Statthalter untertan. Sofort entstanden in ganz
Griechenland Bewegungen, welche Bürgerkriege gewesen sein würden, wenn
diese Leute mehr hätten fertig bringen können als Schlägereien; und
nach wenigen Monaten stellte Vespasian mit der trockenen Bemerkung, daß
die Griechen verlernt hätten, frei zu sein, die Provinzialverfassung
wieder her ^14, so weit sie reichte.
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^14 Aber dankbar blieben die hellenischen Literaten ihrem Kollegen und
Patron. In dem Apolloniusroman schlägt der große Weise aus Kappadokien
Vespasian die Ehre seiner Begleitung ab, weil er die Hellenen zu
Sklaven gemacht habe, wie sie eben im Begriff waren, wieder ionisch und
dorisch zu reden, und schreibt ihm verschiedene Billets von
ergötzlicher Grobheit. Ein Mann aus Soloi, der den Hals brach und dann
wieder auflebte und bei dieser Gelegenheit alles sah, was Dante
schaute, berichtete, daß er Neros Seele getroffen habe, in welche die
Arbeiter des Weltgerichts Flammennägel getrieben hatten und beschäftigt
waren sie in eine Natter umzugestalten; allein eine himmlische Stimme
habe Einspruch getan und geboten, den Mann wegen seines irdischen
Philhellenismus in eine minder abscheuliche Bestie zu verwandeln (Plut.
de Sera num. vind. a. E.).
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Die Rechtsstellung der befreiten Gemeinden blieb im wesentlichen
dieselbe wie unter der Republik. Soweit nicht römische Bürger in Frage
kamen, behielten sie die volle Justizhoheit; nur scheinen die
allgemeinen Bestimmungen über die Appellationen an den Kaiser einer-
und die Senatsbehörden andererseits auch die freien Städte
eingeschlossen zu haben ^15. Vor allem behielten sie die volle
Selbstbestimmung und Selbstverwaltung. Athen zum Beispiel hat in der
Kaiserzeit das Prägerecht geübt, ohne je einen Kaiserkopf auf seine
Münzen zu setzen, und auch auf spartanischen Münzen der ersten
Kaiserzeit fehlt derselbe häufig. In Athen blieb auch die alte Rechnung
nach Drachmen und Obolen, nur daß freilich die örtliche attische
Drachme dieser Zeit nichts als lokale Scheidemünze war und dem Wert
nach als Obol der attischen Reichsdrachme oder des römischen Denars
kursierte. Selbst die formale Ausübung des Rechts über Krieg und
Frieden war in einzelnen Verträgen dergleichen Staaten gewahrt ^16.
Zahlreiche der italischen Gemeindeordnung völlig widerstreitende
Institutionen blieben bestehen, wie der jährliche Wechsel der
Ratsmitglieder und die Tagegelder dieser und der Geschworenen, welche,
wenigstens in Rhodos, noch in der Kaiserzeit gezahlt worden sind.
Selbstverständlich übte die römische Regierung nichtsdestoweniger auf
die Konstituierung auch der befreiten Gemeinden fortwährend einen
maßgebenden Einfluß. So ist zum Beispiel die athenische Verfassung, sei
es am Ausgang der Republik, sei es durch Caesar oder Augustus, in der
Weise modifiziert worden, daß nicht mehr jedem Bürger, sondern, wie
nach römischer Ordnung, nur bestimmten Beamten das Recht zustand, einen
Antrag an die Bürgerschaft zu bringen; und unter der großen Zahl der
bloß figurierenden Beamten wurde einem einzigen, dem Strategen, die
Geschäftsleitung in die Hand gelegt. Sicher sind auf diesem Wege noch
mancherlei weitere Reformen durchgeführt worden, deren Eintreten in dem
abhängigen wie unabhängigen Griechenland wir überall erkennen, ohne daß
Zeit und Anlaß der Reform sich bestimmen läßt. So ist das Recht oder
vielmehr das Unrecht der Asyle, welche als Überreste einer rechtlosen
Zeit jetzt fromme Schlupfwinkel für schlechte Schuldner und Verbrecher
geworden waren, gewiß auch in dieser Provinz wenn nicht beseitigt, so
doch eingeschränkt worden. Das Institut der Proxenie, ursprünglich eine
unseren ausländischen Konsulaten vergleichbare zweckmäßige Einrichtung,
aber durch die Verleihung voller bürgerlicher Rechte und oft auch noch
des Privilegiums der Steuerfreiheit an den befreundeten Ausländer,
besonders bei der Ausdehnung, in der es gewährt ward, politisch
bedenklich, ist durch die römische Regierung, wie es scheint erst im
Anfang der Kaiserzeit, beseitigt worden; wofür dann nach italischer
Weise das mit dem Steuerwesen sich nicht berührende inhaltlose
Stadtpatronat an die Stelle trat. Endlich hat die römische Regierung,
als Inhaberin der obersten Souveränität über diese abhängigen
Republiken ebenso wie über die Klientelfürsten, immer es als ihr Recht
betrachtet und geübt, die freie Verfassung im Fall des Mißbrauchs
aufzuheben und die Stadt in eigene Verwaltung zu nehmen. Indes teils
der beschworene Vertrag, teils die Machtlosigkeit dieser nominell
verbündeten Staaten hat diesen Verträgen eine größere Stabilität
gegeben, als sie in dem Verhältnis zu den Klientelfürsten wahrgenommen
wird.
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^15 Wenigstens wird in der Verordnung Hadrians über die den athenischen
Grundbesitzern obliegenden Öllieferungen an die Gemeinde (CIA III, 18)
die Entscheidung zwar der Bule und der Ekklesia gegeben, aber
Appellation an den Kaiser oder den Prokonsul gestattet.
^16 Was Strabon (14, 3, 3, p. 665) von dem zu seiner Zeit autonomen
Lykischen Städtebund berichtet, daß ihm das Kriegs- und Friedens- und
das Bündnisrecht fehle, außer wenn die Römer dasselbe gestatten oder es
zu ihrem Nutzen geschieht, wird ohne weiteres auch auf Athen bezogen
werden dürfen.
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Wenn den befreiten Gemeinden Achaias ihre bisherige Rechtsstellung
unter dem Kaisertum blieb, so hat Augustus denen der Provinz, welchen
die Freiheit nicht gewährt war oder ward, eine neue und bessere
Rechtsstellung verliehen. Wie er in der reorganisierten Delphischen
Amphiktyonie den Griechen Europas einen gemeinsamen Mittelpunkt gegeben
hatte, gestattete er auch den sämtlichen Städten der Provinz Achaia,
soweit sie unter römischer Verwaltung standen, sich als Gesamtverband
zu konstituieren und jährlich in Argos, der bedeutendsten Stadt des
unfreien Griechenlands, zur Landesversammlung zusammenzutreten ^17.
Damit wurde der nach dem achäischen Kriege aufgelöste Achäische Bund
nicht bloß rekonstituiert, sondern ihm auch die früher erwähnte,
erweiterte böotische Vereinigung eingefügt. Wahrscheinlich ist eben
durch die Zusammenlegung dieser beiden Gebiete die Abgrenzung der
Provinz Achaia herbeigeführt worden. Der neue Verband der Achäer,
Böoter, Lokrer, Phokier, Dorer und Euböer ^18 oder, wie er gewöhnlich
gleich wie die Provinz bezeichnet wird, der Verband der Achäer hat
vermutlich weder mehr noch weniger Rechte gehabt, als die sonstigen
Provinziallandtage des Kaiserreichs. Eine gewisse Kontrolle der
römischen Beamten wird dabei beabsichtigt gewesen und werden darum auch
die dem Prokonsul nicht unterstellten Städte, wie Athen und Sparta, von
demselben ausgeschlossen worden sein. Daneben wird diese Tagsatzung,
wie alle ähnlichen, hauptsächlich in dem gemeinschaftlichen, das ganze
Land umfassenden Kultus den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit gefunden haben.
Aber wenn in den übrigen Provinzen dieser Landeskult überwiegend an Rom
anknüpfte, so wurde der Landtag von Achaia vielmehr ein Brennpunkt des
Hellenismus und sollte es vielleicht werden. Schon unter den julischen
Kaisern betrachtete er sich als den rechten Vertreter der griechischen
Nation und legte seinem Vorstand den Namen des Helladarchen bei, sich
selbst sogar den der Panhellenen ^19. Die Versammlung entfernte sich
also von ihrer provinzialen Grundlage, und ihre bescheidenen
administrativen Befugnisse traten in den Hintergrund.
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^17 Allerdings sind die bis jetzt bekannten Vorsteher des κοινόν τών
Αχαιών, deren Heimat feststeht, aus Argos, Messene, Korone in Messenien
(Lebas-Foucart II, S. 305) und haben sich darunter bisher nicht bloß
keine Bürger der befreiten Gemeinden, wie Athen und Sparta, sondern
auch keine der zu der Konföderation der Böoter und Genossen gehörigen
(Anm. 8) gefunden. Vielleicht beschränkte sich dies κοινόν rechtlich
auf das Gebiet, das die Römer die Republik Achaia nannten, das heißt
das des Achäischen Bundes bei seinem Untergang, und sind die Böoter und
Genossen mit dem eigentlichen κοινόν der Achäer zu demjenigen weiteren
Bunde vereinigt, dessen Vorhandensein und Tagen in Argos die
Inschriften von Akraephia (Anm. 18) dokumentieren. Übrigens bestand
neben diesem κοινόν der Achäer noch ein engeres der Landschaft Achaia
im eigentlichen Sinn, dessen Vertreter in Aegion zusammentraten (Paus.
7, 24, 4), eben wie das κοινόν τών Αρκάδων (Archäologische Zeitung 37,
1879, S. 139, n. 274) und zahlreiche andere. Wenn nach Paus. 5, 12, 6
in Olympia dem Traian οι πάντες Έλληνες, dem Hadrian αι εσ τό Αχαικόν
τελούσαι Bildsäulen gesetzt hatten und hier kein Mißverständnis
untergelaufen ist, so wird die letztere Dedikation auf dem Landtag von
Aegion stattgefunden haben.
^18 So (nur daß die Dorer fehlen; vgl. Anm. 8) heißt der Verein auf der
Inschrift von Akraephia (Keil, Sylloge Inscriptionum Boeoticarum, n.
31). Eben diese Urkunde aber nebst der gleichzeitigen CIG 1625 liefert
den Beweis, daß der Verein unter Kaiser Gaius statt dieser wohl
eigentlich offiziellen Benennung sich auch einerseits als Verein der
Achäer bezeichnet, andererseits als τό κοινόν τών Πανελλήνων oder η
σύνοδος τών Ελλήνων, auch τό τών Αχαιών καί Πανελλήνων συνέδριον. Diese
Ruhmredigkeit tritt anderswo nicht so grell hervor wie in jenem
böotischen Landstädtchen; aber auch in Olympia, wo der Verein seine
Denkmäler vorzugsweise aufstellte nennt er sich zwar meistens τό κοινόν
τών Αχαιών, aber zeigt oft genug dieselbe Tendenz, zum Beispiel wenn τό
κοινόν τών Αχαιών Π. Αίλιο Αρίστονα … συνπάντες οι Έλληνες ανέστεσαν
(Archäologische Zeitung 38, 1880, S. 86, n. 344). Ebenso setzen in
Sparta dem Caesar Marcus οι Έλληνες eine Bildsäule από τού κοινού τών
Αχαιών (CIG 1318).
^19 Auch in Asia, Bithynien, Niedermösien heißt der Vorsteher der der
betreffenden Provinz angehörigen Griechenstädte Ελλαδάρχης, ohne daß
damit mehr aus gedrückt würde als der Gegensatz gegen die
Nichtgriechen. Aber wie der Hellenenname in Griechenland verwendet
wird, in einem gewissen Gegensatz zu dem eigentlich korrekten der
Achäer, ist dies sicher von derselben Tendenz eingegeben die in den
Panhellenea von Argos am deutlichsten sich zeichnete. So findet sich
στρατηγός τού κοινού τών Αχαιών καί προστάτης διά βίου τών Ελλήνων
(Archäologische Zeitung 35, 1877, S. 192, n. 98) oder auf einem anderen
Dokument desselben προστάτης διά βίου τών Ελλήνων τού κοινού τών Αχαιών
Mannes προστάτης διά βίου τού κοινού τών Αχαιών (Lebas-Foucart, n.
305); ein (Archäologische Zeitung 35, 1877, S. 195, n. 106), στρατηγός
ασυνκρίτως άρξας της Ελλάδος (das. S. 40, n. 42), στρατηγός καί
Ελλαδάρχης (das. 34, 1876, S. 8, S. 226), alle ebenfalls auf
Inschriften des κοινόν τών Αχαιών. Daß in diesem, mag es auch
vielleicht bloß auf den Peloponnes bezogen werden (Anm. 17), die
panhellenische Tendenz darum nicht weniger sich geltend machte, ist
begreiflich.
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Diese Panhellenen nannten sich mißbräuchlich also und wurden von der
Regierung nur toleriert. Aber Hadrian schuf wie ein neues Athen, so
auch ein neues Hellas. Unter ihm durften die Vertreter der sämtlichen
autonomen oder nicht autonomen Städte der Provinz Achaia in Athen sich
als das vereinigte Griechenland, als die Panhellenen ^20 konstituieren.
Die in besseren Zeiten oft geträumte und nie erreichte nationale
Einigung war damit geschaffen, und was die Jugend gewünscht, das besaß
das Alter in kaiserlicher Fülle. Freilich, politische Befugnisse
erhielt das neue Panhellenion nicht; aber was Kaisergunst und
Kaisergold gewähren konnte, daran war kein Mangel. Es erhob sich in
Athen der Tempel des neuen Zeus Panhellenios, und glänzende Volksfeste
und Spiele wurden mit dieser Stiftung verbunden, deren Ausrichtung dem
Kollegium der Panhellenen zustand, und zwar zunächst dem Priester des
Hadrian als des stiftenden lebendigen Gottes. Einen der Akte, welche
dieselben alljährlich begingen, war das dem Zeus-Befreier dargebrachte
Opfer in Plataeae zum Gedächtnis der hier im Kampf gegen die Perser
gefallenen Hellenen am Jahrestag der Schlacht, dem 4. Boedromion; dies
zeichnet seine Tendenz ^21. Noch deutlicher zeigt dieselbe sich darin,
daß Griechenstädten außerhalb Hellas’, welche der nationalen
Gemeinschaft würdig erschienen, von der Versammlung in Athen ideale
Bürgerbriefe des Hellenismus ausgestellt wurden ^22.
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^20 Die hadrianischen Panhellenen nennen sich τό κοινόν συνέδριον τών
Ελλήνων τών εις Πλατηάς συνιόντων (Theben: Keil, Sylloge lnscriptionum
Boeoticarum, n. 31, vgl. Plut. Arist. 19 u. 21), κοινόν της Ελλάδος
(CIG 5852), τό ων (ebenda). Ihr Vorsteher heißt ο αρχών τών Πανελλήνων
(CIA III, 681, 682; CIG 3832, vgl. CIA III, 10: α[ντ[άρχων τού
ιερωτάτου α[γώνος τού Π]αν[ελ]ληνίου), der einzelne Deputierte Πανέλλην
(z. B. CIA III, 534; CIG 1124). Daneben treten auch in
nachhadrianischer Zeit noch das κοινόν τών Αχαιών und dessen στρατηγός
oder Ελλαδάρχης auf, welche wohl von jenen zu scheiden sein werden,
obwohl letzterer seine Ehrendekrete jetzt nicht bloß in Olympia
aufstellt, sondern auch in Athen (CIA 18; zweites Exemplar in Olympia,
Archäologische Zeitung 37, 1879, S. 52).
^21 Daß die Bemerkung Dions von Prusa (or. 38, p. 148 R.) über den
Streit der Athener und der Lakedämonier υπέρ τής προπομπείας sich auf
das Fest in Plataeae bezieht, ergibt sich aus (Lucian) Έρωτες 18: ως
περί προπομπείας αγωνιούμενοι Πλαταιάσιν. Auch der Sophist Irenäos
schrieb (Suidas u. d. W.) und Hermogenes (id. II p. 373 Walz) gibt als
Redestoff Αυηναίοι καί Λακεδαιμόνιοι περί τής προπομπείας κατά τά
Μηδικά (Mitteilung von Wilamowitz).
^22 Es haben sich zwei derselben erhalten, für Kibyra in Phrygien (CIG
5882), ausgestellt vom κοινόν τής Ελλάδος durch ein δόγμα τού
Πανελληνίου und für Magnesia am Mäandros (CIA III, 16). In beiden wird
die gut hellenische Abstammung der betreffenden Körperschaften nebst
den sonstigen Verdiensten um die Hellenen hervorgehoben.
Charakteristisch sind auch die Empfehlungsbriefe, welche diese
Panhellenen einem um ihr Gemeinwesen wohlverdienten Mann an seine
Heimatgemeinde Aezani in Phrygien, an den Kaiser Pius und an die
Hellenen in Asia insgemein mitgeben (CIG 3832, 3833, 3834).
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Wenn die Kaiserherrschaft in dem ganzen weiten Reich die Verwüstungen
eines zwanzigjährigen Bürgerkrieges vorfand und vielerorts die Folgen
desselben niemals völlig verwunden wurden, so ist wohl kein Gebiet
davon so schwer betroffen worden wie die griechische Halbinsel. Das
Schicksal hatte es so gefügt, daß die drei großen
Entscheidungsschlachten dieser Epoche, Pharsalos, Philippi, Aktion auf
ihrem Boden oder an ihrer Küste geschlagen wurden; und die
militärischen Operationen, welche bei beiden Parteien dieselben
einleiteten, hatten ihre Opfer von Menschenleben und Menschenglück hier
vor allem gefordert. Noch dem Plutarch erzählte sein Ältervater, wie
die Offiziere des Antonius die Bürger von Chaeroneia gezwungen hätten,
da sie Sklaven und Lasttiere nicht mehr besaßen, ihr letztes Getreide
auf den eigenen Schultern nach dem nächsten Hafenort zu schleppen zur
Verschiffung für das Heer; und wie dann, als eben der zweite Transport
abgehen sollte, die Nachricht von der Actischen Schlacht wie eine
erlösende Freudenbotschaft eingetroffen sei. Das erste, was nach diesem
Siege Caesar tat, war die Verteilung der in seine Gewalt geratenen
feindlichen Getreidevorräte unter die hungernde Bevölkerung
Griechenlands. Dieses schwerste Maß des Leidens traf auf vorzugsweise
schwache Widerstandskraft. Schon mehr als ein Jahrhundert vor der
Actischen Schlacht hatte Polybios ausgesprochen, daß über ganz
Griechenland in seiner Zeit Unfruchtbarkeit der Ehen und Einschwinden
der Bevölkerung gekommen sei, ohne daß Seuchen oder schwere Kriege das
Land betroffen hätten. Nun hatten diese Geißeln in furchtbarer Weise
sich eingestellt; und Griechenland blieb verödet für alle Folgezeit. Im
ganzen Römerreich, meint Plutarch, sei infolge der verwüstenden Kriege
die Bevölkerung zurückgegangen, am meisten aber in Griechenland, das
jetzt nicht imstande sei, aus den besseren Kreisen der Bürgerschaften
die 3000 Hopliten zu stellen, mit denen einst die kleinste der
griechischen Landschaften, Megara, bei Plataeae gestritten hatte ^23.
Caesar und Augustus haben versucht, dieser auch für die Regierung
erschreckenden Entvölkerung durch Entsendung italischer Kolonisten
aufzuhelfen, und in der Tat sind die beiden blühendsten Städte
Griechenlands eben diese Kolonien; die späteren Regierungen haben
solche Entsendungen nicht wiederholt. Zu der anmutigen euböischen
Bauernidylle des Dion von Prusa bildet den Hintergrund eine entvölkerte
Stadt, in der zahlreiche Häuser leer stehen, die Herden am Rathaus und
am Stadtarchiv weiden, zwei Drittel des Gebiets aus Mangel an Händen
unbestellt liegen; und wenn dies der Erzähler als Selbsterlebtes
berichtet, so schildert er damit sicher zutreffend die Zustände
zahlreicher kleiner griechischer Landstädte in der Zeit Traians.
“Theben in Böotien”, sagt Strabon in der augustischen Zeit, “ist jetzt
kaum noch ein stattliches Dorf zu nennen, und mit Ausnahme von Tanagra
und Thespiae gilt dasselbe von sämtlichen böotischen Städten.” Aber
nicht bloß der Zahl nach schwanden die Menschen zusammen, auch der
Schlag verkam. Schöne Frauen gibt es wohl noch, sagt einer der feinsten
Beobachter um das Ende des ersten Jahrhunderts, aber schöne Männer
sieht man nicht mehr; die olympischen Sieger der neueren Zeit
erscheinen, verglichen mit den älteren, niedrig und gemein, zum Teil
freilich durch die Schuld der Künstler, aber hauptsächlich, weil sie
eben sind, wie sie sind. Die körperliche Ausbildung der Jugend ist in
diesem gelobten Lande der Epheben und Athleten in einer Ausdehnung
gefördert worden, als ob es der Zweck der Gemeindeverfassung sei, die
Knaben zu Turnern und die Männer zu Boxern zu erziehen; aber wenn keine
Provinz so viele Ringkünstler besaß, so stellte auch keine so wenig
Soldaten zur Reichsarmee. Selbst aus dem athenischen Jugendunterricht,
der in älterer Zeit das Speerwerfen, das Bogenschießen, die
Geschützbedienung, das Ausmarschieren und das Lagerschlagen einschloß,
verschwindet jetzt dieses Soldatenspiel der Knaben. Die griechischen
Städte des Reiches werden überhaupt bei der Aushebung so gut wie gar
nicht berücksichtigt, sei es, weil diese Rekruten physisch untauglich
erschienen, sei es, weil dieses Element im Heere bedenklich erschien;
es war ein kaiserlicher Launscherz, daß der karikierte Alexander,
Severus Antoninus, die römische Armee für den Kampf gegen die Perser
durch einige Lochen Spartiaten verstärkte ^24. Was für die innere
Ordnung und Sicherheit überhaupt geschah, muß von den einzelnen
Gemeinden ausgegangen sein, da römische Truppen in der Provinz nicht
standen; Athen zum Beispiel unterhielt Besatzung auf der Insel Delos,
und wahrscheinlich lag eine Milizabteilung auch auf der Burg ^25. In
den Krisen des dritten Jahrhunderts haben der Landsturm von Elateia und
derjenige von Athen die Kostoboker und die Goten tapfer
zurückgeschlagen und in würdigerer Weise, als die Enkel der Kämpfer von
Thermopylae in Caracallas Perserkrieg, haben in dem gotischen die Enkel
der Marathonsieger ihren Namen zum letzten Mal in die Annalen der alten
Geschichte eingezeichnet. Aber wenn auch dergleichen Vorgänge davon
abhalten müssen, die Griechen dieser Epoche schlechtweg zu dem
verkommenen Gesindel zu werfen, so hat das Sinken der Bevölkerung an
Zahl wie an Kraft auch in der besseren Kaiserzeit stetig angehalten,
bis dann seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts die diese Landschaften
ebenfalls schwer heimsuchenden Seuchen, die namentlich die Ostküste
treffenden Einfälle der Land- und Seepiraten, endlich das
Zusammenbrechen der Reichsgewalt in der gallienischen Zeit das
chronische Leiden zur akuten Katastrophe steigerten.
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^23 Ohne Zweifel will Plutarch mit diesen Worten (de defectu orac. 8)
nicht sagen, daß Griechenland überhaupt nicht 3000 Waffenfähige zu
stellen vermöge, sondern daß, wenn Bürgerheere nach alter Art gebildet
würden, man nicht imstande sein würde, 3000 “Hopliten” aufzustellen. In
diesem Sinn mag die Äußerung wohl soweit richtig sein, als dies bei
dergleichen allgemeinen Klagen überhaupt erwartet werden kann. Die Zahl
der Gemeinden der Provinz beläuft sich ungefähr auf hundert.
^24 Davon erzählt Herodian (4, 8, 3; c. 9, 4) und wir haben die
Inschriften zweier dieser Spartiaten, des Nikokles στρατευμένός δίς
κατά Περσών (CIG 1253) und des Dioskoras απελθών εις τήν ευτυχεστάτην
συμμαχίαν (= expeditio) τήν κατά Περσών (CIG 1495).
^25 Das φρούριον (CIA III, 826) kann nicht wohl anders verstanden
werden.
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In ergreifender Weise tritt das Sinken von Hellas und treten die
Stimmungen, die dasselbe bei den Besten hervorrief, uns entgegen in der
Ansprache, die einer von diesen, der Bithyner Dion, um die Zeit
Vespasians an die Rhodier richtete. Diese galten, nicht mit Unrecht,
als die trefflichsten unter den Hellenen. In keiner Stadt war besser
für die niedere Bevölkerung gesorgt und trug diese Fürsorge mehr den
Stempel nicht des Almosens, sondern des Arbeitgebens. Als nach dem
großen Bürgerkriege Augustus im Orient alle Privatschulden klaglos
machte, wiesen allein die Rhodier die bedenkliche Vergünstigung zurück.
War auch die große Epoche des rhodischen Handels vorüber, so gab es
dort immer noch zahlreiche blühende Geschäfte und vermögende Häuser
^26. Aber viele Mißstände waren auch hier eingerissen, und deren
Abstellung fordert der Philosoph, nicht so sehr, wie er sagt, um der
Rhodier willen, als um der Hellenen insgemein. “Einst ruhte die Ehre
von Hellas auf vielen und viele mehrten seinen Ruhm, ihr, die Athener,
die Lakedämonier, Theben, eine Zeitlang Korinth, in ferner Zeit Argos.
Nun aber ist es mit den anderen nichts; denn einige sind gänzlich
heruntergekommen und zerstört, andere führen sich, wie ihr wißt, und
sind entehrt und ihres alten Ruhmes Zerstörer. Ihr seid übrig; ihr
allein seid noch etwas und werdet nicht völlig verachtet; denn wie es
jene treiben, wären längst alle Hellehen tiefer gesunken als die
Phryger und die Thraker. Wie wenn ein großes und reiches Geschlecht auf
zwei Augen steht und was dieser letzte des Hauses sündigt, alle
Vorfahren mit entehrt, so stehet ihr in Hellas. Glaubt nicht die ersten
der Hellehen zu sein; ihr seid die einzigen. Sieht man auf jene
erbärmlichen Schandbuben, so werden selbst die großen Geschicke der
Vergangenheit unbegreiflich: die Steine und die Städtetrümmer zeigen
deutlicher den Stolz und die Größe von Hellas als diese nicht einmal
mysischer Ahnen würdigen Nachfahren; und besser als den von diesen
bewohnten ist es den Städten ergangen, welche in Trümmern liegen, denn
deren Andenken bleibt in Ehren und ihr wohlerworbener Ruhm unbefleckt -
besser die Leiche verbrennen, als sie faulend liegen lassen.”
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^26 “An Mitteln”, sagt Diodor. 31, p. 566), “fehlt es euch nicht, und
Tausende und aber Tausende gibt es hier, denen es nützlich wäre, minder
reich zu sein”; und weiterhin (p. 620): “ihr seid reich, wie sonst
niemand in Hellas. Mehr als ihr besaßen eure Vorfahren auch nicht. Die
Insel ist nicht schlechter geworden; ihr zieht die Nutzung von Karien
und einem Teil Lykiens; eine Anzahl Städte sind euch steuerpflichtig;
stets empfängt die Stadt reiche Gaben von zahlreichen Bürgern.” Er
führt weiter aus, daß neue Ausgaben nicht hinzugetreten, wohl aber die
früheren für Heer und Flaue fast weggefallen seien; nur ein oder zwei
kleine Schiffe hätten sie jährlich nach Korinth (zur römischen Flotte
also) zu stellen.
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Man wird diesem hohen Sinn eines Gelehrten, welcher die kleine
Gegenwart an der großen Vergangenheit maß und, wie dies nicht
ausbleiben kann, jene mit widerwilligen Augen, diese in der Verklärung
des Dagewesenseins anschaute, nicht zu nahe treten mit dem Hinweis
darauf, daß die alte gute hellenische Sitte damals und noch lange
nachher denn doch nicht bloß in Rhodos zu finden, vielmehr in vieler
Hinsicht noch allerorts Lebendig war. Die innerliche Selbständigkeit,
das wohlberechtigte Selbstgefühl der immer noch an der Spitze der
Zivilisation stehenden Nation ist bei aller Schmiegsamkeit des
Untertanen- und aller Demut des Parasitenrums den Hellenen auch dieser
Zeit nicht abhanden gekommen. Die Römer entlehnen die Götter von den
alten Hellenen und die Verwaltungsform von den Alexandrinern; sie
suchen sich der griechischen Sprache zu bemächtigen und die eigene in
Maß und Stil zu hellenisieren. Die Hellenen auch der Kaiserzeit tun
nicht das gleiche; die nationalen Gottheiten Italiens, wie Silvanus und
die Laren, werden in Griechenland nicht verehrt und keiner griechischen
Stadtgemeinde ist es je in den Sinn gekommen, die von ihrem Polybios
als die beste gefeierte politische Ordnung bei sich einzuführen.
Insofern die Kenntnis des Lateinischen für die höhere wie die niedere
Ämterlaufbahn bedingend war, haben die Griechen, die diese betraten,
sich dieselbe angeeignet; denn wenn es auch praktisch nur dem Kaiser
Claudius einfiel, den Griechen, die kein Lateinisch verstanden, das
römische Bürgerrecht zu entziehen, so war allerdings die wirkliche
Ausübung der mit diesem verknüpften Rechte und Pflichten nur dem
möglich, der der Reichssprache mächtig war. Aber von dem öffentlichen
Leben abgesehen, ist nie in Griechen land so lateinisch gelernt worden
wie in Rom griechisch; Plutarchos, der schriftstellerisch die beiden
Reichshälften gleichsam vermählte und dessen Parallelbiographien
römischer und griechischer berühmter Männer, vor allem durch diese
Nebeneinanderstellung, sich empfahlen und wirkten, verstand nicht sehr
viel mehr lateinisch als Diderot russisch, und beherrschte wenigstens,
wie er selbst sagt, die Sprache nicht; die des Lateinischen wirklich
mächtigen griechischen Literaten waren entweder Beamte, wie Appianus
und Cassius Dion, oder Neutrale, wie König Juba. In der Tat war
Griechenland in sich selbst weit weniger verändert als in seiner
äußeren Stellung. Das Regiment von Athen war recht schlecht, aber auch
in der Zeit von Athens Größe war es gar nicht musterhaft gewesen. “Es
ist”, sagt Plutarchos, “derselbe Volksschlag, dieselben Unruhen, der
Ernst und der Scherz, die Anmut und die Bosheit wie bei den Vorfahren.”
Auch diese Epoche weist in dem Leben des griechischen Volkes noch
einzelne Züge auf, die seines zivilisatorischen Prinzipats würdig sind.
Die Fechterspiele, die von Italien aus sich überall hin, namentlich
auch nach Kleinasien und Syrien verbreiteten, haben am spätesten von
allen Landschaften in Griechenland Eingang gefunden; längere Zeit
beschränkten sie sich auf das halb italische Korinth, und als die
Athener, um hinter diesen nicht zurückzustehen, sie auch bei sich
einführten, ohne auf die Stimme eines ihrer Besten zu hören, der sie
fragte, ob sie nicht zuvor dem Gotte des Erbarmens einen Altar setzen
möchten, da wandten manche der Edelsten unwillig sich weg von der sich
selber entehrenden Vaterstadt. In keinem Lande der antiken Welt sind
die Sklaven mit solcher Humanität behandelt worden wie in Hellas; nicht
das Recht, aber die Sitte verbot dem Griechen, seine Sklaven an einen
nicht griechischen Herrn zu verkaufen und verbannte somit aus dieser
Landschaft den eigentlichen Sklavenhandel. Nur hier finden wir in der
Kaiserzeit bei den Bürgerschmäusen und den Ölspenden an die
Bürgerschaft auch die unfreien Leute mit bedachte ^27. Nur hier konnte
ein unfreier Mann, wie Epiktetos unter Traian, in seiner mehr als
bescheidenen äußeren Existenz in dem epirotischen Nikopolis mit
angesehenen Männern senatorischen Standes in der Weise verkehren wie
Sokrates mit Kritias und Alkibiades, so daß sie seiner mündlichen
Belehrung wie Schüler dem Meister lauschten und die Gespräche
aufzeichneten und veröffentlichten. Die Milderungen der Sklaverei durch
das Kaiserrecht gehen wesentlich zurück auf den Einfluß der
griechischen Anschauungen, zum Beispiel bei Kaiser Marcus, der zu jenem
nikopolitanischen Sklaven wie zu seinem Meister und Muster emporsah.
Unübertrefflich schildert der Verfasser eines unter den lukianischen
erhaltenen Dialogs das Verhalten des feinen athenischen Stadtbürgers in
seinen engen Verhältnissen gegenüber dem vornehmen und reichen,
reisenden Publikum zweifelhafter Bildung oder auch unzweifelhafter
Rohen: wie man es dem reichen Ausländer abgewöhnt, im öffentlichen Bade
mit einem Heer von Bedienten aufzuziehen, als ob er seines Lebens in
Athen nicht ohnehin sicher und nicht Frieden im Lande sei, wie man es
ihm abgewöhnt, auf der Straße mit dem Purpurgewand sich zu zeigen,
indem die Leute sich freundlich erkundigen, ob es nicht das seiner Mama
sei. Er zieht die Parallele zwischen römischer und athenischer
Existenz: dort die beschwerlichen Gastereien und die noch
beschwerlicheren Bordelle, die unbequeme Bequemlichkeit der
Bedientenschwärme und des häuslichen Luxus, die Lästigkeiten der
Liederlichkeit, die Qualen des Ehrgeizes, all das Übermaß, die
Vielfältigkeit, die Unruhe des hauptstädtischen Treibens; hier die
Anmut der Armut, die freie Rede im Freundeskreis, die Muse für
geistigen Genuß, die Möglichkeit des Lebensfriedens und der
Lebensfreude - “wie konntest du”, fragt ein Grieche in Rom den andern,
“das Licht der Sonne, Hellas und sein Glück und seine Freiheit, um
dieses Gedränges willen verlassen?” In diesem Grundakkord begegnen sich
alle feiner und reiner organisierten Naturen dieser Epoche; eben die
besten Hellenen mochten nicht mit den Römern tauschen. Kaum gibt es
etwas gleich Erfreuliches in der Literatur der Kaiserzeit wie Dions
schon erwähnte euböische Idylle: sie schildert die Existenz zweier
Jägerfamilien im einsamen Walde, deren Vermögen acht Ziegen sind, eine
Kuh ohne Horn und ein schönes Kalb, vier Sicheln und drei Jagdspeere,
welche weder von Geld noch von Steuern etwas wissen, und die dann, vor
die tobende Bürgerversammlung der Stadt gestellt, von dieser
schließlich unbehelligt entlassen werden zum Freuen und zum Freien. Die
reale Durchführung dieser poetisch verklärten Lebensauffassung ist
Plutarchos von Chaeroneia, einer der anmutigsten und belesensten und
nicht minder einer der wirksamsten Schriftsteller des Altertums. Einer
vermögenden Familie jener kleinen böotischen Landstadt entsprossen und
erst daheim, dann in Athen und in Alexandreia in die volle hellenische
Bildung eingeführt, auch durch seine Studien und vielfältige
persönliche Beziehungen sowie durch Reisen in Italien mit römischen
Verhältnissen wohlvertraut, verschmähte er es, nach der üblichen Weise
der begabten Griechen in den Staatsdienst zu treten oder die
Professorenlaufbahn einzuschlagen; er blieb seiner Heimat treu, mit der
trefflichen Frau und den Kindern und mit den Freunden und Freundinnen
des häuslichen Lebens im schönsten Sinne des Wortes genießend, sich
bescheidend mit den Ämtern und Ehren, die sein Böotien ihm zu bieten
vermochte, und mit dem mäßigen angeerbten Vermögen. In diesem
Chaeroneer drückt der Gegensatz der Hellenen und der Hellenisierten
sich aus; ein solches Griechentum war weder in Smyrna möglich noch in
Antiocheia; es gehörte zum Boden wie der Honig vom Hymettos. Es gibt
genug mächtigere Talente und tiefere Naturen, aber schwerlich einen
zweiten Schriftsteller, der mit so glücklichem Maß sich in das
Notwendige mit Heiterkeit zu finden und so wie er den Stempel seines
Seelenfriedens und seines Lebensglückes seinen Schriften aufzuprägen
gewußt hat.
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^27 Bei den Volksfesten, die in Tiberius’ Zeit ein reicher Mann in
Akraephia in Böotien ausrichtete, lud er die erwachsenen Sklaven, seine
Gattin die Sklavinnen mit den Freien zu Gaste (CIG 1625). In einer
Stiftung zur Verteilung von Öl in der Turnanstalt (γυμνάσιον) von
Gytheion in Lakonien wird festgesetzt, daß an sechs Tagen im Jahr auch
die Sklaven daran Anteil haben sollen (Lebas-Foucart, n. 243 a).
Ähnliche Spenden begegnen in Argos (CIG 1122, 1123).
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Die Selbstbeherrschung des Hellenismus kann auf dem Boden des
öffentlichen Lebens sich nicht in der Reinheit und Schönheit offenbaren
wie in der stillen Heimstatt, nach der die Geschichte und sie nach der
Geschichte glücklicherweise nicht fragt. Wenden wir uns den
öffentlichen Verhältnissen zu, so ist mehr vom Mißregiment als vom
Regiment zu berichten, sowohl der römischen Regierung wie der
griechischen Autonomie. An gutem Willen fehlte es dort insofern nicht,
als der römische Philhellenismus die Kaiserzeit noch viel entschiedener
beherrscht als die republikanische. Er äußert sich überall im Großen
wie im Kleinen, in der Fortführung der Hellenisierung der östlichen
Provinzen und der Anerkennung der doppelten offiziellen Reichssprache
wie in den höflichen Formen, in welchen die Regierung auch mit der
kleinsten griechischen Gemeinde verkehrt und ihre Beamten zu verkehren
anhält ^28. Auch haben es die Kaiser an Gaben und Bauten zu Gunsten
dieser Provinz nicht fehlen lassen; und wenn auch das meiste der Art
nach Athen kam, so baute doch Hadrian eine große Wasserleitung zum
Besten von Korinth, Plus die Heilanstalt von Epidauros. Aber die
rücksichtsvolle Behandlung der Griechen insgemein und die besondere
Huld, welche dem eigentlichen Hellas von der kaiserlichen Regierung
zuteil wurde, weil es in gewissem Sinn gleich wie Italien als
Mutterland galt, sind weder dem Regiment noch der Landschaft recht zum
Vorteil ausgeschlagen. Der jährliche Wechsel der Oberbeamten und die
schlaffe Kontrolle der Zentralstelle ließen alle senatorischen
Provinzen, soweit das Statthalterregiment reichte, mehr den Druck als
den Segen einheitlicher Verwaltung empfinden, und diese doppelt bei
ihrer Kleinheit und ihrer Armut. Noch unter Augustus selbst machten
diese Mißstände sich in dem Grade geltend, daß es eine der ersten
Regierungshandlungen seines Nachfolgers war, sowohl Griechenland wie
Makedonien in eigene Verwaltung zu nehmen ^29, wie es hieß vorläufig,
in der Tat auf die ganze Dauer seiner Regierung. Es war sehr
konstitutionell, aber vielleicht nicht ebenso weise, daß Kaiser
Claudius, als er zur Gewalt gelangte, die alte Ordnung
wiederherstellte. Seitdem hat es dann bei dieser sein Bewenden gehabt
und ist Achaia nicht von ernannten, sondern von erlosten Beamten
verwaltet worden, bis diese Verwaltungsform überhaupt abkam.
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^28 Auf eine der unzähligen Beschwerden, mit welchen die
kleinasiatischen Städte wegen ihrer Titel- und Rangstreitigkeiten die
Regierung belästigten, antwortete Pius den Ephesiern (W. H. Waddington,
Aristide, S. 51), erhöre gern, daß die Pergamener ihnen die neue
Titulatur gegeben hätten; die Smyrnäer hätten es wohl nur zufällig
unterlassen und würden sicher in Zukunft gutwillig das Richtige tun,
wenn auch sie, die Ephesier, ihnen ihre rechten Titel beilegen würden.
Einer kleinen lykischen Stadt, welche um Bestätigung eines von ihr
gefaßten Beschlusses bei dem Prokonsul einkommt, erwidert dieser (O.
Benndorf, Reisen in Lykien und Karien. Wien 1884, Bd. 1, S. 71),
treffliche Anordnungen verlangten nur Lob, keine Bestätigung; diese
liege in der Sache. Die Rhetorenschulen dieser Epoche liefern auch die
Konzipienten für die kaiserliche Kanzlei; aber dies tut es nicht
allein. Es gehört zum Wesen des Prinzipals, das Untertanverhältnis
nicht äußerlich zu akzentuieren, und namentlich nicht gegen Griechen.
^29 Eine formale Änderung der Steuerordnung folgt an sich aus diesem
Wechsel nicht und ist auch bei Tacitus (ann. 1, 76) nicht angedeutet;
wenn die Einrichtung getroffen wird, weil die Provinzialen über
Steuerdruck klagen (onera deprecantes), so konnten bessere Statthalter
durch zweckmäßige Repartierung, eventuell durch Erwirkung von
Remission, den Provinzen aufhelfen. Daß die Beförderung der Reichspost
besonders in dieser Provinz als drückende Last empfunden ward, zeigt
das Edikt des Claudius aus Tegea (Eph. epigr. V, p. 69).
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Aber bei weitem übler noch stand es um die von dem Statthalterregiment
eximierten Gemeinden Griechenlands. Die Absicht, diese Gemeinwesen zu
begünstigen, durch die Befreiung von Tribut und Aushebung wie nicht
minder durch die möglichst geringe Beschränkung der Rechte des
souveränen Staates, hat, wenigstens in vielen Fällen, zu dem Gegenteil
geführt. Die innere Unwahrheit der Institutionen rächte sich. Zwar bei
den weniger bevorrechteten oder besser verwalteten Gemeinden mag die
kommunale Autonomie ihren Zweck erfüllt haben; wenigstens vernehmen wir
nicht, daß es mit Sparta, Korinth, Patrae besonders übel bestellt
gewesen sei. Aber Athen war nicht geschaffen, sich selbst zu verwalten,
und bietet das abschreckende Bild eines von der Obergewalt
verhätschelten und finanziell wie sittlich verkommenen Gemeinwesens.
Von Rechts wegen hätte dasselbe in blühendem Zustande sich befinden
müssen. Wenn es den Athenern mißlang, die Nation unter ihrer Hegemonie
zu vereinigen, so ist diese Stadt doch die einzige Griechenlands wie
Italiens gewesen, welche die landschaftliche Einigung vollständig
durchgeführt hat; ein eigenes Gebiet, wie es die Attike ist, von etwa
40 Quadratmeilen, der doppelten Größe der Insel Rügen, hat keine Stadt
des Altertums sonst besessen. Aber auch außerhalb Attikas blieb ihnen,
was sie besaßen, sowohl nach dem Mithradatischen Kriege durch Sullas
Gnade wie nach der Pharsalischen Schlacht, in der sie auf Seiten des
Pompeius gestanden hatten, durch die Gnade Caesars - er fragte sie nur,
wie oft sie noch sich selber zugrunde richten und dann durch den Ruhm
ihrer Vorfahren retten lassen wollten. Der Stadt gehörte immer noch
nicht bloß das ehemals haliartische Gebiet in Böotien, sondern auch an
ihrer eigenen Küste Salamis, der alte Ausgangspunkt ihrer
Seeherrschaft, im Thrakischen Meer die einträglichen Inseln Skyros,
Lemnos und Imbros sowie im Ägäischen Delos; freilich war diese Insel
seit dem Ende der Republik nicht mehr das zentrale Emporium des Handels
mit dem Osten, nachdem der Verkehr sich von da weg nach den Häfen der
italischen Westküste gezogen hatte, und es war dies für die Athener ein
unersetzlicher Verlust. Von den weiteren Verleihungen, die sie Antonius
abzuschmeicheln gewußt hatten, nahm ihnen Augustas, gegen den sie
Partei ergriffen hatten, allerdings Aegina und Eretria auf Euböa, aber
die kleineren Inseln des Thrakischen Meeres, Ikos, Peparethos,
Skiathos, ferner Keos vor der Sunischen Landspitze durften sie
behalten; und Hadrian gab ihnen weiter den besten Teil der großen Insel
Kephallenia im Ionischen Meer. Erst durch den Kaiser Severus, der ihnen
nicht wohlwollte, wurde ihnen ein Teil dieser auswärtigen Besitzungen
entzogen. Hadrian gewährte ferner den Athenern die Lieferung eines
gewissen Quantums von Getreide auf Kosten des Reiches und erkannte
durch die Erstreckung dieses, bisher der Reichshauptstadt vorbehaltenen
Privilegiums Athen gleichsam an als eine der Reichsmetropolen. Nicht
minder wurde das segensreiche Institut der Alimentarstiftungen, dessen
Italien sich seit Traian erfreute, von Hadrian auf Athen ausgedehnt und
das dazu erforderliche Kapital sicher aus seiner Schatulle den Athenern
geschenkt. Eine Wasserleitung, die er ebenfalls seinem Athen widmete,
wurde erst nach seinem Tode von Pius vollendet. Dazu kam der
Zusammenfluß der Reisenden und der Studierenden und die in immer
steigender Zahl von den römischen Großen und den auswärtigen Fürsten
der Stadt verliehenen Stiftungen. Dennoch war die Gemeinde in stetiger
Bedrängnis. Mit dem Bürgerrecht wurde nicht bloß das überall übliche
Geschäft auf Nehmen und Geben, sondern förmlich und offenkundig
Schacher getrieben, so daß Augustas mit einem Verbot dagegen
einschritt. Einmal über das andere beschloß der Rat von Athen, diese
oder jene seiner Inseln zu verkaufen, und nicht immer fand sich ein
opferwilliger Reicher gleich dem Iulius Nikanor, der unter Augustas den
bankrotten Athenern die Insel Salamis zurückkaufte und dafür von dem
Rat derselben den Ehrentitel des “neuen Themistokles” sowie, da er auch
Verse machte, nebenbei den des “neuen Homer” und mit den edlen
Ratsherren zusammen von dem Publikum den wohlverdienten Hohn erntete.
Die prachtvollen Bauten, mit denen Athen fortfuhr sich zu schmücken,
erhielt es ohne Ausnahme von den Fremden, unter anderen von den reichen
Königen Antiochos von Kommagene und Herodes von Judäa, vor allen aber
von dem Kaiser Hadrian, der eine völlige “Neustadt” (novae Athenae) am
Ilisos anlegte und außer zahllosen anderen Gebäuden, darunter dem schon
erwähnten Panhellenion, das Wunder der Welt, den von Peisistratos
begonnenen Riesenbau des Olympieion mit seinen 120, zum Teil noch
stehenden Säulen, den größten von allen, die heute aufrecht sind,
sieben Jahrhunderte nach seinem Beginn in würdiger Weise abschloß.
Selbst hatte diese Stadt kein Geld, nicht bloß für ihre Hafenmauern,
die jetzt allerdings entbehrlich waren, sondern nicht einmal für den
Hafen. Zu Augusts Zeit war der Peiräeus ein geringes Dorf von wenigen
Häusern, nur besucht wegen der Meisterwerke der Malerei in den
Tempelhallen. Handel und Industrie gab es in Athen fast nicht mehr,
oder für die Bürgerschaft insgemein wie für den einzelnen Bürger nur
ein einziges blühendes Gewerbe, den Bettel. Auch blieb es nicht bei der
Finanzbedrängnis. Die Welt hatte wohl Frieden, aber nicht die Straßen
und Plätze von Athen. Noch unter Augustas hat ein Aufstand in Athen
solche Verhältnisse angenommen, daß die römische Regierung gegen die
Freistadt einschreiten mußte ^30; und wenn auch dieser Vorgang
vereinzelt steht, so gehörten Aufläufe auf der Gasse wegen der
Brotpreise und aus anderen geringfügigen Anlässen in Athen zur
Tagesordnung. Viel besser wird es in zahlreichen anderen Freistädten
nicht ausgesehen haben, von denen weniger die Rede ist. Einer solchen
Bürgerschaft die Kriminaljustiz unbeschränkt in die Hand zu geben, war
kaum zu verantworten; und doch stand dieselbe den zu internationaler
Föderation zugelassenen Gemeinden, wie Athen und Rhodos, von Rechts
wegen zu. Wenn der athenische Areopag in augustischer Zeit sich
weigerte, einen wegen Fälschung verurteilten Griechen auf die
Verwendung eines vornehmen Römers hin von der Strafe zu entbinden, so
wird er in seinem Recht gewesen sein; aber daß die Kyzikener unter
Tiberius römische Bürger einsperrten, unter Claudius gar die Rhodier
einen römischen Bürger ans Kreuz schlugen, waren auch formale
Rechtsverletzungen, und ein ähnlicher Vorgang hat unter Augustus den
Thessalern ihre Autonomie gekostet. Übermut und Übergriff wird durch
die Machtlosigkeit nicht ausgeschlossen, nicht selten von den schwachen
Schutzbefohlenen eben daraufhin gewagt. Bei aller Achtung für große
Erinnerungen und beschworene Verträge mußten doch jeder gewissenhaften
Regierung diese Freistaaten nicht viel minder als ein Bruch in die
allgemeine Rechtsordnung erscheinen, wie das noch viel altheiligere
Asylrecht der Tempel.
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^30 Der athenische Aufstand unter Augustus ist sicher beglaubigt durch
die aus Africanus geflossene Notiz bei Eusebius zum Jahre Abrahams 2025
(daraus Oros. hist. 6, 22, 2). Die Aufläufe gegen den Strategen werden
oft erwähnt: Plut. q. sympos. 8, 3 z. A.; (Lucian) Demonax 11, 64; vit.
soph. 1, 23. 2, 1, 11.
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Schließlich griff die Regierung durch und stellte die freien Städte
hinsichtlich ihrer Wirtschaft unter die Oberaufsicht von Beamten
kaiserlicher Ernennung, die allerdings zunächst als außerordentliche
Kommissarien “zur Korrektur der bei den Freistädten eingerissenen
Übelstände” charakterisiert werden und davon späterhin die Bezeichnung
Korrektoren als titulare führen. Die Anfänge derselben lassen sich bis
in die traianische Zeit verfolgen; als stehende Beamte finden wir sie
in Achaia im dritten Jahrhundert. Diese, neben den Prokonsuln
fungierenden, vom Kaiser bestellten Beamten finden in keinem Teil des
Römischen Reichs so früh sich ein und sind in keinem so früh ständig
geworden sie in dem halb aus Freistädten bestehenden Achaia.
Das an sich wohlberechtigte und durch die Haltung der römischen
Regierung wie vielleicht noch mehr durch die des römischen Publikums
genährte Selbstgefühl der Hellenen, das Bewußtsein des geistigen
Primats rief daselbst einen Kultus der Vergangenheit ins Leben, der
sich zusammensetzt aus dem treuen Festhalten an den Erinnerungen
größerer und glücklicherer Zeiten und dem barocken Zurückdrehen der
gereiften Zivilisation auf ihre zum Teil sehr primitiven Anfänge. Zu
den ausländischen Kulten, wenn man absieht von dem schon früher durch
die Handelsverbindungen eingebürgerten Dienst der ägyptischen
Gottheiten, namentlich der Isis, haben die Griechen im eigentlichen
Hellas sich durchgehend ablehnend verhalten; wenn dies von Korinth am
wenigsten gilt, so ist dies auch die am wenigsten griechische Stadt von
Hellas. Die alte Landesreligion schützt nicht der innige Glaube, von
dem diese Zeit sich längst gelöst hatte ^31; aber die heimische Weise
und das Gedächtnis der Vergangenheit haften vorzugsweise an ihr und
darum wird sie nicht bloß mit Zähigkeit festgehalten, sondern sie wird
auch, zum guten Teil durch gelehrte Repristination, im Laufe der Zeit
immer starrer und altertümlicher, immer mehr ein Sonderbesitz der
Studierten.
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^31 Dem Beamten, auch dem gebildeten, das heißt dem Freidenker, wird
angeraten, die Spenden, die er mache, an die religiösen Feste
anzuknüpfen; denn die Menge werde in ihrem Glauben bestärkt, wenn sie
sehe, daß auch die Vornehmen der Stadt auf die Götterverehrung etwas
geben und sogar dafür etwas aufwenden (Plut. praec. ger. reip. 30).
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Ähnlich verhält es sich mit dem Kultus der Stammbäume, in welchem die
Hellenen dieser Zeit ungemeines geleistet und die adelsstolzesten Römer
weit hinter sich gelassen haben. In Athen spielt das Geschlecht der
Eumolpiden eine hervorragende Rolle bei der Reorganisierung des
Eleusinischen Festes unter Marcus. Dessen Sohn Commodus verlieh dem
Haupt des Geschlechtes der Keryken das römische Bürgerrecht, und aus
demselben stammt der tapfere und gelehrte Athener, der, .fast wie
Thukydides, mit den Goten schlug und dann den Gotenkrieg beschrieb. Des
Marcus Zeitgenosse, der Professor und Konsular Herodes Atticus, gehörte
ebendiesem Geschlechte an, und sein Hofpoet singt von ihm, daß dem
hochgeborenen Athener, dem Nachkommen des Hermes und der Kekropstochter
Herse, der rote Schuh des römischen Patriziats wohl angestanden habe,
während einer seiner Lobredner in Prosa ihn als Aeakiden feiert und
zugleich als Abkömmling von Miltiades und Kimon. Aber auch Athen wurde
hierin noch weit überboten von Sparta; mehrfach begegnen Spartiaten,
die sich der Herkunft von den Dioskuren, dem Herakles, dem Poseidon und
des seit vierzig und mehr Generationen in ihrem Hause erblichen
Priestertums dieser Altvordern berühmen. Es ist charakteristisch für
dieses Adelsrum, daß es sich hauptsächlich erst mit dem Ende des
zweiten Jahrhunderts einstellt; die Heraldiker, welche diese
Geschlechtstafeln entwarfen, werden für die Beweisstücke weder in Athen
noch in Sparta die Goldwaage angewandt haben.
Dieselbe Tendenz zeigt sich in der Behandlung der Sprache oder vielmehr
der Dialekte. Während in dieser Zeit in den sonstigen griechisch
redenden Ländern und auch in Hellas im gewöhnlichen Verkehr das
sogenannte gemeine, im wesentlichen aus der attischen Mundart heraus
verschliffene Griechisch vorherrscht, strebt die Schriftsprache dieser
Epoche nicht bloß nach der Beseitigung der eingerissenen Sprachfehler
und Neuerungen, sondern vielfach werden dialektische Besonderheiten,
dem Sprachgebrauch entgegen, wieder aufgenommen und hier, wo er am
wenigsten berechtigt war, der alte Partikularismus in scheinhafter
Weise zurückgeführt. Den Standbildern, welche die Thespier den Musen im
Hain des Helikon setzten, wurden auf gut böotisch die Namen Orania und
Thalea beigeschrieben, während die dazu gehörigen Epigramme, verfaßt
von einem Poeten römischen Namens, sie auf gut ionisch Uranie und
Thaleie nannten, und die nicht gelehrten Böoter, wenn sie sie kannten,
sie nannten, wie alle anderen Griechen, Urania und Thaleia. Von den
Spartanern vor allem ist darin Unglaubliches geleistet und nicht selten
mehr für den Schatten des Lykurgos als für die zur Zeit lebenden Aelier
und Aurelier geschrieben worden ^32. Daneben kommt der korrekte
Gebrauch der Sprache in dieser Zeit auch in Hellas allmählich ins
Schwanken; Archaismen und Barbarismen gehen in den Dokumenten der
Kaiserzeit häufig friedlich nebeneinander her. Athens sehr mit Fremden
gemischte Bevölkerung hat in dieser Hinsicht sich zu keiner Zeit
besonders ausgezeichnet ^33, und obwohl die städtischen Urkunden sich
verhältnismäßig rein halten, macht doch seit Augustus die allgemein
einreißende Sprachverderbnis auch hier sich fühlbar. Die strengen
Grammatiker der Zeit haben ganze Bücher gefüllt mit den
Sprachschnitzern, die der eben erwähnte, viel gefeierte Rhetor Herodes
Atticus und die übrigen berühmten Schulredner des zweiten Jahrhunderts
sich zuschulden kommen ließen ^34, ganz abgesehen von der verzwickten
Künstelei und der manierierten Pointierung ihrer Rede. Die eigentliche
Verwilderung aber in Sprache und Schrift reißt in Athen und ganz
Griechenland, eben wie in Rom, ein mit Septimius Severus ^35.
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^32 Ein Musterstück ist die Inschrift (Lebas-Foucart II, S. 142, n.
162) des Μ(άρκωρ) Αυρ(ήλιορ) Ζεύξιππου ο καί Κλεάνδρορ Φιλομοίσω, eines
Zeitgenossen also des Pius und Marcus, welcher war ιερεύς Λεθκιππίδων
καί Τινδαριδάν, der Dioskuren und ihrer Gattinnen, der Töchter des
Leukippos, aber, damit zu dem Alten das Neue nicht fehle, auch
αρχιερέος τώ Σεβαστώ καί τώον θείων προγόνων ωτώ. Er war in seiner
Jugend ferner gewesen βουαγόρ μικκιχιδδομένων, wörtlich Stierführer der
Kleinen, nämlich Anführer der dreijährigen Knaben - die lykurgischen
Knabenherden gingen mit dem siebenten Jahr an, aber seine Nachfahren
hatten das Fehlende nachgeholt und von den Einjährigen an alle
eingeherdet und mit “Führern” versehen. Dieser selbe Mann siegte
(νεικάαρ = νικήσας) κασσηρατοριν, μωαν καί λωαν; was das heißt, weiß
vielleicht Lykurgos.
^33 “Das innere Attika”, sagt ein Bewohner desselben bei Philostratos
(vit. soph. 2, 7), “ist eine gute Schule für den, der sprechen lernen
will; die Stadtbewohner dagegen von Athen, welche den aus Thrakien und
dem Pontus und andern barbarischen Landschaften herbeiströmenden jungen
Leuten Wohnungen vermieten, lassen mehr durch sie ihre Sprache sich
verderben als daß sie ihnen das gute Sprechen beibringen. Aber im
Binnenland, dessen Bewohner nicht mit Barbaren vermischt sind, ist die
Aussprache und die Rede gut”.
^34 Karl Keil (RE 1, z. Aufl., S. 2100) weist hin auf τινός für ής
τινός und τά χωρία γέγοναν der Inschrift der Gattin des Herodes (CIL
VI, 1342).
^35 Dittenberger in Hermes 1, 1866, S. 414. Dahin gehört auch, was der
plumpe Vertreter des Apollonios seinen Helden an die alexandrinischen
Professoren schreiben läßt (ep. 34), daß er Argos, Sikyon, Megara,
Phokis, Lokris verlassen habe, um nicht, wenn er länger in Hellas
verweile, völlig zum Barbaren zu werden.
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Die Schadhaftigkeit der hellenischen Existenz lag in der Beschränktheit
ihres Kreises: es mangelte dem hohen Ehrgeiz an dem entsprechenden Ziel
und darum überwucherte die niedere und erniedrigende Ambition. Auch in
Hellas fehlte es nicht an einheimischen Familien von großem Reichtum
und bedeutendem Einfluß ^36. Das Land war wohl im ganzen arm, aber es
gab doch Häuser von ausgedehntem Grundbesitz und altbefestigtem
Wohlstand. In Sparta zum Beispiel hat das des Lachares von Augustus bis
wenigstens in die hadrianische Zeit eine Stellung eingenommen, welche
tatsächlich von dem Fürstentum nicht allzuweit abstand. Den Lachares
hatte Antonius wegen Erpressung hinrichten lassen. Dafür war dessen
Sohn Eurykles einer der entschiedensten Parteigänger Augusts und einer
der tapfersten Kapitäne in der entscheidenden Seeschlacht, der fast den
besiegten Feldherrn persönlich zum Gefangenen gemacht hätte; er empfing
von dem Sieger unter anderen reichen Gaben als Privateigentum die Insel
Kythere (Cerigo). Später spielte er eine hervorragende und bedenkliche
Rolle, nicht bloß in seinem Heimatland, über welches er eine dauernde
Vorstandschaft ausgeübt haben muß, sondern auch an den Höfen von
Jerusalem und Caesarea, wobei das dem Spartiaten von den Orientalen
gezollte Ansehen nicht wenig mitwirkte. Deswegen von dem Kaisergericht
mehrfach zur Verantwortung gezogen, wurde er schließlich verurteilt und
ins Exil gesandt; aber der Tod entzog ihn rechtzeitig den Folgen des
Urteilsspruches und sein Sohn Lakon trat in das Vermögen und wesentlich
auch, wenngleich in vorsichtigerer Form, in die Machtstellung des
Vaters ein. Ähnlich stand in Athen das Geschlecht des oft genannten
Herodes; wir können dasselbe aufsteigend durch vier Generationen bis in
die Zeit Caesars zurückverfolgen, und über des Herodes Großvater ist,
ähnlich wie über den Spartaner Eurykles, wegen seiner übergreifenden
Machtstellung in Athen die Konfiskation verhängt worden. Die ungeheuren
Latifundien, welche der Enkel in seiner armen Heimat besaß, die zu
Grabzwecken seiner Lustknaben verwendeten weiten Flächen erregten den
Unwillen selbst der römischen Statthalter. Derartige mächtige Familien
gab es vermutlich in den meisten Landschaften von Hellas, und wenn sie
auf dem Landtag der Provinz in der Regel entschieden, so waren sie auch
in Rom nicht ohne Verbindungen und Einfluß. Aber obwohl diejenigen
rechtlichen Schranken, welche den Gallier und den Alexandriner noch
nach erlangtem Bürgerrecht vom Reichssenat ausschlossen, diesen
vornehmen Griechen schwerlich entgegenstanden, vielmehr unter den
Kaisern diejenige politische und militärische Laufbahn, welche dem
Italiker sich darbot, von Rechts wegen dem Hellenen gleichfalls
offenstand, so sind dieselben doch tatsächlich erst in später Zeit und
in beschränktem Umfang in den Staatsdienst eingetreten, zum Teil wohl,
weil die römische Regierung der früheren Kaiserzeit die Griechen als
Ausländer ungern zuließ, zum Teil, weil diese selbst die mit dem
Eintritt in diese Laufbahn verknüpfte Übersiedlung nach Rom scheuten
und es vorzogen, statt einer mehr unter den vielen Senatoren daheim die
ersten zu sein. Erst des Lachares Urenkel Herklanos ist in traianischer
Zeit, und in der Familie des Herodes wahrscheinlich zuerst dessen Vater
um dieselbe Zeit in den römischen Senat eingetreten ^37.
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^36 Tacitus (zum Jahre 62 ann. 15, 20) charakterisiert einen dieser
reichen und einflußreichen Provinzialen, den Claudius Timarchides aus
Kreta, der in seinem Kreis allmächtig ist (ut solent praevalidi
provincialium et opibus nimiis ad iniurias minorum elati) und über den
Landtag, also auch über das obligate, aber für den abgehenden Prokonsul
mit Rücksicht auf die möglichen Rechenschaftsklagen sehr wünschenswerte
Danksagungsdekret desselben verfügt (in sua potestate situm, an
proconsulibus, qui Cretam obtinuissent, grates agerentur). Die
Opposition beantragt die Untersagung dieser Dankdekrete, aber es
gelingt ihr nicht, den Antrag zur Abstimmung zu bringen. Von einer
andern Seite schildert Plutarch (praec. ger. reip. 19, 3) diese
vornehmen Griechen.
^37 Herodes war εξ υπάτων (vit. soph. 1, 25, 5, p. 536), ετέλει εκ
πατέρων εσ τούς δισυπάτους (das. 2 z. A., p. 545). Sonst ist von
Konsulaten seiner Ahnen nichts bekannt; aber sicher ist der Großvater
Hipparchos nicht Senator gewesen. Möglicherweise handelt es sich sogar
nur um kognatische Aszendenten. Das römische Bürgerrecht hat die
Familie nicht unter den Juliern (vgl. CIA III, 489), sondern erst unter
den Claudiern empfangen.
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Die andere Laufbahn, welche erst in der Kaiserzeit sich auftat, der
persönliche Dienst des Kaisers, gab wohl im günstigen Fall Reichtum und
Einfluß und ist auch früher und häufiger von den Griechen betreten
worden; aber da die meisten und wichtigsten dieser Stellungen an den
Offizierdienst geknüpft waren, scheint auch für diese längere Zeit ein
faktischer Vorzug der Italiker bestanden zu haben und war der gerade
Weg auch hier den Griechen einigermaßen verlegt. In untergeordneten
Stellungen sind Griechen am kaiserlichen Hofe von jeher und in großer
Anzahl verwendet worden und auf Umwegen oftmals zu Vertrauen und
Einfluß gelangt; aber dergleichen Persönlichkeiten kamen mehr aus den
hellenisierten Landschaften als aus Hellas selbst und am wenigsten aus
den besseren hellenischen Häusern. Für die legitime Ambition des jungen
Mannes von Herkunft und Vermögen gab es, wenn er ein Grieche war, im
römischen Kaiserreich nur beschränkten Spielraum.
Es blieb ihm die Heimat, und in dieser für das gemeine Wohl tätig zu
sein, war allerdings Pflicht und Ehre. Aber es waren sehr bescheidene
Pflichten und noch viel bescheidenere Ehren. “Eure Aufgabe”, sagt Dion
weiter seinen Rhodiern, “ist eine andere, als die der Vorfahren war.
Sie konnten ihre Tüchtigkeit nach vielen Seiten hin entwickeln, nach
dem Regiment streben, den Unterdrückten beistehen, Bundesgenossen
gewinnen, Städte gründen, kriegen und siegen; von allem dem vermögt ihr
nichts mehr zu tun. Es bleibt euch die Führung des Hauswesens, die
Verwaltung der Stadt, die Verleihung von Ehren und Auszeichnungen mit
Wahl und Maß, der Sitz im Rat und im Gericht, der Gottesdienst und die
Feier der Feste; in allem diesem könnt ihr euch vor andern Städten
auszeichnen. Auch das ist nichts Geringes, die anständige Haltung, die
Sorgfalt für Haar und Bart, der gesetzte Gang auf der Straße, so daß
bei euch selbst die anders gewöhnten Fremden sich es abgewöhnen zu
rennen, die schickliche Tracht, sogar, wenn es auch lächerlich
erscheinen mag, der schmale und knappe Purpursaum, die Ruhe im Theater,
das Maßhalten im Klatschen: das alles macht die Ehre eurer Stadt, und
mehr als in euren Häfen und Mauern und Docks zeigt sich hierin das gute
alte hellenische Wesen und erkennt hierin auch der Barbar, der den
Namen der Stadt nicht weiß, daß er in Griechenland ist und nicht in
Syrien oder Kilikien.” Das traf alles zu; aber wenn es jetzt nicht mehr
von dem Bürger verlangt ward, für die Vaterstadt zu sterben, so war
doch die Frage nicht ohne Berechtigung, ob es noch der Mühe wert sei,
für diese Vaterstadt zu leben. Es gibt von Plutarchos eine
Auseinandersetzung über die Stellung der griechischen Gemeindebeamten
zu seiner Zeit, worin er mit der ihm eigenen Billigkeit und Umsicht
diese Verhältnisse erörtert. Die alte Schwierigkeit, die gute
Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu führen mittels der
Majoritäten der unsicheren, launenhaften, oft mehr den eigenen Vorteil
als den des Gemeinwesens bedenkenden Bürgerschaft oder auch der sehr
zahlreichen Ratsversammlung - die athenische zählte in der Kaiserzeit
erst 600, dann 500, später 750 Stadträte -, bestand wie früher, so auch
jetzt; es ist die Pflicht des tüchtigen Beamten zu verhindern, daß das
“Volk” nicht dem einzelnen Bürger Unrecht tut, nicht das Privatvermögen
unerlaubterweise an sich zieht, nicht das Gemeindegut unter sich
verteilt - Aufgaben, die dadurch nicht leichter werden, daß der Beamte
kein Mittel dafür hat als die verständige Ermahnung und die Kunst des
Demagogen, daß ihm ferner geraten wird, in kleinen Dingen nicht allzu
spröde zu sein und wenn bei einem Stadtfest eine mäßige Spende an die
Bürgerschaft in Antrag kommt, es nicht solcher Kleinigkeit wegen mit
den Leuten zu verderben. Im übrigen aber hatten die Verhältnisse sich
völlig verändert, und es muß der Beamte in die gegenwärtigen sich
schicken lernen. Vor allem hat er die Machtlosigkeit der Hellenen sich
selbst wie den Mitbürgern jeden Augenblick gegenwärtig zu halten. Die
Freiheit der Gemeinde reicht soweit die Herrscher sie gestatten, und
ein Mehr würde auch wohl vom Übel sein. Wenn Perikles die Amtstracht
anlegte, so rief er sich zu, nicht zu vergessen, daß er über Freie und
Griechen herrsche; heute hat der Beamte sich zu sagen, daß er unter
einem Herrscher herrsche, über eine den Prokonsuln und den kaiserlichen
Prokuratoren untergebene Stadt, daß er nichts sein könne und dürfe als
das Organ der Regierung, daß ein Federstrich des Statthalters genüge,
um jedes seiner Dekrete zu vernichten. Darum ist es die erste Pflicht
eines guten Beamten, sich mit den Römern in gutes Einvernehmen zu
setzen und womöglich einflußreiche Verbindungen in Rom anzuknüpfen,
damit diese der Heimat zugute kommen. Freilich warnt der rechtschaffene
Mann eindringlich vor der Servilität; nötigenfalls soll der Beamte
mutig dem schlechten Statthalter entgegentreten, und als die höchste
Leistung erscheint die entschlossene Vertretung der Gemeinde in solchen
Konflikten in Rom vor dem Kaiser. In bezeichnender Weise tadelt er
scharf diejenigen Griechen, die - ganz wie in den Zeiten des Achäischen
Bundes - bei jedem örtlichen Hader die Intervention des römischen
Statthalters herbeiführen, und mahnt dringend, die
Gemeindeangelegenheiten lieber innerhalb der Gemeinde zu erledigen, als
durch Appellation sich nicht so sehr der Oberbehörde, als den bei ihr
tätigen Sachwaltern und Advokaten in die Hände zu liefern. Alles dieses
ist verständig und patriotisch, so verständig und so patriotisch wie
einstmals die Politik des Polybios, auf die auch ausdrücklich
hingewiesen wird. In dieser Epoche des völligen Weltfriedens, wo es
weder einen Griechen- noch einen Barbarenkrieg irgendwo gibt, wo die
städtischen Kommandos, die städtischen Friedensschlüsse und Bündnisse
lediglich der Geschichte angehören, war der Rat sehr am Platze,
Marathon und Plataeae den Schulmeistern zu überlassen und nicht die
Köpfe der Ekklesia mit dergleichen großen Worten zu erhitzen, vielmehr
in dem engen Kreise der noch gestatteten freien Bewegung sich zu
bescheiden. Aber die Welt gehört nicht dem Verstande, sondern der
Leidenschaft. Der hellenische Bürger konnte auch jetzt noch gegen das
Vaterland seine Pflicht tun; aber für den rechten politischen, nach
Großem ringenden Ehrgeiz, für die Perikleische und Alkibiadische
Leidenschaft war in diesem Hellas, vom Schreibtisch etwa abgesehen,
nirgends ein Raum, und in der Lücke wucherten die Giftkräuter, die da,
wo das hohe Streben erstickt ist, die Menschenbrust versehren und das
Menschenherz vergiften.
Darum ist Hellas auch das Mutterland der heruntergekommenen,
inhaltlosen Ambition, unter den vielen schweren Schäden der sinkenden
antiken Zivilisation vielleicht des am meisten allgemeinen, und sicher
eines der verderblichsten. Dabei stehen in erster Reihe die Volksfeste
mit ihrer Preiskonkurrenz. Die olympischen Wettkämpfe stehen dem
jugendlichen Volk der Hellenen wohl an; das allgemeine Turnerfest der
griechischen Stämme und Städte und der nach dem Spruch der
“Hellasrichter” dem tüchtigsten Wettläufer aus den Zweigen des Ölbaums
geflochtene Kranz ist der unschuldige und einfache Ausdruck der
Zusammengehörigkeit der jungen Nation. Aber die politische Entwicklung
hatte bald über diese Morgenröte hinausgeführt. Schon in den Tagen des
Athenischen Seebundes und gar erst der Alexandermonarchie war jenes
Hellenenfest ein Anachronismus, ein im Mannesalter fortgeführtes
Kinderspiel; daß der Besitzer jenes Ölkranzes wenigstens sich und
seinen Mitbürgern als Inhaber des nationalen Primats galt, kam ungefähr
darauf hinaus, wie wenn man in England die Sieger der Studentenregatten
mit Pitt und Beaconsfield in eine Linie stellen wollte. Die Ausdehnung
der hellenischen Nation durch Kolonisierung und Hellenisierung fand in
ihrer idealen Einheit und realen Zerfahrenheit in diesem traumhaften
Reich des Olivenkranzes ihren rechten Ausdruck; und die griechische
Realpolitik der Diadochenzeit hat sich denn auch um dasselbe, wie
billig, wenig bekümmert. Aber als die Kaiserzeit in ihrer Weise den
panhellenischen Gedanken aufnahm und die Römer in die Rechte und die
Pflichten der Hellenen eintraten, da blieb oder ward für das römische
Allhellas Olympia das rechte Symbol; erscheint doch unter Augustus der
erste römische Olympionike, und zwar kein geringerer als Augustus’
Stiefsohn, der spätere Kaiser Tiberius ^38. Das nicht reinliche
Ehebündnis, welches das Allhellenentum mit dem Dämon des Spiels
einging, machte aus diesen Festen eine ebenso mächtige und dauernde wie
im allgemeinen und besonders für Hellas schädliche Institution. Die
gesamte hellenische und hellenisierende Welt beteiligte sich daran, sie
beschickend und sie nachahmend; überall sprangen ähnliche, für die
ganze griechische Welt bestimmte Feste aus dem Boden und die eifrige
Anteilnahme der breiten Massen, das allgemeine Interesse für den
einzelnen Wettkämpfer, der Stolz des Siegers nicht bloß, sondern seines
Anhangs und seiner Heimat ließen fast vergessen, um welche Dinge
eigentlich gestritten ward. Die römische Regierung ließ diesem
Wetturnen und den sonstigen Wettkämpfen nicht bloß freien Lauf, sondern
beteiligte das Reich an denselben; das Recht der feierlichen Einholung
des Siegers in seine Heimatstadt hing in der Kaiserzeit nicht von dem
Belieben der betreffenden Bürgerschaft ab, sondern wurde den einzelnen
Spielinstituten durch kaiserliches Privilegium verliehen ^39 und in
diesem Fall auch die dem Sieger zustehende jährliche Pension (σίτησις)
auf die Reichskasse übernommen, die bedeutenderen Spielinstitute also
geradezu als Reichseinrichtungen behandelt. Dieses Spielwesen erfaßte
wie das Reich selbst so alle Provinzen; immer aber war das eigentliche
Griechenland der ideale Mittelpunkt solcher Kämpfe und Siege, hier ihre
Heimat am Alpheios, hier der Sitz der ältesten Nachbildungen, der noch
der großen Zeit des hellenischen Namens angehörigen und von ihren
klassischen Dichtern verherrlichten Pythien, Isthmien und Nemeen, nicht
minder einer Anzahl jüngerer, aber reich ausgestatteter, ähnlicher
Feste, der Eurykleen, die der oben erwähnte Herr von Sparta unter
Augustus gegründet, der athenischen Panathenaeen, der von Hadrian mit
kaiserlicher Munifizenz dotierten, ebenfalls in Athen gefeierten
Panhellenien. Man durfte sich verwundern, daß die ganze Welt des weiten
Reiches sich um diese Turnfeste zu drehen schien, aber nicht darüber,
daß an diesem seltsamen Zauberbecher vor allem die Hellenen sich
berauschten, und daß das politische Stilleben, das ihre besten Männer
ihnen anempfahlen, durch die Kränze und die Statuen und die Privilegien
der Festsieger in schädlichster Weise verwirrt ward.
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^38 Der erste römische Olympionike, von dem wir wissen, ist Ti.
Claudius Ti. f. Nero, ohne Zweifel der spätere Kaiser, mit dem
Viergespann (Archäologische Zeitung 38, 1880, S. 53); es fällt dieser
Sieg wahrscheinlich Ol. 195 (n. Chr. 1), nicht Ol. 199 (n. Chr. 17),
wie die Liste des Africanus angibt (Eus. thron. 1, p. 214 Schöne). In
diesem Jahre siegte vielmehr sein Sohn Germanicus, ebenfalls mit dem
Viergespann (Archäologische Zeitung 37, 1879, S. 36). Unter den
eponymen Olympioniken, den Siegern im Stadium, findet sich kein Römer;
diese Verletzung des griechischen Nationalgefühls scheint vermieden
worden zu sein.
^39 Ein also privilegiertes Spielinstitut heißt αγών ιερός, certamen
sacrum (das heißt mit Pensionierung: Dio Sl, 1) oder αγών εισελαστικός,
certamen iselasticum (vgl. unter anderen Plin. ep. ad Trai. 118, 119;
CIL X, 515). Auch die Xystarchie wird, wenigstens in gewissen Fällen,
vom Kaiser verliehen (Dittenberger in Heymes 12, 1877, S. 17f.). Nicht
mit Unrecht nennen diese Institute sich “Weltspiele” (αγών
οικουμενικός).
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Einen ähnlichen Weg gingen die städtischen Institutionen, allerdings im
ganzen Reich, aber wiederum vorzugsweise in Hellas. Als es dort noch
große Ziele und einen Ehrgeiz gab, hatte in Hellas, eben wie in Rom,
die Bewerbung um die Gemeindeämter und die Gemeindeehren den
Mittelpunkt des politischen Wetteifers gebildet und neben vielem
Leeren, Lächerlichen, Bösartigen auch die tüchtigsten und edelsten
Leistungen hervorgerufen. Jetzt war der Kern verschwunden, die Schale
geblieben; in Panopeus im Phokischen standen zwar die Häuser ohne Dach
und wohnten die Bürger in Hütten, aber es war noch eine Stadt, ja ein
Staat, und bei dem Aufzug der phokischen Gemeinden fehlten die Panopeer
nicht. Diese Städte trieben mit ihren Ämtern und Priestertümern, mit
den Belobigungsdekreten durch Heroldsruf und den Ehrensitzen bei den
öffentlichen Versammlungen, mit dem Purpurgewand und dem Diadem, mit
den Statuen zu Fuß und zu Roß ein Eitelkeits- und Geldgeschäft
schlimmer als der kleinste Duodezfürst der neueren Zeit mit seinen
Orden und Titeln. Es wird ja auch in diesen Vorgängen das wirkliche
Verdienst und die ehrliche Dankbarkeit nicht gefehlt haben; aber
durchgängig war es ein Handel auf Geben und Nehmen oder, mit Plutarch
zu reden, ein Geschäft wie zwischen der Kurtisane und ihren Kunden. Wie
heutzutage die private Munifizenz im Positiv den Orden und im
Superlativ den Adel bewirkt, so verschaffte sie damals den
priesterlichen Purpur und die Bildsäule auf dem Markt; und nicht
ungestraft treibt der Staat mit seinen Ehren Falschmünzerei. In der
Massenhaftigkeit derartiger Prozeduren und der Roheit ihrer Formen
stehen die heutigen Leistungen hinter denen der alten Welt beträchtlich
zurück, wie natürlich, da die durch den Staatsbegriff nicht genügend
gebändigte scheinhafte Autonomie der Gemeinde auf diesem Gebiet
ungehindert schaltete und die dekretierenden Behörden durchgängig die
Bürgerschaften oder die Räte von Kleinstädten waren. Die Folgen waren
nach beiden Seiten verderblich: die Gemeindeämter wurden mehr nach der
Zahlungsfähigkeit als nach der Tüchtigkeit der Bewerber vergeben; die
Schmäuse und Spenden machten die Beschenkten nicht reicher und den
Schenker oftmals arm; an dem Zunehmen der Arbeitsscheu und dem
Vermögensverfall der guten Familien trägt diese Unsitte ihren
vollgemessenen Anteil. Auch die Wirtschaft der Gemeinden selbst litt
schwer unter dem Umsichgreifen der Adulation. Zwar waren die Ehren, mit
welchen die Gemeinde dem einzelnen Wohltäter dankte, großenteils nach
demselben verständigen Prinzip der Billigkeit bemessen, welches
heutzutage die ähnlichen dekorativen Vergünstigungen beherrscht; und wo
das nicht der Fall war, fand häufig der Wohltäter sich bereit, zum
Beispiel die ihm zu setzende Bildsäule selber zu bezahlen. Aber nicht
dasselbe gilt von den Ehrenbezeugungen, welche die Gemeinde vornehmen
Ausländern, vor allem den Statthaltern und den Kaisern wie den Gliedern
des kaiserlichen Hauses erwies. Die Richtung der Zeit auf Wertschätzung
auch der inhaltlosen und obligaten Huldigung beherrschte den
kaiserlichen Hof und die römischen Senatoren nicht so wie die Kreise
des kleinstädtischen Ehrgeizes, aber doch auch in sehr fühlbarer Weise;
und selbstverständlich wuchsen die Ehren und die Huldigungen einmal im
Laufe der Zeit durch die ihnen eigene Vernutzung, und ferner in
demselben Maß, wie die Geringhaltigkeit der regierenden oder an der
Regierung beteiligten Persönlichkeiten. Begreiflicherweise war in
dieser Hinsicht das Angebot immer stärker als die Nachfrage und
diejenigen, die solche Huldigungen richtig würdigten, um davon
verschont zu bleiben, genötigt, sie abzuwehren, was im einzelnen Fall
oft genug ^40, aber konsequenterweise selten geschehen zu sein scheint
- für Tiberius darf die geringe Anzahl der ihm errichteten Bildsäulen
vielleicht unter seinen Ruhmestiteln verzeichnet werden. Die Ausgaben
für Ehrendenkmäler, die oft weit über die einfache Statue hinausgingen,
und für Ehrengesandtschaften ^41 sind ein Krebsschaden gewesen und
immer mehr geworden an dem Gemeindehaushalt aller Provinzen. Aber keine
wohl hat im Verhältnis zu ihrer geringen Leistungsfähigkeit so große
Summen unnütz aufgewandt wie die Provinz von Hellas, das Mutterland wie
der Festsieger- so auch der Gemeindeehren und in einem Prinzipat in
dieser Zeit unübertroffen, in dem der Bedientendemut und untertänigen
Huldigung.
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^40 Kaiser Gaius zum Beispiel verbittet sich in seinem Schreiben an den
Landtag von Achaia die “große Zahl” der ihm zuerkannten Bildsäulen und
begnügt sich mit den vier von Olympia, Nemea, Delphi und dem Isthmos
(Keil, Sylloge Inscriptionum Boeoticarum, n. 31). Derselbe Landtag
beschließt, dem Kaiser Hadrian in jeder seiner Städte eine Bildsäule zu
setzen, von welchen die Basis der in Abea in Messenien aufgestellten
sich erhalten hat (CIG 1307). Kaiserliche Autorisation ist für solche
Setzungen von jeher gefordert worden.
^41 Bei der Revision der Stadtrechnungen von Byzantion fand Plinius,
daß jährlich 12000 Sesterzen (2500 Mark) für den dem Kaiser und 3000
Sesterzen (650 Mark) für den dem Statthalter von Mösien durch eine
besondere Deputation zu überreichenden Neujahrsglückwunsch angesetzt
waren. Plinius weist die Behörden an, diese Glückwünsche fortan nur
schriftlich einzusenden, was Traian billigt (ep. ad Trai. 43, 44).
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Daß die wirtschaftlichen Zustände Griechenlands nicht günstig waren,
braucht kaum noch besonders ausgeführt zu werden. Das Land, im ganzen
genommen, ist nur von mäßiger Fruchtbarkeit, die Ackerfluren von
beschränkter Ausdehnung, der Weinbau auf dem Kontinent nicht von
hervorragender Bedeutung, mehr die Kultur der Olive. Da die Brüche des
berühmten Marmors, des glänzend weißen attischen wie des grünen
karystischen, wie die meisten übrigen zum Domanialbesitz gehörten, kam
deren Ausbeutung durch die kaiserlichen Sklaven der Bevölkerung wenig
zugute.
Die gewerbfleißigste der griechischen Landschaften war die der Achäer,
wo die seit langem bestehende Fabrikation von Wollenstoffen sich
behauptete und in der wohlbevölkerten Stadt Patrae zahlreiche
Spinnereien den feinen elischen Flachs zu Kleidern und Kopfnetzen
verarbeiteten. Die Kunst und das Kunsthandwerk blieben auch jetzt noch
vorzugsweise den Griechen, und von den Massen besonders pentelischen
Marmors, welche die Kaiserzeit verbraucht hat, muß ein nicht geringer
Teil an Ort und Stelle verarbeitet worden sein. Überwiegend aber übten
die Griechen beide im Ausland; von dem früher so bedeutenden Export des
griechischen Kunstgewerbes ist in dieser Zeit wenig die Rede. Den
regsten Verkehr hatte die Stadt der beiden Meere, Korinth, die allen
Hellenen gemeinsame, stets von Fremden wimmelnde Metropole, wie ein
Redner sie bezeichnet. In den beiden römischen Kolonien Korinth und
Patrae, und außerdem in dem stets von schauenden und lernenden
Ausländern gefüllten Athen konzentrierte sich das größere
Bankiergeschäft der Provinz, welches in der Kaiserzeit wie in der
republikanischen zum großen Teil in den Händen dort ansässiger Italiker
lag. Auch in Plätzen zweiten Ranges, wie in Argos, Elis, Mantineia im
Peloponnes, bilden die ansässigen römischen Kaufleute eigene, neben der
Bürgerschaft stehende Genossenschaften. Im allgemeinen lag in Achaia
Handel und Verkehr darnieder, namentlich seit Rhodos und Delos
aufgehört hatten, Stapelplätze für den Zwischenverkehr zwischen Asien
und Europa zu sein und dieser sich nach Italien gezogen hatte. Die
Piraterie war gebändigt und auch die Landstraßen wohl leidlich sicher
^42; aber damit kehrte die alte glückliche Zeit noch nicht zurück. Der
Verödung des Peiräeus wurde schon gedacht; es war ein Ereignis, wenn
eines der großen ägyptischen Getreideschiffe sich einmal dorthin
verirrte. Nauplia, der Hafen von Argos, nach Patrae der bedeutendsten
Küstenstadt des Peloponnes, lag ebenso wüst ^43.
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^42 Daß die Landstraßen in Griechenland besonders unsicher gewesen
seien, erfahren wir nicht; der Aufstand in Achaia unter Pius (vita 5,
4) ist seiner Art nach völlig dunkel. Wenn der Räuberhauptmann
überhaupt - nicht eben gerade der griechische - in der geringen
Literatur der Epoche eine hervorragende Rolle spielt, so ist dies
Vehikel den schlechten Romanschreibern aller Zeiten gemein. Das
euböische Ödland des feineren Dion ist nicht ein Räubernest, sondern es
sind die Trümmer einer großen Gutswirtschaft, deren Inhaber seines
Reichtums wegen vom Kaiser verurteilt worden ist und die seitdem wüst
liegt. Übrigens zeigt sich hier, was freilich wenigstens für
Nicht-Gelehrte keines Beweises bedarf, daß diese Geschichte gerade
ebenso wahr ist wie die meisten, welche damit anfangen, daß der
Erzähler sie selbst von dem Beteiligten habe; wäre die Konfiskation
historisch, so würde der Besitz an den Fiskus gekommen sein, nicht an
die Stadt, welche der Erzähler denn auch sich wohl hütet zu nennen.
^43 Des ägyptischen Kaufmanns aus Constantius Zeit naive Schilderung
Achaias mag hier noch Platz finden: “Das Land Achaia, Griechenland und
Lakonien hat viel Gelehrsamkeit, aber für die übrigen Bedürfnisse ist
es unzulänglich: denn es ist eine kleine und gebirgige Provinz und kann
nicht viel Getreide liefern, erzeugt aber etwas Öl und den attischen
Honig, und kann mehr wegen der Schulen und der Beredsamkeit gepriesen
werden, nicht aber so in den meisten übrigen Beziehungen. Von Städten
hat es Korinth und Athen. Korinth hat viel Handel und ein schönes
Gebäude, das Amphitheater, Athen aber die alten Bilder (historias
antiquas) und ein erwähnenswertes Werk, die Burg, wo viele Bildsäulen
stehen und wunderbar die Kriegstaten der Vorfahren darstellen (ubi
multis statuis stantibus mirabile est videre dicendum antiquorum
bellum). Lakonien soll allein den Marmor von Krokeae aufzuweisen haben,
den man den lakedämonischen nennt.” Die Barbarei des Ausdrucks kommt
nicht auf Rechnung des Schreibers, sondern auf die des viel späteren
Übersetzers.
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Dem entspricht es, daß für die Straßen dieser Provinz in der Kaiserzeit
so gut wie nichts geschehen ist; römische Meilensteine haben sich nur
in der nächsten Nähe von Patrae und von Athen gefunden und auch diese
gehören den Kaisern aus dem Ende des dritten und dem vierten
Jahrhundert; offenbar haben die früheren Regierungen darauf verzichtet,
hier Kommunikationen herzustellen. Nur Hadrian unternahm es, wenigstens
die so wichtige wie kurze Landverbindung zwischen Korinth und Megara
über den schlimmen skironischen Klippenpaß durch gewaltige, ins Meer
geworfene Dämme zu einer fahrbaren Straße zu machen.
Der seit langem verhandelte Plan, die korinthische Landenge zu
durchstechen, den der Diktator Caesar aufgefaßt hatte, ist späterhin
erst von Kaiser Gaius, dann von Nero in Angriff genommen worden.
Letzterer hat sogar bei seinem Aufenthalt in Griechenland persönlich zu
dem Kanal den ersten Stich getan und eine Reihe von Monaten hindurch
6000 jüdische Kriegsgefangene an demselben arbeiten lassen. Bei den in
unseren Tagen wieder aufgenommenen Durchsticharbeiten sind bedeutende
Reste dieser Bauten zum Vorschein gekommen, welche zeigen, daß die
Arbeiten ziemlich weit vorgeschritten waren, als man sie abbrach,
wahrscheinlich nicht infolge der einige Zeit nachher im Westen
ausbrechenden Revolution, sondern weil man hier, eben wie bei dem
ähnlichen ägyptischen Kanal, infolge des irrigerweise vorausgesetzten
verschiedenen Höhestandes der beiden Meere bei Vollendung des Kanals
den Untergang der Insel Aegina und weiteres Unheil befürchtete.
Freilich würde dieser Kanal, wenn er vollendet worden wäre, wohl den
Verkehr zwischen Asien und Italien abgekürzt haben, aber Griechenland
selbst nicht vorwiegend zugute gekommen sein.
Daß die Landschaften nördlich von Hellas, Thessalien und Makedonien
und, wenigstens seit Traian, auch Epirus, in der Kaiserzeit
administrativ von Griechenland getrennt wurden, ist schon bemerkt
worden. Von diesen hat die kleine epirotische Provinz, die von einem
kaiserlichen Statthalter zweiten Ranges verwaltet wurde, sich niemals
von der Verwüstung erholt, welche im Verlauf des Dritten makedonischen
Krieges über sie ergangen war. Das bergige und arme Binnenland besaß
keine namhafte Stadt und eine dünn gesäte Bevölkerung. Die nicht minder
verödete Küste war Augustus zu heben bemüht durch eine doppelte
Städteanlage, durch die Vollendung der schon von Caesar beschlossenen
Kolonie römischer Bürger in Buthrotum, Kerkyra gegenüber, die indes zu
keiner rechten Blüte gelangte, und durch die Gründung der griechischen
Stadt Nikopolis an eben der Stelle, wo vor der Aktischen
Entscheidungsschlacht das Hauptquartier gestanden hatte, an dem
südlichsten Punkte von Epirus, anderthalb Stunden nördlich von Prevesa,
nach Augustus’ Absicht zugleich ein dauerndes Denkmal des großen
Seesiegs und der Mittelpunkt neu aufblühenden hellenischen Lebens.
Diese Gründung ist in ihrer Art als römische neu.
An Ambrakias Statt und des amphilochischen Argos,
an Thyreions und an Anaktorions Statt,
auch an Leukas Statt und was von Städten noch ringsum
rasend des Ares Speer weiter zu Boden gestreckt,
gründet die Siegsstadt Caesar, die heilige, also dem König
Phoebos Apollon mit ihr dankend den aktischen Sieg.
Diese Worte eines gleichzeitigen griechischen Dichters sprechen einfach
aus, was Augustus hier getan hat: das ganze umliegende Gebiet, das
südliche Epirus, die gegenüberliegende Landschaft Akarnanien mit der
Insel Leukas, selbst einen Teil von Ätolien vereinigte er zu einem
Stadtgebiet und siedelte die in den dort vorhandenen, verkümmernden
Ortschaften noch übrigen Bewohner über nach der neuen Stadt Nikopolis,
der gegenüber auf dem akarnanischen Ufer der alte Tempel des aktischen
Apollon in prachtvoller Weise erneuert und erweitert ward. Eine
römische Stadt ist nie in dieser Weise gegründet worden; dies ist der
Synoekismos der Alexandriden. Ganz in derselben Weise haben König
Kassandros die makedonischen Städte Thessalonike und Kassandreia,
Demetrios der Städtebezwinger die thessalische Stadt Demetrias,
Lysimachos die Stadt Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersones aus
einer Anzahl umliegender, ihrer Selbständigkeit entkleideter
Ortschaften zusammengelegt. Dem griechischen Charakter der Gründung
entsprechend sollte Nikopolis nach der Absicht seines Stifters eine
griechische Großstadt werden ^44. Sie erhielt Freiheit und Autonomie
wie Athen und Sparta und sollte, wie bereits angegeben ward, in der das
gesamte Hellas vertretenden Amphiktyonie den fünften Teil der Stimmen
führen und zwar, wie Athen, ohne mit anderen Städten zu wechseln. Das
neue aktische Apolloheiligtum war völlig nach dem Muster von Olympia
eingerichtet, mit einem Vierjahrfest, das selbst den Namen des
olympischen neben dem eigenen führte, gleichen Rang und gleiche
Privilegien, auch seine Aktfaden wie jenes seine Olympiaden hatte ^45;
die Stadt Nikopolis verhielt sich dazu wie die Stadt Elis zu dem
olympischen Tempel ^46. Sorgfältig ward bei der städtischen Einrichtung
sowohl wie bei den religiösen Ordnungen alles eigentlich Italische
vermieden, so nahe es lag, die mit der Reichsbegründung so innig
verknüpfte Siegesstadt in römischer Weise zu gestalten. Wer die
Augustischen Ordnungen in Hellas im Zusammenhang erwägt und namentlich
diesen merkwürdigen Schlußstein, wird sich der Überzeugung nicht
verschließen können, daß Augustus eine Reorganisation von Hellas unter
dem Schutz des römischen Prinzipats ausführbar geglaubt hat und hat
ausführen wollen. Die Örtlichkeit wenigstens war dafür wohl gewählt, da
es damals, vor der Gründung von Patrae, an der ganzen griechischen
Westküste keine größere Stadt gab. Aber was Augustus im Anfang seiner
Alleinherrschaft hoffen mochte, hat er nicht erreicht, vielleicht
selbst schon späterhin aufgegeben, als er Patrae die Form der römischen
Kolonie gab. Nikopolis blieb, wie die ausgedehnten Ruinen und die
zahlreichen Münzen beweisen, verhältnismäßig bevölkert und blühend ^47,
aber seine Bürger scheinen weder im Handel und Gewerbe noch anderweitig
hervorragend eingegriffen zu haben. Das nördliche Epirus, welches,
ähnlich wie das angrenzende, zu Makedonien gelegte Illyricum, zum
größeren Teil von albanesischen Völkerschaften bewohnt war und nicht
unter Nikopolis gelegt ward, ist in der Kaiserzeit in seinen
einigermaßen noch heute fortbestehenden primitiven Verhältnissen
verblieben. “Epirus und Illyricum”, sagt Strabon, “ist zum großen Teil
eine Einöde; wo sich Menschen finden, wohnen sie in Dörfern und in
Trümmern früherer Städte; auch das” - im Mithradatischen Kriege von den
Thrakern verwüstete - “Orakel von Dodona ist erloschen wie das übrige
alles.” ^48
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^44 Wenn Tacitus (arm. 5, 10) Nikopolis eine colonia Romana nennt, so
ist das zwar mißverständlich, aber nicht gerade unrichtig, irrig aber
des Plinius (nat. 4, 1, 5) colonia Augusti Actium cum .. . civitate
libera Nicopolitana, da Aktion Stadt so wenig gewesen ist wie Olympia.
^45 Ο αγών Ολύμπιος τά Άκτια: Strab. 7, 7, 6, p. 325; Ακτιάς: Ios. bel.
Iud. 1, 20, 4; Ακτιονίκης öfter. Wie die vier großen griechischen
Landesfeste bekanntlich η περίοδος heißen, der in allen vier gekrönte
Sieger, περιοδονίκης, so wird CIG 4472 auch den Spielen von Nikopolis
beigefügt τής περιόδου und jene Periodos als die alte (αρχαία)
bezeichnet. Wie die Wettspiele öfter ισολύμπια heißen, so findet sich
auch αγών ισάκτιος (CIG 4472) oder certamen ad exemplar Actiacae
religionis (Tac. ann. 15, 23).
^46 So nennt sich ein Nikopolit άρχων τής ιεράς Ακτιακής βουλής
(Delphi; Rheinisches Museum N. F. 2, 1843, S. 111), wie in Elis es
heißt η πόλις Ηλείων καί η Ολυμπική βουλή (Archäologische Zeitung 34,
1876, S. 57; ähnlich daselbst 35, 1877, S. 40 und 41 und sonst).
übrigens erhielten die Spartaner, als die einzigen an dem Aktischen
Siege mitbeteiligten Hellenen, die Leitung (επιμέλεια) der Aktischen
Spiele (Strab. 7, 7, 6, p. 325); ihr Verhältnis zu der βουλή Ακτιακή
von Nikopolis kennen wir nicht.
^47 Die Schilderung seines Verfalls in der Zeit des Constantius (Paneg.
11, 9) beweist für die frühere Kaiserzeit vielmehr das Gegenteil.
^48 Die Ausgrabungen in Dodona haben dies bestätigt; alle Fundstücke
gehören der vorrömischen Epoche an, mit Ausnahme einiger Münzen.
Allerdings hat ein Restaurationsbau stattgefunden, dessen Zeit sich
nicht bestimmen läßt; vielleicht ist er ganz spät. Wenn Hadrian, der
Ζεύς Δωδωναίος genannt wird (CIG 1822), Dodona besucht hat (Dürr,
Reisen Hadrians, S. 56), so tat er es als Archäologe. Eine Befragung
des Orakels in der Kaiserzeit wird nur, und auch nicht in
glaubwürdigster Weise, berichtet von Kaiser Julian (Theodoretus hist.
eccl. 3, 21).
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Thessalien, an sich eine rein hellenische Landschaft so gut wie Ätolien
und Akarnanien, war in der Kaiserzeit administrativ von der Provinz
Achaia getrennt und stand unter dem Statthalter von Makedonien. Was von
Nordgriechenland gilt, trifft auch auf Thessalien zu. Die Freiheit und
Autonomie, welche Caesar den Thessalern allgemein zugestanden oder
vielmehr nicht entzogen hatte, scheint ihnen wegen Mißbrauchs von
Augustus genommen worden zu sein, so daß späterhin nur Pharsalos diese
Rechtsstellung behalten hat ^49; römische Kolonisten sind in der
Landschaft nicht angesiedelt worden. Ihren besonderen Landtag in Larisa
behielt sie, und auch die städtische Selbstverwaltung ist, wie den
abhängigen Griechen in Achaia, so den Thessalern geblieben. Thessalien
ist weitaus die fruchtbarste Landschaft der ganzen Halbinsel und führte
noch im vierten Jahrhundert Getreide aus; nichtsdestoweniger sagt Dion
von Prusa, daß auch der Peneios durch wüstes Land fließe, und es ist in
der Kaiserzeit in dieser Landschaft nur in sehr geringem Umfang gemünzt
worden. Um die Herstellung von Landstraßen haben Hadrian und Diocletian
sich bemüht, aber auch, soviel wir sehen, von den römischen Kaisern sie
allein.
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^49 Die Verfügung Caesars bezeugen Appian (civ. 2, 88) und Plutarch
(Caes. 48), und sie stimmt zu seinem eigenen Bericht (civ. 3, 80) recht
gut; dagegen nennt Plinius (nat. 4, 8, 29) nur Pharsalos als freie
Stadt. Zu Augustus’ Zeit wurde ein vornehmer Thessaler Petraeos
(wahrscheinlich der Caesarianer, civ. 3, 35) lebendig verbrannt (Plut.
praec. ger. reip. 19), ohne Zweifel nicht durch ein Privatverbrechen,
sondern nach Beschluß des Landtags, und es wurden die Thessaler vor das
Kaisergericht gestellt (Suet. Tib. 8). Vermutlich gehören beide
Vorgänge und ebenso der Verlust der Freiheit zusammen.
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Makedonien als römischer Verwaltungsbezirk der Kaiserzeit ist,
verglichen mit dem Makedonien der Republik, wesentlich verkleinert.
Allerdings reicht es wie dieses von Meer zu Meer, indem die Küste
sowohl des Ägäischen Meeres von der zu Makedonien gehörigen Landschaft
Thessalien an bis zur Mündung des Nestos (Mesta), wie auch die des
Adriatischen vom Aoos ^50 bis zum Drilon (Drin) diesem Distrikt
zugerechnet wurden; das letztere Gebiet, nicht eigentlich
makedonisches, sondern illyrisches Land, aber schon in republikanischer
Zeit dem Statthalter Makedoniens zugewiesen, ist auch in der Kaiserzeit
bei der Provinz geblieben. Aber daß Griechenland südlich vom Oeta davon
getrennt ward, wurde schon gesagt. Die Nordgrenze gegen Mösien und die
Ostgrenze gegen Thrakien blieben zwar insofern unverändert, als die
Provinz in der Kaiserzeit so weit reichte, wie auch das eigentliche
Makedonien der Republik gereicht hatte, das heißt nördlich etwa bis zum
Tal des Erigon, östlich bis zum Flusse Nestos; aber wenn in
republikanischer Zeit die Dardaner und die Thraker und sämtliche dem
makedonischen Gebiet benachbarte Völkerschaften des Nordens und des
Nordostens in ihren friedlichen wie in ihren kriegerischen Berührungen
mit diesem Statthalter zu tun hatten und insofern gesagt werden konnte,
daß die makedonische Grenze so weit reiche wie die römischen Lanzen, so
gebot der makedonische Statthalter der Kaiserzeit nur über den ihm
angewiesenen, nirgends mehr mit halb oder ganz unabhängigen Nachbarn
grenzenden Bezirk. Da der Grenzschutz zunächst auf das in römische
Botmäßigkeit gelangte Thrakerreich und bald auf den Statthalter der
neuen Provinz Mösien überging, so wurde der von Makedonien seines
Kommandos von vornherein enthoben. Es ist auch auf makedonischem Boden
in der Kaiserzeit kaum gefochten worden; nur die barbarischen Dardaner
am oberen Axios (Vardar) brandschatzten zuweilen noch die friedliche
Nachbarprovinz. Auch von örtlichen Auflehnungen wird aus dieser Provinz
nichts berichtet.
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^50 In der Zeit der Republik scheint Skodra zu Makedonien gehört zu
haben; in der Kaiserzeit sind dies und Lissus dalmatische Städte und
macht die Grenze an der Küste die Mündung des Drin.
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Von den südlicheren griechischen Landschaften entfernt sich diese
nördlichste sowohl in dem nationalen Fundament wie in der Stufe der
Zivilisation. Wenn die eigentlichen Makedonier an dem Unterlauf des
Haliakmon (Vistritza) und des Axios (Vardar) bis zum Strymon ein
ursprünglich griechischer Stamm sind, dessen Verschiedenheit von den
südlicheren Hellenen für die gegenwärtige Epoche keine Bedeutung mehr
hat, und wenn die hellenische Kolonisation beide Küsten in ihren Kreis
hineingezogen hat, im Westen mit Apollonia und Dyrrhachion, im Osten
namentlich mit den Ortschaften der Halbinsel Chalkidike, so ist dagegen
das Binnenland der Provinz von einem Gewimmel ungriechischer Völker
erfüllt, das von den heutigen Zuständen auf dem gleichen Gebiet mehr in
seinen Elementen als in seinem Ergebnis sich unterschieden haben wird.
Nachdem die bis in diese Gegend vorgedrungenen Kelten, die Skordisker,
von den Feldherren der römischen Republik zurückgedrängt worden waren,
teilten sich in das innere Makedonien insbesondere illyrische Stämme im
Westen und Norden, thrakische im Osten. Von beiden ist schon früher
gesprochen worden; hier kommen sie nur insofern in Betracht, als die
griechische Ordnung, wenigstens die städtische, bei diesen Stämmen wohl
wie in der früheren ^51 so auch in der Kaiserzeit nur in beschränktem
Maße eingeführt worden ist. Überall ist ein energischer Zug städtischer
Entwicklung nie durch das makedonische Binnenland gegangen, die
entlegeneren Landschaften sind wenigstens der Sache nach kaum über die
Dorfwirtschaft hinausgekommen.
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^51 Die städtischen Gründungen in diesen Gegenden außerhalb des
eigentlichen Makedoniens tragen ganz den Charakter eigentlicher
Kolonien: so die von Philippi im Thrakerland und besonders die von
Derriopos in Paeonien (Liv. 39 53), für welchen letzteren Ort auch die
spezifisch makedonischen Politarchen inschriftlich bezeugt sind.
Inschrift vom Jahre 197 n. Chr.: τών περί Αλεξάνδρον Φιλίππου εν
Δερριόπω πολιταρχών (Duchesne und Bayet, Mission au mont Athos, S.
103).
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Die griechische Politie selbst ist in diesem Königsland nicht so wie in
dem eigentlichen Hellas aus sich selber erwachsen, sondern durch die
Fürsten eingeführt worden, die mehr Hellenen waren als ihre Untertanen.
Welche Gestalt sie gehabt hat, ist wenig bekannt; doch läßt die in
Thessalonike, Edessa, Lete gleichmäßig wiederkehrende, anderswo nicht
begegnende Stadtvorstandschaft der Politarchen auf eine merkliche und
ja auch an sich wahrscheinliche Verschiedenheit der makedonischen
Stadtverfassung von der sonst in Hellas üblichen schließen. Die
griechischen Städte, welche die Römer vorfanden, haben ihre
Organisation und ihre Rechte behalten, die bedeutendste derselben,
Thessalonike, auch die Freiheit und die Autonomie. Es bestand ein Bund
und ein Landtag (κοινόν) der makedonischen Städte, ähnlich wie in
Achaia und Thessalien. Erwähnung verdient als ein Zeugnis für die
nachwirkende Erinnerung der alten großen Zeit, daß noch in der Mitte
des dritten Jahrhunderts nach Christus der Landtag von Makedonien und
einzelne makedonische Städte Münzen geprägt haben, auf denen der Kopf
und der Name des regierenden Kaisers durch den Alexanders des Großen
ersetzt sind. Die ziemlich zahlreichen Kolonien römischer Bürger,
welche Augustus in Makedonien eingerichtet hat, Byllis unweit
Apollonia, Dyrrachium am Adriatischen Meer, an der anderen Küste Dium,
Pella, Cassandrea, in dem eigentlich thrakischen Gebiet Philippi, sind
sämtlich ältere griechische Städte, welche nur eine Anzahl Neubürger
und eine andere Rechtsstellung erhielten, und zunächst ins Leben
gerufen durch das Bedürfnis, die ausgedienten italischen Soldaten, für
die in Italien selbst kein Platz mehr war, in einer zivilisierten und
nicht stark bevölkerten Provinz unterzubringen. Auch die Gewährung des
italischen Rechts erfolgte gewiß nur, um den Veteranen die Ansiedelung
im Ausland zu vergolden. Daß ein Hineinziehen Makedoniens in die
italische Kulturentwicklung niemals beabsichtigt ward, dafür zeugt, von
allem andern abgesehen, daß Thessalonike griechisch und die Hauptstadt
des Landes blieb. Daneben gedieh Philippi, eigentlich eine der nahen
Goldbergwerke wegen angelegte Grubenstadt, von den Kaisern begünstigt
als Stätte der die Monarchie definitiv begründenden Schlacht und wegen
der zahlreichen an derselben beteiligten und nachher dort angesiedelten
Veteranen. Römische, nicht koloniale Gemeindeverfassung hat bereits in
der ersten Kaiserzeit Stobi erhalten, die schon erwähnte nördlichste
Grenzstadt Makedoniens gegen Mösien am Einfluß des Erigon in den Axios,
kommerziell wie militärisch eine wichtige Position und vermutlich schon
in makedonischer Zeit zu griechischer Politie gelangt.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist für Makedonien auch unter den Kaisern
von Staats wegen wenig geschehen; wenigstens tritt eine besondere
Fürsorge derselben für diese nicht unter ihrer eigenen Verwaltung
stehende Provinz nirgends hervor. Um die schon unter der Republik
angelegte Militärstraße quer durch das Land von Dyrrachium nach
Thessalonike, eine der wichtigsten Verkehrsadern des ganzen Reiches,
haben sich, so viel wir wissen, erst die Kaiser des dritten
Jahrhunderts, zuerst Severus Antoninus, wieder bemüht; die ihr
anliegenden Städte Lychnidos am Ochrida-See und Herakleia Lynkestis
(Bitolia) haben nie viel bedeutet. Dennoch war Makedonien
wirtschaftlich besser bestellt als Griechenland. Es übertrifft dasselbe
weitaus an Fruchtbarkeit; wie noch heute die Provinz von Thessalonike
relativ gut bebaut und wohlbevölkert ist, so wird auch in der
Reichsbeschreibung aus Constantius’ Zeit, allerdings als Konstantinopel
schon bestand, Makedonien zu den besonders wohlhabenden Bezirken
gerechnet. Wenn für Achaia und Thessalien unsere die römische Aushebung
betreffenden Dokumente schlechthin versagen, so ist dagegen Makedonien
dabei, namentlich auch für die Kaisergarde, in bedeutendem Umfang,
stärker als die meisten griechischen Landschaften, in Anspruch genommen
worden, wobei freilich die Gewöhnung der Makedonier an den regelmäßigen
Kriegsdienst und ihre vorzügliche Qualifikation für denselben, wohl
auch die relativ geringe Entwicklung des städtischen Wesens in dieser
Provinz in Anschlag zu bringen sind. Thessalonike, die Metropole der
Provinz und deren volkreichste und gewerbreichste Stadt dieser Zeit,
gleichfalls in der Literatur mehrfach vertreten, hat auch in der
politischen Geschichte durch den tapferen Widerstand, den seine
Bürgerin den schrecklichen Zeiten der Goteneinfälle den Barbaren
entgegensetzten, sich einen Ehrenplatz gesichert.
Wenn Makedonien ein halb griechisches, so war Thrakien ein nicht
griechisches Land. Von dem großen, aber für uns verschollenen
thrakischen Stamm ist früher gesprochen worden. In seinen Bereich ist
der Hellenismus lediglich von außen gelangt; und es wird nicht
überflüssig sein, zunächst rückblickend darzulegen, wie oft der
Hellenismus an die Pforten der südlichsten Landschaft, welche dieser
Stamm inne hatte und die wir noch nach ihm nennen, bis dahin gepocht
und wie wenig er bis dahin im Binnenland erreicht hatte, um deutlich zu
machen, was Rom hier nachzuholen blieb und was es nachgeholt hat.
Zuerst Philippos, der Vater Alexanders, unterwarf Thrakien und gründete
nicht bloß Kalybe in der Nähe von Byzantion, sondern im Herzen des
Landes die Stadt, die seitdem seinen Namen trägt. Alexander, auch hier
der Vorläufer der römischen Politik, gelangte an und über die Donau und
machte diesen Strom zur Nordgrenze seines Reiches; die Thraker in
seinem Heere haben bei der Unterwerfung Asiens nicht die letzte Rolle
gespielt. Nach seinem Tode schien der Hellespont einer der großen
Mittelpunkte der neuen Staatenbildung, das weite Gebiet von dort bis an
die Donau ^52 die nördliche Hälfte eines griechischen Reiches werden zu
sollen, der Residenz des ehemaligen Statthalters von Thrakien,
Lysimachos, der auf dem Thrakischen Chersones neugegründeten Stadt
Lysimacheia eine ähnliche Zukunft zu winken wie den Residenzen der
Marschälle von Syrien und Ägypten. Indes es kam dazu nicht; die
Selbständigkeit dieses Reiches überdauerte den Fall seines ersten
Herrschers (473 281) nicht. In dem Jahrhundert, welches von da bis auf
die Begründung der Vormachtstellung Roms im Orient verging, versuchten
bald die Seleukiden, bald die Ptolemäer, bald die Attaliden die
europäischen Besitzungen des Lysimachos in ihre Gewalt zu bringen, aber
sämtlich ohne dauernden Erfolg. Das Reich von Tylis im Haemus, welches
die Kelten nicht lange nach dem Tode Alexanders, ungefähr gleichzeitig
mit ihrer bleibenden Niederlassung in Kleinasien, im
mösisch-thrakischen Gebiet gegründet hatten, vernichtete die Saat
griechischer Zivilisation in seinem Bereich und erlag selber während
des Hannibalischen Krieges den Angriffen der Thraker, die diese
Eingedrungenen bis auf den letzten Mann ausrotteten. Seitdem gab es in
Thrakien eine führende Macht überhaupt nicht; die zwischen den
griechischen Küstenstädten und den Fürsten der einzelnen Stämme
bestehenden Verhältnisse, die ungefähr denen vor Alexander entsprechen
mochten, erläutert die Schilderung, die Polybios von der bedeutendsten
dieser Städte gibt: wo die Byzantier gesät haben, da ernten die
thrakischen Barbaren, und es hilft gegen diese weder das Schwert noch
das Geld; schlagen die Bürger einen der Fürsten, so fallen dafür drei
andere in ihr Gebiet, und kaufen sie einen ab, so verlangen fünf mehr
den gleichen Jahrzins. Dem Bestreben der späteren makedonischen
Herrscher, in Thrakien wieder festen Fuß zu fassen und namentlich die
griechischen Städte der Südküste in ihre Gewalt zu bringen, traten die
Römer entgegen, teils um Makedoniens Machtentwicklung überhaupt
niederzuhalten, teils um nicht die wichtige, nach dem Orient führende
“Königsstraße”, diejenige, auf der Xerxes nach Griechenland, die
Scipionen gegen Antiochos marschierten, in ihrer ganzen Ausdehnung in
makedonische Hand kommen zu lassen. Schon nach der Schlacht bei
Kynoskephalae wurde die Grenzlinie ungefähr so gezogen, wie sie seitdem
geblieben ist. öfter versuchten die beiden letzten makedonischen
Herrscher, sich dennoch in Thrakien sei es geradezu festzusetzen, sei
es dessen einzelne Fürsten durch Verträge an sich zu knüpfen; der
letzte Philippos hat sogar Philippopolis abermals gewonnen und
Besatzung hineingelegt, die die Odrysen freilich bald wieder
vertrieben. Zu dauernder Festsetzung gelangte weder er noch sein Sohn,
und die nach der Auflösung Makedoniens den Thrakern von Rom eingeräumte
Selbständigkeit zerstörte, was dort etwa von hellenischen Anfängen noch
übrig sein mochte. Thrakien selbst wurde zum Teil schon in
republikanischer, entschiedener in der Kaiserzeit römisches
Lehnsfürstentum, dann im Jahre 46 n. Chr. römische Provinz; aber die
Hellenisierung des Landes war nicht hinausgekommen über den Saum
griechischer Pflanzstädte, welcher in frühester Zeit sich auch um diese
Küste gelegt hatte, und im Lauf der Zeit eher gesunken als gestiegen.
So mächtig und bleibend die makedonische Kolonisation den Osten
ergriffen, so schwach und vergänglich hat sie Thrakien berührt; Philipp
und Alexander selbst scheinen die Ansiedelungen in diesem Lande
widerwillig vorgenommen und geringgeschätzt zu haben ^53. Bis weit in
die Kaiserzeit hinein ist das Land den Eingeborenen, sind die an der
Küste übriggebliebenen, fast alle heruntergekommenen Griechenstädte
ohne griechisches Hinterland geblieben.
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^52 Daß auch für Lysimachos die Donau Reichsgrenze war, geht hervor aus
Paus. 1,9,6.
^53 Kalybe bei Byzantion entstand nach Strabon (7, 6, 2, p. 320)
Φιλίππου τού Αμύντου τούς πονηρατότους ενταύθα ιδρύσαντος.
Philippopolis soll sogar nach dem Bericht Theopomps (fr. 122 Müller)
als Πονηρόπολις gegründet sein und die entsprechenden Kolonisten
empfangen haben. Wie wenig Vertrauen diese Angaben auch verdienen, so
drücken sie doch in ihrem Zusammentreffen den Botany-Bay-Charakter
dieser Gründungen aus.
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Dieser von der makedonischen Grenze an bis zum Taurischen Chersonesos
sich erstreckende Kranz hellenischer Städte ist sehr ungleich
geflochten. Im Süden ist er dicht geschlossen von Abdera an bis nach
Byzantion an den Dardanellen; doch hat keine dieser Städte in späterer
Zeit eine hervorragende Bedeutung gehabt, mit Ausnahme von Byzantion,
das durch die Fruchtbarkeit seines Gebietes, die einträgliche
Thunfischerei, die ungemein günstige Handelslage, den Gewerbefleiß und
die durch die exponierte Lage nur gesteigerte und gestählte Tüchtigkeit
seiner Bürger auch den schwersten Zeiten der hellenischen Anarchie zu
trotzen gewußt hatte. Bei weitem dürftiger hatte die Ansiedlung sich an
der Westküste des Schwarzen Meeres entwickelt; an der später zur
römischen Provinz Thrakien gehörigen war nur Mesembria von einiger
Bedeutung, an der später mösischen Odessos (Varna) und Tomis
(Küstendsche). Jenseits der Donaumündung und der römischen Reichsgrenze
an dem Nordgestade des Pontus lagen mitten im Barbarenland Tyra ^54 und
Olbia; weiterhin machten die alten und großen griechischen Kaufstädte
auf der heutigen Krim, Herakleia oder Chersonesos und Pantikapäon,
einen stattlichen Schlußstein. Alle diese Ansiedlungen genossen des
römischen Schutzes, seit die Römer überhaupt die Vormacht auf dem
griechisch-asiatischen Kontinent geworden waren, und der starke Arm,
der das eigentliche hellenische Land oft schwer traf, verhinderte hier
wenigstens Katastrophen wie die Zerstörung von Lysimacheia. Die
Beschützung dieser Griechen gehörte in republikanischer Zeit zu den
Obliegenheiten teils des Statthalters von Makedonien, teils des von
Bithymen, seit auch dies römisch war; Byzantion ist später bei
Bithynien geblieben ^55. Im übrigen ging in der Kaiserzeit nach
Einrichtung der Statthalterschaft von Mösien und später derjenigen von
Thrakien die Schutzleistung auf diese über.
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^54 Doch reicht die nördliche bessarabische Linie, die vielleicht
römisch ist, bis nach Tyra.
^55 Daß Byzantion noch in traianischer Zeit unter dem Statthalter von
Bithynien stand, folgt aus Plin. ep. ad Trai. 43. Aus den Gratulationen
der Byzantier an die Legaten von Mösien kann die ihrer Lage nach kaum
mögliche Zugehörigkeit zu dieser Statthalterschaft nicht geschlossen
werden; die Beziehungen zu dem Statthalter von Mösien erklären sich aus
den Handelsverbindungen der Stadt mit den mösischen Hafenplätzen. Daß
Byzanz auch im Jahre 53 unter dem Senat stand, also nicht zu Thrakien
gehörte, geht aus Tacitus ann. 12, 62 hervor. Zugehörigkeit zu
Makedonien unter der Republik bezeugt Cicero (Pis. 35, 86; prov. 4, 6)
nicht, da die Stadt damals frei war. Diese Freiheit scheint, wie bei
Rhodos, oft gegeben und oft genommen zu sein. Cicero, a. a. O., spricht
sie ihr zu; im Jahre 53 ist sie tributpflichtig; Plinius (nat. 4, 11,
46) führt sie als freie Stadt auf; Vespasian entzieht ihr die Freiheit
(Suet. Vesp. 8).
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Schutz und Gunst gewährte diesen Griechen Rom von jeher; aber um die
Ausdehnung des Hellenismus hat weder die Republik noch die frühere
Kaiserzeit sich bemüht ^56. Nachdem Thrakien römisch geworden war, ist
es in Landkreise eingeteilt worden ^57; und bis fast an das Ende des
ersten Jahrhunderts ist dort keine Stadtanlage zu verzeichnen, mit
Ausnahme zweier Pflanzstädte des Claudius und des Vespasianus, Apri im
Binnenland, nicht weit von Perinthos, und Deultus an der nördlichsten
Küste ^58. Domitian hat damit begonnen, griechische Stadtverfassung im
Binnenland einzuführen, zuerst für die Landeshauptstadt Philippopolis.
Unter Traianus erhielten eine Reihe anderer thrakischer Ortschaften das
gleiche Stadtrecht: Topeiros unweit Abdera, Nikopolis am Nestos,
Plotinopolis am Hebros, Pautalia bei Köstendil, Serdica jetzt Sofia,
Augusta Traiana bei Alt-Zagora, ein zweites Nikopolis am nördlichen
Abhang des Haemus ^59 außerdem an der Küste Traianopolis an der
Hebrosmündung; ferner unter Hadrian Adrianopolis, das heutige
Adrianopel. Alle diese Städte waren nicht Kolonien von Ausländern,
sondern nach dem von Augustus in dem epirotischen Nikopolis
aufgestellten Muster zusammengefaßte, griechisch organisierte Poliden;
es war eine Zivilisierung und Hellenisierung der Provinz von oben
herab. Ein thrakischer Landtag bestand seitdem in Philippopolis ebenso
wie in den eigentlich griechischen Landschaften. Dieser letzte Trieb
des Hellenismus ist nicht der schwächste. Das Land ist reich und
anmutig - eine Münze der Stadt Pautalia preist den vierfachen Segen der
Ähren, der Trauben, des Silbers und des Goldes; und Philippopolis sowie
das schöne Tal der Tundja sind die Heimat der Rosenzucht und des
Rosenöls - und die Kraft des thrakischen Schlages war nicht gebrochen.
Es entwickelte sich hier eine dichte und wohlhabende Bevölkerung; der
starken Aushebung in Thrakien wurde schon gedacht und in der Tätigkeit
der städtischen Münzstätten stehen für diese Epoche wenige Gebiete
Thrakien gleich. Als Philippopolis im Jahre 251 den Goten erlag, soll
es hunderttausend Einwohner gezählt haben. Auch die energische
Parteinahme der Byzantier für den Kaiser des griechischen Ostens,
Pescennius Niger, und der mehrjährige Widerstand, den die Stadt noch
nach dessen Untergang dem Sieger entgegenstellte, zeigen die Mittel und
den Mut dieser thrakischen Städter. Wenn die Byzantier auch hier
unterlagen und sogar eine Zeitlang ihr Stadtrecht einbüßten, so sollte
bald die durch den Aufschwung des thrakischen Landes sich vorbereitende
Zeit eintreten, wo Byzantion das neue hellenische Rom und die
Hauptresidenz des umgewandelten Reiches ward.
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^56 Dies verbürgt das Fehlen von Münzen der thrakischen Binnenstädte,
welche nach Metall und Stil in die ältere Zeit gesetzt werden könnten.
Daß eine Anzahl thrakischer, besonders odrysischer Fürsten zum Teil
schon in recht früher Zeit geprägt haben, beweist nur, daß sie über
Küstenplätze mit griechischer oder halbgriechischer Bevölkerung
geboten. Ebenso wird auch zu urteilen sein über die ganz vereinzelt
stehenden Tetradrachmen der “Thraker” (A. v. Sallet in Zeitschrift für
Numismatik 3, 1876, S. 241).
Auch die im thrakischen Binnenland gefundenen Inschriften sind
durchgängig aus römischer Zeit. Das in Bessapara, jetzt Tatar
Bazardjik, westlich von Philippopolis, von Dumont (Inscriptions de la
Thrace, S. 7) gefundene Dekret einer nicht genannten Stadt wird
freilich in gute makedonische Zeit gesetzt, aber nur nach dem Charakter
der Schrift, welcher vielleicht trügt.
^57 Die fünfzig Strategien Thrakiens (Plin. nat. 4,11, 40; Ptol. geogr.
3, 11, 6) sind nicht Militärbezirke, sondern, wie dies namentlich bei
Ptolemaeos deutlich hervortritt, Landkreise, die sich mit den Stämmen
decken (στρατηγίη Μαιδική, Βεσσική u.s.w.) und Gegensatz zu den Städten
bilden. Die Bezeichnung στρατηγός hat, ebenso wie praetor, ihren
ursprünglich militärischen Wert später eingebüßt. Hier liegt wohl
zunächst die Analogie von Ägypten zu Grunde, das ebenso in Stadtgebiete
unter städtischen Magistraten und in Landkreise unter Strategen
zerfiel. Ein στρατηγός περί Πέρινθον aus römischer Zeit: Eph. epigr.
II, p. 252.
^58 In Deultus, der colonia Flavia Pacis Deultensium, wurden Veteranen
der 8. Legion versorgt (CIL VI, 3828). Flaviopolis auf dem Chersones,
das alte Coela, ist gewiß nicht Kolonie gewesen (Plin, nat. 4, 11, 47),
sondern gehört zu der eigenartigen Ansiedelung des Kaisergesindes auf
diesem Domanialbesitz (Eph. epigr. V, p. 82).
^59 Diese Stadt Νικόπολις η περί Αίμων des Ptolemaeos (geogr. 3, 11,
7), Νικόπολις πρός Ίστρον der Münzen, das heutige Nikup an der Jantra,
gehört geographisch zu Untermösien und, wie die Statthalternamen der
Münzen zeigen, seit Severus auch administrativ; aber nicht bloß führt
Ptolemaeos es bei Thrakien auf, sondern die Fundorte der hadrianischen
Terminalsteine (CIL III, 736, vgl. p. 992) scheinen es ebenfalls zu
Thrakien zu stellen. Da diese griechische Binnenstadt weder zu den
lateinischen Stadtgemeinden Untermösiens noch zu dem κοινόν des
mösischen Pontus paßte, ist sie bei der ersten Ordnung der Verhältnisse
dem κοινόν der Thraker zugewiesen worden. Später muß sie freilich einem
oder dem andern jener mösischen Verbände angeschlossen worden sein.
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In der benachbarten Provinz Untermösien hat sich, freilich in
geringerem Maße, eine ähnliche Entwicklung vollzogen. Die griechischen
Küstenstädte, deren Metropole wenigstens in römischer Zeit Tomis war,
wurden, wahrscheinlich bei Konstituierung der römischen Provinz Mösien,
zusammengefaßt als “Fünfstädtebund des linken Ufers des Schwarzen
Meeres” oder, wie er auch sich nennt, “der Griechen”, das heißt der
Griechen dieser Provinz. Später ist als sechste Stadt die unweit der
Küste an der thrakischen Grenze von Traian angelegte und gleich den
thrakischen griechisch geordnete Stadt Markianopolis diesem Bund
angeschlossen worden ^60. Daß die Lagerstädte am Donauufer und
überhaupt die im Binnenland von Rom ins Leben gerufenen Ortschaften
nach italischem Muster eingerichtet wurden, ist früher bemerkt worden;
Untermösien ist die einzige durch die Sprachgrenze durchschnittene
römische Provinz, indem der tomitanische Städtebund dem griechischen,
die Donaustädte wie Durostorum und Oescus dem lateinischen Sprachgebiet
angehören. Im übrigen gilt von diesem mösischen Städtebund wesentlich
das gleiche, was über Thrakien bemerkt ward. Wir haben eine Schilderung
von Tomis aus den letzten Jahren des Augustus, freilich von einem dahin
zur Strafe Verbannten, aber sicher im wesentlichen getreu. Die
Bevölkerung besteht zum größeren Teil aus Geten und Sarmaten; sie
tragen, wie die Daker auf der Traianssäule, Pelze und Hosen, langes
flatterndes Haar und den Bart ungeschoren, erscheinen auf der Straße zu
Pferde und mit dem Bogen bewaffnet, den Köcher auf der Schulter, das
Messer im Gürtel. Die wenigen Griechen, die unter ihnen sich finden,
haben die barbarische Sitte angenommen mit Einschluß der Hosen und
wissen ebensogut oder besser getisch als griechisch sich auszudrücken;
der ist verloren, der sich nicht auf getisch verständlich machen kann,
und kein Mensch versteht ein Wort lateinisch. Vor den Toren hausen
räuberische Scharen der verschiedensten Völker und ihre Pfeile fliegen
nicht selten über die schützende Stadtmauer; wer seinen Acker zu
bestellen wagt, der tut es mit Lebensgefahr, und pflügt bewaffnet - war
doch um die Zeit von Caesars Diktatur bei dem Zuge des Burebista die
Stadt den Barbaren in die Hände gefallen und wenige Jahre, bevor jener
Verbannte nach Tomis kam, während der dalmatisch-pannonischen
Insurrektion über diese Gegend abermals die Kriegsfurie hingebraust. Zu
diesen Erzählungen passen die Münzen und die Inschriften derselben
Stadt insofern wohl, als die Metropole des linkspontischen Städtebundes
in der vorrömischen Zeit kein Silber geschlagen hat, was manche andere
dieser Städte taten, und daß überhaupt Münzen wie Inschriften aus der
Zeit vor Traian nur vereinzelt begegnen. Aber im 2. und 3. Jahrhundert
ist sie umgewandelt und kann ziemlich mit demselben Recht eine Gründung
Traians heißen wie das ebenfalls rasch zu bedeutender Entwicklung
gelangte Markianopolis. Die früher erwähnte Sperrung in der Dobrudscha
diente zugleich als Schutzmauer für die Stadt Tomis. Hinter dieser
bluten daselbst Handel und Schiffahrt auf. Es gab in der Stadt eine
Genossenschaft alexandrinischer Kaufleute mit ihrer eigenen
Serapiskapelle ^61; in munizipaler Freigebigkeit und munizipaler
Ambition steht die Stadt hinter keiner griechischen Mittelstadt zurück;
zweisprachig ist sie auch jetzt noch, aber in der Weise, daß neben der
auf den Münzen immer festgehaltenen griechischen Sprache hier an der
Grenze der beiden Reichssprachengebiete auch die lateinische vielfach
selbst auf öffentlichen Denkmälern angewendet wird.
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^60 Das κοινόν τής Πενταπόλεως findet sich auf einer Inschrift von
Odessos (CIG 2056 c) die füglich der früheren Kaiserzeit angehören
kann, die pontische Hexapolis auf zwei Inschriften von Tomis
wahrscheinlich des 2. Jahrhunderts n. Chr. (Marquardt, Römische
Staatsverwaltung, Bd. 1, z. Aufl., S. 305; Hirschfeld in
Archäologisch-epigraphische Mittheilungen 6, 1882, S. 22). Die
Hexapolis muß auf jeden Fall und danach wahrscheinlich auch die
Pentapolis, mit den römischen Provinzialgrenzen in Einklang gebracht
werden, das heißt die griechischen Städte Untermösiens in sich
schließen. Diese finden sich auch, wenn man den sichersten Führern, den
Münzen der Kaiserzeit, folgt. Münzstätten (von Nikopolis abgesehen,
Anm. 59) gibt es in Untermösien sechs: Istros, Tomis, Kallatis,
Dionysopolis, Odessos und Markianopolis, und da die letzte Stadt von
Traian gegründet ward, so erklärt sich damit zugleich die Pentapolis.
Tyra und Olbia haben schwerlich dazu gehört; wenigstens zeigen die
zahlreichen und redseligen Denkmäler der letzteren Stadt nirgends eine
Anknüpfung an diesen Städtebund. Κοινόν τών Ελλήνων heißt derselbe auf
einer Inschrift von Tomis, welche ich hier wiederhole, da sie nur in
der athenischen Pandora vom 1. Juni 1868 gedruckt ist: Αγαθή τύχη. Κατά
τά δόξαντα τή κρατήστη βουλή καί τώ λαμπροτάτω δήμω τής λαμπροτάτης
μετροπόλεως καί α τοί επονύμου Πόντου Τόμεως τόν Ποντάρχην Πρείσκιον
Αννιανόν άρξαντα τοί κοινού τών Ελλήνων καί τής μετροπόλεως τήν α'
αρχήν αγνώς, καί αρχιερασάμενον, τήν διόπλων κυνεγησίων ενδόξως
φιλοτειμίαν μή διαλιπόντα, αλλά καί βουλευτήν καί τών πρωτευόντων
Φλαβίας Νέας πόλεως, καί τήν αρχιέρειαν σύμβιον αυτού Ιουλίαν
Απολαίστην πάσης τειμής χάρειν.
^61 Das zeigt die merkwürdige Inschrift bei Allard, La Bulgarie
Orientale. Paris 1863, S. 263: Θεώ μεγάλω Σαραπ{ίδι καί} τοίς συνναίοις
θεοίς καί τώ αυτοκράτορι Τ. Αιλίω Αδριανώ Αντωνείνω Σεβαστώ Ευσεβεί καί
Μ. Αυρηλίω Ουήρω Καίσαρι Καρπίων Ανουβίωνος τώ οικώ Αλεξανδρέων τόν
βωμόν εκ τών ιδίων ανέθηκεν έτους κγ' μηνός Φαρμουθί α' επί ιερέων
Κορνουτου τού καί Σαραπίωνος Πολύμνου τού καί Λονγείνου. Die
Schiffergilde von Tomis begegnet mehrfach in den Inschriften der Stadt.
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Jenseits der Reichsgrenze, zwischen der Donaumündung und der Krim,
hatte der griechische Kaufmann die Küste wenig besiedelt; es gab hier
nur zwei namhafte griechische Städte, beide von Miletos aus in ferner
Zeit gegründet, Tyra an der Mündung des gleichnamigen Flusses, des
heutigen Dnjestr, und Olbia an dem Busen, in welchen der Borysthenes
(Dnjepr) und der Hypanis (Bug) fallen. Die verlorene Stellung dieser
Hellenen unter den sie umdrängenden Barbaren in der Diadochenzeit
sowohl wie während der Vorherrschaft der römischen Republik ist früher
geschildert worden. Die Kaiser brachten Hilfe. Im Jahre 56, also in dem
musterhaften Anfang der Neronischen Regierung, ist Tyra zur Provinz
Mösien gezogen worden. Von dem entfernteren Olbia besitzen wir eine
Schilderung aus traianischer Zeit ^62: die Stadt blutete noch aus ihren
alten Wunden; die elenden Mauern umschlossen gleich elende Häuser und
das damals bewohnte Quartier füllte einen kleinen Teil des alten
ansehnlichen Stadtringes, von dem einzelne übriggebliebene Türme weit
hinaus auf dem wüsten Felde standen; in den Tempeln gab es kein
Götterbild, das nicht die Spuren der Barbarenfäuste trug; die Bewohner
hatten ihr Hellenentum nicht vergessen, aber sie trugen und schlugen
sich nach Art der Skythen, mit denen sie täglich im Gefecht lagen.
Ebenso oft wie mit griechischen nennen sie sich mit skythischen Namen,
das heißt mit denen der den Iraniern verwandten sarmatischen Stämme
^63; ja im Königshause selbst ward Sauromates ein gewöhnlicher Name.
Ihr Fortbestehen selbst hatten diese Städte wohl weniger der eigenen
Kraft zu danken als dem guten Willen oder vielmehr dem eigenen
Interesse der Eingeborenen. Die an dieser Küste sitzenden
Völkerschaften waren weder imstande, den auswärtigen Handel aus eigenen
Emporien zu führen, noch mochten sie ihn entbehren; in den hellenischen
Küstenstädten kauften sie Salz, Kleidungstücke, Wein, und die
zivilisierteren Fürsten schützten einigermaßen die Fremden gegen die
Angriffe der eigentlichen Wilden. Die früheren Regenten Roms müssen
Bedenken getragen haben, den schwierigen Schutz dieser entlegenen
Niederlassung zu übernehmen; dennoch sandte Pius, als die Skythen sie
wieder einmal belagerten, ihnen römische Hilfstruppen und zwang die
Barbaren, Frieden zu bieten und Geiseln zu stellen. Durch Severus, von
dem an Olbia Münzen mit dem Bildnis der römischen Herrscher schlug, muß
die Stadt dem Reiche geradezu einverleibt worden sein.
Selbstverständlich erstreckte sich diese Annektierung nur auf die
Stadtgebiete selbst und ist nie daran gedacht worden, die barbarischen
Umwohner Tyras und Olbias unter das römische Szepter zu bringen. Es ist
schon bemerkt worden, daß diese Städte die ersten waren, welche,
vermutlich unter Alexander ( † 235), dem beginnenden Gotensturm
erlagen.
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^62 Das stets bekriegte und oft zerstörte Olbia erlitt nach der Angabe
Dios (Borysth. p. 75 R.) etwa 150 Jahre vor seiner Zeit das heißt etwa
vor dem Jahre 100 n. Chr., also wahrscheinlich bei dem Zug des
Burebista, die letzte und schwerste Eroberung (τήν τελευταίαν καί
μεγίστην άλωσιν). Είλον δέ, fährt Dion fort, καί ταύτην Γέται καί τας
αλλας τάς εν τοίς αριστεροίς τού Πόντου πόλεις μέχρι Απολλωνίας
(Sozopolis oder Sizebolu, die letzte namhafte Griechenstadt an der
pontischen Westküste) όθεν δή καί σφόδρα ταπεινά τά πράγματα κατέστη
τών ταύτη Ελλήνων, τών μέν ουκέτι συοικισθείσων πόλεων, τών δέ φαύλως
καί τών πλείστων βαρβάρων εις αυτάς συρρυέντων. Der junge vornehme
Stadtbürger ausgeprägter ionischer Physiognomie, dem Dion dann
begegnet, welcher zahlreiche Sarmaten erschlagen oder gefangen hat, und
zwar den Phokylides nicht kennt, aber den Homer auswendig weiß, trägt
Mantel und Hosen nach Skythenart und das Messer im Gurt. Die
Stadtbürger alle tragen langes Haar und langen Bart und nur einer
beides geschoren, was ihm als Zeichen serviler Haltung gegen die Römer
verdacht wird. Also ein Jahrhundert später sah es dort ganz so aus, wie
Ovidius Tomis schildert.
^63 Ganz gewöhnlich heißt der Vater skythisch, der Sohn griechisch,
oder auch umgekehrt; zum Beispiel verzeichnet eine unter oder nach
Traian gesetzte Inschrift von Olbia (CIG 2074) sechs Strategen: M.
Ulpius Pyrrhus Sohn des Arseuaches, Demetrios Sohn des Xessagaros,
Zoilos Sohn des Arsakes, Badakes Sohn des Radanpson, Epikrates Sohn des
Koxuros, Ariston Sohn des Vargadakes.
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Wenn auf dem Kontinent im Norden des Pontus die Griechen sich nur
spärlich angesiedelt hatten, so war die große, aus dieser Küste
vorspringende Halbinsel, der Taurische Chersonesos, die heutige Krim,
seit langem zum großen Teil in ihren Händen. Getrennt durch die
Gebirge, welche die Taurier innehatten, waren die beiden Mittelpunkte
der griechischen Niederlassung auf ihr am westlichen Ende die dorische
freie Stadt Herakleia oder Chersonesos (Sevastopol), am östlichen das
Fürstenrum von Pantikapäon oder Bosporus (Kertsch). König Mithradates
hatte auf der Höhe seiner Macht beide vereinigt und hier sich ein
zweites Nordreich gegründet, das dann nach dem Zusammenbruch seiner
Herrschaft als einziger Überrest derselben seinem Sohn und Mörder
Pharnakes verblieb. Als dieser während des Krieges zwischen Caesar und
Pompeius versuchte, die väterliche Herrschaft in Kleinasien wieder zu
gewinnen, hatte Caesar ihn besiegt und ihn auch des Bosporanischen
Reiches verlustig erklärt. In diesem hatte inzwischen der von Pharnakes
daselbst zurückgelassene Statthalter Asandros dem König den Gehorsam
aufgekündigt, in der Hoffnung, durch diesen Caesar erwiesenen Dienst
selbst das Königtum zu erlangen. Als Pharnakes nach der Niederlage in
sein Bosporanisches Reich zurückkam, bemächtigte er zwar zunächst sich
wieder seiner Hauptstadt, unterlag aber schließlich und fiel tapfer
fechtend in der letzten Schlacht, als Soldat wenigstens seinem Vater
nicht ungleich. Um die Nachfolge stritten Asandros, der tatsächlich
Herr des Landes war, und Mithradates von Pergamon, ein tüchtiger
Offizier Caesars, den dieser mit dem bosporanischen Fürstenrum belehnt
hatte; beide suchten zugleich Anlehnung an die bisher im Bosporus
herrschende Dynastie und den großen Mithradates, indem Asandros sich
mit der Tochter des Pharnakes, Dynamis, vermählte, Mithradates, einem
pergamenischen Bürgerhaus entsprossen, ein Bastardsohn des großen
Mithradates Eupator zu sein behauptete, sei es nun, daß dieses Gerede
die Auswahl bestimmte, sei es, daß es zur Rechtfertigung der Auswahl in
Umlauf gesetzt ward. Da Caesar selbst zunächst durch wichtigere
Aufgaben in Anspruch genommen war, so entschieden zwischen dem
legitimen und dem illegitimen Caesarianer die Waffen, und zwar wieder
zu Gunsten des letzteren; Mithradates fiel im Gefecht und Asandros
blieb Herr im Bosporus. Er vermied es anfänglich, ohne Zweifel, weil
ihm die Bestätigung des Lehnsherrn fehlte, sich den Königsnamen
beizulegen, und begnügte sich mit dem auch von den älteren Fürsten von
Pantikapäon geführten Archontentitel; aber bald, wahrscheinlich noch
von Caesar selbst, erwirkte er die Bestätigung seiner Herrschaft und
den königlichen Titel ^64. Bei seinem Tode (737/38 17/16) hinterließ er
sein Reich der Gemahlin Dynamis. So stark war immer noch die Macht der
Erbfolge und des Mithradatischen Namens, daß sowohl ein gewisser
Scribonianus, der zunächst Asandros’ Stelle einzunehmen versuchte, wie
nach ihm der König Polemon von Pontus, dem Augustus das Bosporanische
Reich zusprach, mit der Übernahme der Herrschaft ein Ehebündnis mit der
Dynamis verbanden; überdies behauptete jener, selber ein Enkel des
Mithradates zu sein, während König Polemon bald nach dem Tode der
Dynamis eine Enkelin des Antonius und somit eine Verwandte des
Kaiserhauses heiratete. Nach seinem frühen Tode - er fiel im Kampfe
gegen die Aspurgianer an der asiatischen Küste - folgten seine
unmündigen Kinder ihm nicht und auch seinem gleichnamigen Enkel, den
Kaiser Gaius trotz seines Knabenalters im Jahre 38 in die beiden
Fürstenrömer seines Vaters wieder einsetzte, blieb das bosporanische
nicht lange. An seiner Stelle berief Kaiser Claudius einen wirklichen
oder angeblichen Nachkommen des Mithradates Eupator, und diesem Hause
ist, wie es scheint, das Fürstenrum von da an verblieben ^65.
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^64 Da Asandros sein Archontat wahrscheinlich schon von seinem Abfall
von Pharnakes, also vom Sommer des Jahres 707 (47) gezählt hat und
bereits im vierten Jahre seiner Regierung den Königstitel annimmt, so
kann dieses Jahr füglich auf Herbst 709/710 (45/44) gesetzt werden, die
Bestätigung also von Caesar erfolgt sein. Antonius kann sie nicht wohl
erteilt haben, da er erst Ende 712 (42) nach Asien kam; noch weniger
ist an Augustus zu denken, den Pseudo-Lukianos (macrob. 15) nennt,
Vater und Sohn verwechselnd.
^65 Mithradates den Claudius im Jahre 41 zum König des Bosporus machte,
führte sein Geschlecht auf Eupator zurück (Dio 60, 8; Tac. ann. 12, 18)
und ihm folgte sein Bruder Kotys (Tac. a. a. O.). Ihr Vater heißt
Aspurgos (CIG II, p. 95), braucht aber darum kein Aspurgianer (Strab.
11, 2, 19, p. 415) gewesen zu sein. Von einem späteren Dynastiewechsel
wird nicht berichtet; König Eupator in Pius Zeit (Lukian. Alex. 57;
vita Pii 9) weist auf das gleiche Haus. Wahrscheinlich haben übrigens
diese späteren bosporanischen Könige so wie die uns nicht einmal dem
Namen nach bekannten nächsten Nachfolger Polemons auch zu den
Polemoniden in verwandtschaftlichen Beziehungen gestanden, wie denn der
erste Polemon selbst eine Enkelin des Eupator zur Frau gehabt hatte.
Die thrakischen Königsnamen, wie Kotys und Rhaskuporis, die in dem
bosporanischen Königshaus gewöhnlich sind, knüpfen wohl an den
Schwiegersohn des Polemon, den thrakischen König Kotys, an. Die
Benennung Sauromates, welche seit dem Ende des 1. Jahrhunderts häufig
auftritt, ist ohne Zweifel durch Verschwägerung mit sarmatischen
Fürstenhäusern aufgekommen, beweist aber natürlich nicht, daß ihre
Träger selber Sarmaten waren. Wenn Zosimos (hist. 1, 31) den nach
Erlöschendes alten Königsgeschlechts zur Regierung gelangten geringen
und unwürdigen Fürsten die Schuld daran zuschreibt, daß die Goten unter
Valerian auf bosporanischen Schiffen ihre Piratenzüge ausführen
konnten, so mag das seine Richtigkeit haben und zunächst Phareanses
gemeint sein, von dem es Münzen aus den Jahren 254 und 255 gibt. Aber
auch diese sind mit dem Bildnis des römischen Kaisers bezeichnet, und
später finden sich wieder die alten Geschlechtsnamen (alle
bosporanischen Könige sind Tiberii Iulii) und die alten Beinamen wie
Sauromates und Rhaskuporis. Im ganzen genommen sind die alten
Traditionen wie die römische Schutzherrschaft auch damals hier noch
festgehalten worden.
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Während im römischen Staat sonst das Klientelfürstentum nach dem
Ausgang der ersten Dynastie schwindet und seit Traianus das Prinzip des
unmittelbaren Regiments im ganzen Umfang des Römischen Reiches
durchgeführt ist, bestand das bosporanische Königtum unter römischer
Oberherrschaft bis in das vierte Jahrhundert hinein. Erst nachdem der
Schwerpunkt des Reiches nach Konstantinopel verlegt war, ging dieser
Staat in das Hauptreich auf ^66, um dann bald von diesem aufgegeben
und, wenigstens zum größeren Teil, die Beute der Hunnen zu werden ^67.
Indes ist der Bosporus der Sache nach mehr eine Stadt als ein
Königreich gewesen und geblieben und hat mehr Ähnlichkeit mit den
Stadtbezirken von Tyra und Olbia als mit den Königreichen Kappadokien
und Numidien. Auch hier haben die Römer nur die hellenische Stadt
Pantikapäon geschützt und Grenzerweiterung und Unterwerfung des
Binnenlandes so wenig erstrebt wie in Tyra und Olbia. Zu dem Gebiet des
Fürsten von Pantikapäon gehörten zwar die griechischen Ansiedlungen von
Theudosia auf der Halbinsel selbst und Phanagoria (Taman) auf der
gegenüberliegenden asiatischen Küste, aber Chersonesos nicht ^68 oder
nur etwa wie Athen zum Sprengel des Statthalters von Achaia. Die Stadt
hatte von den Römern die Autonomie erhalten und sah in dem Fürsten den
nächsten Beschützer, nicht den Landesherrn; sie hat auch in der
Kaiserzeit als freie Stadt niemals weder mit Königs- noch mit
Kaiserstempeln geprägt. Auf dem Kontinent stand nicht einmal die Stadt,
welche die Griechen Tanais nennen, ein lebhaftes Emporium an der
Mündung des Don, aber schwerlich eine griechische Gründung, dauernd
unter der Botmäßigkeit der römischen Lehnsfürsten ^69. Von den mehr
oder minder barbarischen Stämmen auf der Halbinsel selbst und an der
europäischen und asiatischen Küste südlich vom Tanais befanden sich
wohl nur die nächsten in festem Abhängigkeitsverhältnis ^70.
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^66 Die letzte bosporanische Münze ist vom Jahre 631 der
Archämenidenära, 335 n. Chr.; sicher hängt dies zusammen mit der eben
in dieses Jahr fallenden Einsetzung des Neffen Konstantins L,
Hanniballianus, zum “König”, obwohl dies Königtum hauptsächlich das
östliche Kleinasien umfaßte und zur Residenz Caesa rea in Kappadokien
hatte. Nachdem in der blutigen Katastrophe nach Konstantins Tode dieser
König und sein Königtum zugrunde gegangen war, steht der Bosporus
unmittelbar unter Konstantinopel.
^67 Noch im Jahre 366 war der Bosporus in römischem Besitz (Amm. 26,
10, 6); bald nachher müssen die Griechen am Nordufer des Schwarzen
Meeres sich selbst überlassen worden sein, bis dann Justinian die
Halbinsel wieder besetzte (Prok. Goth. 4, 5). In der Zwischenzeit ging
Pantikapäon in den Hunnenstürmen zugrunde.
^68 Die Münzen der Stadt Chersonesos aus der Kaiserzeit haben die
Aufschrift Χερσονήσου ελευθέρας, einmal sogar βασιλευούσης, und weder
Königs- noch Kaisernamen oder Kopf (A. v. Sauet in Zeitschrift für
Numismatik 1, 1874, S. 27; 4, 1877, S. 273). Die Unabhängigkeit der
Stadt dokumentiert sich auch darin, daß sie nicht minder als die Könige
des Bosporus in Gold münzt. Da die Ära der Stadt richtig auf das Jahr
36 v. Chr. bestimmt scheint (CIG 8621), in welchem ihr, vermutlich von
Antonius, die Freiheit verliehen ward, so ist die vom Jahre 109
datierte Goldmünze der “regierenden Stadt” im Jahre 75 n. Chr.
geschlagen.
^69 Nach Strabons Darstellung (11, 2, 11, p. 495) stehen die Herren von
Tanais selbständig neben denen von Pantikapäon und hängen die Stämme
südlich vom Don bald von diesen, bald von jenen ab; wenn er hinzufügt,
daß manche der pantikapäischen Fürsten bis zum Tanais geboten, und
namentlich die letzten, Pharnakes, Asandros, Polemon, so scheint dies
mehr Ausnahme als Regel. In der Anm. 70 angeführten Inschrift stehen
die Tanaiten unter den untertänigen Stämmen und eine Reihe von
tanaitischen Inschriften bestätigen dies für die Zeit von Marcus bis
Gordian; aber die Ελληνες καί Ταναείται neben den άρχαντες Ταναειτών
und den öfter genannten Ελληνάρχαι bestätigen, daß die Stadt auch
damals eine nicht griechische blieb.
^70 In der einzigen lebendigen Erzählung aus der bosporanischen
Geschichte, die wir besitzen, der des Tacitus (arm. 12, 15-21) von den
beiden rivalisierenden Brüdern Mithradates und Kotys, stehen die
benachbarten Stämme, die Dandariden Shaker, Aorser unter eigenen, von
dem römischen Fürsten von Pantikapäon nicht rechtlich abhängigen
Herren.
In der Titulatur pflegen die älteren pantikapaeischen Fürsten sich
Archonten des Bosporus, das heißt von Pantikapäon, und von Theudosia
und Könige der Sinder und sämtlicher Maiter und anderer nicht
griechischer Völkerschaften zu nennen. Ebenso nennt die meines Wissens
unter den Königsinschriften der römischen Epoche älteste den Aspurgos,
Sohn des Asandrochos (Stephani, Comptes rendus de la commission pour
1866, S. 128) βασιλεύοντα παντός Βοσπόρου. Θεοδοσίης καί Σίνδων καί
Μαιτών καί Τορετών Ψήσων τε καί Ταναειτών. Θηοστάσαντα Σκύθας καί
Ταυρούς. Auf den Umfang des Gebietes wird aus der vereinfachten
Titulatur kein Schluß gezogen werden dürfen.
In den Inschriften der späteren Zeit findet sich einmal unter Traian
die wohl adulatorische Titulatur βασιλεύς βασιλέων μέγας τού πάντος
Βοσπόρου(CIG 2123). Die Münzen kennen überhaupt von Asandros an keinen
Titel als βασιλεύς, während doch Pharnakes sich βασιλεύς βασιλέων μέγας
nennt. Ohne Zweifel ist dies Einwirkung der römischen Suzeränität, mit
der sich ein über andere Fürsten gesetzter Lehnsfürst nicht recht
vertrug.
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Das Gebiet von Pantikapäon war zu ausgedehnt und besonders für den
kaufmännischen Verkehr zu wichtig, um, wie Olbia und Tyra, der
Verwaltung wechselnder Gemeindebeamten und eines weit entfernten
Statthalters überlassen zu werden; deshalb wurde es erblichen Fürsten
anvertraut, was weiter sich dadurch empfahl, daß es nicht geraten
scheinen mochte, die mit dieser Landschaft verknüpften Verhältnisse zu
den Umwohnern unmittelbar auf das Reich zu übertragen. Als
Griechenfürsten haben die des bosporanischen Hauses, trotz ihres
achämenidischen Stammbaumes und ihrer achämenidischen Jahreszählung,
sich durchaus empfunden und ihren Ursprung, nach gut hellenischer Art,
auf Herakles und die Eumolpiden zurückgeführt. Die Abhängigkeit dieser
Griechen von Rom, der königlichen in Pantikapäon wie der
republikanischen in Chersonesos, war durch die Natur der Dinge gegeben,
und nie haben sie daran gedacht, gegen den schützenden Arm des Reiches
sich aufzulehnen; wenn einmal unter Kaiser Claudius die römischen
Truppen gegen einen unbotmäßigen Fürsten des Bosporus marschieren
mußten ^71, so hat dagegen diese Landschaft selbst in der entsetzlichen
Verwirrung in der Mitte des 3. Jahrhunderts, welche vorzugsweise sie
traf, von dem Reich, auch von dem zerfallenden, niemals gelassen ^72.
Die wohlhabenden Kaufstädte, inmitten eines barbarischen Völkergewoges
militärischen Schutzes dauernd bedürftig, hielten an Rom wie die
Vorposten an dem Hauptheer. Die Besatzung ist wohl hauptsächlich in dem
Lande selbst aufgestellt worden, und sie zu schaffen und zu führen, war
ohne Zweifel die Hauptaufgabe des Königs des Bosporus. Die Münzen,
welche wegen der Investitur eines solchen geschlagen wurden, zeigen
wohl den kurulischen Sessel und die sonstigen bei solcher Belehnung
üblichen Ehrengeschenke, aber daneben auch Schild, Helm, Degen,
Streitaxt und das Schlachtroß; es war kein Friedensamt, das dieser
Fürst überkam. Auch blieb der erste derselben, den Augustus bestellte,
im Kampf mit den Barbaren, und von seinen Nachfolgern stritt zum
Beispiel König Sauromates, des Rhoemetalkes Sohn, in den ersten Jahren
des Severus mit den Sirakern und den Skythen - vielleicht nicht ganz
ohne Grund hat er seine Münzen mit den Taten des Herakles bezeichnet.
Auch zur See hatte er tätig zu sein, vor allem das auf dem Schwarzen
Meer nie aufhörende Piratenwesen niederzuhalten: jenem Sauromates wird
gleichfalls nachgerühmt, daß er die Taurier zur Ordnung gebracht und
die Piraterie gebändigt habe. Indes lagen auf der Halbinsel auch
römische Truppen, vielleicht eine Abteilung der pontischen Flotte,
sicher ein Detachement der mösischen Armee; bei geringer Zahl zeigte
doch ihre Anwesenheit den Barbaren, daß der gefürchtete Legionär auch
hinter diesen Griechen stand. Noch in anderer Weise schützte sie das
Reich; wenigstens in späterer Zeit sind den Fürsten des Bosporus
regelmäßig Geldsummen aus der Reichskasse gezahlt worden, deren sie
auch insofern bedurften, als das Abkaufen der feindlichen Einfälle
durch stehende Jahrgelder hier, in dem nicht unmittelbaren Reichslande,
wahrscheinlich noch früher stehend geworden ist als anderswo ^73.
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^71 Es war dies der im Jahre 41 von Claudius eingesetzte König
Mithradates, welcher einige Jahre später abgesetzt und durch seinen
Bruder Kotys ersetzt ward; er lebte nachher in Rom und kam in den
Wirren des Vierkaiserjahres um (Plut. Galba 13 u. 15). Indes wird weder
aus den Andeutungen bei Tacitus (ann. 12, 15; vgl. Plin. nat. 6, 5, 17)
noch aus dem (durch Verwechslung der beiden Mithradates von Bosporus
und von Iberien verwirrten) Bericht bei Petrus Patricius (fr. 3) der
Sachverhalt deutlich. Die chersonesitischen Märchen bei dem späten
Constantinus Porphyrogenitus (de adm. imp. c. 53) kommen natürlich
nicht in Betracht. Der böse bosporanische König Sauromates Κρισκονόρου
(nicht Ρησκοπόρου) υιός der mit den Sarmaten gegen Kaiser Diocletianus
und Constantius sowie gegen das reichstreue Cherson Krieg führt, ist
offenbar hervorgegangen aus einer Verwirrung des bosporanischen Königs-
und des Volksnamens und geradeso historisch wie die Variation auf die
Geschichte von David und Goliath, die Erlegung des gewaltigen Königs
der Bosporaner Sauromates durch den kleinen Chersonesiten Pharnakos.
Die Königsnamen allein, zum Beispiel außer den genannten der nach dem
Erlöschen des Geschlechts der Sauromaten eintretende Asandros, genügen.
Die städtischen Privilegien und die Örtlichkeiten der Stadt, zu deren
Erklärung diese Mirabilien erfunden sind, verdienen allerdings
Beachtung.
^72 Es gibt keine bosporanischen Gold- oder Pseudogoldmünzen ohne den
römischen Kaiserkopf, und es ist dies immer der des vom römischen Senat
anerkannten Herrschers. Daß in den Jahren 263 und 265, wo im Reiche
sonst nach Valerians Gefangennehmung Gallienus offiziell als
Alleinherrscher galt, hier zwei Köpfe auf den Münzen erscheinen, ist
vielleicht nur Unkunde; doch mag der Bosporus damals unter den vielen
Prätendenten eine andere Wahl getroffen haben. Die Namen werden in
dieser Zeit nicht beigesetzt und die Bildnisse sind nicht sicher zu
unterscheiden.
^73 Dies wird man dem Skythen Toxaris in dem unter den lukianischen
stehenden Dialog (c. 44) glauben dürfen; im übrigen erzählt er nicht
bloß μύθοις όμοια, sondern eben einen Mythos, dessen Könige Leukanor
und Eubiotos die Münzen begreiflicherweise nicht kennen.
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Daß die Zentralisierung des Regiments auch diesem Fürsten gegenüber zur
Anwendung kam und er nicht viel anders zu dem römischen Caesar stand
wie der Bürgermeister von Athen, tritt vielfach hervor; Erwähnung
verdient, daß König Asandros und die Königin Dynamis Goldmünzen mit
ihrem Namen und ihrem Bildnis schlugen, dagegen dem König Polemon und
seinen nächsten Nachfolgern wohl die Goldprägung blieb, da dieses
Gebiet sowie die anwohnenden Barbaren seit langem ausschließlich an
Goldcourant gewöhnt waren, aber sie veranlaßt wurden, ihre Goldstücke
mit dem Namen und dem Bilde des regierenden Kaisers zu versehen.
Ebenfalls seit Polemon ist der Fürst dieses Landes zugleich der
Oberpriester auf Lebenszeit des Kaisers und des kaiserlichen Hauses. Im
übrigen behielten die Verwaltung und das Hofwesen die unter Mithradates
eingeführten Formen nach dem Muster des persischen Großkönigtums,
obwohl der Geheimschreiber (αρχιγραμματεύς) und der Oberkammerdiener
(αρχικοιτωνείτης) des Hofes von Pantikapäon zu den vornehmen Hofbeamten
der Großkönige sich verhielten wie der Römerfeind Mithradates Eupator
zu seinem Nachkommen Tiberius Iulius Eupator, der wegen seines Anrechts
an die bosporanische Krone in Rom vor Kaiser Pius Recht nahm.
Wertvoll blieb dieses nordische Griechenland für das Reich wegen der
Handelsbeziehungen. Wenn auch dieselben in dieser Epoche wohl weniger
bedeuteten als in älterer Zeit ^74, so ist doch der Kaufmannsverkehr
sehr rege geblieben. In der augustischen Zeit brachten die Stämme der
Steppe Sklaven ^75 und Felle, die Kaufleute der Zivilisation
Bekleidungsstücke, Wein und andere Luxusartikel nach Tanais; in noch
höherem Maße war Phanagoria die Niederlage für den Export der
Einheimischen, Pantikapäon für den Import der Griechen. Jene Wirren im
Bosporus in der claudischen Zeit waren für die Kaufleute von Byzanz ein
schwerer Schlag. Daß die Goten ihre Piratenfahrten im dritten
Jahrhundert damit begannen, die bosporanischen Reeder zu unfreiwilliger
Hilfeleistung zu pressen, wurde schon erwähnt. Wohl infolge dieses, den
barbarischen Nachbarn selbst unentbehrlichen Verkehrs haben die Bürger
von Chersonesos noch nach dem Wegziehen der römischen Besatzungen sich
behauptet und konnten späterhin, als in justinianischer Zeit die Macht
des Reiches sich auch nach dieser Richtung hin noch einmal geltend
machte, als Griechen in das griechische Reich zurücktreten.
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^74 In Betreff der Getreideausfuhr verdient die Notiz in dem Bericht
des Plautius Beachtung.
^75 Auch aus dem Erbieten, einer von den römischen Truppen bedrängten
Ortschaft der Siraker (am Asowschen Meer) 10000 Sklaven zu liefern
(Tac. ann. 12, 17), wird auf einen lebhaften Sklavenimport aus diesen
Gegenden geschlossen werden dürfen.
KAPITEL VIII.
Kleinasien
Die große Halbinsel, welche die drei Meere, das Schwarze, das Ägäische
und Mittelländische, an drei Seiten bespülen, und die gegen Osten mit
dem eigentlichen asiatischen Kontinent zusammenhängt, wird, insoweit
sie zum Grenzgebiet des Reiches gehört, in dem nächsten, das
Euphratgebiet und die römisch-parthischen Beziehungen behandelnden
Abschnitt betrachtet werden. Hier sollen die Friedensverhältnisse
namentlich der westlichen Landschaften unter dem Kaiserregiment
dargelegt werden.
Die ursprüngliche oder doch vorgriechische Bevölkerung dieser weiten
Strecke hat sich vielerorts in bedeutendem Umfang bis in die Kaiserzeit
hinein behauptet. Dem früher erörterten thrakischen Stamme hat sicher
der größte Teil von Bithynien gehört; Phrygien, Lydien, Kilikien,
Kappadokien zeigen sehr mannigfaltige und schwer zu lösende Überreste
älterer Sprachepochen, die vielfach in die römische Zeit hinabreichen;
fremdartige Götter-, Menschen- und Ortsnamen begegnen überall. Aber so
weit unser Blick reicht, dem freilich das tiefere Eindringen hier
selten gewährt ist, erscheinen diese Elemente nur weichend und
schwindend, wesentlich als Negation der Zivilisation oder, was hier
damit uns wenigstens zusammenzufallen dünkt, der Hellenisierung. Es
wird am geeigneten Platz auf einzelne Gruppen dieser Kategorie
zurückzukommen sein; für die geschichtliche Entwicklung Kleinasiens in
der Kaiserzeit gibt es daselbst nur zwei aktive Nationalitäten, die
beiden zuletzt eingewanderten, in den Anfängen der geschichtlichen Zeit
die Hellenen und während der Wirren der Diadochenzeit die Kelten.
Die Geschichte der kleinasiatischen Hellenen, soweit sie ein Teil der
römischen ist, ist früher dargelegt worden. In der fernen Zeit, wo die
Küsten des Mittelmeers zuerst befahren und besiedelt wurden und die
Welt anfing unter die vorgeschrittenen Nationen auf Kosten der
zurückgebliebenen aufgeteilt zu werden, hatte die Hochflut der
hellenischen Auswanderung sich zwar über alle Ufer des Mittelländischen
Meeres, aber doch nirgend hin, selbst nicht nach Italien und Sizilien
in so breitem Strom ergossen wie über das Inselreiche Ägäische Meer und
die nahe, hafenreiche, liebliche Küste Vorderasiens. Die
vorderasiatischen Griechen hatten dann selbst vor allen übrigen sich
tätig an der weiteren Welteroberung beteiligt, von Miletos aus die
Küsten des Schwarzen Meeres, von Phokäa und Knidos aus die der Westsee
besiedeln helfen. In Asien ergriff die hellenische Zivilisation wohl
die Bewohner des Binnenlandes, die Myser, Lydier, Karer, Lykier, und
selbst die persische Großmacht blieb von ihr nicht unberührt. Aber die
Hellenen selber besaßen nichts als den Küstensaum, höchstens mit
Einschluß des unteren Laufs der größeren Flüsse, und die Inseln.
Kontinentale Eroberung und eigene Landmacht vermochten sie hier
gegenüber den mächtigen einheimischen Fürsten nicht zu gewinnen; auch
lud das hochgelegene und großenteils wenig kulturfähige Binnenland
Kleinasiens nicht so wie die Küsten zur Ansiedelung ein, und die
Verbindungen dieser mit dem Innern sind schwierig. Wesentlich in Folge
dessen brachten es die asiatischen Hellenen noch weniger als die
europäischen zur inneren Einigung und zur eigenen Großmacht und lernten
früh die Fügsamkeit gegenüber den Herren des Kontinents. Der national
hellenische Gedanke kam ihnen erst von Athen; sie wurden dessen
Bundesgenossen nur nach dem Siege und blieben es nicht in der Stunde
der Gefahr. Was Athen diesen Schutzbefohlenen der Nation hatte leisten
wollen und nicht hatte leisten können, das vollbrachte Alexander;
Hellas mußte er besiegen, Kleinasien sah in dem Eroberer nur den
Befreier. Alexanders Sieg sicherte in der Tat nicht bloß das asiatische
Hellenentum, sondern öffnete ihm eine weite, fast ungemessene Zukunft;
die Besiedelung des Kontinents, welche im Gegensatz der bloß litoralen
dieses zweite Stadium der hellenischen Welteroberung bezeichnet,
ergriff auch Kleinasien in bedeutendem Umfang. Doch von den
Knotenpunkten der neuen Staatenbildung kam keiner nach den alten
Griechenstädten der Küste ^1. Die neue Zeit forderte wie überhaupt neue
Gestaltung, so vor allem auch neue Städte, zugleich griechische
Königsresidenzen und Mittelpunkte bisher ungriechischer und dem
Griechentum zuzuführender Bevölkerungen. Die große staatliche
Entwicklung bewegt sich um die Städte königlicher Gründung und
königlichen Namens, Thessalonike, Antiocheia, Alexandreia. Mit ihren
Herren hatten die Römer zu ringen; den Besitz Kleinasiens gewannen sie
fast durchaus, wie man von Verwandten oder Freunden ein Landgut
erwirbt, durch Vermächtnis im Testament; und wie schwer auf den also
gewonnenen Landschaften zeitweise das römische Regiment gelastet hat,
der Stachel der Fremdherrschaft trat hier nicht hinzu. Eine nationale
Opposition hat wohl der Achämenide Mithradates den Römern in Kleinasien
entgegengestellt und das römische Mißregiment die Hellenen in seine
Arme getrieben; aber diese selbst haben nie etwas Ähnliches
unternommen. Darum ist von diesem großen, reichen, wichtigen Besitz in
politischer Hinsicht wenig zu berichten; um so weniger, als in betreff
der nationalen Beziehungen der Hellenen überhaupt zu den Römern das in
dem vorhergehenden Abschnitt Bemerkte wesentlich auch für die
kleinasiatischen Geltung hat.
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^1 Hätte der Staat des Lysimachos Bestand gehabt, so wäre es wohl
anders gekommen. Seine Gründungen Alexandreia in der Troas und
Lysimacheia, Ephesos-Arsinoe, verstärkt durch die Übersiedelung der
Bewohner von Kolophon und Lebedos, liegen in der bezeichneten Richtung.
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Die römische Verwaltung Kleinasiens wurde nie in systematischer Weise
geordnet, sondern die einzelnen Gebiete so, wie sie zum Reich kamen,
ohne wesentliche Veränderung der Grenzen als römische
Verwaltungsbezirke eingerichtet. Die Staaten, welche König Attalos III.
von Pergamon den Römern vermacht hatte, bilden die Provinz Asia; die
ebenfalls durch Erbgang ihnen zugefallenen des Königs Nikomedes die
Provinz Bithynien; das dem Mithradates Eupator abgenommene Gebiet die
mit Bithynien vereinigte Provinz Pontus. Kreta wurde bei Gelegenheit
des großen Piratenkrieges von den Römern besetzt; Kyrene, das gleich
hier mit erwähnt werden mag, nach dem letzten Willen seines Herrschers
von ihnen übernommen. Derselbe Rechtstitel gab der Republik die Insel
Kypros; hinzu kam hier die notwendige Unterdrückung der Piraterie.
Diese hatte auch zu der Bildung der Statthalterschaft Kilikien den
Grund gelegt; vollständig kam das Land an Rom durch Pompeius mit Syrien
zugleich, und beide sind während des ersten Jahrhunderts
gemeinschaftlich verwaltet worden. All dieser Länderbesitz war bereits
von der Republik erworben. In der Kaiserzeit traten eine Anzahl Gebiete
hinzu, welche früher nur mittelbar zum Reich gehört hatten: im Jahre
729 (25) das Königreich Galatien, mit welchem ein Teil Phrygiens,
Lykaonien, Pisidien, Pamphylien vereinigt worden war; im Jahre 747 (7)
die Herrschaft des Königs Deiotarus, Kastors Sohn, welche Gangra in
Paphlagonien und wahrscheinlich auch Amaseia und andere benachbarte
Orte umfaßte; im Jahre 17 n. Chr. das Königreich Kappadokien; im Jahre
43 das Gebiet der Konföderation der lykischen Städte; im Jahre 63 das
nordöstliche Kleinasien vom Tal des Iris bis zur armenischen Grenze;
Klein-Armenien und einige kleinere Fürstentümer in Kilikien
wahrscheinlich durch Vespasian. Damit war die unmittelbare
Reichsverwaltung in ganz Kleinasien durchgeführt. Lehnsfürstentümer
blieben nur der taurische Bosporus, von. dem schon die Rede war, und
Groß-Armenien, von dem der nächste Abschnitt handeln wird.
Als bei dem Eintreten des Kaiserregiments die administrative Scheidung
zwischen ihm und dem des Reichsrats getroffen ward, kam das gesamte
kleinasiatische Gebiet, so weit es damals unmittelbar unter dem Reiche
stand, an den letzteren; die Insel Kypros, die anfangs unter
kaiserliche Verwaltung gelangt war, ging ebenfalls wenige Jahre später
an den Senat über. So entstanden hier die vier senatorischen
Statthalterschaften Asia, Bithynia und Pontus, Kypros, Kreta und
Kyrene. Unter kaiserlicher Verwaltung stand anfangs nur Kilikien als
Teil der syrischen Provinz. Aber die später in unmittelbare
Reichsverwaltung gelangten Gebiete wurden hier wie im ganzen Reich
unter kaiserliche Statthalter gelegt; so ward noch unter Augustus aus
den binnenländischen Landschaften des Galatischen Reiches die Provinz
Galatien gebildet und die Küstenlandschaft Pamphylien einem anderen
Statthalter überwiesen, welchem letzteren unter Claudius weiter Lykien
unterstellt ward. Ferner ward Kappadokien kaiserliche Statthalterschaft
unter Tiberius. Auch blieb natürlich Kilikien, als es eigene
Statthalter erhielt, unter kaiserlicher Verwaltung. Abgesehen davon,
daß Hadrian die wichtige Provinz Bithynien und Pontus gegen die
unbedeutende lykisch-pamphylische eintauschte, blieb diese Ordnung in
Kraft, bis gegen das Ende des 3. Jahrhunderts die senatorische
Mitverwaltung überhaupt bis auf geringe Überreste beseitigt ward. Die
Grenze ward in der ersten Kaiserzeit durchaus durch die
Lehnsfürstentümer gebildet; nach deren Einziehung berührte die
Reichsgrenze, von Kyrene abgesehen, unter allen diesen
Verwaltungsbezirken nur der kappadokische, insofern diesem damals auch
die nordöstliche Grenzlandschaft bis hinauf nach Trapezunt zugeteilt
war ^2; und auch diese Statthalterschaft grenzte nicht mit dem
eigentlichen Ausland, sondern im Norden mit den abhängigen
Völkerschaften am Phasis, weiterhin mit dem von Rechts wegen und
einigermaßen auch tatsächlich zum Reiche gehörigen Lehnskönigtum
Armenien.
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^2 Nirgends haben die Grenzen der Lehnstaaten und selbst der Provinzen
mehr gewechselt als im nordöstlichen Kleinasien. Die unmittelbare
Reichsverwaltung trat hier für die Landschaften des Königs Polemon,
wozu Zela, Neocaesarea, Trapezus gehörten, im Jahre 63 ein, für
Klein-Armenien, wir wissen nicht genau wann, wahrscheinlich im Anfang
der Regierung Vespasians. Der letzte Lehnskönig von Klein-Armenien,
dessen gedacht wird, ist der Herodeer Aristobulos (Tac. ann. 13, 7; 14,
26; Ios. ant. Iud. 20, 8, 4), der es noch im Jahre 60 besaß; im Jahre
75 war die Landschaft römisch (CIL III, 306), und wahrscheinlich hat
die eine der seit Vespasian in Kappadokien garnisonierenden Legionen
von Anfang an in dem klein-armenischen Satala gestanden. Vespasian hat
die genannten Landschaften so wie Galatien und Kappadokien zu einer
großen Statthalterschaft vereinigt. Am Ende der Domitianischen
Regierung finden wir Galatien und Kappadokien getrennt und die
nordöstlichen Provinzen zu Galatien gelegt. Unter Traian ist zuerst
wiederum der ganze Bezirk in einer Hand, späterhin (Eph. epigr. V, n.
1345) in der Weise geteilt, daß die nordöstliche Küste zu Kappadokien
gehört. Dabei ist es wenigstens insoweit geblieben, daß Trapezunt, und
also auch Klein-Armenien, fortan beständig unter diesem Statthalter
gestanden hat. Also hatte, von einer kurzen Unterbrechung unter
Domitian abgesehen, der Legat von Galatien nichts mit der
Grenzverteidigung zu tun und ist diese, wie es auch in der Sache liegt,
stets mit dem Kommando Kappadokiens und seiner Legionen vereinigt
gewesen.
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Um von den Zuständen und der Entwicklung Kleinasiens in den drei ersten
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine Vorstellung zu gewinnen, soweit
dies bei einem aus unserer unmittelbaren geschichtlichen Überlieferung
gänzlich ausfallenden Lande möglich ist, wird bei dem konservativen
Charakter des römischen Provinzialregiments an die älteren
Gebietsteilungen und die Vorgeschichte der einzelnen Landschaften
anzuknüpfen sein.
Die Provinz Asia ist das alte Reich der Attaliden, Vorderasien bis
nördlich zur bithynischen, südlich zur lykischen Grenze; die anfangs
davon abgetrennten östlichen Striche, das große Phrygien, waren schon
in republikanischer Zeit wieder dazu geschlagen worden, und die Provinz
reichte seitdem bis an die Landschaft der Galater und die pisidischen
Gebirge. Auch Rhodus und die übrigen kleineren Inseln des Ägäischen
Meeres gehörten zu diesem Sprengel. Die ursprüngliche hellenische
Ansiedlung hatte außer den Inseln und der eigentlichen Küste auch die
unteren Täler der größeren Flüsse besetzt; Magnesia am Sipylos im
Hermostal, das andere Magnesia und Tralleis im Tal des Mäandros waren
schon vor Alexander als griechische Städte gegründet oder doch
griechische Städte geworden; die Karer, Lyder, Myser wurden früh
wenigstens zu Halbhellenen. Die eintretende Griechenherrschaft fand in
den Küstenlandschaften nicht viel zu tun; Smyrna, das vor Jahrhunderten
von den Barbaren des Binnenlandes zerstört worden war, erhob sich
damals aus seinen Trümmern, um rasch wieder einer der ersten Sterne des
glänzenden kleinasiatischen Städteringes zu werden; und wenn der
Wiederaufbau von Ilion an dem Grabhügel Hektors mehr ein Werk der
Pietät als der Politik war, so war die Anlage von Alexandreia an der
Küste der Troas von bleibender Bedeutung. Pergamon im Tal des Kaïkos
blühte auf als Residenz der Attaliden.
In dem großen Werk der Hellenisierung des Binnenlandes dieser Provinz
wetteiferten, Alexanders Intentionen entsprechend, alle hellenischen
Regierungen, Lysimachos, die Seleukiden, die Attaliden. Die einzelnen
Gründungen sind aus unserer Überlieferung noch mehr verschwunden als
die Kriegsläufte der gleichen Epoche; wir sind hauptsächlich angewiesen
auf die Namen und die Beinamen der Städte; aber auch diese genügen, um
die allgemeinen Umrisse dieser Jahrhunderte hindurch sich fortsetzenden
und dennoch homogenen und zielbewußten Tätigkeit zu erkennen. Eine
Reihe binnenländischer Ortschaften, Stratonikeia in Karien, Peltae,
Blaundos, Dokimeion, Kadoi in Phrygien, die Mysomakedonier im Bezirk
von Ephesos, Thyateira, Hyrkania, Nakrasa im Hermosgebiet, die
Askylaken im Bezirk von Adramytion werden in Urkunden oder sonstigen
glaubwürdigen Zeugnissen als Makedonierstädte bezeichnet; und diese
Erwähnungen sind so zufälliger Art und die Ortschaften teilweise so
unbedeutend, daß die gleiche Bezeichnung sicher auf eine große Anzahl
anderer Niederlassungen in dieser Gegend sich erstreckt hat und wir
schließen dürfen auf eine ausgedehnte, wahrscheinlich mit dem Schutz
Vorderasiens gegen die Galater und Pisidier zusammenhängende Ansiedlung
griechischer Soldaten in den bezeichneten Gegenden. Wenn ferner die
Münzen der ansehnlichen phrygischen Stadt Synnada mit ihrem Stadtnamen
den der Ioner und der Dorer sowie den des gemeinen Zeus (Ζεύς πάνδημος)
verbinden, so muß einer der Alexandriden die Griechen insgemein
aufgefordert haben, hier sich niederzulassen; und auch dies beschränkte
sich gewiß nicht auf diese einzelne Stadt. Die zahlreichen Städte
hauptsächlich des Binnenlandes, deren Namen auf die Königshäuser der
Seleukiden oder der Attaliden zurückgehen oder die sonst griechisch
benannt sind, sollen hier nicht aufgeführt werden; es befinden sich
namentlich unter den sicher von den Seleukiden gegründeten oder
reorganisierten Städten mehrere der in späterer Zeit blühendsten und
gesittetsten des Binnenlandes, zum Beispiel im südlichen Phrygien
Laodikeia und vor allem Apameia, das alte Kelaenae an der großen
Heerstraße von der Westküste Kleinasiens zum mittleren Euphrat, schon
in persischer Zeit das Entrepôt für diesen Verkehr und unter Augustus
nach Ephesos die bedeutendste Stadt der Provinz Asia. Wenn auch nicht
jede Beilegung eines griechischen Namens mit Ansiedlung griechischer
Kolonisten verbunden gewesen sein wird, so werden wir doch einen
beträchtlichen Teil dieser Ortschaften den griechischen Pflanzstädten
beizählen dürfen. Aber auch die städtischen Ansiedlungen
nichtgriechischen Ursprungs, die die Alexandriden vorfanden, lenkten
von selber in die Bahnen der Hellenisierung ein, wie denn die Residenz
des persischen Statthalters, Sardes, noch von Alexander selbst als
griechisches Gemeinwesen geordnet ward.
Diese städtische Entwicklung war vollzogen, als die Römer die
Herrschaft über Vorderasien antraten; sie selber haben sie nicht in
intensiver Weise gefördert. Daß eine große Anzahl der Stadtgemeinden in
der östlichen Hälfte der Provinz ihre Jahre von dem der Stadt 670 (84)
zählen, kommt daher, daß damals nach Beendigung des Mithradatischen
Krieges diese Bezirke durch Sulla unter unmittelbar römische Verwaltung
kamen; Stadtrecht haben diese Ortschaften nicht erst damals erhalten.
Augustus hat die Stadt Parium am Hellespont und die schon erwähnte
Alexandreia in Troas mit Veteranen seiner Armee besetzt und beiden die
Rechte der römischen Bürgergemeinden beigelegt; letztere ist seitdem in
dem griechischen Asien eine italische Insel gewesen wie Korinth in
Griechenland und Berylos in Syrien. Aber dies war nichts als
Soldatenversorgung; von eigentlicher Städtegründung in der römischen
Provinz Asien unter den Kaisern ist wenig die Rede. Unter den nicht
zahlreichen nach Kaisern benannten Städten daselbst ist vielleicht nur
von Sebaste und Tiberiopolis, beide in Phrygien, und von Hadrianoi an
der bithynischen Grenze kein älterer Stadtname nachzuweisen. Hier, in
der Berglandschaft zwischen dem Ida und dem Olymp, hauste Kleon in der
Triumviralzeit, ein gewisser Tilliboros unter Hadrian, beide halb
Räuberhauptleute, halb Volksfürsten, von denen jener selbst in der
Politik eine Rolle gespielt hat; in dieser Freistatt der Verbrecher war
die Gründung einer geordneten Stadtgemeinde durch Hadrian allerdings
eine Wohltat. Sonst blieb in dieser Provinz, mit ihren fünfhundert
Stadtgemeinden der städtereichsten des ganzen Staates, in dieser
Hinsicht wohl nicht mehr viel zu stiften übrig, höchstens etwa zu
teilen, das heißt die faktisch zu einer Stadtgemeinde sich
entwickelnden Flecken aus dem früheren Gemeindeverbande zu lösen und
selbständig zu machen, wie wir einen Fall der Art in Phrygien unter
Konstantin I. nachweisen können. Aber von der eigentlichen
Hellenisierung waren die abgelegenen Gebiete noch weit entfernt, als
das römische Regiment begann; insbesondere in Phrygien behauptete sich
die vielleicht der armenischen gleichartige Landessprache. Wenn aus dem
Fehlen griechischer Münzen und griechischer Inschriften nicht mit
Sicherheit auf das Fehlen der Hellenisierung geschlossen werden darf
^3, so weist doch die Tatsache, daß die phrygischen Münzen fast
durchaus der römischen Kaiserzeit, die phrygischen Inschriften der
großen Mehrzahl nach der späteren Kaiserzeit angehören, darauf hin, daß
in die entlegenen und der Zivilisation schwer zugänglichen Gegenden der
Provinz Asia die hellenische Gesittung soweit überhaupt, überwiegend
erst unter den Kaisern den Weg fand. Zu unmittelbarem Eingreifen der
Reichsverwaltung bot dieser im Stillen sich vollziehende Prozeß wenig
Gelegenheit und Spuren solchen Eingreifens vermögen wir nicht
nachzuweisen. Freilich war Asia eine senatorische Provinz, und daß dem
Senatsregiment jede Initiative abging, mag auch hier in Betracht
kommen.
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^3 Die städtische Münzprägung und die Inschriftsetzung stehen unter so
vielfachen Bedingungen, daß das Fehlen oder auch die Fülle der einen
wie der andern nicht ohne weiteres zu Rückschlüssen auf die Abwesenheit
oder die Intensität einer bestimmten Zivilisationsphase berechtigen.
Für Kleinasien insbesondere ist zu beachten, daß es das gelobte Land
der munizipalen Eitelkeit ist und unsere Denkmäler, auch die Münzen,
zum weitaus größten Teil dadurch hervorgerufen sind, daß die Regierung
der römischen Kaiser dieser freien Lauf ließ.
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Syrien und mehr noch Ägypten gehen auf in ihren Metropolen; die Provinz
Asien und Kleinasien überhaupt hat keine einzelne Stadt aufzuweisen
gleich Antiocheia und Alexandreia, sondern sein Gedeihen ruht auf den
zahlreichen Mittelstädten. Die Einteilung der Städte in drei Klassen,
welche sich unterscheiden im Stimmrecht auf dem Landtag, in der
Repartition der von der ganzen Provinz aufzubringenden Leistungen,
selbst in der Zahl der anzustellenden Stadtärzte und städtischen Lehrer
^4, ist vorzugsweise diesen Landschaften eigen. Auch die städtischen
Rivalitäten, die in Kleinasien so energisch und zum Teil so kindisch,
gelegentlich auch so gehässig hervortreten, wie zum Beispiel der Krieg
zwischen Severus und Niger in Bithynien eigentlich ein Krieg der beiden
rivalisierenden Kapitalen Nikomedeia und Nikäa war, gehören zum Wesen
zwar der hellenischen Politien überhaupt, insbesondere aber der
kleinasiatischen. Des Wetteifers um die Kaisertempel werden wir
weiterhin gedenken; in ähnlicher Weise war die Rangfolge der
städtischen Deputationen bei den gemeinschaftlichen Festen in
Kleinasien eine Lebensfrage - Magnesia am Mäander nennt sich auf den
Münzen die “siebente Stadt von Asia” - und vor allem der erste Platz
war ein so begehrter, daß die Regierung schließlich sich dazu verstand,
mehrere erste Städte zuzulassen. Ähnlich ging es mit der
Metropolenbezeichnung. Die eigentliche Metropole der Provinz war
Pergamon, die Residenz der Attaliden und der Sitz des Landtags. Aber
Ephesos, die faktische Hauptstadt der Provinz, wo der Statthalter
verpflichtet war, sein Amt anzutreten, und das auch dieses
“Landungsrechts” auf seinen Münzen sich berühmt, Smyrna, mit dem
ephesischen Nachbar in steter Rivalität und dem legitimen Erstenrecht
der Ephesier zum Trotz auf den Münzen sich nennend “die erste an Größe
und Schönheit”, das uralte Sardeis, Kyzikos und andere mehr strebten
nach dem gleichen Ehrenrechte. Mit diesen ihren Quengeleien, wegen
deren regelmäßig der Senat und der Kaiser angegangen wurden, den
“griechischen Dummheiten”, wie man in Rom zu sagen pflegte, waren die
Kleinasiaten der stehende Verdruß und das stehende Gespött der
vornehmen Römer ^5.
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^4 “Die Verordnung”, sagt der Jurist Modestinus, der sie referiert
(dig. 27, 1, 6, 3), “interessiert alle Provinzen, obwohl sie an die
Asiaten gerichtet ist.” Auch paßt sie in der Tat nur da, wo es
Städteklassen gibt, und der Jurist fügt eine Anweisung hinzu, wie sie
auf anders geordnete Provinzen anzuwenden sei. Was der Biograph des
Pius (c. 11) über die von Pius den Rhetoren gewährten Auszeichnungen
und Gehalte berichtet, hat mit dieser Verfügung nichts zu schaffen.
^5 Vortrefflich setzt Dion von Prusa in seinen Ansprachen an die Bürger
von Nikomedeia und von Tarsos auseinander, daß kein gebildeter Mann für
sich solche leere Bezeichnungen haben möchte und die Titelsucht für die
Städte geradezu unbegreiflich sei; wie es das Zeichen der richtigen
Kleinstädterei sei, sich solche Rangbescheinigungen ausstellen zu
lassen; wie der schlechte Statthalter durch diesen Städtehader sich
immer decke, da Nikäa und Nikomedeia nie unter sich zusammenhielten.
“Die Römer gehen mit euch um wie mit Kindern, denen man geringes
Spielzeug schenkt; Mißhandlungen nehmt ihr hin, um Namen zu bekommen;
sie nennen eure Stadt die erste, um sie als die letzte zu behandeln.
Den Römern seid ihr damit zum Gelächter geworden und sie nennen das
‘griechische Dummheiten’ (Ελληνικά αμαρτήματα).”
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Nicht auf der gleichen Höhe wie das Attalidenreich befand sich
Bithynien. Die ältere griechische Kolonisierung hatte sich hier
lediglich auf die Küste beschränkt. In der hellenistischen Epoche
hatten anfangs die makedonischen Herrscher, später die völlig deren
Wege wandelnde einheimische Dynastie neben der im Ganzen wohl auf
Umnennung hinauslaufenden Einrichtung der Küstenorte einigermaßen auch
das Binnenland erschlossen, namentlich durch die beiden glücklich
gediehenen Anlagen von Nikäa (Isnik) und Prusa am Olymp (Brussa); von
der ersteren wird hervorgehoben, daß die ersten Ansiedler von guter
makedonischer und hellenischer Herkunft gewesen seien. Aber in der
Intensität der Hellenisierung stand das Reich des Nikomedes weit zurück
hinter dem des Bürgerfürsten von Pergamon; insonderheit das östliche
Binnenland kann vor Augustus nur wenig besiedelt gewesen sein. Dies
ward in der Kaiserzeit anders. In augustischer Zeit baute ein
glücklicher Räuberhauptmann, der sich zur Ordnung bekehrte, an der
galatischen Grenze die gänzlich herabgekommene Ortschaft Gordiu Kome
unter dem Namen Iuliopolis wieder auf; in derselben Gegend sind die
Städte Bithynion-Claudiopolis und Krateia-Flaviopolis wahrscheinlich im
Laufe des ersten Jahrhunderts zu griechischem Stadtrecht gelangt.
Überhaupt hat in Bithynien der Hellenismus unter der Kaiserzeit einen
mächtigen Aufschwung genommen, und der derbe thrakische Schlag der
Eingeborenen gab ihm eine gute Grundlage. Daß unter den in großer
Anzahl bekannten Schriftsteinen dieser Provinz nicht mehr als vier der
vorrömischen Zeit angehören, wird nicht allein daraus erklärt werden
können, daß die städtische Ambition erst unter den Kaisern großgezogen
worden ist. In der Literatur der Kaiserzeit gehören eine Anzahl der
besten und von der wuchernden Rhetorik am wenigsten erfaßten
Schriftsteller, wie der Philosoph Dion von Prusa, die Historiker Memnon
von Herakleia, Arrhianos aus Nikomedeia, Cassius Dion von Nikäa, nach
Bithynien.
Die östliche Hälfte der Südküste des Schwarzen Meeres, die römische
Provinz Pontus, hat zur Grundlage denjenigen Teil des Reiches
Mithradats, den Pompeius sofort nach dem Siege in unmittelbaren Besitz
nahm. Die zahlreichen kleinen Fürstentümer, welche im paphlagonischen
Binnenland und östlich davon bis zur armenischen Grenze Pompeius
gleichzeitig vergab, wurden nach kürzerem oder längerem Bestand bei
ihrer Einziehung teils derselben Provinz zugelegt, teils zu Galatien
oder Kappadokien geschlagen. Das ehemalige Reich des Mithradates war
sowohl von dem älteren wie von dem jüngeren Hellenismus bei weitem
weniger als die westlichen Landschaften berührt worden. Als die Römer
dieses Gebiet mittelbar oder unmittelbar in Besitz nahmen, gab es
griechisch geordnete Städte dort strenggenommen nicht; Amaseia, die
alte Residenz der pontischen Achämeniden und immer ihre Grabstadt, war
dies nicht; die beiden alten griechischen Küstenstädte Amisos und das
einst über das Schwarze Meer gebietende Sinope waren königliche
Residenzen geworden, und auch den wenigen von Mithradates angelegten
Ortschaften, zum Beispiel Eupatoria, wird schwerlich griechische
Politie gegeben worden sein. Hier aber war, wie schon früher ausgeführt
ward, die römische Eroberung zugleich die Hellenisierung; Pompeius
organisierte die Provinz in der Weise, daß er die elf Hauptortschaften
derselben zu Städten machte und unter sie das Gebiet verteilte.
Allerdings ähnelten diese künstlich geschaffenen Städte mit ihren
ungeheuren Bezirken - der von Sinope hatte an der Küste eine Ausdehnung
von sechzehn deutschen Meilen und grenzte am Halys mit dem amisenischen
- mehr den keltischen Gauen als den eigentlich hellenischen und
italischen Stadtgemeinden. Aber es wurden doch damals Sinope und Amisos
in ihre alte Stellung wieder eingesetzt und andere Städte im
Binnenland, wie Pompeiopolis, Nikopolis, Megalopolis, das spätere
Sebasteia, ins Leben gerufen. Sinope erhielt durch den Diktator Caesar
das Recht der römischen Kolonie und ohne Zweifel auch italische
Ansiedler. Wichtiger für die römische Verwaltung ward Trapezus, eine
alte Kolonie von Sinope; die Stadt, die im Jahre 63 zur Provinz
Kappadokien geschlagen ward, war wie der Standort der römischen
Pontusflotte so auch gewissermaßen die Operationsbasis für das
Truppenkorps dieser Provinz, das einzige in ganz Kleinasien.
Das binnenländische Kappadokien war seit der Einrichtung der Provinzen
Pontus und Syrien in römischer Gewalt; über die Einziehung desselben im
Anfang der Regierung des Tiberius, welche zunächst veranlaßt ward durch
den Versuch Armeniens, sich der römischen Lehnsherrschaft zu entwinden,
wird in dem folgenden Abschnitt zu berichten sein. Der Hof und was
unmittelbar damit zusammenhing, hatte sich hellenisiert, etwa so, wie
die deutschen Höfe des 18. Jahrhunderts sich dem französischen Wesen
zuwandten. Die Hauptstadt Caesarea, das alte Mazaka, gleich dem
phrygischen Apameia eine Zwischenstelle des großen Verkehrs zwischen
den Häfen der Westküste und den Euphratländern und in römischer Zeit
wie noch heute eine der blühendsten Handelsstädte Kleinasiens, war auf
Pompeius’ Veranlassung nach dem Mithradatischen Kriege nicht bloß
wieder aufgebaut, sondern wahrscheinlich damals auch mit Stadtrecht
nach griechischer Art ausgestattet worden. Kappadokien selbst war im
Anfang der Kaiserzeit schwerlich mehr griechisch als Brandenburg und
Pommern unter Friedrich dem Großen französisch. Als das Land römisch
ward, zerfiel es nach den Angaben des gleichzeitigen Strabon nicht in
Stadtbezirke, sondern in zehn Ämter, von denen nur zwei Städte hatten,
die schon genannte Hauptstadt und Tyana; und diese Ordnung ist hier im
Großen und Ganzen so wenig verändert worden wie in Ägypten, wenn auch
einzelne Ortschaften späterhin griechisches Stadtrecht empfingen, zum
Beispiel Kaiser Marcus aus dem kappadokischen Dorf, in dem seine
Gemahlin gestorben war, die Stadt Faustinopolis machte. Griechisch
freilich sprachen die Kappadokier jetzt; aber die Studierenden aus
Kappadokien hatten auswärts viel zu leiden wegen ihres groben Akzents
und ihrer Fehler in Aussprache und Betonung, und wenn sie attisch reden
lernten, fanden die Landsleute ihre Sprache affektiert ^6. Erst in der
christlichen Zeit gaben die Studiengenossen des Kaisers Julian,
Gregorios von Nazianzos und Basilios von Caesarea, dem kappadokischen
Namen einen besseren Klang.
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^6 Pausanias aus Caesarea rückt bei Philostratos (vit. soph. 2, 13) dem
Herodes Attikos seine Fehler vor: παχεία τή γλώττη κα'ι ως Καππαδόκαις
ξύνηθες, ξυγκρούων μέν τά σύμφωνα ιών στοιχείων, συστέλλων δέ τά
μηκυνόμενα καί μηκύνων τά βραχέα. Vita Apoll. 1, 7: η γλώττα Αττικώς
είχεν, ουδ' απήχθη τήν φωνήν υπό τού έθνους.
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Die lykischen Städte in ihrem abgeschlossenen Berglande öffneten ihre
Küste der griechischen Ansiedlung nicht, aber schlossen sich darum doch
nicht gegen den hellenischen Einfluß ab. Lykien ist die einzige
kleinasiatische Landschaft, in welcher die frühe Zivilisierung die
Landessprache nicht beseitigt hat, und welche, fast wie die Römer, in
griechisches Wesen einging, ohne sich äußerlich zu hellenisieren. Es
bezeichnet ihre Stellung, daß die lykische Konföderation als solche dem
attischen Seebund sich angeschlossen und an die athenische Vormacht
ihren Tribut entrichtet hat. Die Lykier haben nicht bloß ihre Kunst
nach hellenischen Mustern geübt, sondern wohl auch ihre politische
Ordnung früh in gleicher Weise geregelt. Die Umwandlung des einst
Rhodos untertänigen, aber nach dem Dritten Makedonischen Krieg
unabhängig gewordenen Städtebundes in eine römische Provinz, welche
wegen des endlosen Haders unter den Verbündeten von Kaiser Claudius
verfügt ward, wird das Vordringen des Hellenismus gefördert haben; im
Verlauf der Kaiserzeit sind dann die Lykier vollständig zu Griechen
geworden.
Die pamphylischen Küstenstädte, wie Aspendos und Perge, griechische
Gründungen der ältesten Zeit, später sich selbst überlassen und unter
günstigen Verhältnissen gedeihlich entwickelt, hatten das älteste
Hellenentum in einer Weise sei es konserviert, sei es aus sich heraus
eigenartig gestaltet, daß die Pamphylier nicht viel weniger als die
benachbarten Lykier in Sprache und Schrift als selbständige Nation
gelten konnten. Als dann Asien den Hellenen gewonnen ward, fanden sie
allmählich den Rückweg wie in die gemeine griechische Zivilisation so
auch in die allgemeine politische Ordnung. Die Herren in dieser Gegend
wie an der benachbarten kilikischen Küste waren in hellenistischer Zeit
teils die Ägypter, deren Königshaus verschiedenen Ortschaften in
Pamphylien und Kilikien den Namen gegeben hat, teils die Seleukiden,
nach denen die bedeutendste Stadt Westkilikiens Seleukeia am Kalykadnos
heißt, teils die Pergamener, von deren Herrschaft Attaleia (Adalia) in
Pamphylien zeugt. Dagegen hatten die Völkerschaften in den Gebirgen
Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens bis auf den Beginn der
Kaiserzeit ihre Unabhängigkeit der Sache nach behauptet. Hier ruhten
die Fehden nie. Nicht bloß zu Lande hatten die zivilisierten
Regierungen stets mit den Pisidiern und ihren Genossen zu schaffen,
sondern es betrieben dieselben namentlich von dem westlichen Kilikien
aus, wo die Gebirge unmittelbar an das Meer treten, noch eifriger als
den Landraub das Gewerbe der Piraterie. Als bei dem Verfall der
ägyptischen Seemacht die Südküste Kleinasiens völlig zur Freistatt der
Seeräuber ward, traten die Römer ein und richteten die Provinz
Kilikien, welche die pamphylische Küste mit umfaßte oder doch umfassen
sollte, der Unterdrückung des Seeraubs wegen ein. Aber was sie taten,
zeigte mehr, was hätte geschehen sollen, als daß wirklich etwas
erreicht ward; die Intervention erfolgte zu spät und zu unstetig. Wenn
auch einmal ein Schlag gegen die Korsaren geführt ward und römische
Truppen selbst in die isaurischen Gebirge eindrangen und tief im
Binnenland die Piratenburgen brachen, zu rechter dauernder Festsetzung
in diesen von ihr widerwillig annektierten Distrikten kam die römische
Republik nicht. Hier blieb dem Kaisertum noch alles zu tun übrig.
Antonius, wie er den Orient übernahm, beauftragte einen tüchtigen
galatischen Offizier, den Amyntas, mit der Unterwerfung der
widerspenstigen pisidischen Landschaft ^7, und als dieser sich bewährte
^8, machte er denselben zum König von Galatien, der militärisch
bestgeordneten und schlagfertigsten Landschaft Kleinasiens, und
erstreckte zugleich sein Regiment von da bis zur Südküste, also auf
Lykaonien, Pisidien, Isaurien, Pamphylien und Westkilikien, während die
zivilisierte Osthälfte Kilikiens bei Syrien blieb. Auch als Augustus
nach der Aktischen Schlacht die Herrschaft im Orient antrat, ließ er
den keltischen Fürsten in seiner Stellung. Derselbe machte auch
wesentliche Fortschritte sowohl in der Unterdrückung der schlimmen, in
den Schlupfwinkeln des westlichen Kilikiens hausenden Korsaren wie auch
in der Ausrottung der Landräuber, tötete einen der schlimmsten dieser
Raubherren, den Herrn von Derbe und Laranda im südlichen Lykaonien,
Antipatros, baute in Isauria sich seine Residenz und schlug die
Pisidier nicht bloß hinaus aus dem angrenzenden phrygischen Gebiet,
sondern fiel in ihr eigenes Land ein und nahm im Herzen desselben
Kremna. Aber nach einigen Jahren (729 25) verlor er das Leben auf einem
Zug gegen einen der westkilikischen Stämme, die Homonadenser; nachdem
er die meisten Ortschaften genommen hatte und ihr Fürst gefallen war,
kam er um durch einen von dessen Gattin gegen ihn gerichteten Anschlag.
Nach dieser Katastrophe übernahm Augustus selbst das schwere Geschäft
der Pazifikation des inneren Kleinasiens. Wenn er dabei, wie schon
bemerkt ward, das kleine pamphylische Küstenland einem eigenen
Statthalter zuwies und es von Galatien trennte, so ist dies offenbar
deswegen geschehen, weil das zwischen der Küste und der
galatisch-lykaonischen Steppe liegende Gebirgsland so wenig botmäßig
war, daß die Verwaltung des Küstengebiets nicht füglich von Galatien
aus geführt werden konnte. Römische Truppen wurden nach Galatien nicht
gelegt; doch wird das Aufgebot der kriegerischen Galater mehr zu
bedeuten gehabt haben als bei den meisten Provinzialen. Auch hatten, da
das westliche Kilikien damals unter Kappadokien gelegt ward, die
Truppen dieses Lehnsfürsten sich an der Arbeit zu beteiligen. Die
Züchtigung zunächst der Homonadenser führte die syrische Armee aus; der
Statthalter Publius Sulpicius Quirinius rückte einige Jahre später in
ihr Gebiet, schnitt ihnen die Zufuhr ab und zwang sie, sich in Masse zu
unterwerfen, worauf sie in die umliegenden Ortschaften verteilt und ihr
ehemaliges Gebiet wüst gelegt wurde. Ähnliche Züchtigungen erfuhren in
den Jahren 36 und 52 die Kliten, ein anderer, in dem westlichen
Kilikien näher an der Küste sitzender Stamm; da sie dem von Rom ihnen
gesetzten Lehnsfürsten den Gehorsam verweigerten und das Land wie die
See brandschatzten, und da die sogenannten Landesherren mit ihnen nicht
fertig werden konnten, kamen beide Male die Reichstruppen aus Syrien
herbei, um sie zu unterwerfen. Diese Nachrichten haben sich zufällig
erhalten; sicher sind zahlreiche ähnliche Vorgänge verschollen.
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^7 Amyntas wurde noch im Jahre 715, bevor Antonius nach Asien
zurückging über die Pisidier gesetzt (App. civ. 5, 75), ohne Zweifel
weil diese wieder einmal einen ihrer Raubzüge unternommen hatten.
Daraus, daß er dort zuerst herrschte, erklärt es sich auch, daß er sich
in Isaura seine Residenz baute (Strab. 12, 6, 3, p. 569). Galatien kam
zunächst an die Erben des Deiotarus (Dio 48, 33). Erst im Jahre 718
erhielt Amyntas Galatien, Lykaonien und Pamphylien (Dio 49, 32).
^8 Daß dies die Ursache war, weshalb diese Gegenden nicht unter
römische Statthalter gelegt wurden, sagt Strabon (14, 5, 5 p. 671), der
nach Zeit und Ort diesen Verhältnissen nahestand, ausdrücklich: εδόκει
πρός άπαν τό τοιούτο (für die Unterdrückung der Räuber und der Piraten)
βασιλευέσθαι μάλλον τούς τόπους ή θπό τοίς Ρωμαίοις ηγεμόσιν είναι τοίς
επί τάς κρίσεις πεμπομένοις, οι μήτ' αεί παρείναι έμελλον (wegen der
Bereisung der conventus) μήτε μεθ' όπλον (die allerdings dem späteren
Legaten von Galatien fehlten).
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Aber auch im Wege der Besiedelung griff Augustus die Pazifikation
dieser Landschaft an. Die hellenistischen Regierungen hatten dieselbe
sozusagen isoliert, nicht bloß an der Küste überall Fuß behalten oder
gefaßt, sondern auch im Nordwesten eine Reihe von Städten gegründet, an
der phrygischen Grenze Apollonia angeblich von Alexander selbst
angelegt, Seleukeia Siderus und Antiocheia, beide aus der
Seleukidenzeit, ferner in Lykaonien Laodikeia Katakekaumene und die
wohl auch in der gleichen Zeit entstandene Hauptstadt dieser Landschaft
Ikonion. Aber in dem eigentlichen Bergland findet sich keine Spur
hellenistischer Niederlassung; und noch weniger hat der römische Senat
sich an diese schwierige Aufgabe gemacht. Augustus tat es; hier, und
nur hier im ganzen griechischen Osten, begegnet eine Reihe von Kolonien
römischer Veteranen, offenbar bestimmt, dieses Gebiet der friedlichen
Ansiedlung zu erobern. Von den eben genannten älteren Ansiedlungen
wurde Antiocheia mit Veteranen belegt und römisch reorganisiert, neu
angelegt in Lykaonien Parlais und Lystra, in Pisidien selbst das schon
genannte Kremna so wie weiter südlich Olbasa und Komama. Die späteren
Regierungen setzten die begonnene Arbeit nicht mit gleicher Energie
fort; doch wurde unter Claudius das eiserne Seleukeia Pisidiens zum
claudischen gemacht, ferner im westkilikischen Binnenland Claudiopolis
und nicht weit davon, vielleicht gleichzeitig, Germanicopolis ins Leben
gerufen, auch Ikonion, in Augustus’ Zeit ein kleiner Ort, zu
bedeutender Entwicklung gebracht. Die neu gegründeten Städte blieben
freilich unbedeutend, schränkten aber doch den Spielraum der freien
Gebirgsbewohner in namhafter Weise ein, und der Landfriede muß endlich
auch hier seinen Einzug gehalten haben. Sowohl die Ebene und die
Bergterrassen Pamphyliens wie die Bergstädte Pisidiens selbst, zum
Beispiel Selge und Sagalassos, waren während der Kaiserzeit gut
bevölkert und das Gebiet sorgfältig angebaut; die Reste mächtiger
Wasserleitungen und auffallend großer Theater, sämtlich Anlagen aus der
römischen Kaiserzeit, zeigen zwar nur handwerksmäßige Technik, aber
Spuren eines reich entwickelten friedlichen Gedeihens. Ganz freilich
ward die Regierung des Raubwesens in diesen Landschaften niemals Herr,
und wenn in der früheren Kaiserzeit die Heimsuchungen sich in mäßigen
Grenzen hielten, traten die Banden hier in den Wirren des dritten
Jahrhunderts abermals als kriegführende Macht auf. Sie gehen jetzt
unter dem Namen der Isaurer und haben ihren hauptsächlichen Sitz in den
Gebirgen Kilikiens, von wo aus sie Land und Meer brandschatzen. Erwähnt
werden sie zuerst unter Severus Alexander. Daß sie unter Gallienus
ihren Räuberhauptmann zum Kaiser ausgerufen haben, wird eine Fabel
sein; aber allerdings wurde unter Kaiser Probus ein solcher namens
Lydios, der lange Zeit Lykien und Pamphylien geplündert hatte, in der
römischen Kolonie Kremna, die er besetzt hatte, nach langer
hartnäckiger Belagerung durch eine römische Armee bezwungen. In
späterer Zeit finden wir um ihr Gebiet einen Militärkordon gezogen und
einen eigenen kommandierenden General für die Isaurer bestellt. Ihre
wilde Tapferkeit hat sogar denen von ihnen, welche bei dem
byzantinischen Hof Dienste nehmen mochten, eine Zeitlang eine Stellung
daselbst verschafft, wie die Makedonier sie am Hofe der Ptolemäer
besessen hatten; ja einer aus ihrer Mitte, Zenon, ist als Kaiser von
Byzanz gestorben ^9.
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^9 In der großen unbenannten Ruinenstätte von Saradschik im oberen
Limyrostal im östlichen Lykien (vgl. C. Ritter, Erdkunde. Bd. 19,
Berlin 1859, S. 1172) steht ein bedeutender tempelförmiger Grabbau,
sicher nicht älter als das 3. Jahrhundert n. Chr., an welchem in Relief
zerstückelte Menschenteile, Köpfe, Arme, Beine als Embleme angebracht
sind; man möchte meinen, als Wappen eines zivilisierten
Räuberhauptmanns (Mitteilung von Benndorf).
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Die Landschaft Galatien endlich, in ferner Zeit die Hauptstätte der
orientalischen Herrschaft über Vorderasien und in den berühmten
Felsskulpturen des heutigen Boghazköi, einst der Königstadt Pteria, die
Erinnerungen einer fast verschollenen Herrlichkeit bewahrend, war im
Lauf der Jahrhunderte in Sprache und Sitte eine keltische Insel
inmitten der Fluten der Ostvölker geworden und ist dies in der inneren
Organisation auch in der Kaiserzeit geblieben. Die drei keltischen
Völkerschaften, welche bei der großen Wanderung der Nation um die Zeit
des Krieges zwischen Pyrrhos und den Römern in das innere Kleinasien
gelangt waren und hier, wie im Mittelalter die Franken im Orient, zu
einem festgegliederten Soldatenstaat sich zusammengeschlossen und nach
längerem Schweifen dies- und jenseits des Halys ihre definitiven Sitze
genommen hatten, hatten längst die Zeiten hinter sich, wo sie von dort
aus Kleinasien brandschatzten und mit den Königen von Asia und Pergamon
im Kampfe lagen, falls sie nicht als Söldner ihnen dienten; auch sie
waren an der Übermacht der Römer zerschellt und ihnen in Asien nicht
minder botmäßig geworden wie ihre Landsleute im Potal und an der Rhone
und Seine. Aber trotz ihres mehrhundertjährigen Verweilens in
Kleinasien trennte immer noch eine tiefe Kluft diese Okzidentalen von
den Asiaten. Es war nicht bloß, daß sie ihre Landessprache und ihre
Volksart festhielten, daß immer noch die drei Gaue jeder von seinen
vier Erbfürsten regiert wurden und die von allen gemeinschaftlich
beschickte Bundesversammlung in dem heiligen Eichenhain als höchste
Behörde dem galatischen Lande vorstand, auch nicht, daß die
ungebändigte Roheit wie die kriegerische Tüchtigkeit sie von den
Nachbarn zum Nachteil wie zum Vorteil unterschied; dergleichen
Gegensätze zwischen Kultur und Barbarei gab es in Kleinasien auch
sonst, und die oberflächliche und äußerliche Hellenisierung, wie die
Nachbarschaft, die Handelsbeziehungen, der von den Einwanderern
übernommene phrygische Kultus, das Söldnertum sie im Gefolge hatten,
wird in Galatien nicht viel später eingetreten sein als zum Beispiel in
dem benachbarten Kappadokien. Der Gegensatz ist anderer Art: die
keltische und die hellenische Invasion haben in Kleinasien konkurriert,
und zu dem nationalen Gegensatz ist der Stachel der rivalisierenden
Eroberung hinzugetreten. Scharf trat dies zutage in der Mithradatischen
Krise: dem Mordbefehl des Mithradates gegen die Italiker ging zur Seite
die Niedermetzelung des gesamten galatischen Adels und dementsprechend
haben in den Kriegen gegen den orientalischen Befreier der Hellenen die
Römer keinen treueren Bundesgenossen gehabt als die Galater
Kleinasiens. Darum war der Erfolg der Römer auch der ihrige und gab der
Sieg ihnen in den Angelegenheiten Kleinasiens eine Zeitlang eine
führende Stellung. Das alte Vierfürstentum wurde, es scheint durch
Pompeius, abgeschafft. Einer der neuen Gaufürsten, der in den
Mithradatischen Kriegen sich am meisten bewährt hatte, Deiotarus,
brachte außer seinem eigenen Gebiete Klein-Armenien und andere Stücke
des ehemaligen Mithradatischen Reiches an sich und ward auch den
übrigen galatischen Fürsten ein unbequemer Nachbar und der mächtigste
unter den kleinasiatischen Dynasten. Nach dem Siege Caesars, dem er
feindlich gegenübergestanden hatte und den er auch durch die gegen
Pharnakes geleistete Hilfe nicht für sich zu gewinnen vermochte, wurden
ihm die mit oder ohne Einwilligung der römischen Regierung gewonnenen
Besitzungen größtenteils wieder entzogen; der Caesarianer Mithradates
von Pergamon, welcher von mütterlicher Seite dem galatischen Königshaus
entsprossen war, erhielt das meiste von dem, was Deiotarus verlor und
wurde ihm sogar in Galatien selbst an die Seite gestellt. Aber nachdem
dieser kurz darauf im Taurischen Chersones sein Ende gefunden hatte und
auch Caesar selbst nicht lange nachher ermordet worden war, setzte
Deiotarus sich ungeheißen wieder in den Besitz des Verlorenen, und da
er der jedesmal im Orient vorherrschenden römischen Partei sich ebenso
zu fügen verstand, wie sie rechtzeitig zu wechseln, starb er
hochbejahrt im Jahre 714 (40) als Herr von ganz Galatien. Seine
Nachkommen wurden mit einer kleinen Herrschaft in Paphlagonien
abgefunden; sein Reich, noch erweitert gegen Süden hin durch Lykaonien
und alles Land bis zur pamphylischen Küste, kam, wie schon gesagt ward,
im Jahre 718 (36) durch Antonius an Amyntas, welcher schon in
Deiotarus’ letzten Jahren als dessen Sekretär und Feldherr das Regiment
geführt zu haben scheint und als solcher vor der Schlacht von Philippi
den Übergang von den republikanischen Feldherrn zu den Triumvirn
bewirkt hatte. Seine weiteren Schicksale sind schon erzählt. An
Klugheit und Tapferkeit seinem Vorgänger ebenbürtig, diente er erst dem
Antonius, dann dem Augustus als hauptsächliches Werkzeug für die
Pazifikation des noch nicht untertänigen kleinasiatischen Gebiets, bis
er hier im Jahre 729 (25) seinen Tod fand. Mit ihm endigte das
galatische Königtum und verwandelte sich dasselbe in die römische
Provinz Galatien.
Gallogräker heißen die Bewohner desselben bei den Römern schon in der
letzten Zeit der Republik; sie sind, fügt Livius hinzu, ein Mischvolk,
wie sie heißen, und aus der Art geschlagen. Auch mußte ein guter Teil
derselben von den älteren phrygischen Bewohnern dieser Landschaften
abstammen. Mehr noch fällt ins Gewicht, daß die eifrige Götterverehrung
in Galatien und das dortige Priestertum mit den sakralen Institutionen
der europäischen Kelten nichts gemein hat; nicht bloß die Große Mutter,
deren heiliges Symbol die Römer der hannibalischen Zeit von den
Tolistobogern erbaten und empfingen, ist phrygischer Art, sondern auch
deren Priester gehörten zum Teil wenigstens dem galatischen Adel an.
Dennoch war noch in der römischen Provinz in Galatien die innere
Ordnung überwiegend die keltische. Daß noch unter Pius in Galatien die
dem hellenischen Recht fremde strenge väterliche Gewalt bestand, ist
ein Beweis dafür aus dem Kreise des Privatrechts. Auch in den
öffentlichen Verhältnissen gab es in dieser Landschaft immer noch nur
die drei alten Gemeinden der Tektosagen, der Tolistoboger, der Trokmer,
die wohl ihren Namen die der drei Hauptörter Ankyra, Pessinus und
Tauion beisetzen, aber wesentlich doch nichts sind als die
wohlbekannten gallischen Gaue, die des Hauptorts ja auch nicht
entbehren. Wenn bei den Kelten Asiens die Auffassung der Gemeinde als
Stadt früher als bei den europäischen das Übergewicht gewinnt ^10 und
der Name Ankyra rascher den der Tektosagen verdrängt als in Europa der
Name Burdigala den der Bituriger, dort Ankyra sogar als Vorort der
gesamten Landschaft sich die “Mutterstadt” (μητρόπολις) nennt, so zeigt
dies allerdings, wie das ja auch nicht anders sein konnte, die
Einwirkung der griechischen Nachbarschaft und den beginnenden
Assimilationsprozeß, dessen einzelne Phasen zu verfolgen die uns
gebliebene oberflächliche Kunde nicht gestattet. Die keltischen Namen
halten sich bis in die Zeit des Tiberius, nachher erscheinen sie nur
vereinzelt in den vornehmen Häusern. Daß die Römer seit Einrichtung der
Provinz wie in Gallien nur die lateinische, so in Galatien neben dieser
nur die griechische Sprache im Geschäftsverkehr zuließen, versteht sich
von selbst. Wie es früher damit gehalten ward, wissen wir nicht, da
vorrömische Schriftmäler in dieser Landschaft überhaupt nicht begegnen.
Als Umgangssprache hat die keltische sich auch in Asien mit Zähigkeit
behauptet ^11; doch gewann allmählich das Griechische die Oberhand. Im
vierten Jahrhundert war Ankyra eines der Hauptzentren der griechischen
Bildung; “die kleinen Städte in dem griechischen Galatien”, sagt der
bei Vorträgen für das gebildete Publikum grau gewordene Literat
Themistios, “können sich ja freilich mit Antiocheia nicht messen; aber
die Leute eignen die Bildung sich eifriger an als die richtigen
Hellenen, und wo sich der Philosophenmantel zeigt, hängen sie an ihm
wie das Eisen am Magnet.” Dennoch mag bis in eben diese Zeit,
namentlich jenseits des Halys bei den offenbar viel später
hellenisierten Trokmern ^12, sich in den niederen Kreisen die
Volkssprache gehalten haben. Es ist schon erwähnt worden, daß nach dem
Zeugnis des vielgewanderten Kirchenvaters Hieronymus noch am Ende des
4. Jahrhunderts der asiatische Galater die gleiche, wenn auch
verdorbene Sprache redete, welche damals in Trier gesprochen ward. Daß
als Soldaten die Galater, wenn sie auch mit den Okzidentalen keinen
Vergleich aushielten, doch weit brauchbarer waren als die griechischen
Asiaten, dafür zeugt sowohl die Legion, welche König Deiotarus aus
seinen Untertanen nach römischem Muster aufgestellt hatte und die
Augustus mit dem Reiche übernahm und in die römische Armee unter dem
bisherigen Namen einreihte, wie auch daß bei der orientalischen
Rekrutierung der Kaiserzeit die Galater ebenso vorzugsweise
herangezogen wurden wie im Okzident die Bataver ^13.
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^10 Das berühmte Verzeichnis der der Gemeinde Ankyra gemachten
Leistungen aus Tiberius’ Zeit (CIG 4039) bezeichnet die galatischen
Gemeinden gewöhnlich mit έθνος, zuweilen mit πόλις. Später verschwindet
jene Benennung; aber in der vollen Titulatur, zum Beispiel der
Inschrift CIG 4011 aus dem zweiten Jahrhundert, führt Ankyra immer noch
den Volksnamen: η μητρόπολις τής Γαλατίας Σεβαστή Τεκτωσάγων Άγκυρα.
^11 Nach Pausanias (10, 36, 1) heißt bei den Γαλάται υπέρ Φρυγίας φωνή
τή επιχωρίω σπίσιν die Scharlachbeere ύς; und Lukian (Alex. 51)
berichtet von den Verlegenheiten des wahrsagenden Paphlagoniers, wenn
ihm Συριστί ή Κελτιστί Fragen vorgelegt wurden und nicht gleich dieser
Sprache kundige Leute zur Hand waren.
^12 Wenn in dem Anm. 10 erwähnten Verzeichnis aus Tiberius’ Zeit die
Spenden nur selten drei Völkern, meist zwei Völkern oder zwei Städten
gegeben werden, so sind, wie G. Perrot (Exploration archéologique de la
Galane et de la Bithynie. Paris 1862, S. 83) richtig bemerkt, die
letzteren Ankyra und Pessinus und steht bei den Spenden hinter ihnen
Tauion der Trokmer zurück. Vielleicht gab es damals bei diesen noch
keine Ortschaft, die als Stadt gelten konnte.
^13 Auch Cicero (Att. 6, S, 3) schreibt von seiner Armee in Kilikien:
exercitum infirmum habebam, auxilia sane bona, sed ea Galatarum,
Pisidarum, Lyciorum: haec enim sunt nostra robora.
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Den außereuropäischen Hellenen gehören ferner noch die beiden großen
Eilande des östlichen Mittelmeers Kreta und Kypros an sowie die
zahlreichen des Inselmeers zwischen Griechenland und Kleinasien; auch
die kyrenäische Pentapolis an der gegenüberliegenden afrikanischen
Küste ist durch die umliegende Wüste von dem Binnenlande so geschieden,
daß sie jenen griechischen Inseln einigermaßen gleichgestellt werden
kann. Indes der allgemeinen geschichtlichen Auffassung fügen diese
Elemente der ungeheuren, unter dem Szepter der Kaiser vereinigten
Ländermasse wesentlich neue Züge nicht hinzu. Die kleineren Inseln,
früher und vollständiger hellenisiert als der Kontinent, gehören ihrem
Wesen nach mehr zum europäischen Griechenland als zum kleinasiatischen
Kolonialgebiet; wie denn des hellenischen Musterstaats Rhodos bei jenem
schon mehrfach gedacht worden ist. In dieser Epoche werden die Inseln
hauptsächlich genannt, insofern es in der Kaiserzeit üblich ward,
Männer aus den besseren Ständen zur Strafe nach denselben zu verbannen.
Man wählte, wo der Fall besonders schwer war, die Klippen wie Gyaros
und Donussa; aber auch Andros, Kythnos, Amorgos, einst blühende Zentren
griechischer Kultur, waren jetzt Strafplätze, während in Lesbos und
Samos nicht selten vornehme Römer und selbst Glieder des kaiserlichen
Hauses freiwillig längeren Aufenthalt nahmen. Kreta und Kypros, deren
alter Hellenismus unter der persischen Herrschaft oder auch in völliger
Isolierung die Fühlung mit der Heimat verloren hatte, ordneten sich,
Kypros als Dependenz Ägyptens, die kretischen Städte autonom, in der
hellenistischen und später in der römischen Epoche nach den allgemeinen
Formen der griechischen Politie. In den kyrenäischen Städten überwog
das System der Lagiden; wir finden in ihnen nicht bloß, wie in den
eigentlich griechischen, die hellenischen Bürger und Metöken, sondern
es stehen neben beiden, wie in Alexandreia die Ägypter, die “Bauern”,
das heißt die eingeborenen Afrikaner, und unter den Metöken bilden, wie
ebenfalls in Alexandreia, die Juden eine zahlreiche und privilegierte
Klasse.
Den Griechen insgemein hat auch das römische Kaiserregiment niemals
eine Vertretung gewährt. Die augustische Amphiktyonie beschränkte sich,
wie wir sahen, auf die Hellenen in Achaia, Epirus und Makedonien. Wenn
die hadrianischen Panhellenen in Athen sich als die Vertretung der
sämtlichen Hellenen gerierten, so haben sie doch in die übrigen
griechischen Provinzen nur insofern übergegriffen, als sie einzelnen
Städten in Asia sozusagen das Ehren-Hellenentum dekretierten; und daß
sie dies taten, zeigt erst recht, daß die auswärtigen Griechengemeinden
in jene Panhellenen keineswegs einbegriffen sind. Wenn in Kleinasien
von Vertretung oder Vertretern der Hellenen die Rede ist, so ist damit
in den vollständig hellenisch geordneten Provinzen Asia und Bithynia
der Landtag und der Landtagsvorsteher dieser Provinzen gemeint,
insofern diese aus den Deputierten der zu einer jeden derselben
gehörigen Städte hervorgehen und diese sämtlich griechische Politien
sind ^14; oder es werden in der nichtgriechischen Provinz Galatien die
neben dem galatischen Landtag stehenden Vertreter der in Galatien
verweilenden Griechen als Griechenvorsteher bezeichnet ^15.
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^14 Beschlüsse der επί τής Ασίας Έλληνες CIA 3487, 3957; ein Lykier
geehrt υπό τού κοινού τών επί τής Ασίας Ελλήνων καί υπό τών εν Παμφυλία
πόλεων O. Benndorf, Reisen in Lykien und Karien. Wien 1884. Bd. 1, S.
122; Schreiben an die Hellenen in Asia CIG 3832, 3833; ώ άνδρες
Έλληνες, in der Anrede an den Landtag von Pergamon (Aristeid. or. p.
517). Ein άρξας τού κοινού τών εν Βιθυνία Ελλήνων Perrot, Exploration,
S. 32; Schreiben des Kaisers Alexander an dasselbe (dig. 49, 1, 25).
Dio 51, 20: τοίς ξένοις, Έλληνας σφάς επικαλέσας, εαυτώ τινα, τοίς μέν
Ασιανοίς εν Περγάμω, τοίς δέ Βιθυνοίς εν Νικομεδεία τεμενίσαι επέτρεψε.
^15 Außer den Galatarchen (Marquardt, Staatsverwaltung. Bd. 1, S. 515)
begegnen uns in Galatien noch unter Hadrian Helladarchen (BCH 7, 1883,
S. 18), welche hier nur gefaßt werden können wie die Hellenarchen in
Tanais.
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Der städtischen Konföderation hatte die römische Regierung in
Kleinasien keine Veranlassung, besondere Hindernisse entgegenzustellen.
In römischer wie in vorrömischer Zeit haben neun Städte der Troas
gemeinschaftlich religiöse Verrichtungen vollzogen und
gemeinschaftliche Feste gefeiert ^16. Die Landtage der verschiedenen
kleinasiatischen Provinzen, welche hier wie in dem gesamten Reich als
feste Einrichtung von Augustus ins Leben gerufen sein werden, sind von
denen der übrigen Provinzen an sich nicht verschieden. Doch hat diese
Institution sich hier in eigenartiger Weise entwickelt oder vielmehr
denaturiert. Mit dem nächsten Zweck dieser Jahresversammlungen der
städtischen Deputierten einer jeden Provinz ^17, die Wünsche derselben
dem Statthalter oder der Regierung zur Kenntnis zu bringen und
überhaupt als Organ dieser Provinz zu dienen, verband sich hier zuerst
die jährliche Festfeier für den regierenden Kaiser und das Kaisertum
überhaupt: Augustus gestattete im Jahre 725 (29) den Landtagen von Asia
und Bithynien an ihren Versammlungsorten Pergamon und Nikomedeia, ihm
Tempel zu errichten und göttliche Ehre zu erweisen. Diese neue
Einrichtung dehnte sich bald auf das ganze Reich aus, und die
Verschmelzung der sakralen Institution mit der administrativen wurde
ein leitender Gedanke der provinzialen Organisation der Kaiserzeit.
Aber in Priester- und Festpomp und städtischen Rivalitäten hat diese
Einrichtung doch nirgends sich so entwickelt wie in der Provinz Asia
und analog in den übrigen kleinasiatischen Provinzen und nirgends also
neben und über die munizipale sich eine provinziale Ambition mehr noch
der Städte als der Individuen gestellt, wie sie in Kleinasien das
gesamte öffentliche Leben beherrscht. Der von Jahr zu Jahr in der
Provinz bestellte Hohepriester (αρχιερεύς) des neuen Tempels ist nicht
bloß der vornehmste Würdenträger der Provinz, sondern es wird auch in
der ganzen Provinz das Jahr nach ihm bezeichnet ^18. Das Fest- und
Spielwesen nach dem Muster der olympischen Feier, welches bei den
Hellenen allen, wie wir sahen, mehr und mehr um sich griff, knüpfte in
Kleinasien überwiegend an die Feste und Spiele des provinzialen
Kaiserkultus an. Die Leitung derselben fiel dem Landtagspräsidenten, in
Asia dem Asiarchen, in Bithynien dem Bithyniarchen und so weiter zu,
und nicht minder trug er hauptsächlich die Kosten des Jahrfestes,
obwohl ein Teil derselben, wie die übrigen dieses so glänzenden wie
loyalen Gottesdienstes, durch freiwillige Gaben und Stiftungen gedeckt
oder auch auf die einzelnen Städte repartiert wurden. Daher waren diese
Präsidenturen nur reichen Leuten zugänglich; die Wohlhabenheit der
Stadt Tralleis wird dadurch bezeichnet, daß an Asiarchen - der Titel
blieb auch nach Ablauf des Amtsjahrs - es nie daselbst fehle, die
Geltung des Apostels Paulus in Ephesos durch seine Verbindung mit
verschiedenen dortigen Asiarchen. Trotz der Kosten war dies eine viel
umworbene Ehrenstellung, nicht wegen der daran geknüpften Privilegien,
zum Beispiel der Befreiung von der Vormundschaft, sondern wegen ihres
äußeren Glanzes; der festliche Einzug in die Stadt, im Purpurgewand und
den Kranz auf dem Haupt, unter Vortritt der das Rauchfaß schwingenden
Prozessionsknaben, war im Horizont der Kleinasiaten, was bei den
Hellenen der Ölzweig von Olympia. Mehrfach rühmt sich dieser oder jener
vornehme Asiate, nicht bloß selber Asiarch gewesen zu sein, sondern
auch von Asiarchen abzustammen. Wenn sich dieser Kultus anfänglich auf
die Provinzialhauptstädte beschränkte, so sprengte die munizipale
Ambition, die namentlich in der Provinz Asia unglaubliche Verhältnisse
annahm, sehr bald diese Schranken. Hier wurde schon im Jahre 23 dem
damals regierenden Kaiser Tiberius sowie seiner Mutter und dem Senat
ein zweiter Tempel von der Provinz dekretiert und nach langem Hader der
Städte durch Beschluß des Senats in Smyrna errichtet. Die anderen
größeren Städte folgten bei späteren Gelegenheiten nach ^19. Hatte bis
dahin die Provinz wie nur einen Tempel, so auch nur einen Vorsteher und
einen Oberpriester gehabt, so mußten jetzt nicht bloß so viele
Oberpriester bestellt werden, als es Provinzialtempel gab, sondern es
wurden auch, da die Leitung des Tempelfestes und die Ausrichtung der
Spiele nicht dem Oberpriester, sondern dem Landesvorsteher zustand und
es den rivalisierenden Großstädten hauptsächlich um die Feste und
Spiele zu tun war, sämtlichen Oberpriestern zugleich der Titel und das
Recht der Vorsteherschaft gegeben, so daß wenigstens in Asia die
Asiarchie und das Oberpriestertum der Provinzialtempel zusammenfielen
^20. Damit traten der Landtag und die bürgerlichen Geschäfte, von
welchen die Institution ihren Ausgang genommen hatte, in den
Hintergrund; der Asiarch war bald nichts mehr als der Ausrichter eines
an die göttliche Verehrung der gewesenen und des gegenwärtigen Kaisers
angeknüpften Volksfestes, weshalb dann auch die Gemahlin desselben, die
Asiarchin, sich an der Feier beteiligen durfte und eifrig beteiligte.
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^16 Das συνέδριον τών εννέα δήμων (H. Schliemann, Troja. Leipzig 1883,
S. 256) nennt sich anderswo Ιλιείς καί πόλεις αι κοινονούσαι τής θυσίας
καί τοί αγώνος καί τής πανεγύρεως (daselbst, S. 254). Ein anderes
Dokument desselben Bundes aus der Zeit des Antigonos bei J. G. Droysen,
Geschichte des Hellenismus. 2. Aufl. Gotha 1877. Bd. 2, S. 382ff.
Ebenso werden andere κοινά zu fassen sein, die auf einen engeren Kreis
als die Provinz sich beziehen, wie das alte der dreizehn ionischen
Städte, das der Lesbier (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 516),
das der Phrygier auf den Münzen von Apameia. Ihre magistratischen
Präsidenten haben auch diese gehabt, wie denn kürzlich sich ein
Lesbiarch gefunden hat (Marquardt, a. a.Ο.) und ebenso die mösischen
Hellenen unter einem Pontarchen standen. Doch ist es nicht
unwahrscheinlich, daß, wo der Archontat genannt wird, der Bund mehr ist
als eine bloße Festgenossenschaft; die Lesbier sowohl wie die mösischen
Fünfstädte mögen einen besonderen Landtag gehabt haben, dem diese
Beamten vorstanden. Dagegen ist das κοινόν τού Υργαλέου πεδίου (W. M.
Ramsay, Cities and bishoprics of Phrygia. Oxford 1895, S. 10), das
neben mehreren δήμοι steht, eine des Stadtrechts entbehrende
Quasi-Gemeinde.
^17 Am deutlichsten tritt die Zusammensetzung der kleinasiatischen
Landtage hervor in Strabons (14, 3, 3 p. 664) Bericht über die
Lykiarchie und bei Aristeides’ (or. 26 p. 344) Erzählung seiner Wahl zu
einem der asiatischen Provinzialpriestertümer.
^18 Beispiele für Asia: CIG 3487; für Lykien: Benndorf, Reisen, Bd. 1,
S. 71. Die lykische Bundesversammlung aber bezeichnet die Jahre nicht
nach dem Archiereus, sondern nach dem Lykiarchen.
^19 Tac. ann. 4, 15 u. 55. Die Stadt, welche einen von dem Landtag der
Provinz (dem κοινόν τής Ασίας usw.) gewidmeten Tempel besitzt, fahrt
deswegen das Ehrenprädikat der den (Kaiser-) Tempel hütenden”
(νεωκόρος); und wenn eine deren mehrere aufzuweisen hat, wird die Zahl
beigesetzt. Man kann an diesem Institut deutlich erkennen, wie der
Kaiserkultus seine volle Ausbildung in Kleinasien erhalten hat. Der
Sache nach ist das Neokorat allgemein, auf jede Gottheit und jede Stadt
anwendbar; titular, als Ehrenbeiname der Stadt, begegnet es mit
verschwindenden Ausnahmen allein in dem kleinasiatischen Kaiserkultus -
nur einige griechische Städte der Nachbarprovinzen, wie Tripolis in
Syrien, Thessalonike in Makedonien haben darin mitgemacht.
^20 So wenig die ursprüngliche Verschiedenheit der Landtagspräsidentur
und des provinzialen Oberpriestertums für den Kaiserkultus in Zweifel
gezogen werden kann, so tritt doch nicht bloß bei jener der in Hellas,
von wo die Organisation der κοινά überhaupt ausgeht, noch deutlich
erkennbare magistratische Charakter des Vorstehers in Kleinasien völlig
zurück, sondern es scheint hier in der Tat da, wo das κοινόν mehrere
sakrale Mittelpunkte hat, der Ασιάρχης und der αρχιερεύς τής Ασίας sich
verschmolzen zu haben. Die das bürgerliche Amt scharf akzentuierende
Titulatur στρατηγός führt der Präsident des κοινόν in Kleinasien nie,
auch άρξας τού κοινού (Anm. 14) oder τού έθνους (CIG 4380 k4 p. 1168)
ist selten; die Komposita Ασιάρχης, Λυκιάρχης, analog dem Ελλαδάρχης
von Achaia, sind schon zu Strabons Zeit die gebräuchliche Bezeichnung.
Daß in den kleineren Provinzen, wie Galatien und Lykien der Archon und
der Archiereus der Provinz getrennt geblieben sind, ist gewiß. Aber in
Asien ist das Vorhandensein von Asiarchen für Ephesos und Smyrna
inschriftlich festgestellt (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 1, S.
514), während es doch nach dem Wesen der Institution nur einen
Asiarchen für die ganze Provinz geben konnte. Auch ist hier die
Agonothesie des Archiereus beglaubigt (Galenus zum Hippokrates, usu.
part. 18, 2 p. 567 Kühn: παρ' ημίν εν Περγάμω τών αρχιερέων τάς
καλουμένας μονομαχίας επιτελούντων), während eben sie das Wesen des
Asiarchats ist. Allem Anschein nach haben die Rivalitäten der Städte
hier dahin geführt, daß, nachdem es mehrere von der Provinz gewidmete
Kaisertempel in verschiedenen Städten gab, die Agonothesie dem
effektiven Landtagspräsidenten genommen und dafür dem Oberpriester
jedes Tempels der titulare Asiarchat und die Agonothesie übertragen
ward. Dann erklärt sich auf den Münzen der dreizehn ionischen Städte
(Mionnet, Bd. 3, 61, 1) der Ασιάρχης καί αρχιερεύς ιγ' πόλεων und kann
auf ephesischen Inschriften derselbe Ti. Iulius Reginus bald Ασιάρχης
β' ναών τών εν Εφέσω (Wood, Inscriptions from the great theatre, n.
18), bald αρχιερεύς β' ναών τών εν Εφέσω (daselbst, n. 8, 14, ähnlich
9) genannt werden. Nur auf diese Weise sind auch die Institutionen des
vierten Jahrhunderts zu begreifen. Hier erscheint in jeder Provinz ein
Oberpriester, in Asia mit dem Titel des Asiarchen, in Syrien mit dem
des Syriarchen und so weiter. Wenn die Verschmelzung des Archon und des
Archiereus in der Provinz Asia schon früher begonnen hatte, so lag
nichts näher, als sie jetzt bei der Verkleinerung der Provinzen äberall
in dieser Weise zu kombinieren.
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Auch eine praktische und in Kleinasien durch das hohe Ansehen dieser
Institution gesteigerte Bedeutung mag das provinziale Oberpriestertum
für den Kaiserkultus gehabt haben durch die damit verknüpfte religiöse
Oberaufsicht. Nachdem der Landtag den Kaiserkultus einmal beschlossen
und die Regierung eingewilligt hatte, folgten selbstverständlich die
städtischen Vertretungen nach; in Asia hatten bereits unter Augustus
wenigstens alle Vororte der Gerichtssprengel ihr Caesareum und ihr
Kaiserfest ^21. Recht und Pflicht des Oberpriesters war es, in seinem
Sprengel die Ausführung dieser provinzialen und munizipalen Dekrete und
die Übung des Kultus zu überwachen; was dies zu bedeuten hatte,
erläutert die Tatsache, daß der freien Stadt Kyzikos in Asia unter
Tiberius die Autonomie unter anderem auch darum aberkannt ward, weil
sie den dekretierten Bau des Tempels des Gottes Augustus hatte
liegenlassen -vielleicht eben, weil sie als freie Stadt nicht unter dem
Landtag stand. Wahrscheinlich hat sogar diese Oberaufsicht, obwohl sie
zunächst dem Kaiserkultus galt, sich auf die Religionsangelegenheiten
überhaupt erstreckt ^22. Als dann der alte und der neue Glaube im
Reiche um die Herrschaft zu ringen begannen, ist deren Gegensatz wohl
zunächst durch das provinziale Oberpriestertum zum Konflikt geworden.
Diese aus den vornehmen Provinzialen von dem Landtag der Provinz
bestellten Priester waren durch ihre Traditionen wie durch ihre
Amtspflichten weit mehr als die Reichsbeamten berufen und geneigt, auf
Vernachlässigung des anerkannten Gottesdienstes zu achten und, wo
Abmahnung nicht half, da sie selber eine Strafgewalt nicht hatten, die
nach bürgerlichem Recht strafbare Handlung bei den Orts- oder den
Reichsbehörden zur Anzeige zu bringen und den weltlichen Arm zu Hilfe
zu rufen, vor allem den Christen gegenüber die Forderungen des
Kaiserkultus geltend zu machen. In der späteren Zeit schreiben die
altgläubigen Regenten diesen Oberpriestern sogar ausdrücklich vor,
selbst und durch die ihnen unterstellten städtischen Priester die
Kontraventionen gegen die bestehende Glaubensordnung zu ahnden und
weisen denselben genau die Rolle zu, welche unter den Kaisern des neuen
Glaubens der Metropolit und seine städtischen Bischöfe einnehmen ^23.
Wahrscheinlich hat hier nicht die heidnische Ordnung die christlichen
Institutionen kopiert, sondern umgekehrt die siegende christliche
Kirche ihr hierarchisches Rüstzeug dem feindlichen Arsenal entnommen.
Alles dies galt, wie bemerkt, für das ganze Reich; aber die sehr
praktischen Konsequenzen der provinzialen Regulierung des Kaiserkultus,
die religiöse Aufsichtführung und die Verfolgung der Andersgläubigen,
sind vorzugsweise in Kleinasien gezogen worden.
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^21 CIG 3902b.
^22 Dion von Prusa (or. 35 p. 66 R.) nennt die Asiarchen und die
analogen Archonten (ihre Agonothesie bezeichnet er deutlich, und auf
sie führen auch die verdorbenen Worte τούς επονύμους τών δύο ηπείρων
τής εσπέρας όλης, wofür wohl zu schreiben ist τής ετέρας όλης) τούς
απάντων άρχοντας τών ιερέων. Es fehlt bekanntlich bei der Bezeichnung
der Provinzialpriester fast stehend die ausdrückliche Beziehung auf den
Kaiserkult; wenn sie in ihren Sprengeln die Rolle spielen sollten wie
der Pontifex maximus in Rom, so hatte das seinen guten Grund.
^23 Maximinus stellte zu diesem Zweck dem Oberpriester der einzelnen
Provinz militärische Hilfe zur Verfügung (Eus. hist. eccl. 8, 14, 9);
und der berühmte Brief Julians (epist. 49; vgl. epist. 63) an den
damaligen Galatarchen gibt ein deutliches Bild der Obliegenheiten
desselben. Er soll das ganze Religionswesen der Provinz beaufsichtigen;
dem Statthalter gegenüber seine Selbständigkeit wahren, nicht bei ihm
antichambrieren, ihm nicht gestatten mit militärischer Eskorte im
Tempel aufzutreten, ihn nicht vor, sondern in dem Tempel empfangen,
innerhalb dessen er der Herr und der Statthalter Privatmann ist; von
den Unterstützungen, die die Regierung für die Provinz ausgeworfen hat
(30000 Scheffel Getreide und 60000 Sextarien Wein) den fünften Teil an
die in die Klientel der heidnischen Priester tretenden Armen spenden,
das Übrige sonst zu mildtätigen Zwecken verwenden; in jeder Stadt der
Provinz womöglich mit Beihilfe der Privaten Verpflegungshäuser
(ξενοδοχεία) nicht bloß für Heiden, sondern für jedermann ins Leben
rufen und den Christen nicht ferner das Monopol der guten Werke
gestatten; die sämtlichen Priester der Provinz durch Beispiel und
Ermahnung überhaupt zum gottesfürchtigen Wandel und zur Vermeidung des
Besuchs der Theater und der Schenken anhalten und insbesondere zum
fleißigen Besuch der Tempel mit ihrer Familie und ihrem Gesinde oder,
wenn sie nicht zu bessern sind, sie absetzen. Es ist ein Hirtenbrief in
bester Form, nur mit veränderter Adresse und mit Zitaten aus Homer
statt aus der Bibel. So deutlich diese Anordnungen den Stempel des
bereits zusammenbrechenden Heidentums an sich tragen und so gewiß sie
in dieser Ausdehnung der früheren Epoche fremd sind, so erscheint doch
das Fundament, die allgemeine Oberaufsicht des Oberpriesters der
Provinz über das Kultwesen, keineswegs als eine neue Einrichtung.
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Neben dem Kaiserkultus fand auch die eigentliche Gottesverehrung in
Kleinasien in bevorzugter Weise ihre Statt und namentlich alle ihre
Auswüchse eine Freistatt. Das Unwesen der Asyle und der Wunderkuren
hatte ganz besonders hier seinen Sitz. Unter Tiberius wurde die
Beschränkung der ersteren vom römischen Senat angeordnet; der Heilgott
Asklepios tat nirgends mehr und größere Wunder als in seiner
vielgeliebten Stadt Pergamon, die ihn geradezu als Zeus Asklepios
verehrte und ihre Blüte in der Kaiserzeit zum guten Teil ihm verdankte.
Die wirksamsten Wundertäter der Kaiserzeit, der später kanonisierte
Kappadokier Apollonios von Tyana, sowie der paphlagonische Drachenmann
Alexandros von Abonuteichos sind Kleinasiaten. Wenn das allgemeine
Verbot der Assoziationen, wie wir sehen werden, in Kleinasien mit
besonderer Strenge durchgeführt ward, so wird die Ursache wohl
hauptsächlich in den religiösen Verhältnissen zu suchen sein, die den
Mißbrauch solcher Vereinigungen dort besonders nahelegten.
Die öffentliche Sicherheit ruhte im wesentlichen auf dem Lande selbst.
In der früheren Kaiserzeit stand, abgesehen von dem das östliche
Kilikien einschließenden syrischen Kommando, in ganz Kleinasien nur ein
Detachement von 5000 Mann Auxiliartruppen, die in der Provinz Galatien
garnisonierten ^24, nebst einer Flotte von 40 Schiffen; es war dies
Kommando bestimmt, teils die unruhigen Pisidier niederzuhalten, teils
die nordöstliche Reichsgrenze zu decken und die Küste des Schwarzen
Meeres bis zur Krim unter Aufsicht zu halten. Vespasian brachte diese
Truppe auf den Stand eines Armeekorps von zwei Legionen und legte deren
Stäbe in die Provinz Kappadokien an den oberen Euphrat. Außer diesen
für die Grenzhut bestimmten Mannschaften gab es damals namhafte
Garnisonen in Vorderasien nicht; in der kaiserlichen Provinz Lykien und
Pamphylien zum Beispiel stand eine einzige Kohorte von 500 Mann, in den
senatorischen Provinzen höchstens einzelne aus der kaiserlichen Garde
oder aus den benachbarten Kaiserprovinzen zu speziellen Zwecken
abkommandierte Soldaten ^25. Wenn dies einerseits für den inneren
Frieden dieser Provinzen auf das nachdrücklichste zeugt und den
ungeheuren Abstand der kleinasiatischen Bürgerschaften von den ewig
unruhigen Hauptstädten Syriens und Ägyptens deutlich vor Augen führt,
so erklärt es andererseits die schon in anderer Verbindung
hervorgehobene Stabilität des Räuberwesens in dem durchaus gebirgigen
und im Innern zum Teil öden Lande, namentlich an der
mysisch-bithynischen Grenze und in den Bergtälern Pisidiens und
Isauriens. Eigentliche Bürgerwehren gab es in Kleinasien nicht. Trotz
des Florierens der Turnanstalten für Knaben, Jünglinge und Männer
blieben die Hellenen dieser Zeit in Asia so unkriegerisch wie in Europa
^26. Man beschränkte sich darauf, für die Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sicherheit städtische Eirenarchen, Friedensmeister, zu
kreieren und ihnen eine Anzahl zum Teil berittener städtischer
Gendarmen zur Verfügung zu stellen, gedungene Mannschaften von geringem
Ansehen, welche aber doch brauchbar gewesen sein müssen, da Kaiser
Marcus es nicht verschmähte, bei dem bitteren Mangel an gedienten
Leuten während des Markomannenkrieges diese kleinasiatischen
Stadtsoldaten in die Reichstruppen einzureihen ^27.
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^24 Diese Truppe kann nach der Stellung bei Josephus (bel. Iud. 2,16,
4) zwischen den nicht mit Garnison belegten Provinzen Asia und
Kappadokien nur auf Galatien bezogen werden. Natürlich gab sie auch die
Detachements, welche in den abhängigen Gebieten am Kaukasus standen,
damals -unter Nero- wie es scheint, auch die auf dem Bosporus selbst
stehenden, wobei freilich auch das mösische Korps beteiligt war.
^25 Prätorianer stationaribus Ephesi: Eph. epigr. IV, n. 70. Ein Soldat
in statione Nicomedensi: Plin. ep. ad Trai. 74. Ein Legionarcenturio in
Byzantium: daselbst 77, 78.
^26 In dem kleinasiatischen Munizipalwesen kommt alles vor, nur nicht
das Waffenwesen. Der smyrnäische στρατηγός επί τών όπλων ist natürlich
eine Reminiszenz so gut wie der Kultus des Herakles οπλοφύλαξ (CIG
3162).
^27 Der Eirenarch von Smyrna sendet, um den Polykarpos zu verhaften,
diese Gendarmen aus: εξήλθων διογμίται καί ιππείς μετά τών συνήθων
αυτοίς όπλων, ως επί ληστήν τρέχοντες (Acta mart., S. 39). Daß sie
nicht die eigentliche soldatische Rüstung hatten, wird auch sonst
bemerkt (Amm. 27, 9, 6: adbibitis semiermibus quibusdam - gegen die
Isaurer - quos diogmitas appellaut). Von ihrer Verwendung im
Markomannenkrieg berichtet der Biograph des Marcus c. 26: armavit et
diogmitas und die Inschrift von Aezani in Phrygien CIG 3031 a 8 =
Lebas-Waddington 992: παρασχών τώ κυρω Καίσαρι σύμμαχον διωγμείτην παρ'
εαυτού.
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Die Justizpflege sowohl der städtischen Behörden wie der Statthalter
ließ auch in dieser Epoche vieles zu wünschen übrig; doch bezeichnet
das Eintreten der Kaiserherrschaft darin eine Wendung zum Besseren. Das
Eingreifen der Reichsgewalt hatte unter der Republik sich auf die
strafrechtliche Kontrolle der Reichsbeamten beschränkt und diese
besonders in späterer Zeit schwächlich und parteiisch geübt oder
vielmehr nicht geübt. Jetzt wurden nicht bloß in Rom die Zügel schärfer
angezogen, indem die strenge Beaufsichtigung der eigenen Beamten von
dem einheitlichen Militärregiment unzertrennlich war und auch der
Reichssenat zu schärferer Überwachung der Amtspflege seiner Mandatare
veranlaßt wurde, sondern es wurde jetzt möglich, die Mißgriffe der
Provinzialgerichte im Wege der neu eingeführten Appellation zu
beseitigen oder auch, wo unparteiisches Gericht in der Provinz nicht
erwartet werden konnte, den Prozeß nach Rom vor das Kaisergericht zu
ziehen ^28. Beides kam auch den senatorischen Provinzen zugute und ist
allem Anschein nach überwiegend als Wohltat empfunden worden.
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^28 In Knidos (BCH 7, 1883, S. 62) hatten im Jahre 741/42 (13/12)
einige, wie es scheint, angesehene Bürger das Haus eines ihnen
persönlich Verfeindeten drei Nächte hindurch gestürmt; bei der Abwehr
hatte einer der Sklaven des belagerten Hauses durch ein aus dem Fenster
geworfenes Gefäß den einen der Angreifer getötet. Die Besitzer des
belagerten Hauses wurden darauf des Totschlags angeklagt,
perhorreszierten aber, da sie die öffentliche Meinung gegen sich
hatten, das städtische Gericht und verlangten die Entscheidung durch
den Spruch des Kaisers Augustus. Dieser ließ die Sache durch einen
Kommissar untersuchen und sprach die Angeklagten frei, wovon er die
Behörde in Knidos in Kenntnis setzte mit der Bemerkung, daß sie die
Angelegenheit nicht unparteiisch behandelt hätten, und sie anwies, sich
nach seinem Spruche zu verhalten. Das ist allerdings, da Knidos eine
freie Stadt war, ein Eingreifen in deren souveräne Rechte, wie auch in
Athen Appellation an den Kaiser und sogar an den Prokonsul in
hadrianischer Zeit statthaft war. Aber wer die Justizverhältnisse einer
Griechenstadt dieser Epoche und dieser Stellung erwägt, wird nicht
zweifeln, daß durch derartiges Eingreifen wohl mancher ungerechte
Spruch veranlaßt, aber viel häufiger ein solcher verhindert ward.
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Wie bei den Hellenen Europas, so ist in Kleinasien die römische Provinz
wesentlich ein Komplex städtischer Gemeinden. Wie in Hellas werden auch
hier die überkommenen Formen der demokratischen Politie im allgemeinen
festgehalten, die Beamten zum Beispiel auch ferner von den
Bürgerschaften gewählt, überall aber der bestimmende Einfluß in die
Hände der Begüterten gelegt und dem Belieben der Menge so wie dem
ernstlichen politischen Ehrgeiz kein Spielraum gestattet. Unter den
Beschränkungen der munizipalen Autonomie ist den kleinasiatischen
Städten eigentümlich, daß den schon erwähnten Eirenarchen, den
städtischen Polizeimeister, späterhin der Statthalter aus einer von dem
Rat der Stadt aufgestellten Liste von zehn Personen ernannte. Die
Regierungskuratel der städtischen Finanzverwaltung, die kaiserliche
Bestellung eines nicht der Stadt selbst angehörigen Vermögenspflegers
(curator rei publicae, λογιστής), dessen Konsens die städtischen
Behörden bei wichtigeren Vermögenshandlungen einzuholen haben, ist
niemals allgemein, sondern nach Bedürfnis für diese oder jene Stadt
angeordnet worden, in Kleinasien aber entsprechend der Bedeutung seiner
städtischen Entwicklung besonders früh, das heißt seit dem Anfang des
2. Jahrhunderts, und besonders umfassend eingetreten. Wenigstens im 3.
Jahrhundert mußten auch hier wie anderswo sonstige wichtige Beschlüsse
der Gemeindeverwaltung dem Statthalter zur Bestätigung unterbreitet
werden. Uniformierung der Gemeindeverfassung hat die römische Regierung
nirgends und am wenigsten in den hellenischen Landschaften
durchgeführt; auch in Kleinasien herrschte darin große Mannigfaltigkeit
und vermutlich vielfach das Belieben der einzelnen Bürgerschaften,
obwohl für die derselben Provinz angehörigen Gemeinden das eine jede
Provinz organisierende Gesetz allgemeine Normen vorschrieb. Was der Art
von Institutionen als in Kleinasien verbreitet und vorherrschend diesem
Landesteil eigentümlich angesehen werden kann, trägt keinen politischen
Charakter, sondern ist nur etwa für die sozialen Verhältnisse
bezeichnend, wie die über ganz Kleinasien verbreiteten Verbände teils
der älteren, teils der jüngeren Bürger, die Gerusia und die Neoi,
Ressourcen für die beiden Altersklassen mit entsprechenden Turnplätzen
und Festen ^29. Autonome Gemeinden gab es in Kleinasien von Haus aus
bei weitem weniger als in dem eigentlichen Hellas, und namentlich die
bedeutendsten kleinasiatischen Städte haben diese zweifelhafte
Auszeichnung niemals gehabt oder doch früh verloren, wie Kyzikos unter
Tiberius, Samos durch Vespasian. Kleinasien war eben altes
Untertanengebiet und unter den persischen wie unter den hellenischen
Herrschern an monarchische Ordnung gewöhnt; weniger als in Hellas
führte hier unnützes Erinnern und unklares Hoffen hinaus über den
beschränkten munizipalen Horizont der Gegenwart, und nicht vieles der
Art störte den friedlichen Genuß des unter den bestehenden
Verhältnissen möglichen Lebensglückes.
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^29 Die in kleinasiatischen Inschriften oft erwähnte Gerusia hat mit
der von Lysimachos in Ephesos getroffenen gleichnamigen politischen
Einrichtung (Strab. 14, 1, 21 p. 640; Wood, Ephesus. Inscriptions from
the temple of Diana, n. 19) nichts weiter gemein; den Charakter
derselben in römischer Zeit bezeichnet teils Vitruvius (2, 8, 10):
Croesi (damum) Sardiani civibus ad requiescendum aetatis otio seniorum
collegio gerusiam dedicaverunt, teils die in der lykischen Stadt Sidyma
kürzlich gefundene Inschrift (Benndorf, Reisen, Bd. 1, S. 71), wonach
Rat und Volk beschließen, wie das Gesetz es fordert, eine Gerusia
einzurichten und in diese 50 Buleuten und 50 andere Bürger einzuwählen,
welche dann einen Gymnasiarchen der neuen Gerusia bestellen. Dieser
auch sonst begegnende Gymnasiarch sowie der Hymnode der Gerusia
(Menadier, Qua condicione Ephesii usi sint, p. 51) sind unter den uns
bekannten Ämtern dieser Körperschaft die einzigen für ihre
Beschaffenheit charakteristischen. Analog, aber weniger angesehen, sind
die Kollegien der νέοι die auch ihre eigenen Gymnasiarchen haben. Zu
den beiden Aufsehern der Turnplätze für die erwachsenen Bürger machen
den Gegensatz die Gymnasiarchen der Epheben (Menadier, p. 91).
Gemeinschaftliche Mahlzeiten und Feste (auf die der Hymnode sich
bezieht) fehlten natürlich namentlich bei der Gerusia nicht. Sie ist
keine Armenversorgung, aber auch kein der munizipalen Aristokratie
reserviertes Kollegium charakteristisch für die Weise des bürgerlichen
Verkehrs der Griechen, bei welchen der Turnplatz etwa ist, was in
unseren kleinen Städten die Bürgercasinos.
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Solchen Lebensglückes gab es in Kleinasien unter dem römischen
Kaiserregiment die Fülle. “Keine Provinz von allen”, sagt ein in Smyrna
unter den Antoninen lebender Schriftsteller, “hat so viele Städte
aufzuweisen wie die unsrige und keine solche wie unsere größten. Ihr
kommen zugute die reizende Gegend, die Gunst des Klimas, die
mannigfaltigen Produkte, die Lage im Mittelpunkt des Reiches, ein Kranz
ringsum befriedeter Völker, die gute Ordnung, die Seltenheit der
Verbrechen, die milde Behandlung der Sklaven, die Rücksicht und das
Wohlwollen der Herrscher.” Asia hieß, wie schon gesagt ward, die
Provinz der fünfhundert Städte, und wenn das wasserlose, zum Teil nur
zur Weide geeignete Binnenland Phrygiens, Lykaoniens, Galatiens,
Kappadokiens auch in jener Zeit nur dünn bevölkert war, stand die
übrige Küste hinter Asia nicht weit zurück. Die dauernde Blüte der
kulturfähigen Landschaften Kleinasiens erstreckt sich nicht bloß auf
die Städte glänzenden Namens, wie Ephesos, Smyrna, Laodikeia, Apameia;
wo immer ein von der Verwüstung der anderthalb Jahrtausende, die uns
von jener Zeit trennen, vergessener Winkel des Landes sich der
Forschung erschließt, da ist das erste und das mächtigste Gefühl das
Entsetzen, fast möchte man sagen die Scham über den Kontrast der
elenden und jammervollen Gegenwart mit dem Glück und dem Glanz der
vergangenen Römerzeit. Auf einer abgelegenen Bergspitze unweit der
lykischen Küste, da, wo nach der griechischen Fabel die Chimaera
hauste, lag das alte Kragos, wahrscheinlich nur aus Balken und
Lehmziegeln gebaut und darum spurlos verschwunden bis auf die
zyklopische Festungsmauer am Fuß des Hügels. Unter der Kuppe breitet
ein anmutiges fruchtbares Tal sich aus, mit frischer Alpenluft und
südlicher Vegetation, umgeben von Wald- und wildreichen Bergen. Als
unter Kaiser Claudius Lykien Provinz ward, verlegte die römische
Regierung die Bergstadt, das “grüne Kragos” des Horaz, in diese Ebene;
auf dem Marktplatz der neuen Stadt Sidyma stehen noch die Reste des
viersäuligen, dem Kaiser damals gewidmeten Tempels und einer
stattlichen Säulenhalle, welche ein von dort gebürtiger, als Arzt zu
Vermögen gelangter Bürger in seiner Vaterstadt baute. Statuen der
Kaiser und verdienter Mitbürger schmückten den Markt; es gab in der
Stadt einen Tempel ihrer Schutzgötter, der Artetuis und des Apollon,
Bäder, Turnanstalten (γυμνάσια) für die ältere wie für die jüngere
Bürgerschaft; von den Toren zogen sich an der Hauptstraße, die steil am
Gebirge hinab nach dem Hafen Kalabatia führte, zu beiden Seiten Reihen
hin von steinernen Grabmonumenten, stattlicher und kostbarer als die
Pompeiis und großenteils noch aufrecht, während die vermutlich wie die
der Altstadt aus vergänglichem Material gebauten Häuser verschwunden
sind. Auf den Stand und die Art der einstmaligen Bewohner gestattet
einen Schluß ein kürzlich dort aufgefundener, wahrscheinlich unter
Commodus gefaßter Gemeindebeschluß über die Konstituierung der
Ressource für die älteren Bürger; dieselbe wurde zusammengesetzt aus
hundert zur Hälfte dem Stadtrat, zur Hälfte der übrigen Bürgerschaft
entnommenen Mitgliedern, darunter nicht mehr als drei Freigelassene und
ein Bastardkind, alle übrigen in rechter Ehe erzeugt und zum Teil
nachweislich alten und wohlhabenden Bürgerhäusern angehörig. Einzelne
dieser Familien sind zum römischen Bürgerrecht gelangt, eine sogar in
den Reichssenat. Aber auch im Ausland blieb dieses senatorische Haus
sowohl wie verschiedene aus Sidyma gebürtige auswärts und selbst am
kaiserlichen Hof beschäftigte Ärzte der Heimat eingedenk, und mehrere
derselben haben ihr Leben daselbst beschlossen; einer dieser
angesehenen Stadtbürger hat in einem nicht gerade vortrefflichen, aber
sehr gelehrten und sehr patriotischen Elaborat die Legenden der Stadt
und die sie betreffenden Weissagungen zusammengefaßt und diese
Memorabilien öffentlich aufstellen lassen. Dies Kragos-Sidyma stimmte
auf dem Landtag der kleinen lykischen Provinz nicht unter den Städten
erster Klasse, war ohne Theater, ohne Ehrentitel und ohne jene
allgemeinen Feste, die in der damaligen Welt die Großstadt bezeichnen,
auch nach der Auffassung der Alten eine kleine Provinzialstadt und
durchaus eine Schöpfung der römischen Kaiserzeit. Aber im ganzen
Vilajet Aidin ist heute kein Binnenort, der für zivilisierte Existenz
auch nur entfernt diesem Bergstädtchen, wie es war, an die Seite
gestellt werden könnte. Was in diesem abgeschiedenen Fleck noch heute
leben dig vor Augen steht, das ist in einer ungezählten Menge anderer
Städte unter der verwüstenden Menschenhand bis auf geringe Reste oder
auch spurlos verschwunden. Einen gewissen Überblick dieser Fülle
gewährt die den Städten in Kupfer freigegebene Münzprägung der
Kaiserzeit: keine Provinz kann in der Zahl der Münzstätten und der
Mannigfaltigkeit der Darstellungen sich auch nur von weitem mit Asia
messen.
Freilich fehlt diesem Aufgehen aller Interessen in der heimatlichen
Kleinstadt die Kehrseite so wenig in Kleinasien wie bei den
europäischen Griechen. Was über deren Gemeindeverwaltung gesagt ist,
gilt in der Hauptsache auch hier. Der städtischen Finanzwirtschaft, die
sich ohne rechte Kontrolle weiß, fehlt Stetigkeit und Sparsamkeit und
oft selbst die Ehrlichkeit; bei den Bauten werden bald die Kräfte der
Stadt überschritten, bald auch das Nötigste unterlassen; die kleineren
Bürger gewöhnen sich an die Spenden der Stadtkasse oder der vermögenden
Leute, an das freie Öl in den Bädern, an Bürgerschmäuse und
Volksbelustigungen aus fremder Tasche, die guten Häuser an die Klientel
der Menge mit ihren demütigen Huldigungen, ihren Bettelintrigen, ihren
Spaltungen; Rivalitäten bestehen wie zwischen Stadt und Stadt, so in
jeder Stadt zwischen den einzelnen Kreisen und den einzelnen Häusern;
die Bildung von Armenvereinen und von freiwilligen Feuerwehren, wie sie
im Okzident überall bestanden, wagt die Regierung in Kleinasien nicht
einzuführen, weil das Faktionswesen hier sich jeder Assoziation sofort
bemächtigt. Der stille See wird leicht zum Sumpf, und das Fehlen des
großen Wellenschlags der allgemeinen Interessen ist auch in Kleinasien
deutlich zu spüren.
Kleinasien, insbesondere Vorderasien, war eines der reichsten Gebiete
des großen Römerstaats. Wohl hatte das Mißregiment der Republik, die
dadurch hervorgerufenen Katastrophen der mithradatischen Zeit, dann das
Piratenunwesen, endlich die vieljährigen Bürgerkriege, welche
finanziell wenige Provinzen so schwer betroffen hatten wie diese, die
Vermögensverhältnisse der Gemeinden und der Einzelnen daselbst so
vollständig zerrüttet, daß Augustus zu dem äußersten Mittel der
Niederschlagung aller Schuldforderungen griff; auch machten mit
Ausnahme der Rhodier alle Asiaten von diesem gefährlichen Heilmittel
Gebrauch. Aber das wiedereintretende Friedensregiment glich vieles aus.
Nicht überall - die Inseln des Ägäischen Meers zum Beispiel haben sich
nie seitdem wieder erholt -, aber in den meisten Orten waren, schon als
Augustus starb, die Wunden wie die Heilmittel vergessen, und in diesem
Zustand blieb das Land drei Jahrhunderte bis auf die Epoche der
Gotenkriege. Die Summen, zu welchen die Städte Kleinasiens angesetzt
waren und die sie selbst, allerdings unter Kontrolle des Statthalters,
zu repartieren und aufzubringen hatten, bildeten eine der bedeutendsten
Einnahmequellen der Reichskasse. Wie die Steuerlast sich zu der
Leistungsfähigkeit der Besteuerten verhielt, vermögen wir nicht zu
konstatieren; eigentliche dauernde Überbürdung aber verträgt sich nicht
mit den Zuständen, in denen wir das Land bis gegen die Mitte des 3.
Jahrhunderts finden. Mehr vielleicht noch die Schlaffheit des Regiments
als absichtliche Schonung mag die fiskalische Beschränkung des Verkehrs
und die nicht bloß für den Besteuerten unbequeme Anziehung der
Steuerschraube in Schranken gehalten haben. Bei großen Kalamitäten,
namentlich bei den Erdbeben, welche unter Tiberius zwölf blühende
Städte Asias, vor allem Sardes, unter Pius eine Anzahl karischer und
lykischer und die Inseln Kos und Rhodos entsetzlich heimsuchten, trat
die Privat- und vor allem die Reichshilfe mit großartiger Freigebigkeit
ein und spendete den Kleinasiaten den vollen Segen des Großstaats, die
Samtverbürgung aller für alle. Der Wegebau, den die Römer bei der
ersten Einrichtung der Provinz Asia durch Manius Aquillius in Angriff
genommen hatten, ist in der Kaiserzeit in Kleinasien nur da ernstlich
gefördert worden, wo größere Besatzungen standen, namentlich in
Kappadokien und dem benachbarten Galatien, seit Vespasian am mittleren
Euphrat Legionslager eingerichtet hatte ^30. In den übrigen Provinzen
ist dafür nicht viel geschehen, zum Teil ohne Zweifel in Folge der
Schlaffheit des senatorischen Regiments; wo immer hier Wege von
Staatswegen gebaut wurden, geschah es auf kaiserliche Anordnung ^31.
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^30 Die Meilensteine beginnen hier mit Vespasian (CIL III, 306) und
sind seitdem zahlreich namentlich von Domitian bis auf Hadrian.
^31 Am deutlichsten zeigen dies die in der Senatsprovinz Bithynien
unter Nero und Vespasian durch den kaiserlichen Prokurator ausgeführten
Wegebauten (CIL III, 346; Eph. epigr. V, n. 96). Aber auch bei den
Wegebauten in den senatorischen Provinzen Asia und Kypros wird der
Senat nie genannt, und es wird dafür dasselbe angenommen werden dürfen.
Im dritten Jahrhundert ist hier wie überall der Bau auch der
Reichsstraßen auf die Kommunen übergegangen (Smyrna: CIL III, 471;
Thyateira: BCH 1, 1877, S. 101; Paphos: CIL III, 218).
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Diese Blüte Kleinasiens ist nicht das Werk einer Regierung von
überlegener Einsicht und energischer Tatkraft. Die politischen
Einrichtungen, die gewerblichen und kommerziellen Anregungen, die
literarische und künstlerische Initiative gehören in Kleinasien
durchaus den alten Freistädten oder den Attaliden. Was die römische
Regierung dem Lande gegeben hat, war wesentlich der dauernde
Friedensstand und die Duldung des Wohlstandes im Innern, die
Abwesenheit derjenigen Regierungsweisheit, die jedes gesunde Paar Arme
und jedes ersparte Geldstück betrachtet als ihren unmittelbaren Zwecken
von Rechts wegen verfallen - negative Tugenden keineswegs
hervorragender Persönlichkeiten, aber oftmals dem gemeinen Gedeihen
ersprießlicher als die Großtaten der selbstgesetzten Vormünder der
Menschheit.
Der Wohlstand Kleinasiens beruhte in schönem Gleichgewicht ebenso auf
der Bodenkultur wie auf der Industrie und dem Handel. Die Gunst der
Natur ist insbesondere den Küstenlandschaften in reichstem Maße zuteil
geworden, und vielfach zeigt es sich, mit wie emsigem Fleiß auch unter
schwierigeren Verhältnis sen, zum Beispiel in dem felsigen Tal des
Eurymedon in Pamphylien von den Bürgern von Selge, jedes irgend
brauchbare Bodenstück ausgenutzt ward. Die Erzeugnisse der
kleinasiatischen Industrie sind zu zahlreich und zu mannigfaltig, um
bei den einzelnen zu verweilen ^32; erwähnt mag werden, daß die
ungeheuren Triften des Binnenlandes mit ihren Schaf- und Ziegenherden
Kleinasien zum Hauptland der Wollindustrie und der Weberei überhaupt
gemacht haben - es genügt zu erinnern an die milesische und die
galatische, das ist die Angorawolle, die attalischen Goldstickereien,
die nach nervischer, das heißt flandrischer Art in den Fabriken des
phrygischen Laodikeia gefertigten Tuche. Daß in Ephesos fast ein
Aufstand ausgebrochen wäre, weil die Goldschmiede von dem neuen
Christenglauben Beschädigung ihres Absatzes von Heiligenbildern
befürchteten, ist bekannt. In Philadelpheia, einer bedeutenden Stadt
Lydiens, kennen wir von den sieben Quartieren die Namen zweier: es sind
die der Wollenweber und der Schuster. Wahrscheinlich tritt hier zu
Tage, was bei den übrigen Städten unter älteren und vornehmeren Namen
sich versteckt, daß die bedeutenderen Städte Asias durchgängig nicht
bloß eine Menge Handwerker, sondern auch eine zahlreiche
Fabrikbevölkerung in sich schlossen. Der Geld- und Handelsverkehr ruhte
in Kleinasien hauptsächlich auf der eigenen Produktion. Der große
ausländische Import und Export Syriens und Ägyptens war hier in der
Hauptsache ausgeschlossen, wenn auch aus den östlichen Ländern
mancherlei Artikel, zum Beispiel durch die galatischen Händler eine
beträchtliche Zahl von Sklaven nach Kleinasien eingeführt wurden ^33.
Aber wenn die römischen Kaufleute hier, wie es scheint, in jeder großen
und kleinen Stadt, selbst in Orten wie Ilion und Assos in Mysien,
Prymnessos und Traianopolis in Phrygien, in solcher Zahl zu finden
waren, daß ihre Vereine neben der Stadtbürgerschaft bei öffentlichen
Akten sich zu beteiligen pflegen; wenn in Hierapolis im phrygischen
Binnenland ein Fabrikant (εργαστής) auf sein Grab schreiben ließ, daß
er zweiundsiebzigmal in seinem Leben um Kap Malea nach Italien gefahren
sei, und ein römischer Dichter den Kaufmann der Hauptstadt schildert,
welcher nach dem Hafen eilt, um den Geschäftsfreund aus dem nicht weit
von Hierapolis entfernten Kibyra nicht in die Hände von Konkurrenten
fallen zu lassen, so öffnet sich damit ein Einblick in ein reges
gewerbliches und kaufmännisches Treiben nicht bloß in den Höfen. Von
dem stetigen Verkehr mit Italien zeugt auch die Sprache; unter den in
Kleinasien gangbar gewordenen lateinischen Wörtern rühren nicht wenige
aus solchem Verkehr her, wie denn in Ephesos sogar die Gilde der
Wollenweber sich lateinisch benennt ^34. Lehrer aller Art und Ärzte
kamen nach Italien und den übrigen Ländern lateinischer Zunge
vorzugsweise von hier und gewannen nicht bloß oftmals bedeutendes
Vermögen, sondern brachten dies auch in ihre Heimat zurück; unter
denen, welchen die Städte Kleinasiens Bauwerke oder Stiftungen
verdanken, nehmen die reich gewordenen Ärzte ^35 und Literaten einen
hervorragenden Platz ein. Endlich die Auswanderung der großen Familien
nach Italien hat Kleinasien weniger und später betroffen als den
Okzident; aus Vienna und Narbo siedelte man leichter nach der
Hauptstadt des Reiches über als aus den griechischen Städten, und auch
die Regierung war in früherer Zeit nicht eben geneigt, die vornehmen
Munizipalen Kleinasiens an den Hof zu ziehen und sie in die römische
Aristokratie einzuführen.
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^32 Die Christen des Küstenstädtchens Korykos im Rauhen Kilikien
pflegten, gegen den allgemeinen Gebrauch, ihren Grabschriften
regelmäßig den Stand beizusetzen. Auf den dort von Langlois und
neuerdings von Duchesne (BCH 7,1883, S. 230f.) aufgenommenen
Grabschriften finden sich ein Schreiber (νοτάριος), ein Weinhändler
(οινέμπορος) zwei Φlhändler (ελεοπώλης) ein Gemüsehändler
(λαχανοπώλης), ein Fruchthändler (οπωροπώλης), zwei Krämer (κάπηλος),
fünf Goldschmiede (αυράριος dreimal, χρυσόχοος zweimal), wovon einer
auch Presbyter ist, vier Kupferschmiede (χαλκότυπος einmal, χαλκεύς
dreimal), zwei Instrumentenmacher (αρμενοράφος), fünf Töpfer
(κεραμεύς), von denen einer als Arbeitgeber (εργοδότης) bezeichnet
wird, ein anderer zugleich Presbyter ist ein Kleiderhändler
(ιματιοπώλης) zwei Leinwandhändler (λινοπώλης)drei Weber (οθονιακός),
ein Wollarbeiter (ερεουργός), zwei Schuster (καλιγάριος, καλτάριος),
ein Kürschner (ινιοράφος, wohl für ηνιοράφος, pellio), ein Schiffer
(ναύκληρος), eine Hebamme (ιατρινή); ferner ein Gesamtgrab der
hochansehnlichen Geldwechsler (σύσστεμα τών ευγενεστάτων τραπεζιτών).
So sah es daselbst im 5. und 6. Jahrhundert aus.
^33 Dieser für das 4. Jahrhundert bezeugte Verkehr (Amm. 22, 7 8;
Claudianus in Eutr. 1, 59) ist ohne Zweifel älter. Anderer Art ist es,
daß, wie Philostratos (Vita Apoll. 8, 7, 12) angibt, die nicht
griechischen Bewohner von Phrygien ihre Kinder an die Sklavenhändler
verkauften.
^34 Συνεργασία τών λαναρίων (Wood, Ephesus. City, n. 4). Auch auf den
Inschriften von Korykos (Anm. 32) sind lateinische
Handwerkerbenennungen häufig. Die Stufe heißt γράδος den phrygischen
Inschriften CIG 3900, 39021.
^35 Einer von diesen ist Xenophon, des Herakleitos Sohn, von Kos,
bekannt aus Tacitus (ann. 12, 61. 67) und Plinius (nat. 29,1, 7) und
einer Reihe von Denkmälern seiner Heimat (BCH 5, 1881, S. 468). Als
Leibarzt (αρχιατρός, welcher Titel hier zuerst begegnet) des Kaisers
Claudius gewann er solchen Einfluß, daß er mit seiner ärztlichen
Tätigkeit die einflußreiche Stellung des kaiserlichen Kabinettssekretär
für die griechische Korrespondenz verband (επί τών Ελληνικάν
αποκριμάτων vgl. Suidas unter Διονύσιος Αλεξάνδρευς) und nicht bloß für
seinen Bruder und Oheim das römische Bürgerrecht und Offiziersteilen
von Ritterrang und für sich außer dem Ritterpferd und dem Offiziersrang
noch die Dekoration des Goldkranzes und des Speers bei dem
britannischen Triumph erwirkte, sondern auch für seine Heimat die
Steuerfreiheit. Sein Grabmal steht auf der Insel, und seine dankbaren
Landsleute setzten ihm und den Seinigen Statuen und schlugen zu seinem
Gedächtnis Münzen mit seinem Bildnis. Er ist es, der den todkranken
Claudius durch weitere Vergiftung umgebracht haben soll und demgemäß,
als ihm wie seinem Nachfolger gleich wert, auf seinen Denkmälern nicht
bloß wie üblich “Kaiserfreund” (φιλοσεβαστός) heißt, sondern speziell
Freund des Claudius (φιλοκλαύδιος) und des Nero (φιλονέρων, dies nach
sicherer Restitution). Sein Bruder, dem er in dieser Stellung folgte,
bezog ein Gehalt von 500000 Sesterzen (100000 Mark), versicherte aber
dem Kaiser, daß er nur ihm zuliebe die Stellung angenommen hätte, da
seine Stadtpraxis ihm 100000 Sesterzen mehr eingetragen habe. Trotz der
enormen Summen, die die Brüder außer für Kos namentlich für Neapel
aufgewendet hatten, hinterließen sie ein Vermögen von 30 Mill.
Sesterzen (6½ Mill. Mark).
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Wenn wir absehen von der wunderbaren Frühblüte, in welcher das ionische
Epos und die äolische Lyrik, die Anfänge der Geschichtschreibung und
der Philosophie, der Plastik und der Malerei an diesen Gestaden
keimten, so war in der Wissenschaft wie in der Kunstübung die große
Zeit Kleinasiens die der Attaliden, welche die Erinnerung jener noch
größeren Epoche treulich pflegte. Wenn Smyrna seinem Bürger Homeros
göttliche Verehrung erwies, auch Münzen auf ihn schlug und nach ihm
nannte, so drückt sich darin die Empfindung aus, die ganz Ionien und
ganz Kleinasien beherrschte, daß die göttliche Kunst überhaupt in
Hellas und im Besonderen in Ionien auf die Erde niedergestiegen sei.
Wie früh und in welchem Umfang für den Elementarunterricht in diesen
Gegenden öffentlich gesorgt worden ist, veranschaulicht ein denselben
betreffender Beschluß der Stadt Teos ^36 in Lydien. Danach soll,
nachdem die Kapitalschenkung eines reichen Bürgers die Stadt dazu
instand gesetzt hat, in Zukunft neben dem Turninspektor (γυμνασιάρχης)
weiter das Ehrenamt eines Schulinspektors (παιδονόμος) eingerichtet
werden. Ferner sollen mit Besoldung angestellt werden drei
Schreiblehrer mit Gehalten, je nach den drei Klassen, von 600, 550 und
500 Drachmen, damit im Schreiben sämtliche freie Knaben und Mädchen
unterwiesen werden können; ebenfalls zwei Turnmeister mit je 500
Drachmen Gehalt, ein Musiklehrer mit Gehalt von 700 Drachmen, welcher
die Knaben der beiden letzten Schuljahre und die aus der Schule
entlassenen Jünglinge im Lautenschlagen und Zitherspielen unterweist,
ein Fechtlehrer mit 300 und ein Lehrer für Bogenschießen und
Speerwerfen mit 250 Drachmen Besoldung. Die Schreib- und der
Musiklehrer sollen jährlich im Rathaus ein öffentliches Examen der
Schüler abhalten. Das ist das Kleinasien der Attalidenzeit; aber die
römische Republik hat deren Arbeit nicht fortgesetzt. Sie ließ ihre
Siege über die Galater nicht durch den Meißel verewigen, und die
pergamenische Bibliothek kam kurz vor der Aktfischen Schlacht nach
Alexandreia; viele der besten Keime sind in der Verwüstung der
Mithradatischen und der Bürgerkriege zugrunde gegangen. Erst in der
Kaiserzeit regenerierte sich mit dem Wohlstande Kleinasiens wenigstens
äußerlich die Pflege der Kunst und vor allem der Literatur. Einen
eigentlichen Primat, wie ihn als Universitätsstadt Athen besaß, im
Kreise der wissenschaftlichen Forschung Alexandreia, für Schauspiel und
Ballett die leichtfertige Hauptstadt Syriens, kann keine der
zahlreichen Städte Kleinasiens nach irgendeiner Richtung hin in
Anspruch nehmen; aber die allgemeine Bildung ist wahrscheinlich
nirgends weiter verbreitet und eingreifender gewesen. Den Lehrern und
den Ärzten Befreiung von den mit Kosten verbundenen städtischen Ämtern
und Aufträgen zu gewähren, muß in Asia früh üblich geworden sein; an
diese Provinz ist der Erlaß des Kaisers Pius gerichtet, welcher, um der
für die städtischen Finanzen offenbar sehr beschwerlichen Exemtion
Schranken zu setzen, Maximalzahlen dafür vorschreibt, zum Beispiel den
Städten erster Klasse gestattet, bis zu zehn Ärzten, fünf Lehrmeistern
der Rhetorik und fünf der Grammatik diese Immunität zu gewähren. Daß in
dem Literatentum der Kaiserzeit Kleinasien in erster Reihe steht,
beruht auf dem Rhetoren- oder, nach dem späterhin üblichen Ausdruck,
dem Sophistenwesen der Epoche, das wir Neueren uns nicht leicht
vergegenwärtigen. An die Stelle der Schriftstellerei, die ziemlich
aufgehört hat, etwas zu bedeuten, ist der öffentliche Vortrag getreten,
von der Art etwa unserer heutigen Universitäts- und akademischen Reden,
ewig sich neu erzeugend und nur ausnahmsweise gelagert, einmal gehört
und beklatscht und dann auf immer vergessen. Den Inhalt gibt häufig die
Gelegenheit, der Geburtstag des Kaisers, die Ankunft des Statthalters,
jedes öffentliche oder private analoge Ereignis; noch häufiger wird
ohne jede Veranlassung ins Blaue hinein über alles geredet, was nicht
praktisch und nicht lehrhaft ist. Politische Rede gibt es für diese
Zeit überhaupt nicht, nicht einmal im römischen Senat. Die Gerichtsrede
ist den Griechen nicht mehr der Zielpunkt der Redekunst, sondern steht
neben der Rede um der Rede willen als vernachlässigte und plebejische
Schwester, zu der sich ein Meister jener gelegentlich einmal herabläßt.
Der Poesie, der Philosophie, der Geschichte wird entnommen, was sich
gemeinplätzig behandeln läßt, während sie alle selbst überhaupt wenig
und am wenigsten in Kleinasien gepflegt und noch weniger geachtet neben
der reinen Wortkunst und von ihr durchseucht verkümmern. Die große
Vergangenheit der Nation betrachten diese Redner sozusagen als ihr
Sondergut; sie verehren und behandeln den Homer einigermaßen wie die
Rabbiner die Bücher Moses, und auch in der Religion befleißigen sie
sich eifrigster Orthodoxie. Getragen werden diese Vorträge durch alle
erlaubten und unerlaubten Hilfsmittel des Theaters, die Kunst der
Gestikulation und der Modulation der Stimme, die Pracht des
Rednerkostüms, die Kunstgriffe des Virtuosentums, das Faktionswesen,
die Konkurrenz, die Claque. Dem grenzenlosen Selbstgefühl dieser
Wortkünstler entspricht die lebhafte Teilnahme des Publikums, welche
derjenigen für die Rennpferde nur wenig nachsteht, und der völlig nach
Theaterart dieser Teilnahme gegebene Ausdruck; und die Stetigkeit,
womit dergleichen Exhibitionen in den größeren Orten den Gebildeten
vorgeführt werden, fügt sie, ebenfalls wie das Theater, überall in die
städtischen Lebensgewohnheiten ein. Wenn vielleicht an den Eindruck,
welchen in unseren bewegtesten Großstädten die obligaten Reden ihrer
gelehrten Körperschaften hervorrufen, sich dies untergegangene Phänomen
für unser Verständnis einigermaßen anknüpfen läßt, so fehlt doch in den
heutigen Verhältnissen ganz, was in der alten Welt weit die Hauptsache
war: das didaktische Moment und die Verknüpfung des zwecklosen
öffentlichen Vortrags mit dem höheren Jugendunterricht. Wenn dieser
heute, wie man sagt, den Knaben der gebildeten Klasse zum Professor der
Philologie erzieht, so erzog er ihn damals zum Professor der Eloquenz,
und zwar dieser Eloquenz. Denn die Schulung lief mehr und mehr darauf
hinaus, dem Knaben die Fertigkeit beizubringen, ebensolche Vorträge,
wie sie eben geschildert wurden, selber, womöglich in beiden Sprachen,
zu halten, und wer mit Nutzen den Kursus absolviert hatte, beklatschte
in den analogen Leistungen die Erinnerung an die eigene Schulzeit.
Diese Produktion umspannt zwar den Orient wie den Okzident; aber
Kleinasien steht voran und gibt den Ton an. Als in der augustischen
Zeit die Schulrhetorik in dem lateinischen Jugendunterricht der
Hauptstadt Fuß faßte, waren die Hauptträger neben Italienern und
Spaniern zwei Kleinasiaten, Arellius Fuscus und Cestius Pius.
Ebendaselbst, wo die ernsthafte Gerichtsrede sich in der besseren
Kaiserzeit neben diesem Parasiten behauptete, weist ein geistvoller
Advokat der flavischen Zeit auf die ungeheure Kluft hin, welche den
Niketes von Smyrna und die andern in Ephesos und Mytilene beklatschten
Redeschulmeister von Aeschines und Demosthenes trennt. Bei weitem die
meisten und namhaftesten der gefeierten Rhetoren dieser Art sind von
der Küste Vorderasiens. Wie sehr für die Finanzen der kleinasiatischen
Städte die Schulmeisterlieferung für das ganze Reich ins Gewicht fiel,
ist schon bemerkt worden. Im Laufe der Kaiserzeit steigt die Zahl und
die Geltung dieser Sophisten beständig, und mehr und mehr gewinnen sie
Boden auch im Okzident. Die Ursache davon liegt zum Teil wohl in der
veränderten Haltung der Regierung, die im zweiten Jahrhundert,
insbesondere seit der nicht so sehr hellenisierenden als übel
kosmopolitisierenden hadrianischen Epoche, sich weniger ablehnend gegen
das griechische und das orientalische Wesen verhielt als im ersten;
hauptsächlich aber in der immer zunehmenden Verallgemeinerung der
höheren Bildung und der rasch sich vermehrenden Zahl der Anstalten für
den höheren Jugendunterricht. Es gehört also die Sophistik allerdings
besonders nach Kleinasien und besonders in das Kleinasien des zweiten
und dritten Jahrhunderts; nur darf in diesem Literatenprimat keine
spezielle Eigentümlichkeit dieser Griechen und dieser Epoche oder gar
eine nationale Besonderheit gefunden werden. Die Sophistik sieht sich
überall gleich, in Smyrna und Athen wie in Rom und Karthago; die
Eloquenzmeister wurden verschickt wie die Lampenformen und das Fabrikat
überall in gleicher Weise, nach Verlangen griechisch oder lateinisch,
hergestellt, die Fabrikation dem Bedarf entsprechend gesteigert. Aber
freilich lieferten diejenigen griechischen Landschaften, die an
Wohlstand und Bildung voranstanden, diesen Exportartikel in bester
Qualität und in größter Quantität; von Kleinasien gilt dies für die
Zeiten Sullas und Ciceros nicht minder wie für die Hadrians und der
Antonine.
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^36 Die Urkunde steht bei Dittenberger, SIG n. 349. Attalos II. machte
eine ähnliche Stiftung in Delphi (BCH 5, 1881, S. 157).
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Indes ist auch hier nicht alles Schatten. Eben diese Landschaften
besitzen zwar nicht unter den professionellen Sophisten, aber doch
unter den Literaten anderer Richtung, die auch noch dort
verhältnismäßig zahlreich sich finden, die besten Vertreter des
Hellenismus, welche diese Epoche überhaupt aufweist, den Lehrer der
Philosophie, Dion von Prusa, in Bithynien unter Vespasian und Traian
und den Mediziner Galenos aus Pergamon, kaiserlicher Leibarzt am Hofe
des Marcus und des Severus. Bei Galenos erfreut namentlich die feine
Weise des Welt- und des Hofmanns in Verbindung mit einer allgemeinen
literarischen und philosophischen Bildung, wie sie bei den Ärzten
dieser Zeit überhaupt häufig hervortritt ^37. An Reinheit der Gesinnung
und Klarheit über die Lage der Dinge gibt der Bithyner Dion dem
Gelehrten von Chaeroneia nichts nach, an Gestaltungskraft, an Feinheit
und Schlagfertigkeit der Rede, an ernstem Sinn bei leichter Form, an
praktischer Energie ist er ihm überlegen. Die besten seiner Schriften,
die Phantasien von dem idealen Hellenen vor der Erfindung der Stadt und
des Geldes, die Ansprache an die Rhodier, die einzigen übriggebliebenen
Vertreter des echten Hellenismus, die Schilderung der Hellenen seiner
Zeit in der Verlassenheit von Olbia wie in der Üppigkeit von Nikomedeia
und von Tarsos, die Mahnungen an den Einzelnen zu ernster Lebensführung
und an alle zu einträchtigem Zusammenhalten sind das beste Zeugnis
dafür, daß auch von dem kleinasiatischen Hellenismus der Kaiserzeit das
Wort des Dichters gilt: untergehend sogar ist’s immer dieselbige Sonne.
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^37 Ein Arzt aus Smyrna, Hermogenes, des Charidemos Sohn (CIG 3311),
schrieb nicht bloß 77 Bände medizinischen Inhalts, sondern daneben, wie
sein Grabstein berichtet, historische Schriften: über Smyrna, über
Homers Vaterland, über Homers Weisheit, über die Städtegründungen in
Asia, in Europa, auf den Inseln, Itinerarien von Asien und von Europa,
über Kriegslisten, chronologische Tabellen über die Geschichte Roms und
Smyrnas. Ein kaiserlicher Leibarzt Menekrates (CIG 6607), dessen
Herkunft nicht angegeben wird, begründete, wie seine römischen Verehrer
ihm bescheinigen, die neue logische und zugleich empirische Medizin
(ιδίας λογικής εναργούς ιατρικής κτίστης) in seinen auf 156 Bände sich
belaufenden Schriften.
KAPITEL IX.
Die Euphratgrenze und die Parther
Der einzige Großstaat, mit welchem das Römische Reich grenzte, war das
Reich von Iran ^1, ruhend auf derjenigen Nationalität, die im Altertum
wie heutzutage am bekanntesten ist unter dem Namen der Perser,
staatlich zusammengefaßt durch das altpersische Königsgeschlecht der
Achämeniden und seinen ersten Großkönig Kyros, religiös geeinigt durch
den Glauben des Ahura Mazda und des Mithra. Keines der alten
Kulturvölker hat das Problem der nationalen Einigung gleich früh und
gleich vollständig gelöst. Südlich reichten die iranischen Stämme bis
an den Indischen Ozean, nördlich bis zum Kaspischen Meer; nordöstlich
war die innerasiatische Steppe der stete Kampfplatz der seßhaften
Perser und der nomadischen Stämme Turans. Östlich schieden mächtige
Grenzgebirge sie von den Indern. Im westlichen Asien trafen früh drei
große Nationen jede ihrerseits vordrängend auf einander: die von Europa
aus auf die kleinasiatische Küste übergreifenden Hellenen, die von
Arabien und Syrien aus in nördlicher und nordöstlicher Richtung
vorschreitenden und das Euphrattal wesentlich ausfüllenden aramäischen
Völkerschaften, endlich die nicht bloß bis zum Tigris wohnenden,
sondern selbst nach Armenien und Kappadokien vorgedrungenen Stämme von
Iran, während andersartige Urbewohner dieser weitgedehnten Landschaften
unter diesen Vormächten erlagen und verschwanden. Über dieses weite
Stammgebiet ging in der Epoche der Achämeniden, dem Höhepunkt der
Herrlichkeit Irans, die iranische Herrschaft nach allen Seiten,
insbesondere aber nach Westen weit hinaus. Abgesehen von den Zeiten, wo
Turan über Iran die Oberhand gewann und die Seldschuken und Mongolen
den Persern geboten, ist eigentliche Fremdherrschaft über den Kern der
iranischen Stämme nur zweimal gekommen, durch den großen Alexander und
seine nächsten Nachfolger und durch die arabischen Kalifen, und beide
Male nur auf verhältnismäßig kurze Zeit; die östlichen Landschaften, in
jenem Fall die Parther, in diesem die Bewohner des alten Baktrien
warfen nicht bloß bald das Joch des Ausländers wieder ab, sondern
verdrängten ihn auch aus dem stammverwandten Westen.
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^1 Die Vorstellung, daß das Römer- und das Partherreich zwei
nebeneinander stehende Großstaaten sind und zwar die einzigen, die es
gibt, beherrscht den ganzen römischen Orient, namentlich die
Grenzprovinzen. Greifbar tritt sie uns in der Johanneischen Apokalypse
entgegen, in dem Nebeneinanderstellen wie des Reiters auf dem weißen
Roß mit dem Bogen und des auf dem roten mit dem Schwert (6 2 3), so der
Megistanen und der Chiliarchen (6, 15 vgl. 18, 23; 19, 18). Auch die
Schlußkatastrophe ist gedacht als Überwältigung der Römer durch die den
Kaiser Nero zurückführenden Parther (c. 9,14;16,12) und Armageddon, was
immer damit gemeint sein mag, als der Sammelplatz der Orientalen zu dem
Gesamtangriff auf den Okzident. Allerdings deutet der im Römischen
Reich schreibende Verfasser diese wenig patriotischen Hoffnungen mehr
an, als er sie ausspricht.
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Das durch die Parther regenerierte Perserreich fanden die Römer vor,
als sie in der letzten Zeit der Republik in Folge der Besetzung Syriens
in unmittelbare Berührung mit Iran traten. Wir haben dieses Staats
schon mehrfach früherhin zu gedenken gehabt; hier ist der Ort, das
Wenige zusammenzufassen, was über die Eigentümlichkeit des auch für die
Geschicke des Nachbarstaats so vielfach ausschlaggebenden Reiches sich
erkennen läßt. Allerdings hat auf die meisten Fragen, die der
Geschichtsforscher hier zu stellen hat, die Überlieferung keine
Antwort. Die Okzidentalen geben über die inneren Verhältnisse ihrer
parthischen Nachbarn und Feinde nur gelegentliche, in der Vereinzelung
leicht irreführende Notizen; und wenn die Orientalen es überhaupt kaum
verstanden haben, die geschichtliche Überlieferung zu fixieren und zu
bewahren, so gilt dies doppelt von der Arsakidenzeit, da diese den
späteren Iranern mit der vorhergehenden Fremdherrschaft der Seleukiden
zusammen als unberechtigte Usurpation zwischen der alt- und der
neupersischen Herrschaftsperiode, den Achämeniden und den Sassaniden
gegolten hat; dies halbe Jahrtausend wird sozusagen aus der Geschichte
Irans herauskorrigiert ^2 und ist wie nicht vorhanden.
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^2 Dies gilt sogar einigermaßen für die Chronologie. Die offizielle
Historiographie der Sassaniden reduziert den Zeitraum zwischen dem
letzten Dareios und dem ersten Sassaniden von 558 auf 266 Jahre
(Tabarî, Geschichte der Perser und Araber. Hrsg. v. Th. Nöldeke. Leiden
1879, S. 1).
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Der Standpunkt, den die Hofhistoriographen der Sassanidendynastie damit
einnahmen, ist mehr der legitimistisch-dynastische des persischen Adels
als derjenige der iranischen Nationalität. Freilich bezeichnen die
Schriftsteller der ersten Kaiserzeit die Sprache der Parther, deren
Heimat etwa dem heutigen Chorasan entspricht, als mitten inne stehend
zwischen der medischen und der skythischen, das heißt als einen
unreinen iranischen Dialekt; dem entsprechend galten sie als
Einwanderer aus dem Land der Skythen und in diesem Sinne wird ihr Name
auf flüchtige Leute gedeutet und der Gründer der Dynastie Arsakes zwar
von einigen für einen Baktrer, von andern dagegen für einen Skythen von
der Maeotis erklärt. Daß ihre Fürsten nicht in Seleukeia am Tigris ihre
Residenz nahmen, sondern in der unmittelbaren Nähe bei Ktesiphon ihr
Winterlager aufschlugen, wird darauf zurückgeführt, daß sie die reiche
Kaufstadt nicht mit skythischen Truppen hätten belegen wollen. Vieles
in der Weise und den Ordnungen der Parther entfernt sich von der
iranischen Sitte und erinnert an nomadische Lebensgewohnheiten: zu
Pferde handeln und essen sie, und nie geht der freie Mann zu Fuß. Es
läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß die Parther, deren Namen allein
von allen Stämmen dieser Gegend die heiligen Bücher der Perser nicht
nennen, dem eigentlichen Iran fern stehen, in welchem die Achämeniden
und die Magier zu Hause sind. Der Gegensatz dieses Iran gegen das aus
einem unzivilisierten und halb fremdartigen Distrikt herstammende
Herrschergeschlecht und dessen nächstes Gefolge, dieser Gegensatz, den
die römischen Schriftsteller nicht ungern von den persischen Nachbarn
übernahmen, hat allerdings die ganze Arsakidenherrschaft hindurch
bestanden und gegärt, bis er schließlich ihren Sturz herbeiführte.
Darum aber darf die Herrschaft der Arsakiden noch nicht als
Fremdherrschaft gefaßt werden. Dem parthischen Stamm und der
parthischen Landschaft wurden keine Vorrechte eingeräumt. Als Residenz
der Arsakiden wird zwar auch die parthische Stadt Hekatompylos genannt;
aber hauptsächlich verweilten sie im Sommer in Ekbatana (Ramadan) oder
auch in Rhagae gleich den Achämeniden, im Winter, wie bemerkt, in der
Lagerstadt Ktesiphon oder auch in Babylon an der äußersten westlichen
Grenze des Reiches. Das Erbbegräbnis in der Partherstadt Nisaea blieb;
aber später diente dafür häufiger Arbela in Assyrien. Die arme und
ferne parthische Heimatlandschaft war für die üppige Hofhaltung und die
wichtigen Beziehungen zu dem Westen, besonders der späteren Arsakiden,
in keiner Weise geeignet. Das Hauptland blieb auch jetzt Medien, eben
wie unter den Achämeniden. Mochten immer die Arsakiden skythischer
Herkunft sein, mehr als auf das, was sie waren, kam darauf an, was sie
sein wollten; und sie selber betrachteten und gaben sich durchaus als
die Nachfolger des Kyros und des Dareios. Wie die sieben persischen
Stammfürsten den falschen Achämeniden beseitigt und durch die Erhebung
des Dareios die legitime Herrschaft wiederhergestellt hatten, so mußten
andere sieben die makedonische Fremdherrschaft gestürzt und den König
Arsakes auf den Thron gesetzt haben. Mit dieser patriotischen Fiktion
wird weiter zusammenhängen, daß dem ersten Arsakes statt der
skythischen die baktrische Heimat beigelegt ward. Die Tracht und die
Etikette am Hof der Arsakiden war die des persischen; nachdem König
Mithradates I. seine Herrschaft bis zum Indus und Tigris ausgedehnt
hatte, vertauschte die Dynastie den einfachen Königstitel mit dem des
Königs der Könige, wie ihn die Achämeniden geführt hatten, und die
spitze skythische Kappe mit der hohen perlengeschmückten Tiara; auf den
Münzen führt der König den Bogen wie Dareios. Auch die mit den
Arsakiden in das Land gekommene, ohne Zweifel vielfach mit der
alteinheimischen gemischte Aristokratie nahm persische Sitte und
Tracht, meistens auch persische Namen an; von dem Partherheer, das mit
Crassus stritt, heißt es, daß die Soldaten noch das struppige Haar nach
skythischer Weise trugen, der Feldherr aber nach medischer Art mit in
der Mitte gescheiteltem Haar und geschminktem Gesicht erschien.
Die staatliche Ordnung, wie sie durch den ersten Mithradates
festgestellt wurde, ist dementsprechend wesentlich diejenige der
Achämeniden. Das Geschlecht des Begründers der Dynastie ist mit allem
Glanz und mit aller Weihe angestammter und göttlich verordneter
Herrschaft umkleidet: sein Name überträgt sich von Rechts wegen auf
jeden seiner Nachfolger, und es wird ihm göttliche Ehre erwiesen; seine
Nachfolger heißen darum auch Gottessöhne ^3 und außerdem “Brüder des
Sonnengottes und der Mondgöttin”, wie noch heute der Schah von Persien
die Sonne im Titel führt; das Blut eines Gliedes des Königsgeschlechts
auch nur durch Zufall zu vergießen, ist ein Sakrilegium - alles
Ordnungen, die mit wenigen Abminderungen bei den römischen Caesaren
wiederkehren und vielleicht zum Teil von diesen der älteren
Großherrschaft entlehnt sind.
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^3 Die Unterkönige der Persis heißen in der Titulatur stehend “Zag
Alohin” (wenigstens sollen die aramäischen Zeichen diesen vermutlich in
der Aussprache persisch ausgedrückten Worten entsprechen), Gottes Sohn
(Mordtmann, Zeitschrift für Numismatik 4, 1877, S. 155 f.), und dem
entspricht auf den griechischen Münzen der Großkönige die Titulatur
θεοπάτωρ. Auch die Bezeichnung “Gott” findet sich, wie bei den
Seleukiden und den Sassaniden. Warum den Arsakiden ein Doppeldiadem
beigelegt wird (Herodian 6, 2, 1), ist nicht aufgeklärt.
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Obwohl die königliche Würde also fest an das Geschlecht geknüpft ist,
besteht dennoch eine gewisse Königswahl. Da der neue Herrscher sowohl
dem Kollegium der “Verwandten des königlichen Hauses” wie dem
Priesterrat angehören muß, um den Thron besteigen zu können, so wird
ein Akt stattgefunden haben, wodurch vermutlich eben diese Kollegien
selbst den neuen Herrscher anerkannten ^4. Unter den “Verwandten” sind
wohl nicht bloß die Arsakiden selbst zu verstehen, sondern die “sieben
Häuser” der Achämenidenordnung, Fürstengeschlechter, welchen nach
dieser die Ebenbürtigkeit und der freie Eintritt bei dem Großkönig
zukommt und die auch unter den Arsakiden ähnliche Privilegien gehabt
haben werden ^5. Diese Geschlechter waren zugleich Inhaber von
erblichen Kronämtern ^6; die Surên zum Beispiel - der Name ist wie der
Name Arsakes zugleich Personen- und Amtbezeichnung -, das zweite
Geschlecht nach dem Königshaus, setzten als Kronmeister jedesmal dem
neuen Arsakes die Tiara aufs Haupt. Aber wie die Arsakiden selbst der
parthischen Provinz angehörten, so waren die Surên in Sakastane
(Sedjistân) zu Hause und vielleicht Saker, also Skythen; ebenso
stammten die Karên aus dem westlichen Medien, während die höchste
Aristokratie unter den Achämeniden rein persisch war.
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^4 Τών Παρθυαίων συνέδριόν φησιν (Ποσειδώνιος) είναι, sagt Strabon (11,
9, 3 p. 515), διττόν, τό μέν συγγενών, τό δέ σόφων καί μάγων, εξ ών
αμφοίν τούς βασιλείς καθιστάσθαι (καθίστησιν die Handschrift). Iust.
42, 4,1: Mithridates rex Parthorum . . . propter crudelitatem a senatu
Parthico regno pellitur.
^5 In Ägypten, dessen Hofzeremoniell, wie wohl das der sämtlichen
Staaten der Diadochen auf das von Alexander angeordnete und insofern
auf das des Persischen Reiches zurückgeht, scheint der gleiche Titel
auch persönlich verliehen worden zu sein (Franz, CIG III S. 270). Daß
bei den Arsakiden das gleiche vorkam ist möglich. Bei den griechisch
redenden Untertanen des Arsakidenstaats scheint die Benennung
μεγιστάνες, in dem ursprünglichen strengeren Gebrauch die Glieder der
sieben Häuser zu bezeichnen; es ist beachtenswert, daß megistanes und
satrapae zusammengestellt werden (Sen. epist. 21; Ios. ant. Iud. 11, 3,
2; 20, 2, 3). Daß bei Hoftrauer der Perserkönig die Megistanen nicht
zur Tafel zieht (Suet. Gai. 5), legt die Vermutung nahe, daß sie das
Vorrecht hatten, mit ihm zu speisen. Auch der Titel τών πρώτων φίλων
findet sich bei den Arsakiden ähnlich wie am ägyptischen und am
pontischen Hofe (BCH 7, 1883, S. 349).
^6 Ein königlicher Mundschenk der zugleich Feldherr ist, wird genannt
bei Josephus (ant. Iud. 14, 13, 7 = bel. Iud. 1, 13, 1). Ähnliche
Hofämter kommen in den Diadochenstaaten häufig vor.
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Die Verwaltung liegt in den Händen der Unterkönige oder der Satrapen;
nach den römischen Geographen der vespasianischen Zeit besteht der
Staat der Parther aus achtzehn “Königreichen”. Einige dieser Satrapien
sind Sekundogenituren des Herrscherhauses; insbesondere scheinen die
beiden nordwestlichen Provinzen, das atropatenische Medien
(Aserbeidschan) und, sofern es in der Gewalt der Parther stand,
Armenien, den dem zeitigen Herrscher nächststehenden Prinzen zur
Verwaltung übertragen worden zu sein ^7. Im übrigen ragen unter den
Satrapen hervor der König der Landschaft Elymais oder von Susa, dem
eine besondere Macht- und Ausnahmestellung eingeräumt war, demnächst
derjenige der Persis, des Stammlandes der Achämeniden. Die wenn nicht
ausschließliche, so doch überwiegende und den Titel bedingende
Verwaltungsform war im Partherreich, anders als in dem der Caesaren,
das Lehnskönigtum, so daß die Satrapen nach Erbrecht eintraten, aber
der großherrlichen Bestätigung unterlagen ^8. Allem Anschein nach hat
sich dies nach unten hin fortgesetzt, so daß kleinere Dynasten und
Stammhäupter zu dem Unterkönig in demselben Verhältnis standen, wie
dieser zu dem Großkönig ^9. Somit war das Großkönigtum der Parther
äußerst beschränkt zu Gunsten der hohen Aristokratie durch die ihm
anhaftende Gliederung der erblichen Landesverwaltung. Dazu paßt recht
wohl, daß die Masse der Bevölkerung aus halb oder ganz unfreien Leuten
bestand ^10 und Freilassung nicht statthaft war. In dem Heer, das gegen
Antonius focht, sollen unter 50000 nur 400 Freie gewesen sein. Der
vornehmste unter den Vasallen des Orodes, welcher als Feldherr
desselben den Crassus schlug, zog ins Feld mit einem Harem von 200
Weibern und einer von 1000 Lastkamelen getragenen Bagage; er selber
stellte 10000 Reiter zum Heer aus seinen Klienten und Sklaven. Ein
stehendes Heer haben die Parther niemals gehabt, sondern zu allen
Zeiten blieb hier die Kriegführung angewiesen auf das Aufgebot der
Lehnsfürsten und der ihnen untergeordneten Lehnsträger sowie der großen
Masse der Unfreien, über welche diese geboten.
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^7 Tac. ann. 15, 2 u. 31. Wenn nach der Vorrede des Agathangelos (p.
109 Langlois) zur Zeit der Arsakiden der älteste und tüchtigste Prinz
die Landesherrschaft führte, die drei ihm nächststehenden aber Könige
der Armenier, der Inder und der Massageten waren, so liegt hier
vielleicht dieselbe Ordnung zu Grunde. Daß das parthisch-indische
Reich, wenn es mit dem Hauptland verbunden war, ebenfalls als
Sekundogenitur galt, ist sehr wahrscheinlich.
^8 Diese meint wohl Justinus (41, 2, 2): proximus maiestati regum
praepositorum ordo est; ex hoc duces in bello, ex hoc in pace rectores
habent. Den einheimischen Namen bewahrt die Glosse bei Hesychios:
βίσταξ ο βασιλεύς παρά Πέρσαις. Wenn bei Amm. 23, 6,14 die Vorsteher
der persischen regiones vitaxae (schr. vistaxae), id est magistri
equitum et reges et satrapae heißen, so hat er ungeschickt Persisches
auf ganz Innerasien bezogen (vgl. Hermes 16, 1881, S. 613); übrigens
kann die Bezeichnung “Reiterführer” für diese Unterkönige darauf gehen,
daß sie, wie die römischen Statthalter, die höchste Zivil- und die
höchste Militärgewalt in sich vereinigten und die Armee der Parther
überwiegend aus Reiterei bestand.
^9 Das lehrt die einem Gotarzes in der Inschrift von Kermanschahän in
Kurdistan (CIG 4674) beigelegte Titulatur σατράπης τών σατραπών. Dem
Arsakidenkönig dieses Namens kann sie als solchem nicht beigelegt
werden; wohl aber mag, wie Olshausen (Monatsbericht der Berliner
Akademie 1878, S. 179) vermutet, damit diejenige Stellung bezeichnet
werden, die ihm nach seinem Verzicht auf das Großkönigtum (Tac. ann.
11, 9) zukam.
^10 Noch später heißt eine Reitertruppe im parthischen Heer die “der
Freien” Ios. ant. Iud. 14, 13, 5 = bel. Iud. 1, 13, 3).
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Allerdings fehlte das städtische Element in der politischen Ordnung des
Partherreichs nicht ganz. Zwar die aus der eigenen Entwicklung des
Ostens hervorgegangenen größeren Ortschaften sind keine städtischen
Gemeinwesen, wie denn selbst die parthische Residenz Ktesiphon im
Gegensatz zu der benachbarten griechischen Gründung Seleukeia ein
Flecken genannt wird; sie hatten keine eigenen Vorsteher und keinen
Gemeinderat, und die Verwaltung lag hier wie in den Landbezirken
ausschließlich bei den königlichen Beamten. Aber von den Gründungen der
griechischen Herrscher war ein freilich verhältnismäßig geringer Teil
unter parthische Herrschaft gekommen. In den ihrer Nationalität nach
aramäischen Provinzen Mesopotamien und Babylonien hatte das griechische
Städtewesen unter Alexander und seinen Nachfolgern festen Fuß gefaßt.
Mesopotamien war mit griechischen Gemeinwesen bedeckt, und in
Babylonien war die Nachfolgerin des alten Babylon, die Vorläuferin
Bagdads, eine Zeit lang die Residenz der griechischen Könige Asiens,
Seleukeia am Tigris, durch ihre günstige Handelslage und ihre Fabriken
emporgeblüht zu der ersten Kaufstadt außerhalb der römischen Grenzen,
angeblich von mehr als einer halben Million Einwohner. Ihre freie
hellenische Ordnung, auf der ohne Zweifel ihr Gedeihen vor allem
beruhte, wurde im eigenen Interesse auch von den parthischen Herrschern
nicht angetastet, und die Stadt bewahrte sich nicht bloß ihren Stadtrat
von 300 erwählten Mitgliedern, sondern auch griechische Sprache und
griechische Sitte mitten im ungriechischen Osten. Freilich bildeten in
diesen Städten die Hellenen nur das herrschende Element; neben ihnen
lebten zahlreiche Syrer, und als dritter Bestandteil gesellten sich
dazu die nicht viel weniger zahlreichen Juden, so daß die Bevölkerung
dieser Griechenstädte des Partherreichs, ähnlich wie die von
Alexandreia, sich aus drei gesondert nebeneinander stehenden
Nationalitäten zusammensetzte. Zwischen diesen kam es, eben wie in
Alexandreia, nicht selten zu Konflikten, wie zum Beispiel zur Zeit der
Regierung des Gaius unter den Augen der parthischen Regierung die drei
Nationen miteinander handgemein und schließlich die Juden aus den
größeren Städten ausgetrieben wurden.
Insofern ist das Parthische Reich zu dem Römischen das rechte
Gegenstück. Wie in diesem das orientalische Unterkönigtum ausnahmsweise
vorkommt, so in jenem die griechische Stadt; dem allgemeinen
orientalisch-aristokratischen Charakter des Partherregiments tun die
griechischen Kaufstädte an der Westgrenze so wenig Eintrag wie die
Lehnskönigtümer Kappadokien und Armenien dem städtisch gegliederten
Römerstaat. Während in dem Staat der Caesaren das römisch-griechische
städtische Gemeinwesen weiter und weiter um sich greift und allmählich
zur allgemeinen Verwaltungsform wird, so reißt die Städtegründung, das
rechte Merkzeichen der hellenisch-römischen Zivilisation, welche die
griechischen Kaufstädte und die Militärkolonien Roms ebenso umspannt
wie die großartigen Ansiedlungen Alexanders und der Alexandriden, mit
dem Eintreten des Partherregiments im Osten plötzlich ab, und auch die
bestehenden Griechenstädte des Partherreichs verkümmern im weiteren
Lauf der Entwicklung. Dort wie hier drängt die Regel mehr und mehr die
Ausnahmen zurück.
Irans Religion, mit ihrer dem Monotheismus sich nähernden Verehrung des
“höchsten der Götter, der Himmel und Erde und die Menschen und für
diese alles Gute geschaffen hat”, mit ihrer Bildlosigkeit und
Geistigkeit, mit ihrer strengen Sittlichkeit und Wahrhaftigkeit, ihrer
Hinwirkung auf praktische Tätigkeit und energische Lebensführung, hat
die Gemüter ihrer Bekenner in ganz anderer und tieferer Weise gepackt,
als die Religionen des Okzidents es je vermochten, und wenn vor der
entwickelten Zivilisation weder Zeus noch Jupiter standgehalten haben,
ist der Glaube bei den Parsen ewig jung geblieben, bis er einem anderen
Evangelium, dem der Bekenner des Mohammed erlag oder doch vor ihm nach
Indien entwich. Wie sich der alte Mazda-Glaube, zu dem die Achämeniden
sich bekannten und dessen Entstehung in die vorgeschichtliche Zeit
fällt, zu demjenigen verhielt, den als Lehre des weisen Zarathustra die
wahrscheinlich unter den späteren Achämeniden entstandenen heiligen
Bücher der Perser, das Awestâ, verkünden, ist nicht unsere Aufgabe
darzustellen; für die Epoche, wo der Okzident mit dem Orient in
Berührung steht, kommt nur die spätere Religionsform in Betracht, wie
sie, entstanden vielleicht im Osten Irans, in Baktrien, insbesondere
vom Westen her, von Medien aus dem Okzident gegenübertrat und in ihn
eindrang. Enger aber als selbst bei den Kelten sind in Iran die
nationale Religion und der nationale Staat miteinander verwachsen. Es
ist schon hervorgehoben worden, daß das legitime Königtum im Iran
zugleich eine religiöse Institution, der oberste Herrscher des Landes
als durch die oberste Landesgottheit besonders zum Regiment berufen und
selbst gewissermaßen göttlich gedacht wird. Auf den Münzen nationalen
Gepräges erscheint regelmäßig der große Feueraltar und über ihm
schwebend der geflügelte Gott Ahura Mazda, neben ihm in kleinerer
Gestalt und in betender Stellung der König und dem König gegenüber das
Reichsbanner. Dem entsprechend geht auch die Übermacht des Adels im
Partherreich Hand in Hand mit der privilegierten Stellung des Klerus.
Die Priester dieser Religion, die Magier, erscheinen schon in den
Urkunden der Achämeniden und in den Erzählungen Herodots und haben,
wahrscheinlich mit Recht, den Okzidentalen immer als national persische
Institution gegolten. Das Priestertum ist erblich und wenigstens in
Medien, vermutlich auch in anderen Landschaften, galt die Gesamtheit
der Priester, etwa wie die Leviten in dem späteren Israel, als ein
besonderer Volksteil. Auch unter der Herrschaft der Griechen haben die
alte Religion des Staates und das nationale Priestertum ihren Platz
behauptet. Als der erste Seleukos die neue Hauptstadt seines Reiches,
das schon erwähnte Seleukeia gründen wollte, ließ er die Magier Tag und
Stunde dafür bestimmen, und erst nachdem diese Perser, nicht gern, das
verlangte Horoskop gestellt hatten, vollzogen ihrer Anweisung gemäß der
König und sein Heer die feierliche Grundsteinlegung der neuen
Griechenstadt. Also auch ihm standen beratend die Priester des Ahura
Mazda zur Seite und sie, nicht die des hellenischen Olymp, wurden bei
den öffentlichen Angelegenheiten insoweit befragt, als diese göttliche
Dinge betrafen. Selbstverständlich gilt dies um so mehr von den
Arsakiden. Daß bei der Königswahl neben dem Adelsrat der der Priester
mitwirkte, wurde schon bemerkt. König Tiridates von Armenien, aus dem
Haus der Arsakiden, kam nach Rom unter Geleit eines Gefolges von
Magiern, und nach deren Vorschrift reiste und speiste er, auch in
Gemeinschaft mit dem Kaiser Nero, der gern sich von den fremden Weisen
ihre Lehre verkünden und die Geister beschwören ließ. Daraus folgt
allerdings noch nicht, daß der Priesterstand als solcher auf die
Führung des Staats wesentlich bestimmend eingewirkt hat; aber
keineswegs ist der Mazda-Glaube erst durch die Sassaniden
wiederhergestellt worden; vielmehr ist bei allem Wechsel der Dynastien
und bei aller eigenen Entwicklung die Landesreligion im Iran in ihren
Grundzügen die gleiche geblieben.
Die Landessprache im Partherreich ist die einheimische Irans. Keine
Spur führt darauf, daß unter den Arsakiden jemals eine Fremdsprache in
öffentlichem Gebrauch gewesen ist. Vielmehr ist es der iranische
Landesdialekt Babyloniens und die diesem eigentümliche Schrift, wie
beide vor und in der Arsakidenzeit unter dem Einfluß von Sprache und
Schrift der aramäischen Nachbarn sich entwickelten, welche mit der
Benennung Pahlavi, das heißt Parthava, belegt und damit bezeichnet
werden als die des Reiches der Parther. Auch das Griechische ist in
demselben nicht Reichssprache geworden. Keiner der Herrscher führt auch
nur als zweiten Namen einen griechischen; und hätten die Arsakiden
diese Sprache zu der ihrigen gemacht, so würden uns griechische
Inschriften in ihrem Reiche nicht fehlen. Allerdings zeigen ihre Münzen
bis auf die Zeit des Claudius ausschließlich ^11 und auch später
überwiegend griechische Aufschrift, wie sie auch keine Spur der
Landesreligion aufweisen und im Fuß sich der örtlichen Prägung der
römischen Ostprovinzen anschließen, ebenso die Jahrteilung so wie die
Jahrzählung so beibehalten haben, wie sie unter den Seleukiden geregelt
worden waren. Aber es wird dies vielmehr dahin aufzufassen sein, daß
die Großkönige selber überhaupt nicht prägten ^12 und diese Münzen, die
ja wesentlich für den Verkehr mit den westlichen Nachbarn dienten, von
den griechischen Städten des Reiches auf den Namen des Landesherrn
geschlagen worden sind. Die Bezeichnung des Königs auf diesen Münzen
als “Griechenfreund” (φιλέλλην), die schon früh begegnet ^13 und seit
Mithradates I., das heißt seit der Ausdehnung des Staates bis an den
Tigris, stehend wird, hat einen Sinn nur, wenn auf diesen Münzen die
parthische Griechenstadt redet. Vermutlich war der griechischen Sprache
im Partherreich neben der persischen eine ähnliche sekundäre Stellung
im öffentlichen Gebrauch eingeräumt, wie sie sie im Römerstaat neben
der lateinischen besaß. Das allmähliche Schwinden des Griechentums
unter der parthischen Herrschaft läßt sich auf diesen städtischen
Münzen deutlich verfolgen, sowohl in dem Auftreten der einheimischen
Sprache neben und statt der griechischen wie auch in der mehr und mehr
hervortretenden Sprachzerrüttung ^14.
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^11 Die älteste bekannte Münze mit Pahlavischrift ist zu Claudius’ Zeit
unter Volagasos I. geschlagen; sie ist zweisprachig und gibt dem König
griechisch den vollen Titel, aber nur den Namen Arsakes, iranisch bloß
den einheimischen Individualnamen abgekürzt (Vol.).
^12 Gewöhnlich beschränkt man dies auf die Großsilbermünze und
betrachtet das Kleinsilber und das meiste Kupfer als königliche
Prägung. Indes damit wird dem Großkönig eine seltsame sekundäre Rolle
in der Prägung zugeteilt. Richtiger wird wohl jene Prägung aufgefaßt
als überwiegend für das Ausland, diese als überwiegend für den inneren
Verkehr bestimmt; die zwischen beiden Gattungen bestehenden
Verschiedenheiten erklären sich auf diese Weise auch.
^13 Der erste Herrscher, der sie führt, ist Phraapates um 188 v. Chr.
(P. Gardner, Parthian coinage, S. 27).
^14 So steht auf den Münzen des Gotarzes (unter Claudius): Γωτέρζης
βασιλεύς βασιλέων υός κεκαλουμένος Αρταβάνου. Auf den späteren ist die
griechische Aufschrift oft ganz unverständlich.
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Dem Umfang nach stand das Reich der Arsakiden weit zurück nicht bloß
hinter dem Weltstaat der Achämeniden, sondern auch hinter dem ihrer
unmittelbaren Vorgänger, dem Seleukidenstaat. Von dessen ursprünglichem
Gebiet besaßen sie nur die größere östliche Hälfte; nach der Schlacht,
in welcher König Antiochos Sidetes, ein Zeitgenosse der Gracchen, gegen
die Parther fiel, haben die syrischen Könige nicht wieder ernstlich
versucht, ihre Herrschaft jenseits des Euphrat geltend zu machen; aber
das Land diesseits des Euphrat blieb den Okzidentalen.
Von dem Persischen Meerbusen waren beide Küsten, auch die arabische, im
Besitz der Parther, die Schiffahrt auf demselben also vollständig in
ihrer Gewalt; die übrige arabische Halbinsel gehorchte weder den
Parthern noch den über Ägypten gebietenden Römern.
Das Ringen der Nationen um den Besitz des Industals und der westlich
und östlich angrenzenden Landschaften zu schildern, soweit die gänzlich
zerrissene Überlieferung überhaupt eine Schilderung zuläßt, ist die
Aufgabe unserer Darstellung nicht; aber die Hauptzüge dieses Kampfes,
welcher dem um das Euphrattal geführten stetig zur Seite geht, dürfen
auch in diesem Zusammenhang um so weniger fehlen, als unsere
Überlieferung uns nicht gestattet, die Verhältnisse Irans nach Osten in
ihrem Eingreifen in die westlichen Beziehungen im einzelnen zu
verfolgen und es daher notwendig erscheint, wenigstens die Grundlinien
derselben uns zu vergegenwärtigen. Bald nach dem Tode des großen
Alexander wurde durch das Abkommen seines Marschalls und Teilerben
Seleukos mit dem Gründer des Inderreiches, Tschandragupta oder
griechisch Sandrakottos, die Grenze zwischen Iran und Indien gezogen.
Danach herrschte der letztere nicht bloß über das Gangestal in seiner
ganzen Ausdehnung und das gesamte nördliche Vorderindien, sondern im
Gebiet des Indus wenigstens über einen Teil des Hochtals des heutigen
Kabul, ferner über Arachosien oder Afghanistan, vermutlich auch über
das wüste und wasserarme Gedrosien, das heutige Belutschistan, sowie
über das Delta und die Mündungen des Indus; die in Stein gehauenen
Urkunden, durch welche Tschandraguptas Enkel, der gläubige
Buddhaverehrer Asoka, das allgemeine Sittengesetz seinen Untertanen
einschärfte, sind wie in diesem ganzen weit ausgedehnten Gebiet, so
namentlich noch in der Gegend von Peschawar gefunden worden ^15. Der
Hindukusch, der Parapanisos der Alten, und dessen Fortsetzung nach
Osten und Westen schieden also mit ihrer gewaltigen, nur von wenigen
Pässen durchsetzten Kette Iran und Indien. Aber langen Bestand hat dies
Abkommen nicht gehabt.
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^15 Während das Reich des Dareios, seinen Inschriften zufolge, die
Gādara (die Gandāra der Inder, Γανδάραι der Griechen, am Kabulfluß) und
die Hindu (die Indusanwohner) in sich schließt, werden die ersteren in
einer der Inschriften des Asoka unter seinen Untertanen aufgeführt, und
ein Exemplar seines großen Edikts hat sich in Kapurdi Giri oder
vielmehr in Schahbaz Garhi (Yusufzai-Distrikt) gefunden, nahezu sechs
deutsche Meilen nordwestlich von der Mündung des Kabulflusses in den
Indus bei Atak. Der Sitz der Regierung dieser nordwestlichen Provinzen
von Asokas Reich war (nach der Inschrift CI Indicar. I p. 91)
Takkhasi-lâ, Τάξιλα der Griechen, etwa neun deutsche Meilen OSO von
Atak, der Regierungssitz für die südwestlichen Landschaften Udjdjeni
(Οξήνη). Der östliche Teil des Kabultals gehörte also auf jeden Fall zu
Asokas Reich. Daß der Khaiberpaß die Grenze gebildet habe, ist nicht
geradezu unmöglich; wahrscheinlich aber gehörte das ganze Kabultal zu
Indien und machte die Grenze südlich von Kabul die scharfe Linie der
Sulaiman-Kette und weiter südwestlich der Bolanpaß. Von dem späteren
indoskythischen König Huvischka (Ooerke der Münzen), der an der Yamunâ
in Mathurâ residiert zu haben scheint, hat sich eine Inschrift bei
Wardak, nicht weit nördlich von Kabul, gefunden (nach Mitteilungen
Oldenbergs).
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In der früheren Diadochenzeit brachten die griechischen Herrscher des
Reiches von Baktra, das von dem Seleukidenstaat gelöst einen mächtigen
Aufschwung nahm, das Grenzgebirge überschreitend einen großen Teil des
Industals in ihre Gewalt und setzten vielleicht noch weiter hinein in
Vorderindien sich fest, so daß das Schwergewicht dieses Reiches sich
aus dem westlichen Iran nach dem östlichen Indien verschob und der
Hellenismus dem Indertum wich. Die Könige dieses Reiches heißen
indische und führen späterhin ungriechische Namen; auf den Münzen
erscheint neben und statt der griechischen die einheimisch indische
Sprache und Schrift, ähnlich wie in der parthisch-persischen Prägung
neben dem Griechischen das Pahlavi emporkommt.
Es trat dann eine Nation mehr in den Kampf ein: die Skythen oder, wie
sie in Iran und in Indien heißen, die Saker brachen aus ihren
Stammsitzen am Jaxartes über das Gebirge nach Süden vor. Die baktrische
Landschaft kam wenigstens großenteils in ihre Gewalt, und etwa im
letzten Jahrhundert der römischen Republik müssen sie sich in dem
heutigen Afghanistan und Belutschistan festgesetzt haben. Darum heißt
in der frühen Kaiserzeit die Küste zu beiden Seiten der Indusmündung um
Minnagara Skythien und führt im Binnenlande die westlich von Kandahar
gelegene Landschaft der Dranger später den Namen “Sakerland”,
Sakastane, das heutige Sedjistan. Diese Einwanderung der Skythen in die
Landschaften des baktro-indischen Reiches hat dasselbe wohl
eingeschränkt und geschädigt, etwa wie die ersten Wanderungen der
Germanen das römische, aber es nicht zerstört; noch unter Vespasian hat
ein wahrscheinlich selbständiger baktrischer Staat bestanden ^16.
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^16 Der Anm. 18 genannte ägyptische Kaufmann gedenkt c. 47 “des
streitbaren Volks der Baktrianer, die ihren eigenen König haben”.
Damals also war Baktrien von dem unter parthischen Fürsten stehenden
Indusreich getrennt. Auch Strabon (11, 11, 1 p. 516) behandelt das
baktrisch-indische Reich als der Vergangenheit angehörig.
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Unter den Juliern und den Claudiern scheinen dann an der Indusmündung
die Parther die Vormacht gewesen zu sein. Ein zuverlässiger
Berichterstatter aus augustischer Zeit führt eben jenes Sakastane unter
den parthischen Provinzen auf und nennt den König der Saker-Skythen
einen Unterkönig der Arsakiden; als letzte parthische Provinz gegen
Osten bezeichnet er Arachosien mit der Hauptstadt Alexandropolis,
wahrscheinlich Kandahar. Ja, bald darauf, in vespasianischer Zeit,
herrschen in Minnagara parthische Fürsten. Indes war dies für das Reich
am Indusstrom mehr ein Wechsel der Dynastie als eine eigentliche
Annexion an den Staat von Ktesiphon. Der Partherfürst Gondopharos, den
die christliche Legende mit dem Apostel der Parther und der Inder, dem
heiligen Thomas, verknüpft ^17, hat allerdings von Minnagara aus bis
nach Peschawar und Kabul hinauf geherrscht; aber diese Herrscher
gebrauchen, wie ihre Vorherrscher im indischen Reich, neben der
griechischen die indische Sprache und nennen sich Großkönige wie
diejenigen von Ktesiphon; sie scheinen mit den Arsakiden darum nicht
weniger rivalisiert zu haben, weil sie demselben Fürstengeschlecht
angehörten ^18.
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^17 Wahrscheinlich ist er der Kaspar - in älterer Tradition Gathaspar
-, der unter den heiligen drei Königen aus dem Morgenland auftritt
(Gutschmid, Rheinisches Museum N. F. 19, 1861, S. 162).
^18 Das bestimmteste Zeugnis der Partherherrschaft in diesen Gegenden
findet sich in der unter Vespasian von einem ägyptischen Kaufmann
aufgesetzten Küstenbeschreibung des Roten Meeres c. 38: “Hinter der
Indusmündung im Binnenland liegt die Hauptstadt von Skythien Minnagara;
beherrscht aber wird diese von den Parthern, die beständig einander
verjagen (υπό Πάρθων συνεχώς αλλήλους ενδιωκόντων). Dasselbe wird in
etwas verwirrter Weise c. 41 wiederholt; es kann hier scheinen, als
läge Minnagara in Indien selbst oberhalb Barygaza, und schon Ptolemaeos
ist dadurch irregeführt worden; aber gewißhat der Schreiber, der über
das Binnenland nur von Hörensagen spricht, nur sagen wollen, daß eine
große Stadt Minnagara im Binnenland nicht fern von Barygaza liege und
von da viel Baumwolle nach Barygaza geführt werde. Auch können die nach
demselben Gewährsmann in Minnagara zahlreich begegnenden Spuren
Alexanders nur am Indus, nicht in Gudjarat sich gefunden haben. Die
Lage Minnagaras am unteren Indus, unweit Haiderabad, und die Existenz
einer parthischen Herrschaft daselbst unter Vespasian erscheint
hierdurch gesichert.
Damit werden verbunden werden dürfen die Münzen des Königs Gondopharos
oder Hyndopherres, welcher in einer sehr alten christlichen Legende von
dem Apostel der Parther und der Inder, dem heiligen Thomas, zum
Christentum bekehrt wird und in der Tat der ersten römischen Kaiserzeit
anzugehören scheint (Sallet, Zeitschrift für Numismatik 6, 1879, S.
355; Gutschmid, Rheinisches Museum N. F. 19, 1861, S. 162); seines
Brudersohns Abdagases (Sauet, a. a. O., S. 365), welcher mit dem
parthischen Fürsten dieses Namens bei Tacitus (ann. 6, 36) identisch
sein kann, auf jeden Fall einen parthischen Namen trägt, endlich des
Königs Sanabaros, der kurz nach Hyndopherres regiert haben muß,
vielleicht sein Nachfolger gewesen ist. Dazu gehören noch eine Anzahl
anderer mit parthischen Namen, Arsakes, Pakoros, Vonones, bezeichneten
Münzen. Diese Prägung stellt sich entschieden zu der der Arsakiden
(Sallet, a. a. O., S. 277); die Silberstücke des Gondopharos und des
Sanabaros - von den übrigen gibt es fast nur Kupfer -entsprechen genau
den Arsakidendrachmen. Allem Anschein nach gehören diese den
Partherfürsten von Minnagara; daß neben der griechischen hier indische
Aufschrift erscheint, wie bei den späten Arsakiden Pahlavischrift, paßt
dazu. Aber es sind dies nicht Münzen von Satrapen, sondern, wie dies
auch der Ägypter andeutet, mit den ktesiphontischen rivalisierender
Großkönige; Hyndopherres nennt sich in sehr verdorbenem Griechisch
βασιλεύς βασιλέων μέγας αυτοκρ und in gutem Indisch “Maharadja Radjadi
Radja”. Wenn, wie dies nicht unwahrscheinlich ist, in dem Mambaros oder
Akabaros, den der Periplus c. 41. 52 als Herrscher der Küste von
Barygaza nennt, der Sanabaros der Münzen steckt, so gehört dieser in
die Zeit Neros oder Vespasians und herrschte nicht bloß an der
Indusmündung, sondern auch über Gudjarat. Wenn ferner eine unweit
Peschawar gefundene Inschrift mit Recht auf den König Gondopharos
bezogen wird, so muß dessen Herrschaft bis dort hinauf, wahrscheinlich
bis nach Kabul hin sich erstreckt haben.
Daß Corbulo im Jahre 60 die Gesandtschaft der von den Parthern
abgefallenen Hyrkaner, damit sie von jenen nicht aufgegriffen würden,
an die Küste des Roten Meeres schickte, von wo sie, ohne parthisches
Gebiet zu betreten, die Heimat erreichen konnten (Tac. 15, 25), spricht
dafür, daß das Industal damals dem Herrscher von Ktesiphon nicht
botmäßig war.
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Auf diese parthische Dynastie folgt dann in dem indischen Reich nach
kurzer Zwischenzeit die in der indischen Überlieferung als die der
Saker oder die des Königs Kanerku oder Kanischka bezeichnete, welche
mit dem Jahre 78 n. Chr. beginnt und wenigstens bis in das dritte
Jahrhundert bestanden hat ^19. Sie gehören zu den Skythen, deren
Einwanderung früher erwähnt ward, und auf ihren Münzen tritt an die
Stelle der indischen die skythische Sprache ^20. So haben im
Indusgebiet nach den Indern und den Hellenen in den ersten drei
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Parther und Skythen das Regiment
geführt. Aber auch unter den ausländischen Dynastien hat dort dennoch
eine national-indische Staatenbildung sich vollzogen und behauptet und
der parthisch-persischen Machtentwicklung im Osten eine nicht minder
dauernde Schranke entgegengestellt wie der Römerstaat im Westen.
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^19 Daß das Großkönigtum der Arsakiden von Minnagara nicht viel über
die neronische Zeit hinaus bestanden hat, ist nach den Münzen
wahrscheinlich. Was für Herrscher auf sie gefolgt sind, ist fraglich.
Die baktrisch-indischen Herrscher griechischen Namens gehören
überwiegend, vielleicht sämtlich der voraugustischen Epoche an; auch
manche einheimischen Namens, zum Beispiel Maues und Azes, fallen nach
Sprache und Schrift (zum Beispiel der Form des m S2) vor diese Zeit.
Dagegen sind die Münzen der Könige Kozulokadphises und Ooemokadphises
und diejenigen der Sakerkönige, des Kanerku und seiner Nachfolger,
welche alle namentlich durch den bis dahin in der indischen Prägung
nicht begegnenden Goldstater vom Gewicht des römischen Aureus sich
deutlich als einheitliche Prägung charakterisieren, allem Anschein nach
später als Gondopharos und Sanabaros. Sie zeigen, wie der Staat des
Industals sich in immer steigendem Maß im Gegensatz gegen die Hellenen
wie gegen die Iranier national-indisch gestaltet hat. Die Regierung
dieser Kadphises wird also zwischen die indo-parthischen Herrscher und
die Dynastie der Saker fallen welche letztere mit dem Jahre 78 n. Chr.
beginnt (Oldenberg in Sallets Zeitschrift für Numismatik 8, 1881, S.
292). In dem Schatz von Peschawar gefundene Münzen dieser Sakerkönige
nennen merkwürdigerweise griechische Götter in verstümmelter Form
Ηρακιλο, Σαραπο, neben dem nationalen Βουδο. Die spätesten ihrer Münzen
zeigen den Einfluß der ältesten Sassanidenprägung und dürften der
zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts angehören (Sallet, Zeitschrift
für Numismatik 6, 1879, S. 225).
^20 Die indo-griechischen und die indo-parthischen Herrscher, ebenso
die Kadphises bedienen sich auf ihren Münzen in großem Umfang neben der
griechischen der einheimischen indischen Sprache und Schrift; die
Sakerkönige dagegen haben niemals indische Sprache und indisches
Alphabet gebraucht, sondern verwenden ausschließlich die griechischen
Buchstaben, und die nicht griechischen Aufschriften ihrer Münzen sind
ohne Zweifel skythisch. So steht auf Kanerkus Goldstücken bald βασιλεύς
βασιλέων Κανήρκου, bald ραο νανοραο κανηρκι κορανο wo die ersten beiden
Wörter eine skythisierte Form des indischen Rβdjβdi Rβdjâ sein werden,
die beiden folgenden den Eigen- und den Stammnamen (Guschana) des
Königs enthalten (Oldenberg, a. a. O., S. 294). Also waren diese Saker
in anderem Sinne Fremdherrscher in Indien als die baktrischen Hellenen
und die Parther. Doch sind die unter ihnen in Indien gesetzten
Inschriften nicht skythisch, sondern indisch.
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Gegen Norden und Nordosten grenzte Iran mit Turan. Wie das westliche
und südliche Ufer des Kaspischen Meeres und die oberen Täler des Oxos
und Jaxartes der Zivilisation eine geeignete Stätte bieten, so gehört
die Steppe um den Aralsee und das dahinter sich ausbreitende weite
Flachland von Rechts wegen den schweifenden Leuten. Es sind unter
diesen Nomaden wohl einzelne den Iraniern verwandte Völkerschaften
gewesen; aber auch diese haben keinen Teil an der iranischen
Zivilisation, und es ist das bestimmende Moment für die geschichtliche
Stellung Irans, daß es die Vormauer der Kulturvölker bildet gegen
diejenigen Horden, die als Skythen, Saken, Hunnen, Mongolen, Türken
keine andere weltgeschichtliche Bestimmung zu haben scheinen als die
der Kulturvernichtung. Baktra, das große Bollwerk Irans gegen Turan,
hat in der nachalexandrischen Epoche unter seinen griechischen
Herrschern längere Zeit dieser Abwehr genügt; aber es ist schon erwähnt
worden, daß es späterhin zwar nicht unterging, aber das Vordringen der
Skythen nach Süden nicht länger zu hindern vermochte. Mit dem Rückgang
der baktrischen Macht ging die gleiche Aufgabe über auf die Arsakiden.
Wie weit dieselben ihr entsprochen haben, ist schwierig zu sagen. In
der ersten Kaiserzeit scheinen die Großkönige von Ktesiphon, wie
südlich vom Hindukusch so auch in den nördlichen Landschaften, die
Skythen zurückgedrängt oder sich botmäßig gemacht zu haben; einen Teil
des baktrischen Gebiets haben sie ihnen wieder entrissen. Aber welche
und ob überhaupt dauernde Grenzen hier sich feststellten, ist
zweifelhaft. Der Kriege der Parther und der Skythen wird oft gedacht.
Die letzteren, hier zunächst die Umwohner des Aralsees, die Vorfahren
der heutigen Turkmenen, sind regelmäßig die Angreifenden, indem sie
teils zu Wasser über das Kaspische Meer in die Täler des Kyros und des
Araxes einfallen, teils von ihrer Steppe aus die reichen Fluren
Hyrkaniens und die fruchtbare Oase der Margiana (Merw) ausrauben. Die
Grenzgebiete verstanden sich dazu, die willkürliche Brandschatzung mit
Tributen abzukaufen, welche regelmäßig in festen Terminen eingefordert
wurden, wie heute die Beduinen Syriens von den Bauern daselbst die
Kubba erheben. Das parthische Regiment also vermochte wenigstens in der
früheren Kaiserzeit so wenig wie das heutige türkische, hier dem
friedlichen Untertan die Früchte seiner Arbeit zu sichern und einen
dauernden Friedensstand an der Grenze herzustellen. Auch für die
Reichsgewalt selbst blieben diese Grenzwirren eine offene Wunde;
oftmals haben sie in die Sukzessionskriege der Arsakiden so wie in ihre
Streitigkeiten mit Rom eingegriffen.
Wie das Verhältnis der Parther zu den Römern sich gestaltet und die
Grenzen der beiden Großmächte sich festgestellt hatten, ist seinerzeit
dargelegt worden. Während die Armenier mit den Parthern rivalisiert
hatten und das Königtum am Araxes sich anschickte, in Vorderasien die
Großkönigsrolle zu spielen, hatten die Parther im allgemeinen
freundliche Beziehungen zu den Römern unterhalten als den Feinden ihrer
Feinde. Aber nach der Niederwerfung des Mithradates und des Tigranes
hatten die Römer, namentlich durch die von Pompeius getroffenen
Organisationen, eine Stellung genommen, die mit ernstlichem und
dauerndem Frieden zwischen den beiden Staaten sich schwer vertrug. Im
Süden stand Syrien jetzt unter unmittelbarer römischer Herrschaft, und
die römischen Legionen hielten Wacht an dem Saume der großen Wüste, die
das Küstenland vom Euphrattal scheidet. Im Norden waren Kappadokien und
Armenien römische Lehnsfürstentümer. Die nordwärts an Armenien
grenzenden Völkerschaften, die Kolcher, Iberer, Albaner, waren damit
notwendig dem parthischen Einfluß entzogen und, wenigstens nach
römischer Auffassung, ebenfalls römische Lehnsstaaten. Das südöstlich
an Armenien angrenzende, durch den Araxes von ihm getrennte
Klein-Medien oder Atropatene (Aserbeidschan) hatte schon den Seleukiden
gegenüber unter seiner alteinheimischen Dynastie seine Nationalität
behauptet und sogar sich selbständig gemacht; unter den Arsakiden
erscheint der König dieser Landschaft je nach Umständen als Lehnsträger
der Parther oder als unabhängig von diesen durch Anlehnung an die
Römer. Somit reichte der bestimmende Einfluß Roms bis zum Kaukasus und
zum westlichen Ufer des Kaspischen Meeres. Es lag hierin ein
Übergreifen über die durch die nationalen Verhältnisse angezeigten
Grenzen. Das hellenische Volkstum hatte wohl an der Südküste des
Schwarzen Meeres und im Binnenland in Kappadokien und Kommagene so weit
Fuß gefaßt, daß hier die römische Vormacht an ihm einen Rückhalt fand;
aber Armenien ist auch unter der langjährigen römischen Herrschaft
immer ein ungriechisches Land geblieben, durch die Gemeinschaft der
Sprache und des Glaubens, die zahlreichen Zwischenheiraten der
Vornehmen, die gleiche Kleidung und gleiche Bewaffnung ^21 an den
Partherstaat mit unzerreißbaren Banden geknüpft. Die römische Aushebung
und die römische Besteuerung sind nie auf Armenien erstreckt worden;
höchstens bestritt das Land die Aufstellung und die Unterhaltung der
eigenen Truppen und die Verpflegung der daselbst liegenden römischen.
Die armenischen Kaufleute vermittelten den Warentausch über den
Kaukasus mit Skythien, über das Kaspische Meer mit Ostasien und China,
den Tigris hinab mit Babylonien und Indien, nach Westen hin mit
Kappadokien; nichts hätte näher gelegen, als das politisch abhängige
Land in das römische Steuer- und Zollgebiet einzuschließen; dennoch ist
nie dazu geschritten worden. Die Inkongruenz der nationalen und der
politischen Zugehörigkeit Armeniens bildet ein wesentliches Moment in
dem durch die ganze Kaiserzeit sich hinziehenden Konflikt mit dem
östlichen Nachbarn. Man erkannte es wohl auf römischer Seite, daß die
Annektierung jenseits des Euphrat ein Übergriff in das Stammgebiet der
orientalischen Nationalität und für Rom kein eigentlicher Machtzuwachs
war. Der Grund aber oder wenn man will die Entschuldigung dafür, daß
diese Übergriffe dennoch sich fortsetzten, liegt darin, daß das
Nebeneinanderstehen gleichberechtigter Großstaaten mit dem Wesen der
römischen, man darf vielleicht sagen mit der Politik des Altertums
überhaupt unvereinbar ist. Das römische Reich kennt als Grenze
genaugenommen nur das Meer oder das wehrlose Landgebiet. Dem
schwächeren, aber doch wehrhaften Staatswesen der Parther gönnten die
Römer die Machtstellung nicht und nahmen ihm, worauf diese wieder nicht
verzichten konnten; und darum ist das Verhältnis zwischen Rom und Iran
durch die ganze Kaiserzeit eine nur durch Waffenstillstände
unterbrochene ewige Fehde um das linke Ufer des Euphrat.
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^21 Arrian, der als Statthalter von Kappadokien selbst über die
Armenier das Kommando geführt hatte (Alan. 29), nennt in der Taktik
Armenier und Parther immer zusammen (4, 3; 44, 1 wegen der schweren
Reiterei, der gepanzerten κοντοφόροι und der leichten Reiterei, der
ακροβολισταί oder ιπποτοξόται; 35, 7 wegen der Pluderhosen), und wo er
von Hadrians Einführung der barbarischen Kavallerie in das römische
Heer spricht, führt er die berittenen Schützen zurück auf das Muster
“der Parther oder Armenier” (44, 1).
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In den von Lucullus und Pompeius mit den Parthern abgeschlossenen
Verträgen war die Euphratgrenze anerkannt, also Mesopotamien ihnen
zugestanden worden. Aber dies hinderte die Römer nicht, die Herrscher
von Edessa in ihre Klientel aufzunehmen und, wie es scheint durch
Erstreckung der Grenzen Armeniens gegen Süden, einen großen Teil des
nördlichen Mesopotamien wenigstens für ihre mittelbare Herrschaft in
Anspruch zu nehmen. Deswegen hatte nach einigem Zaudern die parthische
Regierung den Krieg gegen die Römer in der Form begonnen, daß sie ihn
den Armeniern erklärte. Die Antwort darauf war der Feldzug des Crassus
und nach der Niederlage bei Karrhä die Zurückführung Armeniens unter
parthische Gewalt; man kann hinzusetzen: die Wiederaufnahme der
Ansprüche auf die westliche Hälfte des Seleukidenstaats, deren
Durchführung freilich damals mißlang. Während des ganzen
zwanzigjährigen Bürgerkriegs, in dem die römische Republik zugrunde
ging und schließlich der Prinzipat sich feststellte, dauerte der
Kriegsstand zwischen Römern und Parthern, und nicht selten griffen
beide Kämpfe ineinander ein. Pompeius hatte vor der
Entscheidungsschlacht versucht, den König Orodes als Verbündeten zu
gewinnen; aber als dieser die Abtretung Syriens forderte, vermochte er
es nicht über sich, die durch ihn selbst römisch gewordene Provinz
auszuliefern. Nach der Katastrophe hatte er dennoch sich dazu
entschlossen; aber Zufälligkeiten lenkten seine Flucht statt nach
Syrien vielmehr nach Ägypten, wo er dann sein Ende fand. Die Parther
schienen im Begriff, abermals in Syrien einzubrechen; und die späteren
Führer der Republikaner verschmähten den Beistand der Landesfeinde
nicht. Noch bei Caesars Lebzeiten hatte Caecilius Bassus, als er die
Fahne des Aufstands in Syrien erhob, sofort die Parther herbeigerufen.
Sie waren diesem Ruf auch gefolgt; des Orodes Sohn Pakoros hatte den
Statthalter Caesars geschlagen und die von ihm in Apameia belagerte
Truppe des Bassus befreit (709 45). Sowohl aus diesem Grunde, wie um
für Karrhä Revanche zu nehmen, hatte Caesar beschlossen, im nächsten
Frühling persönlich nach Syrien und über den Euphrat zu gehen; aber die
Ausführung dieses Planes verhinderte sein Tod. Als dann Cassius in
Syrien rüstete, knüpfte er auch mit dem Partherkönig an, und in der
Entscheidungsschlacht bei Philippi (712 42) haben parthische berittene
Schützen mit für die Freiheit Roms gestritten. Da die Republikaner
unterlagen, verhielt der Großkönig zunächst sich ruhig, und auch
Antonius hatte wohl die Absicht, des Diktators Pläne auszuführen, aber
zunächst mit der Ordnung des Orients genug zu tun. Der Zusammenstoß
konnte nicht ausbleiben; der Angreifende war diesmal der Partherkönig.
Als im Jahre 713 (41) Caesar der Sohn in Italien mit den Feldherren und
der Gemahlin des Antonius schlug und dieser in Ägypten bei der Königin
Kleopatra untätig verweilte, entsprach Orodes dem Drängen eines bei ihm
im Exil lebenden Römers, des Quintus Labienus, und sandte diesen, einen
Sohn des erbitterten Gegners des Diktators Titus Labienus und
ehemaligen Offizier im Heere des Brutus, sowie (713 41) seinen Sohn
Pakoros mit einer starken Armee über die Grenze. Der Statthalter
Syriens, Decidius Saxa, unterlag dem unvermuteten Angriff; die
römischen Besatzungen, großenteils gebildet aus alten Soldaten der
republikanischen Armee, stellten sich unter den Befehl ihres früheren
Offiziers; Apameia und Antiocheia, überhaupt alle Städte Syriens mit
Ausnahme der ohne Flotte nicht zu bezwingenden Inselstadt Tyros,
unterwarfen sich; auf der Flucht nach Kilikien gab sich Saxa, um nicht
gefangen zu werden, selber den Tod. Nach der Einnahme Syriens wandte
sich Pakoros gegen Palästina, Labienus nach der Provinz Asia; auch hier
unterwarfen sich weithin die Städte oder wurden mit Gewalt bezwungen,
mit Ausnahme des karischen Stratonikeia. Antonius, durch die italischen
Verwicklungen in Anspruch genommen, sandte seinen Statthaltern keinen
Sukkurs, und fast zwei Jahre (Ende 713 bis Frühjahr 715 41-39) geboten
in Syrien und einem großen Teil Kleinasiens die parthischen Feldherren
und der republikanische Imperator Labienus -der Parthiker, wie er mit
schamloser Ironie sich nannte, nicht der Römer, der die Parther,
sondern der Römer, der mit den Parthern die Seinigen überwand. Erst
nachdem der drohende Bruch zwischen den beiden Machthabern abgewandt
war, sandte Antonius ein neues Heer unter Führung des Publius Ventidius
Bassus, dem er das Kommando in den Provinzen Asia und Syrien übergab.
Der tüchtige Feldherr traf in Asia den Labienus allein mit seinen
römischen Truppen und schlug ihn rasch aus der Provinz hinaus. An der
Scheide von Asia und Kilikien, in den Pässen des Taurus, wollte eine
Abteilung der Parther die fliehenden Verbündeten aufnehmen; aber auch
sie wurden geschlagen, bevor sie sich mit Labienus vereinigen konnten,
und darauf dieser auf der Flucht in Kilikien aufgegriffen und getötet.
Mit gleichem Glück erstritt Ventidius die Pässe des Amanos an der
Grenze von Kilikien und Syrien; hier fiel Pharnapates, der beste der
parthischen Generale (715 39). Damit war Syrien vom Feinde befreit.
Allerdings überschritt im Jahre darauf Pakoros noch einmal den Euphrat,
aber nur um in einem entscheidenden Treffen bei Gindaros nordöstlich
von Antiocheia (9. Juni 716 38) mit dem größten Teil seines Heeres den
Untergang zu finden. Es war ein Sieg, der den Tag bei Karrhä
einigermaßen aufwog und von dauernder Wirkung: auf lange hinaus haben
die Parther nicht wieder ihre Truppen am römischen Ufer des Euphrat
gezeigt.
Wenn es im Interesse Roms lag, die Eroberungen gegen Osten auszudehnen
und die Erbschaft des großen Alexander hier in ihrem vollen Umfang
anzutreten, so lagen dafür die Verhältnisse nie günstiger als im Jahre
716 (38). Die Beziehungen der Zweiherrscher zueinander hatten zur
rechten Zeit dafür sich neu befestigt, und auch Caesar wünschte damals
wahrscheinlich aufrichtig eine ernstliche und glückliche Kriegführung
seines Herrschaftsgenossen und neuen Schwagers. Die Katastrophe von
Gindaros hatte bei den Parthern eine schwere dynastische Krise
hervorgerufen. König Orodes legte, tief erschüttert durch den Tod
seines ältesten und tüchtigsten Sohnes, das Regiment zu Gunsten seines
zweitgeborenen, Phraates, nieder. Dieser führte, um sich den Thron
besser zu sichern, ein Regiment des Schreckens, dem seine zahlreichen
Brüder und der alte Vater selbst so wie eine Anzahl der hohen Adligen
des Reiches zum Opfer fielen; andere derselben traten aus und suchten
Schutz bei den Römern, unter ihnen der mächtige und angesehene
Monaeses. Nie hat Rom im Orient ein Heer von gleicher Zahl und
Tüchtigkeit gehabt wie in dieser Zeit: Antonius vermochte nicht weniger
als sechzehn Legionen, gegen 70000 Mann römischer Infanterie, gegen
40000 der Hilfsvölker, 10000 spanische und gallische, 6000 armenische
Reiter über den Euphrat zu führen; wenigstens die Hälfte derselben
waren altgediente, aus dem Westen herangeführte Truppen, alle bereit,
ihrem geliebten und verehrten Führer, dem Sieger von Philippi, wo immer
hin zu folgen und die glänzenden Siege, die nicht durch, aber für ihn
über die Parther bereits erfochten waren, unter seiner eigenen Führung
mit noch größeren Erfolgen zu krönen.
In der Tat faßte Antonius die Aufrichtung eines asiatischen
Großkönigtums nach dem Muster Alexanders ins Auge. Wie Crassus vor
seinem Einrücken verkündigt hatte, daß er die römische Herrschaft bis
nach Baktrien und Indien ausdehnen werde, so nannte Antonius den ersten
Sohn, den die ägyptische Königin ihm gebar, mit dem Namen Alexanders.
Er scheint geradezu beabsichtigt zu haben, einerseits mit Ausschluß der
vollständig hellenisierten Provinzen Bithynien und Asia das gesamte
Reichsgebiet im Osten, so weit es nicht schon unter abhängigen
Kleinfürsten stand, in diese Form zu bringen, andererseits alle
einstmals von den Okzidentalen besetzten Landschaften des Ostens in
Form von Satrapien sich untertänig zu machen. Von dem östlichen
Kleinasien wurde der größte Teil und der militärische Primat dem
streitbarsten der dortigen Fürsten, dem Galater Amyntas, zugewiesen.
Neben dem galatischen standen die Fürsten von Paphlagonien, die von
Galatien verdrängten Nachkommen des Delotarus; Polemon, der neue Fürst
im Pontos und der Gemahl der Enkelin des Antonius Pythodoris; ferner
wie bisher die Könige von Kappadokien und Kommagene. Einen großen Teil
Kilikiens und Syriens sowie Kypros und Kyrene vereinigte Antonius mit
dem ägyptischen Staat, dem er also fast die Grenzen wiedergab, wie sie
unter den Ptolemäern gewesen waren, und wie er die Buhle Caesars, die
Königin Kleopatra, zu der seinigen oder vielmehr zu seiner Gattin
gemacht hatte, so erhielt ihr Bastard von Caesar, Caesarion, schon
früher anerkannt als Mitherrscher in Ägypten ^22, die Anwartschaft auf
das alte Ptolemäerreich, die auf Syrien ihr Bastard von Antonius,
Ptolemaeos Philadelphos. Einem anderen Sohn, den sie dem Antonius
geboren hatte, dem schon erwähnten Alexander, ward für jetzt Armenien
zugeteilt als Abschlagzahlung auf die ihm weiter zugedachte Herrschaft
des Ostens. Mit diesem nach orientalischer Art geordneten Großkönigtum
^23 dachte er den Prinzipat über den Okzident zu vereinigen. Er selbst
hat nicht den Königsnamen angenommen, vielmehr seinen Landsleuten und
den Soldaten gegenüber nur diejenigen Titel geführt, die auch Caesar
zukamen. Aber auf Reichsmünzen mit lateinischer Aufschrift heißt
Kleopatra Königin der Könige, ihre Söhne von Antonius wenigstens
Könige; den Kopf seines ältesten Sohnes zeigen die Münzen neben dem des
Vaters, als verstände die Erblichkeit sich von selbst; die Ehe und die
Erbfolge der echten und der Bastardkinder wird von ihm behandelt, wie
es bei den Großkönigen des Ostens Gebrauch ist oder, wie er selbst
sagte, mit der göttlichen Freiheit seines Ahnherrn Herakles ^24; jenen
Alexander und dessen Zwillingsschwester Kleopatra nannte er den
ersteren Helios, die letztere Selene nach dem Muster eben dieser
Großkönige, und wie einst der Perserkönig dem flüchtigen Themistokles
eine Anzahl asiatischer Städte, so schenkte er dem zu ihm
übergetretenen Parther Monaeses drei Städte Syriens. Auch in Alexander
gingen der König der Makedonier und der König der Könige des Ostens
einigermaßen nebeneinander her, und auch ihm war für das Lagerzelt von
Gaugamela das Brautbett in Susa der Lohn; aber seine römische Kopie
zeigt in ihrer Genauigkeit ein starkes Element der Karikatur.
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^22 Als Mitherrscher Ägyptens ist der Bastard Caesars Πτολεμαίος ο καί
Καίσαρ θεός φιλοπάτωρ φιλομήτωρ, wie seine Königsbenennung lautet (CIG
4717), eingetreten in dem ägyptischen Jahr 29. Aug. 711/12, wie die
Jahresrechnung ausweist (Westher Bullettino dell’ Instituto 1866, S.
199; Krall, Wiener Studien 5, S. 313). Da er an den Platz des Gatten
und Bruders seiner Mutter Ptolemaeos des Jüngeren tritt, so wird dessen
Beseitigung durch Kleopatra, deren nähere Umstände nicht bekannt sind,
eben damals erfolgt sein und den Anlaß gegeben haben, ihn als König von
Ägypten zu proklamieren. Auch Dio (47, 31) setzt seine Ernennung in den
Sommer des Jahres 712 vor die Schlacht von Philippi. Dieselbe ist also
nicht Antonius’ Werk, sondern von den beiden Herrschern
gemeinschaftlich genehmigt zu einer Zeit, wo ihnen daran gelegen sein
mußte, der Königin von Ägypten, die allerdings von Anfang an auf ihrer
Seite gestanden hatte, entgegenzukommen.
^23 Das meint Augustus, wenn er sagt, daß er die großenteils unter
Könige verteilten Provinzen des Orients wieder zum Reiche gebracht habe
(Mop. Ancyr. 5, 41: provincias omnis, quae trans Hadrianum mare vergunt
ad orientem, Cyrenasque, iam ex parte magna regibus eas possidentibus .
. . reciperavi).
^24 Die Dezenz, die für Augustus ebenso charakteristisch ist wie für
seinen Kollegen das Gegenteil, verleugnet sich auch hier nicht. Nicht
bloß wurde in Betreff Caesarions die Vaterschaft, die der Diktator
selbst so gut wie anerkannt hatte, späterhin offiziell verleugnet; auch
die Kinder des Antonius von der Kleopatra, wo freilich nichts zu
verleugnen war, sind wohl als Glieder des kaiserlichen Hauses
betrachtet, aber nie förmlich als Kinder des Antonius anerkannt worden.
Im Gegenteil heißt der Sohn der Tochter des Antonius von Kleopatra, der
spätere König von Mauretanien Ptolemaeos in der athenischen Inschrift
CIA III, 555 Enkel des Ptolemaeos; denn Πτολεμαίου έκγονος kann in
diesem Zusammenhang nicht wohl anders gefaßt werden. Man erfand in Rom
diesen mütterlichen Großvater, um den wirklichen offiziell verschweigen
zu können. Wer es vorzieht, was O. Hirschfeld vorschlägt, έκγονος als
Urenkel zu nehmen und auf den mütterlichen Urgroßvater zu beziehen,
kommt zu demselben Resultat; denn dann ist der Großvater übergangen,
weil die Mutter im Rechtssinne vaterlos war.
Ob die Fiktion, die mir wahrscheinlicher ist, so weit ging, einen
bestimmten Ptolemaeos zu bezeichnen, etwa dem im Jahre 712 gestorbenen
letzten Lagiden das Leben zu verlängern, oder ob man sich begnügte, im
allgemeinen den Vater zu fingieren, ist nicht zu entscheiden. Aber auch
darin hielt man die Fiktion fest, daß der Sohn der Tochter des Antonius
den Namen des fiktiven Großvaters erhielt. Daß dabei der Herkunft von
den Lagiden vor derjenigen von Massinissa der Vorzug gegeben ward, mag
wohl mehr durch die Rücksicht auf das kaiserliche Haus herbeigeführt
sein, welches das Bastardkind als zugehörig behandelte, als durch die
hellenischen Neigungen des Vaters.
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Ob Antonius gleich bei der Übernahme des Regiments im Osten seine
Stellung in dieser Weise aufgefaßt, ist nicht zu entscheiden;
vermutlich ist die Schaffung eines neuen orientalischen Großkönigtums
in Verbindung mit dem okzidentalischen Prinzipat allmählich in ihm
gereift und der Gedanke erst völlig zu Ende gedacht worden, nachdem er
im Jahre 717 (37) bei seiner Rückkehr aus Italien nach Asien abermals
das Verhältnis mit der letzten Königin des Lagidenhauses angeknüpft
hatte, um es nicht wieder zu zerreißen. Aber sein Naturell war solchem
Unterfangen nicht gewachsen. Eine jener militärischen Kapazitäten, die
dem Feind gegenüber und besonders in schwieriger Lage besonnen und kühn
zu schlagen wissen, fehlte ihm der staatsmännische Wille, das sichere
Erfassen und entschlossene Verfolgen des politischen Ziels. Hätte der
Diktator Caesar ihm die Unterwerfung des Ostens zur Aufgabe gestellt,
so würde er sie wohl gelöst haben; zum Herrscher taugte der Marschall
nicht. Nach der Vertreibung der Parther aus Syrien verstrichen fast
zwei Jahre (Sommer 716 bis Sommer 718 38-36), ohne daß irgendein
Schritt zum Ziele getan ward. Antonius selbst, auch darin
untergeordnet, daß er seinen Generalen bedeutende Erfolge ungern
gönnte, hatte den Besieger des Labienus und des Pakoros, den tüchtigen
Ventidius sofort nach diesem letzten Erfolg entfernt und selbst den
Oberbefehl übernommen, um die armselige Ehre der Einnahme Samosatas,
der Hauptstadt des kleinen syrischen Dependenzstaats Kommagene, zu
verfolgen und zu verfehlen; ärgerlich darüber verließ er den Osten, um
in Italien mit seinem Schwager über die künftige Ordnung zu verhandeln
oder mit seiner jungen Gattin Octavia sich des Lebens zu freuen. Seine
Statthalter im Osten waren nicht untätig. Publius Canidius Crassus ging
von Armenien aus gegen den Kaukasus vor und unterwarf daselbst den
König der Iberer, Pharnabazos, und den der Albaner, Zober. Gaius
Sossius nahm in Syrien die letzte noch zu den Parthern haltende Stadt
Arados; er stellte ferner in Judäa die Herrschaft des Herodes wieder
her und ließ den von den Parthern eingesetzten Thronprätendenten, den
Hasmonäer Antigonos, hinrichten. Die Konsequenzen des Sieges auf
römischem Gebiet wurden also gezogen und bis zum Kaspischen Meer und
der syrischen Wüste die römische Herrschaft zur Anerkennung gebracht.
Aber die Kriegführung gegen die Parther zu beginnen, hatte sich
Antonius selbst vorbehalten, und er kam nicht.
Als er endlich im Jahre 718 (36) sich nicht Octavias, sondern
Kleopatras Armen entwand und die Heersäulen in Marsch setzte, war
bereits ein guter Teil der geeigneten Jahreszeit verstrichen. Noch viel
auffallender als die Säumnis ist die Richtung, welche Antonius wählte.
Früher und später haben alle Angriffskriege der Römer gegen die Parther
den Weg auf Ktesiphon eingeschlagen, die Hauptstadt des Reiches und
zugleich an dessen Westgrenze gelegen, also für die am Euphrat oder am
Tigris hinabmarschierenden Heere das natürliche und nächste
Operationsziel. Auch Antonius konnte, nachdem er durch das nördliche
Mesopotamien ungefähr auf dem Wege, den Alexander beschritten hatte, an
den Tigris gelangt war, am Fluß hinab auf Ktesiphon und Seleukeia
vorrücken. Aber statt dessen ging er vielmehr in nördlicher Richtung
zunächst nach Armenien und von da, wo er seine gesamten Streitkräfte
vereinigte und namentlich durch die armenische Reiterei sich
verstärkte, in die Hochebene von Media Atropatene (Aserbeidschan). Der
verbündete König von Armenien mag diesen Feldzugsplan wohl empfohlen
haben, da die armenischen Herrscher zu allen Zeiten nach dem Besitz
dieses Nachbarlandes strebten und König Artavazdes von Armenien hoffen
mochte, den gleichnamigen Satrapen von Atropatene jetzt zu bewältigen
und dessen Gebiet zu dem seinigen zu fügen. Aber Antonius selbst ist
durch solche Rücksichten unmöglich bestimmt worden. Eher mochte er
meinen, von Atropatene aus in das Herz des feindlichen Landes
vordringen zu können und die alten persischen Residenzen Ekbatana und
Rhagae als Marschziel betrachten. Aber wenn er dies plante, handelte er
ohne Kenntnis des schwierigen Terrains und unterschätzte durchaus die
Widerstandskraft des Gegners, wobei die kurze für Operationen in diesem
Gebirgsland verfügbare Zeit und der späte Beginn des Feldzugs schwer in
die Waagschale fielen. Da ein geschickter und erfahrener Offizier, wie
Antonius war, sich darüber schwerlich hat täuschen können, so haben
wahrscheinlich besondere politische Erwägungen hier eingewirkt.
Phraates’ Herrschaft wankte, wie gesagt ward; Monaeses, von dessen
Treue Antonius sich versichert hielt und den er vielleicht an Phraates’
Stelle zu setzen hoffte, war dem Wunsche des Partherkönigs gemäß in
sein Vaterland zurückgekehrt ^25; Antonius scheint auf eine
Schilderhebung desselben gegen Phraates gezählt und in Erwartung dieses
Bürgerkrieges seine Armee in die inneren parthischen Provinzen geführt
zu haben. Es wäre wohl möglich gewesen, in dem befreundeten Armenien
den Erfolg dieses Anschlags abzuwarten, und wenn danach weitere
Operationen erforderlich waren, im folgenden Jahre wenigstens über die
volle Sommerzeit zu verfügen; aber dies Zuwarten mißfiel dem hastigen
Feldherrn. In Atropatene traf er nicht bloß auf den hartnäckigen
Widerstand des mächtigen und halb unabhängigen Unterkönigs, der in
seiner Hauptstadt Praaspa oder Phraarta (südlich vom Urmia-See,
vermutlich am oberen Lauf des Djaghatu) entschlossen die Belagerung
aushielt, sondern der feindliche Angriff brachte auch den Parthern, wie
es scheint, den inneren Frieden. Phraates führte ein stattliches Heer
zum Entsatz der angegriffenen Stadt heran. Antonius hatte einen großen
Belagerungspark mitgeführt, aber ungeduldig vorwärts eilend diesen in
der Obhut von zwei Legionen unter dem Legaten Oppius Stauanus
zurückgelassen. So kam er seinerseits mit der Belagerung nicht
vorwärts; König Phraates aber sandte unter eben jenem Monaeses seine
Reitermassen in den Rücken der Feinde gegen das mühsam nachrückende
Korps des Stauanus. Die Parther hieben die Deckungsmannschaft nieder,
darunter den Feldherrn selbst, nahmen den Rest gefangen und
vernichteten den gesamten Park von 300 Wagen. Damit war der Feldzug
verloren. Der Armenier, an dem Erfolge des Feldzugs verzweifelnd, nahm
seine Leute zusammen und ging heim. Antonius gab nicht sofort die
Belagerung auf und schlug sogar das königliche Heer in offener
Feldschlacht, aber die flinken Reiter entrannen ohne wesentlichen
Verlust und es war ein Sieg ohne Wirkung. Ein Versuch, von dem König
wenigstens die Rückgabe der alten und der neu verlorenen Adler zu
erlangen und also wenn nicht mit Vorteil, doch mit Ehren Frieden zu
schließen, schlug fehl; so leichten Kaufs gab der Parther den sicheren
Erfolg nicht aus der Hand. Er versicherte nur den Abgesandten des
Antonius, daß, wenn die Römer die Belagerung aufheben würden, er sie
auf der Heimkehr nicht belästigen werde. Diese weder ehrenvolle noch
zuverlässige feindliche Zusage wird Antonius schwerlich zum Aufbruch
bestimmt haben. Es lag nahe, in Feindesland Winterquartier zu nehmen,
zumal da die parthischen Truppen dauernden Kriegsdienst nicht kannten
und voraussichtlich beim Einbrechen des Winters die meisten
Mannschaften heimgegangen sein würden. Aber es fehlte ein fester
Stützpunkt, und die Zufuhr in dem ausgesogenen Land war nicht
gesichert, vor allen Dingen Antonius selbst einer solchen zähen
Kriegführung nicht fähig. Also gab er die Maschinen preis, die die
Belagerten sofort verbrannten und trat den schweren Rückweg an,
entweder zu früh oder zu spät. Fünfzehn Tagemärsche (300 römische
Meilen) durch feindliches Land trennten das Heer von dem Araxes, dem
Grenzfluß Armeniens, wohin trotz der zweideutigen Haltung des
Herrschers allein der Rückzug gerichtet werden konnte. Ein feindliches
Heer von 40000 Berittenen gab trotz der gegebenen Zusage den
Abziehenden das Geleit, und mit dem Abmarsch der Armenier hatten die
Römer den besten Teil ihrer Reiterei verloren. Die Lebensmittel und die
Zugtiere waren knapp, die Jahreszeit weit vorgerückt. Aber Antonius
fand in der gefährlichen Lage seine Kraft und seine Kriegskunst wieder,
einigermaßen auch sein Kriegsglück; er hatte gewählt, und der Feldherr
wie die Truppen lösten die Aufgabe in rühmlicher Weise. Hätten sie
nicht einen ehemaligen Soldaten des Crassus bei sich gehabt, der, zum
Parther geworden, Weg und Steg auf das genaueste kannte und sie statt
durch die Ebene, auf der sie gekommen waren, auf Gebirgswegen
zurückführte, die den Reiterangriffen weniger ausgesetzt waren - wie es
scheint über die Berge um Tabriz -, so würde das Heer schwerlich an das
Ziel gelangt sein; und hätte nicht Monaeses, in seiner Art dem Antonius
die Dankesschuld abtragend, ihn rechtzeitig von den falschen
Zusicherungen und den hinterlistigen Anschlägen seiner Landsleute in
Kenntnis gesetzt, so wären die Römer wohl in einen der Hinterhalte
gefallen, die ihnen mehrfach gelegt wurden. Antonius’ Soldatennatur
trat in diesen schweren Tagen oftmals glänzend hervor, in seiner
geschickten Benutzung jedes günstigen Moments, in seiner Strenge gegen
die Feigen, in seiner Macht über die Soldatengemüter, in seiner treuen
Fürsorge für die Verwundeten und die Kranken. Dennoch war die Rettung
fast ein Wunder; schon hatte Antonius einen treuen Leibdiener
angewiesen, im äußersten Fall ihn nicht lebend in die Hände der Feinde
fallen zu lassen. Unter stetigen Angriffen des tückischen Feindes, in
winterlich kalter Witterung, bald ohne genügende Nahrung und oft ohne
Wasser erreichten sie in siebenundzwanzig Tagen die schützende Grenze,
wo der Feind von ihnen abließ. Der Verlust war ungeheuer; man rechnete
auf jene siebenundzwanzig Tage achtzehn größere Treffen, und in einem
einzigen derselben zählten die Römer 3000 Tote und 5000 Verwundete. Es
waren eben die Besten und Bravsten, die die stetigen Nachhuts- und
Flankengefechte hinrafften. Das ganze Gepäck, ein Drittel des Trosses,
ein Viertel der Armee, 20000 Fußsoldaten und 4000 Reiter waren auf
diesem medischen Feldzug zugrunde gegangen, zum großen Teil nicht durch
das Schwert, sondern durch Hunger und Seuchen. Auch am Araxes waren die
Leiden der unglücklichen Truppen noch nicht zu Ende. Artavazdes nahm
sie als Freund auf und hatte auch keine andere Wahl; es wäre wohl
möglich gewesen, hier zu überwintern. Aber die Ungeduld des Antonius
litt dies nicht; der Marsch ging weiter, und bei der immer rauher
werdenden Jahreszeit und dem Gesundheitszustand der Soldaten kostete
dieser letzte Abschnitt der Expedition vom Araxes bis nach Antiocheia,
obwohl kein Feind ihn behinderte, noch weitere 8000 Mann. Wohl ist
dieser Feldzug ein letztes Aufleuchten dessen, was in Antonius’
Charakter brav und tüchtig war, aber politisch seine Katastrophe, um so
mehr, als gleichzeitig Caesar durch die glückliche Beendigung des
sizilischen Krieges die Herrschaft im Okzident und das Vertrauen
Italiens für jetzt und alle Zukunft gewann.
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^25 Es ist an sich glaublich daß Antonius dem Phraates so lange wie
möglich die bevorstehende Invasion verbarg und darum bei Rücksendung
des Monaeses sich bereit erklärte, auf Grund der Rückgabe der
verlorenen Feldzeichen Frieden zu schließen (Plut. Ant. 37; Dio 49, 24;
Florus 2, 20 [4, 101). Aber er wußte vermutlich, daß dies Anerbieten
nicht würde angenommen werden, und ernst kann es ihm mit diesen
Anträgen auf keinen Fall gewesen sein; ohne Zweifel wollte er den Krieg
und den Sturz des Phraates.
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Die Verantwortung für den Mißerfolg, den zu verleugnen er vergeblich
versuchte, warf Antonius auf die abhängigen Könige von Kappadokien und
Armenien, auf den letzteren insofern mit Recht, als dessen vorzeitiger
Abmarsch von Praaspa die Gefahren und die Verluste des Rückzugs
wesentlich gesteigert hatte. Aber für den Feldzugsplan trug nicht er
die Verantwortung, sondern Antonius ^26; und das Fehlschlagen der auf
Monaeses gesetzten Hoffnungen, die Katastrophe des Stauanus, das
Scheitern der Belagerung von Praaspa sind nicht durch den Armenier
herbeigeführt worden. Die Unterwerfung des Ostens gab Antonius nicht
auf, sondern brach im nächsten Jahre (719 35) abermals aus Ägypten auf.
Die Verhältnisse lagen auch jetzt noch verhältnismäßig günstig. Mit dem
medischen König Artavazdes wurde ein Freundschaftsbündnis angeknüpft;
derselbe war nicht bloß mit dem parthischen Oberherrn in Streit
geraten, sondern grollte auch vor allem dem armenischen Nachbarn und
durfte bei der wohlbekannten Erbitterung des Antonius gegen diesen
darauf rechnen, an dem Feind seines Feindes eine Stütze zu finden.
Alles kam an auf das feste Einvernehmen der beiden Machthaber, des
sieggekrönten Herrn des Westens und des geschlagenen Herrschers im
Osten; und auf die Kunde hin, daß Antonius die Fortführung des Krieges
beabsichtige, begab sich seine rechtmäßige Gattin, die Schwester
Caesars, von Italien nach dem Osten, um ihm neue Mannschaften
zuzuführen und das Verhältnis zu ihr und zu dem Bruder neu zu
befestigen. Wenn Octavia groß genug dachte, trotz des Verhältnisses mit
der ägyptischen Königin dem Gatten die Hand zur Versöhnung zu bieten,
so muß auch Caesar, wie dies weiter die eben jetzt erfolgende Eröffnung
des Krieges an der italischen Nordostgrenze bestätigt, damals noch
bereit gewesen sein, das bestehende Verhältnis aufrechtzuerhalten.
Beide Geschwister ordneten ihre persönlichen Interessen denen des
Gemeinwesens in hochherziger Weise unter. Aber wie laut das Interesse
wie die Ehre dafür sprachen, die hingereichte Hand anzunehmen, Antonius
konnte es nicht über sich gewinnen, das Verhältnis zu der Ägypterin zu
lösen; er wies die Gattin zurück, und dies war zugleich der Bruch mit
deren Bruder, und, wie man hinzusetzen kann, der Verzicht auf die
Fortführung des Krieges gegen die Parther. Nun mußte, ehe daran gedacht
werden konnte, die Herrschaftsfrage zwischen Antonius und Caesar
erledigt werden. Antonius ging denn auch sofort aus Syrien nach Ägypten
zurück und unternahm in den folgenden Jahren nichts weiteres zur
Ausführung seiner orientalischen Eroberungspläne; nur strafte er die,
denen er die Schuld des Mißerfolgs beimaß. Den König von Kappadokien,
Ariarathes, ließ er hinrichten ^27 und gab das Königreich einem
illegitimen Verwandten desselben, dem Archelaos. Das gleiche Schicksal
war dem Armenier zugedacht. Wenn Antonius, wie er sagte, zur
Fortführung des Krieges im Jahre 720 (34) in Armenien erschien, so
hatte dies nur den Zweck, die Person des Königs, der sich geweigert
hatte, nach Ägypten zu gehen, in die Gewalt zu bekommen: Dieser Akt der
Rache wurde auf nichtswürdige Weise im Wege der Überlistung ausgeführt
und in nicht minder nichtswürdiger Weise durch eine in Alexandreia
aufgeführte Karikatur des kapitolinischen Triumphs gefeiert. Damals
wurde der zum Herrn des Ostens bestimmte Sohn des Antonius, wie früher
angegeben ward, als König von Armenien eingesetzt und mit der Tochter
des neuen Bundesgenossen, des Königs von Medien, vermählt, während der
älteste Sohn des gefangenen und einige Zeit später auf Geheiß der
Kleopatra hingerichteten Königs von Armenien, Artaxes, den die Armenier
anstatt des Vaters zum König ausgerufen hatten, landflüchtig zu den
Parthern ging. Armenia und Media Atropatene waren hiermit in Antonius’
Gewalt oder ihm verbündet; die Fortführung des parthischen Krieges
wurde wohl angekündigt, blieb aber verschoben bis nach der Überwindung
des westlichen Rivalen. Phraates seinerseits ging gegen Medien vor,
anfangs ohne Erfolg, da die in Armenien stehenden römischen Truppen den
Medern Beistand leisteten; aber als im Verlauf der Rüstungen gegen
Caesar Antonius seine Mannschaften von dort abrief, gewannen die
Parther die Oberhand, überwanden die Meder und setzten in Medien so wie
auch in Armenien den König Artaxes ein, der, um die Hinrichtung des
Vaters zu vergelten, sämtliche im Lande zerstreute Römer greifen und
töten ließ. Daß Phraates die große Fehde zwischen Antonius und Caesar,
während sie vorbereitet und ausgefochten ward, nicht voller ausnutzte,
wurde wahrscheinlich wieder einmal durch die im eigenen Lande
ausbrechenden Unruhen verhindert. Diese endigten damit, daß er
ausgetrieben ward und zu den Skythen des Ostens ging; an seiner Stelle
wurde Tiridates als Großkönig ausgerufen. Als die entscheidende
Seeschlacht an der Küste von Epirus geschlagen ward und dann in Ägypten
die Katastrophe des Antonius sich vollzog, saß in Ktesiphon dieser neue
Großkönig auf dem schwankenden Thron und schickten an der
entgegengesetzten Reichsgrenze die Scharen Turans sich an, den früheren
Herrscher wieder an seine Stelle zu setzen, was ihnen bald darauf auch
gelang.
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^26 Was darüber Strabon (11, 13, 4 p. 524) offenbar nach der von
Antonius’ Waffengefährten Dellius und vermutlich auf dessen Geheiß
aufgesetzten Darstellung dieses Krieges (vgl. das. 11, 13 3; Dio 49,
39) berichtet, ist ein recht kläglicher Rechtfertigungsversuch des
geschlagenen Generals. Wenn Antonius nicht den nächsten Weg nach
Ktesiphon einschlug, so kann dafür der König Artavasdes nicht als
falscher Wegweiser in Anspruch genommen werden; es war eine
militärische und wohl mehr noch eine politische Verrechnung des
obersten Feldherrn.
^27 Die Tatsache der Absetzung und der Hinrichtung und die Zeit
bezeugen Dio (49, 32) und Valerius Maximus (9, 15 ext. 2); die Ursache
oder der Vorwand wird mit dem Armenischen Krieg zusammenhängen.
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Der kluge und klare Mann, dem die Liquidation der Unternehmungen des
Antonius und die Feststellung des Verhältnisses der beiden Reichsteile
zufiel, bedurfte ebensosehr der Mäßigung wie der Energie. Es würde der
schwerste Fehler gewesen sein, in Antonius’ Gedanken eingehend den
Orient oder auch nur im Orient weiter zu erobern. Augustus erkannte
dies; seine militärischen Ordnungen zeigen deutlich, daß er zwar den
Besitz der syrischen Küste wie den der ägyptischen als ein
unentbehrliches Komplement für das Reich des Mittelmeers betrachtete,
aber auf binnenländischen Besitz daselbst keinen Wert legte. Indes
Armenien war nun einmal seit einem Menschenalter römisch und konnte,
nach Lage der Verhältnisse, nur römisch oder parthisch sein; die
Landschaft war durch ihre Lage militärisch für jede der Großmächte ein
Ausfallstor in das Gebiet der anderen. Augustus dachte auch nicht
daran, auf Armenien zu verzichten und es den Parthern zu überlassen;
und wie die Dinge lagen, durfte er schwerlich daran denken. Wenn aber
Armenien festgehalten ward, konnte man dabei nicht stehenbleiben; die
örtlichen Verhältnisse nötigten die Römer, weiter das Stromgebiet des
Kyros, die Landschaften der Iberer an seinem oberen, der Albaner an
seinem unteren Lauf, das heißt, die als Reiter wie zu Fuß
kampftüchtigen Bewohner des heutigen Georgien und Schirwân, unter ihren
maßgebenden Einfluß zu bringen, das parthische Machtgebiet nicht
nördlich vom Araxes über Atropatene hinaus sich erstrecken zu lassen.
Schon die Expedition des Pompeius hatte gezeigt, daß die Festsetzung in
Armenien die Römer notwendig einerseits bis an den Kaukasus,
andrerseits bis an das Westufer des Kaspischen Meeres führte. Die
Ansätze waren überall da. Antonius’ Legaten hatten mit den Iberern und
den Albanern gefochten. Polemon, von Augustus in seiner Stellung
bestätigt, herrschte nicht bloß über die Küste von Pharnakeia bis
Trapezunt, sondern auch über das Gebiet der Kolcher an der
Phasismündung. Zu dieser allgemeinen Sachlage kamen die besonderen
Verhältnisse des Augenblicks, welche es dem neuen Alleinherrscher Roms
in dringendster Weise nahelegten, das Schwert den Orientalen gegenüber
nicht bloß zu zeigen, sondern auch zu ziehen. Daß König Artaxes, wie
einst Mithradates, sämtliche Römer innerhalb seiner Grenzen umzubringen
befohlen hatte, konnte nicht unvergolten bleiben. Auch der
landflüchtige König von Medien hatte Hilfe jetzt bei Augustus gesucht,
wie er sie sonst bei Antonius gesucht haben würde. Der Bürger- und
Prätendentenkrieg im Parthischen Reiche erleichterte nicht bloß den
Angriff, sondern der vertriebene Herrscher Tiridates suchte gleichfalls
Schutz bei Augustus und erklärte sich bereit, als römischer Vasall das
Reich von Augustus zu Lehen zu nehmen. Die Rückgabe der bei den
Niederlagen des Crassus und der Antonianer in die Gewalt der Parther
geratenen Römer und der verlorenen Adler mochte an sich dem Herrscher
der Kriegführung nicht wert erscheinen; fallen lassen konnte der
Wiederhersteller des römischen Staates diese militärische und
politische Ehrenfrage nicht. Mit diesen Tatsachen mußte der römische
Staatsmann rechnen; bei der Stellung, die Augustus im Orient nahm, war
die Politik der Aktion überhaupt und durch die vorhergegangenen
Mißerfolge doppelt geboten. Ohne Zweifel war es wünschenswert, die
Ordnung der Dinge in Rom bald vorzunehmen; aber eine zwingende
Nötigung, dies sofort zu tun, bestand für den unbestrittenen
Alleinherrscher nicht. Er befand sich nach den entscheidenden Schlägen
von Aktion und Alexandreia an Ort und Stelle und an der Spitze eines
starken und siegreichen Heeres; was einmal geschehen mußte, geschah am
besten gleich. Ein Herrscher vom Schlage Caesars wäre schwerlich nach
Rom zurückgegangen, ohne in Armenien die Schutzherrschaft hergestellt,
die römische Suprematie bis zum Kaukasus und zum Kaspischen Meere zur
Anerkennung gebracht und mit dem Parther abgerechnet zu haben. Ein
Herrscher von Umsicht und Tatkraft hätte die Grenzverteidigung im Osten
gleich jetzt geordnet, wie die Verhältnisse es erforderten; es war von
vornherein klar, daß die vier syrischen Legionen von zusammen 40000
Mann nicht genügten, um die Interessen Roms zugleich am Euphrat, am
Araxes und am Kyros zu wahren und daß die Milizen der abhängigen
Königreiche den Mangel der Reichstruppen nur verdeckten, nicht deckten.
Armenien hielt durch politische und nationale Sympathie mehr zu den
Parthern als zu den Römern; die Könige von Kommagene, Kappadokien,
Galatien, Pontus neigten wohl umgekehrt mehr nach der römischen Seite,
aber sie waren unzuverlässig und schwach. Auch die maßhaltende Politik
bedurfte zu ihrer Begründung eines energischen Schwertschlags, zu ihrer
Aufrechthaltung des nahen Arms einer überlegenen römischen
Militärmacht.
Augustus hat weder geschlagen noch geschirmt; gewiß nicht, weil er über
die Sachlage sich täuschte, sondern weil es in seiner Art lag, das als
notwendig Erkannte zögernd und schwächlich durchzuführen und die
Rücksichten der inneren Politik auf das Verhältnis zum Ausland mehr als
billig einwirken zu lassen. Das Unzulängliche des Grenzschutzes durch
die kleinasiatischen Klientelstaaten hat er wohl eingesehen; es gehört
in diesen Zusammenhang, daß er schon im Jahre 729 (25), nach dem Tode
des Königs Amyntas, des Herrn im ganzen innern Kleinasien, diesem
keinen Nachfolger gab, sondern das Land einem kaiserlichen Legaten
unterstellte. Vermutlich sollten auch die benachbarten bedeutenderen
Klientelstaaten, namentlich Kappadokien, in gleicher Weise nach dem
Ableben der derzeitigen Inhaber in kaiserliche Statthalterschaften
verwandelt werden. Dies war ein Fortschritt, insofern die Milizen
dieser Landschaften damit der Reichsarmee inkorporiert und unter
römische Offiziere gestellt wurden; einen ernstlichen Druck auf die
unsicheren Grenzlandschaften oder gar auf den benachbarten Großstaat
konnten diese Truppen nicht ausüben, wenn sie auch jetzt zu denen des
Reiches zählten. Aber alle diese Erwägungen wurden überwogen durch die
Rücksicht auf die Herabdrückung der Ziffer des stehenden Heeres und der
Ausgabe für das Heerwesen auf das möglichst niedrige Maß.
Ebenso ungenügend waren den augenblicklichen Verhältnissen gegenüber
die auf der Heimkehr von Alexandreia von Augustus getroffenen
Maßregeln. Er gab dem vertriebenen König der Meder die Herrschaft von
Klein-Armenien und dem parthischen Prätendenten Tiridates ein Asyl in
Syrien, um durch jenen den in offener Feindseligkeit gegen Rom
verharrenden König Artaxes in Schach zu halten, durch diesen auf den
König Phraates zu drücken. Die mit diesem wegen der Rückgabe der
parthischen Siegestrophäen angeknüpften Verhandlungen zogen sich
ergebnislos hin, obwohl Phraates im Jahre 731 (23), um die Entlassung
eines zufällig in die Gewalt der Römer geratenen Sohnes zu erlangen,
die Rückgabe zugesichert hatte.
Erst als Augustus im Jahre 734 (20) sich persönlich nach Syrien begab
und Ernst zeigte, fügten sich die Orientalen. In Armenien, wo eine
mächtige Partei sich gegen den König Artaxes erhoben hatte, warfen sich
die Insurgenten den Römern in die Arme und erbaten für des Artaxes
jüngeren, am kaiserlichen Hof erzogenen und in Rom lebenden Bruder
Tigranes die kaiserliche Belehnung. Als des Kaisers Stiefsohn Tiberius
Claudius Nero, damals ein 22jähriger Jüngling, mit Heeresmacht in
Armenien einrückte, wurde König Artaxes von seinen eigenen Verwandten
ermordet, und Tigranes empfing die königliche Tiara aus der Hand des
kaiserlichen Vertreters, wie sie fünfzig Jahre früher sein
gleichnamiger Großvater von Pompeius empfangen hatte. Atropatene wurde
wieder von Armenien getrennt und kam unter die Herrschaft eines
ebenfalls in Rom erzogenen Herrschers, des Ariobarzanes, Sohnes des
früher erwähnten Artavazdes; doch scheint dieser das Land nicht als
römisches, sondern als parthisches Lehnsreich erhalten zu haben. Über
die Ordnung der Dinge in den Fürstentümern am Kaukasus erfahren wir
nichts; aber da sie später unter die römischen Klientelstaaten
gerechnet werden, so hat wahrscheinlich damals auch hier der römische
Einfluß obgesiegt. Selbst König Phraates, jetzt vor die Wahl gestellt,
sein Wort einzulösen oder zu schlagen, entschloß sich schweren Herzens
zu der die nationalen Gefühle der Seinen empfindlich verletzenden
Herausgabe der wenigen noch lebenden römischen Kriegsgefangenen und der
gewonnenen Feldzeichen.
Unendlicher Jubel begrüßte diesen, von dem Fürsten des Friedens
errungenen unblutigen Sieg. Auch bestand nach demselben mit dem
Partherkönig längere Zeit ein freundschaftliches Verhältnis, wie denn
die unmittelbaren Interessen der beiden Großstaaten sich wenig stießen.
In Armenien dagegen hatte die römische Lehnsherrschaft, die nur auf
sich selbst ruhte, der nationalen Opposition gegenüber einen schweren
Stand. Nach dem frühen Tode des Königs Tigranes schlugen dessen Kinder
oder die unter ihrem Namen regierenden Staatsleiter sich selber zu
dieser. Gegen sie wurde von den Römerfreunden ein anderer Herrscher,
Artavazdes, aufgestellt; aber er vermochte nicht gegen die stärkere
Gegenpartei durchzudringen. Diese armenischen Wirren störten auch das
Verhältnis zu den Parthern; es lag in der Sache, daß die antirömisch
gesinnten Armenier sich auf diese zu stützen suchten, und auch die
Arsakiden konnten nicht vergessen, daß Armenien früher eine parthische
Sekundogenitur gewesen war. Unblutige Siege sind oft schwächliche und
gefährliche. Es kam so weit, daß die römische Regierung im Jahre 748
(6) demselben Tiberius, der vierzehn Jahre zuvor den Tigranes als
Lehnskönig von Armenien eingesetzt hatte, den Auftrag erteilte,
abermals mit Heeresmacht dort einzurücken und die Verhältnisse
nötigenfalls mit Waffengewalt zu ordnen. Aber das Zerwürfnis in der
kaiserlichen Familie, welches die Unterwerfung der Germanen
unterbrochen hatte, griff auch hier ein und hatte die gleiche üble
Wirkung. Tiberius lehnte den Auftrag des Stiefvaters ab, und in
Ermangelung eines geeigneten prinzlichen Feldherrn sah die römische
Regierung einige Jahre hindurch wohl oder übel dem Schalten der
antirömischen Partei in Armenien unter Parthisches Schutz untätig zu.
Endlich im Jahre 753 (1) wurde dem älteren Adoptivsohn des Kaisers, dem
zwanzigjährigen Gaius Caesar, nicht bloß derselbe Auftrag erteilt,
sondern es sollte, wie der Vater hoffte, die Unterwerfung Armeniens der
Anfang größerer Dinge sein, der Orientfeldzug des zwanzigjährigen
Kronprinzen man möchte fast sagen die Alexanderfahrt fortsetzen. Vom
Kaiser beauftragte oder dem Hofe nahestehende Literaten, der Geograph
Isidoros, selber an der Euphratmündung zu Hause, und der Vertreter der
griechischen Gelehrsamkeit unter den Fürstlichkeiten des Augustischen
Kreises, König Juba von Mauretanien, widmeten, jener seine im Orient
selbst eingezogenen Erkundigungen, dieser literarische Kollektaneen
über Arabien, dem jungen Prinzen, der vor Begierde zu brennen schien,
mit der Eroberung Arabiens, über welche Alexander weggestorben war,
einen vor längerer Zeit dort eingetretenen Mißerfolg des Augustfischen
Regiments glänzend zu begleichen. Zunächst für Armenien war diese
Sendung ebenso von Erfolg wie die des Tiberius. Der römische Kronprinz
und der parthische Großkönig Phraatakes trafen persönlich auf einer
Insel des Euphrat zusammen; die Parther gaben wieder einmal Armenien
auf und die nahegerückte Gefahr eines parthischen Krieges ward
abgewandt, das gestörte Einvernehmen wenigstens äußerlich
wiederhergestellt. Den Armeniern setzte Gaius den Ariobarzanes, einen
Prinzen aus dem medischen Fürstenhause, zum König, und die
Oberherrschaft Roms wurde abermals befestigt. Indes fügten die
antirömisch gesinnten Armenier sich nicht ohne Widerstand; es kam nicht
bloß zum Einrücken der Legionen, sondern auch zum Schlagen. Vor den
Mauern des armenischen Kastells Artageira empfing der junge Kronprinz
von einem parthischen Offizier durch tückische List die Wunde (2 n.
Chr.), an der er nach monatelangem Siechen hinstarb. Die Verschlingung
der Reichs- und der dynastischen Politik bestrafte sich aufs neue. Der
Tod eines jungen Mannes änderte den Gang der großen Politik; die so
zuversichtlich dem Publikum angekündigte arabische Expedition fiel weg,
nachdem ihr Gelingen dem Sohn des Kaisers nicht mehr den Weg zur
Nachfolge ebnen konnte. Auch an weitere Unternehmungen am Euphrat wurde
nicht mehr gedacht; das Nächste, die Besetzung Armeniens und die
Wiederherstellung der Beziehungen zu den Parthern war erreicht, wie
trübe Schatten auch durch den Tod des Kronprinzen auf diesen Erfolg
fielen.
Bestand hatte derselbe so wenig wie der der glänzenderen Expedition des
Jahres 734 (20). Die von Rom eingesetzten Herrscher Armeniens wurden
bald von denen der Gegenpartei unter versteckter oder offener
Beteiligung der Parther bedrängt oder verdrängt. Als der in Rom
erzogene parthische Prinz Vonones auf den erledigten parthischen Thron
berufen ward, hofften die Römer an ihm eine Stütze zu finden; allein
eben deswegen mußte er bald ihn räumen, und an seine Stelle kam König
Artabanos von Medien, ein mütterlicherseits den Arsakiden
entsprossener, aber dem skythischen Volke der Daker angehöriger und in
einheimischer Sitte aufgewachsener tatkräftiger Mann (um 10 n. Chr.).
Vonones ward damals von den Armeniern als Herrscher aufgenommen und
damit diese unter römischem Einfluß gehalten. Aber um so weniger konnte
Artabanos seinen verdrängten Nebenbuhler als Nachbarfürsten dulden; die
römische Regierung hätte, um den für seine Stellung in jeder Hinsicht
ungeeigneten Mann zu halten, Waffengewalt gegen die Parther wie gegen
seine eigenen Untertanen anwenden müssen. Tiberius, der inzwischen zur
Regierung gekommen war, ließ nicht sofort einrücken, und für den
Augenblick siegte in Armenien die antirömische Partei; aber es war
nicht seine Absicht, auf das wichtige Grenzland zu verzichten. Im
Gegenteil wurde die wahrscheinlich längst beschlossene Einziehung des
Königreichs Kappadokien im Jahre 17 zur Ausführung gebracht: der alte
Archelaos, der dort seit dem Jahre 718 (36) den Thron einnahm, ward
nach Rom berufen und ihm hier angekündigt, daß er aufgehört habe zu
regieren. Ebenso kam das kleine, aber wegen der Euphratübergänge
wichtige Königreich Kommagene damals unter unmittelbare kaiserliche
Verwaltung. Damit war die unmittelbare Reichsgrenze bis an den
mittleren Euphrat vorgeschoben. Zugleich ging der Kronprinz Germanicus,
der soeben am Rhein mit großer Auszeichnung kommandiert hatte, mit
ausgedehnter Machtvollkommenheit nach dem Osten, um die neue Provinz
Kappadokien zu ordnen und das gesunkene Ansehen der Reichsgewalt
wiederherzustellen. Auch diese Sendung kam bald und leicht zum Ziel.
Germanicus, obwohl von dem Statthalter Syriens, Gnaeus Piso, nicht mit
derjenigen Truppenmacht unterstützt, die er fordern durfte und
gefordert hatte, ging nichtsdestoweniger nach Armenien und brachte
durch das bloße Gewicht seiner Persönlichkeit und seiner Stellung das
Land zum Gehorsam zurück. Den unfähigen Vonones ließ er fallen und
setzte den Armeniern, den Wünschen der römisch gesinnten Vornehmen
entsprechend, zum Herrscher einen Sohn jenes Polemon, den Antonius zum
König im Pontus gemacht hatte, den Zenon oder, wie er als König von
Armenien heißt, Artaxias; dieser war einerseits dem kaiserlichen Hause
verbunden durch seine Mutter, die Königin Pythodoris, eine Enkelin des
Triumvirn Antonius, andererseits nach Landesart erzogen, ein tüchtiger
Waidmann und bei dem Gelag ein tapferer Zecher. Auch der Großkönig
Artabanos kam dem römischen Prinzen in freundschaftlicher Weise
entgegen und bat nur um Entfernung seines Vorgängers Vonones aus
Syrien, um den zwischen diesem und den unzufriedenen Parthern sich
anspinnenden Zettelungen zu steuern. Da Germanicus dieser Bitte
entsprach und den unbequemen Flüchtling nach Kilikien schickte, wo er
bald darauf bei einem Fluchtversuch umkam, stellten zwischen den beiden
Großstaaten die besten Beziehungen sich her. Artabanos wünschte sogar,
mit Germanicus am Euphrat persönlich zusammenzukommen, wie dies auch
Phraatakes und Gaius getan hatten; dies aber lehnte Germanicus ab, wohl
mit Rücksicht auf Tiberius’ leicht erregten Argwohn. Freilich fiel auf
diese orientalische Expedition derselbe trübe Schatten wie auf die
letztvorhergehende; auch von dieser kam der Kronprinz des Römischen
Reiches nicht lebend heim.
Eine Zeitlang taten die getroffenen Einrichtungen ihren Dienst. So
lange Tiberius mit sicherer Hand die Herrschaft führte und so lange
König Artaxias von Armenien lebte, blieb im Orient Ruhe; aber in den
letzten Jahren des alten Kaisers, als derselbe von seiner einsamen
Insel aus die Dinge gehen ließ und vor jedem Eingreifen zurückscheute,
und insbesondere nach dem Tode des Artaxias (um 34) begann das alte
Spiel abermals. König Artabanos, gehoben durch sein langes und
glückliches Regiment und durch vielfache, gegen die Grenzvölker Irans
erstrittene Erfolge und überzeugt, daß der alte Kaiser keine Neigung
haben werde, einen schweren Krieg im Orient zu beginnen, bewog die
Armenier, seinen eigenen ältesten Sohn, den Arsakes, zum Herrscher
auszurufen, das heißt die römische Oberherrlichkeit mit der parthischen
zu vertauschen. Ja er schien es geradezu auf den Krieg mit Rom
anzulegen; er forderte die Verlassenschaft seines in Kilikien
umgekommenen Vorgängers und Rivalen Vonones von der römischen
Regierung, und seine Schreiben an diese sprachen ebenso unverhüllt aus,
daß der Orient den Orientalen gehöre, wie sie die Greuel am
kaiserlichen Hofe, die man in Rom sich nur im vertrautesten Kreise
zuzuflüstern wagte, bei ihrem rechten Namen nannten. Er soll sogar
einen Versuch gemacht haben, sich in Besitz von Kappadokien zu setzen.
Aber indem alten Löwen hatte er sich verrechnet. Tiberius war auch auf
Capreae nicht bloß den Hofleuten furchtbar und nicht der Mann, sich und
in sich Rom ungestraft verhöhnen zu lassen. Er sandte den Lucius
Vitellius, den Vater des spätem Kaisers, einen entschlossenen Offizier
und geschickten Diplomaten, nach dem Orient mit ähnlicher
Machtvollkommenheit, wie sie früher Gaius Caesar und Germanicus gehabt
hatten, und mit dem Auftrag, nötigenfalls die syrischen Legionen über
den Euphrat zu führen. Zugleich wandte er das oft erprobte Mittel an,
den Herrschern des Ostens durch Insurrektionen und Prätendenten in
ihrem eigenen Lande zu schaffen zu machen. Dem Partherprinzen, den die
armenischen Nationalen zum Herrscher ausgerufen hatten, stellte er
einen Fürsten aus dem Königshaus der Iberer entgegen, den Mithradates,
des Ibererkönigs Pharasmanes Bruder, und wies diesen sowie den Fürsten
der Albaner an, den römischen Prätendenten für Armenien mit Heeresmacht
zu unterstützen. Von den streitbaren und für jeden Werber leicht
zugänglichen transkaukasischen Sarmaten wurden große Scharen mit
römischem Golde für den Einfall in Armenien gedungen. Es gelang auch
dem römischen Prätendenten, seinen Nebenbuhler durch bestochene
Hofleute zu vergiften und sich des Landes und der Hauptstadt Artaxata
zu bemächtigen. Artabanos sandte an des Ermordeten Stelle einen anderen
Sohn, Orodes, nach Armenien und versuchte auch seinerseits
transkaukasische Hilfstruppen zu beschaffen; aber nur wenige kamen nach
Armenien durch, und die parthischen Reiterscharen waren der guten
Infanterie der Kaukasusvölker und den gefürchteten sarmatischen
berittenen Schützen nicht gewachsen. Orodes wurde in harter
Feldschlacht überwunden und selbst im Zweikampf mit seinem Rivalen
schwer verwundet. Da brach Artabanos selber nach Armenien auf. Nun aber
setzte auch Vitellius die syrischen Legionen in Bewegung, um den
Euphrat zu überschreiten und in Mesopotamien einzufallen; und dies
brachte die lange gärende Insurrektion im Partherreiche zum Ausbruch.
Das energische und mit den Erfolgen selbst immer schroffere Auftreten
des skythischen Herrschers hatte viele Personen und Interessen
verletzt, insbesondere die mesopotamischen Griechen und die mächtige
Stadtgemeinde von Seleukeia, welcher er ihre nach griechischer Art
demokratische Gemeindeverfassung genommen hatte, ihm abwendig gemacht.
Das römische Gold nährte die sich vorbereitende Bewegung. Unzufriedene
Adlige hatten schon früher sich mit der römischen Regierung in
Verbindung gesetzt und einen echten Arsakiden von dieser erbeten.
Tiberius hatte des Phraates einzigen überlebenden, dem Vater
gleichnamigen Sohn und, nachdem der alte römisch gewöhnte Mann den
Anstrengungen noch in Syrien erlegen war, an dessen Stelle einen
ebenfalls in Rom lebenden Enkel des Phraates namens Tiridates
geschickt. Der parthische Fürst Sinnakes, der Führer dieser
Zettelungen, kündigte jetzt dem Skythen den Gehorsam und pflanzte das
Banner der Arsakiden auf. Vitellius überschritt mit den Legionen den
Euphrat und in seinem Gefolge der neue Großkönig von römischen Gnaden.
Der parthische Statthalter von Mesopotamien, Ornospades, der einst als
Verbannter unter Tiberius den pannonischen Krieg mitgemacht hatte,
stellte sich und seine Truppen sofort dem neuen Herrn zur Verfügung des
Sinnakes Vater Abdagaeses lieferte den Reichsschatz aus; in kürzester
Zeit sah sich Artabanos von dem ganzen Lande verlassen und gezwungen,
in seine skythische Heimat zu flüchten, wo er als unsteter Mann in den
Wäldern herumirrte und mit seinem Bogen sich das Leben fristete,
während dem Tiridates von den nach parthischer Staatsordnung zur
Krönung des Herrschers berufenen Fürsten in Ktesiphon feierlich die
Tiara aufs Haupt gesetzt ward. Indes die Herrschaft des von dem
Reichsfeind geschickten neuen Großkönigs währte nicht lange. Das
Regiment, welches weniger er führte, ein junger unerfahrener und
untüchtiger Mann, als die ihn zum König gemacht hatten, vornehmlich
Abdagaeses, rief bald Opposition hervor. Einige der vornehmsten
Satrapen waren schon bei der Krönungsfeier ausgeblieben und zogen den
vertriebenen Herrscher wieder aus der Verbannung hervor; mit ihrem
Beistand und den von seinen skythischen Landsleuten gestellten
Mannschaften kehrte Artabanos zurück, und schon im folgenden Jahre (36)
war das ganze Reich mit Ausnahme von Seleukeia wieder in seiner Gewalt,
Tiridates ein flüchtiger Mann und genötigt, bei seinen römischen
Beschützern die Zuflucht zu heischen, die ihm nicht versagt werden
konnte. Vitellius führte die Legionen abermals an den Euphrat; aber da
der Großkönig persönlich erschien und sich zu allem Verlangten bereit
erklärte, falls die römische Regierung von Tiridates abstehe, war der
Friede bald geschlossen. Artabanos erkannte nicht bloß den Mithradates
als König von Armenien an, sondern brachte auch dem Bildnis des
römischen Kaisers die Huldigung dar, die von den Lehnsmannen gefordert
zu werden pflegte, und stellte seinen Sohn Dareios den Römern als
Geisel. Darüber war der alte Kaiser gestorben; aber diesen so
unblutigen wie vollständigen Sieg seiner Politik über die Auflehnung
des Orients hat er noch erlebt.
Was die Klugheit des Greises erreicht hatte, verdarb sofort der
Unverstand des Nachfolgers. Abgesehen davon, daß er verständige
Einrichtungen des Tiberius rückgängig machte, zum Beispiel das
eingezogene Königreich Kommagene wiederherstellte, gönnte sein
törichter Neid dem toten Kaiser den erreichten Erfolg nicht; den
tüchtigen Statthalter von Syrien wie den neuen König von Armenien lud
er zur Verantwortung nach Rom vor, setzte den letzteren ab und schickte
ihn, nachdem er ihn eine Zeitlang gefangen gehalten hatte, ins Exil.
Selbstverständlich griff die parthische Regierung zu und nahm das
herrenlose Armenien wiederum in Besitz ^28. Claudius hatte, als er im
Jahre 41 zur Regierung kam, die getane Arbeit von neuem zu beginnen. Er
verfuhr nach dem Beispiel des Tiberius. Mithradates, aus dem Exil
zurückgerufen, wurde wieder eingesetzt und angewiesen, mit Hilfe seines
Bruders sich Armeniens zu bemächtigen. Der damals zwischen den drei
Söhnen des Königs Artabanos III. geführte Bruderkrieg im Partherreich
ebnete den Römern den Weg. Nach der Ermordung des ältesten Sohnes
stritten Jahre lang Gotarzes und Vardanes um den Thron; Seleukeia, das
schon dem Vater den Gehorsam aufgekündigt hatte, trotzte sieben Jahre
hindurch ihm und nachher den Söhnen; die Völker Turans griffen wie
immer auch in diesen Hader der Fürsten Irans ein. Mithradates vermochte
mit Hilfe der Truppen seines Bruders und der Garnisonen der
benachbarten römischen Provinzen die parthisch Gesinnten in Armenien zu
überwältigen und sich wieder zum Herrn daselbst zu machen ^29; das Land
erhielt römische Besatzung. Nachdem Vardanes sich mit dem Bruder
verglichen und endlich Seleukeia wieder eingenommen hatte, machte er
Miene, in Armenien einzurücken; aber die drohende Haltung des römischen
Legaten von Syrien hielt ihn ab und sehr bald brach der Bruder den
Vergleich und begann der Bürgerkrieg aufs neue. Nicht einmal die
Ermordung des tapferen und im Kampf mit den Völkern Turans siegreichen
Vardanes setzte demselben ein Ziel; die Gegenpartei wendete sich nun
nach Rom und erbat sich von der dortigen Regierung den dort lebenden
Sohn des Vonones, den Prinzen Meherdates, welcher dann auch vom Kaiser
Claudius vor dem versammelten Senat den Seinigen zur Verfügung gestellt
und nach Syrien entlassen ward mit der Ermahnung, sein neues Reich gut
und gerecht zu verwalten und der römischen Schutzfreundschaft eingedenk
zu bleiben (Jahr 49). Er kam nicht in die Lage, von diesen Ermahnungen
Anwendung zu machen. Die römischen Legionen, die ihm bis zum Euphrat
das Geleit gaben, übergaben ihn dort denen, die ihn gerufen hatten, dem
Haupt des mächtigen Fürstengeschlechts der Karên und den Königen
Abgaros von Edessa und Izates von Adiabene. Der unerfahrene und
unkriegerische Jüngling war der Aufgabe so wenig gewachsen wie alle
anderen von den Römern aufgestellten parthischen Herrscher; eine Anzahl
seiner namhaftesten Anhänger verließen ihn, so wie sie ihn
kennenlernten und gingen zu Gotarzes; in der entscheidenden Schlacht
gab der Fall des tapferen Karên den Ausschlag. Meherdates wurde
gefangen und nicht einmal hingerichtet, sondern nur nach orientalischer
Sitte durch Verstümmelung der Ohren regierungsunfähig gemacht.
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^28 Der Bericht über die Besitzergreifung Armeniens fehlt, aber die
Tatsache geht aus Tac. ann. 11, 9 deutlich hervor. Wahrscheinlich
gehört hierher, was Josephus (bel. Iud. 20 3, 3) von der Absicht des
Nachfolgers des Artabanos erzählt, gegen die Römer Krieg zu führen
wovon der Satrap von Adiabene, Izates, ihn vergebens abmahnt. Josephus
nennt diesen Nachfolger wohl irrig Bardanes. Artabanos’ III.
unmittelbarer Nachfolger war nach Tac. ann. 11, 8 sein gleichnamiger
Sohn, den nebst seinem Sohn dann Gotarzes aus dem Wege räumte; und
dieser Artabanos IV. wird hier gemeint sein.
^29 Die Meldung des Petrus Patricius (fr. 3 Müll.), daß der König
Mithradates von Iberien den Abfall von Rom geplant, aber, um den Schein
der Treue zu wahren, seinen Bruder Kotys an Claudius gesandt habe und
dann, da dieser dem Kaiser von jenen Umtrieben Anzeige gemacht,
abgesetzt und durch den Bruder ersetzt worden sei verträgt sich nicht
mit der gesicherten Tatsache, daß in Iberien wenigstens vom Jahr 35
(Tac. ann. 6, 32) bis zum Jahr 60 (Tac. ann. 14, 26) Pharasmanes, im
Jahre 75 dessen Sohn Mithradates (CIL III, 6052) geherrscht hat. Ohne
Zweifel hat Petrus den Mithradates von Iberien und den gleichnamigen
König des Bosporus zusammengeworfen und liegt hier die Erzählung zu
Grunde, welche Tacitus (ann. 12, 18) voraussetzt.
————————————————————
Trotz dieser Niederlage der römischen Politik im Partherreich blieb
Armenien den Römern, solange der schwache Gotarzes über die Parther
herrschte. Aber sowie eine kräftigere Hand die Zügel der Herrschaft
faßte und die inneren Kämpfe ruhten, ward auch der Kampf um jenes Land
wieder aufgenommen. König Vologasos, der nach dem Tode des Gotarzes und
dem kurzen Regiment Vonones’ II, diesem seinem Vater im Jahre 51
sukzedierte ^30, bestieg den Thron ausnahmsweise in vollem
Einverständnis mit seinen beiden Brüdern Pakoros und Tiridates. Er war
ein fähiger und umsichtiger Regent - auch als Städtegründer finden wir
ihn und mit Erfolg bemüht, den Handel von Palmyra nach seiner Stadt
Vologasias am unteren Euphrat zu lenken -, raschen und extremen
Entschlüssen abgeneigt und bemüht, mit dem mächtigen Nachbarn womöglich
Frieden zu halten. Aber die Rückgewinnung Armeniens war der leitende
politische Gedanke der Dynastie und auch er bereit, jede Gelegenheit zu
seiner Verwirklichung zu benutzen. Diese Gelegenheit schien jetzt sich
zu bieten. Der armenische Hof war der Schauplatz einer der
entsetzlichsten Familientragödien geworden, die die Geschichte
verzeichnet. Der alte König der Iberer, Pharasmanes, unternahm es,
seinen Bruder, den König von Armenien Mithradates, vom Thron zu stoßen
und seinen eigenen Sohn Rhadamistos an dessen Stelle zu setzen. Unter
dem Vorwande eines Zerwürfnisses mit dem Vater erschien Rhadamistos bei
seinem Oheim und Schwiegervater und knüpfte mit angesehenen Armeniern
Verhandlungen in jenem Sinne an. Nachdem er sich eines Anhangs
versichert hatte, überzog Pharasmanes im Jahre 52 unter nichtigen
Vorwänden den Bruder mit Krieg und brachte auch das Land in seine oder
vielmehr seines Sohnes Gewalt. Mithradates stellte sich unter den
Schutz der römischen Besatzung des Kastells Gorneae ^31. Diese
anzugreifen wagte Rhadamistos nicht; aber der Kommandant Caelius Pollio
war als nichtswürdig und feil bekannt. Der unter ihm den Befehl
führende Centurio begab sich zu Pharasmanes, um ihn zur Zurückrufung
seiner Truppen zu bestimmen, was dieser wohl versprach, aber nicht
hielt. Während der Abwesenheit des Zweitkommandierenden nötigte Pollio
den König, der wohl ahnte, was ihm bevorstand, durch die Drohung, ihn
im Stiche zu lassen, sich dem Rhadamistos in die Hände zu liefern. Von
diesem wurde er umgebracht, mit ihm seine Gattin, des Rhadamistos’
Schwester und die Kinder derselben, weil sie im Anblick der Leichen
ihrer Eltern in Jammergeschrei ausbrachen. Auf diese Weise gelangte
Rhadamistos zur Herrschaft von Armenien. Die römische Regierung durfte
weder solchen, von ihren Offizieren mitverschuldeten Greueln zusehen
noch dulden, daß einer ihrer Lehnsträger den andern mit Krieg überzog.
Nichtsdestoweniger erkannte der Statthalter von Kappadokien, Iulius
Paelignus, den neuen König von Armenien an. Auch im Rat des
Statthalters von Syrien, Ummidius Quadratus, überwog die Meinung, daß
es den Römern gleichgültig sein könne, ob der Oheim oder der Neffe über
Armenien herrsche; der nach Armenien mit einer Legion gesendete Legat
erhielt nur den Auftrag, den Status quo bis auf weiteres aufrecht zu
halten. Da hielt der Partherkönig, in der Voraussetzung, daß die
römische Regierung sich nicht beeifern werde, für den König Rhadamistos
einzutreten, den Moment für geeignet, seine alten Ansprüche auf
Armenien wieder aufzunehmen. Er belehnte mit Armenien seinen Bruder
Tiridates, und die einrückenden parthischen Truppen bemächtigten sich
fast ohne Schwertstreich der beiden Hauptstädte Tigranokerta und
Artaxata und des ganzen Landes. Als Rhadamistos einen Versuch machte,
den Preis seiner Bluttaten festzuhalten, schlugen die Armenier selbst
ihn zum Lande hinaus. Die römische Besatzung scheint nach der Übergabe
von Gorneae Armenien verlassen zu haben; die aus Syrien in Marsch
gesetzte Legion zog der Statthalter zurück, um nicht mit den Parthern
in Konflikt zu geraten.
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^30 Wenn die Münzen, die freilich meistens nur nach der
Bildnisähnlichkeit sich scheiden lassen, richtig attributiert sind, so
reichen die des Gotarzes bis Sel. 362 Daesius = n. Chr. 51, Juni und
beginnen die des Volagasos (von Vonones II. kennen wir keine) mit Sel.
362 Gorpiäus = n. Chr. 51, September (Gardner, Parthian coinage, S. 50,
51), was mit Tacitus (ann. 12, 14, 44) übereinstimmt.
^31 Gorneae, bei den Armeniern Garhni, wie die Ruine (nahe, östlich von
Eriwan) noch jetzt genannt wird. Kiepert.
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Als diese Kunde nach Rom kam (Ende 54), war Kaiser Claudius eben
gestorben und regierten für den jungen siebzehnjährigen Nachfolger
tatsächlich die Minister Burrus und Seneca. Das Vorgehen des Vologasos
konnte nur mit der Kriegserklärung beantwortet werden. In der Tat
sandte die römische Regierung nach Kappadokien, das sonst
Statthalterschaft zweiten Ranges und nicht mit Legionen belegt war,
ausnahmsweise den konsularischen Legaten Gnaeus Domitius Corbulo. Er
war als Schwager des Kaisers Gaius rasch vorwärts gekommen, dann unter
Claudius im Jahre 47 Legat von Untergermanien gewesen und galt seitdem
als einer der damals nicht zahlreichen tüchtigen, die vielfach
verfallene Disziplin energisch handhabenden Heerführer, selbst eine
herkulische Gestalt, jeder Strapaze gewachsen und nicht bloß dem Feind,
sondern auch seinen eigenen Soldaten gegenüber von rücksichtslosem Mut.
Es schien ein Zeichen des Besserwerdens der Dinge, daß die Neronische
Regierung das erste von ihr zu besetzende wichtige Kommando an ihn
vergab. Der unfähige syrische Legat von Syrien, Quadratus, wurde nicht
abgerufen, aber angewiesen, zwei von seinen vier Legionen dem
Statthalter der Nachbarprovinz zur Verfügung zu stellen. Die Legionen
alle wurden an den Euphrat herangezogen und die sofortige Schlagung der
Brücken über den Fluß angeordnet. Die beiden westlich zunächst an
Armenien grenzenden Landschaften Klein-Armenien und Sophene wurden zwei
zuverlässigen syrischen Fürsten, dem Aristobulos aus einem Seitenzweig
des herodischen Hauses und dem Sohaemos aus der Herrscherfamilie von
Hemesa zugeteilt und beide unter Corbulos Befehle gestellt. Der König
des damals noch übrigen Restes des Judenstaats Agrippa und der König
von Kommagene Antiochos erhielten ebenfalls Marschbefehl. Indes
zunächst kam es nicht zum Schlagen. Die Ursache lag zum Teil in dem
Zustand der syrischen Legionen; es war ein schlimmes Armutszeugnis für
die bisherige Verwaltung, daß Corbulo die ihm überwiesenen Truppen
geradezu als unbrauchbar bezeichnen mußte. Die in den griechischen
Provinzen ausgehobenen und garnisonierenden Legionen waren immer
geringer gewesen als die okzidentalischen; jetzt hatte die entnervende
Gewalt des Orients bei dem langen Friedensstand und der schlaffen
Heereszucht dieselben völlig demoralisiert. Die Soldaten hielten mehr
in den Städten sich auf als in den Lagern; nicht wenige derselben waren
des Waffentragens entwöhnt und wußten nichts von Lagerschlagen und
Wachdienst; die Regimenter waren lange nicht ergänzt und enthielten
zahlreiche alte unbrauchbare Leute; Corbulo hatte zunächst eine große
Anzahl von Soldaten zu entlassen und in noch viel größerer Zahl
Rekruten auszuheben und auszubilden. Der Wechsel der bequemen
Winterquartiere am Orontes mit denen in den rauben armenischen Bergen,
die plötzliche Einführung unerbittlich strenger Lagerzucht führte
vielfach Erkrankungen herbei und veranlaßte zahlreiche Desertionen.
Trotz allem dem sah sich der Feldherr, als es Ernst ward, genötigt, um
Zusendung einer der besseren Legionen des Okzidents zu bitten. Unter
diesen Umständen beeilte er sich nicht, seine Soldaten an den Feind zu
bringen; indes waren doch dabei überwiegend politische Rücksichten
maßgebend.
Wäre es die Absicht der römischen Regierung gewesen, den parthischen
Herrscher sofort aus Armenien zu vertreiben, und zwar nicht den
Rhadamistos, mit dessen Blutschuld die Römer keine Veranlassung hatten,
sich zu beflecken, aber irgendeinen anderen Fürsten ihrer Wahl an
dessen Stelle zu setzen, so hätten dazu die Streitkräfte Corbulos wohl
sofort ausgereicht, da König Vologasos, wieder einmal durch innere
Unruhen abgezogen, seine Truppen aus Armenien weggeführt hatte. Aber
dies lag nicht im Plane der Römer; man wollte dort vielmehr das
Regiment des Tiridates sich gefallen lassen und ihn nur zur Anerkennung
der römischen Oberherrlichkeit bestimmen und nötigenfalls zwingen; nur
zu diesem Zweck sollten äußersten Falls die Legionen marschieren. Es
kam dies der Sache nach der Abtretung Armeniens an die Parther sehr
nahe. Was für diese sprach und was sie verhinderte, ist früher
entwickelt worden. Wurde jetzt Armenien als parthische Sekundogenitur
geordnet, so war die Anerkennung des römischen Lehnsrechts wenig mehr
als eine Formalität, genau genommen nichts als eine Deckung der
militärischen und politischen Ehre. Also hat die Regierung der früheren
neronischen Zeit, der notorisch an Einsicht und Energie wenige gleich
kamen, beabsichtigt, sich Armeniens in schicklicher Weise zu
entledigen; und es kann das nicht verwundern. Man schöpfte hier in der
Tat in das Sieb. Der Besitz Armeniens war wohl im Jahre 20 v. Chr.
durch Tiberius, dann durch Gaius im Jahre 2, durch Germanicus im Jahre
18, durch Vitellius im Jahre 36 im Lande selbst wie bei den Parthern
zur Geltung und Anerkennung gebracht worden. Aber eben diese regelmäßig
sich wiederholenden und regelmäßig von Erfolg gekrönten und doch
niemals zu dauernder Wirkung gelangenden außerordentlichen Expeditionen
gaben den Parthern recht, wenn sie in den Verhandlungen unter Nero
behaupteten, daß die römische Oberherrschaft über Armenien ein leerer
Name, das Land nun einmal parthisch sei und sein wolle. Zur
Geltendmachung der römischen Obergewalt bedurfte es immer wenn nicht
der Kriegführung, doch der Kriegdrohung, und die dadurch bedingte
stetige Reibung machte den dauernden Friedensstand zwischen den beiden
benachbarten Großmächten unmöglich. Die Römer hatten, wenn sie
folgerichtig verfuhren, nur die Wahl, Armenien und das linke
Euphratufer überhaupt entweder durch Beseitigung der bloß mittelbaren
Herrschaft effektiv in ihre Gewalt zu bringen oder es soweit den
Parthern zu überlassen, als dies mit dem obersten Grundsatz des
römischen Regiments, keine gleichberechtigte Grenzmacht anzuerkennen,
sich vertrug. Augustus und die bisherigen Regenten hatten die erstere
Alternative entschieden abgelehnt, und sie hätten also den zweiten Weg
einschlagen sollen; aber auch diesen abzulehnen, hatten sie wenigstens
versucht und das parthische Königshaus von der Herrschaft über Armenien
ausschließen wollen, ohne es zu können. Dies müssen die leitenden
Staatsmänner der früheren neronischen Zeit als einen Fehler betrachtet
haben, da sie Armenien den Arsakiden überließen und sich auf das
denkbar geringste Maß von Rechten daran beschränkten. Wenn die Gefahren
und die Nachteile, welche das Festhalten dieser nur äußerlich dem Reich
anhaftenden Landschaft dem Staate brachte, gegen diejenigen abgewogen
wurden, welche die Partherherrschaft über Armenien für die Römer nach
sich zog, so konnte, zumal bei der geringen Offensivkraft des
Parthischen Reiches, die Entscheidung wohl in dem letzteren Sinne
gefunden werden: Unter allen Umständen aber war diese Politik
konsequent und suchte das auch von Augustus verfolgte Ziel in klarerer
und verständigerer Weise zu erreichen.
Von diesem Standpunkt aus versteht man, weshalb Corbulo und Quadratus,
statt den Euphrat zu überschreiten, mit Vologasos Verhandlungen
anknüpften und nicht minder, daß dieser, ohne Zweifel von den
wirklichen Absichten der Römer unterrichtet, sich dazu verstand, in
ähnlicher Weise wie sein Vorgänger den Römern sich zu beugen und ihnen
als Friedenspfand eine Anzahl dem königlichen Hause nahestehender
Geiseln zu überliefern. Die stillschweigend vereinbarte Gegenleistung
dafür war die Duldung der Herrschaft des Tiridates über Armenien und
die Nichtaufstellung eines römischen Prätendenten. So gingen einige
Jahre in faktischem Friedensstand hin. Aber da Vologasos und Tiridates
sich nicht dazu verstanden, um die Belehnung des letzteren mit Armenien
bei der römischen Regierung einzukommen ^32, ergriff Corbulo im Jahre
58 gegen Tiridates die Offensive. Eben die Politik des Zurückweichens
und Nachgehens bedurfte, wenn sie bei Freund und Feind nicht als
Schwäche erscheinen sollte, der Folie, also entweder der förmlichen und
feierlichen Anerkennung der römischen Obergewalt oder besser noch des
mit den Waffen gewonnenen Sieges.
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^32 Noch nach dem Angriff beschwerte Tiridates sich, cur datis nuper
obsidibus redintegrataque amicitia . . . vetere Armeniae possessione
depelleretur, und Corbulo stellte ihm, falls er sich bittweise an den
Kaiser wende, ein regnum stabile in Aussicht (Tac. ann. 12 37). Auch
anderswo wird als der eigentliche Kriegsgrund die Weigerung des
Lehnseides bezeichnet (Tac. ann. 12, 34).
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Im Sommer des Jahres 58 führte Corbulo eine leidlich schlagfähige Armee
von mindestens 30000 Mann über den Euphrat. Die Reorganisation und die
Abhärtung der Truppen wurde durch die Kampagne selbst vollendet und das
erste Winterquartier auf armenischem Boden genommen. Im Frühjahr 59 ^33
begann er den Vormarsch in der Richtung auf Artaxata. Zugleich brachen
in Armenien von Norden her die Iberer ein, deren König Pharasmanes, um
seine eigenen Frevel zu bedecken, seinen Sohn Rhadamistos hatte
hinrichten lassen und nun weiter bemüht war, durch gute Dienste seine
Verschuldung in Vergessenheit zu bringen; nicht minder ihre
nordwestlichen Nachbarn, die tapferen Moscher, von Süden König
Antiochos von Kommagene. König Vologasos war durch den Aufstand der
Hyrkaner an der entgegengesetzten Seite des Reiches festgehalten und
konnte oder wollte in den Kampf nicht unmittelbar eingreifen. Tiridates
leistete mutigen Widerstand; aber er vermochte nichts gegen die
erdrückende Übermacht. Vergeblich versuchte er sich auf die
Verbindungslinien der Römer zu werfen, die ihre Bedürfnisse über das
Schwarze Meer und den Hafen von Trapezus bezogen. Die Burgen Armeniens
fielen unter den Angriffen der stürmenden Römer, und die Besatzungen
wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht. In einer Feldschlacht
unter den Mauern von Artaxata geschlagen, gab Tiridates den ungleichen
Kampf auf und ging zu den Parthern. Artaxata ergab sich und hier, im
Herzen von Armenien, überwinterte das römische Heer. Im Frühjahr 60
brach Corbulo von dort auf, nachdem er die Stadt niedergebrannt hatte,
und marschierte quer durch das Land auf dessen zweite Hauptstadt
Tigranokerta oberhalb Nisibis im Tigrisgebiet. Der Schrecken über die
Zerstörung Artaxatas ging ihm voraus; ernstlicher Widerstand wurde
nirgends geleistet; auch Tigranokerta öffnete dem Sieger freiwillig die
Tore, der hier in wohlberechneter Weise die Gnade walten ließ.
Tiridates machte noch einen Versuch, zurückzukehren und den Kampf
wieder aufzunehmen, wurde aber ohne besondere Anstrengung abgewiesen.
Am Ausgang des Sommers 60 war ganz Armenien unterworfen und stand zur
Verfügung der römischen Regierung.
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^33 Der Bericht bei Tacitus (ann. 13, 34-41) umfaßt ohne Zweifel die
Kampagnen der Jahre 58 und 59, da Tacitus unter dem Jahr 59 von dem
armenischen Feldzug schweigt, unter dem Jahr 60 aber (ann. 14, 23)
unmittelbar an 13, 41 anknüpft und offenbar nur einen einzigen Feldzug
schildert, überhaupt, wo er in dieser Weise zusammenfaßt, in der Regel
antizipiert. Daß der Krieg nicht erst 59 angefangen haben kann,
bestätigt weiter die Tatsache, daß Corbulo die Sonnenfinsternis vom 30.
April 59 auf armenischem Boden beobachtete (Plin. nat. 2, 70, 180);
wäre er erst 59 eingerückt, so konnte er so früh im Jahre kaum die
feindliche Grenze überschritten haben. Einen Jahreinschnitt zeigt die
Erzählung des Tacitus (ann. 13, 34-41) an sich nicht, wohl aber läßt
sie bei seiner Art zu berichten die Möglichkeit zu daß das erste Jahr
mit dem Überschreiten des Euphrat und der Festsetzung in Armenien
verging, also der c. 35 erwähnte Winter der des Jahres 58/59 ist, zumal
da bei der Beschaffenheit des Heeres eine derartige Kriegseinleitung
wohl am Platze und bei dem kurzen armenischen Sommer es militärisch
zweckmäßig war, den Einmarsch und die eigentliche Kriegführung also zu
trennen.
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Es ist begreiflich, daß man in Rom jetzt von Tiridates absah. Der Prinz
Tigranes, ein Urenkel von väterlicher Seite Herodes’ des Großen, von
mütterlicher des Königs Archelaos von Kappadokien, auch dem alten
armenischen Königshause von weiblicher Seite verwandt und ein Neffe
eines der ephemeren Herrscher Armeniens aus den letzten Jahren des
Augustus, in Rom erzogen und durchaus ein Werkzeug der römischen
Regierung, wurde jetzt (60) von Nero mit dem Königreich Armenien
belehnt und auf des Kaisers Befehl von Corbulo in die Herrschaft
eingesetzt. Im Lande blieb römische Besatzung, 1000 Legionarier und
drei- bis viertausend Reiter und Infanterie der Auxilien. Ein Teil der
Grenzlandschaften ward von Armenien abgetrennt und verteilt unter die
benachbarten Könige Polemon von Pontus und Trapezus, Aristobulos von
Klein-Armenien, Pharasmanes von Iberien und Antiochos von Kommagene.
Dagegen rückte der neue Herr von Armenien, natürlich mit Einwilligung
der Römer, in die angrenzende parthische Provinz Adiabene ein, schlug
den dortigen Statthalter Monobazos und schien auch diese Landschaft vom
parthischen Staat abreißen zu wollen.
Diese Wendung der Dinge nötigte die parthische Regierung, aus ihrer
Passivität herauszutreten; es handelte sich nun nicht mehr um die
Wiedergewinnung Armeniens, sondern um die Integrität des Parthischen
Reiches. Die lange drohende Kollision zwischen den beiden Großstaaten
schien unvermeidlich. Vologasos bestätigte in einer Versammlung der
Großen des Reiches den Tiridates wiederholt als König von Armenien und
sandte mit ihm den Feldherrn Monaeses gegen den römischen Usurpator des
Landes, der in Tigranokerta, welches die römischen Truppen besetzt
hielten, von den Parthern belagert ward. Vologasos selbst zog die
parthische Hauptmacht in Mesopotamien zusammen und bedrohte (Anfang 61)
Syrien. Corbulo, der nach Quadratus’ Tode zur Zeit in Kappadokien wie
in Syrien das Kommando führte, aber von der Regierung die Ernennung
eines anderen Statthalters für Kappadokien und Armenien erbeten hatte,
sandte vorläufig zwei Legionen nach Armenien, um Tigranes Beistand zu
leisten, während er selbst an den Euphrat rückte, um den Partherkönig
zu empfangen. Indes es kam wieder nicht zum Schlagen, sondern zum
Vertrag. Vologasos, wohl wissend, wie gefährlich das beginnende Spiel
sei, erklärte sich jetzt bereit, auf die vor dem Ausbruch des
armenischen Krieges von den Römern vergeblich angebotenen Bedingungen
einzugehen und die Belehnung des Bruders durch den römischen Kaiser zu
gestatten. Corbulo ging auf den Vorschlag ein. Er ließ den Tigranes
fallen, zog die römischen Truppen aus Armenien zurück und ließ es
geschehen, daß Tiridates daselbst sich festsetzte, während die
parthischen Hilfstruppen ebenfalls abzogen; dagegen schickte Vologasos
eine Gesandtschaft an die römische Regierung und erklärte die
Bereitwilligkeit seines Bruders, das Land von Rom zu Lehen zu nehmen.
Diese Maßnahmen Corbulos waren bedenklicher Art ^34 und führten zu
einer üblen Verwicklung. Der römische Feldherr mag wohl mehr noch als
die Staatsmänner in Rom von der Nutzlosigkeit des Festhaltens von
Armenien durchdrungen gewesen sein; aber nachdem die römische Regierung
den Tigranes als König von Armenien eingesetzt hatte, durfte er nicht
von sich aus auf die früher gestellten Bedingungen zurückgreifen, am
wenigsten seine eigenen Eroberungen preisgeben und die römischen
Truppen aus Armenien zurückziehen. Er war dazu um so weniger
berechtigt, als er Kappadokien und Armenien nur interimistisch
verwaltete und selbst der Regierung erklärt hatte, daß er nicht
imstande sei, zugleich dort und in Syrien das Kommando zu führen;
woraufhin der Konsular Lucius Caesennius Paetus zum Statthalter von
Kappadokien ernannt und auch dorthin bereits unterwegs war. Der
Verdacht ist kaum abzuweisen, daß Corbulo diesem die Ehre der
schließlichen Unterwerfung Armeniens nicht gönnte und durch den
faktischen Friedensschluß mit den Parthern vor seinem Eintreffen ein
Definitivum herzustellen wünschte. Die römische Regierung lehnte denn
auch die Anträge des Vologasos ab und bestand auf der Festhaltung
Armeniens, das, wie der neue, im Laufe des Sommers 61 in Kappadokien
eingetroffene Statthalter erklärte, sogar in unmittelbare römische
Verwaltung genommen werden sollte. Ob die römische Regierung in der Tat
sich entschlossen hatte, so weit zu gehen, ist nicht auszumachen; aber
es lag dies allerdings in der Konsequenz ihrer Politik. Die Einsetzung
eines von Rom abhängigen Königs war nur die Verlängerung des bisherigen
unhaltbaren Zustandes; wer die Abtretung Armeniens an die Parther nicht
wollte, mußte die Umwandlung des Königreichs in eine römische Provinz
ins Auge fassen. Der Krieg hatte also seinen Fortgang; es wurde darum
auch eine der mösischen Legionen dem kappadokischen Heer zugesandt. Als
Paetus eintraf, lagerten die beiden von Corbulo ihm zugewiesenen
Legionen diesseits des Euphrat in Kappadokien; Armenien war geräumt und
mußte wieder erobert werden. Paetus ging sofort an das Werk,
überschritt bei Melitene (Malatia) den Euphrat, rückte in Armenien ein
und bezwang die nächsten Burgen an der Grenze. Indes die vorgerückte
Jahreszeit nötigte ihn bald, die Operationen einzustellen und auf die
beabsichtigte Wiederbesetzung Tigranokertas für dies Jahr zu
verzichten; doch nahm er, um im nächsten Frühjahr den Marsch sogleich
wieder aufzunehmen, nach Corbulos Beispiel die Winterquartiere in
Feindesland bei Rhandeia, an einem Nebenfluß des Euphrat, dem Arsanias,
unweit des heutigen Charput, während der Troß und die Weiber und Kinder
unweit davon in dem festen Kastell Arsamosata untergebracht wurden.
Aber er hatte die Schwierigkeit des Unternehmens unterschätzt. Die eine
und die beste seiner Legionen, die mösische, war noch auf dem Marsch
und überwinterte diesseits des Euphrat im pontischen Gebiet; die beiden
anderen waren nicht diejenigen, welche Corbulo kriegen und siegen
gelehrt hatte, sondern die früheren syrischen des Quadratus,
unvollzählig und ohne durchgreifende Reorganisation kaum brauchbar.
Dabei stand er nicht wie Corbulo den Armeniern allein, sondern der
Hauptmasse der Parther gegenüber; Vologasos hatte, als es mit dem
Kriege Ernst ward, den Kern seiner Truppen aus Mesopotamien nach
Armenien geführt und den strategischen Vorteil, daß er die inneren und
kürzeren Linien beherrschte, verständig zur Geltung gebracht. Corbulo
hätte, zumal da er den Euphrat überbrückt und am anderen Ufer
Brückenköpfe angelegt hatte, diesen Abmarsch durch einen rechtzeitigen
Einfall in Mesopotamien wenigstens erschweren oder doch wettmachen
können; aber er rührte sich nicht aus seinen Stellungen und überließ es
Paetus, sich der Gesamtmacht der Feinde zu erwehren, wie er konnte.
Dieser war weder selber Militär noch bereit, militärischen Rat
anzunehmen und zu befolgen, nicht einmal ein Mann von entschlossenem
Charakter, übermütig und ruhmredig im Anlauf, verzagt und kleinmütig
gegenüber dem Mißerfolg. Also kam, was kommen mußte. Im Frühling 62
griff nicht Paetus an, sondern Vologasos; die vorgeschobenen Truppen,
welche den Parthern den Weg verlegen sollten, wurden von der Übermacht
erdrückt; der Angriff verwandelte sich rasch in eine Belagerung der
römischen weit auseinandergezogenen Stellungen in dem Winterlager und
dem Kastell. Die Legionen konnten weder vorwärts noch zurück; die
Soldaten desertierten massenweise; die einzige Hoffnung ruhte auf
Corbulos fern im nördlichen Syrien, ohne Zweifel bei Zeugma, untätig
lagernden Legionen. In die Schuld der Katastrophe teilten sich beide
Generale, Corbulo wegen des verspäteten Aufbruchs zur Hilfe ^35, obwohl
er dann, als er den ganzen Umfang der Gefahr erkannte, den Marsch nach
Möglichkeit beschleunigte, Paetus, weil er den kühnen Entschluß, lieber
unterzugehen als zu kapitulieren, nicht zu fassen vermochte und damit
die nahe Rettung verscherzte; noch drei Tage länger und die 5000 Mann,
welche Corbulo heranführte, hätten die ersehnte Hilfe gebracht. Die
Bedingungen der Kapitulation waren freier Abzug für die Römer und
Räumung Armeniens unter Auslieferung aller von ihnen besetzten Kastelle
und aller in ihren Händen befindlichen Vorräte, deren die Parther
dringend benötigt waren. Dagegen erklärte Vologasos sich bereit, trotz
dieses militärischen Erfolges Armenien als römisches Lehen für den
Bruder von der kaiserlichen Regierung zu erbitten und deswegen Gesandte
an Nero zu senden ^36. Die Mäßigung des Siegers kann darauf beruhen,
daß er von Corbulos Annähern bessere Kunde hatte als die
eingeschlossene Armee; aber wahrscheinlicher lag dem vorsichtigen Mann
gar nichts daran, die Katastrophe des Crassus zu erneuern und wiederum
römische Adler nach Ktesiphon zu bringen. Die Niederlage einer
römischen Armee, das wußte er, war nicht die Überwältigung Roms und die
reale Konzession, welche in der Anerkennung des Tiridates lag, ward
durch die Nachgiebigkeit in der Form nicht allzu teuer erkauft.
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^34 Aus der Darstellung des Tacitus (ann. 15, 6) sieht die
Parteilichkeit und die Verlegenheit deutlich heraus. Die Auslieferung
Armeniens an Tiridates auszusprechen, wagt er nicht und läßt sie den
Leser nur schließen.
^35 Das sagt Tacitus selbst (arm. 15, 10): nec a Corbulone properatum,
quo gliscentibus periculis etiam subsidii laus augeretur, in naiver
Unbefangenheit über den schweren Tadel, den dieses Lob in sich trägt.
Wie parteiisch der ganze, auf Corbulos Depeschen beruhende Bericht
gehalten ist, beweist unter anderem, daß dem Paetus in einem Atem die
ungenügende Verproviantierung des Lagers (15, 8) und die Übergabe
desselben trotz reichlicher Vorräte (15 16) zum Vorwurf gemacht und die
letztere Tatsache daraus geschlossen wird, daß die abziehenden Römer
die nach der Kapitulation den Parthern auszuliefernden Vorräte lieber
zerstörten. Wie die Erbitterung gegen Tiberius in der Schönfärberei des
Germanicus, so hat die gegen Nero in der des Corbulo ihren Ausdruck
gefunden.
^36 Corbulos Angabe, daß Paetus in Gegenwart seiner Soldaten und der
parthischen Abgesandten sich eidlich verpflichtet habe, bis zum
Eintreffen der Antwort Neros keine Truppen nach Armenien zu schicken,
erklärt Tacitus (ann. 15, 16) für unglaubwürdig; der Sachlage
entspricht sie, und es ist auch nicht dagegen gehandelt worden.
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Die römische Regierung lehnte das Anerbieten des Partherkönigs abermals
ab und befahl die Fortsetzung des Krieges. Sie konnte nicht wohl
anders; war die Anerkennung des Tiridates vor dem Wiederbeginn des
Krieges bedenklich und nach der parthischen Kriegserklärung kaum
annehmbar, so erschien sie jetzt, als Konsequenz der Kapitulation von
Rhandeia, geradezu als deren Ratifikation. Von Rom aus wurde die
Wiederaufnahme des Kampfes gegen die Parther in energischer Weise
betrieben. Paetus wurde abberufen; Corbulo, in dem die durch die
schimpfliche Kapitulation erregte öffentliche Meinung nur den Besieger
Armeniens sah und den auch die, welche die Sachlage genau kannten und
scharf beurteilten, nicht umhin konnten, als den fähigsten und für
diesen Krieg einzig geeigneten Feldherrn zu bezeichnen, übernahm wieder
die Statthalterschaft von Kappadokien, aber zugleich das Kommando über
sämtliche für diesen Feldzug verwendbare Truppen, welche noch weiter
durch eine siebente, aus Pannonien herbeigerufene Legion verstärkt
wurden; demnach wurde alle Statthalter und Fürsten des Orients
angewiesen, in militärischen Angelegenheiten seinen Anordnungen Folge
zu leisten, so daß seine Amtsgewalt derjenigen, welche den Kronprinzen
Gaius und Germanicus für ihre Sendungen in den Orient beigelegt worden
war, ziemlich gleichkam. Wenn diese Maßregeln eine ernste Reparation
der römischen Waffenehre herbeiführen sollten, so verfehlten sie ihren
Zweck. Wie Corbulo die Sachlage ansah, zeigte schon das Abkommen, das
er nicht lange nach der Katastrophe von Rhandeia mit dem Partherkönig
traf: dieser zog die parthischen Besatzungen aus Armenien zurück, die
Römer räumten die auf mesopotamischem Gebiet zum Schutz der Brücken
angelegten Kastelle. Für die römische Offensive waren die parthischen
Besatzungen in Armenien ebenso gleichgültig wie die Euphratbrücken
wichtig; sollte dagegen Tiridates als römischer Lehnskönig in Armenien
anerkannt werden, so waren allerdings die letzteren überflüssig und
parthische Besatzungen in Armenien unmöglich. Im nächsten Frühjahr 63
schritt Corbulo allerdings zu der ihm anbefohlenen Offensive und führte
die vier besten seiner Legionen bei Melitene über den Euphrat gegen die
in der Gegend von Arsamosata stehende parthisch-armenische Hauptmacht.
Aber aus dem Schlagen ward nicht viel; nur einige Schlösser
armenischer, antirömisch gesinnter Adliger wurden zerstört. Dagegen
führte auch diese Begegnung zum Vertragen. Corbulo nahm die früher von
seiner Regierung zurückgewiesenen parthischen Anträge an und zwar, wie
der weitere Verlauf der Dinge zeigte, in dem Sinne, daß Armenien ein
für allemal eine parthische Sekundogenitur ward und die römische
Regierung, wenigstens nach dem Geiste des Abkommens, darauf einging,
diese Krone in Zukunft nur an einen Arsakiden zu verleihen. Hinzugefügt
wurde nur, daß Tiridates sich verpflichten solle, in Rhandeia, eben da,
wo die Kapitulation geschlossen worden war, öffentlich unter den Augen
der beiden Armeen das königliche Diadem vom Haupte zu nehmen und es vor
dem Bildnis des Kaisers niederzulegen, gelobend, es nicht wieder
aufzusetzen, bevor er es aus seiner Hand und zwar in Rom selbst
empfangen haben werde. So geschah es (63). Durch diese Demütigung wurde
daran nichts geändert, daß der römische Feldherr, statt den ihm
aufgetragenen Krieg zu führen, auf die von seiner Regierung verworfenen
Bedingungen Frieden schloß ^37. Aber die früher leitenden Staatsmänner
waren inzwischen gestorben oder zurückgetreten und das persönliche
Regiment des Kaisers dafür installiert, und auf das Publikum und vor
allem auf den Kaiser persönlich verfehlte der feierliche Akt in
Rhandeia und das in Aussicht gestellte Schaugepränge der Belehnung des
parthischen Fürsten mit der Krone von Armenien in der Reichshauptstadt
seine Wirkung nicht. Der Friede wurde ratifiziert und erfüllt. Im Jahre
66 erschien der parthische Fürst versprochenermaßen in Rom, geleitet
von 3000 parthischen Reitern, als Geiseln die Kinder der drei Brüder so
wie die des Monobazos von Adiabene heranführend. Er begrüßte kniefällig
seinen auf dem Markte der Hauptstadt auf dem Kaiserstuhl sitzenden
Lehnsherrn und hier knüpfte dieser ihm vor allem Volke die königliche
Binde um die Stirn.
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^37 Da nach Tacitus (ann. 15, 25; vgl. Dio 62, 22) Nero die Gesandten
des Vologasos wohlwollend entließ und die Möglichkeit einer
Verständigung, wenn Tiridates persönlich erscheine, durchblicken ließ,
so kann Corbulo in diesem Fall nach seinen Instruktionen gehandelt
haben; aber eher möchte dies zu den im Interesse Corbulos
hinzugesetzten Wendungen gehören. Daß bei dem Prozeß, der diesem einige
Jahre nachher gemacht ward, diese Vorgänge zur Sprache gekommen sind,
ist wahrscheinlich nach der Notiz, daß einer der Offiziere von der
armenischen Kampagne sein Ankläger wurde. Die Identität des
Kohortenpräfekten Arrius Varus bei Tacitus (ann. 13, 9) und des
Primipilen (hist. 3, 6) ist mit Unrecht bestritten worden; vgl. zu CIL
V, 867.
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Die von beiden Seiten zurückhaltende, man möchte sagen friedliche
Führung des letzten, nominell zehnjährigen Krieges und der
entsprechende Abschluß desselben durch den faktischen Übergang
Armeniens an die Parther unter Schonung der Suszeptibilitäten des
mächtigeren Westreiches trug gute Frucht. Armenien war unter der
nationalen von den Römern anerkannten Dynastie mehr von ihnen abhängig
als früher unter den dem Lande aufgedrungenen Herrschern. Wenigstens in
der zunächst an den Euphrat grenzenden Landschaft Sophene blieb
römische Besatzung ^38. Für die Wiederherstellung von Artaxata wurde
die Erlaubnis des Kaisers erbeten und gewährt, und der Bau von Kaiser
Nero mit Geld und Arbeitern gefördert. Zwischen den beiden mächtigen
Staaten, die der Euphrat voneinander schied, hat zu keiner Zeit ein
gleich gutes Verhältnis bestanden wie nach dem Abschluß des Vertrages
von Rhandeia in den letzten Jahren Neros und weiter unter den drei
Herrschern des Flavischen Hauses. Noch andere Umstände trugen dazu bei.
Die transkaukasischen Völkermassen, vielleicht gelockt durch ihre
Beteiligung an den letzten Kriegen, während welcher sie als Söldner
teils der Iberer, teils der Parther den Weg nach Armenien gefunden
hatten, fingen damals an, vor allem die westlichen parthischen
Provinzen, aber zugleich die östlichen des Römischen Reiches zu
bedrohen. Wahrscheinlich um ihnen zu wehren, wurde unmittelbar nach dem
Armenischen Kriege im Jahre 63 die Einziehung des sogenannten
Pontischen Königreichs verfügt, das heißt der Südostecke der Küste des
Schwarzen Meeres mit der Stadt Trapezus und dem Phasisgebiet. Die große
orientalische Expedition, welche Kaiser Nero eben anzutreten im Begriff
war, als ihn die Katastrophe ereilte (68), und für welche er bereits
die Kerntruppen des Westens teils nach Ägypten, teils an die Donau in
Marsch gesetzt hatte, sollte freilich auch nach anderen Seiten hin die
Reichsgrenze vorschieben ^39; aber der eigentliche Zielpunkt waren die
Kaukasuspässe oberhalb Tiflis und die am Nordabhang ansässigen
skythischen Stämme, zunächst die Alanen ^40. Eben diese berannten
einerseits Armenien, andererseits Medien. Jene Neronische Expedition
richtete sich so wenig gegen die Parther, daß sie vielmehr aufgefaßt
werden konnte als diesen zur Hilfe unternommen; den wilden Horden des
Nordens gegenüber war für die beiden Kulturstaaten des Westens und des
Ostens gemeinsame Abwehr allerdings angezeigt. Vologasos lehnte
freilich die freundschaftliche Aufforderung seines römischen Kollegen,
ihn ebenso wie der Bruder in Rom zu besuchen, in gleicher
Freundschaftlichkeit ab, da ihn keineswegs gelüstete, auch seinerseits
als Lehnsträger des römischen Herrschers auf dem römischen Markt zu
figurieren; aber er erklärte sich bereit, dem Kaiser sich vorzustellen,
wenn dieser im Orient eintreffen werde, und nicht die Römer, aber wohl
die Orientalen haben Nero aufrichtig betrauert. König Vologasos
richtete an den Senat offiziell das Ersuchen, Neros Gedächtnis in Ehren
zu halten, und als späterhin ein Pseudo-Nero auftrat, fand er vor allem
im Partherstaat Sympathien.
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^38 In Ziata (Charput) haben sich zwei Inschriften eines Kastells
gefunden, welches eine der von Corbulo über den Euphrat geführten
Legionen, die 3. Gallica, dort auf Corbulos Geheiß im Jahre 64 anlegte
(Eph. epigr. V, p. 25).
^39 Nero beabsichtigte inter reliqua bella auch einen äthiopischen
(Plin. nat. 6, 29, 182, vgl. 184). Darauf beziehen sich die
Truppensendungen nach Alexandreia (Tac. hist. 1, 31, 70).
^40 Als Zielpunkt der Expedition bezeichnen sowohl Tacitus (hist. 1, 6)
wie Sueton (Nero 19) die kaspischen Tore, d. h. den Kaukasuspaß
zwischen Tiflis und Wladi-Kawkas bei Darial, welchen nach der Sage
Alexander mit eisernen Pforten schloß (Plin. nat. 6, 11, 30; Ios. bel.
Iud. 7, 7, 4; Prok. Pers. 1, 10). Sowohl nach dieser Lokalität wie nach
der ganzen Anlage der Expedition kann dieselbe unmöglich gegen die
Albaner am westlichen Ufer des Kaspischen Meeres sich gerichtet haben;
hier sowohl wie an einer anderen Stelle (arm. 2, 68: ad Armenios, inde
Albanos Heniochosque) können nur die Alanen gemeint sein, die bei
Josephus a. a. O. und sonst eben an dieser Stelle erscheinen und öfter
mit den kaukasischen Albanern verwechselt worden sind. Verwirrt ist
freilich auch der Bericht des Josephus. Wenn hier die Alanen mit
Genehmigung des Königs der Hyrkaner durch die kaspischen Tore in Medien
und dann in Armenien einfallen, so hat der Schreiber an das andere
kaspische Tor östlich von Rhagae gedacht; aber dies wird sein Versehen
sein, da der letztere im Herzen des Parthischen Reichs gelegene Paß
unmöglich das Ziel der Neronischen Expedition gewesen sein kann und die
Alanen nicht am östlichen Ufer des Kaspischen Meeres, sondern nordwärts
vom Kaukasus saßen. Dieser Expedition wegen wurde die beste der
römischen Legionen, die 14., aus Britannien abgerufen, die freilich nur
bis Pannonien kam (Tac. hist. 2, 11, vgl. 27. 66), und eine neue
Legion, die 1. italische, von Nero gebildet (Suet. Nero 19). Man sieht
daraus, in welchem Rahmen sie entworfen war.
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Indes war es dem Parther nicht so sehr um die Freundschaft Neros zu tun
als um die des römischen Staates. Nicht bloß enthielt er sich während
der Krisen des Vierkaiserjahres jedes Übergriffes ^41, sondern er bot
Vespasian, den wahrscheinlichen Ausgang des schwebenden
Entscheidungskampfes richtig schätzend, noch in Alexandreia 40000
berittene Schützen zum Kampfe gegen Vitellius an, was natürlich dankend
abgelehnt ward. Vor allem aber fügte er sich ohne weiteres den
Anordnungen, welche die neue Regierung für den Schutz der Ostgrenze
traf. Vespasian hatte selbst als Statthalter von Judäa die
Unzulänglichkeit der dort ständig verwendeten Streitkräfte
kennengelernt; und als er diese Statthalterschaft mit der Kaisergewalt
vertauschte, wurde nicht nur Kommagene wieder nach dem Vorgang des
Tiberius aus einem Königreich eine Provinz, sondern es ward auch die
Zahl der ständigen Legionen im römischen Asien von vier auf sieben
erhöht, auf welche Zahl sie vorübergehend für den Parthischen und
wieder für den Jüdischen Krieg gebracht worden waren. Während ferner es
bis dahin in Asien nur ein einziges größeres Militärkommando, das des
Statthalters von Syrien, gegeben hatte, wurden jetzt drei derartige
Oberbefehlshaberstellen daselbst eingerichtet. Syrien, zu dem Kommagene
hinzutrat, behielt wie bisher vier Legionen; die beiden bisher nur mit
Truppen zweiter Ordnung besetzten Provinzen Palästina und Kappadokien
wurden die erste mit einer, die zweite mit zwei Legionen belegt ^42,
Armenien blieb römisches Lehnsfürstentum im Besitz der Arsakiden; aber
unter Vespasian stand römische Besatzung jenseits der armenischen
Grenze in dem iberischen Kastell Harmozika bei Tiflis ^43, und danach
muß in dieser Zeit auch Armenien militärisch in römischer Gewalt
gewesen sein. Alle diese Maßregeln, so wenig sie auch nur eine
Kriegsdrohung enthielten, richteten die Spitze gegen den östlichen
Nachbarn. Dennoch war Vologasos nach dem Fall Jerusalems der erste, der
dem römischen Kronprinzen seinen Glückwunsch zu der Befestigung der
römischen Herrschaft in Syrien darbrachte, und die Einrichtung der
Legionslager in Kommagene, Kappadokien und Klein-Armenien nahm er ohne
Widerrede hin. Ja er regte sogar bei Vespasian jene transkaukasische
Expedition wieder an und erbat die Sendung einer römischen Armee gegen
die Alanen unter Führung eines der kaiserlichen Prinzen; obwohl
Vespasian auf diesen weitaussehenden Plan nicht einging, so kann doch
jene römische Truppe in der Gegend von Tiflis kaum zu anderem Zweck
hingeschickt worden sein als zur Sperrung des Kaukasuspasses und
vertrat insofern dort auch die Interessen der Parther. Trotz der
Verstärkung der militärischen Stellung Roms am Euphrat oder auch
vielleicht infolge derselben - denn dem Nachbarn Respekt einzuflößen,
ist auch ein Mittel, den Frieden zu erhalten - blieb der Friedensstand
während der gesamten Herrschaft der Flavier wesentlich ungestört. Wenn,
wie das zumal bei dem steten Wechsel der parthischen Dynasten nicht
befremden kann, ab und zu Kollisionen eintraten und selbst Kriegswolken
sich zeigten, so verschwanden sie wieder ebenso rasch ^44. Das
Auftreten eines falschen Nero in den letzten Jahren Vespasians - es ist
derjenige, der zu der Offenbarung Johannis den Anstoß gegeben hat -
hätte fast zu einer solchen Kollision geführt. Der Prätendent, in
Wirklichkeit ein gewisser Terentius Maximus aus Kleinasien, aber in
Antlitz und Stimme und Künsten dem Sängerkaiser täuschend ähnlich, fand
nicht bloß Zulauf in dem römischen Gebiet am Euphrat, sondern auch
Unterstützung bei den Parthern. Bei diesen scheinen damals, wie so oft,
mehrere Herrscher miteinander im Kampfe gelegen und der eine von ihnen,
Artabanos, weil Kaiser Titus sich gegen ihn erklärte, die Sache des
römischen Prätendenten aufgenommen zu haben. Indes es hatte dies keine
Folgen; vielmehr lieferte bald darauf die parthische Regierung den
Prätendenten an Kaiser Domitianus aus ^45. Der für beide Teile
vorteilhafte Handelsverkehr von Syrien nach dem unteren Euphrat, wo
eben damals König Vologasos nicht weit von Ktesiphon das neue Emporium
Vologasias oder Vologasokerta ins Leben rief, wird das seinige dazu
beigetragen haben, den Friedensstand zu fördern.
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^41 In welchem Zusammenhang er dem Vespasian den Kaisertitel
verweigerte (Dio 66, 11), erhellt nicht; möglicherweise unmittelbar
nach dessen Schilderhebung, bevor er erkannt hatte, daß die Flavianer
die stärkeren seien. Seine Verwendung für die Fürsten von Kommagene
(Ios. bel. Iud. 7, 7, 3) war von Erfolg, also rein persönlich,
keineswegs ein Protest gegen die Umwandlung des Königreichs in eine
Provinz.
^42 Die vier syrischen Legionen sind die 3. Gallica, die 6. ferrata
(beide bisher in Syrien), die 4. Scythica (bisher in Mösien, aber
bereits am Parthischen wie am Jüdischen Kriege beteiligt) und die 16.
Flavia (neu). Die eine Legion von Palästina ist die 10. fretensis
(bisher in Syrien). Die zwei von Kappadokien sind die 12. fulminata
(bisher in Syriern von Titus nach Melitene gelegt. Ios. bel. Iud. 7, 1,
3) und die 15. Apollinaris (bisher in Pannonien, aber gleich der 4.
Scythica am Parthischen wie am Jüdischen Kriege beteiligt). Die
Garnisonen wurden also so wenig wie möglich gewechselt, nur zwei der
schon früher nach Syrien gerufenen Legionen dort fest stationiert und
eine neu eingerichtete dorthin gelegt.
Nach dem jüdischen Kriege unter Hadrian wurde die 6. ferrata von Syrien
nach Palästina geschickt.
^43 In diese Zeit (vgl. CIL V, 6988) fällt auch wohl die kappadokische
Statthalterschaft des C. Rutilius Gallicus, von der es heißt (Star.
silv. 1, 4, 78): hunc . . . timuit . . . Armenia et patiens Latii iam
pontis Araxes, vermutlich mit Beziehung auf einen von dieser römischen
Besatzung ausgeführten Brückenbau. Daß Gallicus unter Corbulo gedient
hat, ist bei dem Stillschweigen des Tacitus nicht wahrscheinlich.
^44 Daß, während M. Ulpius Traianus, der Vater des Kaisers, Statthalter
von Syrien war, unter Vespasian im Jahre 75 Krieg am Euphrat
auszubrechen drohte, sagt Plinius in seiner Lobrede auf den Sohn c. 14,
wahrscheinlich mit starker Übertreibung; die Ursache ist unbekannt.
^45 Es gibt datierte und mit den Individualnamen der Könige versehene
Münzen von (V)ologasos aus den Jahren 389 und 390 = 77-78; von Pakoros
aus den Jahren 389-394 = 77-82 (und wieder 404-407 = 92-95); von
Artabanos aus dem Jahr 392 = 80/81. Die entsprechenden geschichtlichen
Daten sind, bis auf die Artabanos und Titus verknüpfende Notiz bei
Zonaras (11, 18; vgl. Suet. Nero 57; Tac. hist. 1, 2), verschollen,
aber die Münzen deuten auf eine Epoche rascher Thronwechsel und, wie es
scheint, simultaner Prägung streitender Prätendenten.
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Zu einem Konflikt kam es unter Traianus. In den früheren Jahren seiner
Regierung hatte er in den östlichen Verhältnissen nichts Wesentliches
geändert, abgesehen von der Verwandlung der an der Grenze der syrischen
Wüste bis dahin bestehenden beiden Klientelstaaten, des nabatäischen
von Petra und des jüdischen von Caesarea Paneas, in unmittelbar
römische Verwaltungsbezirke (106). Die Beziehungen zu dem damaligen
Herrscher des Partherreiches, dem König Pakoros, waren nicht die
freundlichsten ^46, aber erst unter dessen Bruder und Nachfolger
Chosroes kam es zum Bruch, und zwar wiederum über Armenien. Die Schuld
davon trugen die Parther. Indem Traianus den erledigten armenischen
Königsthron dem Sohn des Pakaros, Axidares, verlieh, hielt er sich
innerhalb der Grenzen seines Rechts; aber König Chosroes bezeichnete
diese Persönlichkeit als unfähig zu regieren und setzte eigenmächtig
einen anderen Sohn des Pakoros, den Parthomasiris, an dessen Stelle zum
König ein ^47. Die Antwort darauf war die römische Kriegserklärung.
Gegen Ausgang des Jahres 114 ^48 verließ Traianus die Hauptstadt, um
sich an die Spitze der römischen Truppen des Ostens zu stellen, die
allerdings wieder in dem tiefsten Verfall sich befanden, aber von dem
Kaiser schleunigst reorganisiert und außerdem durch bessere, aus
Pannonien herbeigezogene Legionen verstärkt wurden ^49. In Athen trafen
ihn Gesandte des Partherkönigs; aber sie hatten nichts zu bieten als
die Anzeige, daß Parthomasiris bereit sei, Armenien als römisches Lehen
entgegenzunehmen, und wurden abgewiesen. Der Krieg begann. In den
ersten Gefechten am Euphrat zogen die Römer den kürzeren ^50, aber als
der alte schlagfertige und sieggewohnte Kaiser im Frühjahr des Jahres
115 selbst sich an die Spitze der Truppen stellte, unterwarfen sich ihm
die Orientalen fast ohne Gegenwehr. Es kam hinzu, daß bei den Parthern
wieder einmal der Bürgerkrieg im Gange und gegen Chosroes ein
Prätendent Manisaros aufgetreten war. Von Antiocheia aus marschierte
der Kaiser an den Euphrat und weiter nordwärts bis zu dem nördlichsten
Legionslager Satala in Klein-Armenien, von wo aus er in Armenien
einrückte und die Richtung auf Artaxata nahm. Unterwegs in Elegeia
erschien Parthomasiris und nahm das Diadem vom Haupte, in der Hoffnung,
durch diese Demütigung, wie einst Tiridates, die Belehnung zu erwirken.
Allein Traianus war entschlossen, auch diesen Lehnsstaat zur Provinz zu
machen und überhaupt die östliche Reichsgrenze zu verlegen. Dies
erklärte er dem Partherfürsten vor dem versammelten Heer und wies ihn
an, mit seinem Gefolge sofort das Lager und das Reich zu räumen; es kam
darüber zu einem Auflauf, bei welchem der Prätendent das Leben verlor.
Armenien ergab sich in sein Schicksal und wurde römische
Statthalterschaft. Auch die Fürsten der Kaukasusvölker, der Albaner,
der Iberer, weiter gegen das Schwarze Meer der Apsiler, der Kolcher,
der Heniocher, der Lazen und anderer mehr, selbst die der
transkaukasischen Sarmaten wurden in dem Lehnsverhältnis bestätigt oder
jetzt demselben unterworfen. Traianus rückte darauf in das Gebiet der
Parther ein und besetzte Mesopotamien. Auch hier fügte sich alles ohne
Schwertstreich; Batnae, Nisibis, Singara kamen in die Gewalt der Römer;
in Edessa nahm der Kaiser nicht bloß die Unterwerfung des Landesherrn
Abgaros entgegen, sondern auch die der übrigen Dynasten, und gleich
Armenien wurde Mesopotamien römische Provinz. Die Winterquartiere nahm
Traianus abermals in Antiocheia, wo ein gewaltiges Erdbeben mehr Opfer
forderte als der Feldzug des Sommers. Im nächsten Frühjahr (116) ging
Traian, “der Parthersieger”, wie der Senat ihn jetzt begrüßte, von
Nisibis aus über den Tigris und besetzte, nicht ohne bei dem Übergang
und nachher Widerstand zu finden, die Landschaft Adiabene; dies wurde
die dritte neue römische Provinz, Assyria genannt. Weiter ging der
Marsch den Tigris abwärts nach Babylonien; Seleukeia und Ktesiphon
fielen in die Hände der Römer und mit ihnen der goldene Thronsitz des
Königs und dessen Tochter; Traianus gelangte bis nach der persischen
Satrapie Mesene und der großen Kaufstadt an der Tigrismündung Charax
Spasinu. Auch dieses Gebiet scheint dem Reich in der Weise einverleibt
worden zu sein, daß die neue Provinz Mesopotamien das gesamte von den
beiden Flüssen umschlossene Gebiet umfaßte. Mit sehnsüchtigen Gedanken
soll Traianus hier sich die Jugend Alexanders gewünscht haben, um von
dem Ufersaum des Persischen Meeres aus seine Waffen in das indische
Wunderland zu tragen. Indes, er erfuhr bald, daß er sie für nähere
Gegner brauchte. Das große Partherreich hatte bisher dem Angriff kaum
ernstlich die Stirn geboten und oftmals vergeblich um Frieden gebeten.
Jetzt aber, auf dem Rückweg in Babylon, trafen den Kaiser die
Botschaften von dem Abfall Babyloniens und Mesopotamiens; während er an
der Tigrismündung verweilte, hatte gegen ihn die gesamte Bevölkerung
dieser neuen Provinzen sich erhoben ^51; die Bürger von Seleukeia am
Tigris, von Nisibis, ja von Edessa selbst machten die römischen
Besatzungen nieder oder verjagten sie und schlossen ihre Tore. Der
Kaiser sah sich genötigt, seine Truppen zu teilen und gegen die
verschiedenen Herde des Aufstandes einzelne Korps zu schicken; eine
dieser Legionen unter Maximus wurde mit ihrem Feldherrn in Mesopotamien
umzingelt und niedergehauen. Doch ward der Kaiser der Insurgenten Herr,
namentlich durch den schon im Dakischen Kriege erprobten Feldherrn
Lusius Quietus, einen geborenen Maurenscheich. Seleukeia und Edessa
wurden belagert und niedergebrannt. Traianus ging so weit, Parthien zum
römischen Vasallenstaat zu erklären und belehnte damit in Ktesiphon
einen Parteigänger Roms, den Parther Parthamaspates, obwohl die
römischen Soldaten nicht mehr als den westlichen Saum des großen
Reiches betreten hatten. Alsdann schlug er den Rückweg nach Syrien ein
auf dem Wege, den er gekommen war, unterwegs aufgehalten durch einen
vergeblichen Angriff auf die Araber in Hatra, der Residenz des Königs
der tapferen Stämme der mesopotamischen Wüste, deren gewaltige
Festungswerke und prachtvolle Bauten noch heute in ihren Ruinen
imponieren. Er beabsichtigte, den Krieg im nächsten Jahre fortzusetzen,
also die Unterwerfung der Parther zur Wahrheit zu machen. Aber das
Gefecht in der Wüste von Hatra, in welchem der sechzigjährige Kaiser
tapfer mit den arabischen Reitern sich herumgeschlagen hatte, sollte
sein letztes sein. Er erkrankte und starb auf der Heimreise (8. August
117), ohne seinen Sieg vollenden und die Siegesfeier in Rom abhalten zu
können; es war in seinem Sinn, daß ihm noch nach dem Tode die Ehre des
Triumphes zuteil ward und er daher der einzige der vergötterten
römischen Kaiser ist, welcher auch als Gott noch den Siegestitel führt.
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^46 Das beweist die abgerissene Notiz aus Arrian bei Suid. (u. d. W.
επίκλημα): ο δέ Πάκορος ο Παρθυαίων βασιλεύς καί άλλα τινά επικλήματα
π΄φερε Τραιανώ τώ βασιλεί und die Aufmerksamkeit, welche in Plinius um
das Jahr 112 geschriebenem Bericht an den Kaiser (epist. ad Trai. 74)
den Beziehungen zwischen Pakoros und dem Dakerkönig Decebalus gewidmet
wird. Die Regierungszeit dieses parthischen Königs läßt sich nicht
genügend fixieren. Parthische Münzen mit Königsnamen gibt es aus der
ganzen Zeit Traians nicht; die Silberprägung scheint während derselben
geruht zu haben.
^47 Daß Axidares (oder Exedares) ein Sohn des Pakoros und vor
Parthomasiris König von Armenien gewesen, aber durch Chosroes abgesetzt
worden war, zeigen die Trümmer des Dionischen Berichts 68, 17; und
darauf führen auch die beiden Arrianischen Fragmente (16 Müller), das
erste, wahrscheinlich aus einer Ansprache eines Vertreters der
Interessen des Axidares an Traian: Αξιδάρην δέ ότι άρχειν χρή Αρμενίας,
ού μοι δοκει είναι σε αμφίλογον, worauf wohl die gegen Parthomasiris
vorliegenden Beschwerden folgten, und die Antwort, offenbar des
Kaisers, daß es nicht des Axidares Sache sei, sondern seine, über
Parthomasiris zu richten, weil er wie es scheint Axidares - zuerst den
Vertrag gebrochen und dafür gebüßt habe. Welche Verschuldung der Kaiser
dem Axidares zur Last legt, erhellt nicht; aber auch bei Dio sagt
Chosroes, daß er weder den Römern noch den Parthern genügt habe.
^48 Die Trümmer des Dionischen Berichts bei Xiphilinus und Zonaras
zeigen deutlich, daß der parthische Feldzug in zwei Kampagnen zerfällt,
die erste (Dio 56, 17, 1 ; 18, 2; 23-25), welche durch das Konsulat des
Pedo auf 115 fixiert wird (auch das Datum des Malalas p. 275 für das
Erdbeben von Antiocheia 13. Dezember 164 der antiochenischen Ära = 115
n. Chr. stimmt überein), und die zweite (Dio 26-32, 3), welche durch
die zwischen April und August dieses Jahres erfolgte (s. meine Notiz
bei J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus. Bd. 3, 2. Aufl., Gotha
1877, S. 361) Erteilung des Titels Parthicus (28, 2) auf 116 fixiert
wird. Daß c. 23 die Titel Optimus (erteilt im Laufe des Jahres 114) und
Parthicus außer der Zeitfolge erwähnt werden, lehrt sowohl ihre
Zusammenstellung wie die spätere Wiederkehr der zweiten Ehre. Von den
Fragmenten gehören die meisten in den ersten Feldzug, c. 22, 3 und wohl
auch 22, 1, 2 in den zweiten.
Die imperatorischen Akklamationen stehen nicht im Wege. Traianus war
erweislich im Jahre 113 imp. VI (CIL VI, 960); im Jahre 114 imp. VII
(CIL IX, 1558 und sonst); im Jahre 115 imp. IX (CIL IX, 5894 und sonst)
und imp. XI (Fabretti 398, 289 und sonst); im Jahre 116 imp. XII (CIL
VIII, 621; X, 1634) und XIII (CIL III D; XXVII). Dio bezeugt eine
Akklamation aus dem Jahre 115 (68, 19) und eine aus dem Jahre 116 (68,
28); für beide ist reichlich Raum und kein Grund vorhanden, gerade imp.
VII auf die Unterwerfung Armeniens zu beziehen, wie das versucht worden
ist.
^49 Die drastische Schilderung der syrischen Armee Traians bei Fronto
(p. 206 f. Naber) stimmt fast wörtlich mit der der Armee des Corbulo
bei Tac. ann. 13, 35. “Durch die lange Entwöhnung vom Kriegsdienst
waren die römischen Truppen überhaupt arg heruntergekommen (ad ignaviam
redactus); aber die elendesten unter den Soldaten waren die syrischen,
unbotmäßig, störrig, beim Appell unpünktlich, nicht auf dem Posten zu
finden, von Mittag an betrunken; selbst die Rüstung zu tragen ungewohnt
und der Strapazen unfähig und des einen Waffenstückes nach dem andern
sich entledigend, halb nackt wie die Leichten und Schützen. Außerdem
waren sie durch die erlittenen Schlappen so demoralisiert, daß sie beim
ersten Anblick der Parther den Rücken wandten und die Hörner ihnen
gleichsam galten als das Signal gebend zum Davonlaufen.” In der
gegensätzlichen Schilderung Traians heißt es unter anderm: “er ging
nicht durch die Zelte, ohne sich um den Soldaten genau zu bekümmern,
sondern zeigte seine Verachtung gegen den syrischen Luxus und sah sich
die rohe Wirtschaft der Pannonier an (sed contemnere - so ist zu lesen
- Syrorum munditias, introspicere Pannoniorum inscitias); so beurteilte
er nach der Haltung (cultus) des Mannes seine Brauchbarkeit
(ingenium).” Auch in dem orientalischen Heer des Severus werden die
“europäischen” und die syrischen Soldaten unterschieden (Dio 75, 12).
^50 Das zeigen die mala proelia in der angeführten Stelle Frontos und
Dios Angabe (68, 19), daß Traianus Samosata ohne Kampf einnahm; also
hatte die dort stationierte 16. Legion es verloren.
^51 Es mag sein, daß gleichzeitig auch Armenien abgefallen ist. Aber
wenn Gutschmid (bei Dierauer in M. Büdingers Untersuchungen zur
römischen Kaisergeschichte. Bd. 1. Leipzig 1868, S. 179) den Meherdotes
und Sanatrukios, welche Malalas als Könige Persiens in dem Traianischen
Kriege aufführt, zu Königen des wieder abfallenden Armenien macht, so
wird dies erreicht durch eine Kette verwegener Korrekturen, die die
Personen- und die Völkernamen ebenso verschieben wie den pragmatischen
Zusammenhang umgestalten. Es finden sich allerdings in dem verwirrten
Legendenknäuel des Malalas wohl einige historische Tatsachen, zum
Beispiel die Einsetzung des Parthamaspates (der hier Sohn des Königs
Chosroes von Armenien ist) zum König von Parthien durch Traian; und so
mögen auch die Daten von Traians Abfahrt aus Rom im Oktober (114),
seiner Landung in Seleukeia im Dezember und seinem Einzug in Antiocheia
am 7. Januar (115) korrekt sein. Aber wie dieser Bericht vorliegt, kann
der Geschichtschreiber ihn nur ablehnen, nicht rektifizieren.
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Traianus hatte den Krieg mit den Parthern nicht gesucht, sondern er war
ihm aufgenötigt worden; nicht er, sondern Chosroes hatte das Abkommen
über Armenien gebrochen, welches die letzten vierzig Jahre hindurch die
Grundlage des Friedensstandes im Euphratgebiet gewesen war. Wenn es
begreiflich ist, daß die Parther sich dabei nicht beruhigten, da die
fortdauernde Lehnsherrschaft der Römer über Armenien den Stachel zur
Auflehnung in sich trug, so muß man auch andererseits anerkennen, daß
auf dem bisherigen Wege nicht weitergegangen werden konnte, als Corbulo
gegangen war; der unbedingte Verzicht auf Armenien und, was davon die
notwendige Folge war, die Anerkennung des Partherstaats in voller
Gleichberechtigung liegen nun einmal außer dem Horizont der römischen
Politik, so gut wie die Aufhebung der Sklaverei und ähnliche zu jener
Zeit undenkbare Gedanken. Wenn aber mit dieser Alternative nicht zu
dauerhaftem Frieden gelangt werden konnte, so blieb in dem großen
Dilemma der römischen Orientpolitik nur die andere übrig, die
Erstreckung der unmittelbaren römischen Herrschaft auf das linke Ufer
des Euphrat. Darum ward Armenien jetzt römische Provinz und nicht
minder Mesopotamien. Es war das nur sachgemäß. Die Verwandlung
Armeniens aus einem römischen Lehnsstaat mit römischer Besatzung in
eine römische Statthalterschaft änderte nach außen hin nicht viel; die
Parther konnten aus Armenien wirksam nur ausgewiesen werden, indem sie
den Besitz der benachbarten Landschaft verloren; und vor allem fand die
römische Herrschaft wie die römische Provinzialverfassung in dem halb
griechischen Mesopotamien einen weit günstigeren Boden als in dem
durchaus orientalischen Armenien. Andere Erwägungen kamen hinzu. Die
römische Zollgrenze in Syrien war übel beschaffen, und den
internationalen Verkehr von den großen Handelsplätzen Syriens nach dem
Euphrat und dem Tigris ganz in die Gewalt zu bekommen, für den
römischen Staat ein wesentlicher Gewinn, wie denn auch Traianus sofort
daran ging, die neuen Euphrat- und Tigriszölle einzurichten ^52. Auch
militärisch war die Tigrisgrenze leichter zu verteidigen als die
bisherige an der syrischen Wüste und weiter am Euphrat hinlaufende
Grenzlinie. Die Umwandlung der Landschaft Adiabene jenseits des Tigris
in eine römische Provinz, wodurch Armenien Binnenprovinz ward, und die
Umgestaltung des Parthischen Reiches selbst in einen römischen
Lehnsstaat sind Korollarien desselben Gedankens. Es soll in keiner
Weise geleugnet werden, daß bei der Eroberungspolitik die Konsequenz
ein bedenkliches Lob ist und daß Traianus nach seiner Art bei diesen
Unternehmungen dem Streben nach äußerlichem Erfolg mehr als billig
nachgegeben und über das verständige Ziel hinausgegriffen hat; aber es
geschieht ihm Unrecht, wenn sein Auftreten im Osten auf blinde
Eroberungslust zurückgeführt wird ^53. Er tat, was Caesar, wenn er
gelebt hätte, auch getan haben würde. Seine Politik ist nur die andere
Seite derjenigen der Staatsmänner Neros, und beide sind so
entgegengesetzt wie gleich folgerichtig und gleich berechtigt. Die
Folgezeit hat mehr der erobernden Politik recht gegeben als derjenigen
der Nachgiebigkeit.
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^52 Fronto p. 209 Naber: cum praesens Traianus Euphratis et Tigridis
portoria equorum et camelorum trib[utaque ordinaret, Ma]cer (?) caesus
est. Dies geht auf den Moment, wo, während Traian an der Tigrismündung
verweilte, Babylonien und Mesopotamien abfielen.
^53 Ungefähr mit gleichem Recht läßt Julian (Caes. p. 328) den Kaiser
sagen daß er gegen die Parther die Waffen nicht ergriffen habe, bevor
sie das Recht verletzt hätten, und wirft ihm Dio (68, 17) vor, den
Krieg aus Ehrgeiz geführt zu haben.
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Für den Augenblick freilich kam es anders. Die orientalischen
Eroberungen Traians durchleuchten den trüben Abend des Römerreiches wie
die Blitzstrahlen die dunkle Nacht, aber wie diese bringen sie keinen
neuen Morgen. Der Nachfolger fand sich vor die Wahl gestellt, das
unfertige Werk der Unterwerfung der Parther zu vollenden oder fallen zu
lassen. Ohne bedeutende Steigerung der Armee wie des Budgets konnte die
Grenzerweiterung überall nicht durchgeführt werden; und die damit
unvermeidlich gegebene Verschiebung des Schwerpunktes nach Osten war
eine bedenkliche Stärkung des Reiches. Hadrian und Pius lenkten also
völlig wieder ein in die Bahnen der früheren Kaiserzeit. Den römischen
Lehnskönig von Parthien, den Parthamaspates, ließ Hadrian fallen und
fand ihn in anderer Weise ab. Er räumte Assyrien und Mesopotamien und
gab diese Provinzen freiwillig dem früheren Herrn zurück. Nicht minder
sandte er diesem die gefangene Tochter; das bleibende Zeichen des
gewonnenen Sieges, den goldenen Thron von Ktesiphon, weigerte selbst
der friedfertige Plus sich, den Parthern wieder auszuliefern. Hadrianus
sowohl wie Pius waren ernstlich bemüht, mit dem Nachbarn in Frieden und
Freundschaft zu leben, und zu keiner Zeit scheinen die
Handelsbeziehungen zwischen den römischen Entrepôts an der syrischen
Ostgrenze und den Kaufstädten am Euphrat reger gewesen zu sein als in
dieser Epoche.
Armenien hörte ebenfalls auf römische Provinz zu sein und trat in seine
frühere Stellung zurück als römischer Lehnsstaat und parthische
Sekundogenitur ^54. Abhängig blieben gleichfalls die Fürsten der
Albaner und Iberer am Kaukasus und die zahlreichen kleinen Dynasten in
dem südöstlichen Winkel des Schwarzen Meeres ^55. Römische Besatzungen
standen nicht bloß an der Küste in Apsaros ^56 und am Phasis, sondern
nachweislich unter Commodus in Armenien selbst unweit Artaxata;
militärisch gehörten alle diese Staaten zum Sprengel des Kommandanten
von Kappadokien ^57. Indes scheint diese ihrem Wesen nach sehr
unbestimmte Oberhoheit überhaupt, und namentlich von Hadrian ^58, in
einer Weise gehandhabt zu sein, daß sie mehr als ein Schutzrecht
erschien denn als eigentliche Untertänigkeit, und wenigstens die
mächtigeren unter diesen Fürsten taten und ließen im wesentlichen, was
ihnen gefiel. Das schon früher hervorgehobene gemeinsame Interesse der
Abwehr der wilden transkaukasischen Stämme trat in dieser Epoche noch
bestimmter hervor und hat offenbar namentlich zwischen Römern und
Parthern als ein Band gedient. Gegen das Ende der Regierung Hadrians
fielen die Alanen, im Einverständnis, wie es scheint, mit dem damaligen
König von Iberien, Pharasmanes II., dem es zunächst oblag, ihnen den
Kaukasuspaß zu sperren, in die südlichen Landschaften ein und
plünderten nicht bloß das Gebiet der Albaner und der Armenier, sondern
auch die parthische Provinz Medien und die römische Provinz
Kappadokien; wenn es auch nicht zu gemeinschaftlicher Kriegführung kam,
sondern das Gold des damals in Parthien regierenden Herrschers
Vologasos’ III. und die Mobilmachung der kappadokischen Armee von
seiten der Römer ^59 die Barbaren zur Umkehr bestimmten, so gingen die
Interessen doch zusammen und die Beschwerde, welche die Parther in Rom
über Pharasmanes von Iberien führten, zeigt das Zusammenhalten der
beiden Großmächte ^60.
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^54 Unmöglich kann Hadrian Armenien aus dem römischen Lehnsverband
entlassen haben. Die Notiz des Biographen (c. 21): Armeniis regem
habere permisit, cum sub Traiano legatum habuissent führt vielmehr auf
das Gegenteil, und wir finden am Ende der Hadrianischen Regierung im
Heer des Statthalters von Kappadokien das Kontingent der Armenier (Arr.
Alan. 29). Pius hat nicht bloß die Parther durch seine Vorstellungen
bestimmt, von der beabsichtigten Invasion Armeniens abzustehen (Vita
9), sondern auch Armenien in der Tat zu Lehen gegeben (Münzen aus den
Jahren 140-144, Eckhel 7, S. 15). Auch daß Iberien sicher unter Pius im
Lehnsverband gestanden hat, weil sonst die Parther über deren König
nicht hätten in Rom Beschwerde führen können (Dio 69, 15), setzt das
gleiche Lehnsverhältnis für Armenien voraus. Die Namen der armenischen
Könige dieser Zeit sind nicht bekannt. Wenn die proximae gentes, mit
deren Herrschaft Hadrian den von Traian zum parthischen König
bestellten Partherfürsten entschädigte (vita c. 5), in der Tat die
Armenier sind, was nicht unwahrscheinlich ist, so liegt darin eine
Bestätigung sowohl der dauernden Abhängigkeit Armeniens von Rom wie der
fortdauernden Herrschaft der Arsakiden daselbst. Auch der Αύρηλιος
Πάκορος βασιλευς μεγάλης Αρμενίας der seinem in Rom verstorbenen Bruder
Aurelius Merithates dort ein Grabmal errichtete (CIG 6559), gehört
seinem Namen nach zu dem Haus der Arsakiden. Schwerlich aber ist er der
von Vologasos IV. ein- und von den Römern abgesetzte König von
Armenien; wäre dieser gefangen nach Rom gekommen, so würden wir es
wissen, und es hätte auch dieser kaum in einer römischen Inschrift sich
König von Groß-Armenien nennen dürfen.
^55 Als belehnt von Traianus oder Hadrianus führt Arrian (peripl. m.
Eux. c. 15) auf die Heniocher und Machelonen (vgl. Dio 68,18; 71, 14);
die Lazen (vgl. Suidas u. d. W. Δομετιανός), denen auch Pius einen
König setzte (vita 9); die Apsilen; die Absager; die Sanigen; diese
alle innerhalb der bis Dioskurias = Sebastopolis reichenden
Reichsgrenze; jenseits derselben im Bereich des bosporanischen
Lehnstaats die Zicher oder Zincher (das. c. 27).
^56 Außer Arrian (peripl. m. Eux. c. 7) bestätigt dies der Offizier aus
hadrianischer Zeit praepositus numerorum tendentium in Ponto Absaro
(CIL X, 1202).
^57 Vgl. Anm. 63. Auch das im Jahre 185 in Valarschapat (Etschmiazin)
unweit Artaxata garnisonierende Detachement wahrscheinlich von 1000
Mann (weil unter einem Tribun) gehörte zu einer der kappadokischen
Legionen (CIL III, 6052).
^58 Hadrians Bemühung um die Freundschaft der orientalischen
Lehnsfürsten wird oft hervorgehoben, nicht ohne Hindeutung darauf, daß
er sich mehr als billig von ihnen habe gefallen lassen (vita c. 13, 17,
21). Pharasmanes von Iberien kam auf seine Einladung nicht nach Rom,
folgte aber derjenigen des Pius (vita Hadr. 13, 21; vita Pii 9; Dio 69,
15, 2, welches Exzerpt unter Pius gehört).
^59 Den merkwürdigen Bericht des Statthalters von Kappadokien unter
Hadrian, Flavius Arrianus, über die Mobilmachung der kappadokischen
Armee gegen die “Skythen” besitzen wir noch unter dessen kleinen
Schriften; er war selbst am Kaukasus und besichtigte die dortigen Pässe
(Lyd. mag. 3, 53).
^60 Das lehren die Trümmer des Dionischen Berichts bei Xiphilin,
Zonaras und in den Exzerpten; die richtige Lesung Αλανοί statt Αλβανοί
hat Zonaras bewahrt; daß die Alanen auch das Albanergebiet plünderten,
ergibt die Fassung der exc. urs. LXXII.
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Die Störungen des Status quo kamen wieder von parthischer Seite. Die
Oberherrlichkeit der Römer über Armenien hat in der Geschichte eine
ähnliche Rolle gespielt wie die des deutschen Kaiserreiches über
Italien; wesenlos wie sie war, wurde sie doch stets als Übergriff
empfunden und trug die Kriegsgefahr im Schoße. Schon unter Hadrian
drohte der Konflikt; es gelang dem Kaiser, in einer persönlichen
Zusammenkunft mit dem Partherfürsten den Friedensstand zu wahren. Unter
Pius schien abermals die parthische Invasion Armeniens bevorzustehen;
seine ernste Abmahnung war zunächst von Erfolg. Aber selbst dieser
friedfertigste aller Kaiser, dem es mehr am Herzen lag, das Leben eines
Bürgers zu sparen als tausend Feinde zu töten, mußte in der letzten
Zeit seiner Regierung sich auf den Angriff gefaßt machen und die Heere
des Orients verstärken. Kaum hatte er die Augen geschlossen (161), als
sich das lange drohende Gewitter entlud. Auf Befehl des Königs
Vologasos IV. rückte der persische Feldherr Chosroes ^61 in Armenien
ein und setzte den Arsakidenprinzen Pakoros auf den Thron. Der
Statthalter von Kappadokien, Severianus, tat, was seine Pflicht war,
und führte seinerseits die römischen Truppen über den Euphrat. Bei
Elegeia, eben da, wo ein Menschenalter zuvor der ebenfalls von den
Parthern auf den armenischen Thron gesetzte König Parthomasiris sich
vor Traian vergeblich gedemütigt hatte, stießen die Heere aufeinander;
das römische wurde nicht bloß geschlagen, sondern in dreitägigem Kampfe
vernichtet; der unglückliche Feldherr gab, wie einst Varus, sich selber
den Tod. Die siegreichen Orientalen begnügten sich nicht mit der
Einnahme Armeniens, sondern überschritten den Euphrat und brachen in
Syrien ein; auch das dort stehende Heer wurde geschlagen und man
fürchtete für die Treue der Syrer. Die römische Regierung hatte keine
Wahl. Da die Truppen des Orients auch bei dieser Gelegenheit ihre
geringe Schlagfähigkeit bewiesen und überdies durch die erlittene
Niederlage geschwächt und demoralisiert waren, wurden aus dem Westen,
selbst vom Rhein her weitere Legionen nach dem Osten gesandt und in
Italien selbst Aushebungen angeordnet. Der eine der beiden kurz vorher
zur Regierung gelangten Kaiser, Lucius Verus, ging selbst nach dem
Orient (162), um den Oberbefehl zu übernehmen; und wenn er, weder
kriegerisch noch auch nur pflichttreu, sich der Aufgabe nicht gewachsen
zeigte und von seinen Taten im Orient kaum etwas anderes zu berichten
ist, als daß er mit seiner Nichte daselbst Hochzeit machte und wegen
seines Theaterenthusiasmus selbst von den Antiochenern ausgelacht ward,
so führten die Statthalter von Kappadokien und von Syrien, dort zuerst
Statius Priscus, dann Martius Verus, hier Avidius Cassius ^62, die
besten Generale dieser Epoche, die Sache Roms besser als der Träger der
Krone. Noch einmal, bevor die Heere aneinander kamen, boten die Römer
den Frieden; gern hätte Marcus den schweren Krieg vermieden. Aber
Vologasos wies die billigen Vorschläge schroff zurück; und diesmal war
der friedfertige Nachbar auch der stärkere. Armenien wurde sofort
wieder gewonnen; schon im Jahre 163 nahm Priscus die Hauptstadt
Artaxata ein und zerstörte sie. Nicht weit davon wurde die neue
Landeshauptstadt, Kainepolis, armenisch Nor-Khalakh oder Valarschapat
(Etschmiazin), von den Römern erbaut und mit starker Besatzung belegt
^63. Im Jahre darauf wurde an Pakoros’ Stelle Sohaemos, der Abstammung
nach auch ein Arsakide, aber römischer Untertan und römischer Senator,
zum König von Groß-Armenien ernannt ^64. Rechtlich also änderte in
Armenien sich nichts; doch wurden die Bande, die es an Rom knüpften,
straffer angezogen.
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^61 So heißt er bei Lukian hist. conscr. 21; wenn derselbe ihn Alex. 27
Othryades nennt, so schöpft er hier aus einem Historiker von dem
Schlage derer, welche er in jener Schrift verspottet und von denen ein
anderer denselben Mann als Oxyroes hellenisierte (hist. conscr. 18).
^62 Syrien verwaltete, als der Krieg ausbrach, L. Attidius Cornelianus
(CIG 4661 vom Jahre 160; vita Marci 8; CIL III 129 vom Jahre 162), nach
ihm Iulius Verus (CIL III, 199, wahrscheinlich vom Jahre 163), alsdann
Avidius Cassius, vermutlich seit dem Jahre 164. Daß die übrigen
Provinzen des Ostens an Cassius’ Befehle gewiesen wurden (vit. soph. 1,
13; Dio 71, 3), ähnlich wie dies bei Corbulo als Legaten von
Kappadokien geschehen war, kann sich nur auf die Zeit nach dem Abgang
des Kaisers Verus beziehen; solange dieser den nominellen Oberbefehl
führte, ist dafür kein Raum.
^63 Ein wahrscheinlich Dionisches Fragment (bei Suidas unter Μάρτιος)
erzählt, daß Priscus in Armenien die Κοινή πόλις anlegte und mit
römischer Besatzung versah, sein Nachfolger Martius Verus die dort
entstandene nationale Bewegung beschwichtigte und diese Stadt zur
ersten Armeniens erklärte. Dies ist Valarschapat (Ουαλασαρπάτ oder
Ουαλεροκτίστη bei Agathangelos), seitdem die Hauptstadt Armeniens.
Κοινή πόλις ist, wie mich Kiepert belehrt, schon von Stilting erkannt
als άbersetzung des armenischen Nτr-Khalakh, welche zweite Benennung
Valarschapat bei den armenischen Autoren des fünften Jahrhunderts stets
neben der gewöhnlichen führt. Moses von Khorene läßt nach Bardesanes
die Stadt aus einer unter König Tigran VI., der nach ihm 150-188
regiert, hierhin geführten Judenkolonie entstehen; ihre Ummauerung und
Benennung führt er auf dessen Sohn Valarsch II. 188-208 zurück. Daß die
Stadt im Jahre 185 starke römische Besatzung hatte, zeigt die Inschrift
CIL III, 6052.
^64 Daß Sohaemos Achämenide und Arsakide war (oder zu sein vorgab) und
Königssohn und König so wie römischer Senator und Konsul, bevor er
König von Groß-Armenien ward, sagt sein Zeitgenosse Iamblichos (c. 10
des Auszugs bei Photios). Wahrscheinlich gehört er der Dynastenfamilie
von Hemesa an (Ios. ant. Iud. 20, 8, 4 und sonst). Wenn Iamblichos der
Babylonier “unter ihm” schrieb, so kann dies wohl nur so verstanden
werden, daß er seinen Roman in Artaxata verfaßt hat. Daß Sohaemos vor
Pakoros über Armenien geherrscht hat, wird nirgend gesagt und ist nicht
wahrscheinlich, da weder Frontos Worte (p. 127 Naber) quod Sohaemo
potius quam Vologaeso regnum Armeniae dedisset aut quod Pacorum regno
privasset noch die des Fragments aus Dio (?) 71, 1: Μάρτιος Ουήρος τόν
Θουκυδίδην εκπέμπει καταγαγείν Σόσιμον ες Αρμηνίαν auf Wiedereinsetzung
führen, die Münzen aber mit rex Armeniis datus (Eckhel 7, S. 91; vgl.
vita Veri 7, 8) diese in der Tat ausschließen. Den Vorgänger des
Pakoros kennen wir nicht und wissen nicht einmal, ob der Thron, den er
einnahm, erledigt oder besetzt war.
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Ernster waren die Kämpfe in Syrien und Mesopotamien. Die Euphratlinie
wurde von den Parthern hartnäckig verteidigt; nach einem lebhaften
Gefecht am rechten Ufer bei Sura wurde die Festung Nikephorion (Rakka)
auf dem linken von den Römern erstürmt. Noch heftiger wurde um den
Übergang bei Zeugma gestritten; aber auch hier blieb in der
entscheidenden Schlacht bei Europos (Djerabis, südlich von Biredjik)
den Römern der Sieg. Sie rückten nun ihrerseits in Mesopotamien ein.
Edessa wurde belagert, Dausara unweit davon erstürmt; die Römer
erschienen vor Nisibis; der parthische Feldherr rettete sich schwimmend
über den Tigris. Die Römer konnten von Mesopotamien aus den Marsch nach
Babylon antreten. Die Satrapen verließen teilweise die Fahnen des
geschlagenen Großkönigs; Seleukeia, die große Kapitale der Hellenen am
Euphrat, öffnete den Römern freiwillig die Tore, wurde aber später,
weil die Bürgerschaft mit Recht oder mit Unrecht des Einverständnisses
mit dem Feinde beschuldigt ward, von den Römern niedergebrannt. Auch
die parthische Hauptstadt Ktesiphon wurde genommen und zerstört; mit
gutem Grund konnte zu Anfang des Jahres 165 der Senat die beiden
Herrscher als die parthischen Großsieger begrüßen. In dem Feldzug
dieses Jahres drang Cassius sogar in Medien ein; indes namentlich die
in diesen Gegenden ausbrechende Pest dezimierte die Truppen und nötigte
zur Umkehr, beschleunigte vielleicht auch den Friedensschluß. Das
Ergebnis des Krieges war die Abtretung des westlichen Strichs von
Mesopotamien: die Fürsten von Edessa oder von Osrhoene traten in den
römischen Lehnsverband und die Stadt Karrhä, seit langem gut griechisch
gesinnt, wurde Freistadt unter römischem Schutz ^65. Dem Umfang nach
war, zumal dem vollständigen Kriegserfolg gegenüber, der Gebietszuwachs
mäßig, dennoch aber von Bedeutung, insofern damit die Römer Fuß faßten
am linken Ufer des Euphrat. Im übrigen wurden die besetzten Gebiete den
Parthern zurückgegeben und der Status quo wiederhergestellt. Im ganzen
also gab man die zurückhaltende, von Hadrian aufgenommene Politik jetzt
wieder auf und lenkte ein in die Bahn des Traianus. Es ist dies um so
bemerkenswerter, als der Regierung des Marcus gewiß nicht Ehrgeiz und
Vergrößerungsstreben zum Vorwurf gemacht werden kann; was sie tat, tat
sie notgedrungen und in bescheidenen Grenzen.
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^65 Dies zeigen die mesopotamischen Königs- und Stadtmünzen. Berichte
über die Friedensbedingungen fehlen in unserer Überlieferung.
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Den gleichen Weg ging weiter und entschiedener Kaiser Severus. Das
Dreikaiserjahr 193 hatte zum Kriege zwischen den Legionen des Westens
und denen des Ostens geführt, und mit Pescennius Niger waren diese
unterlegen. Die römischen Lehnsfürsten des Ostens und nicht minder der
Beherrscher der Parther, Vologasos V., des Sanatrukios Sohn, hatten,
wie begreiflich, den Niger anerkannt und ihm sogar ihre Truppen zur
Verfügung gestellt; dieser hatte erst dankend abgelehnt, dann, als
seine Sache eine üble Wendung nahm, ihre Hilfe angerufen. Die übrigen
römischen Lehnsträger, vor allem der von Armenien, hielten sich
vorsichtig zurück; nur der Fürst von Edessa, Abgaros, sandte den
verlangten Zuzug. Die Parther versprachen Hilfe, und sie kam auch
wenigstens aus den nächsten Distrikten, von dem Fürsten Barsemias von
Hatra in der mesopotamischen Wüste und von jenseits des Tigris von dem
Satrapen der Adiabener. Auch nach Nigers Tod (194) blieben diese
Fremden nicht bloß in dem römischen Mesopotamien, sondern forderten
sogar das Herausziehen der daselbst stehenden römischen Besatzungen und
die Rückgabe dieses Gebiets ^66. Darauf rückte Severus in Mesopotamien
ein und nahm die ganze ausgedehnte und wichtige Landschaft in Besitz.
Von Nisibis aus wurde eine Expedition gegen den Araberfürsten von Hatra
geführt, der es indes nicht gelang, die feste Stadt zu nehmen; auch
jenseits des Tigris gegen den Satrapen von Adiabene richteten die
Generale des Severus nichts Bedeutendes aus ^67. Aber Mesopotamien, das
heißt das ganze Gebiet zwischen Euphrat und Tigris bis zum Chaboras,
wurde römische Provinz und mit zwei dieser Gebietserweiterung wegen neu
geschaffenen Legionen belegt. Das Fürstentum Edessa blieb als römische
Lehnsherrschaft bestehen, war aber jetzt nicht mehr Grenzgebiet,
sondern von unmittelbarem Reichsland umschlossen. Hauptstadt der neuen
Provinz und Sitz des Statthalters wurde die ansehnliche und feste Stadt
Nisibis, seitdem nach dem Namen des Kaisers genannt und als römische
Kolonie geordnet. Nachdem also von dem Parthischen Reiche ein wichtiger
Gebietsteil abgerissen und gegen zwei von ihm abhängige Satrapen
Waffengewalt gebraucht worden war, machte sich der Großkönig mit den
Truppen auf, um den Römern entgegenzutreten. Severus bot die Hand zum
Frieden und trat für Mesopotamien einen Teil von Armenien ab. Indes war
damit die Waffenentscheidung nur vertagt. So wie Severus nach dem
Westen aufgebrochen war, wohin die Verwicklung mit seinem Mitherrscher
in Gallien ihn abrief, brachen die Parther den Frieden ^68 und rückten
in Mesopotamien ein; der Fürst von Osrhoene ward vertrieben, das Land
besetzt und der Statthalter Laetus, einer der vorzüglichsten
Kriegsmänner der Zeit, in Nisibis belagert. Er schwebte in großer
Gefahr, als Severus, nachdem Albinus unterlegen war, im Jahre 198
abermals im Orient eintraf. Damit wendete sich das Kriegsglück. Die
Parther wichen zurück, und nun ergriff Severus die Offensive. Er rückte
in Babylonien ein und gewann Seleukeia und Ktesiphon; der Partherkönig
rettete sich mit wenigen Reitern durch die Flucht, der Kronschatz wurde
die Beute der Sieger, die parthische Hauptstadt den römischen Soldaten
zur Plünderung preisgegeben und über 100000 Gefangene auf den römischen
Sklavenmarkt gebracht. Besser freilich als der Partherstaat selbst
wehrten sich die Araber in Hatra; vergeblich versuchte Severus in
zwiefacher schwerer Belagerung, die Wüstenburg zu bezwingen. Aber im
wesentlichen war der Erfolg der beiden Feldzüge der Jahre 198 und 199
ein vollständiger. Durch die Einrichtung der Provinz Mesopotamien und
des großen Kommandos daselbst verlor Armenien die Zwischenstellung,
welche es bisher gehabt hatte; es konnte in den bisherigen
Verhältnissen verbleiben und von der förmlichen Einverleibung abgesehen
werden. Das Land behielt also seine eigenen Truppen, und die
Reichsregierung hat sogar für dieselben späterhin einen Zuschuß aus der
Reichskasse gezahlt ^69.
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^66 Der Anfang des ursinischen Exzerpts Dio 75, 1, 2 ist verwirrt. Οι
Ορρσηνοί, heißt es, καί οι Αδιαβηνοί αποσταντες καί Νίσιβιν
πολιορκούντες καί ηττηθέντες υπό Σεουήρου επρεσβεύσανο πρός αυτόν μετά
τόν τού Νίγρου θάνατον. Osrhoene war damals römisch, Adiabene
parthisch; von wem fallen die beiden Landschaften ab? und wessen Partei
haben die Nisibener ergriffen? Daß deren Gegner vor Absendung der
Gesandtschaft von Severus geschlagen worden, widerspricht dem Verlauf
der Erzählung; denn weil ihre Gesandten dem Severus ungenügende
Anerbietungen machen, überzieht sie dieser mit Krieg. Wahrscheinlich
ist die Unterstützung Nigers durch Untertanen der Parther und deren
Gemeinschaft mit Nigers römischem Parteigänger nun genau als Abfall von
Severus aufgefaßt; daß die Leute nachher behaupten, sie hätten
beabsichtigt, vielmehr Severus zu unterstützen, wird deutlich als
Ausflucht bezeichnet. Die Nisibener mögen sich geweigert haben mitzutun
und deshalb von den Anhängern Nigers angegriffen worden sein. So
erklärt es sich, was auch aus dem Xiphilinischen Auszug Dio 75, 2
erhellt, daß das linke Euphratufer für Severus Feindesland war, nicht
aber Nisibis; römisch braucht die Stadt darum damals nicht gewesen zu
sein, vielmehr ist sie nach allen Spuren dies erst durch Severus
geworden.
^67 Da die Kriege gegen die Araber und die Adiabener in der Tat gegen
die Parther gerichtet waren, so war es in der Ordnung, daß dem Kaiser
deswegen die Titel Parthicus Arabicus und Parthicus Adiabenicus erteilt
wurden; sie finden sich auch, aber gewöhnlich bleibt Parthicus weg,
offenbar weil, wie der Biograph des Severus sagt (c. 9), excusavit
Parthicum nomen, ne Parthos lacesseret. Dazu stimmt die sicher in das
Jahr 195 gehörende Notiz bei Dio 75, 9, 6 über das friedliche Abkommen
mit den Parthern und die Abtretung eines Stückes von Armenien an sie.
^68 Daß auch Armenien in ihre Gewalt geriet, deutet Herodian 5, 9, 2
an; freilich ist seine Darstellung schief und fehlerhaft.
^69 Als bei dem Frieden im Jahre 218 das alte Verhältnis zwischen Rom
und Armenien erneuert wurde, machte der König von Armenien sich
Aussicht auf Erneuerung der römischen Jahresgelder (Dio 78, 27: τού
Τιριδάτου τό αργύριον ό κατ' έτος παρά τών Ρωμαίων ευρίσκετο ελπίσαντος
λήψεσθαι). Eigentliche Tributzahlung der Römer an die Armenier ist für
die severische und die vorseverische Zeit ausgeschlossen, stimmt auch
keineswegs zu den Worten Dios; der Zusammenhang wird der bezeichnete
sein. Im 4. und 5. Jahrhundert wurde das Kastell von Biriparach im
Kaukasus, das den Darielpaß sperrte, von den Persern, die seit dem
Frieden von 364 hier die Herren spielten, mit römischem Zuschuß
unterhalten und dies ebenfalls als Tributzahlung aufgefaßt (Lyd. mag.
3, 52, 53; Priscus fr. 31 Müller).
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Die weitere Entwicklung dieser Nachbarverhältnisse ist bedingt durch
die Verschiebung der inneren Ordnung in den beiden Reichen. Wenn unter
der Dynastie Nervas und nicht minder unter Severus dem oft von
Bürgerkrieg und Thronfehde zerrissenen Partherstaat die relativ stabile
römische Monarchie überlegen gegenübergestanden hatte, so brach diese
Ordnung nach Severus’ Tode zusammen, und fast ein Jahrhundert lang
folgten sich in dem Westreich meist elende und durchaus ephemere
Regenten, die dem Ausland gegenüber stetig schwankten zwischen Übermut
und Schwäche. Während also die Schale des Westens sank, stieg diejenige
des Ostens. Wenige Jahre nach dem Tode des Severus (211) traf in Iran
eine Umwälzung ein, welche nicht bloß, wie so viele frühere Krisen, den
herrschenden Regenten stürzte, nicht einmal bloß eine andere Dynastie
an die Stelle der verkommenen Arsakiden ans Regiment rief, sondern die
nationalen und religiösen Elemente zu gewaltigem Aufschwung entfesselnd
an die Stelle der vom Hellenismus durchdrungenen Bastardzivilisation
des Partherstaats die Staatsordnung, den Glauben, die Sitte und die
Fürsten derjenigen Landschaft setzte, welche das alte Perserreich
geschaffen hatte und seit dessen Übergang an die parthische Dynastie
wie die Gräber des Dareios und des Xerxes, so auch die Keime der
Wiedergeburt des Volkes in sich bewahrte. Es erfolgte die
Wiederherstellung des von Alexander niedergeworfenen Großkönigtums der
Perser durch das Eintreten der Dynastie der Sassaniden. Werfen wir auf
diese neue Gestaltung der Dinge einen Blick, bevor wir den Verlauf der
römisch-parthischen Beziehungen im Orient weiter verfolgen.
Es ist schon ausgesprochen worden, daß die parthische Dynastie, obwohl
in der Tat sie Iran dem Hellenismus entrissen hatte, doch der Nation
sozusagen als illegitim galt. Artahschatr oder neupersisch Ardaschir,
so berichtet die offizielle Historiographie der Sassaniden, trat auf,
um das Blut des von Alexander ermordeten Dara zu rächen und um die
Herrschaft an die legitime Familie zurückzubringen und sie so wieder
herzustellen, wie sie zur Zeit seiner Vorfahren, vor den Teilkönigen
gewesen war. In dieser Legende steckt ein gutes Stück Wirklichkeit. Die
Dynastie, welche von dem Großvater Ardaschirs, Sasan, den Namen führt,
ist keine andere als die königliche der persischen Landschaft;
Ardaschirs Vater Papak oder Pabek ^70 und eine lange Reihe seiner Ahnen
hatten unter der Obergewalt der Arsakiden in diesem Stammlande der
iranischen Nation das Szepter geführt ^71, in Istachr, unweit des alten
Persepolis, residiert und ihre Münzen mit iranischer Sprache und
iranischer Schrift und mit den heiligen Emblemen des persischen
Landesglaubens bezeichnet, während die Großkönige in dem halb
griechischen Grenzland ihren Sitz hatten und ihre Münzen in
griechischer Sprache und griechischer Weise prägen ließen. Die
Grundordnung des iranischen Staatensystems, das den Teilkönigen
übergeordnete Großkönigtum, ist unter den beiden Dynastien ebensowenig
eine verschiedene gewesen, wie die des Reiches Deutscher Nation unter
den sächsischen und den schwäbischen Kaisern. Nur darum wird in jener
offiziellen Version die Arsakidenzeit als die der Teilkönige und
Ardaschir als das erste gemeinsame Haupt von ganz Iran nach dem letzten
Dareios bezeichnet, weil im alten Persischen Reich die persische
Landschaft wie zu den übrigen, so auch zu den Parthern sich verhält wie
im römischen Staat Italien zu den Provinzen, und der Perser dem Parther
die Legitimation für das von Rechts wegen mit seiner Landschaft
verbundene Großkönigtum bestritt ^72.
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^70 Artaxares nennt seinen Vater Papakos in der Anm. 74 angeführten
Inschrift König; wie damit auszugleichen ist, daß nicht bloß die
einheimische Legende (bei Agathias 2, 27) den Pabek zum Schuster macht,
sondern auch der Zeitgenosse Dion (wenn in der Tat Zon. 12, 15 diese
Worte aus ihm entlehnt hat) den Artaxares nennt εξ αφανών καί αδόξων,
wissen wir nicht. Natürlich nehmen die römischen Schriftsteller für den
schwachen legitimen Arsakiden Partei gegen den gefährlichen Usurpator.
^71 Strabon (unter Tiberius) 15, 3, 24: νύν δ'ήδη καθ' αυτούς
συνεστώτες οι Πέρσαι βασιλέας έχουσιν υπηκόους ετέροις βασιλεύσι,
πρότερον μέν Μακεδόσι, νύν δέ Παρθυαίοις.
^72 Wenn Nöldeke sagt (Tabari, S. 449): “Daß die Hauptländer der
Monarchie direkt der Krone unterworfen waren, bildete den
Hauptunterschied des Sassanidenreichs vom arsakidischen, welches in den
verschiedensten Provinzen wirkliche Könige hatte”, so wird die Macht
des Großkönigtums ohne Zweifel durchaus durch die Persönlichkeit des
Inhabers bedingt und unter den ersten Sassaniden eine viel stärkere
gewesen sein als unter den letzten verkommenen Arsakiden. Aber ein
prinzipieller Gegensatz ist nicht erfindlich. Von Mithradates I. an,
dem eigentlichen Gründer der Dynastie, nennt sich der arsakidische
Herrscher “König der Könige”, eben wie später der sassanidische,
während Alexander der Große und die Seleukiden diesen Titel nie geführt
haben. Auch unter ihnen herrschten einzelne Lehnskönige, zum Beispiel
in der Persis (Anm. 71); aber die regelmäßige Form der Reichsverwaltung
war das Lehnskönigtum damals nicht und die griechischen Herrscher
nannten sich nicht danach, so wenig wie die Caesaren wegen Kappadokien
oder Numidien den Großkönigtitel annahmen. Die Satrapen des
Arsakidenstaats sind wesentlich die Marzbanen der Sassaniden. Eher
mögen die großen Reichsämter, welche in der sassanidischen
Staatsordnung den Oberverwaltungsstellen der
Diocletianisch-Konstantinischen Konstitution entsprechen und
wahrscheinlich für diese das Vorbild gewesen sind, dem Arsakidenstaat
gemangelt haben; dann würden allerdings beide sich ähnlich zueinander
verhalten wie die Reichsordnung Augusts zu der Konstantins. Aber wir
wissen zu wenig von der Arsakidenordnung, um dies mit Sicherheit zu
behaupten.
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Wie dem Umfange nach das Sassanidenreich sich zu dem der Arsakiden
verhielt, ist eine Frage, auf die die Überlieferung keine genügende
Antwort gibt. Die Provinzen des Westens sind, seit die neue Dynastie
fest im Sattel saß, sämtlich derselben untertänig geblieben und die
Ansprüche, die die letztere gegen die Römer erhob, gingen, wie wir
sehen werden, weit hinaus über die Prätensionen der Arsakiden. Aber wie
weit die Herrschaft der Sassaniden gegen den Osten gereicht hat und
wann sie bis zum Oxos vorgedrungen ist, der später als die legitime
Grenze zwischen Iran und Turan gilt, entzieht sich unseren Blicken ^73.
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^73 Nach den in der arabischen Chronik des Tabari erhaltenen persischen
Aufzeichnungen aus der letzten Sassanidenzeit erobert Ardaschir,
nachdem er Ardawan eigenhändig den Kopf abgehauen und den Titel
Schahan-Schah, König der Könige, angenommen hat, zuerst Hamadhan
(Ekbatana) in Großmedien, dann Aserbeidschan (Atropatene), Armenien,
Mosul (Adiabene); ferner Suristan oder Sawad (Babylonien). Von da geht
er nach Istachr in seine persische Heimat zurück und erobert dann, von
neuem ausziehend, Sagistan, Gurgan (Hyrkanien), Abraschahr (Nisapur im
Partherland), Marw (Margiane), Balch (Baktra) und Charizm (Chiwa) bis
zu den äußersten Grenzen von Chorasan. “Nachdem er viele Leute getötet
und ihre Köpfe nach dem Feuertempel der Anahedh (in Istachr) geschickt
hatte, kehrte er von Marw nach Pars zurück und ließ sich in Gor
(Feruzabad) nieder.” Wieviel hiervon Legende ist, wissen wir nicht
(vgl. Nöldeke, Tabari, S. 17, 116).
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Das Staatssystem Irans hat infolge des Eintritts der neuen Dynastie
sich nicht gerade prinzipiell umgestaltet. Die offizielle Titulatur des
ersten Sassanidenherrschers, wie sie unter dem Felsrelief von
Nakschi-Rustam in drei Sprachen gleichmäßig angegeben ist: “der
Mazda-Diener Gott Artaxares, König der Könige der Arianer, göttlicher
Abstammung” ^74, ist im wesentlichen die der Arsakiden, nur daß die
iranische Nation, wie schon in der alteinheimischen Königstitulatur,
und der einheimische Gott jetzt ausdrücklich genannt werden. Daß eine
in der Persis heimische Dynastie an die Stelle einer ursprünglich
stammfremden und nur nationalisierten trat, war ein Werk und ein Sieg
nationaler Reaktion; aber den daraus sich ergebenden Konsequenzen
setzte die Macht der Verhältnisse vielfach unübersteigliche Schranken.
Persepolis oder, wie es jetzt heißt, Istachr wird wieder dem Namen nach
die Hauptstadt des Reiches, und neben den gleichartigen des Dareios
verkünden dort auf derselben Felsenwand die merkwürdigen Bildwerke und
noch merkwürdigeren, eben erwähnten Inschriften den Ruhm Ardaschirs und
Schapurs; aber die Verwaltung konnte von dieser entlegenen Örtlichkeit
aus nicht wohl geführt werden, und ihr Mittelpunkt blieb auch ferner
Ktesiphon. Den rechtlichen Vorzug der Perser, wie er unter den
Achämeniden bestanden hatte, nahm die neupersische Regierung nicht
wieder auf; wenn Dareios sich “einen Perser, Sohn eines Persers, einen
Arier aus arischem Stamm” nannte, so nannte Ardaschir sich, wie wir
sahen, lediglich den König der Arianer. Ob in die großen Geschlechter,
abgesehen von dem königlichen, persische Elemente neu eingeführt worden
sind, wissen wir nicht; auf jeden Fall sind mehrere von ihnen
geblieben, wie die Surên und die Karên; nur unter den Achämeniden,
nicht unter den Sassaniden sind dieselben ausschließlich persisch
gewesen.
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^74 Griechisch (CIG 4675) lautet der Titel: Μάσδασνος; (Mazda-Diener,
als Eigenname behandelt) θεός Αρταξάρης βασιλεύς βασιλέων Αριανών εκ
γένους θεών; genau damit stimmt der Titel seines Sohnes Sapor 1. (das.
4676), nur daß nach Αριανών eingeschoben ist καί Αναριανών, also die
Erstreckung der Herrschaft auf das Ausland hervorgehoben wird. In der
Titulatur der Arsakiden, soweit sie aus den griechischen und persischen
Münzaufschriften erhellt, kehren θεός, βασιλεύς βασιλέων, θεοπάτωρ (=εκ
γένους θεών) wieder, dagegen fehlt die Hervorhebung der Arianer und
bezeichnenderweise der Mazda-Diener; daneben erscheinen zahlreiche
andere den syrischen Königen entlehnte Titel, wie επιφάνης, νικάτωρ, ,
auch der römische αυτοκράτωρ.
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Auch in religiöser Beziehung trat ein eigentlicher Wechsel nicht ein;
wohl aber gewann der Glaube und gewannen die Priester unter den
persischen Großkönigen einen Einfluß und eine Macht, wie sie sie unter
den parthischen niemals besessen hatten. Es mag wohl sein, daß die
zwiefache Propaganda fremder Kulte gegen Iran, des Buddhatums vom Osten
her und des jüdisch-christlichen Glaubens aus dem Westen, der alten
Mazda-Religion eben durch die Fehde eine Regeneration brachte. Der
Stifter der neuen Dynastie, Ardaschir, war, wie glaubhaft berichtet
wird, ein eifriger Feueranbeter und nahm selbst die Weihen des
Priestertums; darum, heißt es weiter, wurde von da an der Stand der
Magier einflußreich und anmaßend, während er bis dahin keineswegs
solche Ehre und solche Freiheit gehabt, sondern bei den Machthabern
nicht eben viel gegolten hatte. “Seitdem ehren und verehren die Perser
alle die Priester; die öffentlichen Angelegenheiten werden nach ihren
Ratschlägen und Orakeln geordnet; jeder Vertrag und jeder Rechtsstreit
unterliegt ihrer Aufsicht und ihrem Urteil und nichts erscheint den
Persern recht und gesetzlich, was nicht von einem Priester bestätigt
worden ist.” Dementsprechend begegnen wir einer Ordnung der geistlichen
Verwaltung, die an die Stellung des Papstes und der Bischöfe neben dem
Kaiser und den Fürsten erinnert. Jeder Kreis steht unter einem
Obermagier (Magupat, Magierherr, neupersisch Mobedh) und diese alle
wieder unter dem Obersten der Obermagier (Mobedhan-Mobedh), dem Abbild
des “Königs der Könige”, und er ist es jetzt, der den König krönt. Die
Folgen dieser Priesterherrschaft blieben nicht aus: das starre Ritual,
die beengenden Vorschriften über Schuld und Sühne, die in wüstes
Orakelwesen und Zauberkunst sich auflösende Wissenschaft haften zwar
dem Parsentum von jeher an, sind aber doch vermutlich erst in dieser
Epoche zu voller Entwicklung gelangt.
Auch in dem Gebrauch der Landessprache und den Landesgebräuchen zeigen
sich die Spuren der nationalen Reaktion. Die größte Griechenstadt des
Partherreiches, die alte Seleukeia, blieb bestehen, aber sie heißt
seitdem nicht nach dem Namen des griechischen Marschalls, sondern nach
dem ihres neuen Herrn Beh, das heißt gut, Ardaschir. Die griechische
Sprache, bisher, wenn auch zerrüttet und nicht mehr alleinherrschend,
doch immer noch in Gebrauch, verschwindet mit dem Eintritt der neuen
Dynastie mit einem Schlag von den Münzen, und nur auf den Inschriften
der ersten Sassaniden begegnet sie noch eben und hinter der
eigentlichen Landessprache. Die “Partherschrift”, das Pahlavi,
behauptet sich, aber neben sie tritt eine zweite, wenig verschiedene
und zwar, wie die Münzen beweisen, als eigentlich offizielle,
wahrscheinlich die bis dahin in der persischen Provinz gebrauchte, so
daß die ältesten Denkmäler der Sassaniden, ähnlich wie die der
Achämeniden, dreisprachig sind, etwa wie im deutschen Mittelalter
Lateinisch, Sächsisch und Fränkisch nebeneinander Anwendung gefunden
haben. Nach König Sapor I. († 272) verschwindet die Zwiesprachigkeit
und behauptet die zweite Schreibweise allein den Platz, den Namen
Pahlavi erbend. Das Jahr der Seleukiden und die dazu gehörigen
Monatsnamen verschwinden mit dem Wechsel der Dynastie; dafür treten
nach altem persischen Herkommen die Regentenjahre ein und die
einheimischen persischen Monatsnamen ^75. Selbst die altpersische
Legende wird auf das neue Persien übertragen. Die noch vorhandene
‘Geschichte von Ardaschir, Papaks Sohn’, welche diesen Sohn eines
persischen Hirten an den medischen Hof geraten, dort Knechtsdienste tun
und dann den Befreier seines Volkes werden läßt, ist nichts als das
alte Märchen vom Kyros auf die neuen Namen umgeschrieben. Ein anderes
Fabelbuch der indischen Parsen weiß zu berichten, wie König Iskander
Rumi, das heißt “Alexander der Römer”, die heiligen Bücher Zarathustras
habe verbrennen lassen, dann aber sie hergestellt worden seien von dem
frommen Ardaviraf, als König Ardaschir den Thron bestiegen habe. Hier
steht der Römer-Hellene gegen den Perser; den arsakidischen Bastard hat
die Sage, wie billig, vergessen.
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^75 Frawardin, Ardhbehescht usw. (C. L. Ideler, Lehrbuch der
Chronologie. Berlin 1831, Bd. 2, S. 515). Merkwürdigerweise haben
wesentlich dieselben Monatsnamen sich in dem provinzialen Kalender der
römischen Provinz Kappadokien behauptet (Ideler, Bd. 1, S. 443); sie
müssen aus der Zeit herrühren, wo dieselbe persische Satrapie war.
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Im übrigen werden die Zustände wesentlich die alten geblieben sein. In
militärischer Beziehung namentlich sind die Heere auch der Sassaniden
sicher keine stehenden und geschulten Truppen gewesen, sondern das
Aufgebot der wehrfähigen Mannschaften, in das mit der nationalen
Bewegung wohl ein neuer Geist gefahren sein mag, aber das nach wie vor
im wesentlichen auf dem adligen Roßdienst ruhte. Auch die Verwaltung
blieb, wie sie war: der tüchtige Herrscher schritt mit unerbittlicher
Strenge ein gegen den Straßenräuber wie gegen den erpressenden Beamten
und, verglichen wenigstens mit der späteren arabischen und der
türkischen Herrschaft, befanden sich die Untertanen des
Sassanidenreiches im Wohlstand und der Staatsschatz in Fülle.
Bedeutsam aber ist die Verschiebung der Stellung des neuen Reiches
gegenüber dem römischen. Die Arsakiden haben den Caesaren sich nie
völlig ebenbürtig gefühlt. Wie oft auch beide Staaten in Krieg und
Frieden als gleichgewogene Mächte sich einander entgegentraten, wie
entschieden die Anschauung der doppelten Großmacht auch den römischen
Orient beherrscht, es bleibt der römischen Macht ein ähnlicher Vorrang,
wie ihn das Heilige Römische Reich Deutscher Nation lange Jahrhunderte
sehr zu seinem Schaden besessen hat. Unterwerfungsakte, wie sie
gegenüber Tiberius und Nero die parthischen Großkönige auf sich nahmen,
ohne durch die äußerste Notwendigkeit dazu gezwungen zu sein, lassen
sich umgekehrt nicht einmal denken. Deutlicher noch spricht die
Unterlassung der Goldprägung. Es kann nicht Zufall sein, daß nie unter
dem Regiment der Arsakiden eine Goldmünze geschlagen worden ist und
gleich der erste Sassanidenherrscher die Goldprägung geübt hat; es ist
dieselbe das greifbarste Zeichen der durch keine Vasallenpflichten
beschränkten Souveränität. Dem Anspruch des Caesarenreiches, allein die
Weltmünze schlagen zu können, hatten die Arsakiden ohne Ausnahme sich
wenigstens insoweit gefügt, daß sie selber überhaupt sich der Prägung
enthielten und diese in Silber und Kupfer den Städten oder den Satrapen
überließen; die Sassaniden schlugen wieder Goldstücke, auch wie König
Dareios. Das Großkönigtum des Ostens fordert endlich sein volles Recht;
die Welt gehört nicht ferner den Römern allein. Mit der Unterwürfigkeit
der Orientalen und der Oberherrlichkeit der Okzidentalen ist es vorbei.
Dem entsprechend tritt an die Stelle der bis dahin immer wieder zum
Frieden zurückwendenden Beziehungen zwischen Römern und Parthern durch
Generationen die erbitterte Fehde.
Nachdem die neue Staatsordnung dargestellt worden ist, mit der das
sinkende Rom bald zu ringen haben sollte, nehmen wir den Faden der
Erzählung wieder auf. Severus’ Sohn und Nachfolger Antoninus, kein
Krieger und Staatsmann wie sein Vater, aber von beidem eine wüste
Karikatur, muß die Absicht gehabt haben, soweit bei solchen
Persönlichkeiten überhaupt von Absicht geredet werden kann, den Osten
ganz in römische Gewalt zu bringen. Es hielt nicht schwer, die Fürsten
von Osrhoene und von Armenien, nachdem sie an den kaiserlichen Hof
entboten worden waren, gefangen zu setzen und diese Lehen für
eingezogen zu erklären. Aber schon auf die Kunde hin brach in Armenien
ein Aufstand aus. Der Arsakidenprinz Tiridates wurde zum König
ausgerufen und rief den Schutz der Parther an. Darauf stellte sich
Antoninus an die Spitze einer großen Truppenmacht und erschien im Jahre
216 im Osten, um die Armenier und nötigenfalls auch die Parther
niederzuwerfen. Tiridates selbst gab sogleich seine Sache verloren,
obwohl die nach Armenien gesandte Abteilung dort nachher noch auf
heftige Gegenwehr stieß, und flüchtete zu den Parthern. Die Römer
forderten die Auslieferung. Die Parther waren nicht geneigt, sich
seinetwegen auf einen Krieg einzulassen, um so weniger als eben damals
die beiden Söhne des Königs Vologasos V., Vologasos VI. und Artabanos,
in erbitterter Thronfehde lagen. Der erstere fügte sich, als die
römische Forderung gebieterisch wiederholt ward und lieferte den
Tiridates aus. Darauf begehrte der Kaiser von dem inzwischen zur
Anerkennung gelangten Artabanos die Hand seiner Tochter zu dem
ausgesprochenen Zwecke, damit das Reich zu erheiraten und Orient und
Okzident unter eine Herrschaft zu bringen. Die Zurückweisung dieses
wüsten Vorschlags ^76 war das Signal zum Krieg; die Römer erklärten ihn
und überschritten den Tigris. Die Parther waren unvorbereitet; ohne
Widerstand zu finden brannten die Römer die Städte und Dörfer in
Adiabene nieder und zerstörten mit ruchloser Hand sogar die alten
Königsgräber bei Arbela ^77. Aber für den nächsten Feldzug machte
Artabanos die äußersten Anstrengungen und stellte im Frühjahr 217 eine
gewaltige Heeresmacht in das Feld. Antoninus, der den Winter in Edessa
zugebracht hatte, wurde, eben als er zu dieser zweiten Kampagne
aufbrach, von seinen Offizieren ermordet. Sein Nachfolger Macrinus,
unbefestigt im Regiment und wenig angesehen, dazu an der Spitze einer
der Zucht und Haltung entbehrenden und durch den Kaisermord
erschütterten Armee, hätte gern des mutwillig angezettelten und sehr
ernsthafte Verhältnisse annehmenden Krieges sich entledigt. Er schickte
dem Partherkönig die Gefangenen zurück und warf die Schuld für die
begangenen Frevel auf den Vorgänger. Aber Artabanos war damit nicht
zufrieden; er forderte Ersatz für alle begangene Verwüstung und die
Räumung Mesopotamiens. So kam es bei Nisibis zur Schlacht, in der die
Römer den kürzeren zogen. Dennoch gewährten die Parther, zum Teil weil
ihr Aufgebot sich aufzulösen Miene machte, vielleicht auch unter dem
Einfluß des römischen Goldes, den Frieden (218) auf verhältnismäßig
günstige Bedingungen: Rom zahlte eine ansehnliche Kriegsentschädigung
(50 Mill. Denare), behielt aber Mesopotamien; Armenien blieb dem
Tiridates, aber dieser nahm es von den Römern zum Lehen. Auch in
Osrhoene wurde das alte Fürstenhaus wieder eingesetzt.
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^76 So erzählt der zuverlässige Dio 78, 1; unbeglaubigt ist die Version
Herodians 4, 11, daß Artabanos die Tochter zusagte und bei der
Verlobungsfeier Antoninus auf die anwesenden Parther einhauen ließ.
^77 Wenn an der Nennung der Kadusier in der Biographie c. 6 etwas
Wahres ist, so veranlaßten die Römer diesen wilden, der Regierung nicht
botmäßigen Stamm im Südwesten des Kaspischen Meeres, gleichzeitig über
die Parther herzufallen.
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Es ist dies der letzte Friedensvertrag, den die Arsakidendynastie mit
Rom geschlossen hat. Fast unmittelbar nachher und vielleicht mit
infolge dieses Pakts, der allerdings, wie die Verhältnisse lagen, von
den Orientalen als eine Preisgebung der erfochtenen Siege durch die
eigene Regierung angesehen werden konnte, begann die Insurrektion,
welche den Staat der Parther in einen Staat der Perser umwandelte. Ihr
Führer, König Ardaschir oder Artaxares (224-241), stritt manches Jahr
mit den Anhängern der alten Dynastie, bevor er vollen Erfolg hatte ^78;
nach drei großen Schlachten, in deren letzter König Artabanos fiel, war
er im eigentlichen Partherreich Herr und konnte in die mesopotamische
Wüste einrücken, um die Araber von Hatra zu unterwerfen und von da aus
gegen das römische Mesopotamien vorzugehen. Aber die tapferen und
unabhängigen Araber wehrten sich, wie früher gegen die römische
Invasion, so jetzt gegen die Perser in ihren gewaltigen Mauern mit
gutem Erfolg, und Artaxares fand sich veranlaßt, zunächst gegen Medien
und Armenien zu operieren, wo die Arsakiden sich noch behaupteten und
auch die Söhne des Artabanos eine Zuflucht gefunden hatten. Erst um das
Jahr 230 wandte er sich gegen die Römer und erklärte ihnen nicht bloß
den Krieg, sondern forderte alle Provinzen zurück, die einst zum Reich
seiner Vorgänger, des Dareios und des Xerxes, gehört hatten, das heißt
die Abtretung von ganz Asien. Den drohenden Worten Nachdruck zu geben,
führte er ein gewaltiges Heer über den Euphrat; Mesopotamien wurde
besetzt und Nisibis belagert; die feindlichen Reiter zeigten sich in
Kappadokien und in Syrien. Den römischen Thron nahm damals Severus
Alexander ein, ein Herrscher, an dem nichts kriegerisch war als der
Name und für den in der Tat die Mutter Mamaea das Regiment führte.
Dringende, fast demütige Friedensvorschläge der römischen Regierung
blieben ohne Wirkung; es blieb nichts übrig als der Gebrauch der
Waffen. Die aus dem ganzen Reiche zusammengezogenen römischen
Heeresmassen wurden geteilt: der linke Flügel nahm die Richtung auf
Armenien und Medien, der rechte auf Mesene an der Euphrat- und
Tigrismündung, vielleicht in der Berechnung, dort wie hier auf den
Anhang der Arsakiden sich stützen zu können; die Hauptarmee ging gegen
Mesopotamien vor. Die Truppen waren zahlreich genug, aber ohne Zucht
und Haltung; ein hochgestellter römischer Offizier dieser Zeit bezeugt
es selbst, daß sie verwöhnt und unbotmäßig waren, sich weigerten zu
kämpfen, ihre Offiziere erschlugen und haufenweise desertierten. Die
Hauptmacht kam gar nicht über den Euphrat ^79, da die Mutter dem Kaiser
vorstellte, daß es nicht seine Sache sei, sich für seine Untertanen,
sondern dieser, sich für ihn zu schlagen. Der rechte Flügel, im
Flachland von der persischen Hauptmacht angegriffen und von dem Kaiser
im Stich gelassen, wurde aufgerieben. Als darauf der Kaiser dem nach
Medien vorgedrungenen Flügel Befehl erteilte, sich zurückzuziehen, litt
auch dieser stark bei dem winterlichen Rückmarsch durch Armenien. Wenn
es bei diesem üblen Rückzug der großen orientalischen Armee nach
Antiocheia blieb und zu keiner vollständigen Katastrophe kam, sogar
Mesopotamien in römischer Gewalt blieb, so scheint das nicht das
Verdienst der römischen Truppen oder ihrer Führer zu sein, sondern
darauf zu beruhen, daß das persische Aufgebot des Kampfes müde ward und
nach Hause ging ^80. Aber sie gingen nicht auf lange, um so mehr, als
bald darauf nach der Ermordung des letzten Sprossen der Severischen
Dynastie die einzelnen Heerführer und die Regierung in Rom um die
Besetzung des römischen Thrones zu schlagen begannen und somit darin
einig waren, die Geschäfte der auswärtigen Feinde zu besorgen. Unter
Maximinus (235-238) geriet das römische Mesopotamien in Ardaschirs
Gewalt und schickten die Perser abermals sich an, den Euphrat zu
überschreiten ^81. Nachdem die inneren Wirren einigermaßen sich
beruhigt hatten und Gordian III., fast noch ein Knabe, unter dem Schutz
des Kommandanten von Rom und bald seines Schwiegervaters Furius
Timesitheus unbestritten im ganzen Reiche gebot, wurde in feierlicher
Weise den Persern der Krieg erklärt, und im Jahre 242 rückte eine große
römische Armee unter persönlicher Führung des Kaisers oder vielmehr
seines Schwiegervaters in Mesopotamien ein. Sie hatte vollständigen
Erfolg; Karrhä wurde wieder gewonnen, bei Resaina zwischen Karrhä und
Nisibis das Heer des Perserkönigs Schapur oder Sapor (reg. 241-272),
welcher kurz vorher seinem Vater Ardaschir gefolgt war, auf das Haupt
geschlagen, infolge dieses Sieges auch Nisibis besetzt. Ganz
Mesopotamien war zurückerobert; es wurde beschlossen, zum Euphrat
zurück und von da stromabwärts gegen die feindliche Hauptstadt
Ktesiphon zu marschieren. Unglücklicherweise starb Timesitheus und sein
Nachfolger, Marcus Iulius Philippus, ein geborener Araber aus der
Trachonitis, benutzte die Gelegenheit, den jungen Herrscher zu
beseitigen. Als das Heer den schwierigen Marsch durch das Tal des
Chaboras nach dem Euphrat zurückgelegt hatte, fanden, angeblich infolge
der von Philippus getroffenen Anordnungen, die Soldaten in Kirkesion am
Einfluß des Chaboras in den Euphrat die erwarteten Lebensmittel und
Vorräte nicht vor und legten dies dem Kaiser zur Last.
Nichtsdestoweniger wurde der Marsch in der Richtung auf Ktesiphon
angetreten; aber schon auf der ersten Station bei Zaitha (etwas
unterhalb Mejadin) erschlugen eine Anzahl aufständischer Gardisten den
Kaiser (Frühling oder Sommer 244) und riefen ihren Kommandanten
Philippus an seiner Stelle zum Augustus aus. Der neue Herrscher tat,
was der Soldat oder wenigstens der Gardist begehrte, und gab nicht bloß
die beabsichtigte Expedition gegen Ktesiphon auf, sondern führte auch
die Truppen sogleich nach Italien zurück. Die Erlaubnis dazu erkaufte
er sich von dem überwundenen Feind durch die Abtretung von Mesopotamien
und Armenien, also der Euphratgrenze. Indes erregte dieser
Friedensschluß eine solche Erbitterung, daß der Kaiser es nicht wagte,
denselben zur Ausführung zu bringen und in den abgetretenen Provinzen
die Besatzungen stehen ließ ^82. Daß die Perser sich dies wenigstens
vorläufig gefallen ließen, gibt das Maß dessen, was sie damals
vermochten. Nicht die Orientalen, sondern die Goten, die fünfzehn Jahre
hindurch wütende Pest und die Zwietracht der miteinander um die Krone
hadernden Korpsführer brachen die letzte Kraft des Reiches.
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^78 Die späterhin rezipierte Chronologie setzt den Beginn der
Sassanidendynastie auf das Seleukidenjahr 538 = 1. Oktober 226/27 n.
Chr. oder das vierte (volle) Jahr des seit Frühling 222 regierenden
Severus Alexander (Agathias 4, 24). Nach anderen Daten zählte König
Ardaschir das Jahr Herbst 223/24 n. Chr. als sein erstes, nahm also
wohl in diesem den Großkönigtitel an (Nöldeke, Tabari, S. 410). Die
letzte bis jetzt bekannte datierte Münze des älteren Systems ist vom
Jahre 539. Als Dion schrieb, zwischen 230 und 234, war Artabanos tot
und sein Anhang überwältigt, und wurde das Einrücken des Artaxares in
Mesopotamien und Syrien erwartet.
^79 Der Kaiser blieb wahrscheinlich in Palmyra; wenigstens gedenkt eine
palmyrenische Inschrift CIG 4483 der επιδημία θεού Αλεξάνδρου.
^80 Die unvergleichlich schlechten Berichte über diesen Krieg (der
relativ beste ist der aus gemeinschaftlicher Quelle bei Herodian,
Zonaras und Synkellos p. 674 vorliegende) entscheiden nicht einmal die
Frage, wer in diesen Kämpfen Sieger blieb. Während Herodian von einer
beispiellosen Niederlage der Römer spricht, feiern die lateinischen
Quellen, die Biographie sowohl wie Victor, Eutrop und Rufius Festus,
den Alexander als den Besieger des Artaxerxes oder Xerxes, und nach
diesen letzteren ist auch der weitere Verlauf der Dinge günstig. Die
Vermittlung gibt Herodian (6, 6, 5) an die Hand. Nach den armenischen
Berichten (Gutschmid, ZDMG 31, 1877, S. 47) haben die Arsakiden mit
Unterstützung der Kaukasusvölker sich in Armenien noch bis zum Jahre
237 gegen Ardaschir behauptet; diese Diversion mag richtig und auch den
Römern zugute gekommen sein.
^81 Den besten Bericht geben, aus derselben Quelle schöpfend, Synkellos
(p. 683) und Zonaras (12, 18). Damit stimmen die Einzelangaben Ammians
(23, 5; 7, 17) und so ziemlich der gefälschte Brief Gordians an den
Senat in der Biographie c. 27, aus dem die Erzählung c. 26 unkundig
hergestellt ist; Antiocheia war in Gefahr, aber nicht in den Händen der
Perser.
^82 So stellt Zon. 12, 19 den Hergang dar; damit stimmt Zos. hist. 3,
32, und auch der spätere Verlauf der Dinge zeigt Armenien nicht
geradezu im persischen Besitz. Wenn nach Euagr. 5, 7 damals bloß
Klein-Armenien römisch blieb, so mag das insofern nicht unrichtig sein,
als die Abhängigkeit des Lehnskönigs von Groß-Armenien nach dem Frieden
wohl nur eine nominelle war.
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Es wird hier, wo der römische Orient im Ringen mit dem persischen auf
sich selber angewiesen ist, am Platz sein, eines merkwürdigen Staates
zu gedenken, der, durch und für den Wüstenhandel geschaffen, jetzt für
kurze Zeit in der politischen Geschichte eine führende Rolle übernimmt.
Die Oase Palmyra, in der einheimischen Sprache Thadmor, liegt auf
halbem Wege zwischen Damaskos und dem Euphrat. Von Bedeutung ist sie
lediglich als Zwischenstation zwischen dem Euphratgebiet und dem
Mittelmeer und hat auch diese Bedeutung erst spät gewonnen und früh
wieder verloren, so daß Palmyras Blütezeit ungefähr mit derjenigen
Periode zusammenfällt, die wir hier schildern. Über das Emporkommen der
Stadt fehlt es an jeder Überlieferung ^83. Erwähnt wird sie zuerst bei
Gelegenheit des Aufenthaltes des Antonius in Syrien im Jahre 713 (41),
wo dieser einen vergeblichen Versuch machte, sich ihrer Reichtümer zu
bemächtigen; auch die dort gefundenen Denkmäler - die älteste datierte
palmyrenische Inschrift ist vom Jahre 745 (9) - reichen schwerlich viel
weiter zurück. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ihr Aufblühen mit der
Festsetzung der Römer im syrischen Küstenland zusammenhängt. So lange
die Nabatäer und die Städte der Osrhoene nicht unmittelbar römisch
waren, hatten die Römer ein Interesse daran, eine andere direkte
Verbindung mit dem Euphrat herzustellen, und diese führte dann
notwendig über Palmyra. Eine römische Gründung ist Palmyra nicht; als
Veranlassung für jenen Raubzug nahm Antonius die Neutralität der
zwischen den beiden Großstaaten den Verkehr vermittelnden Kaufleute,
und die römischen Reiter kehrten unverrichteter Sache um vor der
Schützenkette, die die Palmyrener dem Angriff entgegenstellten. Aber
schon in der ersten Kaiserzeit muß die Stadt zum Reiche gerechnet
worden sein, da die für Syrien ergangenen Steuerverordnungen des
Germanicus und des Corbulo auch für Palmyra zur Anwendung kamen; in
einer Inschrift vom Jahre 80 begegnet eine claudische Phyle daselbst;
seit Hadrian nennt sich die Stadt Hadriana Palmyra, und im dritten
Jahrhundert bezeichnet sie sich sogar als Kolonie.
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^83 Der biblische Bericht (1. Kön. 9, 18) über die Erbauung der Stadt
Thamar in Idumäa durch König Salomo ist nur durch ein freilich altes
Mißverständnis auf Thadmor übertragen worden; immer enthält die irrige
Beziehung desselben auf diese Stadt bei den späteren Juden (Chron. 2,
8, 4 und die griechische Übersetzung von 1. Kön. 9, 4) das älteste
Zeugnis für deren Existenz (Hitzig, ZDMG 8, 1854, S. 222).
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Indes war die Reichsuntertänigkeit der Palmyrener anderer Art als die
gewöhnliche und einigermaßen dem Klientelverhältnis der abhängigen
Königreiche ähnlich. Noch in Vespasians Zeit heißt Palmyra ein
Zwischengebiet zwischen den beiden Großmächten und wurde bei jedem
Zusammenstoß der Römer und der Parther gefragt, welche Politik die
Palmyrener einhalten würden. Den Schlüssel für die Sonderstellung
müssen wir in den Grenzverhältnissen und den für den Grenzschutz
getroffenen Ordnungen suchen. Die syrischen Truppen, soweit sie am
Euphrat selbst standen, haben ihre Hauptstellung bei Zeugma, Biredjik
gegenüber an der großen Euphratpassage, gehabt. Weiter stromabwärts
schiebt sich zwischen das unmittelbar römische und das parthische
Gebiet das von Palmyra, das bis zum Euphrat reicht und die nächste
bedeutende Übergangsstelle bei Sura gegenüber der mesopotamischen Stadt
Nikephorion (später Kallinikon, heute er-Rakka) einschließt. Es ist
mehr als wahrscheinlich, daß die Hut dieser wichtigen Grenzfestung
sowie die Sicherung der Wüstenstraße zwischen dem Euphrat und Palmyra,
auch wohl eines Teils der Straße von Palmyra nach Damaskos, der
Gemeinde Palmyra überlassen ward und daß sie also berechtigt und
verpflichtet war, die für diese nicht geringe Aufgabe erforderlichen
militärischen Einrichtungen zu treffen ^84. Späterhin sind wohl die
Reichstruppen näher an Palmyra herangezogen und ist eine der syrischen
Legionen nach Danava zwischen Palmyra und Damaskos, die arabische nach
Bostra gelegt worden; seit Severus Mesopotamien mit dem Reich vereinigt
hatte, waren sogar hier beide Ufer des Euphrat in römischer Gewalt und
endigte das römische Gebiet am Euphrat nicht mehr bei Sura, sondern bei
Kirkesion an der Mündung des Chaboras in den Euphrat oberhalb Mejâdîn.
Auch wurde damals Mesopotamien stark mit Reichstruppen belegt. Aber die
mesopotamischen Legionen standen an der großen Straße im Norden bei
Resaina und Nisibis, und auch die syrischen und die arabischen Truppen
machten die Mitwirkung der palmyrenischen nicht entbehrlich. Es mag
sogar die Hut von Kirkesion und dieses Teils des Euphratufers eben den
Palmyrenern anvertraut worden sein. Erst nach dem Untergang Palmyras
und vielleicht in Ersatz desselben ist Kirkesion ^85 von Diocletian zu
der starken Festung gemacht worden, die seitdem hier der Stützpunkt der
Grenzverteidigung gewesen ist.
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^84 Ausdrücklich berichtet wird dies nirgends; aber alle Umstände
sprechen dafür. Daß die römisch-parthische Grenze, bevor die Römer auf
dem linken Euphratufer sich festsetzten, am rechten wenig unterhalb
Sura war, sagt am bestimmtesten Plinius (nat. 5, 26, 89: a Sura proxime
est Philiscum - vgl. Anm. 85 - oppidum Parthorum ad Euphratem; ab eo
Seleuciam dierum decem navigatio), und hier ist sie bis zur Einrichtung
der Provinz Mesopotamien unter Severus geblieben. Die Palmyrene des
Ptolemaeos (5, 15, 24, 25) ist eine Landschaft Koilesyriens, die einen
guten Teil des Gebiets südlich von Palmyra zu umfassen scheint, sicher
aber bis an den Euphrat reicht und Sura einschließt; andere städtische
Zentren außer Palmyra scheinen nicht aufgeführt zu werden und nichts im
Wege zu stehen, diesen großen Distrikt als Stadtgebiet zu fassen.
Namentlich solange Mesopotamien parthisch war, aber auch nachher noch
hat mit Rücksicht auf die angrenzende Wüste ein dauernder Grenzschutz
hier nicht fehlen können; wie denn im 4. Jahrhundert nach Ausweis der
Notitia die Palmyrene stark besetzt war, die nördliche von den Truppen
des Dux von Syrien, Palmyra selbst und die südliche Hälfte von denen
des Dux von Phoenike. Daß in der früheren Kaiserzeit hier keine
römischen Truppen gestanden haben, ist durch das Schweigen der
Schriftsteller und das Fehlen der in Palmyra selbst zahlreichen
Inschriften verbürgt. Wenn in der Peutingerschen Tafel unter Sura
vermerkt ist: “fines exercitus Syriatici et commercium barbarorum”, d.
h. “hier endigen die römischen Besatzungen, und hier ist der
Zwischenort für den Barbarenverkehr”, so ist damit nur gesagt, was in
späterer Zeit Ammian (23, 3, 7: Callinicum mumimentum robustum et
commercandi opimitate gratissimum) und noch Kaiser Honorius (Cod. Iust.
4, 63, 4) wiederholen, daß Kallinikon zu den wenigen, dem
römisch-barbarischen Grenzhandel freigegebenen Entrepôts gehört; aber
nicht einmal für die Entstehungszeit der Tafel folgt daraus, daß damals
Reichstruppen dort standen, da ja die Palmyrener im allgemeinen auch
zur syrischen Armee gehörten und bei dem exercitus Syriaticus an sie
gedacht sein kann. Es muß die Stadt eine eigene Truppenmacht
aufgestellt haben, ähnlich wie die Fürsten von Numidien und von
Pantikapäon. Dadurch allein wird auch sowohl das Abweisen der Truppen
des Antonius wie das Verhalten der Palmyrener in den Wirren des 3.
Jahrhunderts verständlich, nicht minder das Auftreten der numeri
Palmyrenorum unter den militärischen Neuerungen derselben Epoche.
^85 Amm. 23, 5, 2: Cercusium .. . Diocletiänus exiguum ante hoc et
suspectum muris turribusque circumdedit celsis, . . . ne vagarentur per
Syriam Persae ita ut paucis ante annis cum magnis provinciarum
contigerat damnis. Vgl. Prok. aed. 2, 6. Vielleicht ist dieser Ort
nicht verschieden von dem Φάλγα oder Φάλιγα des Isidorus von Charax
(mans. Parth. 1; Stephanus v. Byzanz, Ethnika, unter diesem Wort) und
dem Plinianischen Philiscum (Anm. 84).
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Die Spuren dieser Sonderstellung Palmyras sind auch in den
Institutionen nachweisbar. Das Fehlen des Kaisernamens auf den
palmyrenischen Münzen ist wohl nicht aus ihr zu erklären, sondern
daraus, daß die Gemeinde fast nur kleine Scheidemünze ausgegeben hat.
Deutlich aber spricht die Behandlung der Sprache. Von der sonst bei den
Römern fast ausnahmslos befolgten Regel, in dem unmittelbaren Gebiet
nur den Gebrauch der beiden Reichssprachen zu gestatten, ist Palmyra
ausgenommen. Hier hat diejenige Sprache, welche im übrigen Syrien und
nicht minder seit dem Exil in Judäa die gewöhnliche im privaten
Verkehr, aber auf diesen beschränkt war, sich im öffentlichen Gebrauch
behauptet, solange die Stadt überhaupt bestanden hat. Wesentliche
Verschiedenheiten des palmyrenischen Syrisch von dem der übrigen oben
genannten Gegenden lassen sich nicht nachweisen; die nicht selten
arabisch oder jüdisch, auch persisch geformten Eigennamen zeigen die
starke Völkermischung, und zahlreiche griechisch-römische Lehnwörter
die Einwirkung der Okzidentalen. Es wird späterhin Regel, dem syrischen
Text einen griechischen beizufügen, welcher in einem Beschluß des
palmyrenischen Gemeinderats vom Jahre 137 dem palmyrenischen nach-,
später gewöhnlich voransteht; aber bloß griechische Inschriften
eingeborener Palmyrener sind seltene Ausnahmen. Sogar in
Weihinschriften, welche Palmyrener ihren heimischen Gottheiten in Rom
gesetzt haben ^86, und in Grabschriften der in Afrika oder Britannien
verstorbenen palmyrenischen Soldaten ist die palmyrenische Fassung
zugefügt. Ebenso wurde in Palmyra zwar das römische Jahr wie im übrigen
Reiche der Datierung zugrunde gelegt, aber die Monatsnamen sind nicht
die im römischen Syrien offiziell rezipierten makedonischen, sondern
diejenigen, welche in demselben wenigstens bei den Juden im gemeinen
Verkehr galten und außerdem bei den unter assyrischer und später
persischer Herrschaft lebenden aramäischen Stämmen in Gebrauch waren
^87.
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^86 Von den sieben bis jetzt außerhalb Palmyra gefundenen Dedikationen
an den palmyrenischen Malach Belos haben die drei in Rom zum Vorschein
gekommenen (CIL VI, 51, 710; CIG 6015) neben griechischem oder
lateinischem auch palmyrenischen Text, zwei afrikanische (CIL VIII,
2497, 8795 add.) und zwei dakische (Archäologisch-epigraphische
Mitteilungen aus Österreich 6, 1882, 109, 111) bloß lateinischen. Die
eine der letzteren ist von einem offenbar aus Palmyra gebürtigen
Duoviralen von Sarmizegetusa, P. Aelius Theimes, gesetzt diis patriis
Malagbel et Bebellahamon et Benefal et Manavat.
^87 Woher diese Monatsnamen rühren, ist dunkel; sie treten zuerst in
der assyrischen Keilschrift auf, sind aber nicht assyrischen Ursprungs.
Infolge der assyrischen Herrschaft sind sie dann in dem Bereich der
syrischen Sprache in Gebrauch geblieben. Abweichungen finden sich; der
zweite Monat, der Dios der griechisch redenden Syrer, unser November,
heißt bei den Juden Markeschwan, bei den Palmyrenern Kanun (Waddington
25746). Übrigens sind diese Monatsnamen, soweit sie innerhalb des
Römischen Reiches zur Anwendung kommen, wie die makedonischen dem
Julianischen Kalender angepaßt, so daß nur die Monatsbenennung
differiert, der Jahranfang (1. Oktober) des syrisch-römischen Jahres
auf die griechischen wie auf die aramäischen Benennungen gleichmäßig
Anwendung findet.
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Die munizipale Ordnung ist im wesentlichen nach dem Muster der
griechischen des Römerreichs gestaltet; die Beziehungen für Beamte und
Rat ^88 und selbst diejenige der Kolonie werden in den palmyrenischen
Texten meistenteils aus den Reichssprachen beibehalten. Aber auch in
der Verwaltung behielt der Distrikt eine größere Selbständigkeit, als
sie sonst den Stadtgemeinden zukommt. Neben den städtischen Beamten
finden wir wenigstens im dritten Jahrhundert die Stadt Palmyra mit
ihrem Gebiet unter einem besonderen “Hauptmann” senatorischen Ranges
und römischer Bestellung, aber gewählt aus dem angesehensten Geschlecht
des Ortes; Septimios Hairanes, des Odaenathos Sohn, ist der Sache nach
ein Fürst der Palmyrener ^89, der von dem Legaten von Syrien wohl nicht
anders abhängig war als die Klientelfürsten von den benachbarten
Reichstatthaltern überhaupt. Wenige Jahre später begegnen wir seinem
Sohn ^90 Septimios Odaenathos in der gleichen, ja im Rang noch
gesteigerten erbfürstlichen Stellung ^91.
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^88 Zum Beispiel Archon, Grammateus, Proedros, Syndikos, Dekaprotoi.
^89 Dies lehrt die Inschrift von Palmyra CIG 4491, 4492 = Waddington
2600 = Vogue 22, diesem Hairanes im Jahre 251 gesetzt von einem
Soldaten der in Arabien stehenden Legion. Sein Titel ist griechisch ο
λαμπρότατος συνκλητικός εξάρχος (= princeps) Παλμυρηνών, palmyrenisch
“erlauchter Senator, Haupt von Thadmor”. Die Grabschrift (CIG 4507 =
Waddington 2621 = Vogue 21) des Vaters des Hairanes, Septimios
Odaenathos, Sohnes des Hairanes, Enkels des Vaballathos, Urenkels des
Nassoros, gibt auch ihm schon senatorischen Rang.
^90 Allerdings wird der Vater dieses Odaenathos nirgends genannt; aber
es ist so gut wie sicher, daß er der Sohn des eben genannten Hairanes
ist und den Namen von seinem Großvater führt. Auch Zosimus (hist. 1,
39) nennt ihn einen von den Vorfahren her von der Regierung
ausgezeichneten Palmyrener (άνδρα Παλμυρηνόν καί εκ προγόνων τής παρά
τών βασιλέων αξιωθέντα τίμης).
^91 In der Inschrift Waddington 2603 = Vogue 23, die die Zunft der
Gold- und Silberarbeiter von Palmyra im Jahre 257 dem Odaenathos setzt,
heißt es ο λαμπρότατος υπατικός, also vir consularis, und griechisch
δεσπότης, syrisch mβran. Die erstere Bezeichnung ist kein Amtstitel,
sondern eine Angabe der Rangklasse; so steht vir consularis nicht
selten hinter dem Namen ganz wie vir clarissimus (CIL X., p. 1117 und
sonst) und findet sich ο λαμπρότατος υπατικός neben und vor
verschiedenartigen Amtstiteln, zum Beispiel dem des Prokonsuls von
Afrika (CIG 2979 wo λαμπρότατος fehlt), des kaiserlichen Legaten von
Pontus und Bithynien (CIG 3747 3748, 3771) und von Palästina (CIG
4151), des Statthalters von Lykien und Pamphylien (CIG 4272); erst in
nachkonstantinischer Zeit wird es mit dem Namen der Provinz verbunden
als Amtstitel verwendet (z. B. CIG 2596, 4266 e). Hieraus ist also für
die Rechtsstellung des Odaenathos nichts zu entnehmen. Ebenso darf in
der syrischen Bezeichnung des Herrn nicht gerade der Herrscher gefunden
werden; sie wird auch einem Prokurator gegeben (Waddington 2606 = Vogue
25).
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Nicht minder bildete Palmyra einen abgeschlossenen Zollbezirk, in
welchem die Zölle nicht von Staats-, sondern von Gemeindewegen
verpachtet wurden ^92.
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^92 Syrien bildete in der Kaiserzeit ein eigenes Reichszollgebiet und
es ward der Reichszoll nicht bloß an der Küste, sondern auch an der
Euphratgrenze, insonderheit bei Zeugma erhoben. Daraus folgt mit
Notwendigkeit, daß auch weiter südwärts, wo der Euphrat nicht mehr in
römischer Gewalt war, an der römischen Ostgrenze ähnliche Zölle
eingerichtet waren. Nun hat ein Beschluß des Rats von Palmyra vom Jahre
137 gelehrt, daß die Stadt und ihr Gebiet einen eigenen Zollbezirk
bildeten und von allen ein- oder ausgehenden Waren zu Gunsten der Stadt
der Zoll erhoben ward. Daß dies Gebiet außerhalb des Reichszolles
stand, ist wahrscheinlich, einmal weil, wenn eine das palmyrenische
Gebiet einschließende Reichszollinie bestanden hätte, deren Erwähnung
in jener ausführlichen Verfügung nicht wohl fehlen könnte: zweitens
weil eine von den Reichszollinien eingeschlossene Gemeinde des Reiches
schwerlich das Recht gehabt hat, an ihrer Gebietsgrenze in diesem
Umfang Zölle zu erheben. Man wird also in der Zollerhebung der Gemeinde
Palmyra dieselbe Sonderstellung zu erkennen haben, welche ihr in
militärischer Hinsicht beigelegt werden muß. Vielleicht ist ihr dagegen
zu Gunsten der Reichskasse eine Auflage gemacht worden, etwa die
Ablieferung einer Quote des Zollertrages oder auch ein erhöhter Tribut.
Ähnliche Einrichtungen wie für Palmyra mögen auch für Bostra und Petra
bestanden haben; denn zollfrei sind die Waren sicher auch hier nicht
eingegangen und nach Plin. nat. 12, 14, 65 scheint von dem arabischen,
über Gaza ausgehenden Weihrauch Reichszoll nur in Gaza an der Küste
erhoben zu sein. Die Trägheit der römischen Verwaltung ist stärker als
die Fiskalität; sie mag die unbequemen Landgrenzzölle öfter von sich
auf die Gemeinden abgewälzt haben.
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Die Bedeutung Palmyras ruht auf dem Karawanenverkehr. Die Häupter der
Karawanen (συνοδιάρχαι), welche von Palmyra nach den großen Entrepôts
am Euphrat gingen, nach Vologasias, der schon erwähnten parthischen
Gründung unweit der Stätte des alten Babylon, und nach Forath oder
Charax Spasinu, Zwillingsstädten an der Mündung nahe am Persischen
Meerbusen, erscheinen in den Inschriften als die angesehensten
Stadtbürger ^93 und bekleiden nicht bloß die Ämter ihrer Heimat,
sondern zum Teil Reichsämter; auch die Großhändler (αρχέμποροι) und die
Zunft der Gold- und Silberarbeiter zeugen von der Bedeutung der Stadt
für den Handel und die Fabrikation, nicht minder für ihren Wohlstand
die noch heute stehenden Tempel der Stadt und die langen Säulenreihen
der städtischen Hallen so wie die massenhaften reich verzierten
Grabmäler. Dem Feldbau ist das Klima wenig günstig - der Ort liegt nahe
an der Nordgrenze der Dattelpalme und führt nicht von dieser seinen
griechischen Namen; aber es finden sich in der Umgegend die Reste
großer unterirdischer Wasserleitungen und ungeheurer, künstlich aus
Quadern angelegter Wasserreservoirs, mit deren Hilfe der jetzt aller
Vegetation bare Boden einst eine reiche Kultur künstlich entwickelt
haben muß. Dieser Reichtum und diese auch in der Römerherrschaft nicht
ganz beseitigte nationale Eigenart und administrative Selbständigkeit
erklären einigermaßen Palmyras Rolle um die Mitte des dritten
Jahrhunderts in der großen Krise, zu deren Darlegung wir jetzt uns
zurückwenden.
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^93 Diese Karawanen (συνοδίαι) erscheinen auf den palmyrenischen
Inschriften als feste Genossenschaften, die dieselben Fahrten ohne
Zweifel in bestimmten Intervallen unter ihrem Vormann (συνοδιάρχης,
Waddington 2589, 2590, 2596) unternehmen; so setzen einem solchen eine
Bildsäule “die mit ihm nach Vologesias hinab gegangenen Kaufleute” (οι
σύν αυτώ κατελθόντες εις Ολογεσιάδα ένποροι, Waddington 2599 vom Jahre
247) oder “herauf von Forath (vgl. Plin. nat. 6, 28, 145) und
Vologasias” (οι συναναβάντες μετ' αυτού έμποροι από Φοράθου κέ
Ολογασιάδος, Waddington 2589 vom Jahre 142) oder “herauf von Spasinu
Charax” (οι σύν αυτώ αναβάντες από Στασίνου Χάρακος, Waddington 2596
vom Jahre 193; ähnlich 2590 vom Jahre 155). Alle diese Führer sind
vornehme, mit Ahnenreihen ausgestattete Männer; ihre Ehrendenkmäler
stehen in der großen Kolonnade neben denen der Königin Zenobia und
ihrer Familie. Besonders merkwürdig ist einer derselben, Septimius
Vorodes, von dem es eine Reihe von Ehrenbasen aus den Jahren 2b2-267
gibt (Waddington 2606-2610); auch er war Karawanenhaupt (ανακομισάντα
τής συνοδίας εκ τών ιδίων καί μαρθυρηθέντα υπό τών αρχεμπόρων,
Waddington 2606 a; also bestritt er die Kosten der Rückreise für die
ganze Begleitung und wurde wegen dieser Freigebigkeit von den
Großhändlern öffentlich belobt). Aber er bekleidete auch nicht bloß die
städtischen Ämter des Strategen und Agoranomen, sondern war sogar
kaiserlicher Prokurator zweiter Klasse (ducenarius) und Argapetes (Anm.
102).
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Nachdem Kaiser Decius im Jahre 251 gegen die Goten in Europa gefallen
war, überließ die Regierung des Reiches, wenn es überhaupt damals ein
Reich und eine Regierung noch gab, den Osten völlig seinem Schicksal.
Während die Piraten vom Schwarzen Meer her weit und breit die Küsten
und selbst das Binnenland verheerten, ging auch der Perserkönig Sapor
wieder angriffsweise vor. Wenn sein Vater sich damit begnügt hatte,
sich den Herrn von Iran zu nennen, so hat er zuerst wie nach ihm die
folgenden Herrscher sich bezeichnet als den Großkönig von Iran und
Nicht-Iran und damit gleichsam das Programm seiner Eroberungspolitik
hingestellt. Im Jahre 252 oder 253 besetzte er Armenien, oder es
unterwarf sich ihm freiwillig, ohne Zweifel mitergriffen von jenem
Aufflammen des alten Perserglaubens und Perserwesens; der rechtmäßige
König Tiridates suchte Zuflucht bei den Römern, die übrigen Glieder des
königlichen Hauses stellten sich unter die Fahnen des Persers ^94.
Nachdem also Armenien persisch geworden war, überschwemmten die Scharen
der Orientalen Mesopotamien, Syrien und Kappadokien; sie verwüsteten
weit und breit das platte Land, aber die Bewohner der größeren Städte
wiesen den Angriff der auf Belagerung wenig eingerichteten Feinde ab,
voran die tapferen Edessener. Im Okzident war inzwischen wenigstens
eine anerkannte Regierung hergestellt worden. Der Kaiser Publius
Licinius Valerianus, ein rechtschaffener und wohlgesinnter Herrscher,
aber kein entschlossener und schwierigen Verhältnissen gewachsener
Charakter, erschien endlich im Osten und begab sich nach Antiocheia.
Von da aus ging er nach Kappadokien, das die persischen Streif scharen
räumten. Aber die Pest dezimierte sein Heer, und er zögerte lange, den
entscheidenden Kampf in Mesopotamien aufzunehmen. Endlich entschloß er
sich, dem schwer bedrängten Edessa Hilfe zu bringen, und überschritt
mit seinen Scharen den Euphrat. Hier, unweit Edessa, trat die
Katastrophe ein, welche für den römischen Orient ungefähr das zu
bedeuten hat, was für den Okzident der Sieg der Goten an der
Donaumündung und der Fall des Decius: die Gefangennahme des Kaisers
Valerianus durch die Perser (Ende 259 oder Anfang 260) ^95. Über die
näheren Umstände gehen die Berichte auseinander. Nach der einen Version
wurde er, als er mit einer schwachen Schar versuchte, nach Edessa zu
gelangen, von den weit überlegenen Persern umzingelt und gefangen. Nach
einer andern gelangte er, wenn auch geschlagen, in die belagerte Stadt,
fürchtete aber, da er keine ausreichende Hilfe brachte und die
Lebensmittel nur um so rascher zu Ende gingen, den Ausbruch einer
Militärinsurrektion und lieferte sich darum freiwillig dem Feind in die
Hände. Nach einer dritten knüpfte er, aufs äußerste bedrängt,
Verhandlungen wegen der Übergabe Edessas mit Sapor an; da der
Perserkönig es ablehnte, mit Gesandten zu verhandeln, erschien er
persönlich im feindlichen Lager und ward wortbrüchigerweise zum
Gefangenen gemacht.
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^94 Nach dem griechischen Bericht (Zon. 12, 21) flüchtet König
Tiridates zu den Römern, seine Söhne aber treten auf die Seite der
Perser; nach dem armenischen wird König Chosroes von seinen Brüdern
ermordet und des Chosroes Sohn Tiridates zu den Römern geflüchtet
(Gutschmid ZDMG 31, 1877, S. 48). Vielleicht ist der letztere
vorzuziehen.
^95 Den einzigen festen chronologischen Anhalt geben die
alexandrinischen Münzen, nach welchen Valerianus zwischen 29. August
259 und 28. August 260 gefangen ward. Daß er nach seiner Gefangennahme
nicht mehr als Kaiser galt, erklärt sich, da die Perser ihn zwangen,
seinen ehemaligen Untertanen Befehle in ihrem Interesse zu erteilen
(Dio Forts. fr. 3).
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Welche immer von diesen Erzählungen der Wahrheit am nächsten kommen
mag, der Kaiser ist in feindlicher Gefangenschaft gestorben ^96, und
die Folge dieser Katastrophe war der Verlust des Orients an die Perser.
Vor allem Antiocheia, die größte und reichste Stadt des Ostens, geriet
zum ersten Mal, seit sie römisch war, in die Gewalt des Landesfeindes,
und zum guten Teil durch die Schuld der eigenen Bürger. Ein vornehmer
Antiochener, Mareades, den wegen unterschlagener öffentlicher Gelder
der Rat ausgestoßen hatte, führte die persische Armee nach seiner
Vaterstadt; mag es auch Fabel sein, daß die Bürgerschaft im Theater
selbst von den anrückenden Feinden überrascht ward, daran ist kein
Zweifel, daß sie nicht bloß keinen Widerstand leistete, sondern ein
großer Teil der niederen Bevölkerung, teils mit Rücksicht auf Mareades,
teils in der Hoffnung auf Anarchie und Raub, das Eindringen der Perser
gern sah. So wurde die Stadt mit allen ihren Schätzen die Beute des
Feindes und entsetzlich in derselben gehaust, freilich auch Mareades,
wir wissen nicht warum, von König Sapor zum Feuertode verurteilt ^97.
Das gleiche Schicksal erlitten außer zahllosen kleineren Ortschaften
die Hauptstädte von Kilikien und Kappadokien, Tarsos und Caesarea,
letztere angeblich eine Stadt von 400000 Einwohnern. Die endlosen Züge
der Gefangenen, die wie das Vieh einmal am Tage zur Tränke geführt
wurden, bedeckten die Wüstenstraßen des Ostens. Auf der Heimkehr sollen
die Perser, um eine Schlucht rascher zu überschreiten, sie mit den
Leibern der mitgeführten Gefangenen ausgefüllt haben. Glaublicher ist
es, daß der große “Kaiserdamm” (Bend-i-Kaiser) bei Sostra (Schuschter)
in Susiana, durch welchen noch heute das Wasser des Pasitigris den
höher gelegenen Gegenden zugeführt wird, von diesen Gefangenen gebaut
ward; wie ja auch Kaiser Neros Architekten die Hauptstadt von Armenien
bauen geholfen und überhaupt auf diesem Gebiet die Okzidentalen stets
ihre Überlegenheit behauptet haben. Auf eine Gegenwehr des Reiches
stießen die Perser nirgends; aber Edessa hielt sich noch immer, und
auch Caesarea hatte sich tapfer verteidigt und war nur durch Verrat
gefallen. Die örtliche Gegenwehr ging allmählich hinaus über die Abwehr
hinter den städtischen Wällen, und die durch die weite Ausdehnung des
eroberten Gebiets herbeigeführte Auflösung der persischen Haufen war
dem kühnen Parteigänger günstig. Einem selbstbestellten römischen
Führer, Kallistos ^98, gelang ein glücklicher Handstreich: mit den
Schiffen, die er in den kilikischen Häfen zusammengebracht hatte, fuhr
er nach Pompeiopolis, das die Perser eben belagerten, während sie
gleichzeitig Lykaonien brandschatzten, erschlug mehrere Tausend Mann
und bemächtigte sich des königlichen Harems. Dies bestimmte den König,
unter dem Vorwand einer nicht aufzuschiebenden Festfeier, sofort nach
Hause zu gehen, in solcher Eile, daß er, um nicht aufgehalten zu
werden, von den Edessenern freien Durchzug durch ihr Gebiet gegen alles
von ihm erbeutete römische Goldgeld erkaufte. Den von Antiocheia
heimkehrenden Scharen brachte der Fürst von Palmyra, Odaenathos, bevor
sie den Euphrat überschritten, empfindliche Verluste bei. Aber kaum war
die dringendste Persergefahr beseitigt, als unter den sich selbst
überlassenen Heerführern des Ostens zwei der namhaftesten, der die
Kasse und das Depot der Armee in Samosata verwaltende Offizier Fulvius
Macrianus ^99 und der oben genannte Kallistos, dem Sohne und
Mitregenten und jetzt alleinigen Herrscher Gallienus, für den freilich
der Osten und die Perser nicht da waren, den Gehorsam aufkündigten und,
selbst die Annahme des Purpurs verweigernd, die beiden Söhne des
ersteren Fulvius Macrianus und Fulvius Quietus zu Kaisern ausriefen
(261). Dies Auftreten der beiden angesehenen Feldherrn bewirkte, daß in
Ägypten und im ganzen Osten, mit Ausnahme von Palmyra, dessen Fürst für
Gallienus eintrat, die beiden jungen Kaiser zur Anerkennung gelangten.
Der eine von ihnen, Macrianus, ging mit seinem Vater nach dem Westen
ab, um auch hier dies neue Regiment einzusetzen. Aber bald wandte sich
das Glück: in Illyricum verlor Macrianus, nicht gegen Gallienus,
sondern gegen einen anderen Prätendenten, Schlacht und Leben. Gegen den
in Syrien zurückgebliebenen Bruder wandte sich Odaenathos; bei Hemesa,
wo die Heere aufeinandertrafen, antworteten die Soldaten des Quietus
auf die Aufforderung, sich zu ergeben, daß sie alles eher über sich
ergehen lassen würden, als einem Barbaren sich in die Hände zu liefern.
Nichtsdestoweniger verriet der Feldherr des Quietus, Kallistos, seinen
Herrn an den Palmyrener ^100, und also endete auch dessen kurzes
Regiment.
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^96 Die besseren Berichte wissen nur davon, daß Valerianus in
persischer Gefangenschaft starb. Daß Sapor ihn beim Besteigen des
Pferdes als Schemel benutzte (Lact. mort. pers. 5; Oros. hist. 7, 22,
4; Aur. Vict. epit. 33) und schließlich ihn schinden ließ (Lact.
a.a.O.; Agathias 4, 23; Cedrenus p. 454), ist eine christliche
Erfindung, die Vergeltung für die von Valerian angeordnete
Christenverfolgung.
^97 Die Tradition, wonach Mareades (so Amm. 23, 5, 3; Mariades Malalas
12 p. 295; Mariadnes Forts. des Dio fr. 1) oder, wie er hier heißt,
Cyriades sich zum Augustus ausrufen ließ (vit. trig. tyr. 1), ist
schwach beglaubigt; sonst könnte darin wohl die Veranlassung gefunden
werden, weshalb Sapor ihn hinrichten ließ.
^98 Kallistos heißt er in der einen wohl auf Dexippus zurückgehenden
Überlieferung bei Synkellos p. 716 und Zon. 12, 23, dagegen Ballista in
den Kaiserbiographien und bei Zon. 12, 24.
^99 Er war nach dem zuverlässigsten Bericht procurator summarum (επί
τών καθόλου λόγων βασιλέως: Dionysios bei Eus. 7, 10, 5), also
Finanzminister mit Ritterrang; der Fortsetzer des Dio (fr. 3 Müll.)
drückt dies in der Sprache der späteren Zeit aus mit κόμης τών θησαυρών
καί εφεστώς τή αγορά τού σίτου.
^100 Wenigstens nach dem Bericht, der den Kaiserbiographien zu Grunde
liegt (vita Gallieni 3 und sonst). Nach Zon. 12, 24, dem einzigen
Schriftsteller, der außerdem das Ende des Kallistos erwähnt, ließ
Odaenathos denselben töten.
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Damit tritt Palmyra im Orient an den ersten Platz. Gallienus, durch die
Barbaren des Westens und die überall dort ausbrechenden
Militärinsurrektionen mehr als ausreichend beschäftigt, gab dem Fürsten
von Palmyra, der in der eben erzählten Krise allein ihm die Treue
bewahrt hatte, eine beispiellose, indes unter den obwaltenden Umständen
wohl erklärliche Ausnahmestellung: er wurde als Erbfürst oder, wie er
jetzt heißt, König von Palmyra zugleich zwar nicht Mitherrscher, aber
selbständiger Statthalter des Kaisers für den Osten ^101. Die örtliche
Verwaltung von Palmyra führte unter ihm ein anderer Palmyrener,
zugleich als kaiserlicher Prokurator und als sein Stellvertreter ^102.
Somit lag die gesamte Reichsgewalt, soweit sie überhaupt im Osten noch
bestand, in der Hand des “Barbaren”, und so rasch wie glänzend stellte
dieser mit seinen Palmyrenern, welche durch die Trümmer der römischen
Heerkörper und das Aufgebot des Landes verstärkt wurden, die Herrschaft
Roms wieder her. Asien und Syrien waren schon vom Feinde geräumt.
Odaenathos ging über den Euphrat, machte endlich den tapferen
Edessenern Luft und nahm den Persern die eroberten Städte Nisibis und
Karrhä wieder ab (264). Wahrscheinlich ist auch Armenien damals wieder
unter römische Botmäßigkeit zurückgebracht worden ^103. Sodann ergriff
er, zuerst wieder seit Gordianus, die Offensive gegen die Perser und
marschierte auf Ktesiphon. In zwei verschiedenen Feldzügen wurde die
Hauptstadt des Persischen Reiches von ihm umstellt und die Umgegend
verheert, mit den Persern unter den Mauern derselben glücklich
gefochten ^104. Selbst die Goten, deren Raubzüge bis in das Binnenland
sich erstreckten, wichen zurück, als er nach Kappadokien aufbrach. Eine
Machtentwicklung dieser Art war ein Segen für das bedrängte Reich und
zugleich eine ernste Gefahr. Odaenathos beobachtete freilich gegen den
römischen Oberherrn alle schuldigen Formen und sandte die gefangenen
feindlichen Offiziere und die Beutestücke nach Rom an den Kaiser, der
es nicht verschmähte, daraufhin zu triumphieren; aber in der Tat war
der Orient unter Odaenathos nicht viel weniger selbständig als der
Westen unter Postumus, und es begreift sich, daß die römisch gesinnten
Offiziere dem palmyrenischen Vizekaiser Opposition machten ^105 und
einerseits die Rede ist von Versuchen des Odaenathos, sich den Persern
anzuschließen, die nur an Sapors Übermut gescheitert sein sollen ^106,
andererseits Odaenathos’ Ermordung in Hemesa im Jahre 266/67 auf
Anstiften der römischen Regierung zurückgeführt ward ^107. Indes der
eigentliche Mörder war ein Brudersohn des Odaenathos und Beweise für
die Beteiligung der Regierung liegen nicht vor. Auf jeden Fall änderte
das Verbrechen in der Lage der Dinge nichts. Die Gattin des
Verstorbenen, die Königin Bat Zabbai oder griechisch Zenobia, eine
schöne und kluge Frau von männlicher Tatkraft ^108, nahm kraft des
erblichen Fürstenrechts für ihren und Odaenathos’ noch im Knabenalter
stehenden Sohn Vaballathos oder Athenodoros ^109 - der ältere, Herodes,
war mit dem Vater umgekommen - die Stellung des Verstorbenen in
Anspruch und drang in der Tat damit sowohl in Rom wie im Orient durch;
die Regierungsjahre des Sohnes werden gezählt vom Tode des Vaters. Für
den nicht regierungsfähigen Sohn trat die Mutter in Rat und Tat ein
^110, und sie beschränkte sich auch nicht darauf, den Besitzstand zu
wahren, sondern ihr Mut oder ihr Übermut strebten nach der Herrschaft
über das gesamte Reichsgebiet griechischer Zunge. In dem Kommando über
den Orient, welches dem Odaenathos übertragen und von ihm auf seinen
Sohn vererbt war, mag wohl dem Rechte nach die Obergewalt über
Kleinasien und Ägypten mitbegriffen gewesen sein; aber tatsächlich
hatte Odaenathos nur Syrien und Arabien und etwa noch Armenien,
Kilikien, Kappadokien in der Gewalt gehabt. Jetzt forderte ein
einflußreicher Ägypter, Timagenes, die Königin auf, Ägypten zu
besetzen; dem entsprechend entsandte sie ihren Oberfeldherrn Zabdas mit
einem Heer, angeblich 70000 Mann, an den Nil. Das Land widersetzte sich
energisch; aber die Palmyrener schlugen das ägyptische Aufgebot und
bemächtigten sich Ägyptens. Ein römischer Admiral, Probus, versuchte
sie wieder zu vertreiben und überwand sie auch, so daß sie nach Syrien
aufbrachen; aber als er ihnen bei dem ägyptischen Babylon unweit
Memphis den Weg zu verlegen suchte, wurde er durch die bessere
Ortskunde des palmyrenischen Feldherrn Timagenes geschlagen und gab
sich selber den Tod ^111. Als um die Mitte des Jahres 270 nach Kaiser
Claudius’ Tode Aurelianus an seine Stelle trat, geboten die Palmyrener
über Alexandreia. Auch in Kleinasien machten sie Anstalt, sich
festzusetzen; ihre Besatzungen waren bis nach Ankyra in Galatien
vorgeschoben und selbst in Kalchedon, Byzanz gegenüber; hatten sie
versucht, die Herrschaft ihrer Königin zur Geltung zu bringen. Alles
dies geschah, ohne daß die Palmyrener der römischen Regierung absagten,
ja wahrscheinlich in der Weise, daß das von der römischen Regierung dem
Fürsten von Palmyra übertragene Regiment des Ostens auf diese Weise
verwirklicht ward und man die römischen Offiziere, die sich der
Ausdehnung der palmyrenischen Herrschaft widersetzten, der Auflehnung
gegen die kaiserlichen Anordnungen zieh; die in Alexandreia
geschlagenen Münzen nennen Aurelianus und Vaballathos nebeneinander und
geben nur dem ersteren den Augustustitel. Der Sache nach löste freilich
hier der Osten sich vom Reiche ab, und in Ausführung einer dem elenden
Gallienus durch die Not abgezwungenen Anordnung wurde dasselbe
gehälftet.
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^101 Daß Odaenathos so wie nach ihm sein Sohn Vaballathos (abgesehen
natürlich von der Zeit nach dem Bruche mit Aurelianus) keineswegs
Augusti waren (wie die vita Gallieni 12 fälschlich angibt), zeigt
sowohl das Fehlen des Augustusnamens auf den Münzen wie auch der nur
für einen Untertan mögliche Titel v(ir) c(onsularis) = υ(πατικός), den
wie der Vater (Anm. 91) so auch der Sohn noch führt. Die
Statthalterstellung wird auf den Münzen des Sohnes mit im(perator)
d(ux) R(omanorum) = αυτ(οκράτωρ) σ(τρατηγός) bezeichnet;
übereinstimmend damit sagen Zonaras (12, 23 und abermals 12, 24) und
Synkellos (p. 716), daß Gallienus den Odaenathos wegen eines Sieges
über die Perser und den Ballista zum στρατηγός τής εώασ oder πάσης
ανατολής; bestellte; der Biograph des Gallienus c. 10, daß er obtinuit
totius Orientis imperium. Damit werden alle asiatischen Provinzen und
Ägypten gemeint sein das hinzugefügte imperator = αυτοκράτωρ (vgl. vit.
trig. tyr. 15, 6; post reditum de Perside - Herodes des Odaenathos Sohn
- cum patre imperator est appellatus) soll ohne Zweifel die von der
gewöhnlichen statthalterlichen verschiedene, freiere Handhabung der
Gewalt ausdrücken.
Dazu tritt weiter der jetzt förmlich angenommene Titel seines Königs
von Palmyra (trig. tyr.15, 2: adsumpto nomine regalι), welchen auch der
Sohn nicht auf den ägyptischen, aber wohl auf den syrischen Münzen
führt. Daß Odaenathos in einer im August 271, also nach seinem Tode und
während des Krieges der Seinigen mit Aurelian gesetzten Inschrift
wahrscheinlich melekh malke, “König der Könige” heißt (Vogue 28),
gehört zu den revolutionären Demonstrationen dieses Zeitraumes und
macht für die frühere Zeit keinen Beweis.
^102 Die zahlreichen Inschriften des Septimius Vorodes, gesetzt in den
Jahren 262 bis 267 (Waddington 2606-2610), also bei Lebzeiten
Odaenaths, bezeichnen ihn sämtlich als kaiserlichen Prokurator zweiter
Klasse (ducenarius), daneben aber teils mit dem Titel αργαπέτης,
welches persische, aber auch bei den Juden gangbare Wort “Burgherr”,
“Vizekönig” bedeutet (Levy, ZDMG 18, 1864, S. 90; Nöldeke, das. 24,
1869, S. 107), teils als δικαιοδότης τής μητροπολωνίας, was ohne
Zweifel, wenn nicht sprachlich, so doch sachlich dasselbe Amt ist.
Vermutlich ist darunter dasjenige zu verstehen, weshalb Odaenaths Vater
das “Haupt von Thadmor” heißt (Anm. 89): der für das Kriegsrecht wie
für die Rechtspflege kompetente Einzelvorsteher von Palmyra; nur daß,
seit der erweiterten Stellung Odaenaths, dieser Posten als Unteramt von
einem Manne ritterlichen Ranges bekleidet wird. Der Vermutung Sachaus
(ZDMG 35, 1881, S. 738), daß dieser Vorodes der “Wurud” einer
Kupfermünze aus hiesigen Kabinetts und beide mit dem zugleich mit dem
Vater umgebrachten älteren Sohn des Odaenathos Herodes identisch seien,
stehen ernstliche Bedenken entgegen. Herodes und Orodes sind
verschiedene Namen (in der palmyrenischen Inschrift Waddington 2610
stehen beide nebeneinander); der Sohn eines Senators kann nicht füglich
ein Ritteramt bekleiden; ein mit seinem Bildnis münzender Prokurator
ist selbst für diese exzeptionellen Verhältnisse nicht denkbar.
Wahrscheinlich ist die Münze überhaupt nicht palmyrenisch. “Sie ist”,
schreibt mir v. Sallet, “wahrscheinlich älter als Odaenathos und gehört
wohl einem Arsakiden des 2. Jahrhunderts n. Chr.; sie zeigt einen Kopf
mit einem dem sassanidischen ähnlichen Kopfputz; die Rückseite, S C im
Lorbeerkranz, scheint den Münzen von Antiocheia nachgeahmt.” Wenn
später, nach dem Bruch mit Rom im Jahre 271, in einer Inschrift von
Palmyra (Waddington 2611) zwei Feldherren der Palmyrener unterschieden
werden, ο μέγας στρατηλάτησ, der auch geschichtlich bekannte Zabdas,
und ο ενθάδε στρατηλάτησ Zabbaeos, so ist der letztere vermutlich eben
der Argapetes.
^103 Dafür spricht die Sachlage; Zeugnisse fehlen. In den
Kaiserbiographien dieser Epoche pflegen die Armenier unter den von Rom
unabhängigen Grenzvölkern aufgeführt zu werden (Val. Max. 6; vit. trig.
tyr. 30, 7, 18; Aur. Vict. 11, 27, 28, 41); aber dies gehört zu ihren
völlig unzuverlässigen, dekorativen Bestandteilen.
^104 Dieser bescheidenere Bericht (Eutr. 9, 10; vita Gall. 10; vit.
trig. tyr. 15, 4; Zos. hist. 1, 39, der allein die zweimalige
Expedition bezeugt) wird dem, der die Einnahme der Stadt meldet
(Synkellos p. 716), vorgehen müssen.
^105 Dies zeigen die Erzählungen über den Carinus (Dios Forts. p. 8)
und über den Rufinus (Anm. 107). Daß nach Odaenathos’ Tode ein auf
Gallienus’ Geheiß gegen die Perser agierender Feldherr, Heraclianus von
Zenobia, angegriffen und überwunden ward (vita Gall. 13, 5), ist an
sich nicht unmöglich, da ja die Fürsten von Palmyra das Oberkommando im
ganzen Osten von Rechts wegen besaßen und eine solche Aktion, auch wenn
sie von Gallienus veranlaßt war, behandelt werden konnte als dagegen
verstoßend, und es würde dies das gespannte Verhältnis deutlich
bezeichnen; aber der Gewährsmann ist so schlecht, daß darauf wenig zu
geben ist.
^106 Das lehrt die charakteristische Erzählung des Petrus fr. 10,
welches vor fr. 11 zu stellen ist.
^107 Die Erzählung des Fortsetzers des Dio fr. 7, daß der alte
Odaenathos als des Hochverrats verdächtig von einem (sonst nicht
erwähnten) Rufinus getötet und der jüngere, als er diesen bei dem
Kaiser Gallienus verklagt habe, auf die Erklärung des Rufinus, daß der
Kläger das gleiche Schicksal verdiene, abgewiesen sei, kann so, wie sie
liegt, nicht richtig sein. Aber Waddingtons Vorschlag, dem Gallienus
den Gallus zu substituieren und in dem Kläger den Gatten Zenobias zu
erkennen, ist nicht statthaft, da der Vater dieses Odaenathos Hairanes
war, bei diesem für eine derartige Exekution gar kein Grund vorliegt
und das Exzerpt in seiner ganzen Beschaffenheit unzweifelhaft auf
Gallienus geht. Vielmehr wird der alte Odaenathos der Gemahl der
Zenobia sein und der Schriftsteller dem Vaballathos, auf dessen Namen
geklagt ward, irrig den Vaternamen beigelegt haben.
^108 Alle Einzelheiten, die in unseren Erzählungen über die Zenobia
umlaufen, stammen aus den Kaiserbiographien; und wiederholen wird sie
nur, wer diese Quelle nicht kennt.
^109 Den Namen Vaballathos geben, außer den Münzen und den Inschriften,
Pol. Silv. chron. p. 243 meiner Ausgabe und der Biograph des Aurelianus
c. 38, indem er die Angabe, daß Odaenathos zwei Söhne, Timolaus und
Herennianus, hinterlassen habe, als unrichtig bezeichnet. In der Tat
scheinen diese beiden, lediglich in den Kaiserbiographien auftretenden
Personen nebst allem, was daran hängt, von dem Skribenten erfunden, auf
den die Durchfälschung dieser Biographien zurückgeht. Auch Zosimus
(hist. 1, 59) weiß nur von einem mit der Mutter in Gefangenschaft
geratenen Sohn.
^110 Ob Zenobia für sich die formelle Mitregierung in Anspruch genommen
hat, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. In Palmyra nennt sie sich
selbst noch nach dem Bruch mit Rom bloß βασιλίσση (Waddington 2611,
2628). Im übrigen Reich mag sie den Titel Augusta, Σεβάστη in Anspruch
genommen haben; denn wenn auch Münzen der Zenobia aus der Zeit vor dem
Bruch mit Rom fehlen, so kann doch einerseits die alexandrinische
Inschrift mit βασιλίσσης καί βασιλέως προσταξάντων (Eph. epigr. IV, p.
25 n. 33) keinen Anspruch machen auf offizielle Redaktion und gibt
andrerseits die Inschrift von Byblos CIG 4503 b = Waddington zu 2611 in
der Tat der Zenobia den Titel Σεβάστη neben Claudius oder Aurelian,
während sie denselben dem Vaballathos versagt. Dies ist auch insofern
begreiflich, als Augusta eine Ehren-, Augustus eine Amtsbezeichnung
ist, also dem Weibe wohl eingeräumt werden konnte, was man dem Mann
versagte.
^111 So erzählt Zosimus (hist. 1, 44) den Hergang, mit dem Zonaras (12,
27) und Synkellos (p. 721) im wesentlichen stimmen. Der Bericht im
Leben des Claudius c. 11 ist mehr verschoben als eigentlich
widersprechend; die erste Hälfte ist nur durch die Nennung des Saba
angedeutet; die Erzählung beginnt mit dem erfolgreichen Versuch des
Timagenes, den Angriff des Probus (hier Probatus) abzuwehren. Was ich
darüber bei A. v. Sallet (Die Fürsten von Palmyra, Berlin 1866, S. 44)
aufgestellt habe, ist nicht haltbar.
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Der kräftige und umsichtige Kaiser, dem jetzt die Herrschaft zugefallen
war, brach sofort mit der palmyrenischen Nebenregierung, was dann zur
Folge haben mußte und hatte, daß Vaballathos von den Seinen selber zum
Kaiser ausgerufen ward. Ägypten wurde schon im Ausgang des Jahres 270
durch den tapferen Feldherrn Probus, den späteren Nachfolger Aurelians,
nach harten Kämpfen wieder zum Reiche gebracht ^112. Freilich zahlte
diesen Sieg die zweite Stadt des Reiches Alexandreia fast mit ihrer
Existenz, wie dies in einem folgenden Abschnitt dargelegt werden soll.
Schwieriger war die Bezwingung der entlegenen syrischen Oase. Alle
anderen orientalischen Kriege der Kaiserzeit sind hauptsächlich von
dort heimischen Reichstruppen geführt worden; hier, wo der Okzident den
abgefallenen Osten abermals zu unterwerfen hatte, schlugen wieder
einmal, wie in der Zeit der freien Republik, Okzidentalen gegen
Orientalen ^113, die Soldaten vom Rhein und der Donau mit denen der
syrischen Wüste. Gegen den Ausgang des Jahres 271, wie es scheint,
begann die gewaltige Expedition. Ohne auf Gegenwehr zu treffen,
gelangte das römische Heer bis an die Grenze von Kappadokien; hier
leistete die Stadt Tyana, die die kilikischen Pässe sperrte,
ernstlichen Widerstand. Nachdem sie gefallen war und Aurelian durch
milde Behandlung der Bewohner sich den Weg zu weiteren Erfolgen geebnet
hatte, überschritt er den Taurus und gelangte durch Kilikien nach
Syrien. Wenn Zenobia, wie nicht zu bezweifeln ist, auf tätige
Unterstützung von seiten des Perserkönigs gerechnet hatte, so fand sie
sich getäuscht. Der hochbetagte König Schapur griff nicht in diesen
Krieg ein und die Herrscherin des römischen Ostens blieb auf ihre
eigenen Streitkräfte angewiesen, von denen vielleicht auch noch ein
Teil auf die Seite des legitimen Augustus trat. In Antiocheia vertrat
die palmyrenische Hauptmacht unter dem Feldherrn Zabdas dem Kaiser den
Weg; auch Zenobia selbst war anwesend. Ein glückliches Gefecht gegen
die überlegene palmyrenische Reiterei am Orontes lieferte Aurelian die
Stadt in die Hände, welche nicht minder wie Tyana volle Verzeihung
empfing - gerechterweise erkannte er an, daß die Reichsuntertanen kaum
eine Schuld traf, wenn sie dem von der römischen Regierung selbst zum
Oberkommandanten bestellten palmyrenischen Fürsten sich gefügt hatten.
Die Palmyrener zogen ab, nachdem sie bei der Vorstadt von Antiocheia,
Daphne, ein Rückzugsgefecht geliefert hatten, und schlugen die große
Straße ein, die von der Hauptstadt Syriens nach Hemesa und von da durch
die Wüste nach Palmyra führt. Aurelianus forderte die Königin auf, sich
zu unterwerfen, hinweisend auf die namhaften in den Kämpfen am Orontes
erlittenen Verluste. Es seien das ja nur Römer, antwortete die Königin;
noch gaben die Orientalen sich nicht überwunden. Bei Hemesa ^114
stellte sie sich zu der entscheidenden Schlacht. Sie war lang und
blutig; die römische Reiterei unterlag und löste flüchtend sich auf;
aber die Legionen entschieden und der Sieg blieb den Römern.
Schwieriger als der Kampf war der Marsch. Die Entfernung von Hemesa
nach Palmyra beträgt in gerader Richtung 18 deutsche Meilen, und wenn
auch in jener Epoche der hochgesteigerten syrischen Zivilisation die
Gegend nicht in dem Grade wüst war wie heutzutage, so bleibt der Zug
Aurelians dennoch eine bedeutende Leistung, zumal da die leichten
Reiter des Feindes das römische Heer auf allen Seiten umschwärmten.
Indes Aurelian gelangte zum Ziel und begann die Belagerung der festen
und wohl verproviantierten Stadt; schwieriger als diese selbst war die
Herbeiführung der Lebensmittel für das belagernde Heer. Endlich sank
der Fürstin der Mut, und sie entwich aus der Stadt, um Hilfe bei den
Persern zu suchen. Doch das Glück stand dem Kaiser weiter bei. Die
nachsetzenden römischen Reiter nahmen sie mit ihrem Sohne gefangen, als
sie eben am Euphrat angelangt das rettende Boot besteigen wollte, und
die durch ihre Flucht entmutigte Stadt kapitulierte (272). Aurelianus
gewährte auch hier wie in diesem ganzen Feldzug den unterworfenen
Bürgerschaften volle Verzeihung. Aber über die Königin und ihre Beamten
und Offiziere erging ein strenges Strafgericht. Zenobia verschmähte es
nicht, nachdem sie mit männlicher Tatkraft jahrelang die Herrschaft
geführt hatte, jetzt die Frauenprivilegien anzurufen und die
Verantwortung auf ihre Berater zu werfen, von denen nicht wenige, unter
ihnen der gefeierte Gelehrte Cassius Longinus, unter dem Henkerbeil
endigten. Sie selbst durfte in dem Triumphzug des Kaisers nicht fehlen,
und sie ging nicht den Weg Kleopatras, sondern zog in goldenen Ketten
zur Schau der römischen Menge vor dem Wagen des Siegers auf das
römische Kapitol. Aber bevor Aurelianus seinen Sieg feiern konnte,
hatte er ihn zu wiederholen. Wenige Monate nach der Übergabe erhoben
sich die Palmyrener abermals, erschlugen die kleine dort
garnisonierende römische Besatzung und riefen einen gewissen Antiochos
^115 zum Herrscher aus, indem sie zugleich versuchten, den Statthalter
von Mesopotamien, Marcellinus, zur Auflehnung zu bestimmen. Die Kunde
erreichte den Kaiser, als er eben den Hellespont überschritten hatte.
Er kehrte sofort um und stand, früher als es Freund oder Feind geahnt
hatte, abermals vor den Mauern der insurgierten Stadt. Die Empörer
waren darauf nicht gefaßt gewesen; es gab diesmal keine Gegenwehr, aber
auch keine Gnade. Palmyra wurde zerstört, das Gemeinwesen aufgelöst,
die Mauern geschleift, die Prunkstücke des herrlichen Sonnentempels in
den Tempel übertragen, den in Erinnerung an diesen Sieg der Kaiser dem
Sonnengott des Ostens in Rom erbaute. Nur die verlassenen Hallen und
Mauern blieben, wie sie zum Teil noch heute stehen. Das geschah im
Jahre 273 ^116. Die Blüte Palmyras war eine künstliche, erzeugt durch
die dem Handel gewiesenen Straßen und die großen dadurch bedingten
öffentlichen Bauten. Jetzt zog die Regierung von der unglücklichen
Stadt ihre Hand ab. Der Handel suchte und fand andere Bahnen; da
Mesopotamien damals als römische Provinz betrachtet ward und bald auch
wieder zum Reich kam, ebenfalls das Nabatäergebiet bis zu dem Hafen von
Aelana in römischer Hand war, so konnte diese Zwischenstation entbehrt
werden und mag der Verkehr sich dafür nach Bostra oder Beroea (Aleppo)
gezogen haben. Dem kurzen meteorartigen Aufleuchten Palmyras und seiner
Fürsten folgte unmittelbar die Öde und Stille, die seither bis auf den
heutigen Tag über dem kümmerlichen Wüstendorf und seinen
Kolonnadenruinen lagert.
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^112 Die Zeitbestimmung beruht darauf, daß die Usurpationsmünzen des
Vaballathos schon in seinem fünften ägyptischen Regierungsjahr, das
heißt 29. August 270/71 aufhören; daß sie sehr selten sind, spricht für
den Anfang des Jahres. Damit stimmt wesentlich überein, daß die
Erstürmung des Prucheion (das übrigens kein Stadtteil war, sondern eine
Lokalität dicht bei der Stadt nach der Seite der großen Oase: Hier.
vita Hilar. 33, 34, vol. 2 p. 32 Vall.) von Eusebius in der Chronik in
das 1. Jahr des Claudius, von Ammian (22, 16, 15) unter Aurelian
gesetzt wird; der genaueste Bericht bei Eusebius (hist. eccl. 7, 32)
ist nicht datiert. Die Rückeroberung Ägyptens durch Probus steht nur in
der Biographie desselben (c. 9); sie kann so, wie sie erzählt wird,
verlaufen sein, aber möglich ist es auch, daß in dieser durch und durch
verfälschten Quelle die Timagenes-Geschichte mutatis mutandis auf den
Kaiser übertragen ist.
^113 Das hat wohl der von Zosimus (hist. 1, 52) ausgezogene Bericht
über die Schlacht von Hemesa hervorheben wollen, indem er unter den
Truppen Aurelians die Dalmatiner, Möser, Pannonier, Noriker, Räter,
Mauretaner und die Garde aufzählt. Wenn er diesen die Truppen von Tyana
und einige Abteilungen aus Mesopotamien, Syrien, Phoenike, Palästina
zugesellt, so geht dies ohne Zweifel auf die kappadokischen
Besatzungen, die nach der Einnahme von Tyana sich angeschlossen hatten,
und auf einige bei dem Einrücken Aurelians in Syrien zu ihm
übergegangene römisch gesinnte Abteilungen der Armeen des Ostens.
^114 Aus Versehen setzt Eutropius (9, 13) die entscheidende Schlacht
haud longe ab Antiochia; gesteigert ist dasselbe bei Rufius c. 24 (von
dem Hier. chron. a. Abr. 2289 abhängt) und bei Synkellos p. 721 durch
den Zusatz apud Immas, εν Ίμμαις, welcher 33 römische Meilen von
Antiocheia auf der Straße nach Chalkis zu liegende Ort von Hemesa weit
abliegt. Die beiden Hauptberichte bei Zosimus und dem Biographen
Aurelians stimmen in allem wesentlichen überein.
^115 Diesen Namen haben Zos. hist. 1, 60 und Pol. Silv. chron. p. 243;
der Achilleus des Biographen Aurelians c. 31 scheint eine Verwechslung
mit dem Usurpator der diocletianischen Zeit. Daß gleichzeitig auch in
Ägypten ein Parteigänger der Zenobia und zugleich Räuberhauptmann
namens Firmus sich gegen die Regierung erhoben hat, ist wohl möglich,
beruht aber nur auf den Kaiserbiographien, und die hinzugefügten
Details klingen sehr bedenklich.
^116 Die Chronologie dieser Ereignisse steht nicht völlig fest. Die
Seltenheit der syrischen Münzen Vaballaths als Augustus beweisen, daß
dem Bruch mit Aurelian (Ende 270) die Überwältigung bald nachfolgte.
Nach den datierten Inschriften des Odaenathos und der Zenobia vom
August 271 (Waddington 2611) stand damals die Herrschaft der Königin
noch aufrecht. Da eine Expedition dieser Art nach den klimatischen
Verhältnissen nicht wohl anders als im Frühling stattfinden kann, so
wird die erste Einnahme Palmyras im Frühjahr 272 erfolgt sein. Die
jüngste (bloß palmyrenische) Inschrift, die wir von da kennen (Vogue
116) ist vom August 272. In diese Zeit mag die Insurrektion fallen, die
zweite Einnahme und die Zerstörung etwa in den Frühling 273 (wonach 6,
154 A. zu berichtigen ist).
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Das ephemere Reich von Palmyra ist in seinem Entstehen wie in seinem
Fall eng mit den Beziehungen der Römer zu dem nicht römischen Osten
verwachsen, aber nicht minder ein Stück der allgemeinen
Reichsgeschichte. Denn wie das Westreich des Postumus, so ist das
Ostreich der Zenobia eine jener Massen, in die damals das gewaltige
Ganze sich schien auflösen zu sollen. Wenn während seines Bestehens
seine Leiter dem Ansturm der Perser ernstlich Schranken zu setzen
versuchten, ja ihre Machtentwicklung eben darauf beruhte, so hat es bei
seinem Zusammenbrechen nicht bloß bei denselben Persern Rettung
gesucht, sondern wahrscheinlich sind infolge des Abfalls der Zenobia
Armenien und Mesopotamien den Römern verlorengegangen und hat auch nach
der Unterwerfung Palmyras der Euphrat wieder eine Zeitlang die Grenze
gemacht. An ihm angelangt, hoffte die Königin Aufnahme bei den Persern
zu finden; und über ihn hinüber die Legionen zu führen, unterließ
Aurelianus, da Gallien nebst Britannien und Spanien damals noch der
Regierung die Anerkennung verweigerten. Er und sein Nachfolger Probus
kamen nicht dazu, diesen Kampf aufzunehmen. Aber als im Jahre 282 nach
dem vorzeitigen Ende des letzteren die Truppen den nächsthöchsten
Befehlshaber Marcus Aurelius Carus zum Kaiser ausriefen, war es das
erste Wort des neuen Herrschers, daß die Perser dieser Wahl gedenken
sollten, und er hat es gehalten. Sogleich rückte er mit dem Heere in
Armenien ein und stellte dort die frühere Ordnung wieder her. An der
Landesgrenze kamen ihm persische Gesandte entgegen, die sich bereit
erklärten, alles Billige zu gewähren ^117; aber sie wurden kaum
angehört, und der Marsch ging unaufhaltsam weiter. Auch Mesopotamien
wurde abermals römisch und die parthischen Residenzstädte Seleukeia und
Ktesiphon einmal mehr von den Römern besetzt, ohne daß diese auf
nachhaltigen Widerstand getroffen wären, wozu der damals im Persischen
Reiche wütende Bruderkrieg das seinige beitrug ^118. Der Kaiser war
eben über den Tigris gegangen und im Begriff, in das Herz des
feindlichen Landes einzudringen, als er auf gewaltsame Weise,
vermutlich durch Mörderhand, den Tod und damit auch der Feldzug sein
Ende fand. Sein Nachfolger aber erlangte im Frieden die Abtretung von
Armenien und Mesopotamien ^119; obwohl Carus wenig über ein Jahr den
Purpur trug, wurde die Reichsgrenze des Severus durch ihn
wiederhergestellt.
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^117 Es lehrt nichts für die Stellung der Armenier, daß in übrigens
durchaus apokryphen Schilderungen (vita Valer. 6; vita Aurel. 27, 28)
die Armenier nach der Katastrophe Valerians zu den Persern halten und
in der letzten Krise der Palmyrener als Bundesgenossen der Zenobia
neben den Persern erscheinen; beides sind selbstverständliche
Konsequenzen aus der allgemeinen Lage der Dinge. Daß Aurelian Armenien
so wenig wie Mesopotamien unterwarf, dafür spricht in diesem Falle
teils das Schweigen der Quellen, teils die Nachricht des Synesios
(regn. 17), daß Kaiser Carinus (vielmehr Carus) in Armenien hart an der
Grenze des persischen Gebiets eine persische Gesandtschaft kurzerhand
abgefertigt und, durch deren Bericht erschreckt, der junge Perserkönig
sich zu jeder Konzession bereit erklärt habe. Wie diese Erzählung auf
Probus bezogen werden kann, wie v. Gutschmid meint (ZDMG 31, 1877, S.
50), sehe ich nicht ein; zu Carus’ persischer Expedition dagegen paßt
sie recht gut.
^118 Die Wiedereroberung Mesopotamiens berichtet nur der Biograph c. 8;
aber bei dem Ausbruch des Perserkrieges unter Diocletian ist dasselbe
römisch. Der inneren Unruhen im Perserreich wird ebendaselbst gedacht;
auch wird in einem im Jahre 289 gehaltenen Vortrag (Paneg. 3, 17) der
Krieg erwähnt, den gegen den König von Persien - es war dies Bahram II.
- der eigene Bruder Ormies oder vielmehr Hormizd führt adscitis Sacis
et Ruffis (?) et Gellis (vgl. Nöldeke, Tabari, S. 479). Wir haben
überhaupt über diesen wichtigen Feldzug nur einige abgerissene Notizen.
^119 Das sagt deutlich Mamertinus (Paneg. 2, 7, vgl. 2, 10; 3, 6) in
der im Jahre 289 gehaltenen Rede: Syriam velut amplexu suo tegebat
Eupbrates antequam Diocletiano sponte (das heißt, ohne daß Diocletian
zu den Waffen zu greifen brauchte, wie dann weiter ausgeführt wird) se
dederent regna Persarum; ferner ein anderer Lobredner aus dem Jahre 296
(Paneg. 5, 3): Partho ultra Tagrim reducto. Wendungen wie die bei Aur.
Vict. Caes. 39, 33, daß Galerius relictis finibus nach Mesopotamien
marschiert sei, oder daß Narseh nach Ruf. Fest. 25 im Frieden
Mesopotamien abtrat, können dagegen nicht geltend gemacht werden;
ebensowenig, daß orientalische Quellen die römische Besitznahme von
Nisibis in 609 Sel. = 297/98 n. Chr. setzen (Nöldeke, Tabari, S. 50).
Wäre dies richtig, so könnte der genaue Bericht über die
Friedensverhandlungen von 297 bei Petrus Patricius fr. 14 unmöglich von
der Abtretung Mesopotamiens schweigen und bloß der Regulierung des
Grenzverkehrs Erwähnung tun.
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Einige Jahre darauf (293) bestieg ein neuer Herrscher, Narseh, des
Königs Schapur Sohn, den Thron von Ktesiphon, und erklärte im Jahre 296
wegen des Besitzes von Mesopotamien und Armenien den Römern den Krieg
^120. Diocletianus, der damals die oberste Leitung wie des Reiches
überhaupt, so namentlich des Orients hatte, beauftragte mit der Führung
desselben seinen Reichsgehilfen Galerius Maximianus, einen rohen, aber
tapferen Feldherrn. Der Anfang war ungünstig. Die Perser fielen in
Mesopotamien ein und gelangten bis nach Karrhä; gegen sie führte der
Caesar die syrischen Legionen bei Nikephorion über den Euphrat;
zwischen diesen beiden Positionen stießen die Armeen aufeinander, und
die weit schwächere römische unterlag. Es war ein harter Schlag und der
junge Feldherr mußte schwere Vorwürfe über sich ergehen lassen; aber er
verzagte nicht. Für den nächsten Feldzug wurden aus dem ganzen Reich
Verstärkungen herangezogen und beide Regenten rückten persönlich in das
Feld; Diocletian nahm Stellung in Mesopotamien mit der Hauptmacht,
während Galerius, verstärkt durch die inzwischen herangezogenen
illyrischen Kerntruppen, mit einem Heer von 25000 Mann in Armenien dem
Feind entgegentrat und ihm eine entscheidende Niederlage beibrachte.
Das Lager und der Schatz, ja selbst der Harem des Großkönigs fielen den
Kriegern in die Hände, und mit Not entging Narseh selbst der
Gefangenschaft. Um nur die Frauen und die Kinder wieder zu erlangen,
erklärte der König sich bereit, auf jede Bedingung Frieden zu
schließen; sein Abgesandter Apharban beschwor den Römer, des Persers zu
schonen: die beiden Reiche, das Römische und das Persische, seien
gleichsam die beiden Augen der Welt und keines könne des anderen
entbehren. Es hätte in der Macht der Römer gestanden, ihren
orientalischen Provinzen eine mehr hinzuzufügen; der vorsichtige
Herrscher begnügte sich mit der Regulierung der Besitzverhältnisse im
Nordosten. Mesopotamien blieb selbstverständlich im römischen Besitz;
der wichtige Handelsverkehr mit dem benachbarten Ausland wurde unter
strenge staatliche Kontrolle gestellt und wesentlich nach der festen
Stadt Nisibis gewiesen, dem Stützpunkt der römischen Grenzwacht im
östlichen Mesopotamien. Als Grenze der unmittelbaren römischen
Herrschaft wurde der Tigris anerkannt, jedoch in der Ausdehnung, daß
das ganze südliche Armenien bis zum See Thospitis (Vansee) und zum
Euphrat, also das gesamte obere Tigristal zum Römischen Reich gehören
solle. Eigentliche Provinz ward dies Vorland von Mesopotamien nicht,
sondern nach der bisherigen Weise als römische Satrapie Sophene
verwaltet. Einige Dezennien später ward hier die starke Festung Amida
(Diarbekr) angelegt, seitdem die Hauptburg der Römer im Gebiet des
oberen Tigris. Zugleich ward die Grenze zwischen Armenien und Medien
neu reguliert und die Lehnsherrlichkeit Roms über jenes Land wie über
Iberien abermals bestätigt. Bedeutende Gebietsabtretungen legte der
Friede den Besiegten nicht auf, aber er stellte eine den Römern
günstige Grenze her, welche auf längere Zeit hinaus in diesen
vielumstrittenen Gebieten die beiden Reiche schied ^121. Die Politik
Traians erhielt damit ihre vollständige Durchführung; allerdings
verschob sich auch eben damals der Schwerpunkt der römischen Herrschaft
aus dem Westen nach dem Osten.
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^120 Daß Narseh in das damals römische Armenien einbrach, sagt Amm. 23,
5, 11; für Mesopotamien folgt dasselbe aus Eutr. 9, 24. Noch am 1. März
296 bestand der Friede oder war doch die Kriegserklärung im Okzident
nicht bekannt (Paneg. 5, 10).
^121 Die Differenzen in den ausnahmsweise guten Berichten namentlich
des Petrus Patricius fr. 14 und Ammians (25, 7, 9) sind wohl nur
formaler Art. Daß der Tigris die eigentliche Reichsgrenze sein sollte,
wie Priscus sagt, schließt nicht aus, zumal bei der eigentümlichen
Beschaffenheit seines Oberlaufs, daß dieselbe dort teilweise darüber
hinausgriff; vielmehr scheinen die fünf vorher bei Petrus genannten
Distrikte eben als transtigritanische und von der folgenden allgemeinen
Bestimmung auszunehmende aufgeführt zu werden. Die Distrikte, welche
Priscus hier und, ausdrücklich als transtigritanische, Ammian aufführen
- es sind dies bei beiden Arzanene, Karduene und Zabdicene, bei Priscus
Sophene und Intilene (“:vielmehr Ingiline, armenisch Angel, jetzt
Egil”: Kiepen), bei Ammian Moxoene und Rehimene (?) - können unmöglich
alle vor dem Frieden, wo doch Armenien schon Romano iuri obnoxia war
(Amm. 23, 5, 11), von den Römern als persische betrachtet worden sein;
ohne Zweifel bildeten die westlicheren derselben schon damals einen
Teil des römischen Armeniens und stehen hier nur insofern, als sie
infolge des Friedens dem Reiche als Satrapie Sophene einverleibt
wurden. Daß es sich hier nicht um die Grenze der Abtretung, sondern um
die des unmittelbaren Reichsgebiets handelte, zeigt der Folgesatz, der
die Grenze zwischen Armenien und Medien feststellt.
KAPITEL X.
Syrien und das Nabatäerland
Sehr allmählich haben die Römer sich dazu entschlossen, nach der
westlichen auch der östlichen Hälfte der Küsten des Mittelmeeres sich
zu bemächtigen; nicht an dem Widerstand, auf den sie hier
verhältnismäßig in geringem Maße trafen, sondern an der wohlbegründeten
Scheu vor den denationalisierenden Konsequenzen dieser Eroberungen hat
es gelegen, daß sie so lange wie möglich sich nur bemühten, in jenen
Gegenden den entscheidenden politischen Einfluß zu bewahren, und daß
die eigentliche Einverleibung wenigstens Syriens und Ägyptens erst
stattfand, als der Staat schon fast eine Monarchie war. Wohl wurde
dadurch das Römerreich geographisch geschlossen, das Mittelmeer, Roms
eigentliche Basis, seit es eine Großmacht war, nach allen Seiten hin
ein römischer Binnensee, Schiffahrt und Handel auf und an demselben zum
Segen aller Anwohner staatlich geeinigt. Aber der geographischen
Geschlossenheit zur Seite ging die nationale Zweiteilung. Durch
Griechenland und Makedonien wäre der Römerstaat nie binational
geworden, so wenig wie die Griechenstädte Neapolis und Massalia
Kampanien und die Provence hellenisiert haben. Aber wenn in Europa und
Afrika das griechische Gebiet gegenüber der geschlossenen Masse des
lateinischen verschwindet, so gehört, was von dem dritten Erdteil mit
dem von Rechts wegen dazu gehörigen Niltal in diesen Kulturkreis
hineingezogen ward, ausschließlich den Griechen, und namentlich
Antiocheia und Alexandreia sind die rechten Träger der in Alexander
ihren Höhepunkt erreichenden hellenischen Entwicklung, Mittelpunkte
hellenischen Lebens und hellenischer Bildung und Großstädte wie Rom
auch. Nachdem in dem vorhergehenden Kapitel der die ganze Kaiserzeit
ausfüllende Kampf des Ostens und des Westens in und um Armenien und
Mesopotamien dargestellt worden ist, wenden wir uns dazu, die
Verhältnisse der syrischen Landschaften zu schildern, wie sie
gleichzeitig sich gestalteten. Gemeint ist das Gebiet, das der
Bergstock Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens von Kleinasien, die
östliche Fortsetzung desselben Gebirges und der Euphrat von Armenien
und Mesopotamien, die arabische Wüste von dem Parthischen Reiche und
von Ägypten scheiden; nur schien es angemessen, die eigenartigen
Schicksale Judäas in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Der
Verschiedenheit der politischen Entwicklung unter dem Kaiserregiment
entsprechend soll zunächst von dem eigentlichen Syriens dem nördlichen
Teil dieses Gebiets und von der unter dem Libanos sich hinziehenden
phönikischen Küste, weiter von dem Hinterlande Palästinas, dem Gebiet
der Nabatäer gesprochen werden. Was über Palmyra zu sagen war, hat
schon im vorigen Kapitel seinen Platz gefunden.
Seit der Teilung der Provinzen zwischen dem Kaiser und dem Senat hat
Syrien unter kaiserlicher Verwaltung gestanden und ist im Orient, wie
Gallien im Westen, der Schwerpunkt der kaiserlichen zivilen und
militärischen Verwaltung gewesen. Diese Statthalterschaft war von
Anfang an von allen die angenehmste und wurde dies im Lauf der Zeit nur
noch in höherem Grade. Ihr Inhaber führte, gleich den Statthaltern der
beiden Germanien, das Kommando über vier Legionen, und während den
Kommandanten der Rheinarmee die Verwaltung der inneren gallischen
Landschaften abgenommen ward und schon in ihrem Nebeneinanderstehen
eine gewisse Beschränkung lag, behielt der Statthalter von Syrien auch
die Zivilverwaltung der ganzen großen Provinz ungeschmälert und führte
lange Zeit in ganz Asien allein ein Kommando ersten Ranges. Unter
Vespasian erhielt er zwar an den Statthaltern von Palästina und von
Kappadokien zwei ebenfalls Legionen befehligende Kollegen; andererseits
aber wuchsen durch die Einziehung des Königreichs Kommagene und bald
darauf auch der Fürstentümer im Libanos deren Gebiete seiner Verwaltung
zu. Erst im Laufe des zweiten Jahrhunderts trat eine Schmälerung seiner
Befugnisse ein, indem Hadrian eine der vier Legionen dem Statthalter
von Syrien nahm und sie dem von Palästina überwies. Den ersten Platz in
der römischen Militärhierarchie hat erst Severus dem syrischen
Statthalter entzogen. Nachdem dieser die Provinz, die wie einst ihren
Statthalter Vespasian, so damals den Niger zum Kaiser hatte machen
wollen, unter Widerstreben namentlich der Hauptstadt Antiocheia
unterworfen hatte, verfügte er die Teilung derselben in eine nördliche
und eine südliche Hälfte und gab dem Statthalter jener, der sogenannten
Syria Koile, zwei, dem Statthalter dieser, der Provinz Syrophoenicia,
eine Legion.
Auch insofern darf Syrien mit Gallien zusammengestellt werden, als
dieser kaiserliche Verwaltungsbezirk schärfer als die meisten sich in
befriedete Landschaften und schutzbedürftige Grenzdistrikte schied.
Wenn die ausgedehnte Küste Syriens und die westlichen Landschaften
überhaupt feindlichen Angriffen nicht ausgesetzt waren und die Deckung
an der Wüstengrenze gegen die schweifenden Beduinen den arabischen und
jüdischen Fürsten und späterhin den Truppen der Provinz Arabien, auch
den Palmyrenern, mehr oblag als den syrischen Legionen, so erforderte,
namentlich bevor Mesopotamien römisch ward, die Euphratgrenze eine
ähnliche Bewachung gegen die Parther wie der Rhein gegen die Germanen.
Aber wenn die syrischen Legionen an der Grenze zur Verwendung kamen, so
konnte man doch auch in dem westlichen Syrien ihrer nicht entraten ^1.
Die Rheintruppen waren allerdings auch der Gallier wegen da; dennoch
durften die Römer mit berechtigtem Stolz sagen, daß für die große
Hauptstadt Galliens und die drei gallischen Provinzen eine unmittelbare
Besatzung von 1200 Mann ausreiche. Aber für die syrische Bevölkerung
und insbesondere für die Hauptstadt des römischen Asiens genügte es
nicht, die Legionen am Euphrat aufzustellen. Nicht bloß am Saum der
Wüste, sondern auch in den Schlupfwinkeln der Gebirge hausten in der
Nachbarschaft der reichen Äcker und der großen Städte, nicht in dem
Grade wie heutzutage, aber doch auch damals stetig, verwegene
Räuberbanden und plünderten, oft als Kaufleute oder Soldaten
verkleidet, die Landhäuser und die Dörfer. Aber auch die Städte selbst,
vor allem Antiocheia, verlangten, wie Alexandreia, eigene Besatzung.
Ohne Zweifel ist dies der Grund gewesen, weshalb eine Teilung in Zivil-
und Militärbezirke, wie sie für Gallien schon Augustus verfügte, in
Syrien niemals auch nur versucht worden ist und weshalb die großen, auf
sich selbst stehenden Lageransiedlungen, aus denen zum Beispiel Mainz
am Rhein, Leon in Spanien, Chester in England hervorgegangen sind, im
römischen Orient gänzlich fehlen. Ohne Zweifel aber ist dies auch der
Grund, weshalb die syrische Armee in Zucht und Geist so sehr
zurückstand gegen die der Westprovinzen; weshalb die stramme Disziplin,
wie sie in den militärischen Standlagern des Okzidents gehandhabt ward,
in den städtischen Kantonnements des Ostens nie Fuß fassen konnte. Wo
der stehenden Truppe neben ihrer nächsten Bestimmung noch die Aufgabe
der Polizei zufällt, wirkt dies an sich demoralisierend, und nur zu oft
wird, wo sie unruhige städtische Massen in Zucht halten soll, vielmehr
ihre eigene Disziplin dadurch untergraben. Die früher geschilderten
syrischen Kriege liefern dazu den unerfreulichen Kommentar; keiner
derselben fand eine kriegsfähige Armee vor und regelmäßig bedurfte es
erst herangezogener okzidentalischer Truppen, um dem Kampfe die Wendung
zu geben.
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^1 Die Standquartiere der syrischen Legionen genau zu bestimmen,
vermögen wir nicht; doch ist, was hier gesagt ist, wesentlich
gesichert. Unter Nero stand die 10. Legion in Raphaneae südwestlich von
Hamath (Ios. bel. Iud. 7, 1, 3) und ebendaselbst oder doch ungefähr in
dieser Gegend unter Tiberius die 6. (Tac. ann. 2, 79); wahrscheinlich
in oder bei Antiocheia die 12. unter Nero (Ios. bel. Iud. 2, 18, 9).
Wenigstens eine Legion stand am Euphrat; für die Zeit vor der
Einziehung Kommagenes bezeugt dies Ios. bel. Iud. 7, 1, 3, und
späterhin hatte eine der syrischen Legionen ihr Hauptquartier in
Samosata (Ptol. geogr. 5; 15, 11; Inschrift aus Severus’ Zeit CIL VI,
1409; Itin. Anton. Aug. p. 186). Wahrscheinlich hatten die Stäbe der
meisten syrischen Legionen ihren Sitz in den westlichen Distrikten und
geht die immer wiederkehrende Beschwerde, daß das Lagern in den Städten
die syrische Armee zerrütte, hauptsächlich auf diese Einrichtung. Ob in
der besseren Zeit an dem Wüstensaum eigentliche Legionshauptquartiere
bestanden haben, ist zweifelhaft; bei den Grenzposten daselbst haben
auch Detachements der Legionen Verwendung gefunden, und namentlich ist
der besonders unruhige Distrikt zwischen Damaskos und Bostra stark mit
Legionären belegt worden, die einerseits das Kommando von Syrien
stellte, andererseits das arabische seit Einrichtung desselben durch
Traian.
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Syrien im engeren Sinne und seine Nebenländer, das ebene Kilikien und
Phoenike haben unter den römischen Kaisern eine Geschichte im
eigentlichen Sinne nicht gehabt. Die Bewohner dieser Landschaften
gehören dem gleichen Stamme an wie die Bewohner Judäas und Arabiens,
und die Stammväter der Syrer und der Phöniker haben in ferner Zeit an
einem Orte gesessen mit denen der Juden und der Araber und eine Sprache
geredet. Aber wenn die letzteren an ihrer Eigenart und an ihrer Sprache
festgehalten haben, so haben die Syrer und die Phöniker sich
hellenisiert, schon bevor sie unter römische Herrschaft gelangten. Es
vollzog sich diese Hellenisierung durchgängig in der Bildung von
hellenischen Politien. Den Grund dazu hatte freilich die einheimische
Entwicklung gelegt, namentlich an der phönikischen Küste die alten und
großen Kaufstädte. Aber vor allem hat die Staatenbildung Alexanders und
der Alexandriden, eben wie die der römischen Republik, zu ihrem
Fundament nicht den Stamm, sondern die Stadtgemeinde; nicht das
altmakedonische Erbfürstentum, sondern die griechische Politie hat
Alexander in den Osten getragen, und nicht aus Stämmen, sondern aus
Städten gedachte er und gedachten die Römer ihr Reich zusammenzusetzen.
Der Begriff der autonomen Bürgerschaft ist ein dehnbarer und die
Autonomie Athens und Thebens eine andere als die der makedonischen und
der syrischen Stadt, eben wie im römischen Kreis die Autonomie des
freien Capua einen anderen Inhalt hatte als die der latinischen
Pflanzstädte der Republik oder gar der Stadtgemeinden des Kaiserreichs;
aber der Grundgedanke ist überall das sich selbst verwaltende, in
seinem Mauerring souveräne Bürgertum. Nach dem Sturz des Perserreichs
ist Syrien nebst dem benachbarten Mesopotamien als die militärische
Verbindungsbrücke zwischen dem Westen und dem Osten wie kein anderes
Land mit makedonischen Ansiedlungen bedeckt worden; die dort in
weitester Ausdehnung übernommenen, sonst im ganzen Alexanderreich
nirgends also sich wiederfindenden makedonischen Ortsnamen beweisen es,
daß hier der Kern der hellenischen Eroberer des Ostens angesiedelt
wurde und daß Syrien für diesen Staat das Neu-Makedonien werden sollte;
wie denn auch, solange das Reich Alexanders eine Zentralregierung
behielt, diese dort ihren Sitz gehabt hat. Den syrischen Reichsstädten
hatten dann die Wirren der letzten Seleukidenzeit zu größerer
Selbständigkeit verholfen. Diese Einrichtungen fanden die Römer vor.
Unmittelbar vom Reich verwaltete, nicht städtische Distrikte gab es
schon nach der von Pompeius vorgenommenen Organisation in Syrien
wahrscheinlich gar nicht, und wenn die abhängigen Fürstentümer in der
ersten Epoche der römischen Herrschaft einen großen Teil des südlichen
Binnenlandes der Provinz umfaßten, so waren diese meist gebirgigen und
schwach bewohnten Distrikte doch von untergeordneter Bedeutung. Im
ganzen genommen blieb den Römern in Syrien für die Hebung der
städtischen Entwicklung nicht viel zu tun übrig, weniger als in
Kleinasien. Eigentliche Städtegründung ist daher aus der Kaiserzeit für
Syrien kaum zu berichten. Die wenigen Kolonien, welche hier angelegt
worden sind, wie unter Augustus Berytus und wahrscheinlich auch
Heliopolis, haben keinen anderen Zweck gehabt als die nach Makedonien
geführten, nämlich die Unterbringung der Veteranen.
Wie sich die Griechen und die ältere Bevölkerung in Syrien zueinander
stellten, läßt sich schon an den örtlichen Benennungen deutlich
verfolgen. Landschaften und Städte tragen hier der Mehrzahl nach
griechische Namen, großenteils, wie bemerkt, der makedonischen Heimat
entlehnte wie Pieria, Anthemus, Arethusa, Beroea, Chalkis, Edessa,
Europos, Kyrrhos, Larisa, Pella, andere benannt nach Alexander oder den
Gliedern des seleukidischen Hauses, wie Alexandreia, Antiocheia,
Seleukis und Seleukeia, Apameia, Laodikeia, Epiphaneia. Die alten
einheimischen Namen behaupten sich wohl daneben, wie Beroea, zuvor
aramäisch Chaleb, auch Chalybon, Edessa oder Hierapolis, zuvor Mabog,
auch Bambyke, Epiphaneia, zuvor Hamat, auch Amathe genannt wird. Aber
meistens traten die älteren Benennungen vor den fremden zurück und nur
wenige Landschaften und größere Orte wie Kommagene, Samosata, Hemesa,
Damaskos entbehren neugeschöpfter griechischer Namen. Das östliche
Kilikien hat wenig makedonische Gründungen aufzuweisen; aber die
Hauptstadt Tarsos hat sich früh und vollständig hellenisiert und ist
lange vor der römischen Zeit eines der Zentren der hellenischen Bildung
geworden. Etwas anderes ist es in Phoenike: die altberühmten Kaufstädte
Arados, Byblos, Berytos, Sidon, Tyros haben die einheimischen Namen
nicht eigentlich abgelegt; aber wie auch hier das Griechische die
Oberhand gewann, zeigt die hellenisierende Umbildung eben dieser Namen,
und noch deutlicher, daß Neu-Arados uns nur unter dem griechischen
Namen Antarados bekannt ist, ebenso die von den Tyriern, den Sidoniern
und den Aradiern gemeinschaftlich an dieser Küste gegründete neue Stadt
nur unter dem Namen Tripolis, und beide ihre heutigen Benennungen
Tartus und Tarabulus aus den griechischen entwickelt haben. Schon in
der Seleukidenzeit tragen die Münzen im eigentlichen Syrien
ausschließlich, die der phönikischen Städte weit überwiegend
griechische Aufschrift; und von Anfang der Kaiserzeit an steht die
Alleinherrschaft des Griechischen hier fest ^2.
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^2 Von Byblos gibt es eine Münze aus Augustus’ Zeit mit griechischer
und phönikischer Aufschrift (Imhoof-Blumer, Monnaies grecques, Leipzig
1883, S. 443).
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Nur die nicht bloß durch weite Wüstenstrecken geschiedene, sondern auch
eine gewisse politische Selbständigkeit bewahrende Oase Palmyra macht,
wie wir sahen, hierin eine Ausnahme. Aber in dem Verkehr blieben die
einheimischen Idiome. In den Bergen des Libanos und des Antilibanos, wo
auch in Hemesa (Roms), Chalkis, Abila (beide zwischen Berytus und
Damaskos) kleine Fürstenhäuser einheimischen Ursprungs bis gegen das
Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. schalteten, hat die einheimische
Sprache in der Kaiserzeit wahrscheinlich die Alleinherrschaft gehabt,
wie denn in den schwer zugänglichen Gebirgen der Drusen die Sprache
Arams erst in neuerer Zeit dem Arabischen gewichen ist. Aber vor zwei
Jahrtausenden war dieselbe in der Tat in ganz Syrien die Sprache des
Volkes ^3. Daß bei den doppelnamigen Städten im gewöhnlichen Leben die
syrische Benennung ebenso überwog wie in der Literatur die griechische,
zeigt sich darin, daß heute Beroea-Chalybon Haleb (Aleppo),
Epiphaneia-Amathe Hama, Hierapolis-Bambyke-Mabog Membidj, Tyros mit
seinem phönikischen Namen Sur genannt wird; daß die uns aus den
Urkunden und den Schriftstellern nur als Heliopolis bekannte syrische
Stadt ihren uralten einheimischen Namen Baalbek noch heute führt,
überhaupt allgemein die heutigen Ortsnamen nicht aus den griechischen,
sondern aus den aramäischen hervorgegangen sind.
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^3 Johannes Chrysostomos aus Antiocheia (t 407) weist mehrfach (De
sanctis martyros. Opera. Paris 1718 ff. Vol. 2, p. 651; homil. 19, a.
a. O., p. 188) hin auf die ετεροφονία, die βάρβαρος φονή des λαός im
Gegensatz zu der Sprache der Gebildeten.
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Ebenso zeigt der Kultus das Fortleben des syrischen Volkstums. Die
Syrer von Beroea bringen ihre Weihgeschenke mit griechischer Aufschrift
dem Zeus Malbachos, die von Apameia dem Zeus Belos, die von Berytus als
römische Bürger dem Jupiter Balmarcodes, alles Gottheiten, an denen
weder Zeus noch Jupiter wirklichen Teil hatten. Jener Zeus Belos ist
kein anderer als der in Palmyra in syrischer Sprache verehrte Malach
Belos. Wie lebendig die heimische Götterverehrung in Syrien gewesen und
geblieben ist, dafür legt das deutlichste Zeugnis ab, daß die Dame von
Hemesa, die durch ihre Verschwägerung mit dem Severischen Hause für
ihren Tochtersohn im Anfang des 3. Jahrhunderts die Kaiserwürde
erlangte, nicht damit zufrieden, daß der Knabe Oberpontifex des
römischen Volkes hieß, ihn auch anhielt, sich den Oberpriester des
heimischen Sonnengottes Elagabalus vor allen Römern zu titulieren. Die
Römer mochten die Syrer besiegen; aber die römischen Götter haben in
ihrer eigenen Heimat vor den syrischen das Feld geräumt.
Nicht minder sind die zahlreichen auf uns gekommenen syrischen
Eigennamen überwiegend ungriechisch und Doppelnamen nicht selten; der
Messias heißt auch Christos, der Apostel Thomas auch Didymos, die von
Petrus wiedererweckte Frau aus Joppe das “Reh”, Tabitha oder Dorkas.
Aber für die Literatur und vermutlich auch für den Geschäftsverkehr und
den Verkehr der Gebildeten war das syrische Idiom so wenig vorhanden
wie im Westen das keltische; in diesen Kreisen herrschte ausschließlich
das Griechische, abgesehen von dem auch im Osten für das Militär
geforderten Latein. Ein Literat aus der zweiten Hälfte des zweiten
Jahrhunderts, den der früher erwähnte König von Armenien Sohaemos an
seinen Hof zog, hat einen Roman, der in Babylon spielt, einiges über
seine eigene Lebensgeschichte eingelegt, das diese Verhältnisse
erläutert. Er sei, sagt er, ein Syrer, aber nicht von den
eingewanderten Griechen, sondern von Vater- und Mutterseite
einheimischer Abkunft, Syrer nach Sprache und Sitte, auch babylonischer
Sprache und persischer Magie kundig. Aber eben dieser, das hellenische
Wesen in gewissem Sinne ablehnende Mann fügt hinzu, daß er hellenische
Bildung sich angeeignet habe, und ist ein angesehener Jugendlehrer in
Syrien und ein namhafter Romanschriftsteller der späteren griechischen
Literatur geworden ^4.
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^4 Der Auszug des Photios aus dem Roman des Iamblichos c. 11, welcher
den Verfasser irrig zu einem Babylonier macht, wird durch das Scholion
dazu wesentlich berichtigt und ergänzt. Der Geheimschreiber der
Großkönigs, der unter den traianischen Gefangenen nach Syrien kommt,
dort des Iamblichos Erzieher wird und ihn in der “barbarischen
Weisheit” unterweist, ist natürlich eine Figur des in Babylon
spielenden Romans, den Iamblichos von diesem seinem Lehrmeister
vernommen haben will; aber charakteristisch für die Zeit ist der
armenische Hofliterat und Prinzenerzieher (denn als “guten Rhetor” hat
ihn doch wohl Sohaemos nach Valarschapat berufen) selbst, der kraft
seiner magischen Kunst nicht bloß den Fliegenzauber und die
Geisterbeschwörung versteht, sondern auch dem Verus den Sieg über
Vologasos vorhersagt und zugleich Geschichten, wie sie auch in
‘Tausendundeiner Nacht’ stehen könnten, den Griechen griechisch
erzählt.
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Wenn späterhin das syrische Idiom wieder zur Schriftsprache geworden
ist und eine eigene Literatur entwickelt hat, so ist dies nicht auf
eine Ermannung des Nationalgefühls zurückzuführen, sondern auf das
unmittelbare Bedürfnis der christlichen Propaganda: jene syrische
Literatur, ausgegangen von der Übersetzung der christlichen
Bekenntnisschriften in das Syrische, blieb gebannt in den Kreis der
spezifischen Bildung des christlichen Klerus und nahm daher von der
allgemeinen hellenischen Bildung nur den kleinen Bruchteil auf, den die
Theologen jener Zeit ihren Zwecken zuträglich oder doch damit
verträglich fanden ^5; ein höheres Ziel als die Übertragung der
griechischen Klosterbibliothek auf die Maronitenklöster hat diese
Schriftstellerei nicht erreicht und wohl auch nicht erstrebt. Sie
reicht auch schwerlich weiter zurück als in das zweite Jahrhundert
unserer Zeitrechnung und hat ihren Mittelpunkt nicht in Syrien, sondern
in Mesopotamien, namentlich in Edessa ^6, wo wahrscheinlich, anders als
in dem älteren römischen Gebiet, sich die Anfänge einer vorchristlichen
Literatur in der Landessprache entwickelt hatten.
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^5 Die syrische Literatur besteht fast ausschließlich aus Übersetzungen
griechischer Werke. Unter den Profanschriften stehen in erster Reihe
Aristotelische und Plutarchische Traktate, dann praktische Schriften
juristischen oder agronomischen Inhalts und populäre
Unterhaltungsbücher wie der Alexanderroman, Aesops Fabeln, Menanders
Sentenzen.
^6 Die syrische Übersetzung des Neuen Testaments, der älteste uns
bekannte syrische Sprachtext, ist wahrscheinlich in Edessa entstanden;
die στρατιώται der Apostelgeschichte heißen hier “Römer”.
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Unter den mannigfaltigen Bastardformen, welche der Hellenismus in
seiner zugleich zivilisierenden und degenerierenden Propaganda
angenommen hat, ist die syrohellenische wohl diejenige, in welcher die
beiden Elemente am meisten im Gleichgewicht standen, vielleicht aber
zugleich diejenige, die die Gesamtentwicklung des Reiches am
entschiedensten beeinflußt hat. Die Syrer empfingen wohl die
griechische Städteordnung und eigneten sich hellenische Sprache und
Sitte an; dennoch hörten sie nie auf, sich als Orientalen zu fühlen
oder vielmehr als Träger einer doppelten Zivilisation. Nirgends
vielleicht ist dies schärfer ausgesprochen als in dem kolossalen
Grabtempel, welchen im ersten Anfang der Kaiserzeit König Antiochos von
Kommagene sich auf einem einsamen Berggipfel unweit des Euphrat
errichtet hat. Er nennt in der ausführlichen Grabschrift sich einen
Perser; im persischen Gewande, wie das Herkommen seines Geschlechts es
erheischt, soll der Priester des Heiligtums ihm die Gedächtnisopfer
darbringen; aber wie die Perser nennt er auch die Hellenen die
gesegneten Wurzeln seines Geschlechts und fleht den Segen aller Götter
der Persis wie der Maketis, das heißt des persischen wie des
makedonischen Landes auf seine Nachkommen herab. Denn er ist der Sohn
eines einheimischen Königs vom Geschlecht der Achämeniden und einer
griechischen Fürstentochter aus dem Hause des Seleukos, und dem
entsprechend schmückten das Grabmal in langer Doppelreihe die Abbilder
einerseits seiner väterlichen Ahnen bis auf den ersten Dareios,
andererseits seiner mütterlichen bis zu dem Marschall Alexanders. Die
Götter aber, die er verehrt, sind zugleich persisch und griechisch,
Zeus Oromasdes, Apollon Mithras Helios Hermes, Artagnes Herakles Ares,
und dieses letzteren Bild zum Beispiel trägt die Keule des griechischen
Heros und zugleich die persische Tiara. Dieser persische Fürst, der
zugleich sich einen Freund der Hellenen und als loyaler Untertan des
Kaisers einen Freund der Römer nennt, wie nicht minder jener von Marcus
und Lucius auf den Thron von Armenien berufene Achämenide Sohaemos,
sind echte Vertreter der einheimischen, die persischen Erinnerungen und
die römisch-hellenische Gegenwart gleichmäßig im Sinne tragenden
Aristokratie des kaiserlichen Syriens. Aus solchen Kreisen ist der
persische Mithraskult in den Okzident gelangt. Aber die Bevölkerung,
welche zugleich unter diesem persischen oder sich persisch nennenden
Großadel und unter dem Regiment der makedonischen und später der
italienischen Herren stand, war in Syrien wie in Mesopotamien und in
Babylonien aramäisch; sie erinnert vielfach an die heutigen Rumänen
gegenüber den vornehmen Sachsen und Magyaren. Sicher waren sie das
verderbteste und das verderbendste Element in dem römisch-hellenischen
Völkerkonglomerat. Von dem sogenannten Caracalla, der als Sohn eines
afrikanischen Vaters und einer syrischen Mutter in Lyon geboren war,
wird gesagt, daß er die Laster dreier Stämme in sich vereinigt habe,
die gallische Leichtfertigkeit, die afrikanische Wildheit und die
syrische Spitzbüberei.
Diese Durchdringung des Orients und des Hellenismus, die nirgends so
vollständig wie in Syrien sich vollzogen hat, tritt uns überwiegend in
der Gestalt entgegen, daß in der Mischung das Gute und Edle zugrunde
geht. Indes ist dies nicht überall der Fall; die spätere Entwicklung
der Religion wie der Spekulation, das Christentum und der
Neuplatonismus, sind aus der gleichen Paarung hervorgegangen; wenn mit
jenem der Osten in den Westen dringt, so ist dieser die Umgestaltung
der okzidentalischen Philosophie im Sinn und Geist des Ostens, eine
Schöpfung zunächst des Ägypters Plotinos (204 bis 270) und seines
bedeutendsten Schülers, des Tyriers Malchos oder Porphyrios (233 bis
nach 300), und dann vorzugsweise in den Städten Syriens gepflegt. Beide
welthistorischen Bildungen zu erörtern, ist hier nicht der Platz;
vergessen aber dürfen sie auch bei der Würdigung der syrischen
Verhältnisse nicht werden.
Die syrische Art findet ihren eminenten Ausdruck in der Hauptstadt des
Landes und vor Konstantinopels Gründung des römischen Ostens überhaupt,
der Volkszahl nach in dieser Epoche nur hinter Rom und Alexandreia und
etwa noch dem babylonischen Seleukeia zurückstehend, Antiocheia, bei
welchem es erforderlich scheint, einen Augenblick zu verweilen. Die
Stadt, eine der jüngsten Syriens und heutzutage von geringer Bedeutung,
ist nicht durch die natürlichen Verkehrsverhältnisse Großstadt
geworden, sondern eine Schöpfung monarchischer Politik. Die
makedonischen Eroberer haben sie ins Leben gerufen zunächst aus
militärischen Rücksichten, als geeignete Zentralstelle für eine
Herrschaft, die zugleich Kleinasien, das Euphratgebiet und Ägypten
umspannte und auch dem Mittelmeer nahe sein wollte ^7. Das gleiche Ziel
und die verschiedenen Wege der Seleukiden und der Lagiden finden ihren
treuen Ausdruck in der Gleichartigkeit und dem Gegensatz von Antiocheia
und Alexandreia; wie dieses für die Seemacht und die maritime Politik
der ägyptischen Herrscher, so ist Antiocheia der Mittelpunkt für die
kontinentale Orientmonarchie der Herrscher Asiens. Zu verschiedenen
Malen haben die späteren Seleukiden hier große Neugründungen
vorgenommen, so daß die Stadt, als sie römisch wurde, aus vier
selbständigen und ummauerten Bezirken bestand, die wieder alle eine
gemeinsame Mauer einschloß. Auch an Einwanderern aus der Ferne fehlte
es nicht. Als das eigentliche Griechenland unter die Herrschaft der
Römer geriet und Antiochos der Große vergeblich versucht hatte, diese
dort zu verdrängen, gewährte er wenigstens den auswandernden Euböern
und Ätolern in seiner Residenz eine Freistatt. Wie in der Hauptstadt
Ägyptens ist auch in derjenigen Syriens den Juden ein gewissermaßen
selbständiges Gemeinwesen und eine privilegierte Stellung eingeräumt
worden, und ihre Stellung als Zentren der jüdischen Diaspora ist nicht
das schwächste Element in der Entwicklung beider Städte geworden.
Einmal zur Residenz und zum Sitz der obersten Verwaltung eines großen
Reiches gemacht, blieb Antiocheia auch in römischer Zeit die Hauptstadt
der asiatischen Provinzen Roms. Hier residierten die Kaiser, wenn sie
im Orient verweilten, und regelmäßig der Statthalter von Syrien; hier
wurde die Reichsmünze für den Osten geschlagen und hier vornehmlich,
daneben in Damaskos und in Edessa befanden sich die
Reichswaffenfabriken. Freilich hatte die Stadt für das Römerreich ihre
militärische Bedeutung verloren und unter den veränderten Verhältnissen
wurde die schlechte Verbindung mit dem Meer als ein großer Übelstand
empfunden, nicht so sehr wegen der Entfernung als weil der Hafen, die
zugleich mit Antiocheia angelegte Stadt Seleukeia, für den großen
Verkehr wenig geeignet war. Ungeheure Summen haben die römischen Kaiser
von den Flaviern an bis auf Constantius aufgewandt, um in die diese
Örtlichkeit umgebenden Felsenmassen die erforderlichen Docks mit den
Zuzugs-Kanälen zu brechen und genügende Molen herzustellen; aber die
Kunst der Ingenieure, welcher an der Mündung des Nil die höchsten Würfe
glücklich gelangen, rang in Syrien vergeblich mit den unüberwindlichen
Schwierigkeiten des Terrains. Selbstverständlich hat die größte Stadt
Syriens an der Fabrikation und dem Handel dieser Provinz, wovon noch
weiter die Rede sein wird, sich lebhaft beteiligt; dennoch war sie mehr
ein Sitz der Verzehrenden als der Erwerbenden. Im ganzen Altertum gab
es keine Stadt, in welcher das Genießen des Lebens so sehr die
Hauptsache, und dessen Pflichten so beiläufig waren wie in “Antiocheia
bei Daphne”, wie die Stadt bezeichnend genannt wird, etwa wie wenn wir
sagen würden “Wien beim Prater”. Denn Daphne ^8 ist der Lustgarten,
eine deutsche Meile von der Stadt, von zwei Meilen im Umkreis, berühmt
durch seine Lorbeerbäume, wonach er heißt, durch seine alten Zypressen,
die noch die christlichen Kaiser zu schonen befahlen, seine fließenden
und springenden Wasser, seinen glänzenden Apollotempel und die
prachtvolle vielbesuchte Festfeier des 10. August. Die ganze Umgegend
der Stadt, die zwischen zwei bewaldeten Bergzügen in dem Tale des
wasserreichen Orontes, drei deutsche Meilen aufwärts von der Mündung
desselben liegt, ist noch heute trotz aller Vernachlässigung ein
blühender Garten und einer der anmutigsten Flecke der Erde. Der Stadt
selbst tat es an Pracht und Glanz der öffentlichen Anlagen im ganzen
Reiche keine zuvor. Die Hauptstraße, welche in der Ausdehnung von 36
Stadien, nahezu einer deutschen Meile, mit einer bedeckten Säulenhalle
zu beiden Seiten und in der Mitte einem breiten Fahrweg, die Stadt in
gerader Richtung längs des Flusses durchschnitt, ist in vielen antiken
Städten nachgeahmt worden, aber hat ihresgleichen nicht einmal in dem
kaiserlichen Rom. Wie in jedem guten Hause in Antiocheia das Wasser
lief ^9, so wandelte man in jenen Hallen durch die ganze Stadt zu allen
Jahrzeiten geschützt vor Regen wie vor Sonnenglut, auch des Abends in
erleuchteten Straßen, was sonst von keiner Stadt des Altertums
berichtet wird ^10.
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^7 Dies sagt Diodor (20, 47) von der Vorläuferin Antiocheias, der nur
etwa eine Meile weiter flußaufwärts angelegten Stadt Antigoneia.
Antiocheia ist für das Syrien der alten Zeit ungefähr gewesen, was für
das heutige Aleppo ist, der Knotenpunkt des inneren Verkehrs; nur daß
bei jener Gründung, wie schon die gleichzeitige Anlage des Hafens von
Seleukeia beweist, die unmittelbare Verbindung mit dem Mittelmeer
beabsichtigt und daher die Anlage weiter nach Westen gelegt ward.
^8 Der Raum zwischen Antiocheia und Daphne war mit Landhäusern und
Vignen gefüllt (Lib. or. 2 p. 213 Reiske), und es gab hier auch eine
Vorstadt Herakleia oder auch Daphne (K. O. Müller, Antiquitates
Antiochiae, S. 44; vgl. vita Veri 7); aber wenn Tac. ann. 2, 83 diese
Vorstadt Epidaphne nennt, so ist dies einer seiner seltsamsten
Schnitzer. Plinius (nat. 5, 21, 79) sagt korrekt: Antiochia Epidaphnes
cognominata.
^9 “Womit wir vornehmlich alle schlagen”, sagt der Antiochener Libanios
in der unter Constantius gehaltenen Lobrede auf seine Heimat (or. 1,
354 R.), nachdem er die Quellen der Daphne und die von dort nach der
Stadt geführten Leitungen geschildert hat, “das ist die Bewässerung
unserer Stadt; wenn sonst auch jemand es mit uns aufnehmen mag, so
geben sie alle nach, sowie die Rede kommt auf das Wasser, seine Fülle
wie seine Trefflichkeit. In den öffentlichen Bädern hat jeder Strom das
Maß eines Flusses, in den privaten manche das gleiche, die übrigen
nicht viel weniger. Wer die Mittel hat, ein neues Bad anzulegen, tut
dies unbesorgt um hinreichenden Zufluß und braucht nicht zu fürchten,
daß, wenn fertig, es ihm trocken liegen werde. Deshalb ist jeder
Stadtbezirk [es gab deren achtzehn] auf die besondere Eleganz seiner
Badeanstalt bedacht; es sind diese Bezirksbadeanstalten um so viel
schöner als die allgemeinen, als sie kleiner sind als diese, und die
Bezirksgenossen wetteifern immer die einen, die anderen zu übertreffen.
Man ermißt die Fülle der fließenden Wasser an der Menge der (guten)
Wohnhäuser; denn soviel der Wohnhäuser, soviel sind auch der fließenden
Wasser, ja sogar in den einzelnen Häusern oft mehrere; und auch die
Mehrzahl der Werkstätten hat den gleichen Vorzug. Darum schlagen wir
uns auch nicht an den öffentlichen Brunnen darum, wer zuerst zum
Schöpfen kommt, an welchem Übelstand so viele ansehnliche Städte
leiden, wo um die Brunnen ein heftiges Gedränge ist und Lärm um die
zerbrochenen Krüge. Bei uns fließen die öffentlichen Brunnen zur
Zierde, da jeder innerhalb der Türen sein Wasser hat. Und es ist dies
Wasser so klar, daß der Eimer leer scheint, und so anmutend, daß es zum
Trinken einladet.”
^10 “Das Sonnenlicht”, sagt derselbe Redner p. 363, “lösen andere
Lichter ab, Leuchten, die das ägyptische Illuminationsfest hinter sich
lassen; und bei uns unterscheidet sich die Nacht vom Tage nur durch die
Verschiedenheit der Beleuchtung; die fleißigen Hände finden keinen
Unterschied und schmieden weiter und wer da will, singt und tanzt, so
daß Hephaestos und Aphrodite hier in die Nacht sich teilen.” Bei dem
Straßensport, den der Prinz Gallus sich gestattete, waren die
antiochenischen Laternen ihm sehr unbequem (Amm. 14, 1, 9).
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Aber in diesem üppigen Treiben fanden die Musen sich nicht zurecht; der
Ernst der Wissenschaft und die nicht minder ernste Kunst haben in
Syrien und namentlich in Antiocheia niemals rechte Pflege gefunden. Wie
vollkommen analog Ägypten und Syrien sonst sich entwickelt hatten, so
scharf war ihr Gegensatz in literarischer Hinsicht: diesen Teil der
Erbschaft des großen Alexanders traten die Lagiden allein an. Pflegten
sie die hellenische Literatur und förderten wissenschaftliche Forschung
in aristotelischem Sinn und Geist, so haben die besseren Seleukiden
wohl durch ihre politische Stellung den Griechen den Orient erschlossen
- Seleukos’ I. Sendung des Megasthenes nach Indien an König
Tschandragupta und die Erkundung des Kaspischen Meeres durch seinen
Zeitgenossen, den Admiral Patrokles, haben in dieser Hinsicht Epoche
gemacht; aber von unmittelbarem Eingreifen in die literarischen
Interessen von seiten der Seleukiden weiß die Geschichte der
griechischen Literatur nichts weiter zu melden, als daß Antiochos der
sogenannte Große den Dichter Euphorion zu seinem Bibliothekar gemacht
hat. Vielleicht darf die Geschichte der lateinischen Literatur für
Berytus, die lateinische Insel im Meer des orientalischen Hellenismus,
den Ernst wissenschaftlicher Arbeit in Anspruch nehmen. Es ist
vielleicht kein Zufall, daß die Reaktion gegen die literarisch
modernisierende Tendenz der julisch-claudischen Epoche und die
Zurückführung der Sprache und der Schriften der republikanischen Zeit
in die Schule wie in die Literatur ausgegangen ist von einem dem
Mittelstand angehörigen Berytier, dem Marcus Valerius Probus, welcher
in den zurückgebliebenen Schulen seiner entlegenen Heimat noch an den
alten Klassikern sich gebildet hatte und dann in energischer, mehr
kritisch schriftstellerischer als eigentlich lehrender Tätigkeit für
den Klassizismus der späteren Kaiserzeit den Grund legte. Dasselbe
Berytos ist später der Sitz des Studiums der für die Beamtenlaufbahn
erforderlichen Rechtswissenschaft für den ganzen Osten geworden und die
ganze Kaiserzeit hindurch geblieben. In der hellenischen Literatur sind
freilich die Poesie des Epigramms und der Witz des Feuilletons in
Syrien zu Hause; mehrere der namhaftesten griechischen Kleindichter,
wie Meleagros und Philodemos von Gadara und Antipatros von Sidon, sind
Syrer und in sinnlichem Reiz wie in raffinierter Verskunst
unübertroffen; und der Vater der Feuilletonliteratur ist Menippos von
Gadara. Aber diese Leistungen liegen meistens vor und zum Teil
beträchtlich vor der Kaiserzeit. In der griechischen Literatur dieser
Epoche ist keine Landschaft so geringfügig vertreten wie die syrische,
und Zufall ist dies schwerlich, wenngleich bei der universalen Stellung
des Hellenismus in der Kaiserzeit auf die Heimat der einzelnen
Schriftsteller nicht allzu viel Gewicht gelegt werden darf. Dagegen
hatte die in dieser Epoche um sich greifende untergeordnete
Schriftstellerei, die gedanken- und formlosen Liebes-, Räuber-,
Piraten-, Kuppler-, Wahrsager- und Traumgeschichten und die Fabelreisen
wahrscheinlich eben hier ihren Hauptsitz. Unter den Kollegen des schon
genannten Iamblichos, Verfassers der babylonischen Geschichte, werden
die Landsleute desselben zahlreich gewesen sein; die Berührung dieser
griechischen Literatur mit der gleichartigen orientalischen ist wohl
ohne Zweifel durch die Syrer vermittelt worden. Das Lügen brauchten die
Griechen freilich nicht von den Orientalen zu lernen; aber die nicht
mehr plastische, sondern phantastische Fabulierung ihrer späteren Zeit
ist aus Scheherazades Füllhorn, nicht aus dem Scherz der Chariten
erwachsen. Vielleicht nicht zufällig macht die Satire dieser Zeit,
indem sie den Homer als den Vater der Lügenreisen betrachtet, denselben
zu einem Babylonier mit eigentlichem Namen Tigranes. Abgesehen von
dieser Unterhaltungslektüre, deren auch die sich einigermaßen schämten,
die damit schreibend oder lesend die Zeit verdarben, ist aus diesen
Gegenden kaum ein anderer hervorragender Name zu nennen als der
Zeitgenosse jenes Iamblichos, der Kommagener Lukianos. Auch er hat
nichts geschrieben als in Nachahmung des Menippos Essays und
Feuilletons, recht nach syrischer Art, witzig und lustig in der
persönlichen Persiflage, aber wo diese zu Ende ist, unfähig, die ernste
Wahrheit lachend zu sagen oder gar die Plastik der Komik zu handhaben.
Diesem Volke galt nur der Tag. Keine griechische Landschaft hat so
wenig Denksteine aufzuweisen wie Syrien; das große Antiocheia, die
dritte Stadt des Reiches, hat, um von dem Lande der Hieroglyphen und
der Obelisken nicht zu reden, weniger Inschriften hinterlassen als
manches kleine afrikanische oder arabische Dorf. Mit Ausnahme des
Rhetors Libanios aus der Zeit Julians, welcher auch mehr bekannt ist
als bedeutend, hat diese Stadt der Literatur keinen einzigen
Schriftstellernamen geliefert. Nicht mit Unrecht nannte der tyanitische
Messias des Heidentums oder sein für ihn redender Apostel die
Antiochener ein ungebildetes und halb barbarisches Volk und meinte, daß
Apollon wohl tun werde, sie auch wie ihre Daphne zu verwandeln; denn in
Antiocheia verständen wohl die Zypressen zu flüstern, aber nicht die
Menschen zu reden. In dem künstlerischen Kreis hat Antiocheia eine
führende Stellung nur gehabt in Betreff des Theaters und der Spiele
überhaupt. Die Vorstellungen, welche das antiochenische Publikum
fesselten, waren, nach der Sitte dieser Zeit, weniger eigentlich
dramatische als rauschende Musikaufführungen, Ballette, Tierhetzen und
Fechterspiele. Das Klatschen oder Zischen dieses Publikums entschied
den Ruf des Tänzers im ganzen Reich. Die Jockeys und die sonstigen
Circus- und Theaterhelden kamen vorzugsweise aus Syrien ^11. Die
Ballettänzer und die Musiker sowie die Gaukler und Possenreißer, welche
Lucius Verus von der - seinerseits in Antiocheia abgemachten -
orientalischen Kampagne nach Rom zurückbrachte, haben in der Geschichte
des italischen Schauspielwesens Epoche gemacht. Mit welcher
Leidenschaft das Publikum in Antiocheia diesem Vergnügen sich hingab,
dafür ist charakteristisch, daß der Überlieferung nach die schwerste
Katastrophe, welche in dieser Periode über Antiocheia gekommen ist, die
Einnahme durch die Perser im Jahre 260, die Bürger der Stadt im Theater
überraschte und von der Höhe des Berges, an welchen dasselbe angelehnt
war, die Pfeile in die Reihen der Zuschauer flogen. In Gaza, der
südlichsten Stadt Syriens, wo das Heidentum an dem berühmten
Marnas-Tempel eine feste Burg besaß, liefen am Ende des 4. Jahrhunderts
bei den Rennspielen die Pferde eines eifrigen Heiden und eines eifrigen
Christen, und als dabei “Christus den Marnas schlug”, da, erzählt der
heilige Hieronymus, ließen zahlreiche Heiden sich taufen.
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^11 Die merkwürdige Reichsbeschreibung aus der Zeit des Constantius (C.
Müller, Geographi Graeci Minores. Bd. 2, S. 513 f.), die einzige
derartige Schrift, worin die gewerblichen Zustände eine gewisse
Berücksichtigung finden, sagt von Syrien in dieser Hinsicht:
“Antiocheia hat alles, was man begehrt, in Fülle, vor allem aber seine
Rennspiele. Rennspiele haben auch Laodikeia, Berytos, Tyros, Kaesareia
(in Palästina). Nach auswärts sendet Laodikeia Jockeys, Tyros und
Berytos Schauspieler, Caesareia Tänzer (pantomimi), Heliopolis am
Libanos Flötenbläser (choraulae), Gaza Musiker (auditores, womit
ακροάματα inkorrekt wiedergegeben ist), Αskalon Ringkämpfer (athletae),
Kastabala (eigentlich schon in Kilikien) Faustkämpfer.”
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In Zügellosigkeit der Sitte wetteiferten zwar die Großstädte des
Römischen Reiches alle; aber der Preis gebührt hierin wahrscheinlich
Antiocheia. Der ehrbare Römer, den der derbe Sittenmaler der
traianischen Zeit schildert, wie er seiner Heimat den Rücken wendet,
weil sie eine Griechenstadt geworden, setzt hinzu, daß von dem Unrat
die Achäer der geringste Teil seien; längst habe der syrische Orontes
sich in den Tiberfluß ergossen und seine Sprache und seine Art, seine
Musikanten, Harfenistinnen, Triangelschlägerinnen und die Scharen
seiner Freudenmädchen über Rom ergossen. Von der syrischen Flötistin,
der Ambubaia ^12, sprachen die Römer Augusts wie wir von der Pariser
Kokotte. In den syrischen Städten, sagt schon in der letzten Zeit der
römischen Republik Poseidonios, ein bedeutender, selbst in dem
syrischen Apameia heimischer Schriftsteller, haben die Bürger der
harten Arbeit sich entwöhnt; man denkt dort nur an Schmausen und
Zechen, und alle Reunionen und Kränzchen dienen diesem Zweck; an der
königlichen Tafel wird jedem Gast ein Kranz aufgesetzt und dieser dann
mit babylonischen Parfüms besprengt; Flötenspiel und Harfenschlagen
schallt durch die Gassen; die Turnanstalten sind in Warmbäder
verwandelt - mit letzterem ist die wahrscheinlich in Syrien zuerst
aufgekommene und späterhin allgemein gewordene Einrichtung der
sogenannten Thermen gemeint, die im wesentlichen eine Verbindung von
Turn- und Warmbadanstalten waren. Vierhundert Jahre später ging es in
Antiocheia nicht anders zu. Nicht so sehr um des Kaisers Bart entspann
sich der Zank zwischen Julian und diesen Städtern, sondern weil er in
dieser Stadt der Kneipen, die, wie er sich ausdrückt, nichts im Sinne
habe als Tanzen und Trinken, den Wirten die Preise regulierte. Von
dieser wüsten und sinnlichen Wirtschaft ist auch und vor allem das
religiöse Wesen der syrischen Landschaft durchdrungen. Der Kultus der
syrischen Götter war oft eine Sukkursale des syrischen Bordells ^13.
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^12 Von dem syrischen Wort abbuba Pfeife.
^13 Das Schriftchen Lukians von der zu Hierapolis vom ganzen Orient
verehrten syrischen Göttin gibt eine Probe der wilden und wollüstigen
Fabulierung, welche dem syrischen Kultus eigen ist. In dieser Erzählung
- der Quelle von Wielands ‘Kombabus’ - wird die Selbstverstümmelung
ironisiert, wie sie den Frommen als ein Akt hoher Moralität und
gottseligen Glaubens galt.
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Es würde ungerecht sein, die römische Regierung für diese syrischen
Zustände verantwortlich zu machen; sie sind dieselben unter dem
Diadochenregiment gewesen und auf die Römer nur vererbt. Aber in der
Geschichte dieser Zeit ist das syrohellenische Element ein wesentlicher
Faktor, und obwohl sein indirekter Einfluß bei weitem mehr ins Gewicht
fällt, hat dasselbe doch auch mehrfach unmittelbar in der Politik sich
bemerklich gemacht. Von eigentlicher politischer Parteiung kann bei den
Antiochenern dieser und jeder Zeit noch weniger die Rede sein als bei
den Bürgerschaften der übrigen Großstädte des Reiches; aber im Mokieren
und Räsonnieren haben sie es allem Anschein nach allen übrigen, selbst
den auch hierin mit ihnen wetteifernden Alexandrinern zuvorgetan.
Revolution gemacht haben sie nie, aber jeden Prätendenten, den die
syrische Armee aufstellte, bereitwillig und ernstlich unterstützt, den
Vespasianus gegen Vitellius, den Cassius gegen Marcus, den Niger gegen
Severus, immer bereit, wo sie Rückhalt zu haben meinten, der
bestehenden Regierung den Gehorsam aufzukündigen. Das einzige Talent,
das ihnen unwidersprochen zukommt, die Meisterschaft des Spottens,
übten sie nicht bloß gegen die Schauspieler ihrer Bühne, sondern nicht
minder gegen die in der Residenz des Orients verweilenden Herrscher,
und der Spott war ganz der gleiche gegen den Akteur wie gegen den
Kaiser: er galt der persönlichen Erscheinung und den individuellen
Eigentümlichkeiten, gleich als ob ihr Landesherr auch nur da sei, um
sie mit seiner Rolle zu amüsieren. So bestand zwischen dem Publikum von
Antiocheia und den Herrschern, namentlich denjenigen, die längere Zeit
daselbst verweilten, Hadrian, Verus, Marcus, Severus, Julian, sozusagen
ein dauernder Hohnkrieg, aus welchem ein Aktenstück, die Replik des
letztgenannten Kaisers gegen die antiochenischen “Bartspötter”, noch
heute erhalten ist. Wenn dieser kaiserliche Literat den Spottreden mit
Spottschriften begegnete, so haben zu anderen Zeiten die Antiochener
ihre schlimmen Reden und ihre übrigen Sünden schwerer zu büßen gehabt.
So entzog ihnen Hadrian das Recht der Silberprägung, Marcus das
Versammlungsrecht und schloß auf einige Zeit das Theater. Severus nahm
sogar der Stadt den Primat von Syrien und übertrug diesen auf das in
stetem Nachbarkrieg mit der Hauptstadt stehende Laodikeia; und wenn
diese beiden Anordnungen bald wieder zurückgenommen wurden, so ist die
Teilung der Provinz, welche bereits Hadrian angedroht hatte, unter
Severus, wie gesagt ward, zur Ausführung gekommen, und nicht zum
wenigsten deswegen, weil die Regierung die unbotmäßige Großstadt
demütigen wollte. Selbst den schließlichen Untergang hat diese Stadt
sich herangespottet. Als im Jahre 540 der Perserkönig Chosroes
Nuschirwan vor den Mauern Antiocheias erschien, wurde er von den Zinnen
derselben nicht bloß mit Pfeilschüssen empfangen, sondern mit den
üblichen unflätigen Spottrufen; und dadurch gereizt, erstürmte der
König nicht bloß die Stadt, sondern führte auch ihre Einwohner hinweg
in das von ihm unweit Ktesiphon angelegte Neu-Antiocheia.
Die glänzende Seite der syrischen Zustände ist die ökonomische; in
Fabrikation und Handel nimmt Syrien neben Ägypten unter den Provinzen
des römischen Kaiserreichs den ersten Platz ein und behauptet in
gewisser Beziehung auch vor Ägypten den Vorrang. Die Bodenkultur gedieh
unter dem dauernden Friedensstand und unter der einsichtigen,
namentlich auf Hebung der Bewässerung gerichteten Verwaltung in einem
Umfang, der die heutige Zivilisation beschämt. Freilich sind manche
Teile Syriens noch heute von üppigster Fülle; das Tal des unteren
Orontes, den reichen Garten um Tripolis mit seinen Palmengruppen,
Orangenhainen, Granat- und Jasmingebüschen, die fruchtbare Küstenebene
nord- und südwärts von Gaza haben weder die Beduinen noch die Paschas
bis jetzt vermocht zu veröden. Aber ihr Werk ist dennoch nicht gering
anzuschlagen. Apameia im mittleren Tal des Orontes, jetzt eine
Felsenwildnis ohne Fluren und Bäume, wo die dürftigen Herden auf den
spärlichen Weideplätzen von den Räubern des Gebirges dezimiert werden,
ist weit und breit mit Ruinen besät, und es ist urkundlich bezeugt, daß
unter dem Statthalter Syriens Quirinius, demselben, den die Evangelien
nennen, diese Stadt mit Einschluß des Gebiets 117000 freie Einwohner
gezählt hat. Ohne Frage ist einst das ganze Tal des wasserreichen
Orontes - schon bei Hemesa ist er 30 bis 40 Meter breit und 1½ bis 3
Meter tief - eine große Kulturstätte gewesen. Aber auch von den
Strichen, die jetzt völlige Wüste sind und wo dem heutigen Reisenden
das Leben und Gedeihen des Menschen unmöglich scheint, war ein
beträchtlicher Teil ehemals das Arbeitsfeld rühriger Arme. Östlich von
Hemesa, wo jetzt kein grünes Blatt und kein Tropfen Wasser ist, haben
sich massenweise die schweren Basaltplatten ehemaliger Ölpressen
gefunden. Während heute nur in den quelligen Tälern des Libanos
spärliche Oliven wachsen, müssen einst die Ölwälder weit über das
Orontestal hinausgegangen sein. Wer jetzt von Hemesa nach Palmyra
reist, führt das Wasser auf dem Rücken der Kamele mit sich, und diese
ganze Wegstrecke ist bedeckt mit den Resten einstmaliger Villen und
Dörfer ^14. Den Marsch Aurelians auf dieser Strecke vermöchte jetzt
keine Armee zu unternehmen. Von dem, was heutzutage Wüste heißt, ist
ein guter Teil vielmehr Verwüstung der gesegneten Arbeit besserer
Zeiten. “Ganz Syrien”, sagt eine Erdbeschreibung aus der Mitte des 4.
Jahrhunderts, “hat Überfluß an Getreide, Wein und Öl.” Aber ein
eigentliches Exportland für die Bodenfrüchte, wie Ägypten und Afrika,
ist Syrien auch im Altertum nicht gewesen, wenn auch die edlen Weine,
zum Beispiel der von Damaskos nach Persien, die von Laodikeia, Askalon,
Gaza nach Ägypten und von da aus bis nach Äthiopien und Indien versandt
wurden, und auch die Römer den Wein von Byblos, von Tyros, von Gaza zu
schätzen wußten.
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^14 Der österreichische Ingenieur Joseph Tschernik (Ergänzungsheft 44
zu Petermanns geographischen Mittheilungen, 1875, S. 3, 9) fand
Basaltplatten von Ölpressen nicht bloß auf dem wüsten Plateau bei
Kala’at el-Hossn zwischen Hemesa und dem Meer, sondern auch in der Zahl
von über zwanzig östlich von Hemesa bei el-Ferklûs, wo der Basalt
selbst nicht vorkommt, sowie ebendaselbst zahlreiche gemauerte
Terrassen und Ruinenhügel; Terrassierungen auf der ganzen Strecke von
16 Meilen zwischen Hemesa und Palmyra. K. E. Sachau (Reise in Syrien
und Mesopotamien. Leipzig 1883, S. 23, 55) fand Reste von
Wasserleitungen an verschiedenen Stellen der Straße von Damaskos nach
Palmyra. Die in den Fels gehauenen Zisternen von Arados, deren schon
Strabon (16, 2, 13 p. 753) gedenkt, tun noch heute ihren Dienst (J. E.
Renan, Mission de Phénicie. Paris 1874, S. 40).
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Weit mehr ins Gewicht fielen für die allgemeine Stellung der Provinz
die syrischen Fabriken. Eine Reihe von Industrien, die eben für den
Export in Betracht kommen, sind hier heimisch, insbesondere von Leinen,
von Purpur, von Seide, von Glas. Die Flachsweberei, von alters her in
Babylonien zu Hause, ist von da früh nach Syrien verpflanzt worden;
“ihr Leinen”, sagt jene Erdbeschreibung, “versenden Skytopolis (in
Palästina), Laodikeia, Byblos, Tyros, Berytos in die ganze Welt”, und
in dem Tarifgesetz Diocletians werden dem entsprechend als feine
Leinenwaren die der drei erstgenannten Städte neben denen des
benachbarten Tarsos und ägyptischen aufgeführt, und die syrischen haben
vor allen den Vorrang. Daß der Purpur von Tyros, so viele Konkurrenten
ihm auch entstanden, stets den ersten Platz behauptet hat, ist bekannt;
und neben der tyrischen gab es in Syrien zahlreiche ebenfalls berühmte
Purpurfärbereien an der Küste ober- und unterhalb Tyros, in Sarepta,
Dora, Caesarea, selbst im Binnenland, in dem palästinensischen Neapolis
und in Lydda. Die Rohseide kam in dieser Epoche aus China und
vorzugsweise über das Kaspische Meer, also nach Syrien; verarbeitet
ward sie hauptsächlich in den Fabriken von Berytos und von Tyros, in
welchem letzteren Orte besonders auch die viel gebrauchte und hoch
bezahlte Purpurseide hergestellt ward. Die Glasfabriken von Sidon
behaupteten in der Kaiserzeit ihren uralten Ruf, und zahlreiche
Glasgefäße unserer Museen tragen den Stempel eines sidonischen
Fabrikanten. Zu dem Vertrieb dieser Waren, die ihrer Natur nach dem
Weltmarkt angehörten, kam weiter die ganze Warenmasse, welche aus dem
Orient auf den Euphratstraßen in das Abendland gelangte. Freilich
wendete der arabische und der indische Import in dieser Zeit sich von
dieser Straße ab und nahm hauptsächlich den Weg über Ägypten; aber
nicht bloß der mesopotamische Verkehr blieb notwendig den Syrern,
sondern es standen auch die Emporien der Euphratmündung in regelmäßigem
Karawanenverkehr mit Palmyra und bedienten sich also der syrischen
Häfen. Wie bedeutend dieser Verkehr mit den östlichen Nachbarn war,
zeigt nichts so deutlich wie die gleichartige Silberprägung im
römischen Orient und im parthischen Babylonien; in den Provinzen Syrien
und Kappadokien prägte die römische Regierung Silber, abweichend von
der Reichswährung, auf die Sorten und auf den Fuß des Nachbarreiches.
Die syrische Fabrikation selbst, zum Beispiel von Leinen und Seide, ist
eben durch den Import der gleichartigen babylonischen Handelsartikel
angeregt worden, und wie diese, so sind auch die Leder- und die
Pelzwaren, die Salben, die Spezereien, die Sklaven des Orients während
der Kaiserzeit zu einem sehr beträchtlichen Teil über Syrien nach
Italien und überhaupt dem Westen gekommen. Das aber ist diesen Ursitzen
des Handelsverkehrs immer geblieben, daß die sidonischen Männer und
ihre Landesgenossen, hierhin sehr verschieden von den Ägyptern, ihre
Waren nicht bloß den Ausländern verkauften, sondern sie ihnen selber
brachten, und wie die Schiffskapitäne in Syrien einen hervorragenden
und geachteten Stand bildeten ^15, so waren syrische Kaufleute und
syrische Faktoreien in der Kaiserzeit ungefähr ebenso überall zu finden
wie in den fernen Zeiten, von denen Homer erzählt. Die Tyrier hatten
derzeit Faktoreien in den beiden großen Importhäfen Italiens, Ostia und
Puteoli, und wie diese selbst in ihren Urkunden ihre Anstalten als die
größten und stattlichsten dieser Art bezeichnen, so wird in der öfter
angeführten Erdbeschreibung Tyros für Handel und Verkehr der erste
Platz des Orients genannt ^16; ebenso hebt Strabon bei Tyros und bei
Arados die ungewöhnlich hohen, aus vielen Stockwerken bestehenden
Häuser als eine Besonderheit hervor. Ähnliche Faktoreien haben auch
Berytos und Damaskos und gewiß noch viele andere syrische und
phönikische Handelsstädte in den italienischen Häfen gehabt ^17. Dem
entsprechend finden wir namentlich in der späteren Kaiserzeit syrische,
vornehmlich apamenische Kaufleute nicht bloß in ganz Italien ansässig,
sondern ebenso in allen größeren Emporien des Okzidents, in Salonae in
Dalmatien, Apulum in Dakien, Malaca in Spanien, vor allem aber in
Gallien und Germanien, zum Beispiel in Bordeaux, Lyon, Paris, Orleans,
Trier, so daß wie die Juden so auch diese syrischen Christen nach ihren
Gebräuchen leben und in ihren Konventen sich ihres Griechischen
bedienen ^18. Nur auf dieser Grundlage werden die früher geschilderten
Zustände der Antiochener und der syrischen Städte überhaupt
verständlich. Die vornehme Welt daselbst besteht aus den reichen
Fabrikanten und Kaufleuten, die Masse der Bevölkerung sind die Arbeiter
und die Schiffer ^19, und wie später der im Orient erworbene Reichtum
nach Genua und Venedig, so strömte damals der Handelsgewinn des
Okzidents zurück nach Tyros und Apameia. Bei dem ausgedehnten
Handelsgebiet, welches diesen Großhändlern offenstand, und bei den im
ganzen mäßigen Grenz- und Binnenzöllen brachte schon der syrische,
einen großen Teil der gewinnbringendsten und transportabelsten Artikel
umfassende Export ungeheure Kapitalien in ihre Hände; und ihr Geschäft
beschränkte sich nicht auf die heimatlichen Waren ^20. Welches
Wohlleben einstmals hier geherrscht hat, das lehren nicht die dürftigen
Überbleibsel der untergegangenen großen Städte, aber die mehr
verlassene als verwüstete Landschaft am rechten Ufer des Orontes von
Apameia an bis zu der Wendung des Flusses gegen das Meer. In diesem
Strich von etwa 20 bis 25 deutschen Meilen Länge stehen heute noch die
Ruinen von gegen hundert Ortschaften, ganze noch erkennbare Straßen,
die Gebäude, mit Ausnahme der Dächer, ausgeführt in massivem Steinbau,
die Wohnhäuser von Säulenhallen umgeben, mit Galerien und Balkonen
geschmückt, Fenster und Portale reich und oft geschmackvoll dekoriert
mit Steinarabesken, dazu Garten- und Badeanlagen, Wirtschaftsräume im
Erdgeschoß, Ställe, in den Felsen gehauene Wein- und Ölpressen ^21,
auch große, ebenfalls in den Felsen gehauene Grabkammern mit
Sarkophagen gefüllt und mit säulengeschmückten Eingängen. Spuren
öffentlichen Lebens begegnen nirgends; es sind die Landwohnungen der
Kaufleute und der Industriellen von Apameia und Antiocheia, deren
gesicherter Wohlstand und solider Lebensgenuß aus diesen Trümmern
spricht. Es gehören diese Ansiedlungen völlig gleichförmigen Charakters
durchaus der späten Kaiserzeit an, die ältesten dem Anfang des vierten
Jahrhunderts, die spätesten der Mitte des sechsten, unmittelbar vor dem
Ansturm des Islam, dem auch dieses blühende und gedeihliche Leben
erlegen ist. Christliche Symbole und biblische Sprüche begegnen überall
und ebenso stattliche Kirchen und kirchliche Anlagen. Indes hat diese
Kulturentwicklung nicht erst unter Konstantin begonnen, sondern in
jenen Jahrhunderten nur sich gesteigert und konsolidiert. Sicher sind
jenen Steinbauten ähnliche, weniger dauerhafte Villen- und
Gartenanlagen vorausgegangen. Die Regeneration des Reichsregiments nach
den wüsten Wirren des dritten Jahrhunderts drückt in dem Aufschwung
sich aus, den die syrische Kaufmannswelt damals nahm; aber bis zu einem
gewissen Grade wird dies uns gebliebene Abbild derselben auch auf die
frühere Kaiserzeit bezogen werden dürfen.
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15 In Arados, einer zu Strabons Zeit (16, 2, 13 p. 753) sehr
volkreichen Stadt, erscheint unter Augustus ein πρόβουλος τών
ναυαρχησάνιων (CIG 4736 h, besser bei Renan, Mission de Phιnicie, S.
31).
16 Totius orbis descriptio c. 24: nulla forte civitas Orientis est eius
spissior in negotio. Die Urkunden der statio (CIG 5853; CIL X, 1601)
geben von diesen Faktoreien ein lebendiges Bild. Sie dienen zunächst
religiösen Zwecken, das heißt für den Kult der tyrischen Götter am
fremden Ort; zu diesem Zwecke wird in der größeren Station von Ostia
von den tyrischen Schiffern und Kaufleuten eine Abgabe erhoben und aus
deren Ertrag der kleineren ein jährlicher Zuschuß von 1000 Sesterzen
gewährt, der für die Miete des Lokals verwendet wird; die übrigen
Kosten werden von den Tyriern in Puteoli, ohne Zweifel durch
freiwillige Beiträge, aufgebracht.
17 Für Berytos beweist dies die Puteolaner Inschrift CIL X,1634; für
Damaskos legt es die dem Jupiter optimus maximus Damascensus daselbst
gesetzte X, 1576 wenigstens nahe.
Übrigens zeigt sich auch hier, mit wie gutem Grund Puteoli Klein-Delos
heißt. Auf Delos begegnen in der letzten Zeit seiner Blüte, das heißt
etwa in dem Jahrhundert vor dem Mithradatischen Krieg, die syrischen
Faktoreien und die syrischen Kulte in ganz gleicher Weise und in noch
größerer Fülle: wir finden dort die Gilde der Herakleisten von Tyros
(τό κοινόν τών Τυρίων Ηρακλειστών εμπόρων καί ναυκλήρων CIG 2271), der
Poseidoniasten von Berytos (τό κοινόν Βηρυτίων Ποσειδωνιαστών εμπόρων
καί ναυκλήρων καί εγδοχέων, BCH 7, 1883, S. 468), der Verehrer des Adad
und der Atargatis von Hierapolis (BCH 6, 1882, S. 495f.), abgesehen von
den zahlreichen Denksteinen syrischer Kaufleute. Vgl. Homolle, BCH 8,
1884, S. 110f.
18 Indem Salvianus (gegen 450) den gallischen Christen zu Gemüte führt,
daß sie um nichts besser seien als die Heiden, weist er hin (gub. 4,
14, 69) auf die nichtswürdigen negotiatorum et Syricorum omnium turbae,
quae maiorem ferme civitatum universarum partem occupaverunt. Gregor
von Tours erzählt, daß König Guntchram in Orleans von der gesamten
Bürgerschaft eingeholt wird und gefeiert, wie in lateinischer Sprache
so auch auf hebräisch und auf syrisch (8, 1: hinc lingua Syrorum, hinc
Latinorum, hinc … Judaeorum in diversis laudibus varie concrepabat) und
daß nach Erledigung des Bischofsitzes von Paris ein syrischer Kaufmann
denselben sich zu verschaffen wußte und die dazu gehörigen Stellen an
seine Landsleute vergab (10, 26: omnem scholam decessoris sui abiciens
Syros de genere suo ecclesiasticae domui ministros esse statuit).
Sidonius (um 450) schildert die verkehrte Welt von Ravenna (epist. 1,
8) mit den Worten: fenerantur clerici, Syri psallunt ; negotiatores
militant, monachi negotiantur. Usque hodie, sagt Hieronymus (in Ezech.
27, vol. 5 p. 513 Vall.) permanet in Syris ingenitus negotiationis
ardor, qui per totum mundum lucri cupiditate discurrunt et tantam
mercandi habent vesaniam, ut occupato nunc orbe Romano (geschrieben
gegen Ende des 4. Jahrhunderts) inter gladios et miserorum neces
quaerant divitias et paupertatem periculis fugiant. Andere Belege gibt
L. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms. Bd. 2, 5.
Aufl. S. 67. Ohne Bedenken wird man die zahlreichen Inschriften des
Okzidents hinzufügen dürfen, welche von Syrern herrühren, auch wenn
diese sich nicht ausdrücklich als Kaufleute bezeichnen. Belehrend ist
dafür das Coemeterium der kleinen norditalischen Landstadt Concordia
aus dem 5. Jahrhundert; die auf demselben bestatteten Ausländer sind
alle Syrer, meist Apamener (CIL III, p. 1060); ebenso gehören alle in
Trier gefundenen griechischen Inschriften Syrern (CIG 9891, 9892,
9893). Diese Inschriften sind nicht bloß in syrischer Weise datiert,
sondern zeigen auch Besonderheiten des dortigen dialektischen
Griechisch (Hermes 19, 1884, S. 423).
Daß diese syrisch-christliche, zu dem Gegensatz des orientalischen und
okzidentalischen Klerus in Beziehung stehende Diaspora mit der
jüdischen nicht zusammengeworfen werden darf, zeigt der Bericht bei
Gregorius deutlich; sie hat offenbar viel höher gestanden und
durchgängig den besseren Ständen angehört.
19 Das ist zum Teil noch heute so. Die Zahl der Seidenarbeiter in Höms
wird auf 3000 angeschlagen (Tschernik a. a. O.)
^20 Eine der ältesten, das heißt nach Severus und vor Diocletian
gesetzten Grabschriften dieser Art ist die lateinisch-griechische,
unweit Lyon gefundene (Wilmanns 2498 vgl. Lebas-Waddington 2329) eines
Θαίμος ο καί Ιουλιανός Σαάδου (lateinisch Thaemus Iulianus Sati fil.),
gebürtig aus Atheila (de vico Athelani) unweit Kanatha in Syrien (noch
jetzt ‘Atîl unweit Kanawât im Hauran) und Decurio in Kanatha, ansässig
in Lyon (πάτραν λείπων ήκε τώδ' επί χώρω) und hier Großhändler für
aquitanische Waren (ες πράσιν έχων ενπόριον αγορασμών μεστον εκ
Ακουιτανίης ώδ' επί Λουγουδυνοίω - negotiatori Luguduni et prov.
Aquitanica). Danach müssen diese syrischen Kaufleute nicht allein mit
syrischen Waren gehandelt, sondern mit ihrem Kapital und ihrer
Geschäftskenntnis den Großhandel überhaupt betrieben haben.
^21 Charakteristisch ist das lateinische Epigramm an einem Kelterhause
CIL III, 188 in dieser Heimat der “apamenischen Traube” (vita Elagabali
c. 21).
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Die Verhältnisse der Juden in der römischen Kaiserzeit sind so
eigenartig und man möchte sagen so wenig abhängig von der Provinz, die
in der früheren Kaiserzeit mit ihrem, in der späteren vielmehr mit dem
wiedererweckten Namen der Philistäer oder Palästinenser benannt ward,
daß es, wie schon gesagt ward, angemessen erschien, diese in einem
besonderen Abschnitt zu behandeln. Das Wenige, was über das Land
Palästina zu bemerken ist, insbesondere die nicht unbedeutende
Beteiligung der Küsten- und zum Teil auch der binnenländischen Städte
an der syrischen Industrie und dem syrischen Handel, ist in der darüber
gegebenen Auseinandersetzung miterwähnt worden. Die jüdische Diaspora
hatte schon vor der Zerstörung des Tempels sich in einer Weise
erweitert, daß Jerusalem, auch als es noch stand, mehr ein Symbol als
eine Heimat war, ungefähr wie die Stadt Rom für die sogenannten
römischen Bürger der späteren Zeit. Die Juden von Antiocheia und
Alexandreia und die zahlreichen ähnlichen Gemeinschaften minderen
Rechts und geringeren Ansehens haben sich selbstverständlich an dem
Handel und Verkehr ihrer Wohnsitze beteiligt. Ihr Judentum kommt dabei
nur etwa insofern in Betracht, als die Gefühle gegenseitigen Hasses und
gegenseitiger Verachtung, wie sie seit Zerstörung des Tempels und den
mehrfach sich wiederholenden national-religiösen Kriegen zwischen Juden
und Nichtjuden sich entwickelt oder vielmehr gesteigert hatten, auch in
diesen Kreisen ihre Wirkung geübt haben werden. Da die im Ausland sich
aufhaltenden syrischen Kaufleute sich zunächst für den Kultus ihrer
heimatlichen Gottheiten zusammenfanden, so kann der syrische Jude in
Puteoli den dortigen syrischen Kaufmannsgilden nicht wohl angehört
haben; und wenn der Kult der syrischen Götter im Ausland mehr und mehr
Anklang fand, so zog, was den übrigen Syrern zugute kam, zwischen den
mosaisch-gläubigen Syrern und den Italikern eine Schranke mehr.
Schlossen sich diejenigen Juden, die eine Heimat außer Palästina
gefunden hatten, außerhalb derselben nicht ihren Wohnsitz-, sondern
ihren Religionsgenossen an, wie das nicht hat anders sein können, so
verzichteten sie damit auf die Geltung und die Duldung, welche den
Alexandrinern und den Antiochenern und so weiter im Ausland
entgegenkam, und wurden genommen, wie sie sich gaben, als Juden. Die
palästinensischen Juden des Okzidents aber waren zum größten Teil nicht
hervorgegangen aus der kaufmännischen Emigration, sondern
kriegsgefangene Leute oder Nachkommen solcher und in jeder Hinsicht
heimatlos; die Pariastellung, welche die Kinder Abrahams vor allem in
der römischen Hauptstadt einnahmen, der Betteljude, dessen Hausrat in
dem Heubündel und dem Schacherkorb besteht und dem kein Verdienst zu
gering und zu gemein ist, knüpft an den Sklavenmarkt an. Unter diesen
Umständen begreift es sich, weshalb im Okzident die Juden während der
Kaiserzeit neben den Syrern eine untergeordnete Rolle gespielt haben.
Die religiöse Gemeinschaft der kaufmännischen und der
Proletariereinwanderung drückte auf die Gesamtheit der Juden noch neben
der allgemeinen mit ihrer Stellung verbundenen Zurücksetzung. Mit
Palästina aber hat jene wie diese Diaspora wenig zu schaffen.
Es bleibt noch ein Grenzgebiet zu betrachten, von dem nicht häufig die
Rede ist und das dennoch wohl Berücksichtigung verdient: es ist die
römische Provinz Arabia. Sie führt ihren Namen mit Unrecht; der Kaiser,
der sie eingerichtet hat, Traianus, war ein Mann großer Taten, aber
noch größerer Worte. Die arabische Halbinsel, weiche das Euphratgebiet
wie das Niltal voneinander scheidet, regenarm, ohne Flüsse, allerseits
mit felsiger und hafenarmer Küste, ist für den Ackerbau wie für den
Handel wenig geeignet und in alter Zeit zum weitaus größten Teil den
nicht seßhaften Wüstenbewohnern zum unbestrittenen Erbteil verblieben.
Insonderheit die Römer, welche überhaupt in Asien wie in Ägypten besser
als irgendeine andere der wechselnden Vormächte es verstanden haben,
ihren Besitz zu beschränken, haben niemals auch nur versucht, die
arabische Halbinsel zu unterwerfen. Ihre wenigen Unternehmungen gegen
den südöstlichen Teil derselben, den produktenreichsten und wegen der
Beziehung zu Indien auch für den Handel wichtigsten, werden bei der
Erörterung der ägyptischen Verkehrsverhältnisse ihre Darstellung
finden. Das römische Arabien umfaßt schon als römischer Klientelstaat
und vor allem als römische Provinz nur einen mäßigen Teil vom Norden
der Halbinsel, außerdem aber das Land südlich und östlich von Palästina
zwischen diesem und der großen Wüste bis über Bostra hinaus. Mit diesem
betrachten wir die zu Syrien gehörige Landschaft zwischen Bostra und
Damaskos, die jetzt nach dem Haurângebirge benannt zu werden pflegt,
nach der alten Bezeichnung Trachonitis und Batanaea.
Diese ausgedehnten Gebiete sind für die Zivilisation nur unter
besonderen Verhältnissen zu gewinnen. Das eigentliche Steppenland
(Hamâd) östlich von der Gegend, mit der wir uns hier beschäftigen, bis
zum Euphrat ist nie von den Römern in Besitz genommen worden und aller
Kultur unfähig; nur die schweifenden Wüstenstämme, wie heute zum
Beispiel die Aneze, durchziehen dasselbe, um ihre Rosse und ihre Kamele
im Winter am Euphrat, im Sommer in den Gebirgen südlich von Bostra zu
weiden und oft mehrmals im Jahre die Trift zu wechseln. Schon auf einem
höheren Grade der Kultur stehen westwärts der Steppe die seßhaften
Hirtenstämme, die namentlich Schafzucht in großer Ausdehnung betreiben.
Aber auch für den Ackerbau ist in diesen Strecken vielfach Raum. Die
rote Erde des Haurân, zersetzte Lava, erzeugt im Urzustand viel wilden
Roggen, wilde Gerste und wilden Hafer und bestellt den schönsten
Weizen. Einzelne Tieftäler mitten zwischen den Steinwüsten, wie das
“Saatfeld”, die Ruhbe, in der Trachonitis, sind die fruchtbarsten
Strecken in ganz Syrien; ohne daß gepflügt, geschweige denn gedüngt
wird, trägt der Weizen durchschnittlich achtzig-, die Gerste
hundertfältig und 26 Halme von einem Weizenkorn sind keine Seltenheit.
Dennoch bildet sich hier kein fester Wohnsitz, da in den Sommermonaten
die große Hitze und der Mangel an Wasser und Weide die Bewohner zwingt,
nach den Gebirgsweiden des Haurân zu wandern. Aber auch an Gelegenheit
zu fester Ansiedelung fehlt es nicht. Das von dem Baradâfluß in
vielfachen Armen durchströmte Gartenrevier um die Stadt Damaskos und
die fruchtbaren, noch heute volkreichen Bezirke, die dasselbe nach
Osten, Norden und Süden einschließen, waren in alter wie in neuer Zeit
die Perle Syriens. Die Ebene um Bostra, namentlich westlich davon die
sogenannte Nukra, ist heute für Syrien die Kornkammer, obgleich durch
Regenmangel durchschnittlich jede vierte Ernte verlorengeht und die aus
der nahen Wüste oftmals einbrechenden Heuschrecken eine unvertilgbare
Landplage bleiben. Wo immer die Wasserläufe der Gebirge in die Ebene
geführt werden, blüht unter ihnen das frische Leben auf. “Die
Fruchtbarkeit dieser Landschaft”, sagt ein genauer Kenner, “ist
unerschöpflich; und noch heutigentags, wo die Nomaden dort weder Baum
noch Strauch übrig gelassen haben, gleicht das Land, so weit das Auge
reicht, einem Garten.” Auch auf den Lavaplateaus der gebirgigen
Strecken haben die Lavaströme nicht wenige Stellen (Kâ' im Aurân
genannt) für den Anbau freigelassen.
Diese Naturbeschaffenheit hat regelmäßig die Landschaft den Hirten und
den Räubern überliefert. Die notwendige Unstetigkeit eines großen Teils
der Bevölkerung führt zu ewigen Fehden namentlich um die Weideplätze
und zu stetigen Überfällen derjenigen Gegenden, die sich für feste
Ansiedlung eignen; mehr noch als anderswo bedarf es hier der Bildung
solcher staatlicher Gewalten, die imstande sind, in weiterem Umfange
Ruhe und Frieden zu schaffen, und für diese fehlt in der Bevölkerung
die rechte Unterlage. Es gibt in der weiten Welt kaum eine Landschaft,
wo gleich wie in dieser die Zivilisation nicht aus sich selbst
erwachsen, sondern allein durch übermächtige Eroberung von außen her
ins Leben gerufen werden kann. Wenn Militärstationen die schweifenden
Stämme der Wüste eindämmen und diejenigen innerhalb der Kulturgrenze
zum friedlichen Hirtenleben zwingen, wenn in die kulturfähigen Gegenden
Kolonisten geführt und die Wasser der Berge von Menschenhand in die
Ebene geleitet werden, so, aber auch nur so, gedeiht hier fröhliches
und reichliches Leben.
Die vorrömische Zeit hatte diesen Landschaften solchen Segen nicht
gebracht. Die Bewohner des gesamten Gebiets gehören bis gegen Damaskos
hin zu dem arabischen Zweig des großen semitischen Stammes; die
Personennamen wenigstens sind durchgängig arabisch. Es begegneten sich
in demselben, wie in dem nördlichen Syrien, orientalische und
okzidentalische Zivilisation; doch hatten bis zu der Kaiserzeit beide
nur geringe Fortschritte gemacht. Die Sprache und die Schrift, deren
die Nabatäer sich bedienen, sind die Syriens und der Euphratländer und
können nur von dort her den Eingeborenen zugekommen sein. Andererseits
erstreckte die griechische Festsetzung in Syrien sich zum Teil
wenigstens auch auf diese Landschaften. Die große Handelsstadt Damaskos
war mit dem übrigen Syrien griechisch geworden. Auch in das
transjordanische Gebiet, insbesondere in die nördliche Dekapolis hatten
die Seleukiden die griechische Städtegründung getragen; weiter südlich
war hier wenigstens das alte Rabbath Ammon durch die Lagiden die Stadt
Philadelpheia geworden. Aber weiter abwärts und in den östlichen, an
die Wüste grenzenden Strichen hatten die nabatäischen Könige nicht viel
mehr als dem Namen nach den syrischen oder den ägyptischen Alexandriden
gehorcht, und Münzen oder Inschriften und Bauwerke, welche dem
vorrömischen Hellenismus beigelegt werden könnten, sind hier nirgends
zum Vorschein gekommen.
Als Syrien römisch ward, war Pompeius bemüht, das hellenische
Städtewesen, das er vorfand, zu festigen; wie denn die Städte der
Dekapolis späterhin von dem Jahre 690/1 (64/63), in dem Palästina zum
Reich gekommen war, ihre Jahre zählten ^22. Hauptsächlich aber blieb in
diesem Gebiet das Regiment wie die Zivilisierung den beiden
Vasallenstaaten, dem jüdischen und dem arabischen, überlassen.
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^22 Daß die Dekapolis und die Reorganisation des Pompeius wenigstens
bis nach Kanata (Kerak) nordwestlich von Bostra reichte, steht durch
die Zeugnisse der Schriftsteller und durch die nach der pompeianischen
Ära datierten Münzen fest (Waddington zu 2412 d). Wahrscheinlich
gehören derselben Stadt die Münzen mit dem Namen Γαβείνια Κάναθα und
Daten derselben Ära (Reichard, Zeitschrift für Numismatik 7,1880, S.
53); es würde danach dieser Ort zu den zahlreichen von Gabinius
restituierten gehören (Ios. ant. Iud. 14, 5, 3). Waddington freilich
(zu 2329) gibt diese Münzen, so weit er sie kannte, dem zweiten Ort
dieses Namens, dem heutigen Kanawât, der eigentlichen Hauptstadt des
Haurân, nordwärts von Bostra; aber es ist wenig wahrscheinlich, daß
Pompeius’ und Gabinius’ Organisation sich so weit ostwärts erstreckt
hat. Vermutlich ist diese zweite Stadt jünger und benannt nach der
ersten, der östlichsten der Dekapolis.
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Von dem König der Juden, Herodes und seinem Hause, wird anderweitig
noch die Rede sein; hier haben wir seiner Tätigkeit zu gedenken für die
Ausdehnung der Zivilisation gegen Osten. Sein Herrschaftsgebiet
erstreckte sich über beide Ufer des Jordan in seiner ganzen Ausdehnung,
nordwärts bis wenigstens nach Chelbon, nordwestlich von Damaskos,
südlich bis an das Tote Meer, während die Landschaft weiter östlich
zwischen seinem Reich und der Wüste dem Araberkönig überwiesen war. Er
und seine Nachkommen, die hier noch nach der Einziehung der Herrschaft
von Jerusalem bis auf Traian das Regiment führten und späterhin in
Ceasarea Paneas im südlichen Libanos residierten, waren energisch
bemüht, die Eingeborenen zu zähmen. Die ältesten Zeugnisse einer
gewissen Kultur in diesen Gegenden sind wohl die Höhlenstädte, von
denen im Buch der Richter die Rede ist, große unterirdische, durch
Luftlöcher bewohnbar gemachte Samtverstecke mit Gassen und Brunnen,
geeignet, Menschen und Herden zu bergen, schwer zu finden und auch
gefunden schwer zu bezwingen. Ihr bloßes Dasein zeigt die
Vergewaltigung der friedlichen Bewohner durch die unsteten Söhne der
Steppe. “Diese Striche”, sagt Josephus, wo er die Zustände im Haurân
unter Augustus schildert, “wurden bewohnt von wilden Stämmen ohne
Städte und ohne feste Äcker, welche mit ihren Herden unter der Erde in
Höhlen mit schmalem Eingang und weiten verschlungenen Gassen hausten,
aber mit Wasser und Vorräten reichlich versehen, schwer zu bezwingen
waren.” Einzelne dieser Höhlenstädte fassen bis 400 Köpfe. Ein
merkwürdiges Edikt des ersten oder zweiten Agrippa, wovon sich
Bruchstücke in Kanatha (Kanawât) gefunden haben, fordert die Einwohner
auf, von ihren “Tierzuständen” zu lassen und das Höhlenleben mit
zivilisierter Existenz zu vertauschen. Die nicht ansässigen Araber
lebten hauptsächlich vom Ausplündern teils der benachbarten Bauern,
teils der durchziehenden Karawanen; die Unsicherheit wurde dadurch
gesteigert, daß der kleine Fürst Zenodoros von Abila nordwärts Damaskos
im Antilibanos, dem Augustus die Aufsicht über den Trachon übertragen
hatte, es vorzog, mit den Räubern gemeinschaftliche Sache zu machen,
und sich an ihrem Gewinn im stillen beteiligte. Eben infolgedessen wies
der Kaiser dies Gebiet dem Herodes zu, und dessen rücksichtsloser
Energie gelang einigermaßen die Bändigung dieser Räuberwirtschaft. Der
König scheint an der Ostgrenze eine Linie befestigter und königlichen
Kommandanten (έπαρχοι) unterstellter Militärposten eingerichtet zu
haben. Er hätte noch mehr erreicht, wenn das nabatäische Gebiet den
Räubern nicht eine Freistatt geboten hätte; es war dies eine der
Ursachen der Entzweiung zwischen ihm und seinem arabischen Kollegen
^23. Die hellenisierende Tendenz tritt auf diesem Gebiete ebenso stark
und minder unerfreulich hervor wie in seinem Regiment in der Heimat.
Wie alle Münzen des Herodes und der Herodeer griechisch sind, so trägt
im transjordanischen Land zwar das älteste Denkmal mit Inschrift, das
wir kennen, der Tempel des Baalsamin bei Kanatha, eine aramäische
Dedikation; aber die dort aufgestellten Ehrenbasen, darunter eine für
Herodes den Großen ^24, sind zweisprachig oder bloß griechisch; unter
seinen Nachfolgern herrscht das Griechische allein.
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^23 Die “flüchtigen Leute aus der Tetrarchie des Philippos”, welche im
Heer des Tetrarchen von Galiläa Herodes Antipas dienen und in der
Schlacht gegen den Araber Aretas zum Feinde übergehen (Ios. ant. Iud.
18, 5, 1), sind ohne Zweifel auch aus der Trachonitis ausgetriebene
Araber.
^24 Waddington 2366 = Vogue, Inscriptions du Haouran, n. 3.
Zweisprachig ist auch die älteste Grabschrift dieser Gegend aus Suweda,
Waddington 2320 = Vogue n. 1, die einzige im Haurân, die das stumme
Jota ausdrückt. Die Aufschriften sind auf beiden Denkmälern so
angebracht, daß nicht zu bestimmen ist, welche Sprache voransteht.
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Neben dem jüdischen stand der schon früher erwähnte “König von Nabat”,
wie er selber sich nennt. Die Residenz dieser Araberfürsten war die
“Felsenstadt”, aramäisch Sela, griechisch Petra, eine mittwegs zwischen
dem Toten Meere und der nordöstlichen Spitze des Arabischen Meerbusens
gelegene Felsenburg, von jeher ein Stapelplatz für den Verkehr Indiens
und Arabiens mit dem Mittelmeergebiet. Von der arabischen Halbinsel
besaßen diese Herrscher die nördliche Hälfte; ihre Gewalt erstreckte
sich am Arabischen Meerbusen bis nach Leuke Kome gegenüber der
ägyptischen Stadt Berenike, im Binnenland wenigstens bis in die Gegend
des alten Thaema ^25. Nördlich von der Halbinsel reichte ihr Gebiet bis
nach Damaskos, das unter ihrem Schutze stand ^26, und selbst über
Damaskos hinaus ^27 und umschloß wie mit einem Gürtel das gesamte
palästinensische Syrien. Nach der Besitznahme Judäas stießen die Römer
feindlich mit ihnen zusammen, und Marcus Scaurus führte eine Expedition
gegen Petra. Damals ist es nicht zu ihrer Unterwerfung gekommen; aber
bald nachher muß dieselbe erfolgt sein ^28. Unter Augustus ist ihr
König Obodas ebenso reichsuntertänig ^29 wie der Judenkönig Herodes und
leistet gleich diesem Heerfolge bei der römischen Expedition gegen das
südliche Arabien. Seit jener Zeit muß der Schutz der Reichsgrenze im
Süden wie im Osten von Syrien bis hinauf nach Damaskos zunächst in der
Hand dieses Araberkönigs gelegen haben. Mit dem jüdischen Nachbarn lag
er in beständiger Fehde. Augustus, erzürnt darüber, daß der Araber
statt bei dem Lehnsherrn gegen Herodes Recht zu suchen, diesem mit den
Waffen entgegengetreten war und daß des Obodas Sohn Harethath oder
griechisch Aretas nach dem Tode des Vaters, statt die Belehnung
abzuwarten, ohne weiteres die Herrschaft angetreten hatte, war im
Begriff, diesen abzusetzen und sein Gebiet mit dem jüdischen zu
vereinigen; aber das Mißregiment des Herodes in seinen späteren Jahren
hielt ihn davon zurück, und so wurde (um 747 7) Aretas bestätigt.
Einige Dezennien später begann derselbe wieder auf eigene Hand Krieg
gegen seinen Schwiegersohn, den Fürsten von Galiläa, Herodes Antipas,
wegen der Verstoßung seiner Tochter zu Gunsten der schönen Herodias. Er
behielt die Oberhand, aber der erzürnte Lehnsherr Tiberius befahl dem
Statthalter von Syrien die Exekution gegen ihn. Schon waren die Truppen
auf dem Marsche, als Tiberius starb (37); und sein Nachfolger Gaius,
der dem Antipas nicht wohl wollte, verzieh dem Araber. Des Aretas
Nachfolger König Maliku oder Malchos focht unter Nero und Vespasian in
dem Jüdischen Krieg als römischer Vasall und vererbte die Herrschaft
auf seinen Sohn Rabel, den Zeitgenossen Traians, den letzten dieser
Regenten. Namentlich nach der Einziehung des Staates von Jerusalem und
der Reduzierung der ansehnlichen Herrschaft des Herodes auf das wenig
schlagfertige Königreich von Caesarea Paneas war unter den syrischen
Klientelstaaten der arabische der ansehnlichste, wie er denn auch zu
dem Jerusalem belagernden Römerheere unter den königlichen das stärkste
Kontingent stellte. Des Gebrauchs der griechischen Sprache hat dieser
Staat sich auch unter römischer Oberhoheit enthalten; die unter der
Herrschaft seiner Könige geschlagenen Münzen tragen, von Damaskos
abgesehen, nur aramäische Aufschrift. Aber es zeigen sich die Anfänge
geordneter Zustände und zivilisierten Regiments. Die Prägung selbst hat
wahrscheinlich erst begonnen, nachdem der Staat unter römische Klientel
gekommen war. Der arabisch-indische Verkehr mit dem Mittelmeergebiet
bewegt sich zum großen Teil auf der von Leuke Kome über Petra nach Gaza
laufenden, von den Römern überwachten Karawanenstraße ^30. Die Fürsten
des Nabatäerreiches bedienen sich, ähnlich wie die Gemeinde Palmyra,
für die Beamten griechischer Ämterbezeichnungen, wie zum Beispiel des
Eparchen- und des Strategentitels. Wenn unter Tiberius die durch die
Römer bewirkte gute Ordnung Syriens und die durch die militärische
Besetzung herbeigeführte Sicherheit der Ernten rühmend hervorgehoben
wird, so ist dies zunächst zu beziehen auf die in den Klientelstaaten
von Jerusalem oder nachher von Caesarea Paneas und von Petra
getroffenen Einrichtungen.
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^25 Bei Medain Sâlih oder Hidjr, südlich von Teimâ, dem alten Thaema,
sind kürzlich von den Reisenden Doughty und Huber eine Reihe
nabatäischer Inschriften aufgefunden worden, die, großenteils datiert,
von der Zeit des Augustus bis zum Tode Vespasians reichen. Lateinische
Inschriften fehlen, und die wenigen griechischen sind spätester Zeit;
allem Anschein nach ist bei der Umwandlung des Nabatäischen Reiches in
eine römische Provinz, was von dem inneren Arabien zu jenem gehörte,
von den Römern aufgegeben worden.
^26 Die Stadt Damaskos unterwarf sich freiwillig unter den letzten
Seleukiden um die Zeit der Diktatur Sullas dem damaligen König der
Nabatäer, vermutlich dem Aretas mit dem Scaurus schlug (Ios. ant. Iud.
13, 15). Auch die Münzen mit der Aufschrift βασιλεύς Αρέτου φιλέλληνος;
(Eckhel 3, 330; Luynes, Revue numismatique N. S. 3, 1858, S. 311) sind
vielleicht in Damaskos geschlagen, als dies von den Nabatäern abhängig
war; die Jahreszahl auf einer derselben ist zwar nicht mit Sicherheit
bezogen, führt aber vermutlich in die letzte Zeit der römischen
Republik. Wahrscheinlich hat diese Abhängigkeit der Stadt von den
nabatäischen Königen fortbestanden, solange es überhaupt solche gab.
Daraus, daß die Stadt Münzen mit den Köpfen der römischen Kaiser
geprägt hat, folgt wohl die Abhängigkeit von Rom und daneben die
Selbstverwaltung, aber nicht die Unabhängigkeit von dem römischen
Lehnsfürsten; die derartigen Schutzverhältnisse sind so mannigfaltig
gestaltet daß diese Ordnungen wohl sich miteinander vertragen konnten.
Für die Fortdauer des Nabatäerregiments spricht teils, daß der Ethnarch
des Königs Aretas in Damaskos den Apostel Paulus, wie dieser im 2.
Brief an die Korinther (11, 32) schreibt, verhaften lassen wollte,
teils die seit kurzem festgestellte Tatsache (Anm. 27), daß die
Herrschaft der Nabatäer nordöstlich von Damaskos noch unter Traian
fortdauerte.
Indem man umgekehrt davon ausging, daß, wenn Aretas in Damaskos
herrscht, die Stadt nicht römisch sein kann hat man auf verschiedenen
Wegen versucht, jenen Vorgang im Leben des Paulus chronologisch zu
fixieren. Man hat an die Verwicklung zwischen Aretas und der römischen
Regierung in den letzten Jahren des Tiberius gedacht; aber wie diese
verlief, ist es nicht wahrscheinlich, daß sie in dem Besitzstand des
Aretas eine dauernde Veränderung herbeigeführt hat. Melchior de Vogue
(Mélanges d’archéologie orientale. Paris 1869, S. 33) hat darauf
hingewiesen daß zwischen Tiberius und Nero - genauer zwischen den
Jahren 33 und 62 (F. C. Saulcy, Numismatique de la Terre-Sainte. Paris
1874, S. 36) - Kaisermünzen von Damaskos fehlen und das Regiment der
Nabatäer daselbst in diese Zwischenzeit gesetzt, indem er annahm, daß
Kaiser Gaius wie so vielen anderen Lehnsfürsten, auch dem Araber seine
Huld erwiesen und ihn mit Damaskos belehnt habe. Aber derartige
Unterbrechungen der Prägung treten häufig auf und fordern keine so
tiefgreifende Erklärung. Man wird wohl darauf verzichten müssen, an dem
Schalten des Nabatäerkönigs in Damaskos für die Lebensgeschichte des
Paulus einen chronologischen Haltpunkt zu finden und überhaupt Paulus
Aufenthalt in dieser Stadt der Zeit nach zu definieren. Wenn der auf
jeden Fall stark verschobenen Darstellung des Vorgangs in der
Apostelgeschichte 9 insoweit zu trauen ist, ging Paulus nach Damaskos
vor der Bekehrung, um die Christenverfolgung, in welcher Stephanos
umgekommen war, dort fortzusetzen, und beschlossen dann, als er bekehrt
in Damaskos vielmehr für die Christen eintrat die dortigen Juden ihn
umzubringen, wobei also vorausgesetzt werden muß, daß der Beamte des
Aretas, ähnlich wie Pilatus, der Ketzer-Verfolgung der Juden Raum gab.
Aus den zuverlässigen Angaben des Galaterbriefes folgt ferner, daß die
Bekehrung bei Damaskos stattfand (denn dies zeigt das υπέστρεψα) und
Paulus von da nach Arabien ging; ferner daß er drei Jahre nach der
Bekehrung zum ersten und siebzehn Jahre nach derselben zum zweiten Mal
nach Jerusalem kam, wonach die apokryphen Berichte der
Apostelgeschichte über seine Jerusalemreisen zu berichtigen sind (E.
Zeller, Die Apostelgeschichte kritisch untersucht. Stuttgart 1854, S.
216). Aber weder ist die Zeit des Todes des Stephanos genau bestimmbar,
noch viel weniger der Zeitraum zwischen diesem und der Flucht des
bekehrten Paulus aus Damaskos, noch die Zwischenzeit zwischen seiner
zweiten Reise nach Jerusalem und der Abfassung des Galaterbriefes, noch
das Jahr der Abfassung desselben selbst.
^27 Die kürzlich bei Dmer, nordöstlich von Damaskos auf der Straße nach
Palmyra, gefundene nabatäische Inschrift (Sachau, ZDMG 38, 1884 S.
535), datiert aus dem Monat Ijjar des Jahres 405 nach römischer (d. h.
seleukidischer) Zählung und dem 24. Jahr des Königs Rabel, des letzten
nabatäischen, also aus dem Mai 94 n. Chr., hat gezeigt, daß dieser
Distrikt bis auf die Einziehung dieses Reiches unter der Herrschaft der
Nabatäer geblieben ist. Übrigens scheinen die Herrschaftsgebiete hier
geographisch durcheinander gewürfelt gewesen zu sein; so stritten um
das Gebiet von Gamala am See Genezareth der Tetrarch von Galiläa und
der Nabatäerkönig (Ios. ant. Iud. 18, 5, 1).
^28 Vielleicht durch Gabinius (App. Syr. 51).
^29 Strab. 16, 4, 21 p. 779. Die Münzen dieser Könige zeigen indes den
Kaiserkopf nicht. Aber daß im Nabatäischen Reiche nach römischen
Kaiserjahren datiert werden konnte, beweist die nabatäische Inschrift
von Hebrän (M. de Vogue, l’Architecture civile et religieuse dans la
Syrie centrale. 2 Bde. Paris 1865-77. Inscr. n. 1), datiert vom 7. Jahr
des Claudius, also vom Jahre 47. Hebrân, wenig nördlich von Bostra,
scheint auch später zu Arabien gerechnet worden zu sein
(Lebas-Waddington 2287), und nabatäische Inschriften öffentlichen
Inhalts begegnen außerhalb des Nabatäerstaats nicht; die wenigen der
Art aus der Trachonitis sind privater Natur.
^30 “Leuke Kome im Lande der Nabatäer”, sagt Strabon unter Tiberius
(16, 4, 23 p. 780), “ist ein großer Handelsplatz, wohin und von wo die
Karawanenhändler (καμηλέμποροι) mit so zahlreichen Leuten und Kamelen
sicher und bequem von und nach Petra gehen, daß sie in nichts von
Heerlagern sich unterscheiden.” Auch der unter Vespasian schreibende
ägyptische Kaufmann erwähnt in seiner Küstenbeschreibung des Roten
Meeres c. 19 “den Hafen und die Festung (φρούριον) Leuke Kome von wo
der Weg nach Petra führt zum König der Nabatäer Malichas. Er kann als
Handelsplatz gelten für die auf nicht eben großen Schiffen dorthin aus
Arabien verschifften Waren. Darum wird dorthin ein Einnehmer geschickt
(αποστέλλεται) des Eingangszolls von einem Viertel des Wertes und der
Sicherheit wegen ein Centurio (εκατοντάρχης) mit Mannschaft.” Da ein
römischer Reichsangehöriger hier des Schickens von Beamten und Soldaten
erwähnt, so können dies nur römische sein; auch paßt für das Heer des
Nabatäerkönigs der Centurio nicht und ist die Steuerreform ganz die
römische. Daß ein Klientelstaat in das Gebiet der Reichssteuer
eingezogen wird, kommt auch sonst, zum Beispiel in den Alpengegenden
vor. Die Straße von Petra nach Gaza erwähnt Plinius nat. 6, 28, 144.
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Unter Traianus trat an die Stelle dieser beiden Klientelstaaten die
unmittelbare römische Herrschaft. Im Anfang seiner Regierung starb
König Agrippa II., und es wurde sein Gebiet mit der Provinz Syrien
vereinigt. Nicht lange darauf, im Jahre 106, löste der Statthalter
Aulus Cornelius Palma das bisherige Reich der Könige von Nabat auf und
machte aus dem größeren Teil desselben die römische Provinz Arabia,
während Damaskos zu Syrien kam und was der Nabatäerkönig im Binnenland
Arabiens besessen hatte, von den Römern aufgegeben ward. Die
Einrichtung Arabiens wird als Unterwerfung bezeichnet, und auch die
Münzen, welche die Besitzergreifung von Arabien feiern, sprechen dafür,
daß die Nabatäer sich zur Wehr setzten, wie denn überhaupt die
Beschaffenheit ihres Gebiets sowie ihr bisheriges Verhalten eine
relative Selbständigkeit dieser Fürsten annehmen lassen. Aber nicht in
dem Kriegserfolg darf die geschichtliche Bedeutung dieser Vorgänge
gesucht werden; die beiden ohne Zweifel zusammengehörigen Einziehungen
waren nicht mehr als vielleicht mit militärischer Gewalt durchgeführte
Verwaltungsakte, und die Tendenz, diese Gebiete der Zivilisation und
speziell dem Hellenismus zu gewinnen, wird dadurch nur gesteigert, daß
die römische Regierung die Arbeit selbst auf sich nimmt. Der
Hellenismus des Orients, wie ihn Alexander zusammengefaßt hat, war eine
streitende Kirche, eine politisch, religiös, wirtschaftlich,
literarisch vordringende, durchaus erobernde Macht. Hier an dem Saum
der Wüste, unter dem Druck des antihellenischen Judentums und
gehandhabt von dem geistlosen und unsteten Seleukidenregiment, hatte er
bisher wenig ausgerichtet. Aber jetzt das Römertum durchdringend,
entwickelt er eine treibende Kraft, welche sich zu der früheren verhält
wie die Macht der jüdischen und der arabischen Lehnsfürsten zu
derjenigen des Römischen Reiches. In diesem Lande, wo alles darauf
ankam und ankommt, durch Aufstellung einer überlegenen und ständigen
Militärmacht den Friedensstand zu schirmen, war die Einrichtung eines
Legionslagers in Bostra unter einem Kommandanten senatorischen Ranges
ein epochemachendes Ereignis. Von diesem Mittelpunkt aus wurden an den
zweckmäßigen Stellen die erforderlichen Posten eingerichtet und mit
Besatzung versehen. Beispielsweise verdient Erwähnung das Kastell -von
Namara (Nemâra), einen starken Tagemarsch jenseits der Grenzen des
eigentlich bewohnbaren Berglandes, inmitten der Steinwüste, aber
gebietend über den einzigen, innerhalb derselben befindlichen Brunnen
und die daran sich anschließenden bei der schon erwähnten Oase von
Ruhbe und weiterhin am Djebel Ses; diese Besatzungen zusammen
beherrschen das gesamte Vorland des Haurân. Eine andere Reihe von
Kastellen, dem syrischen Kommando und zunächst dem der bei Danava
postierten Legion unterstellt und in gleichmäßigen Distanzen von drei
zu drei Stunden angelegt, sicherte die Straße von Damaskos nach
Palmyra; das am besten bekannte davon, das zweite in der Reihe, ist das
von Dmer, ein längeres Viereck von je 300 und 350 Schritt, auf jeder
Seite mit sechs Türmen und einem fünfzehn Schritte breiten Portal
versehen und umfaßt von einer einstmals außen mit schönen Quadern
bekleideten Ringmauer von sechzehn Fuß Dicke.
Niemals war eine solche Ägide über dieses Land gebreitet worden. Es
wurde nicht eigentlich denationalisiert. Die arabischen Namen bleiben
bis in die späteste Zeit hinab, wenngleich nicht selten, eben wie in
Syrien, dem örtlichen ein römisch-hellenischer beigefügt wird: so nennt
sich ein Scheich “Adrianos oder Soaidos, Sohn des Malechos” ^31. Auch
der einheimische Kultus bleibt unangetastet: die Hauptgottheit der
Nabatäer, der Dusaris, wird wohl mit dem Dionysos geglichen, aber
regelmäßig unter seinem örtlichen Namen auch ferner verehrt, und bis in
späte Zeit feiern die Bostrener zu seinen Ehren die Dusarien ^32. In
gleicher Weise werden in der Provinz Arabia dem Aumu oder dem Helios,
dem Vasaeathu, dem Theandritos, dem Ethaos auch ferner Tempel geweiht
und Opfer dargebracht. Die Stämme und die Stammordnung bleiben nicht
minder: die Inschriften nennen Reihen von “Phylen” einheimischen Namens
und öfter Phylarchen oder Ethnarchen. Aber neben der hergebrachten
Weise schreitet die Zivilisierung und die Hellenisierung vorwärts. Wenn
aus vortraianischer Zeit im Bereich des Nabatäerstaats kein
griechisches Denkmal nachgewiesen werden kann, so ist umgekehrt
daselbst kein nachtraianisches in der Landessprache gefunden worden
^33; allem Anschein nach hat die Reichsregierung den Schriftgebrauch
des Aramäischen gleich bei der Einziehung unterdrückt, obwohl dasselbe
sicher die eigentliche Landessprache blieb, wie dies außer den
Eigennamen auch der “Dolmetsch der Steuereinnehmer” bezeugt.
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^31 Waddington 2196: Αδριανού τού καί Σοαίδου Μαλέχου εθνάρχου
στρατηγού νομάδων τό μνημίον.
^32 Epiphanius (haeres. 51 p. 483 Dind.) führt aus, daß der 25.
Dezember, der Geburtstag Christi, schon in Rom in dem Saturnalienfest,
in Alexandreia in dem (auch im Dekret von Kanopos erwähnten) Fest der
Kikellia und in anderen heidnischen Kulturen in analoger Art festlich
begangen worden sei. “Dies geschieht in Alexandreia in dem sogenannten
Jungfrauenheiligtum (Κόριον) . .. und wenn man die Leute fragt, was
dies Mysterium bedeute, so antworten und sagen sie, daß heute in dieser
Stunde die Jungfrau den Ewigen (τόν αιώνα) geboren habe. Dies geschieht
in gleicher Weise in Petra, der Hauptstadt von Arabia, in dem dortigen
Tempel, und in arabischer Sprache besingen sie die Jungfrau, welche sie
auf arabisch Chaamu nennen, das heißt das Mädchen, und den aus ihr
Geborenen Dusares, das heißt den Eingeborenen des Herrn.” Der Name
Chaamu ist vielleicht verwandt mit dem Aumu oder Aumos der griechischen
Inschriften dieser Gegend, der mit Υεύς ανίκητος Ήλιος geglichen wird
(Waddington 2392-2395, 2441, 2455, 2456).
^33 Dabei ist abgesehen von der merkwürdigen, in Harrân unweit Zorava
gefundenen arabisch-griechischen Inschrift (man beachte die Folge) vom
Jahre 568 n. Chr., gesetzt von dem Phylarchen Asaraelos, Sohn des
Talemos (Waddington 2464). Dieser Christ ist ein Vorläufer Mohammeds.
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Über die Hebung des Ackerbaues fehlen uns redende Zeugen; aber wenn auf
der ganzen östlichen und südlichen Abdachung des Haurân von den Spitzen
des Gebirges bis zur Wüste hin die Steine, mit denen diese vulkanische
Ebene einst besät war, zu Haufen geworfen oder in langen Zeilen
geschichtet und so die herrlichsten Äcker gewonnen sind, so darf man
darin die Hand der einzigen Regierung erkennen, die dieses Land so
regiert hat, wie es regiert werden kann und regiert werden sollte. In
der Ledjâ, einem dreizehn Stunden langen und acht bis neun breiten
Lavaplateau, das jetzt fast menschenleer ist, wuchsen einst Reben und
Feigen zwischen den Lavaströmen; quer durch dasselbe führt die Bostra
mit Damaskos verbindende Römerstraße; in der Ledjâ und um sie zählt man
die Ruinen von 12 größeren und 39 kleineren Ortschaften. Erweislich ist
auf Geheiß desselben Statthalters, der die Provinz Arabia eingerichtet
hat, der mächtige Aquädukt angelegt worden, welcher das Wasser vom
Gebirge des Haurân nach Kanatha (Kerak) in der Ebene führte, und nicht
weit davon ein ähnlicher in Arrha (Rahâ), Bauten Traians, die neben dem
Hafen von Ostia und dem Forum von Rom genannt werden dürfen. Für das
Aufblühen des Handelsverkehrs spricht die Wahl selbst der Hauptstadt
der neuen Provinz. Bostra bestand unter der nabatäischen Regierung und
es hat sich dort eine Inschrift des Königs Malichu gefunden; aber seine
militärische und kommerzielle Bedeutung beginnt mit dem Eintritt des
unmittelbaren römischen Regiments. “Bostra”, sagt Wetzstein, “hat unter
allen ostsyrischen Städten die günstigste Lage; selbst Damaskos,
welches seine Größe der Menge seines Wassers und seiner durch den
östlichen Trachon geschützten Lage verdankt, wird Bostra nur unter
einer schwachen Regierung überstrahlen, während letzteres unter einem
starken und weisen Regiment sich in wenigen Jahrzehnten zu einer
märchenhaften Blüte emporschwingen muß. Es ist der große Markt für die
syrische Wüste, das arabische Hochgebirge und die Peraea, und seine
langen Reihen steinerner Buden legen noch jetzt in der Verödung Zeugnis
ab von der Realität einer früheren und der Möglichkeit einer künftigen
Größe.” Die Reste der von dort über Salchat und Ezrak zum Persischen
Meerbusen führenden römischen Straße beweisen, daß Bostra neben Petra
und Palmyra den Verkehr vom Osten zum Mittelmeer vermittelte. Diese
Stadt hat wahrscheinlich schon Traian hellenisch konstituiert;
wenigstens heißt sie seitdem “das neue traianische Bostra”, und die
griechischen Münzen beginnen mit Plus, während später infolge der
Erteilung des Kolonialrechts durch Alexander die Aufschrift lateinisch
wird.
Auch Petra hat schon unter Hadrian griechische Stadtverfassung gehabt
und noch einzelne andere Ortschaften späterhin Stadtrecht empfangen;
überwogen aber hat in diesem Arabergebiet bis in die späteste Zeit der
Stamm und das Stammdorf.
Aus der Mischung nationaler und griechischer Elemente entwickelte sich
in diesen Landschaften in dem halben Jahrtausend zwischen Traian und
Mohammed eine eigenartige Zivilisation. Es ist uns davon ein volleres
Abbild erhalten als von anderen Gestaltungen der antiken Welt, indem
die zum großen Teil aus dem Felsen herausgearbeiteten Anlagen von Petra
und die bei dem Mangel des Holzes ganz aus Stein aufgeführten Bauwerke
im Haurân, verhältnismäßig wenig beschädigt durch die mit dem Islam
hier wieder in ihr altes Unrecht eingesetzte Beduinenherrschaft, zu
einem beträchtlichen Teil noch heute vorhanden sind und auf die
Kunstfertigkeit und Lebensweise jener Jahrhunderte helles Licht werfen.
Der oben erwähnte Tempel des Baalsamin von Kanatha, sicher unter
Herodes gebaut, zeigt in seinen ursprünglichen Teilen eine völlige
Verschiedenheit von der griechischen Architektur und in der
architektonischen Anlage merkwürdige Analogien mit dem Tempelbau
desselben Königs in Jerusalem, während die bei diesem vermiedenen
bildlichen Darstellungen hier keineswegs fehlen. Ähnliches ist auch bei
den in Petra gefundenen Denkmälern beobachtet worden. Später ging man
weiter. Wenn unter den jüdischen und den nabatäischen Herrschern die
Kultur nur langsam sich von den Einflüssen des Orients löste, so
scheint mit der Verlegung der Legion nach Bostra hier eine neue Zeit
begonnen zu haben. “Das Bauen”, sagt ein vortrefflicher französischer
Beobachter, Melchior de Vogue, “erhielt damit einen Anstoß, der nicht
wieder zum Stillstand kam. Überall erhoben sich Häuser, Paläste, Bäder,
Tempel, Theater, Aquädukte, Triumphbogen; Städte stiegen aus dem Boden
binnen weniger Jahre mit der regelmäßigen Anlage, den symmetrisch
geführten Säulenreihen, die die Städte ohne Vergangenheit bezeichnen
und für diesen Teil Syriens während der Kaiserzeit gleichsam die
unvermeidliche Uniform sind.” Die östliche und südliche Abdachung des
Haurân weist ungefähr dreihundert derartige verödete Städte und Dörfer
auf, während dort jetzt nur fünf neue Ortschaften vorhanden sind;
einzelne von jenen, zum Beispiel Bûsân, zählen bis 800 ein- bis
zweistöckige Häuser, durchaus aus Basalt gebaut, mit wohlgefügten, ohne
Zement verbundenen Quadermauern, meist ornamentierten, oft auch mit
Inschriften versehenen Türen, die flache Decke gebildet durch
Steinbalken, welche von Steinbogen getragen und oben durch eine
Zementlage regenfrei gestellt werden. Die Stadtmauer wird gewöhnlich
nur durch die zusammengeschlossenen Rückseiten der Häuser gebildet und
ist durch zahlreiche Türme geschützt. Die dürftigen
Rekolonisierungsversuche der neuesten Zeiten finden die Häuser
bewohnbar vor; es fehlt nur die fleißige Menschenhand oder vielmehr der
starke Arm, der sie beschützt. Vor den Toren liegen die oft
unterirdischen oder mit künstlichem Steindach versehenen Zisternen, von
denen manche noch heute, wo diese Städtewüste zum Weideland geworden
ist, von den Beduinen im Stande gehalten werden, um daraus im Sommer
ihre Herden zu tränken. Die Bauweise und die Kunstübung haben wohl
einzelne Überreste der älteren orientalischen Weise bewahrt, zum
Beispiel die häufige Grabform des mit einer Pyramide gekrönten Würfels,
vielleicht auch die oft dem Grabmal beigefügten, noch heute in ganz
Syrien häufigen Taubentürme, ist aber, im ganzen genommen, die
gewöhnliche griechische der Kaiserzeit. Nur hat das Fehlen des Holzes
hier eine Entwicklung des Steinbogens und der Kuppel hervorgerufen, die
technisch wie künstlerisch diesen Bauten einen originellen Charakter
verleiht. Im Gegensatz zu der anderswo üblichen gewohnheitsmäßigen
Wiederholung der überlieferten Formen herrscht hier eine den
Bedürfnissen und den Bedingungen selbständig genügende, in der
Ornamentik maßhaltende, durchaus gesunde und rationelle und auch der
Eleganz nicht entbehrende Architektur. Die Grabstätten, welche in die
östlich und westlich von Petra aufsteigenden Felswände und in deren
Seitentäler eingebrochen sind, mit ihren oft in mehreren Reihen
übereinandergestellten dorischen oder korinthischen Säulenfassaden und
ihren an das ägyptische Theben erinnernden Pyramiden und Propyläen sind
nicht künstlerisch erfreulich, aber imponierend durch Masse und
Reichtum. Nur ein reges Leben und ein hoher Wohlstand hat also für
seine Toten zu sorgen vermocht. Diesen architektonischen Denkmälern
gegenüber befremdet es nicht, wenn die Inschriften eines Theaters in
dem “Dorf” (κώμη) Sakkaea, eines “theaterförmigen Odeons” in Kanatha
Erwähnung tun und ein Lokalpoet von Namara in der Batanaea sich selber
feiert als den “Meister der herrlichen Kunst stolzen ausonischen Lieds”
^34. Also ward an dieser Ostgrenze des Reiches der hellenischen
Zivilisation ein Grenzgebiet gewonnen, das mit dem romanisierten
Rheinland zusammengestellt werden darf; die Bogen- und Kuppelbauten
Ostsyriens halten wohl den Vergleich aus mit den Schlössern und
Grabmälern der Edlen und der Kaufherren der Belgica.
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^34 Αυσονίων μούσης υψινόου πρύτανις. G. Kaibel, Epigrammata Graeca.
Berlin 1878, 440.
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Aber es kam das Ende. Von den aus dem Süden hierher einwandernden
Araberstämmen schweigt die geschichtliche Überlieferung der Römer, und
was die späten Aufzeichnungen der Araber über die der Ghassaniden und
deren Vorläufer berichten, ist wenigstens chronologisch kaum zu
fixieren ^35. Aber die Sabäer, nach denen der Ort Borechath (Brêka
nördlich von Kanawat) genannt wird, scheinen in der Tat südarabische
Auswanderer zu sein; und diese saßen hier bereits im 3. Jahrhundert.
Sie und ihre Genossen mögen in Frieden gekommen und unter römischer
Ägide seßhaft geworden sein, vielleicht sogar die hochentwickelte und
üppige Kultur des südwestlichen Arabien nach Syrien getragen haben.
Solange das Reich fest zusammenhielt und jeder dieser Stämme unter
seinem Scheich stand, gehorchten alle dem römischen Oberherrn. Aber um
den unter einem König geeinigten Arabern oder, wie sie jetzt heißen,
Sarazenen des Perserreiches besser zu begegnen, unterwarf Justinian
während des Persischen Krieges im Jahre 531 sämtliche Phylarchen der
den Römern untertänigen Sarazenen dem Arethas, des Gabala Sohn, und
verlieh diesem den Königstitel, was bis dahin, wie hinzugesetzt wird,
niemals geschehen war. Dieser König der sämtlichen in Syrien ansässigen
Araberstämme war noch des Reiches Lehnsträger; aber indem er seine
Landsleute abwehrte, bereitete er zugleich ihnen die Stätte. Ein
Jahrhundert später, im Jahre 637, unterlag Arabien und Syrien dem
Islam.
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^35 Nach den arabischen Berichten wanderten die Benu Sâlih aus der
Gegend von Mekka (um 190 n. Chr. nach den Ansetzungen von A. P. Caussin
de Perceval, Essai sur l’histoire des Arabes avant l’Islamisme. Bd. 1.
Paris 1847, S. 212) nach Syrien und siedelten sich hier an neben den
Benu-Samaida, in denen Waddington die φυλή Σομαιθηνών einer Inschrift
von Suweda (n. 2308) wiederfindet. Die Ghassaniden, die (nach Caussin
um 205) von Batn-Marr ebenfalls nach Syrien in dieselbe Gegend
einwanderten, wurden von den Salihîten auf Anweisung der Römer
gezwungen, Tribut zu zahlen und entrichteten diesen eine Zeitlang, bis
sie (nach demselben um das Jahr 292) die Salihîten überwanden und ihr
Führer Thalaba, Sohn Amts, von den Römern als Phylarch anerkannt ward.
Diese Erzählung mag richtige Elemente enthalten; aber maßgebend bleibt
immer der im Text wiedergegebene Bericht Prokops (Pers. 1, 17). Die
Phylarchen einzelner Provinzen, von Arabia (d. h. Provinz Bostra: nov.
102 c. 1) und von Palästina (d. h. Provinz Petra: Prok. Pers. 1, 19)
sind älter, aber wohl nicht um viel. Wäre ein Oberscheich dieser Art in
vorjustinianischer Zeit von den Römern anerkannt worden, so würden die
römischen Schriftsteller und die Inschriften davon wohl die Spuren
aufweisen; aber aus vorjustinianischer Zeit fehlt es an solchen.
KAPITEL XI.
Judäa und die Juden
Die Geschichte des jüdischen Landes ist so wenig die Geschichte des
jüdischen Volkes wie die Geschichte des Kirchenstaates die der
Katholiken; es ist ebenso erforderlich, beides zu sondern wie beides
zusammen zu erwägen.
Die Juden im Jordanland, mit welchen die Römer zu schaffen hatten,
waren nicht dasjenige Volk, das unter seinen Richtern und Königen mit
Moab und Edom schlug und den Reden des Amos und Hosea lauschte. Die
durch die Fremdherrschaft ausgetriebene und durch den Wechsel der
Fremdherrschaft wieder zurückgeführte kleine Gemeinde frommer
Exulanten, welche ihre neue Einrichtung damit begann, die Reste der in
den alten Sitzen zurückgebliebenen Stammgenossen schroff zurückzuweisen
und zu der unversöhnlichen Fehde zwischen Juden und Samaritern den
Grund zu legen, das Ideal nationaler Exklusivität und priesterlicher
Geistesfesselung, hatte lange vor der römischen Zeit unter dem Regiment
der Seleukiden die sogenannte mosaische Theokratie entwickelt, ein
geistliches Kollegium mit dem Erzpriester an der Spitze, welches bei
der Fremdherrschaft, sich beruhigend und auf staatliche Gestaltung
verzichtend, die Besonderheit der Seinigen wahrte und unter der Ägide
der Schutzmacht dieselben beherrschte. Dies den Staat ignorierende
Festhalten der nationalen Eigenart in religiösen Formen ist die
Signatur des späteren Judentums. Wohl ist jeder Gottesbegriff in seiner
Bildung volkstümlich; aber kein anderer Gott ist so von Haus aus der
Gott nur der Seinen gewesen wie Jahve, und keiner es so ohne
Unterschied von Zeit und Ort geblieben. Jene in das Heilige Land
Zurückwandernden, welche nach den Satzungen Mosis zu leben meinten, und
in der Tat lebten nach den Satzungen Ezras und Nehemias, waren von den
Großkönigen des Orients und später von den Seleukiden gerade ebenso
abhängig geblieben, wie sie es an den Wassern Babylons gewesen waren.
Ein politisches Element haftet dieser Organisation nicht mehr an als
der armenischen oder der griechischen Kirche unter ihren Patriarchen im
türkischen Reich; kein freier Luftzug staatlicher Entwicklung geht
durch diese klerikale Restauration; keine der schweren und ernsten
Verpflichtungen des auf sich selbst gestellten Gemeinwesens behinderte
die Priester des Tempels von Jerusalem in der Herstellung des Reiches
Jahves auf Erden.
Der Gegenschlag blieb nicht aus. Jener Kirchenunstaat konnte nur
dauern, solange eine weltliche Großmacht ihm als Schirmherr oder auch
als Büttel diente. Als das Reich der Seleukiden verfiel, ward durch die
Auflehnung gegen die Fremdherrschaft, die eben aus dem begeisterten
Volksglauben ihre besten Kräfte zog, wieder ein jüdisches Gemeinwesen
geschaffen. Der Erzpriester von Salem wurde vom Tempel auf das
Schlachtfeld gerufen. Das Geschlecht der Hasmonäer stellte nicht bloß
das Reich Sauls und Davids ungefähr in seinen alten Grenzen wieder her,
sondern diese kriegerischen Hohenpriester erneuerten auch einigermaßen
das ehemalige, wahrhaft staatliche, den Priestern gebietende Königtum.
Aber dasselbe, von jener Priesterherrschaft zugleich das Erzeugnis und
der Gegensatz, war nicht nach dem Herzen der Frommen. Die Pharisäer und
die Sadduzäer schieden sich und begannen sich zu befehden. Weniger
Glaubenssätze und rituelle Differenzen standen hier sich einander
entgegen als einerseits das Verharren bei einem lediglich die
religiösen Ordnungen und Interessen festhaltenden, im übrigen für die
Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung der Gemeinde gleichgültigen
Priesterregiment, andererseits das Königtum, hinstrebend zu staatlicher
Entwicklung und bemüht, in dem politischen Ringen, dessen Schauplatz
damals das Syrische Reich war, dem jüdischen Volke durch Schlagen und
Vertragen wieder seinen Platz zu verschaffen. Jene Richtung beherrschte
die Menge, diese überwog in der Intelligenz und in den vornehmen
Klassen; ihr bedeutendster Vertreter ist König Iannaeos Alexandros, der
während seiner ganzen Regierung nicht minder mit den syrischen
Herrschern in Fehde lag wie mit seinen Pharisäern. Obwohl sie
eigentlich nur der andere und in der Tat der natürlichere und
mächtigere Ausdruck des nationalen Aufschwungs ist, berührte sie sich
doch in ihrem freieren Denken und Handeln mit dem hellenischen Wesen
und galt insbesondere den frommen Gegnern als fremdländisch und
ungläubig.
Aber die Bewohner Palästinas waren nur ein Teil, und nicht der
bedeutendste Teil der Juden; die babylonischen, syrischen,
kleinasiatischen, ägyptischen Judengemeinden waren den
palästinensischen auch nach der Regeneration durch die Makkabäer weit
überlegen. Mehr als die letztere hat die jüdische Diaspora in der
Kaiserzeit zu bedeuten gehabt; und sie ist eine durchaus eigenartige
Erscheinung.
Die Judenansiedlungen außerhalb Palästina sind nur in untergeordnetem
Grade aus demselben Triebe entwickelt wie die der Phöniker und der
Hellepen. Von Haus aus ein ackerbauendes und fern von der Küste
wohnendes Volk, sind ihre Ansiedlungen im Ausland eine unfreie und
verhältnismäßig späte Bildung, eine Schöpfung Alexanders oder seiner
Marschälle ^1. An jenen immensen, durch Generationen fortgesetzten
griechischen Städtegründungen, wie sie in gleichem Umfang nie vorher
und nie nachher vorgekommen sind, haben die Juden einen hervorragenden
Anteil gehabt, so seltsam es auch war, eben sie bei der Hellenisierung
des Orients zur Beihilfe zu berufen. Vor allem gilt dies von Ägypten.
Die bedeutendste unter allen von Alexander geschaffenen Städten,
Alexandreia am Nil, ist seit den Zeiten des ersten Ptolemäers, der nach
der Einnahme Palästinas eine Masse seiner Bewohner dorthin
übersiedelte, fast ebenso sehr eine Stadt der Juden wie der Griechen,
die dortige Judenschaft an Zahl, Reichtum, Intelligenz, Organisation
der jerusalemitischen mindestens gleich zu achten. In der ersten
Kaiserzeit rechnete man auf acht Millionen Ägypter eine Million Juden,
und ihr Einfluß reichte vermutlich über dieses Zahlenverhältnis hinaus.
Daß wetteifernd damit in der syrischen Reichshauptstadt die Judenschaft
in ähnlicher Weise organisiert und entwickelt worden war, wurde schon
bemerkt. Von der Ausdehnung und der Bedeutung der Juden Kleinasiens
zeugt unter anderem der Versuch, den unter Augustus die ionischen
Griechenstädte, es scheint nach gemeinschaftlicher Verabredung,
machten, ihre jüdischen Gemeindegenossen entweder zum Rücktritt von
ihrem Glauben oder zur vollen Übernahme der bürgerlichen Lasten zu
nötigen. Ohne Zweifel gab es selbständig organisierte Judenschaften in
sämtlichen neuhellenischen Gründungen ^2 und daneben in zahlreichen
althellenischen Städten, selbst im eigentlichen Hellas, zum Beispiel in
Korinth. Die Organisierung vollzog sich durchaus in der Weise, daß den
Juden ihre Nationalität mit den von ihnen selbst daraus gezogenen
weitreichenden Konsequenzen gewahrt, nur der Gebrauch der griechischen
Sprache von ihnen gefordert ward. So wurden bei dieser damals von oben
herab dem Orient aufgeschmeichelten oder aufgezwungenen Gräzisierung
die Juden der Griechenstädte griechisch redende Orientalen.
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^1 Ob die Rechtsstellung der Juden in Alexandreia mit Recht von
Josephus (c. Ap. 2, 4) auf Alexander zurückgeführt wird, ist insofern
zweifelhaft, als, soweit wir wissen, nicht er, sondern der erste
Ptolemäer massenweise Juden dort ansiedelte (Ios. ant. Iud. 12, 1; App.
Syr. 50). Die merkwürdige Gleichartigkeit, mit der die Judenschaften in
den verschiedenen Diadochenstaaten sich gestaltet haben, muß, wenn sie
nicht auf Alexanders Anordnungen beruht, auf das Rivalisieren und
Imitieren bei der Städtegründung zurückgeführt werden. Daß Palästina
bald ägyptisch, bald syrisch war, hat bei diesen Ansiedlungen ohne
Zweifel wesentlich mitgewirkt.
^2 Der Judengemeinde in Smyrna gedenkt eine kürzlich daselbst gefundene
Inschrift (Reinach, Revue des Etudes Juives, 1883, S. 161): Ρουφείνα
Ιουδαία αρχισυναγωγός κατεσκεύασεν τό ενσόριον τοίς απελεθέροις καί
θρέμμασιν μηδένος άλλου εχουσίαν έχοντος θάψαι τινά. ει δέ τις
τολμήσει, δώσει τώ ιερωτάτω ταμείω δηναρίους αφ, καί τώ έθνει τών
Ιουδαίων δηναρίους α. Ταύτης τής επιγράφης τό αντίγραφον αποκείται εις
τό αρχείον. Einfache Kollegien werden in Strafandrohungen dieser Art
nicht leicht mit dem Staat oder der Gemeinde auf eine Linie gestellt.
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Daß bei den Judengemeinden der makedonischen Städte die griechische
Sprache nicht bloß im natürlichen Wege des Verkehrs zur Herrschaft
gelangt, sondern eine ihnen auferlegte Zwangsbestimmung ist, scheint
aus der Sachlage sich mit Notwendigkeit zu ergeben. In ähnlicher Weise
hat späterhin Traian mit kleinasiatischen Kolonisten Dakien
romanisiert. Ohne diesen Zwang hätte die äußerliche Gleichförmigkeit
der Städtegründung nicht durchgeführt, dies Material für die
Hellenisierung überhaupt nicht verwendet werden können. Daß die
heiligen Schriften der Juden schon unter den ersten Ptolemäern in das
Griechische übertragen wurden, mag wohl so wenig Veranstaltung der
Regierung gewesen sein wie die Bibelübersetzung Luthers; aber im Sinne
derselben lag allerdings die sprachliche Hellenisierung der ägyptischen
Juden, und sie vollzog sich merkwürdig rasch. Wenigstens im Anfang der
Kaiserzeit, wahrscheinlich lange vorher war die Kenntnis des
Hebräischen unter den alexandrinischen Juden ziemlich so selten wie
heutzutage in der christlichen Welt die der Ursprachen der heiligen
Originale; es wurde mit den Übersetzungsfehlern der sogenannten siebzig
Alexandriner ungefähr ebenso argumentiert wie von unseren Frommen mit
den Übersetzungsfehlern Luthers. Die nationale Sprache der Juden war in
dieser Epoche überall aus dem lebendigen Verkehr verschwunden und
behauptete sich nur, etwa wie im katholischen Religionsgebiet die
lateinische, im kirchlichen Gebrauch. In Judäa selbst war sie ersetzt
worden durch die der hebräischen freilich verwandte aramäische
Volkssprache Syriens; die Judenschaften außerhalb Judäas, mit denen wir
uns beschäftigen, hatten das semitische Idiom vollständig abgelegt, und
erst lange nach dieser Epoche ist jene Reaktion eingetreten, welche
schulmäßig die Kenntnis und den Gebrauch derselben allgemeiner bei den
Juden zurückgeführt hat. Die literarischen Arbeiten, die sie während
dieser Epoche in großer Zahl geliefert haben, sind in der besseren
Kaiserzeit alle griechisch. Wenn die Sprache allein die Nationalität
bedingte, so wäre für diese Zeit von den Juden wenig zu berichten.
Aber mit diesem anfänglich vielleicht schwer empfundenen Sprachzwang
verbindet sich die Anerkennung der besonderen Nationalität mit allen
ihren Konsequenzen. Überall in den Städten der Alexandermonarchie
bildete sich die Stadtbewohnerschaft aus den Makedoniern, das heißt den
wirklich makedonischen oder den ihnen gleichgeachteten Hellenen. Neben
diesen stehen, außer den Fremden, die Eingeborenen, in Alexandreia die
Ägypter, in Kyrene die Libyer und überhaupt die Ansiedler aus dem
Orient, welche zwar auch keine andere Heimat haben als die neue Stadt,
aber nicht als Hellenen anerkannt werden. Zu dieser zweiten Kategorie
gehören die Juden; aber ihnen, und nur ihnen, wird es gestattet,
sozusagen eine Gemeinde in der Gemeinde zu bilden und, während die
übrigen Nichtbürger von den Behörden der Bürgerschaft regiert werden,
bis zu einem gewissen Grad sich selbst zu regieren ^3. “Die Juden”,
sagt Strabon, “haben in Alexandreia ein eigenes Volkshaupt (εθνάρχης),
welches dem Volke (έθνος) vorsteht und die Prozesse entscheidet und
über Verträge und Ordnungen verfügt, als beherrsche es eine
selbständige Gemeinde.” Es geschah dies, weil die Juden eine derartige
spezifische Jurisdiktion als durch ihre Nationalität oder, was auf
dasselbe hinauskommt, ihre Religion gefordert bezeichneten. Weiter
nahmen die allgemeinen staatlichen Ordnungen auf die
national-religiösen Bedenken der Juden in ausgedehntem Umfang Rücksicht
und halfen nach Möglichkeit durch Exemptionen aus. Das Zusammenwohnen
trat wenigstens häufig hinzu; in Alexandreia zum Beispiel waren von den
fünf Stadtquartieren zwei vorwiegend von Juden bewohnt. Es scheint dies
nicht das Ghettosystem gewesen zu sein, sondern eher ein durch die
anfängliche Ansiedlung begründetes und dann von beiden Seiten
festgehaltenes Herkommen, wodurch nachbarlichen Konflikten einigermaßen
vorgebeugt ward.
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^3 Wenn die alexandrinischen Juden später behaupteten, den
alexandrinischen Makedoniern rechtlich gleichgestellt zu sein (Ios. c.
Ap. 2, 4; bel. Iud. 2, 18, 7), so war dies eine Entstellung des wahren
Sachverhältnisses. Sie waren Schutzgenossen zunächst der Phyle der
Makedonier, wahrscheinlich der vornehmsten von allen, und darum nach
Dionysos benannt (Theophilus ad Autolycum 2, 7), und weil das
Judenquartier ein Teil dieser Phyle war, macht Josephus in seiner Weise
sie selbst zu Makedoniern. Die Rechtsstellung der Bevölkerung der
Griechenstädte dieser Kategorie erhellt am deutlichsten aus der
Nachricht Strabons (bei Ios. ant. Iud. 14, 7, 2) über die vier
Kategorien derjenigen von Kyrene: Stadtbürger, Landleute (γεωργοί),
Fremde und Juden. Sieht man von den Metöken ab, die ihre rechtliche
Heimat auswärts haben, so bleiben als heimatberechtigte Kyrenäer die
vollberechtigten Bürger, also die Hellenen und was man als solche
gelten ließ, und die zwei Kategorien der vom aktiven Bürgerrecht
Ausgeschlossenen, die Juden, die eine eigene Gemeinde bilden, und die
Untertanen, die Libyer, welchen die Autonomie fehlt. Dies konnte leicht
so verschoben werden, daß die beiden privilegierten Kategorien auch als
gleichberechtigt erschienen.
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So kamen die Juden dazu, bei der makedonischen Hellenisierung des
Orients eine hervorragende Rolle zu spielen; ihre Gefügigkeit und
Brauchbarkeit einerseits, ihre unnachgiebige Zähigkeit andererseits
müssen die sehr realistischen Staatsmänner, die diese Wege wiesen,
bestimmt haben, sich zu solchen Einrichtungen zu entschließen.
Nichtsdestoweniger bleibt die außerordentliche Ausdehnung und Bedeutung
der jüdischen Diaspora gegenüber der engen und geringen Heimat wie
einerseits eine Tatsache, so andererseits ein Problem. Man wird dabei
nicht übersehen dürfen, daß die palästinensischen Juden für die des
Auslandes nicht mehr als den Kern geliefert haben. Das Judentum der
älteren Zeit ist nichts weniger als exklusiv, vielmehr von missionarem
Eifer nicht minder durchgedrungen wie späterhin das Christentum und der
Islam. Das Evangelium weiß von den Rabbis, welche Meer und Land
durchziehen, um einen Proselyten zu machen; die Zulassung der halben
Proselyten, denen die Beschneidung nicht zugemutet, aber dennoch eine
religiöse Gemeinschaft gewährt wird, ist ein Zeugnis dieses
Bekehrungseifers wie zu gleicher Zeit eines seiner wirksamsten Mittel.
Motive sehr verschiedener Art kamen dieser Propaganda zustatten. Die
bürgerlichen Privilegien, welche die Lagiden und die Seleukiden den
Juden erteilten, müssen eine große Zahl nichtjüdischer Orientalen und
Halbhellenen veranlaßt haben, sich in den Neustädten der privilegierten
Kategorie der Nichtbürger anzuschließen. In späterer Zeit kam der
Verfall des traditionellen Landesglaubens der jüdischen Propaganda
entgegen. Zahlreiche Personen besonders der gebildeten Stände, deren
gläubige und sittliche Empfindung von dem, was die Griechen, und noch
mehr von dem, was die Ägypter Religion nannten, sich schaudernd oder
spottend abwandte, suchten Zuflucht in der einfacheren und reineren,
der Vielgötterei und dem Bilderdienst absagenden jüdischen Lehre,
welche den aus dem Niederschlag der philosophischen Entwicklung den
gebildeten und halbgebildeten Kreisen zugeführten religiösen
Anschauungen weit entgegenkam. Es gibt ein merkwürdiges griechisches
Moralgedicht, wahrscheinlich aus der späteren Epoche der römischen
Republik, welches aus den mosaischen Büchern in der Weise geschöpft
ist, daß es die monotheistische Lehre und das allgemeine Sittengesetz
aufnimmt, aber alles dem Nichtjuden Anstößige und alle unmittelbare
Opposition gegen die herrschende Religion vermeidet, offenbar bestimmt,
für dies denationalisierte Judentum weitere Kreise zu gewinnen.
Insbesondere die Frauen wandten sich mit Vorliebe dem jüdischen Glauben
zu. Als die Behörden von Damaskos im Jahre 66 die gefangenen Juden
umzubringen beschlossen, wurde verabredet, diesen Beschluß geheim zu
halten, damit die den Juden ergebene weibliche Bevölkerung nicht die
Ausführung verhindere. Sogar im Okzident, wo die gebildeten Kreise
sonst dem jüdischen Wesen abgeneigt waren, machten vornehme Damen schon
früh eine Ausnahme; die aus edlem Geschlecht entsprossene Gemahlin
Neros, Poppaea Sabina, war, wie durch andere minder ehrbare Dinge, so
auch stadtkundig durch ihren frommen Judenglauben und ihr eifriges
Judenprotektorat. Förmliche Übertritte zum Judentum kamen nicht selten
vor; das Königshaus von Adiabene zum Beispiel, König Izates und seine
Mutter Helena sowie sein Bruder und Nachfolger wurden in der Zeit des
Tiberius und des Claudius in aller Form Juden. Sicher gilt von allen
jenen Judenschaften, was von der antiochenischen ausdrücklich bemerkt
wird, daß sie zum großen Teil aus übergetretenen bestanden.
Diese Verpflanzung des Judentums auf den hellenischen Boden unter
Aneignung einer fremden Sprache vollzog sich, wie sehr sie auch unter
Festhaltung der nationalen Individualität stattfand, nicht ohne in dem
Judentum selbst eine seinem Wesen zuwiderlaufende Tendenz zu entwickeln
und bis zu einem gewissen Grad dasselbe zu denationalisieren. Wie
mächtig die inmitten der Griechen lebenden Judenschaften von den Wellen
des griechischen Geisteslebens erfaßt wurden, davon trägt die Literatur
des letzten Jahrhunderts vor und des ersten nach Christi Geburt die
Spuren. Sie ist getränkt von jüdischen Elementen, und es sind mit die
hellsten Köpfe und die geistreichsten Denker, welche entweder als
Hellenen in das jüdische oder als Juden in das hellenische Wesen den
Eingang suchen. Nikolaos von Damaskos, selber ein Heide und ein
namhafter Vertreter der aristotelischen Philosophie, führte nicht bloß
als Literat und Diplomat des Königs Herodes bei Agrippa wie bei
Augustus die Sache seines jüdischen Patrons und der Juden, sondern es
zeigt auch seine historische Schriftstellerei einen sehr ernstlichen
und für jene Epoche bedeutenden Versuch, den Orient in den Kreis der
okzidentalischen Forschung hineinzuziehen, während die noch erhaltene
Schilderung der Jugendjahre des ihm auch persönlich nahegetretenen
Kaisers Augustus ein denkwürdiges Zeugnis der Liebe und der Verehrung
ist, welche der römische Herrscher in der griechischen Welt fand. Die
Abhandlung vom Erhabenen, geschrieben in der ersten Kaiserzeit von
einem unbekannten Verfasser, eine der feinsten uns aus dem Altertum
erhaltenen ästhetischen Arbeiten, rührt sicher wenn nicht von einem
Juden, so doch von einem Manne her, der Homeros und Moses gleichmäßig
verehrte ^4. Eine andere, ebenfalls anonyme Schrift über das Weltganze,
gleichfalls ein in seiner Art achtbarer Versuch, die Lehre des
Aristoteles mit der der Stoa zu verschmelzen, ist vielleicht auch von
einem Juden geschrieben, sicher dem angesehensten und höchstgestellten
Juden der neronischen Zeit, dem Generalstabschef des Corbulo und des
Titus, Tiberius Alexandros gewidmet. Am deutlichsten tritt uns die
Vermählung der beiden Geisteswelten entgegen in der
jüdisch-alexandrinischen Philosophie, dem schärfsten und greifbarsten
Ausdruck einer das Wesen des Judentums nicht bloß ergreifenden, sondern
auch angreifenden religiösen Bewegung. Die hellenische
Geistesentwicklung lag im Kampf mit den nationalen Religionen aller
Art, indem sie deren Anschauungen entweder negierte oder auch mit
anderem Inhalt erfüllte, die bisherigen Götter aus den Gemütern der
Menschen austrieb und auf die leeren Plätze entweder nichts setzte oder
die Gestirne und abstrakte Begriffe. Diese Angriffe trafen auch die
Religion der Juden. Es bildete sich ein Neujudentum hellenischer
Bildung, das mit Jehova nicht ganz so arg, aber doch nicht viel anders
verfuhr als die gebildeten Griechen und Römer mit Zeus und Jupiter. Das
Universalmittel der sogenannten allegorischen Deutung, wodurch
insbesondere die Philosophen der Stoa die heidnischen Landesreligionen
überall in höflicher Weise vor die Türe gesetzt hatten, paßte für die
Genesis ebenso gut und ebenso schlecht wie für die Götter der Ilias;
wenn Moses mit Abraham eigentlich den Verstand, mit Sarah die Tugend,
mit Noah die Gerechtigkeit gemeint hatte, wenn die vier Ströme des
Paradieses die vier Kardinaltugenden waren, so konnte der
aufgeklärteste Hellene an die Thora glauben. Aber eine Macht war dies
Pseudojudentum auch, und der geistige Primat der Judenschaft Ägyptens
tritt vor allem darin hervor, daß diese Richtung vorzugsweise ihre
Vertreter in Alexandreia gefunden hat.
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^4 Pseudo-Longinus περί ύψους: “Weit besser als der Götterkrieg ist bei
Homeros die Schilderung der Götter in ihrer Vollkommenheit und echten
Größe und Reinheit, wie die des Poseidon (Ilias 13,18 f.). Ebenso
schreibt der Gesetzgeber der Juden, kein geringer Mann (ουχ ο τυχών
ανήρ), nachdem er die göttliche Gewalt in würdiger Weise erfaßt und zum
Ausdruck gebracht hat, gleich zu Anfang der Gesetze (Gen. 1, 3): Es
sprach der Gott - was? es werde Licht! und es ward Licht; es werde die
Erde! und die Erde ward.”
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Trotz der innerlichen Scheidung, welche bei den palästinensischen Juden
sich vollzogen und nur zu oft geradezu zum Bürgerkrieg gesteigert
hatte, trotz der Versprengung eines großen Teils der Judenschaft in das
Ausland, trotz des Eindringens fremder Massen in dieselbe und sogar des
destruktiven hellenistischen Elements in ihren innersten Kern blieb die
Gesamtheit der Juden in einer Weise vereinigt, für welche in der
Gegenwart nur etwa der Vatikan und die Kaaba eine gewisse Analogie
bieten. Das heilige Salem blieb die Fahne, Zions Tempel das Palladium
der gesamten Judenschaft, mochten sie den Römern oder den Parthern
gehorchen, aramäisch oder griechisch reden, ja an den alten Jahve
glauben oder an den neuen, der keiner war. Daß der Schirmherr dem
geistlichen Oberhaupt der Juden eine gewisse weltliche Macht
zugestanden hatte, bedeutete für die Judenschaft ebensoviel, der
geringe Umfang dieser Macht ebensowenig wie seiner Zeit für die
Katholiken der sogenannte Kirchenstaat. Jedes Mitglied einer jüdischen
Gemeinde hatte jährlich nach Jerusalem ein Didrachmon als Tempelschoß
zu entrichten, welcher regelmäßiger einging als die Staatssteuern;
jedes war verpflichtet, wenigstens einmal in seinem Leben dem Jehovah
persönlich an dein Orte zu opfern, der ihm allein in der Welt
wohlgefällig war. Die theologische Wissenschaft blieb gemeinschaftlich;
die babylonischen und die alexandrinischen Rabbiner haben daran sich
nicht minder beteiligt wie die von Jerusalem. Das unvergleichlich zähe
Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit, wie es in der rückkehrenden
Exulantengemeinde sich festgesetzt und dann jene Sonderstellung der
Juden in der Griechenwelt mit durchgesetzt hatte, behauptete sich trotz
Zerstreuung und Spaltung. Am bemerkenswertesten ist das Fortleben des
Judentums selbst in den davon in der inneren Religion losgelösten
Kreisen. Der namhafteste, für uns der einzige deutlich greifbare
Vertreter dieser Richtung in der Literatur, Philon, einer der
vornehmsten und reichsten Juden aus der Zeit des Tiberius, steht in der
Tat zu seiner Landesreligion nicht viel anders als Cicero zu der
römischen; aber er selbst glaubte, nicht sie aufzulösen, sondern sie zu
erfüllen. Auch ihm ist, wie jedem anderen Juden, Moses die Quelle aller
Wahrheit, seine geschriebene Weisung bindendes Gesetz, seine Empfindung
Ehrfurcht und Gläubigkeit. Es ist dies sublimierte Judentum dem
sogenannten Götterglauben der Stoa doch nicht völlig identisch. Die
Körperlichkeit des Gottes verschwindet für Philon, aber die
Persönlichkeit nicht, und es mißlingt ihm vollständig, was das Wesen
der hellenischen Philosophie ist, die Göttlichkeit in die Menschenbrust
zu verlegen; es bleibt die Anschauung, daß der sündhafte Mensch abhänge
von einem vollkommenen, außer und über ihm stehenden Wesen. Ebenso fügt
das neue Judentum sich dem nationalen Ritualgesetz weit unbedingter als
das neue Heidentum. Der Kampf des alten und des neuen Glaubens ist in
dem jüdischen Kreise deswegen von anderer Art als in dem heidnischen,
weil der Einsatz ein größerer war; das reformierte Heidentum streitet
nur gegen den alten Glauben, das reformierte Judentum würde in seiner
letzten Konsequenz das Volkstum aufheben, welches in dem Überfluten des
Hellenismus mit der Verflüchtigung des Landesglaubens notwendig
verschwand, und scheut deshalb davor zurück, diese Konsequenz zu
ziehen. Daher ist auf griechischem Boden und in griechischer Sprache,
wenn nicht das Wesen, doch die Form des alten Glaubens mit
beispielloser Hartnäckigkeit festgehalten und verteidigt worden,
verteidigt auch von denen, die im Wesen vor dem Hellenismus
kapitulieren. Philon selbst hat, wie weiterhin erzählt werden soll, für
die Sache der Juden gestritten und gelitten. Darum aber hat auch die
hellenistische Richtung im Judentum auf dieses selbst nie übermächtig
eingewirkt, niemals vermocht, dem nationalen Judentum entgegenzutreten,
kaum dessen Fanatismus zu mildern und die Verkehrtheiten und Frevel
desselben zu hemmen. In allen wesentlichen Dingen, insbesondere dem
Druck und der Verfolgung gegenüber, verschwinden die Differenzen des
Judentums, und wie unbedeutend der Rabbinerstaat war, die religiöse
Gemeinschaft, der er vorstand, war eine ansehnliche, unter Umständen
eine furchtbare Macht.
Diesen Verhältnissen fanden die Römer sich gegenüber, als sie im Orient
die Herrschaft antraten. Die Eroberung zwingt dem Eroberer nicht minder
die Hand als dem Eroberten. Das Werk der Jahrhunderte, die
makedonischen Stadteinrichtungen konnten weder die Arsakiden noch die
Caesaren ungeschehen machen; weder Seleukeia am Euphrat noch Antiocheia
und Alexandreia konnten von den nachfolgenden Regierungen angetreten
werden unter der Wohltat des Inventars. Wahrscheinlich hat der dortigen
jüdischen Diaspora gegenüber der Begründer des Kaiserregiments sich,
wie in so vielen anderen Dingen, die Politik der ersten Lagiden zur
Richtschnur genommen und das Judentum des Orients in seiner
Sonderstellung eher gefördert als gehindert; und dies Verfahren ist
dann für seine Nachfolger durchgängig maßgebend gewesen. Es ist schon
erzählt worden, daß die vorderasiatischen Gemeinden unter Augustus den
Versuch machten, ihre jüdischen Mitbürger bei der Aushebung gleichmäßig
heranzuziehen und ihnen die Einhaltung des Sabbaths nicht ferner zu
gestatten; Agrippa aber entschied gegen sie und hielt den Status quo zu
Gunsten der Juden aufrecht oder stellte vielmehr die bisher wohl nur
von einzelnen Statthaltern oder Gemeinden der griechischen Provinzen
nach Umständen zugelassene Befreiung der Juden vom Kriegsdienst und das
Sabbathprivilegium vielleicht jetzt erst rechtlich fest. Augustus wies
ferner die Statthalter von Asia an, die strengen Reichsgesetze über
Vereine und Versammlungen gegen die Juden nicht zur Anwendung zu
bringen. Aber die römische Regierung hat es nicht verkannt, daß die den
Juden im Orient eingeräumte exempte Stellung mit der unbedingten
Verpflichtung der Reichsangehörigen zur Erfüllung der vom Staat
geforderten Leistungen sich nicht vereinigen ließ, daß die garantierte
Sonderstellung der Judenschaft den Rassenhaß und unter Umständen den
Bürgerkrieg in die einzelnen Städte trug, daß das fromme Regiment der
Behörden von Jerusalem über alle Juden des Reiches eine bedenkliche
Tragweite hatte und daß in allem diesem für den Staat eine praktische
Schädigung und eine prinzipielle Gefahr lag. Der innerliche Dualismus
des Reiches drückt in nichts sich schärfer aus als in der verschiedenen
Behandlung der Juden in dem lateinischen und dem griechischen
Sprachgebiet. Im Okzident sind die autonomen Judenschaften niemals
zugelassen worden. Man tolerierte wohl daselbst die jüdischen
Religionsgebräuche wie die syrischen und die ägyptischen oder vielmehr
etwas weniger als diese; der Judenkolonie in der Vorstadt Roms jenseits
des Tiber zeigte Augustus sich günstig und ließ bei seinen Spenden den,
der des Sabbaths wegen sich versäumt hatte, nachträglich zu. Aber er
persönlich vermied jede Berührung wie mit dem ägyptischen so auch mit
dem jüdischen Kultus, und wie er selbst in Ägypten dem heiligen Ochsen
aus dem Wege gegangen war, so billigte er es durchaus, daß sein Sohn
Gaius, als er nach dem Orient ging, bei Jerusalem vorbeiging. Unter
Tiberius wurde sogar im Jahre 19 in Rom und ganz Italien der jüdische
Kultus zugleich mit dem ägyptischen untersagt und diejenigen, die sich
nicht dazu verstanden, ihn öffentlich zu verleugnen und die heiligen
Geräte ins Feuer zu werfen, aus Italien ausgewiesen, soweit sie nicht
als tauglich für den Kriegsdienst in Strafkompanien verwendet werden
konnten, wo dann nicht wenige ihrer religiösen Skrupel wegen dem
Kriegsgericht verfielen. Wenn, wie wir nachher sehen werden, eben
dieser Kaiser im Orient jedem Konflikt mit dem Rabbi fast ängstlich aus
dem Wege ging, so zeigt sich hier deutlich, daß er, der tüchtigste
Herrscher, den das Reich gehabt hat, die Gefahren der jüdischen
Immigration ebenso deutlich erkannte wie die Unbilligkeit und die
Unmöglichkeit, da, wo das Judentum bestand, es zu beseitigen ^5. Unter
den späteren Regenten ändert, wie wir im weiteren Verlauf finden
werden, in der Hauptsache die ablehnende Haltung gegen die Juden des
Okzidents sich nicht, obwohl sie im übrigen mehr dem Beispiel des
Augustus folgen als dem des Tiberius. Man hinderte die Juden nicht, die
Tempelsteuer in der Form freiwilliger Beiträge einzuziehen und nach
Jerusalem zu senden. Es wurde ihnen nicht gewehrt, wenn sie einen
Rechtshandel lieber vor einen jüdischen Schiedsrichter brachten als vor
ein römisches Gericht. Von zwangsweiser Aushebung zum Dienst, wie
Tiberius sie anordnete, ist auch im Okzident späterhin nicht weiter die
Rede. Aber eine öffentlich anerkannte Sonderstellung und öffentlich
anerkannte Sondergerichte haben die Juden im heidnischen Rom und
überhaupt im lateinischen Westen niemals erhalten. Vor allem aber haben
im Okzident, abgesehen von der Hauptstadt, die der Natur der Sache nach
auch den Orient mit repräsentierte und schon in der ciceronischen Zeit
eine zahlreiche Judenschaft in sich schloß, die Judengemeinden in der
früheren Kaiserzeit nirgends besondere Ausdehnung oder Bedeutung gehabt
^6. Nur im Orient gab die Regierung von vornherein nach oder vielmehr,
sie versuchte nicht, die bestehenden Verhältnisse zu ändern und den
daraus resultierenden Gefahren vorzubeugen; und so haben denn auch, wie
die heiligen Bücher der Juden der lateinischen Welt erst in
lateinischer Sprache durch die Christen bekannt geworden sind, die
großen Judenbewegungen der Kaiserzeit sich durchaus auf den
griechischen Osten beschränkt. Hier wurde kein Versuch gemacht, mit der
rechtlichen Sonderstellung des Juden die Quelle des Judenhasses
allmählich zu verstopfen, aber ebensowenig, von Laune und
Verkehrtheiten einzelner Regenten abgesehen, dem Judenhaß und den
Judenhetzen von Seiten der Regierung Vorschub getan. In der Tat ist die
Katastrophe des Judentums nicht aus der Behandlung der jüdischen
Diaspora im Orient hervorgegangen. Lediglich die in verhängnisvoller
Weise sich entwickelnden Beziehungen des Reichsregiments zu dem
jüdischen Rabbistaat haben nicht bloß die Zerstörung des Gemeinwesens
von Jerusalem herbeigeführt, sondern weiter die Stellung der Juden im
Reiche überhaupt erschüttert und verschoben. Wir wenden uns dazu, die
Vorgänge in Palästina unter der römischen Herrschaft zu schildern.
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^5 Der Jude Philon schreibt die Behandlung der Juden in Italien auf
Rechnung des Seianus (leg. 24; in Flacc. 1), die der Juden im Osten auf
die des Kaisers selbst. Aber Josephus führt vielmehr, was in Italien
geschah, zurück auf einen Skandal in der Hauptstadt, welchen drei
jüdische fromme Schwindler und eine zum Judentum bekehrte vornehme Dame
gegeben hatten, und Philon selbst gibt zu, daß Tiberius nach Seians
Sturz den Statthaltern nur gewisse Milderungen in dem Verfahren gegen
die Juden aufgegeben habe. Die Politik des Kaisers und die seiner
Minister den Juden gegenüber war im wesentlichen dieselbe.
^6 Agrippa II., der die jüdischen Ansiedlungen im Ausland aufzählt (bei
Philon leg. ad Gaium 36), nennt keine Landschaft westlich von
Griechenland, und unter den in Jerusalem weilenden Fremden, die die
Apostelgeschichte 2, 5 f. verzeichnet, sind aus dem Westen nur Römer
genannt.
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Die Zustände im südlichen Syrien waren von den Feldherrn der Republik,
Pompeius und seinen nächsten Nachfolgern, in der Weise geordnet worden,
daß die größeren Gewalten, die dort anfingen sich zu bilden, wieder
herabgedrückt und das ganze Land in einzelne Stadtgebiete und
Kleinherrschaften aufgelöst wurde. Am schwersten waren davon die Juden
betroffen worden; nicht bloß hatten sie allen hinzugewonnenen Besitz,
namentlich die ganze Küste, herausgeben müssen, sondern Gabinius hatte
sogar den alten Bestand des Reiches in fünf selbständig sich
verwaltende Kreise aufgelöst und dem Hohenpriester Hyrkanos seine
weltlichen Befugnisse entzogen. Damit war also wie einerseits die
Schutzmacht, so andererseits die reine Theokratie wieder hergestellt.
Indes änderte dies sich bald. Hyrkanos oder vielmehr der für ihn
regierende Minister, der Idumäer Antipatros ^7, gelangte wohl schon
durch Gabinius selbst, dem er bei seinen parthischen und ägyptischen
Unternehmungen sich unentbehrlich zu machen verstand, wiederum zu der
führenden Stellung im südlichen Syrien. Nach der Plünderung des Tempels
von Jerusalem durch Crassus ward der dadurch veranlaßte Aufstand der
Juden hauptsächlich durch ihn gedämpft. Es war für ihn eine günstige
Fügung, daß die jüdische Regierung nicht genötigt ward, in die Krisis
zwischen Caesar und Pompeius, für welchen sie wie der ganze Osten sich
erklärt hatte, handelnd einzugreifen. Dennoch wäre wohl, nachdem der
Bruder und Rivale des Hyrkanos, Aristobulos, sowie dessen Sohn
Alexander, wegen ihres Eintretens für Caesar, durch die Pompeianer ihr
Leben verloren hatten, nach Caesars Sieg der zweite Sohn Antigonos von
diesem in Judäa als Herrscher eingesetzt worden. Aber als Caesar, nach
dem entscheidenden Sieg nach Ägypten gekommen, sich in Alexandreia in
einer gefährlichen Lage befand, war es vornehmlich Antipatros, der ihn
aus dieser befreite, und dies schlug durch; Antigonos mußte
zurückstehen hinter der neueren, aber wirksameren Treue. Nicht am
wenigsten hat Caesars persönliche Dankbarkeit die förmliche
Restauration des Judenstaates gefördert. Das Jüdische Reich erhielt die
beste Stellung, die dem Klientelstaat gewährt werden konnte, völlige
Freiheit von Abgaben an die Römer ^8 und von militärischer Besatzung
und Aushebung ^9, wogegen allerdings auch die Pflichten und die Kosten
der Grenzverteidigung von der einheimischen Regierung zu übernehmen
waren. Die Stadt Ioppe und damit die Verbindung mit dem Meer wurde
zurückgegeben, die Unabhängigkeit der inneren Verwaltung sowie die
freie Religionsübung garantiert, die bisher verweigerte
Wiederherstellung der von Pompeius geschleiften Festungswerke
Jerusalems gestattet (707 47). Also regierte unter dem Namen des
Hasmonäerfürsten ein Halbfremder - denn die Idumäer standen zu den
eigentlichen, von Babylon zurückgewanderten Juden ungefähr wie die
Samariter - den Judenstaat unter dem Schutz und nach dem Willen Roms.
Die nationalgesinnten Juden waren dem neuen Regiment nichts weniger als
geneigt. Die alten Geschlechter, die im Rat von Jerusalem führten,
hielten im Herzen zu Aristobulos und nach dessen Tode zu seinem Sohn
Antigonos. In den Bergen Galiläas fochten die Fanatiker ebenso gegen
die Römer wie gegen die eigene Regierung; als Antipatros’ Sohn Herodes
den Führer dieser wilden Schar, Ezekias, gefangengenommen und hatte
hinrichten lassen, zwang der Priesterrat von Jerusalem unter dem
Vorwand verletzter Religionsvorschriften den schwachen Hyrkanos, den
Herodes zu verbannen. Dieser trat darauf in das römische Heer ein und
leistete dem Caesarischen Statthalter von Syrien gegen die Insurrektion
der letzten Pompeianer gute Dienste. Aber als nach der Ermordung
Caesars die Republikaner im Osten die Oberhand gewannen, war Antipatros
wieder der erste, der dem Stärkeren nicht bloß sich fügte, sondern sich
die neuen Machthaber verpflichtete durch rasche Beitreibung der von
ihnen auferlegten Kontribution. So kam es, daß der Führer der
Republikaner, als er aus Syrien abzog, den Antipatros in seiner
Stellung beließ und dem Sohne desselben, Herodes, sogar ein Kommando in
Syrien anvertraute. Als dann Antipatros starb, wie man sagt, von einem
seiner Offiziere vergiftet, glaubte Antigonos, der bei seinem Schwager,
dem Fürsten Ptolemaeos von Chalkis, Aufnahme gefunden hatte, den
Augenblick gekommen, um den schwachen Oheim zu beseitigen. Aber die
Söhne des Antipatros, Phasael und Herodes, schlugen seine Schar aufs
Haupt, und Hyrkanos verstand sich dazu, ihnen die Stellung des Vaters
zu gewähren, ja sogar den Herodes, indem er ihm seine Enkelin Mariamme
verlobte, gewissermaßen in das regierende Haus aufzunehmen. Inzwischen
unterlagen die Führer der republikanischen Partei bei Philippi. Die
Opposition in Jerusalem hoffte nun den Sturz der verhaßten Antipatriden
bei den Siegern zu erwirken; aber Antonius, dem das Schiedsgericht
zufiel, wies deren Deputationen erst in Ephesos, dann in Antiocheia,
zuletzt in Tyros entschieden ab, ja ließ die letzten Gesandten
hinrichten, und bestätigte Phasael und Herodes förmlich als
“Vierfürsten” ^10 - der Juden (723 41).
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^7 Antipatros begann seine Laufbahn als Statthalter (στρατηγός) von
Idumäa (Ios. ant. Iud. 14, 1, 3), und heißt dann Verwalter des
Jüdischen Reiches (ο τών Ιουδαίων επιμελητής daselbst 14, 8, 1), das
heißt etwa erster Minister. Mehr liegt auch nicht in der gegen Rom wie
gegen Herodes adulatorisch gefärbten Erzählung des Josephus (ant. Iud.
14, 8, 5; bel. Iud. 1, 10, 3), daß Caesar dem Antipatros die Wahl
überlassen habe, seine Machtstellung (δυναστεία) selbst zu bestimmen
und, da dieser ihm die Entscheidung anheimstellt, ihn zum Verwalter
(επίτροπος) von Judäa bestellt habe. Dies ist nicht, wie Marquardt,
Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 408 will, die (damals noch gar nicht
bestehende) römische Prokuratur der Kaiserzeit, sondern ein formell von
dem jüdischen Ethnarchen verliehenes Amt, eine επιτροπή, wie die bei
Ios. bel. Iud. 2, 18, 6 erwähnte. In den Aktenstücken aus Caesars Zeit
vertritt die Juden allein der Erzpriester und Ethnarch Hyrkanos; Caesar
gab dem Antipatros, was dem Untertanen eines abhängigen Staats gewährt
werden konnte, das römische Bürgerrecht und die personale Immunität
(Ios. ant. Iud. 14, 8, 3; bel. Iud. 1, 9, 5), aber er machte ihn nicht
zum Beamten Roms. Daß Herodes, aus Judäa vertrieben, von dem Römern
eine römische Offizierstellung etwa in Samaria erhalten hat, ist
glaublich; aber die Bezeichnungen στρατηγός τής Κοιλής Συρίας; (Ios.
ant. Iud. 14 9, 5 c. 11, 4) oder στρατηγός Κοιλής Συρίας καί Σαμαρίας;
(bel. Iud. 1, 10, 8) sind mindestens irreführend, und ebenso inkorrekt
nennt derselbe Schriftsteller den Herodes später deswegen, weil er τοίς
επιτρπεύουσι τής Συρίας; als Ratgeber dienen soll (ant. Iud. 15, 10,
3), sogar Συρίας ολής επίτροπον (bel. Iud. 1, 20, 4, wo Marquardts
Änderung [Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 408 Κοιλής den Sinn zerstört).
^8 In dem Dekret Caesars bei Josephus (ant. Iud. 14, 10, 5 u. 6) ist
die aus Epiphanius sich ergebende Lesung die einzig mögliche: danach
wird das Land von der (durch Pompeius auferlegten: Ios. ant. Iud. 14,
4, 4) Steuer, vom zweiten Jahr der laufenden Verpachtung an, befreit
und weiter verordnet, daß die Stadt Joppe, die damals aus römischem
Besitz in jüdischen überging, zwar auch ferner den vierten Teil der
Feldfrüchte in Sidon an die Römer abliefern, aber dafür dem Hyrkanos
ebenfalls in Sidon als Äquivalent jährlich 20675 Scheffel Getreide
gewährt werden sollen, woneben die Joppenser auch noch den Zehnten an
Hyrkanos entrichten. Auch zeigt die ganze sonstige Erzählung, daß der
jüdische Staat seitdem von Tributzahlung frei ist; daß Herodes von den
der Kleopatra zugewiesenen Distrikten, die er ihr abpachtet, φόρος
zahlt (ant. Iud. 15, 4, 2 u. 4. c. 5, 3), bestätigt nur die Regel. Wenn
App. civ. 5, 75 unter den von Antonius mit Tribut belegten Königen den
Herodes für Idumäa und Samaria aufführt, so fehlt Judäa auch hier nicht
ohne guten Grund; und auch für diese Nebenländer kann ihm der Tribut
von Augustus erlassen sein. Der detaillierte und zuverlässige Bericht
über die Schatzung, die Quirinius anordnet, zeigt mit völliger
Klarheit, daß das Land bis dahin von römischer Steuer frei war.
^9 In demselben Dekret heißt es: καί όπως μηδείς μήτε αρχών μήτε
στρατηγός ή πρεσβευτης εν τοίς όροις τών Ιουδαίων ανιστά (‘vielleicht
συνιστά Wilamowitz) συμμαψίαν καί στρατιώτας εξιή (so Wilamowitz für
εξεί), ή τά χρήματα τούτων ανεπηρεάστους (vgl. 14, 10, 2: παραχειμασίαν
δέ καί χρήματα πράττεσθαι οθ δοκιμάζω). Dies entspricht im wesentlichen
der Formel des wenig älteren Freibriefs für Termessos (CIL I, 204): nei
quis magistratu prove magistratu legatus ne[ive] quis alius meilites in
oppidum Thermesum . . . agrumve . . . hiemandi caussa introducito . . .
nisei senatus nominatim utei Thermesum . . . in hibernacula meilites
deducantur decreverit. Der Durchmarsch ist demnach gestattet. In dem
Privilegium für Judäa scheint außerdem noch die Aushebung untersagt
gewesen zu sein.
^10 Dieser Titel, der zunächst das kollegialische Vierfürstentum
bezeichnet, wie es bei den Galatern herkömmlich war, ist dann
allgemeiner für die Samt-, ja auch für die Einherrschaft, immer aber
als im Rang dem königlichen nachstehend verwendet worden. In dieser
Weise erscheint er außer in Galanen auch in Syrien vielleicht seit
Pompeius, sicher seit Augustus. Die Nebeneinanderstellung eines
Ethnarchen und zweier Tetrarchen, wie sie im Jahre 713 (41) für Judäa
nach Josephus (ant. Iud. 14, 13, 1; bel. Iud. 1, 12, 5) angeordnet
ward, begegnet sonst nicht wieder; analog ist Pheroras Tetrarch der
Peraea unter seinem Bruder Herodes (bel. Iud. 1, 24, 5).
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Bald rissen die Wendungen der großen Politik den jüdischen Staat noch
einmal in ihre Wogen. Der Herrschaft der Antipatriden machte im
folgenden Jahre (714 40) die Invasion der Parther zunächst ein Ende.
Der Prätendent Antigonos schlug sich zu ihnen und bemächtigte sich
Jerusalems und fast des ganzen Gebiets. Hyrkanos ging als Gefangener zu
den Parthern, Phasael, Antipatros’ ältester Sohn, gleichfalls gefangen,
gab sich im Kerker den Tod. Mit genauer Not barg Herodes die Seinigen
in einem Felsenschloß am Saume Judäas und ging selbst flüchtig und
Hilfe bittend zuerst nach Ägypten und, da er hier Antonius nicht mehr
fand, zu den beiden eben damals in neuer Eintracht schaltenden
Machthabern (724 40) nach Rom. Bereitwillig gestattete man ihm, was ja
nur im römischen Interesse lag, das Jüdische Reich für sich
zurückzugewinnen; er kam nach Syrien zurück, soweit es auf die Römer
ankam, als anerkannter Herrscher und sogar ausgestattet mit dem
königlichen Titel. Aber gleich wie ein Prätendent hatte er das Land
nicht so sehr den Parthern als den Patrioten zu entreißen. Vorzugsweise
mit Samaritern und Idumäern und gedungenen Soldaten schlug er seine
Schlachten und gelangte endlich durch die Unterstützung der römischen
Legionen auch in den Besitz der lange verteidigten Hauptstadt. Die
römischen Henker befreiten ihn gleichfalls von seinem langjährigen
Nebenbuhler Antigonos, seine eigenen räumten auf unter den vornehmen
Geschlechtern des Rats von Jerusalem.
Aber die Tage der Bedrängnis waren mit seiner Installation noch
keineswegs vorüber. Antonius’ unglückliche Expedition gegen die Parther
blieb für Herodes ohne Folgen, da die Sieger es nicht wagten, in Syrien
einzurücken; aber schwer litt er unter den immer sich steigernden
Ansprüchen der ägyptischen Königin, die damals mehr als Antonius den
Osten beherrschte; ihre frauenhafte Politik, zunächst gerichtet auf die
Erweiterung ihrer Hausmacht und vor allem ihrer Einkünfte, erreichte
zwar bei Antonius bei weitem nicht alles, was sie begehrte, aber sie
entriß dem König der Juden doch einen Teil seiner wertvollsten
Besitzungen an der syrischen Küste und in dem ägyptisch-syrischen
Zwischengebiet, ja selbst die reichen Balsampflanzungen und Palmenhaine
von Jericho und legte ihm schwere finanzielle Lasten auf. Um den Rest
seiner Herrschaft zu behaupten, mußte er die neuen syrischen
Besitzungen der Königin entweder selber abpackten oder für andere
minder zahlungsfähige Pächter garantieren. Nach all diesen
Bedrängnissen und in Erwartung noch ärgerer und ebensowenig abweisbarer
Anforderungen war der Ausbruch des Krieges zwischen Antonius und Caesar
für ihn eine Hoffnung, und daß Kleopatra in ihrer egoistischen
Verkehrtheit ihm die tätige Teilnahme an dem Kriege erließ, weil er
seine Truppen brauche, um ihre syrischen Einkünfte beizutreiben, ein
weiterer Glücksfall, da dies ihm die Unterwerfung unter den Sieger
erleichterte. Das Glück kam ihm noch weiter bei dem Parteiwechsel
entgegen: er konnte eine Schar getreuer Gladiatoren des Antonius
abfangen, die aus Kleinasien durch Syrien nach Ägypten marschierten, um
ihrem Herrn Beistand zu leisten. Indem er, bevor er sich zu Caesar nach
Rhodos begab, um seine Begnadigung zu erwirken, den letzten männlichen
Sproß des Makkabäerhauses, den achtzigjährigen Hyrkanos, dem das Haus
des Antipatros seine Stellung verdankte, für alle Fälle hinrichten
ließ, übertrieb er in der Tat die notwendige Vorsicht. Caesar tat, was
die Politik ihn tun hieß, zumal da für die beabsichtigte ägyptische
Expedition die Unterstützung des Herodes von Wichtigkeit war; er
bestätigte den gern Besiegten in seiner Herrschaft und erweiterte sie
teils durch die Rückgabe der von Kleopatra ihm entrissenen Besitzungen,
teils durch weitere Gaben: die ganze Küste von Gaza bis zum
Stratonsturm, dem späteren Caesarea, die zwischen Judäa und Galiläa
sich einschiebende samaritanische Landschaft und eine Anzahl von
Städten östlich vom Jordan gehorchten seitdem dem Herodes. Mit der
Konsolidierung der römischen Monarchie war auch das jüdische Fürstentum
weiteren äußeren Krisen entzogen.
Vom römischen Standpunkt aus erscheint das Verhalten der neuen Dynastie
in einer Weise korrekt, daß dem Betrachtenden dabei die Augen
übergehen. Sie tritt ein zuerst für Pompeius, dann für Caesar den
Vater, dann für Cassius und Brutus, dann für die Triumvirn, dann für
Antonius, endlich für Caesar den Sohn; die Treue wechselt wie die
Parole. Dennoch ist diesem Verhalten die Folgerichtigkeit und
Festigkeit nicht abzusprechen. Die Parteiungen, die die herrschende
Bürgerschaft zerrissen, ob Republik oder Monarchie, ob Caesar oder
Antonius, gingen die abhängigen Landschaften, vor allem die des
griechischen Ostens, in der Tat nichts an. Die Entsittlichung, die mit
allem revolutionären Regimentswechsel verbunden ist, die entweihende
Vermengung der inneren Treue und des äußeren Gehorsams, kam in diesem
Fall in grellster Weise zum Vorschein; aber der Pflichterfüllung, wie
sie das römische Gemeinwesen von seinen Untertanen beanspruchte, hatte
König Herodes in einer Ausdehnung genügt, welcher edlere und
großartigere Naturen allerdings nicht fähig gewesen sein würden. Den
Parthern gegenüber hat er stets, auch in bedenklichen Lagen, fest zu
den einmal erkorenen Schutzherren gehalten.
Vom Standpunkt der inneren jüdischen Politik aus ist das Regiment des
Herodes die Beseitigung der Theokratie und insofern eine Fortsetzung,
ja eine Steigerung des Regiments der Makkabäer, als die Trennung des
staatlichen und des Kirchenregiments in schneidendster Schärfe
durchgeführt wird in dem Gegensatz zwischen dem allmächtigen, aber
fremdgeborenen König, und dem machtlosen, oft und willkürlich
gewechselten Erzpriester. Freilich wurde dem jüdischen Hochpriester die
königliche Stellung eher verziehen als dem fremden und priesterlicher
Weihe unfähigen Mann; und wenn die Hasmonäer die Unabhängigkeit des
Judentums nach außen hin vertraten, trug der Idumäer seine königliche
Macht über die Juden von dem Schirmherrn zu Lehen. Die Rückwirkung
dieses unlösbaren Konflikts auf eine tief leidenschaftliche Natur tritt
in dem ganzen Lebenslauf des Mannes uns entgegen, der viel Leid
bereitet, aber vielleicht nicht weniger empfunden hat. Immer sichern
die Energie, die Stetigkeit, die Fügsamkeit in das Unvermeidliche, die
militärische und politische Geschicklichkeit, wo dafür Raum war, dem
Judenkönig einen gewissen Platz in dem Gesamtbild einer merkwürdigen
Epoche.
Das fast vierzigjährige Regiment des Herodes - er starb im Jahre 750
(4) - im einzelnen zu schildern, wie es die dafür in großer
Ausführlichkeit erhaltenen Berichte gestatten, ist nicht die Aufgabe
des Geschichtschreibers von Rom. Es gibt wohl kein Königshaus
irgendeiner Zeit, in welchem die Blutfehde zwischen Eltern und Kindern,
zwischen Gatten und Geschwistern in gleicher Weise gewütet hat; Kaiser
Augustus und seine Statthalter in Syrien wandten schaudernd sich ab von
dem Anteil an dem Mordwerk, der ihnen angesonnen ward; nicht der
mindest entsetzliche Zug in diesem Greuelbild ist die völlige
Zwecklosigkeit der meisten, in der Regel auf grundlosen Verdacht
verfügten Exekutionen und die stetig nachfolgende verzweifelnde Reue
des Urhebers. Wie kräftig und verständig der König das Interesse seines
Landes, soweit er konnte und durfte, wahrnahm, wie energisch er nicht
bloß in Palästina, sondern im ganzen Reich mit seinen Schätzen und mit
seinem nicht geringen Einfluß für die Juden eintrat -die den Juden
günstige Entscheidung Agrippas in dem großen kleinasiatischen
Reichshandel hatten sie wesentlich ihm zu verdanken -, Liebe und Treue
fand er wohl in Idumäa und Samaria, aber nicht bei dem Volke Israel;
hier war und blieb er nicht so sehr der mit vielfacher Blutschuld
beladene, als vor allem der fremde Mann. Wie es eine der
Haupttriebfedern jenes Hauskrieges ist, daß er in seiner Gattin aus
hasmonäischem Geschlecht, der schönen Mariamne, und in deren Kindern
mehr die Juden als die Seinen sah und fürchtete, so hat er es selbst
ausgesprochen, daß er sich zu den Griechen ebenso hingezogen fühle, wie
von den Juden abgestoßen. Es ist bezeichnend, daß er die Söhne, denen
er zunächst die Nachfolge zudachte, in Rom erziehen ließ. Während er
aus seinen unerschöpflichen Reichtümern die Griechenstädte des
Auslandes mit Gaben überhäufte und mit Tempeln schmückte, baute er für
die Juden wohl auch, aber nicht im jüdischen Sinne. Die Circus- und
Theaterbauten in Jerusalem selbst wie die Tempel für den Kaiserkultus
in den jüdischen Städten galten dem frommen Israeliten als Aufforderung
zur Gotteslästerung. Daß er den Tempel in Jerusalem in einen Prachtbau
verwandelte, geschah halb gegen den Willen der Frommen; wie sehr sie
den Bau bewunderten, daß er an demselben einen goldenen Adler
anbrachte, wurde ihm mehr verübelt als alle von ihm verfügten
Todesurteile und führte zu einem Volksaufstand, dem der Adler zum Opfer
fiel und dann freilich auch die Frommen, die ihn abrissen. Herodes
kannte das Land genug, um es nicht auf das äußerste kommen zu lassen;
wenn es möglich gewesen wäre, dasselbe zu hellenisieren, der Wille dazu
hätte ihm nicht gefehlt. An Tatkraft stand der Idumäer hinter den
besten Hasmonäern nicht zurück. Der große Hafenbau beim Stratonsturm
oder, wie die von Herodes völlig umgebaute Stadt seitdem heißt, bei
Caesarea, gab der hafenarmen Küste zuerst das, was sie brauchte, und
die ganze Kaiserzeit hindurch ist die Stadt ein Hauptemporium des
südlichen Syriens geblieben. Was sonst die Regierung zu leisten vermag,
Entwicklung der natürlichen Hilfsquellen, Eintreten bei Hungersnot und
anderen Kalamitäten, vor allen Dingen Sicherheit des Landes nach innen
und außen, das hat Herodes geleistet. Der Räuberunfug wurde abgestellt
und die in diesen Gegenden so ungemein schwierige Verteidigung der
Grenze gegen die streifenden Stämme der Wüste mit Strenge und
Folgerichtigkeit durchgeführt. Dadurch wurde die römische Regierung
bewogen, ihm noch weitere Gebiete zu unterstellen, Ituräa, Trachonitis,
Auranitis, Batanaea. Seitdem erstreckte sich seine Herrschaft, wie dies
schon erwähnt ward, geschlossen über das transjordanische Land bis
gegen Damaskos und zum Hermongebirge; soviel wir erkennen können, hat
es nach jenen weiteren Zuweisungen in dem ganzen bezeichneten Gebiet
keine Freistadt und keine von Herodes unabhängige Herrschaft mehr
gegeben. Die Grenzverteidigung selbst traf mehr den arabischen König
als den der Juden; aber soweit sie ihm oblag, bewirkte die Reihe
wohlversehener Grenzkastelle auch hier einen Landfrieden, wie man ihn
bisher in diesen Gegenden nicht gekannt hatte. Man begreift es, daß
Agrippa, nachdem er die Hafen- und die Kriegsbauten des Herodes
besichtigt hatte, in ihm einen gleichstrebenden Gehilfen bei dem großen
Organisationswerk des Reiches erkannte und ihn in diesem Sinne
behandelte.
Dauernden Bestand hatte sein Reich nicht. Herodes selbst teilte es in
seinem Testament unter drei seiner Söhne, und Augustus bestätigte die
Verfügung im wesentlichen, indem er nur den wichtigen Hafen Gaza und
die transjordanischen Griechenstädte unmittelbar unter den syrischen
Statthalter stellte. Die nördlichen Reichsteile wurden von dem
Hauptland abgetrennt; das zuletzt von Herodes erworbene Gebiet südlich
von Damaskos, die Batanaea mit den dazu gehörigen Distrikten erhielt
Philippos, Galiläa und die Peraea, das heißt das transjordanische
Gebiet, soweit es nicht griechisch war, Herodes Antipas, beide als
Tetrarchen; diese beiden Kleinfürstentümer haben anfangs getrennt, dann
unter Herodes des “Großen” Urenkel Agrippa II. vereinigt, mit geringen
Unterbrechungen bis unter Traianus fortbestanden. Wir haben ihres
Regiments bei der Schilderung des östlichen Syriens und Arabiens
bereits gedacht. Hier mag nur hinzugefügt werden, daß diese Herodeer,
wenn nicht mit der Energie, doch im Sinn und Geist des Stifters der
Dynastie weiterregierten. Die von ihnen eingerichteten Städte Caesarea,
das alte Paneas, im nördlichen Gebiet und Tiberias in Galiläa sind ganz
in der Art des Herodes hellenisch geordnet; charakteristisch ist die
Ächtung, welche die jüdischen Rabbis wegen eines bei der Anlage von
Tiberias gefundenen Grabes über die unreine Stadt verhängten.
Das Hauptland, Judäa nebst Samaria nördlich und Idumäa südlich, bekam
nach dem Willen des Vaters Archelaos. Aber den Wünschen der Nation
entsprach diese Erbfolge nicht. Die Orthodoxen, das heißt die
Pharisäer, beherrschten so gut wie ausschließlich die Masse, und wenn
bisher die Furcht des Herrn einigermaßen niedergehalten war durch die
Furcht vor dem rücksichtslos energischen König, so stand doch der Sinn
der großen Majorität der Juden darauf, unter der Schirmherrschaft Roms
das reine gottselige Priesterregiment wieder herzustellen, wie es einst
die persischen Beamten eingerichtet hatten. Unmittelbar nach dem Tode
des alten Königs hatten die Massen in Jerusalem sich zusammengerottet,
um die Beseitigung des von Herodes ernannten Hohenpriesters und die
Ausweisung der Ungläubigen aus der heiligen Stadt zu verlangen, wo eben
das Passah gefeiert werden sollte; Archelaos hatte sein Regiment damit
beginnen müssen, auf diese Massen einhauen zu lassen; man zählte eine
Menge Tote, und die Festfeier unterblieb. Der römische Statthalter von
Syrien - derselbe Varus, dessen Unverstand bald darauf den Römern
Germanien kostete -, dem es zunächst oblag, während des Interregnums
die Ordnung im Lande aufrecht zu halten, hatte diesen in Jerusalem
meuternden Haufen gestattet, nach Rom, wo eben über die Besetzung des
jüdischen Thrones verhandelt ward, eine Deputation von fünfzig Personen
zu entsenden, um die Abschaffung des Königtums zu erbitten, und als
Augustus diese vorließ, gaben achttausend hauptstädtische Juden ihr das
Geleit zum Tempel des Apollo. Die fanatisierten Juden daheim fuhren
inzwischen fort, sich selber zu helfen; die römische Besatzung, die in
den Tempel gelegt war, wurde mit stürmender Hand angegriffen, und
fromme Räuberscharen erfüllten das Land; Varus mußte die Legionen
ausrücken lassen und mit dem Schwert die Ruhe wieder herstellen. Es war
eine Warnung für den Oberherrn, eine nachträgliche Rechtfertigung für
König Herodes’ gewalttätiges, aber wirksames Regiment. Aber mit der
ganzen Schwächlichkeit, welche er namentlich in späteren Jahren so oft
bewies, wies Augustus allerdings die Vertreter jener fanatischen Massen
mit ihrem Begehren ab, übergab aber, im wesentlichen das Testament des
Herodes ausführend, die Herrschaft in Jerusalem dem Archelaos,
gemindert um den königlichen Titel, den Augustus dem unerprobten jungen
Mann zur Zeit nicht zugestehen mochte, ferner gemindert um die
nördlichen Gebiete und mit der Abnahme der Grenzverteidigung auch in
der militärischen Stellung herabgedrückt. Daß auf Augustus’
Veranlassung die unter Herodes hochgespannten Steuern herabgesetzt
wurden, konnte die Stellung des Vierfürsten wenig bessern. Archelaos’
persönliche Unfähigkeit und Unwürdigkeit brauchten kaum noch
hinzuzutreten, um ihn unmöglich zu machen; wenige Jahre darauf (6 n.
Chr.) sah Augustus selbst sich genötigt, ihn abzusetzen. Nun tat er
nachträglich jenen Meuterern ihren Willen: das Königtum wurde
abgeschafft und das Land einerseits in unmittelbare römische Verwaltung
genommen, andererseits, soweit neben dieser ein inneres Regiment
zugelassen ward, dasselbe dem Senat von Jerusalem übergeben. Bei diesem
Verfahren mögen allerdings teils früher in Betreff der Erbfolge von
Augustus dem Herodes gegebene Zusicherungen mitbestimmend gewesen sein,
teils die mehr und mehr hervortretende und im allgemeinen wohl
gerechtfertigte Abneigung der Reichsregierung gegen größere,
einigermaßen selbständig sich bewegende Klientelstaaten. Was in
Galatien, in Kappadokien, in Mauretanien kurz vorher oder bald nachher
geschah, erklärt, warum auch in Palästina das Reich des Herodes ihn
selbst kaum überdauerte. Aber wie in Palästina das unmittelbare
Regiment geordnet ward, war es auch administrativ ein arger Rückschritt
gegen das Herodische; vor allem aber lagen hier die Verhältnisse so
eigenartig und so schwierig, daß die allerdings von der Priesterpartei
selbst hartnäckig erstrebte und schließlich erlangte unmittelbare
Berührung der regierenden Römer und der regierten Juden weder diesen
noch jenen zum Segen gereichte.
Judäa wurde somit im Jahre 6 n. Chr. eine römische Provinz zweiten
Ranges ^11 und ist, abgesehen von der ephemeren Restauration des
jerusalemischen Königreichs unter Claudius in den Jahren 41-44, seitdem
römische Provinz geblieben. An die Stelle des bisherigen
lebenslänglichen und, unter Vorbehalt der Bestätigung durch die
römische Regierung, erblichen Landesfürsten trat ein vom Kaiser auf
Widerruf ernannter Beamter aus dem Ritterstand. Der Sitz der römischen
Verwaltung wurde, wahrscheinlich sofort, die von Herodes nach
hellenischem Muster umgebaute Hafenstadt Caesarea. Die Befreiung des
Landes von römischer Besatzung fiel selbstverständlich weg, aber, wie
durchgängig in den Provinzen zweiten Ranges, bestand die römische
Truppenmacht nur aus einer mäßigen Zahl von Reiter- und Fußabteilungen
der geringeren Kategorie; späterhin lagen dort eine Ala und fünf
Kohorten, etwa 3000 Mann. Diese Truppen wurden vielleicht von dem
früheren Regiment übernommen, wenigstens zum großen Teil im Lande
selbst, jedoch meist aus Samaritanern und syrischen Griechen gebildet
^12. Legionarbesatzung erhielt die Provinz nicht, und auch in den Judäa
benachbarten Gebieten stand höchstens eine von den vier syrischen
Legionen. Nach Jerusalem kam ein ständiger römischer Kommandant, der in
der Königsburg seinen Sitz nahm, mit einer schwachen ständigen
Besatzung; nur während der Passahzeit, wo das ganze Land und unzählige
Fremde nach dem Tempel strömten, lag eine stärkere Abteilung römischer
Soldaten in einer zum Tempel gehörigen Halle. Daß mit der Einrichtung
der Provinz die Steuerpflichtigkeit Rom gegenüber eintrat, folgt schon
daraus, daß die Kosten der Landesverteidigung damit auf die
Reichsregierung übergingen. Nachdem diese bei der Einsetzung des
Archelaos eine Herabsetzung der Abgaben veranlaßt hatte, ist es wenig
wahrscheinlich, daß sie bei der Einziehung des Landes eine sofortige
Erhöhung derselben in Aussicht nahm; wohl aber wurde, wie in jedem neu
erworbenen Gebiet, zu einer Revision der bisherigen Katastrierung
geschritten ^13.
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^11 Die Angabe des Josephus, daß Judäa zur Provinz Syrien gezogen und
dessen Statthalter unterstellt worden sei (ant. Iud. 17 fin.: τού δέ
Αρχελάου χώρας υποτελούς προσνεμηθείσης τή Σύρων; 18, 1, 1 : εις τήν
Ιουδαίων προσθήκην τής Συρίας; 4, 6) scheint unrichtig zu sein;
vielmehr bildete Judäa wahrscheinlich seitdem eine eigene
prokuratorische Provinz. Genaue Unterscheidung zwischen dem rechtlichen
und dem faktischen Eingreifen des syrischen Statthalters darf man bei
Josephus nicht erwarten. Daß derselbe die neue Provinz ordnete und die
erste Schatzung leitete, entscheidet nicht über die Frage, welche
Einrichtung ihr gegeben ward. Wo die Juden sich über ihren Prokurator
bei dem Statthalter von Syrien beschweren und dieser gegen denselben
einschreitet, ist allerdings der Prokurator von dem Legaten abhängig;
aber wenn L. Vitellius dies tat (Ios. ant. Iud. 18, 4, 2), so griff
dessen Macht eben außerordentlicherweise hinaus über die Provinz (Tac.
ann. 6, 32; Römisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 822), und in dem andern
Fall zeigen die Worte des Tacitus (12, 54): quia Claudius ius statuendi
etiam de procuratoribus dederat, daß der Statthalter von Syrien kraft
seiner allgemeinen Kompetenz ein solches Urteil nicht hätte fällen
können. Sowohl das ius gladii dieser Prokuratoren (Ios. bel. Iud. 2, 8,
1: μέχρι τού κτείνειν λαβών παρά τού Καίσαρος εξουσίαν, ant. Iud. 18,
1, 1; ηγησόμενος Ιουδαίων τή επί πάσιν εξουσία) wie ihr ganzes
Auftreten beweisen, daß sie nicht zu denen gehörten, die unter einem
kaiserlichen Legaten stehend nur finanzielle Geschäfte besorgten,
sondern vielmehr wie die Prokuratoren von Noricum und Raetia auch für
Rechtspflege und Heerbefehl die höchste Instanz bildeten. Also hatten
die Legaten von Syrien dort nur die Stellung wie die von Pannonien in
Noricum und der obergermanische in Rätien. Dies entspricht auch der
allgemeinen Entwicklung der Verhältnisse: alle größeren Königreiche
sind bei der Einziehung nicht den benachbarten großen
Statthalterschaften zugelegt worden, deren Machtfülle zu steigern nicht
in der Tendenz dieser Epoche liegt, sondern zu selbstständigen, meist
zuerst ritterlichen Statthalterschaften gemacht worden.
^12 Nach Josephus (ant. Iud. 20, 8, 7, genauer als bel. Iud. 2, 13, 7)
bestand der größte Teil der römischen Truppen in Palästina aus
Caesareern und Sebastenern. Die ala Sebastenorum focht im Jüdischen
Kriege unter Vespasian (Ios. bel. Iud. 2, 12, 5). Vgl. Eph. epigr. V,
p. 194. Alae und cohortes Iudaeorum gibt es nicht.
^13 Die Einkünfte des Herodes beliefen sich nach Josephus (ant. Iud.
17, 11, 4) auf etwa 1200 Talente, wovon auf Batanaea mit den
Nebenländern etwa 100, auf Galiläa und Peraea 200, das übrige auf den
Anteil des Archelaos entfallen; dabei ist wohl das ältere hebräische
Talent (zu etwa 7830 Mark) gemeint, nicht, wie F. Hultsch (Griechische
und römische Metrologie. z. Aufl. Berlin 1882, S. 605) annimmt, das
Denartalent (zu etwa 5220 Mark), da die Einkünfte desselben Gebiets
unter Claudius bei demselben Josephus (ant. Iud. 19, 8, 2) auf 12 Mill.
Denare (etwa 10 Mill. Mark) angesetzt werden. Den Hauptposten darin
bildete die Bodenabgabe, deren Höhe wir nicht kennen; in syrischer Zeit
betrug sie wenigstens zeitweilig den dritten Teil vom Getreide und die
Hälfte von Wein und Öl (1. Makk. 10, 30), zu Caesars Zeit für Joppe ein
Viertel der Frucht (Anm. 8), woneben dann noch der Tempelzehnte stand.
Dazu kamen eine Anzahl anderer Steuern und Zölle, Auktionsabgaben,
Salzsteuer, Wege- und Brückengelder u. dgl. m.; diese sind es, auf
welche die Zöllner der Evangelien sich beziehen.
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Für die einheimischen Behörden wurden in Judäa, wie überall, soweit
möglich die Stadtgemeinden zum Fundament genommen. Samaria oder, wie
die Stadt jetzt heißt, Sebaste, das neu angelegte Caesarea und die
sonstigen in dem ehemaligen Reich des Archelaos enthaltenen städtischen
Gemeinden verwalteten unter Aufsicht der römischen Behörde sich selbst.
Auch das Regiment der Hauptstadt mit dem großen dazugehörigen Gebiet
wurde in ähnlicher Weise geordnet. Schon in vorrömischer Zeit unter den
Seleukiden hatte sich, wie wir sahen, in Jerusalem ein Rat der Ältesten
gebildet, das Synhedrion oder judaisiert der Sanhedrin. Den Vorsitz
darin führte der Hochpriester, welchen der jedesmalige Herr des Landes,
wenn er nicht etwa selber Hochpriester war, auf Zeit bestellte. Dem
Kollegium gehörten die gewesenen Hochpriester und angesehene
Gesetzkundige an. Diese Versammlung, in der das aristokratische Element
überwog, funktionierte als höchste geistliche Vertretung der gesamten
Judenschaft, und, soweit diese davon nicht zu trennen war, auch als die
weltliche Vertretung insbesondere der Gemeinde von Jerusalem. Zu einer
geistlichen Institution mosaischer Satzung hat das Synhedrion von
Jerusalem erst der spätere Rabbinismus durch fromme Fiktion
umgestempelt. Er entsprach wesentlich dem Rat der griechischen
Stadtverfassung, trug aber allerdings seiner Zusammensetzung wie seinem
Wirkungskreise nach einen mehr geistlichen Charakter, als er den
griechischen Gemeindevertretungen zukommt. Diesem Synhedrion und seinem
Hochpriester, den jetzt als Vertreter des kaiserlichen Landesherrn der
Prokurator ernannte, ließ oder übertrug die römische Regierung
diejenige Kompetenz, welche in den hellenischen Untertanengemeinden den
städtischen Behörden und den Gemeinderäten zukam. Sie ließ mit
gleichgültiger Kurzsichtigkeit dem transzendentalen Messianismus der
Pharisäer freien Lauf und dem bis zum Eintreffen des Messias
fungierenden, keineswegs transzendentalen Landeskonsistorium ziemlich
freies Schalten in Angelegenheiten des Glaubens, der Sitte und des
Rechts, wo die römischen Interessen dadurch nicht geradezu berührt
wurden. Insbesondere betraf dies die Rechtspflege. Zwar soweit es sich
dabei um römische Bürger handelte, wird die Justiz in Zivil- wie in
Kriminalsachen den römischen Gerichten sogar schon vor der Einziehung
des Landes vorbehalten gewesen sein. Aber die Ziviljustiz über die
Juden blieb auch nach derselben hauptsächlich der örtlichen Behörde.
Die Kriminaljustiz über dieselben übte diese wahrscheinlich im
allgemeinen konkurrierend mit dem römischen Prokurator; nur
Todesurteile konnte sie nicht anders vollstrecken lassen als nach
Bestätigung durch den kaiserlichen Beamten.
Im wesentlichen waren diese Anordnungen die unabweisbaren Konsequenzen
der Abschaffung des Fürstentums, und indem die Juden diese erbaten,
erbaten sie in der Tat jene mit. Gewiß war es auch die Absicht der
Regierung, Härte und Schroffheit bei der Durchführung soweit möglich zu
vermeiden. Publius Sulpicius Quirinius, dem als Statthalter von Syrien
die Einrichtung der neuen Provinz übertragen ward, war ein angesehener
und mit den Verhältnissen des Orients genau vertrauter Beamter, und
alle Einzelberichte bestätigen redend oder schweigend, daß man die
Schwierigkeiten der Verhältnisse kannte und darauf Rücksicht nahm. Die
örtliche Prägung der Kleinmünze, wie sie früher die Könige geübt
hatten, ging jetzt auf den Namen des römischen Herrschers; aber der
jüdischen Bilderscheu wegen wurde nicht einmal der Kopf des Kaisers auf
die Münze gesetzt. Das Betreten des inneren Tempelraumes blieb jedem
Nichtjuden untersagt bei Todesstrafe ^14. Wie ablehnend Augustus sich
persönlich gegen die orientalischen Kulte verhielt, er verschmähte es
hier sowenig wie in Ägypten, sie in ihrer Heimat mit dem Kaiserregiment
zu verknüpfen; prachtvolle Geschenke des Augustus, der Livia und
anderer Glieder des kaiserlichen Hauses schmückten das Heiligtum der
Juden, und nach kaiserlicher Stiftung rauchte täglich dort dem
“höchsten Gott” das Opfer eines Stiers und zweier Lämmer. Die römischen
Soldaten wurden angewiesen, wenn sie in Jerusalem Dienst hatten, die
Feldzeichen mit den Kaiserbildern in Caesarea zu lassen, und als ein
Statthalter unter Tiberius davon abging, entsprach die Regierung
schließlich den flehenden Bitten der Frommen und ließ es bei dem alten.
Ja als auf einer Expedition gegen die Araber die römischen Truppen
durch Jerusalem marschieren sollten, erhielten sie infolge der Bedenken
der Priester gegen die Bilder an den Feldzeichen eine andere
Marschroute. Als ebenjener Statthalter dem Kaiser an der Königsburg in
Jerusalem Schilde ohne Bildwerke weihte und die Frommen auch daran
Ärgernis nahmen, befahl Tiberius dieselben abzunehmen und an dem
Augustustempel in Caesarea aufzuhängen. Das Festgewand des
Hohenpriesters, das sich auf der Burg in römischem Gewahrsam befand und
daher vor der Anlegung erst sieben Tage lang von solcher Entweihung
gereinigt werden mußte, wurde den Gläubigen auf ihre Beschwerde
ausgeliefert und der Kommandant der Burg angewiesen, sich nicht weiter
um dasselbe zu bekümmern. Allerdings konnte von der Menge nicht
verlangt werden, daß sie darum die Folgen der Einverleibung weniger
schwer empfand, weil sie selbst dieselbe herbeigeführt hatte. Auch soll
nicht behauptet werden, daß die Einziehung des Landes für die Bewohner
ohne Bedrückung abging und daß sie keinen Grund hatten, sich zu
beschweren; diese Einrichtungen sind nirgends ohne Schwierigkeiten und
Ruhestörungen durchgeführt worden. Ebenso wird die Anzahl der
Unrechtfertigkeiten und Gewalttätigkeiten, welche einzelne Statthalter
begingen, in Judäa nicht geringer gewesen sein als anderswo. Schon im
Anfang der Regierung des Tiberius klagten die Juden wie die Syrer über
Steuerdruck; insbesondere der langjährigen Verwaltung des Pontius
Pilatus werden von einem nicht unbilligen Beurteiler alle üblichen
Beamtenfrevel zur Last gelegt. Aber Tiberius hat, wie derselbe Jude
sagt, in den dreiundzwanzig Jahren seiner Regierung die
althergebrachten heiligen Gebräuche aufrecht gehalten und in keinem
Teil sie beseitigt oder verletzt. Es ist dies um so mehr anzuerkennen,
als derselbe Kaiser im Okzident so nachdrücklich wie kein anderer gegen
die Juden einschritt und also die in Judäa von ihm bewiesene Langmut
und Zurückhaltung nicht auf persönliche Begünstigung des Judentums
zurückgeführt werden kann.
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^14 An der Marmorschranke (δρύφακτος), welche den inneren Tempelraum
abgrenzte, standen deswegen Warnungstafeln in lateinischer und
griechischer Sprache (Ios. bel. Iud. 5, 5, 2; 6, 2, 4; ant. Iud. 15,
11, 5). Eine der letzteren, die kürzlich wiedergefunden ist (Revue
archeologique 23, 1872, S. 220) und jetzt in dem öffentlichen Museum
von Konstantinopel sich befindet, lautet: μήθ΄ ένα αλλογενή
εισπορεύεσθαι εντός τού περί τό ιερόν τρυφάκτου καί περιβόλου. ός δ'άν
ληφδή, εαυτώ αίτιος έσται διά τό εξακολουθείν θάνατον. Das Iota im
Dativ ist vorhanden, die Schrift gut und passend für frühe Kaiserzeit.
Diese Tafeln sind schwerlich von den jüdischen Königen gesetzt, die
kaum einen lateinischen Text hinzugefügt haben würden und auch keine
Ursache hatten, mit dieser sonderbaren Anonymität den Tod in Aussicht
zu stellen. Wenn sie von der römischen Regierung aufgestellt wurden,
erklärt sich beides; auch sagt Titus bei Ios. bel. Iud. 6, 2, 4 in
einer Ansprache an die Juden: ουχ ημείς τούς υπερβάντας υμίν αναιρείν
επετρέψαμεν, κάν Ρωμαίός τις ή; - Trägt die Tafel wirklich Spuren von
Axthieben, so stammen diese von den Soldaten des Titus.
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Trotz allem dem entwickelten sich gegen die römische Regierung die
prinzipielle Opposition wie die gewaltsame Selbsthilfe der Gläubigen
beide schon in dieser Zeit des Friedens. Die Steuerzahlung ward nicht
etwa bloß, weil sie drückte, sondern als gottlos angefochten. “Ist es
erlaubt”, fragt der Rabbi im Evangelium, “dem Caesar den Zensus zu
zahlen?” Die ironische Antwort, die er empfing, genügte doch nicht
allen; es gab Heilige, wenn auch wohl nicht in großer Zahl, welche sich
verunreinigt meinten, wenn sie eine Münze mit dem Kaiserbild anrührten.
Dies war etwas Neues, ein Fortschritt der Oppositionstheologie; die
Könige Seleukos und Antiochos waren doch auch nicht beschnitten gewesen
und hatten ebenfalls Tribut empfangen in Silberstücken ihres
Bildnisses. Also war die Theorie; die praktische Anwendung davon machte
allerdings nicht der hohe Rat von Jerusalem, in welchem unter dem
Einfluß der Reichsregierung die gefügigeren Vornehmen des Landes
stimmführend waren, aber Judas der Galiläer aus Gamala am See von
Genezareth, welcher, wie Gamaliel diesem hohen Rat später in Erinnerung
brachte, “in den Tagen der Schatzung aufstand, und hinter ihm erhob
sich das Volk zum Abfall”. Er sprach es aus, was alle dachten, daß die
sogenannte Schatzung die Knechtschaft und es eine Schande sei für den
Juden, einen anderen Herrn über sich zu erkennen als den Herrn Zebaoth;
dieser aber helfe nur denen, die sich selber hülfen. Wenn nicht viele
seinem Ruf zu den Waffen folgten, und er nach wenigen Monaten auf dem
Blutgerüst endigte, so war der heilige Tote den unheiligen Siegern
gefährlicher als der Lebende. Er und die Seinigen gelten den späteren
Juden neben den Sadduzäern, Pharisäern und Essäern als die vierte
“Schule”; damals hießen sie die Eiferer, später nennen sie sich die
Sicarier, die Messermänner. Ihre Lehre ist einfach: Gott allein ist
Herr, der Tod gleichgültig, die Freiheit eines und alles. Diese Lehre
blieb, und des Judas Kinder und Enkel wurden die Führer der späteren
Insurrektionen.
Wenn die römische Regierung der Aufgabe, diese explosiven Elemente nach
Möglichkeit niederzuhalten, unter den ersten beiden Regenten im ganzen
genommen geschickt und geduldig genügt hatte, so führte der zweite
Thronwechsel hart an die Katastrophe. Derselbe ward wie im ganzen
Reich, so auch von den Juden in Jerusalem wie in Alexandreia mit Jubel
begrüßt und nach dem menschenscheuen und unbeliebten Greise der neue
jugendliche Herrscher Gaius dort wie hier in überschwenglicher Weise
gefeiert. Aber rasch entwickelte sich aus nichtswürdigen Anlässen ein
furchtbares Zerwürfnis. Ein Enkel des ersten Herodes und der schönen
Mariamne, nach dem Beschützer und Freunde seines Großvaters Herodes
Agrippa genannt, unter den zahlreichen in Rom lebenden orientalischen
Fürstensöhnen ungefähr der geringfügigste und heruntergekommenste, aber
dennoch oder eben darum der Günstling und der Jugendfreund des neuen
Kaisers, bis dahin lediglich bekannt durch seine Liederlichkeit und
seine Schulden, hatte von seinem Beschützer, dem er zuerst die
Nachricht von dem Tode des Tiberius hatte überbringen können, eines der
vakanten jüdischen Kleinfürstentümer zum Geschenk und dazu den
Königstitel erhalten. Dieser kam im Jahre 38 auf der Reise in sein
neues Reich nach der Stadt Alexandreia, wo er wenige Monate vorher als
ausgerissener Wechselschuldner versucht hatte, bei den jüdischen
Bankiers zu borgen. Als er im Königsgewand mit seinen prächtig
staffierten Trabanten sich dort öffentlich zeigte, regte dies
begreiflicherweise die nichtjüdische und den Juden nichts weniger als
wohlwollende Bewohnerschaft der großen spott- und skandallustigen Stadt
zu einer entsprechenden Parodie an, und bei dieser blieb es nicht. Es
kam zu einer grimmigen Judenhetze. Die zerstreut liegenden Judenhäuser
wurden ausgeraubt und verbrannt, die im Hafen liegenden jüdischen
Schiffe geplündert, die in den nicht jüdischen Quartieren betroffenen
Juden mißhandelt und erschlagen. Aber gegen die rein jüdischen
Quartiere vermochte man mit Gewalt nichts auszurichten. Da gerieten die
Führer auf den Einfall, die Synagogen, auf die es vor allem abgesehen
war, soweit sie noch standen, sämtlich zu Tempeln des neuen Herrschers
zu weihen und Bildsäulen desselben in allen, in der Hauptsynagoge eine
solche auf einem Viergespann, aufzustellen. Daß Kaiser Gaius so
ernsthaft, wie sein verwirrter Geist es vermochte, sich für einen
wirklichen und leibhaftigen Gott hielt, wußte alle Welt, und die Juden
und der Statthalter auch. Dieser, Avillius Flaccus, ein tüchtiger Mann
und unter Tiberius ein vortrefflicher Verwalter, aber jetzt gelähmt
durch die Ungnade, in welcher er bei dem neuen Kaiser stand und jeden
Augenblick der Abberufung und der Anklage gewärtig, verschmähte es
nicht, die Gelegenheit zu seiner Rehabilitierung zu benutzen ^15. Er
befahl nicht bloß durch Edikt, der Aufstellung der Statuen in den
Synagogen kein Hindernis in den Weg zu legen, sondern er ging geradezu
auf die Judenhetze ein. Er verordnete die Abschaffung des Sabbaths. Er
erklärte weiter in seinen Erlassen, daß diese geduldeten Fremden sich
unerlaubter Weise des besten Teils der Stadt bemächtigt hätten; sie
wurden auf ein einziges der fünf Quartiere beschränkt und alle übrigen
Judenhäuser dem Pöbel preisgegeben, während die ausgetriebenen Bewohner
massenweise obdachlos am Strande lagen. Kein Widerspruch wurde auch nur
angehört; achtunddreißig Mitglieder des Rats der Ältesten, welcher
damals anstatt des Ethnarchen der Judenschaft vorstand ^16, wurden im
offenen Circus vor allem Volke gestäupt. Vierhundert Häuser lagen in
Trümmern; Handel und Wandel stockte; die Fabriken standen still. Es
blieb keine Hilfe als bei dem Kaiser. Vor ihm erschienen die beiden
alexandrinischen Deputationen, die der Juden geführt von dem früher
erwähnten Philon, einem Gelehrten der neujüdischen Richtung und mehr
sanftmütigen als tapferen Herzens, der aber doch für die Seinen in
dieser Bedrängnis getreulich eintrat; die der Judenfeinde geführt von
Apion, auch einem alexandrinischen Gelehrten und Schriftsteller, der
“Weltschelle”, wie Kaiser Tiberius ihn nannte, voll großer Worte und
noch größerer Lügen, von dreistester Allwissenheit ^17 und unbedingtem
Glauben an sich selbst, wenn nicht der Menschen, doch ihrer
Nichtswürdigkeit kundig, ein gefeierter Meister der Rede wie der
Volksverführung, schlagfertig, witzig, unverschämt und unbedingt loyal.
Das Ergebnis der Verhandlung stand von vornherein fest; der Kaiser ließ
die Parteien vor, während er die Anlagen in seinen Gärten besichtigte,
aber statt den Flehenden Gehör zu geben, legte er ihnen spöttische
Fragen vor, die die Judenfeinde, aller Etikette zum Trotz, mit lautem
Gelächter begleiteten, und da er bei guter Laune war, beschränkte er
sich darauf, sein Bedauern auszusprechen, daß diese im übrigen guten
Leute so unglücklich organisiert seien, seine angeborene Gottesnatur
nicht begreifen zu können, womit es ihm ohne Zweifel ernst war. Apion
also bekam Recht, und überall, wo es den Judenfeinden beliebte,
wandelten die Synagogen sich um in Tempel des Gaius.
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^15 Der besondere Haß des Gaius gegen die Juden (Philo leg. 20) ist
nicht die Ursache, sondern die Folge der alexandrinischen Judenhetze
gewesen. Da also auch das Einverständnis der Führer der Judenhetze mit
dem Statthalter (Philo in Flacc. 4) so, wie die Juden meinten, nicht
bestanden haben kann, weil der Statthalter nicht füglich glauben
konnte, durch Preisgebung der Juden sich dem neuen Kaiser zu empfehlen,
so entsteht allerdings die Frage, warum die Führer der Judenfeinde eben
diesen Moment für die Judenhetze wählten und vor allem, warum der
Statthalter, dessen Trefflichkeit Philo so nachdrücklich anerkennt,
dieselbe zuließ und wenigstens in ihrem weiteren Verlauf sich an ihr
beteiligte. Wahrscheinlich sind die Dinge so hergegangen, wie sie oben
erzählt sind: der Judenhaß und Judenneid gärten seit langem in
Alexandreia (Ios. bel. Iud. 2, 18, 9; Philo leg. 18); der Wegfall des
alten strengen Regiments und die augenscheinliche Ungnade, in welcher
der Präfekt bei Gaius stand, gaben Raum für den Krawall; die Ankunft
Agrippas gab den Anlaß; die geschickte Verwandlung der Synagogen in
Tempel des Gaius stempelte die Juden zu Kaiserfeinden, und nachdem dies
geschehen war, wird Flaccus allerdings die Verfolgung aufgegriffen
haben, um sich dadurch bei dem Kaiser zu rehabilitieren.
^16 Als Strabon in Ägypten war in der früheren augusteischen Zeit,
standen die Juden in Alexandreia unter einem Ethnarchen (geogr. 17, 1,
13 p. 798 und bei Ios. ant. Iud. 14, 7, 2). Als dann unter Augustus der
Ethnarchos oder Genarchos, wie er auch heißt, starb, trat an seine
Stelle ein Rat der Ältesten (Philo leg. 10); doch “untersagte
Augustus”, wie Claudius angibt (Ios. ant. Iud. 19, S, 2), “den Juden
nicht die Bestellung von Ethnarchen”, was wohl heißen soll, daß die
Wahl eines Einzelvorstehers nur für diesmal unterlassen, nicht ein für
allemal abgeschafft ward. Unter Gaius gab es offenbar nur Älteste der
Judenschaft; und auch unter Vespasian begegnen diese (Ios. bel. Iud. 7,
10, 1). Ein Archon der Juden in Antiocheia wird genannt bei Ios. bel.
Iud. 7, 3, 3.
^17 Apion redete und schrieb über alles und jedes, über die Metalle und
die römischen Buchstaben, über die Magie und von den Hetären, über
ägyptische Urgeschichte und Apicius’ Kochrezepte, vor allem aber machte
er Glück mit seinen Vorträgen über Homer, die ihm das Ehrenbürgerrecht
in zahlreichen griechischen Städten erwarben. Er hatte entdeckt, daß
Homeros darum mit dem unpassenden Worte μήνις seine Ilias begonnen
habe, weil die ersten beiden Buchstaben als Ziffern die Bücherzahl der
beiden von ihm zu schreibenden Epen darstellen; er nannte den
Gastfreund in Ithaka, bei dem er das Brettspiel der Freier erkundet
habe; ja er hatte Homeros selbst aus der Unterwelt beschworen, um ihn
um seine Heimat zu befragen, derselbe sei auch gekommen und habe sie
ihm gesagt, aber ihn verpflichtet, sie anderen nicht zu verraten.
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Aber es blieb nicht bei diesen durch die alexandrinische Straßenjugend
eingeleiteten Dedikationen. Im Jahre 39 bekam der Statthalter von
Syrien, Publius Petronius, vom Kaiser den Befehl, mit seinen Legionen
in Jerusalem einzurücken und in dem Tempel die Bildsäule des Kaisers
aufzurichten. Der Statthalter, ein ehrbarer Beamter aus der Schule des
Tiberius, erschrak; die Juden aus dem ganzen Lande, Männer und Frauen,
Greise und Kinder, strömten zu ihm, erst nach Ptolemais in Syrien, dann
nach Tiberias in Galiläa, ihn um seine Vermittlung anzuflehen, daß das
Entsetzliche unterbleiben möge; die Äcker im ganzen Lande wurden nicht
bestellt, und die verzweifelten Massen erklärten, lieber den Tod durch
das Schwert oder den Hunger dulden, als diesen Greuel mit Augen sehen
zu wollen. In der Tat wagte der Statthalter die Ausführung zu verzögern
und Gegenvorstellungen zu machen, obwohl er wußte, daß es dabei um
seinen Kopf ging. Zugleich ging jener König Agrippa persönlich nach
Rom, um von seinem Freunde die Rücknahme des Befehls zu erwirken. In
der Tat stand der Kaiser von seinem Begehren ab, man sagt infolge einer
von dem jüdischen Fürsten geschickt benutzten Weinlaune. Aber er
beschränkte zugleich die Konzession auf den einzigen Tempel von
Jerusalem und sandte nichtsdestoweniger dem Statthalter wegen seines
Ungehorsams das Todesurteil zu, das allerdings, zufällig verspätet,
nicht mehr zur Ausführung kam. Gaius war entschlossen, die Renitenz der
Juden zu brechen; das angeordnete Einrücken der Legionen zeigt, daß er
diesmal die Folgen seines Befehls im Voraus erwogen hatte. Seit jenen
Vorgängen hatten die bereitwillig gottgläubigen Ägypter seine volle
Liebe, so wie die störrigen und einfältigen Juden den entsprechenden
Haß; hinterhältig wie er war und gewohnt zu begnadigen, um später zu
widerrufen, mußte das Ärgste nur verschoben erscheinen. Er war im
Begriff, nach Alexandreia abzugehen, um dort persönlich den Weihrauch
seiner Altäre entgegenzunehmen, und an der Statue, die er in Jerusalem
sich aufzustellen gedachte, wurde, so sagt man, in aller Stille
gearbeitet, als im Januar 41 der Dolch des Chaerea unter anderem auch
den Tempel des Jehova von dem Unhold befreite.
Äußere Folgen hinterließ die kurze Leidenszeit nicht; mit dem Gott
sanken seine Altäre. Aber dennoch sind die Spuren davon nach beiden
Seiten hin geblieben. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist die
des steigenden Hasses zwischen Juden und Nichtjuden, und darin
bezeichnet die dreijährige Judenverfolgung unter Gaius einen Abschnitt
und einen Fortschritt. Der Judenhaß und die Judenhetzen sind so alt wie
die Diaspora selbst; diese privilegierten und autonomen orientalischen
Gemeinden innerhalb der hellenischen mußten sie so notwendig entwickeln
wie der Sumpf die böse Luft. Aber eine Judenhetze wie die
alexandrinische des Jahres 38, motiviert durch das mangelhafte
Hellenentum und dirigiert zugleich von der höchsten Behörde und dem
niedrigen Pöbel, hat die ältere griechische wie römische Geschichte
nicht aufzuweisen. Der weite Weg vom bösen Wollen des Einzelnen zur
bösen Tat der Gesamtheit war hiermit durchschritten, und es war
gezeigt, was die also Gesinnten zu wollen und zu tun hatten und unter
Umständen auch zu tun vermochten. Daß diese Offenbarung auch auf
jüdischer Seite empfunden ward, ist nicht zu bezweifeln, obwohl wir
dies mit Dokumenten nicht zu belegen vermögen ^18. Aber weit tiefer als
die alexandrinische Judenhetze haftete in den Gemütern der Juden die
Bildsäule des Gottes Gaius im Allerheiligsten. Es war das schon einmal
dagewesen: auf das gleiche Unterfangen des Königs von Syrien, Antiochos
Epiphanes, war die Makkabäererhebung gefolgt und die siegreiche
Wiederherstellung des freien nationalen Staats. Jener Epiphanes, der
Antimessias, welcher den Messias herbeiführt, wie der Prophet Daniel
ihn, allerdings nachträglich, gezeichnet hatte, war seitdem jedem Juden
das Urbild der Greuel; es war nicht gleichgültig, daß die gleiche
Vorstellung mit gleichem Recht sich an einen römischen Kaiser knüpfte
oder vielmehr an das Bild des römischen Herrschers überhaupt. Seit
jenem verhängnisvollen Erlaß kam die Sorge nicht zur Ruhe, daß ein
anderer Kaiser das Gleiche befehlen könne, und insofern allerdings mit
Recht, als nach der Ordnung des römischen Staatswesens diese Verfügung
lediglich von dem augenblicklichen Gutfinden des augenblicklich
Regierenden abhing. Mit glühenden Farben zeichnet sich dieser jüdische
Haß des Kaiserkultus und des Kaisertums selbst in der Apokalypse
Johannis, für die hauptsächlich deswegen Rom das feile Weib von Babylon
und der gemeine Feind der Menschheit ist ^19. Noch minder gleichgültig
war die naheliegende Parallele der Konsequenzen. Mattathias von Modein
war auch nicht mehr gewesen als Judas der Galiläer, die Erhebung der
Patrioten gegen den Syrerkönig ungefähr ebenso hoffnungslos wie die
Insurrektion gegen das Untier jenseits des Meeres. Historische
Parallelen in praktischer Anwendung sind gefährliche Elemente der
Opposition; nur zu rasch geriet der Bau langjähriger Regierungsweisheit
ins Schwanken.
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^18 Die Schriften Philons, welche diese ganze Katastrophe uns mit
unvergleichlicher Aktualität vorführen, schlagen diesen Ton nirgends
an; aber auch abgesehen davon, daß dieser reiche und bejahrte Mann mehr
ein guter Mensch als ein guter Hasser war, versteht es sich von selbst,
daß diese Konsequenzen der Vorgänge von jüdischer Seite nicht
öffentlich dargelegt wurden. Was die Juden dachten und fühlten, wird
man nicht nach dem beurteilen dürfen, was sie namentlich in ihren
griechisch geschriebenen Schriften zu sagen zweckmäßig fanden. Wenn das
Buch der Weisheit und das dritte Makkabäerbuch in der Tat gegen die
alexandrinische Judenverfolgung gerichtet sind (Hausrath,
Neutestamentliche Zeitgeschichte. Bd. 2, S. 259 f.), was übrigens
nichts weniger als gewiß ist, so sind sie womöglich noch zahmer
gehalten als die Schriften Philons.
^19 Dies dürfte die richtige Auffassung der jüdischen Vorstellungen
sein, in denen überhaupt die positiven Tatsachen regelmäßig ins
Allgemeine verfließen. In den Erzählungen vom Antimessias und vom
Antichrist finden sich keine positiven Momente, die auf Kaiser Gaius
paßten; den Namen Armillus, den der Targum jenem beilegt, darauf
zurückzuführen, daß Kaiser Gaius zuweilen Frauenarmbänder (armillae)
trug (Suet. Gai. 52), kann ernsthaft nicht vertreten werden. In der
Johanneischen Apokalypse, der klassischen Offenbarung jüdischen
Selbstgefühls und Römerhasses, knüpft sich das Bild des Antimessias
vielmehr an Nero, der sein Bild nicht ins Allerheiligste hat stellen
lassen. Diese Schrift gehört bekanntlich einer Zeit und einer Richtung
an, für die das Christentum noch wesentlich eine jüdische Sekte war;
die Auserwählten und vom Engel Gezeichneten sind alle Juden, je 12000
aus jedem der zwölf Stämme, und haben den Vortritt vor der “großen
Menge der sonstigen Gerechten”, das heißt der Judengenossen (Offbg. 7;
vgl. 12, 1). Geschrieben ist sie erwiesenermaßen nach Neros Sturz, und
als dessen Rückkehr aus dem Orient erwartet wurde. Nun trat freilich
ein falscher Nero unmittelbar nach dem Tode des wirklichen auf und
wurde im Anfang des folgenden Jahres hingerichtet (Tac. hist. 2, 8. 9);
aber an diesen denkt Johannes nicht, da der recht genaue Bericht nicht,
wie Johannes, dabei der Parther erwähnt, und für Johannes zwischen dem
Sturze Neros und seiner Rückkehr ein beträchtlicher Zeitraum, auch die
letztere noch in der Zukunft liegt. Sein Nero ist derjenige, der unter
Vespasian im Euphratgebiet Anhang fand, den König Artabanos unter Titus
anerkannte und sich anschickte, mit Heeresmacht in Rom wieder
einzusetzen, und den endlich die Parther um das Jahr 88 nach längeren
Verhandlungen an Domitian auslieferten. Auf diese Vorgänge paßt die
Apokalypse mit völliger Genauigkeit. Andererseits kann in einer Schrift
dieses Schlages daraus, daß nach 11, 1, 2 nur der Vorhof, nicht aber
das Allerheiligste des Tempels von Jerusalem in die Gewalt der Heiden
gegeben ist, unmöglich auf den damaligen Stand der Belagerung
geschlossen werden; hier ist im einzelnen alles Phantasmagorie und dies
gewiß entweder beliebig gegriffen oder, wenn man das vorzieht,
angesponnen etwa an eine den römischen Soldaten, die nach der
Zerstörung in Jerusalem lagerten, gegebene Order, das ehemalige
Allerheiligste nicht zu betreten. Die Grundlage der Apokalypse ist
unbestritten die Zerstörung des irdischen Jerusalem und die dadurch
erst gegebene Aussicht auf dessen dereinstige ideale Wiederherstellung;
unmöglich läßt sich an die Stelle der erfolgten Schleifung der Stadt
die bloße Erwartung der Einnahme setzen. Wenn also es von den sieben
Köpfen des Drachen heißt: βασιλείς επτά εισιν. οι πέντε επεσαν, ο εισ
έστιν, ο άλλος ούπω ήλθεν, καί όταν έλθη ολίγον δεί μείναι (17, 10), so
sind vermutlich die fünf Augustus, Tiberius, Gaius, Claudius, Nero, der
sechste Vespasian, der siebente unbestimmt; “das Tier, welches war und
nicht ist, und selber der achte, aber aus den sieben ist”, ist
natürlich Nero. Der unbestimmte Siebente ist ungeschickt, wie so vieles
in dieser grandiosen, aber widerspruchsvollen und oft sich übel
verwickelnden Phantasmagorie, ist aber hingesetzt, nicht, weil die
Siebenzahl gebraucht ward, die ja leicht durch Caesar zu gewinnen war,
sondern weil der Schreiber Bedenken trug, das kurze Regiment des
letzten Herrschers und dessen Sturz durch den rückkehrenden Nero
unmittelbar von dem regierenden Kaiser auszusagen. Unmöglich aber kann
man, wie es nach anderen Renan tut, mit Einrechnung Caesars in dem
sechsten Kaiser, “welcher ist”, Nero erkennen, der gleich nachher
bezeichnet wird als der, welcher “war und nicht ist”, und in dem
siebenten, welcher “noch nicht gekommen ist und nicht lange herrschen
wird”, sogar den nach Renans Ansicht zur Zeit herrschenden
hochbejahrten Galba. Daß dieser überhaupt so wenig, wie Otho und
Vitellius, in eine solche Reihe gehört, leuchtet ein.
Aber wichtiger ist es, der gangbaren Auffassung entgegenzutreten, als
richte sich die Polemik gegen die Neronische Christenverfolgung und die
Belagerung oder die Zerstörung Jerusalems, während sie doch durchaus
ihre Spitze kehrt gegen das römische Provinzialregiment überhaupt und
insbesondere den Kaiserkultus. Wenn von den sieben Kaisern Nero allein
(mit seinem Zahlenausdruck) genannt wird, so geschieht dies nicht, weil
er der schlimmste der sieben war, sondern weil die Nennung des
regierenden Kaisers unter Prophezeihung eines baldigen Endes seiner
Regierung in einer publizierten Schrift ihr Bedenkliches hatte und
einige Rücksicht gegen den einen “der ist” sich auch für einen
Propheten ziemt. Neros Name war preisgegeben, überdies die Legende
seiner Heilung und seiner Wiederkehr in aller Munde; dadurch ist er für
die Apokalypse der Repräsentant der römischen Kaiserherrschaft und der
Antichrist geworden. Was das Untier des Meeres und sein Ebenbild und
Werkzeug, das Untier des Landes, verschulden, ist nicht die
Vergewaltigung der Stadt Jerusalem (11, 2), welche nicht als ihre
Missetat erscheint, sondern vielmehr als ein Stück des Weltgerichts
(wobei auch die Rücksicht auf den regierenden Kaiser im Spiel gewesen
sein kann), sondern die göttliche Verehrung, welche die Heiden dem
Untier des Meeres zollen (13, 8: προσκυνήσουσιν αυτόν πάντες οι
κατοικούντες επί τής γής) und welche das Untier des Landes - das darum
auch der Pseudoprophet heißt - für das des Meeres fordert und erzwingt
(13, 12: :ποιεί τήν γήν καί τούς κατευκούντας εν αυτή ίνα
προσκυνήσουσιν τό θήριον τό πρώτον, ού εθεραπεύθη η πληγή τής μαχαίρης
επί τήσ γής); vor allem wird ihm vorgerückt das Begehren, jenem ein
Bild zu machen (13, 14: λέγων τοίς κατοικούσιν επί τής γής ποιήσαι
εκόναν τώ θηρίω ός έχει τήν πληγήν τής μαχαίρης καί έζησεν, vgl. 14, 9;
16, 2; 19, 20). Das ist deutlich teils das Kaiserregiment jenseits des
Meeres, teils die Statthalterschaft auf dem asiatischen Kontinent,
nicht dieser oder jener Provinz oder gar dieser oder jener Person,
sondern die Kaiservertretung überhaupt, wie die Provinzialen Asiens und
Syriens sie kannten. Wenn Handel und Wandel geknüpft erscheint an den
Gebrauch des χάραγμα des Untiers des Meeres (13, 16, 17), so liegt der
Abscheu gegen Bild und Schrift des Kaisergeldes deutlich zugrunde,
allerdings phantastisch umgestaltet, wie ja auch der Satanas das
Kaiserbildnis reden macht. Eben diese Statthalter erschienen nachher
(17) als die zehn Hörner, welche dem Untier an seinem Abbild beigelegt
werden, und heißen hier ganz richtig die “zehn Könige, welche die
Königswürde nicht haben, aber Macht wie die Könige”; mit der Zahl, die
aus der Vision Daniels übernommen ist, darf man es freilich nicht genau
nehmen. Bei den Blutgerichten, die über die Gerechten ergangen sind,
denkt Johannes an die reguläre Justiz wegen verweigerter Anbetung des
Kaiserbildes, wie die Briefe des Plinius sie schildern (13, 15: ποιήση
ίνα όσοι εάν μή προσκυνήσωσιν τήν εικόνα τού θηρίου αποκτανθώσιν; vgl.
6, 9; 20, 4). Wenn hervorgehoben wird, daß diese Blutgerichte besonders
häufig in Rom vollzogen wurden (17, 6; 18, 24), so ist damit die
Vollstreckung der Verurteilung zum Fecht- oder zum Tierkampf gemeint,
welche am Gerichtsort oft nicht stattfinden konnte und bekanntlich
vorzugsweise eben in Rom erfolgte (Mod. dig. 48, 19, 31); die
Neronischen Hinrichtungen wegen angeblicher Brandstiftung gehören
formell nicht einmal zu den Religionsprozessen, und nur
Voreingenommenheit kann das in Rom vergossene Märtyrerblut, von dem
Johannes spricht, auf diese Vorgänge ausschließlich oder vorzugsweise
beziehen. Die gangbaren Vorstellungen von den sogenannten
Christenverfolgungen leiden unter der mangelhaften Anschauung der im
Römischen Reich bestehenden Rechtsnorm und Rechtspraxis; in der Tat war
die Verfolgung der Christen stehend wie die der Räuber, und kamen nur
diese Bestimmungen bald milder oder auch nachlässiger, bald schärfer
zur Anwendung, wurden auch wohl einmal von oben herab besonders
eingeschärft. Den “Krieg gegen die Heiligen” haben erst die Späteren,
denen Johannes’ Worte nicht genügten, hineininterpoliert (13, 7). Die
Apokalypse ist ein merkwürdiges Zeugnis des nationalen und religiösen
Hasses der Juden gegen das okzidentalische Regiment; aber man
verschiebt und verflacht die Tatsachen, wenn man, wie dies namentlich
Renan tut, den Neronischen Schauerroman mit diesen Farben illustriert.
Der jüdische Volkshaß wartete, um zu entstehen, nicht auf die Eroberung
von Jerusalem und machte, wie billig, keinen Unterschied zwischen dem
guten und dem schlechten Caesar; sein Antimessias heißt wohl Nero, aber
nicht minder Vespasianus oder Marcus.
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Die Regierung des Claudius lenkte nach beiden Seiten hin in die Bahnen
des Tiberius ein. In Italien wiederholte sich zwar nicht gerade die
Ausweisung der Juden, da man von der Undurchführbarkeit dieser Maßregel
sich überzeugen mußte, aber doch das Verbot der gemeinschaftlichen
Ausübung ihres Kultus ^20, was freilich ungefähr auf dasselbe hinaus
und wohl ebensowenig zur Durchführung kam. Neben diesem Intoleranzedikt
wurden im entgegengesetzten Sinn durch eine das ganze Reich umfassende
Verfügung die Juden von denjenigen öffentlichen Verpflichtungen
befreit, welche mit ihren religiösen Überzeugungen sich nicht
vertrugen, womit namentlich hinsichtlich des Kriegsdienstes wohl nur
nachgegeben ward, was auch bisher schon nicht hatte erzwungen werden
können. Die in diesem Erlaß am Schluß ausgesprochene Mahnung an die
Juden, nun auch ihrerseits größere Mäßigung zu beobachten und sich der
Beschimpfung Andersgläubiger zu enthalten, zeigt, daß es auch von
jüdischer Seite an Ausschreitungen nicht gefehlt hatte. In Ägypten wie
in Palästina wurden die religiösen Ordnungen wenigstens im ganzen so,
wie sie vor Gaius bestanden hatten, wiederum hergestellt, wenn auch in
Alexandreia die Juden schwerlich alles, was sie besessen hatten, zurück
erhielten ^21; die aufständischen Bewegungen, die dort wie hier
ausgebrochen oder doch im Ausbrechen waren, verschwanden damit von
selbst. In Palästina ging Claudius sogar über das System des Tiberius
hinaus und überwies wieder das ganze ehemalige Gebiet des Herodes einem
einheimischen Fürsten, eben jenem Agrippa, der zufällig auch mit
Claudius befreundet und bei den Krisen seines Antritts ihm nützlich
geworden war. Es war sicher Claudius’ Absicht, das zur Zeit des Herodes
befolgte System wieder aufzunehmen und die Gefahren der unmittelbaren
Berührung zwischen Römern und Juden zu beseitigen. Aber Agrippa,
leichtlebig und auch als Fürst in steter Finanzbedrängnis, übrigens
gutmütig und mehr darauf bedacht, es seinen Untertanen als dem fernen
Schutzherrn recht zu machen, gab mehrfach bei der Regierung Anstoß, zum
Beispiel durch die Verstärkung der Mauern von Jerusalem, deren
Weiterführung ihm untersagt ward; und die mit den Römern haltenden
Städte Caesarea und Sebaste sowie die römisch organisierten Truppen
waren ihm abgeneigt. Als er früh und plötzlich im Jahre 44 starb,
erschien es bedenklich, die politisch wie militärisch wichtige Stellung
seinem einzigen, siebzehnjährigen Sohn zu übertragen, und die
einträglichen Prokurationen aus der Hand zu geben, entschlossen die
Mächtigen des Kabinetts sich auch nicht gern. Die Claudische Regierung
hatte hier, wie anderswo, das Richtige gefunden, aber nicht die
Energie, dasselbe von Nebenrücksichten absehend durchzuführen. Ein
jüdischer Fürst mit jüdischen Soldaten konnte das Regiment in Judäa für
die Römer handhaben; der römische Beamte und die römischen Soldaten
verletzten wahrscheinlich noch öfter durch Unkunde der jüdischen
Anschauungen als durch absichtliches Zuwiderhandeln, und was sie immer
beginnen mochten, von ihnen war es den Gläubigen ein Ärgernis und der
gleichgültigste Vorgang ein Religionsfrevel. Die Forderung, sich
gegenseitig zu verstehen und zu vertragen, war nach beiden Seiten hin
ebenso gerechtfertigt an sich wie die Ausführung unmöglich. Vor allen
Dingen aber war ein Konflikt zwischen dem jüdischen Landesherrn und
seinen Untertanen für das Reich ziemlich indifferent; jeder Konflikt
zwischen den Römern und den Juden in Jerusalem erweiterte den Abgrund,
der sich zwischen den Völkern des Okzidents und den mit ihnen
zusammenlebenden Hebräern auftat; und nicht in den Händeln Palästinas,
sondern in der Unverträglichkeit der vom Schicksal nun doch einmal
zusammengekoppelten Reichsgenossen verschiedener Nationalität lag die
Gefahr.
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^20 Daß Suetonius (Claud. 25) als Anstifter der beständigen Unruhen in
Rom, die diese Maßregel (nach ihm die Ausweisung aus Rom; im Gegensatz
zu Dio 60, 6) zunächst hervorgerufen hätten, einen gewissen Chrestus
nennt, ist aufgefaßt worden als Mißverständnis der durch Christus unter
Juden und Judengenossen hervorgerufenen Bewegung, ohne zureichenden
Grund. Die Apostelgeschichte (18, 2) spricht nur von Ausweisung der
Juden. Allerdings ist es nicht zu bezweifeln daß bei der damaligen
Stellung der Christen zum Judentum auch sie unter das Edikt fielen.
^21 Wenigstens scheinen die Juden daselbst später nur das vierte der
fünf Stadtquartiere in Besitz gehabt zu haben (Ios. bel. Iud. 2, 18,
8). Auch würden wohl, wenn die geschleiften 400 Häuser ihnen in so
eklatanter Weise wieder zurückgegeben worden wären, die alle den Juden
erwiesenen kaiserlichen Begünstigungen betonenden jüdischen
Schriftsteller Philon und Josephus darüber nicht schweigen.
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So trieb das Schiff unaufhaltsam in den Strudel hinein. Bei dieser
unseligen Fahrt halfen alle Beteiligten, die römische Regierung und
ihre Verwalter, die jüdischen Behörden und das jüdische Volk. Die
erstere bewies freilich fortwährend den Willen, allen billigen und
unbilligen Ansprüchen der Juden so weit wie möglich entgegenzukommen.
Als im Jahre 44 der Prokurator wieder in Jerusalem eintraf, wurde die
Ernennung des Hohenpriesters und die Verwaltung des Tempelschatzes, die
mit dem Königtum und insofern auch mit der Prokuratur verbunden waren,
ihm abgenommen und einem Bruder des verstorbenen Königs Agrippa, dem
König Herodes von Chalkis, sowie nach dessen Tode im Jahre 48 seinem
Nachfolger, dem schon genannten jüngeren Agrippa, übertragen. Einen
römischen Soldaten, der bei der befohlenen Plünderung eines jüdischen
Dorfes eine Thorarolle zerrissen hatte, ließ der römische Oberbeamte
auf die Klage der Juden hin hinrichten. Selbst die höheren Beamten traf
nach Umständen die ganze Schwere der römischen Kaiserjustiz; als zwei
nebeneinander fungierende Prokuratoren bei dem Hader der Samariter und
der Galiläer sich für und wider beteiligt und ihre Soldaten
gegeneinander gefochten hatten, wurde der kaiserliche Statthalter von
Syrien, Ummidius Quadratus, mit außerordentlicher Vollmacht nach
Palästina geschickt, um zu strafen und zu richten, und in der Tat der
eine der Schuldigen in die Verbannung gesandt, ein römischer
Kriegstribun namens Celer in Jerusalem selbst öffentlich enthauptet.
Aber neben diesen Exempeln der Strenge stehen andere der mitschuldigen
Schwäche; in eben diesem Prozeß entging der zweite mindestens ebenso
schuldige Prokurator Antonius Felix der Bestrafung, weil er der Bruder
des mächtigen Bedienten Pallas war und der Gemahl der Schwester des
Königs Agrippa. Mehr noch als die Amtsmißbräuche einzelner Verwalter
muß es der Regierung zur Last gelegt werden, daß sie die Beamtenmacht
und die Truppenzahl in einer so beschaffenen Provinz nicht verstärkte
und fortfuhr, die Besatzung fast ausschließlich aus der Provinz zu
rekrutieren. Unbedeutend wie die Provinz war, war es eine arge
Kopflosigkeit und eine übel angebrachte Sparsamkeit, sie nach der
hergebrachten Schablone zu behandeln; rechtzeitige Entfaltung einer
erdrückenden Übermacht und unnachsichtige Strenge, ein Statthalter
höheren Ranges und ein Legionslager hätten der Provinz wie dem Reiche
große Opfer an Geld und Blut und Ehre erspart.
Aber mindestens nicht geringer ist die Schuld der Juden. Das
Hohenpriesterregiment, so weit es reichte - und die Regierung war nur
zu geneigt, in allen inneren Angelegenheiten ihm freie Hand zu lassen
-, ist, auch nach den jüdischen Berichten, zu keiner Zeit so
gewalttätig und nichtswürdig geführt worden wie in der von Agrippas Tod
bis zum Ausbruch des Krieges. Der bekannteste und einflußreichste
dieser Priesterherrscher ist Ananias, des Nebedaeus Sohn, die
“übertünchte Wand”, wie Paulus ihn nannte, als dieser geistliche
Richter seine Schergen ihn auf den Mund schlagen hieß, weil er sich vor
dem Gericht zu verteidigen wagte. Es wird ihm zur Last gelegt, daß er
den Statthalter bestach und daß er durch entsprechende Interpretation
der Schrift den niedrigen Geistlichen die Zehntgarben entfremdete ^22.
Als einer der Hauptanstifter des Krieges zwischen den Samaritern und
den Galiläern hat er vor dem römischen Richter gestanden. Nicht weil
die rücksichtslosen Fanatiker in den herrschenden Kreisen überwogen,
sondern weil diesen Anzettlern der Volksaufläufe und Anordnern der
Ketzergerichte die moralische und religiöse Autorität abging, wodurch
die Gemäßigten in besseren Zeiten die Menge gelenkt hatten, und weil
sie die Nachgiebigkeit der römischen Behörden in den inneren
Angelegenheiten mißverstanden und mißbrauchten, vermochten sie es
nicht, zwischen der Fremdherrschaft und der Nation in friedlichem Sinn
zu vermitteln. Eben unter ihrem Schalten wurden die römischen Behörden
mit den wildesten und unvernünftigsten Forderungen bestürmt und kam es
zu Volksbewegungen von grausiger Lächerlichkeit. Der Art ist jene
Sturmpetition, welche das Blut eines römischen Soldaten wegen einer
zerrissenen Gesetzrolle verlangte und erhielt. Ein anderes Mal entstand
ein Volksauflauf, der vielen Menschen das Leben kostete, weil ein
römischer Soldat dem Tempel einen Körperteil in unschicklicher
Entblößung gezeigt hatte. Auch der beste der Könige hätte dergleichen
Wahnwitz nicht unbedingt abwenden können; aber selbst der geringste
Fürst würde der fanatischen Menge nicht so völlig steuerlos
gegenübergestanden haben, wie diese Priester.
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^22 Es handelte sich, wie es scheint, darum, ob die Gabe der zehnten
Garbe an Aaron den Priester (Num. 18, 28), dem Priester überhaupt oder
dem Hohenpriester zukomme (H. Ewald; Geschichte des Volkes Israel. 3.
Aufl. Göttingen 1864-68. Bd. 6, S. 635).
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Das eigentliche Ergebnis war das stetige Anschwellen der neuen
Makkabäer. Man hat sich gewöhnt, den Ausbruch des Krieges in das Jahr
66 zu setzen; mit gleichem und vielleicht besserem Recht könnte man
dafür das Jahr 44 nennen. Seit dem Tode Agrippas haben die Waffen in
Judäa nicht geruht, und neben den örtlichen Fehden, die Juden und Juden
miteinander ausfechten, geht beständig der Krieg her der römischen
Truppen gegen die ausgetretenen Leute in den Gebirgen, die Eifrigen,
wie die Juden sie nannten, nach römischer Bezeichnung die Räuber. Die
Benennungen trafen beide zu; auch hier spielten neben den Fanatikern
die verkommenen oder verkommenden Elemente der Gesellschaft ihre Rolle
- war es doch nach dem Sieg einer der ersten Schritte der Zeloten, die
im Tempel bewahrten Schuldbriefe zu verbrennen. Jeder der tüchtigeren
Prokuratoren, von dem ersten Cuspius Fadus an, säubert von ihnen das
Land, und immer ist die Hydra gewaltiger wieder da. Fadus’ Nachfolger
Tiberius Julius Alexander, selbst einer jüdischen Familie entsprossen,
ein Neffe des oben genannten alexandrinischen Gelehrten Philon, ließ
zwei Söhne Judas’ des Galiläers, Jakob und Simon, an das Kreuz
schlagen; das war der Same des neuen Mattathias. Auf den Gassen der
Städte predigten die Patrioten laut den Krieg, und nicht wenige folgten
in die Wüste; den Friedfertigen aber und Verständigen, die sich
weigerten mitzutun, zündeten diese Banden die Häuser an. Griffen die
Soldaten dergleichen Banditen auf, so führten sie wieder angesehene
Leute als Geiseln in die Berge; und sehr oft verstand die Behörde sich
dazu, jene zu entlassen, um diese zu befreien. Gleichzeitig begannen in
der Hauptstadt die “Messermänner” ihr unheimliches Handwerk; sie
mordeten wohl auch um Geld - als ihr erstes Opfer wird der Priester
Jonathan genannt, als ihr Auftraggeber dabei der römische Prokurator
Felix -, aber womöglich zugleich als Patrioten römische Soldaten oder
römisch gesinnte Landsleute. Wie hätten bei diesen Stimmungen die
Wunder und Zeichen ausbleiben sollen und diejenigen, die betrogen oder
betrügend die Massen damit fanatisierten? Unter Cuspius Fadus führte
der Wundermann Theudas seine Getreuen dem Jordan zu, versichernd, daß
die Wasser vor ihnen sich spalten würden und die nachsetzenden
römischen Reiter verschlingen, wie zu den Zeiten des Königs Pharao.
Unter Felix verhieß ein anderer Wundertäter, nach seiner Heimat der
Ägypter genannt, daß die Mauern Jerusalems einstürzen würden, wie auf
Josuas Posaunenstoß die von Jericho; und daraufhin folgten ihm 4000
Messermänner bis auf den Ölberg. Eben in der Unvernunft lag die Gefahr.
Die große Masse der jüdischen Bevölkerung waren kleine Bauern, die im
Schweiße ihres Angesichts ihre Felder pflügten und ihr Öl preßten, mehr
Dorfleute als Städter, von geringer Bildung und gewaltigem Glauben, eng
verwachsen mit den Freischaren in den Gebirgen und voll Ehrfurcht vor
Jehova und seinen Priestern in Jerusalem wie voll Abscheu gegen die
unreinen Fremden. Der Krieg war da, nicht ein Krieg zwischen Macht und
Macht um die Übergewalt, nicht einmal eigentlich ein Krieg der
Unterdrückten gegen die Unterdrücker um Wiedergewinnung der Freiheit;
nicht verwegene Staatsmänner ^23, fanatische Bauern haben ihn begonnen
und geführt und mit ihrem Blute bezahlt. Es ist eine weitere Etappe in
der Geschichte des nationalen Hasses; auf beiden Seiten schien das
fernere Zusammenleben unmöglich und begegnete man sich in dem Gedanken
der gegenseitigen Ausrottung.
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^23 Es ist nichts als eitel Schwindel, wenn der Staatsmann Josephus in
der Vorrede zu seiner Geschichte des Krieges so tut, als hätten die
Juden Palästinas einerseits auf die Erhebung der Euphratländer,
andererseits auf die Unruhen in Gallien und die drohende Haltung der
Germanen und auf die Krisen des Vierkaiserjahres gerechnet. Der
Jüdische Krieg war längst in vollem Gange, als Vindex gegen Nero
auftrat und die Druiden wirklich taten, was hier den Rabbis beigelegt
wird; und wieviel auch die jüdische Diaspora in den Euphratländern
bedeutete, eine jüdische Expedition von dort gegen die Römer des Ostens
war ungefähr ebenso undenkbar wie aus Ägypten und Kleinasien. Es sind
wohl einige Freischärler von da gekommen, wie zum Beispiel einige
Fürstensöhne des eifrig jüdischen Königshauses von Adiabene (Ios. bel.
Iud. 2, 19, 2; 6, 6, 4) und von den Insurgenten Bittgesandtschaften
dorthin gegangen (das. 6, 6, 2); aber selbst Geld ist von daher den
Juden schwerlich in bedeutendem Umfang zugeflossen. Dies
charakterisiert den Verfasser mehr als den Krieg. Wenn es begreiflich
ist, daß der jüdische Insurgentenführer und spätere Hofmann der Flavier
sich gern den in Rom internierten Parthern gleichstellte so ist es
weniger zu entschuldigen, daß die neuere Geschichtschreibung ähnliche
Wege wandelt und, indem sie diese Vorgänge als Bestandteile der
römischen Hof- und Stadtgeschichte oder auch der römisch-parthischen
Händel aufzufassen bemüht ist, durch dieses stumpfe Hineinziehen der
sogenannten großen Politik die furchtbare Notwendigkeit dieser
tragischen Entwicklung verdunkelt.
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Die Bewegung, durch welche die Aufläufe zum Krieg wurden, ging von
Caesarea aus. In dieser ursprünglich griechischen, dann von Herodes
nach dem Muster der Alexanderkolonien umgeschaffenen und zur ersten
Hafenstadt Palästinas entwickelten Stadtgemeinde wohnten Griechen und
Juden, ohne Unterschied der Nation und der Konfession bürgerlich
gleichberechtigt, die letzteren an Zahl und Besitz überlegen. Aber die
Hellenen daselbst, nach dem Muster der Alexandriner und ohne Zweifel
unter dem unmittelbaren Eindruck der Vorgänge des Jahres 38, bestritten
im Wege der Beschwerde bei der obersten Stelle den jüdischen
Gemeindegenossen das Bürgerrecht. Der Minister Neros ^24, Burrus (†
62), gab ihnen Recht. Es war arg, in einer auf jüdischem Boden und von
einer jüdischen Regierung geschaffenen Stadt das Bürgerrecht zum
Privilegium der Hellenen zu machen; aber es darf nicht vergessen
werden, wie sich die Juden gegen die Römer eben damals verhielten, und
wie nahe sie es den Römern legten, die römische Hauptstadt und das
römische Hauptquartier der Provinz in eine rein hellenische
Stadtgemeinde umzuwandeln. Die Entscheidung führte, wie begreiflich, zu
heftigen Straßentumulten, wobei hellenischer Hohn und jüdischer Übermut
namentlich in dem Kampf um den Zugang zur Synagoge sich ungefähr die
Waage gehalten zu haben scheinen; die römischen Behörden griffen ein,
selbstverständlich zu Ungunsten der Juden. Diese verließen die Stadt,
wurden aber von dem Statthalter genötigt zurückzukehren und dann in
einem Straßenauflauf sämtlich erschlagen (6. August 66). Dies hatte die
Regierung allerdings nicht befohlen und sicher auch nicht gewollt; es
waren Mächte entfesselt, denen sie selbst nicht mehr zu gebieten
vermochte.
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^24 Josephus (ant. Iud. 20, 8, 9) macht ihn freilich zum Sekretär Neros
für die griechische Korrespondenz, obwohl er ihn, wo er römischen
Quellen folgt (20, 8, 2), richtig als Präfekten bezeichnet; aber sicher
ist derselbe gemeint. Παιδαγωγός heißt er bei ihm wie bei Tac. ann. 13,
2 rector imperatoriae iuventae.
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Wenn hier die Judenfeinde die Angreifenden waren, so waren dies in
Jerusalem die Juden. Allerdings versichern deren Vertreter in der
Erzählung dieser Vorgänge, daß der derzeitige Prokurator von Palästina,
Gessius Florus, um der Anklage wegen seiner Mißverwaltung zu entgehen,
durch das Übermaß der Peinigung eine Insurrektion habe hervorrufen
wollen; und es ist kein Zweifel, daß die damaligen Statthalter in
Nichtswürdigkeit und Bedrückung das übliche Maß beträchtlich
überschritten. Aber wenn Florus einen solchen Plan in der Tat verfolgt
hat, so mißlang er. Denn nach eben diesen Berichten beschwichtigten die
Besonnenen und Besitzenden unter den Juden und mit ihnen der mit dem
Tempelregiment betraute und eben damals in Jerusalem anwesende König
Agrippa II. - er hatte inzwischen die Herrschaft von Chalkis mit
derjenigen von Batanaea vertauscht -, die Massen insoweit, daß die
Zusammenrottungen und das Einschreiten dagegen sich innerhalb des seit
Jahren landesüblichen Maßes hielten. Aber gefährlicher als der
Straßenunfug und die Räuberpatrioten der Gebirge waren die Fortschritte
der jüdischen Theologie. Das frühere Judentum hatte in liberaler Weise
den Fremden die Pforten seines Glaubens geöffnet; es wurden zwar in den
inneren Tempel nur die eigentlichen Religionsgenossen, aber als
Proselyten des Tores in die äußeren Hallen jeder ohne weiteres
zugelassen und auch dem Nichtjuden gestattet, hier zum Herrn Jehova
seinerseits zu beten und Opfer darzubringen. So wurde, wie schon
erwähnt ward, auf Grund einer Stiftung des Augustus täglich daselbst
für den römischen Kaiser geopfert. Diese Opfer von Nichtjuden
untersagte der derzeitige Tempelmeister, des oben genannten
Erzpriesters Ananias Sohn Eleazar, ein junger, vornehmer,
leidenschaftlicher Mann, persönlich unbescholten und brav und insofern
der volle Gegensatz seines Vaters, aber durch seine Tugenden
gefährlicher als dieser durch seine Laster. Vergeblich wies man ihm
nach, daß dies ebenso beleidigend für die Römer wie gefährlich für das
Land und dem Herkommen schlechterdings zuwider sei; es blieb bei der
verbesserten Frömmigkeit und der Ausschließung des Landesherrn vom
Gottesdienst. Seit langem hatte das gläubige Judentum sich gespalten in
diejenigen, die ihr Vertrauen auf den Herrn Zebaoth allein setzten und
die Römerherrschaft ertrugen, bis es ihm gefallen werde, das
Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, und in die praktischeren
Männer, welche dieses Himmelreich mit eigener Hand zu begründen
entschlossen waren und des Beistandes des Herrn der Heerscharen bei dem
frommen Werke sich versichert hielten, oder, mit den Schlagwörtern, in
die Pharisäer und die Zeloten. Die Zahl und das Ansehen der letzteren
war in beständigem Steigen. Es wurde ein alter Spruch entdeckt, daß um
diese Zeit ein Mann von Judäa ausgehen werde und die Weltherrschaft
gewinnen; man glaubte das um so eher, weil es so sehr absurd war und
das Orakel trug nicht wenig dazu bei, die Massen weiter zu
fanatisieren.
Die gemäßigte Partei erkannte die Gefahr und entschloß sich, die
Fanatiker mit Gewalt niederzuschlagen; sie bat um Truppen bei den
Römern in Caesarea und bei König Agrippa. Von dort kam keine
Unterstützung; Agrippa sandte eine Anzahl Reiter. Dagegen strömten die
Patrioten und die Messermänner in die Stadt, unter ihnen der wildeste,
Manahem, auch einer der Söhne des oft genannten Judas von Galiläa. Sie
waren die Stärkeren und bald Herren in der Stadt. Auch die Handvoll
römischer Soldaten, welche die an den Tempel anstoßende Burg besetzt
hielten, wurde rasch überwältigt und niedergemacht. Der benachbarte
Königspalast, mit den dazugehörigen gewaltigen Türmen, wo der Anhang
der Gemäßigten, eine Anzahl Römer unter dem Tribunen Metilius und die
Soldaten des Agrippa lagen, hielt ebensowenig stand. Den letzteren
wurde auf ihr Verlangen zu kapitulieren der freie Abzug bewilligt, den
Römern aber verweigert; als sie sich endlich gegen Zusicherung des
Lebens ergaben, wurden sie erst entwaffnet und dann niedergemacht mit
einziger Ausnahme des Offiziers, der sich beschneiden zu lassen
versprach und so als Jude begnadigt ward. Auch die Führer der
Gemäßigten, unter ihnen der Vater und der Bruder Eleazars, wurden die
Opfer der Volkswut, die den Römergenossen noch grimmiger grollte als
den Römern. Eleazar selbst erschrak vor seinem Siege; zwischen den
beiden Führern der Fanatiker, ihm und Manahem, kam es nach dem Sieg,
vielleicht wegen der gebrochenen Kapitulation, zum blutigen
Handgemenge; Manahem wurde gefangen und hingerichtet. Aber die heilige
Stadt war frei und das in Jerusalem lagernde römische Detachement
vernichtet; die neuen Makkabäer hatten gesiegt wie die alten.
So hatten, angeblich am selben Tag, dem 6. August 66, die Nichtjuden in
Caesarea die Juden, die Juden in Jerusalem die Nichtjuden
niedergemetzelt; und damit war nach beiden Seiten hin das Signal
gegeben, in diesem patriotischen und gottgefälligen Werke fortzufahren.
In den benachbarten griechischen Städten entledigten sich die Hellenen
der Judenschaften nach dem Muster von Caesarea. Beispielsweise wurden
in Damaskos sämtliche Juden zunächst ins Gymnasium gesperrt und auf die
Kunde von einem Mißerfolg der römischen Waffen vorsichtigerweise
sämtlich umgebracht. Gleiches oder ähnliches geschah in Askalon, in
Skytopolis, Hippos, Gadara, überall, wo die Hellenen die Stärkeren
waren. In dem überwiegend von Syrern bewohnten Gebiet des Königs
Agrippa rettete dessen energisches Dazwischentreten den Juden von
Caesarea Paneas und sonst das Leben. In Syrien folgten Ptolemais, Tyros
und mehr oder minder die übrigen griechischen Gemeinden; nur die beiden
größten und zivilisiertesten Städte Antiocheia und Apameia sowie Sidon
schlossen sich aus. Dem ist es wohl zu verdanken, daß diese Bewegung
sich nicht nach Vorderasien fortpflanzte. In Ägypten kam es nicht bloß
zu einem Volksauflauf, der zahlreiche Opfer forderte, sondern die
alexandrinischen Legionen selbst mußten auf die Juden einhauen. Im
notwendigen Rückschlag dieser Judenvesper ergriff die in Jerusalem
siegreiche Insurrektion sofort ganz Judäa und organisierte sich überall
unter ähnlicher Mißhandlung der Minoritäten, übrigens aber mit
Raschheit und Energie.
Es war notwendig, schleunigst einzuschreiten und die weitere
Ausbreitung des Brandes zu verhindern; auf die erste Kunde marschierte
der römische Statthalter von Syrien, Gaius Cestius Gallus, mit seinen
Truppen gegen die Insurgenten. Er führte etwa 20000 Mann römischer
Soldaten und 13000 der Klientelstaaten heran, ungerechnet die
zahlreichen syrischen Milizen, nahm Joppe ein, dessen ganze
Bürgerschaft niedergemacht ward, und stand schon im September vor, ja
in Jerusalem selbst. Aber die gewaltigen Mauern des Königspalastes und
des Tempels vermochte er nicht zu brechen und nutzte ebensowenig die
mehrfach gebotene Gelegenheit, durch die gemäßigte Partei in den Besitz
der Stadt zu gelangen. Ob nun die Aufgabe unlösbar oder er ihr nicht
gewachsen war, er gab bald die Belagerung auf und erkaufte sogar den
beschleunigten Rückzug mit der Aufopferung seines Gepäcks und seiner
Nachhut. Zunächst blieb also oder kam Judäa mit Einschluß von Idumäa
und Galiläa in die Hand der erbitterten Juden; auch die samaritanische
Landschaft ward zum Anschluß genötigt. Die überwiegend hellenischen
Küstenstädte Anthedon und Gaza wurden zerstört, Caesarea und die
anderen Griechenstädte mit Mühe behauptet. Wenn der Aufstand nicht über
die Grenzen Palästinas hinausging, so war daran nicht bloß die
Regierung Schuld, sondern die nationale Abneigung der Syrohellenen
gegen die Juden.
Die Regierung in Rom nahm die Dinge ernst, wie sie es waren. Anstatt
des Prokurators wurde ein kaiserlicher Legat nach Palästina gesandt,
Titus Flavius Vespasianus, ein besonnener Mann und ein erprobter
Soldat. Er erhielt für die Kriegführung zwei Legionen des Westens,
welche infolge des Parthischen Krieges sich zufällig noch in Asien
befanden, und diejenige syrische, die bei der unglücklichen Expedition
des Cestius am wenigsten gelitten hatte, während die syrische Armee
unter dem neuen Statthalter Gaius Licinius Mucianus - Gallus war
rechtzeitig gestorben - durch Zuteilung einer anderen Legion auf dem
Stande blieb, den sie vorher hatte ^25. Zu diesen Bürgertruppen und
deren Auxilien kam die bisherige Besatzung von Palästina, endlich die
Mannschaften der vier Klientelkönige der Kommagener, der Hemesener, der
Juden und der Nabatäer, zusammen etwa 50000 Mann, darunter 15000
Königssoldaten ^26. Im Frühling des Jahres 67 wurde dieses Heer bei
Ptolemais zusammengezogen und rückte in Palästina ein. Nachdem die
Insurgenten von der schwachen römischen Besatzung der Stadt Askalon
nachdrücklich abgewiesen waren, hatten sie nicht weiter die Städte
angegriffen, die es mit den Römern hielten; die Hoffnungslosigkeit,
welche die ganze Bewegung durchdringt, drückt sich aus in dem
sofortigen Verzicht auf jede Offensive. Als dann die Römer zum Angriff
übergingen, traten sie ihnen gleichfalls nirgends im offenen Felde
entgegen, ja sie machten nicht einmal Versuche, den einzelnen
angegriffenen Plätzen Entsatz zu bringen. Allerdings teilte auch der
vorsichtige Feldherr der Römer seine Truppen nicht, sondern hielt
wenigstens die drei Legionen durchaus zusammen. Dennoch war, da in den
meisten einzelnen Ortschaften die oft wohl nur kleine Zahl der
Fanatiker die Bürgerschaften terrorisierte, der Widerstand hartnäckig
und die römische Kriegführung weder glänzend noch rasch. Vespasian
verwendete den ganzen ersten Feldzug (67) darauf, die Festungen der
kleinen Landschaft Galiläa und die Küste bis nach Askalon in seine
Gewalt zu bringen; allein vor dem Städtchen Jotapata lagerten die drei
Legionen fünfundvierzig Tage. Den Winter 67/68 lag eine Legion in
Skytopolis an der Südgrenze von Galiläa, die beiden anderen in
Caesarea. Inzwischen waren in Jerusalem die verschiedenen Faktionen
aneinandergeraten und lagen im heftigsten Kampf; die guten Patrioten,
die zugleich für bürgerliche Ordnung waren, und die noch besseren,
welche das Schreckensregiment teils in fanatischer Spannung, teils in
Gesindellust herbeiführen und ausnutzen wollten, schlugen sich in den
Gassen der Stadt und waren nur darin einig, daß jeder Versuch der
Versöhnung mit den Römern ein todeswürdiges Verbrechen sei. Der
römische Feldherr, vielfach aufgefordert, diese Zerrüttung zu benutzen,
blieb dabei, nur schrittweise vorzugehen. Im zweiten Kriegsjahr ließ er
zunächst das transjordanische Gebiet, namentlich die wichtigen Städte
Gadara und Gerasa besetzen und setzte sich dann bei Emmaus und Jericho,
von wo aus er im Süden Idumäa, im Norden Samaria okkupieren ließ, so
daß Jerusalem im Sommer des Jahres 68 von allen Seiten umstellt war.
Die Belagerung sollte eben beginnen, als die Nachricht von dem Tode
Neros eintraf. Damit war von Rechts wegen das dem Legaten erteilte
Mandat erloschen und Vespasian stellte in der Tat, politisch nicht
minder vorsichtig wie militärisch, bis auf neue Verhaltungsbefehle die
Operationen ein. Bevor diese von Galba eintrafen, war die gute
Jahreszeit zu Ende. Als das Frühjahr 69 herankam, war Galba gestürzt
und schwebte die Entscheidung zwischen dem Kaiser der römischen
Leibgarde und dem der Rheinarmee. Erst nach Vitellius’ Sieg, im Juni
69, nahm Vespasian die Operationen wieder auf und besetzte Hebron; aber
sehr bald kündigten die sämtlichen Heere des Ostens jenem die Treue auf
und riefen den bisherigen Legaten von Judäa zum Kaiser aus. Den Juden
gegenüber wurden zwar die Stellungen bei Emmaus und Jericho behauptet,
allein wie die germanischen Legionen den Rhein entblößt hatten, um
ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, so ging auch der Kern der Armee
von Palästina teils mit dem Legaten von Syrien, Mucianus, nach Italien
ab, teils mit dem neuen Kaiser und dessen Sohn Titus nach Syrien und
weiter nach Ägypten, und erst, nachdem Ende 69 der Sukzessionskrieg
beendigt und Vespasians Herrschaft im ganzen Reiche anerkannt war,
beauftragte dieser seinen Sohn mit der Beendigung des Jüdischen
Krieges.
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^25 Wie die Besatzungsverhältnisse in Syrien geordnet worden sind,
nachdem im Jahre 63 der Parthische Krieg beendigt war, ist nicht völlig
klar. Am Ende desselben standen sieben Legionen im Orient, die vier
ursprünglich syrischen 3. Gallica, 6. Ferrata, 10. Fretensis, 12.
Fulminata und drei aus dem Okzident herangeführte, die 4. Scythica aus
Mösien, die 5. Macedonica wahrscheinlich ebendaher (wofür wohl eine
obergermanische Legion nach Mösien ging, die 15. Apollinaris aus
Pannonien. Da außer Syrien damals keine asiatische Provinz mit Legionen
belegt war und der Statthalter von Syrien gewiß in Friedenszeiten nie
mehr als vier Legionen gehabt hat, so ist das syrische Heer ohne
Zweifel damals auch auf diesen Stand zurückgeführt worden oder hat doch
darauf zurückgeführt werden sollen. Die vier Legionen, die danach in
Syrien bleiben sollten, waren, wie dies ja auch am nächsten liegt, die
vier alten syrischen; denn die 3. war im Jahre 70 eben von Syrien nach
Mösien marschiert (Suet. Vesp. 6; Tac. hist. 2, 74) und daß die 6.,
10., 12. zum Heere des Cestius gehörten, folgt aus Ios. bel. Iud. 2,
18, 9; 19, 7; 7, 1, 3. Als dann der Jüdische Krieg ausbrach, wurden
wieder sieben Legionen für Asien bestimmt und zwar vier für Syrien
(Tac. hist. 1, 10), drei für Palästina; die drei hinzutretenden
Legionen sind eben die für den Parthischen Krieg verwendeten, die 4.,
5., 15., welche vielleicht damals noch auf dem Rückmarsch in ihre alten
Quartiere begriffen waren. Die 4. ist wahrscheinlich damals definitiv
nach Syrien gekommen wo sie fortan geblieben ist; dagegen gab das
syrische Heer die 10. an Vespasian ab, vermutlich, weil diese bei dem
Feldzuge des Cestius am wenigsten gelitten hatte. Dazu bekam er die 5.
und die 15. Die 5. und die 10. Legion kamen von Alexandreia (Ios. bel.
Iud. 3, 1, 3; 4, 2); aber daß sie aus Ägypten herangeführt seien, ist
nicht gut denkbar, nicht bloß weil die 10. eine der syrischen war,
sondern vor allem, weil der Landmarsch von Alexandreia am Nil nach
Ptolemais mitten durch das insurgierte Gebiet am Anfang des Jüdischen
Krieges so von Josephus nicht hätte erzählt werden können. Vielmehr
ging Titus zu Schiff von Achaia nach Alexandreia am Issischen
Meerbusen, dem heutigen Alexandrette, und führte die beiden Legionen
von da nach Ptolemais. Die 15. mag der Marschbefehl irgendwo in
Kleinasien getroffen haben, da Vespasian, doch wohl, um sie zu
übernehmen, nach Syrien zu Lande ging (Ios. bel. Iud. 3, 1 u. 3). Zu
diesen drei Legionen, mit denen Vespasian den Krieg begann, kam unter
Titus noch eine weitere der syrischen, die 12. Von den vier Legionen,
die Jerusalem einnahmen, blieben die beiden bisher syrischen im Orient,
die 10. in Judäa, die 12. in Kappadokien, während die 5. nach Mösien,
die 15. nach Pannonien zurückkehrte (Ios. bel. Iud. 7, 1, 3; 5, 3).
^26 Zu den drei Legionen gehörten fünf Alen und achtzehn Kohorten und
das aus einer Ala und fünf Kohorten bestehende Heer von Palästina.
Diese Auxilien zählten demnach 3000 Alarier und (da unter den 23
Kohorten zehn 1000 Mann stark waren, dreizehn 720 Mann oder wohl eher
nur 480 Mann; denn statt des befremdenden εξακοσίους erwartet man
vielmehr τριακοσίους εξακόντα) 16240 (oder, wenn 720 festgehalten wird,
19360) Kohortalen. Dazu kamen je 1000 Reiter der vier Könige und 5000
arabische, je 2000 Bogenschützen der übrigen drei Könige. Dies gibt
zusammen, die Legion zu 6000 Mann gerechnet, 52240 Mann, also gegen
60000, wie Josephus (bel. Iud. 3, 4, 2) sagt. Da die Abteilungen aber
also alle nach der höchstmöglichen Normalstärke berechnet sind, wird
die effektive Gesamtzahl kaum auf 50000 angesetzt werden dürfen. Diese
Zahlen des Josephus erscheinen im wesentlichen zuverlässig ebenso wie
die analogen für das Heer des Cestius (bel. Iud. 2, 18, 9); dagegen
sind seine auf Schätzung beruhenden Ziffern durchgängig nach dem Stil
bemessen, daß das kleinste Dorf in Galiläa 15000 Einwohner zählt (bel.
Iud. 3, 3, 2) und geschichtlich so unbrauchbar wie die Ziffern
Falstaffs. Nur selten, zum Beispiel bei der Belagerung Jotapatas,
erkennt man Rapportzahlen.
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So hatten die Insurgenten in Jerusalem vom Sommer 66 bis zum Frühling
70 völlig freies Schalten. Was die Vereinigung von religiösem und
nationalem Fanatismus, das edle Verlangen, den Sturz des Vaterlandes
nicht zu überleben und das Bewußtsein begangener Verbrechen und
unausbleiblicher Strafe, das wilde Durcheinanderwogen aller edelsten
und aller gemeinsten Leidenschaften in diesen vier Jahren des
Schreckens über die Nation gebracht hat, wird dadurch vor allem
entsetzlich, daß die Fremden dabei nur die Zuschauer gewesen sind,
unmittelbar alles Unheil durch Juden über Juden gekommen ist. Die
gemäßigten Patrioten wurden von den Eiferern mit Hilfe des Aufgebotes
der rohen und fanatischen Bewohner der idumäischen Dörfer bald (Ende
68) überwältigt und ihre Führer erschlagen. Die Eiferer herrschten
seitdem und es lösten sich alle Bande bürgerlicher, religiöser und
sittlicher Ordnung. Den Sklaven wurde die Freiheit gewährt, die
Hohenpriester durch das Los bestellt, die Ritualgesetze eben von diesen
Fanatikern, deren Kastell der Tempel war, mit Füßen getreten und
verhöhnt, die Gefangenen in den Kerkern niedergemacht und bei
Todesstrafe untersagt, die Umgebrachten zu bestatten. Die verschiedenen
Führer fochten mit ihren Sonderhaufen gegeneinander: Johannes von
Giskala mit seiner aus Galiläa herangeführten Schar; Simon, des Gioras
Sohn, aus Gerasa, der Führer einer in dem Süden gebildeten
Patriotenschar und zugleich der gegen Johannes sich auflehnenden
Idumäer; Eleazar, Simons Sohn, einer der Vorkämpfer gegen Cestius
Gallus. Der erste behauptete sich in der Tempelhalle, der zweite in der
Stadt, der dritte im Allerheiligsten des Tempels, und täglich ward in
den Straßen der Stadt zwischen Juden und Juden gefochten. Die Eintracht
kam einzig durch den gemeinsamen Feind; als der Angriff begann, stellte
sich Eleazars kleine Schar unter die Befehle des Johannes, und obwohl
Johannes im Tempel, Simon in der Stadt fortfuhren, die Herren zu
spielen, stritten sie, unter sich hadernd, Schulter an Schulter gegen
die Römer. Die Aufgabe auch für die Angreifer war nicht leicht. Zwar
genügte das Heer, das anstatt der nach Italien entsendeten Detachements
bedeutenden Zuzug aus den ägyptischen und den syrischen Truppen
erhalten hatte, für die Einschließung vollauf; und trotz der langen
Frist, welche den Juden gewährt worden war, um sich auf die Belagerung
vorzubereiten, waren die Vorräte unzureichend, um so mehr, als ein Teil
derselben in den Straßenkämpfen zugrunde gegangen war und, da die
Belagerung um das Passahfest begann, zahlreiche deswegen nach Jerusalem
gekommene Auswärtige mit eingeschlossen waren. Indes wenn auch die
Masse der Bevölkerung bald Not litt, was die Wehrmannschaften
brauchten, nahmen sie, wo sie es fanden, und wohl versehen, wie sie
waren, führten sie den Kampf ohne Rücksicht auf die hungernden und bald
verhungernden Massen. Zu bloßer Blockade konnte der junge Feldherr sich
nicht entschließen; eine mit vier Legionen in dieser Weise zu Ende
geführte Belagerung brachte ihm persönlich keinen Ruhm, und auch das
neue Regiment brauchte eine glänzende Waffentat. Die Stadt, sonst
überall durch unzugängliche Felsenhänge verteidigt, war allein an der
Nordseite angreifbar; auch hier war es keine leichte Arbeit, die
dreifache, aus den reichen Tempelschätzen ohne Rücksicht auf die Kosten
hergestellte Wallmauer zu bezwingen und weiter innerhalb der Stadt die
Burg, den Tempel und die gewaltigen drei Herodestürme einer starken,
fanatisierten und verzweifelten Besatzung abzuringen. Johannes und
Simon schlugen nicht bloß die Stürme entschlossen ab, sondern griffen
oft die schanzenden Mannschaften mit gutem Erfolg an und zerstörten
oder verbrannten die Belagerungsmaschinen. Aber die Überzahl und die
Kriegskunst entschieden für die Römer. Die Mauern wurden erstürmt,
darauf die Burg Antonia; sodann gingen nach langem Widerstand erst die
Tempelhallen in Flammen auf und weiter am 10. Ab (August) der Tempel
selbst mit allen darin seit sechs Jahrhunderten aufgehäuften Schätzen.
Endlich wurde nach monatelangem Straßenkampf am 8. Elul (September)
auch in der Stadt der letzte Widerstand gebrochen und das heilige Salem
geschleift. Fünf Monate hatte die Blutarbeit gewährt. Das Schwert und
der Pfeil und mehr noch der Hunger hatten zahllose Opfer gefordert; die
Juden erschlugen jeden des Überlaufens auch nur Verdächtigen und
zwangen Weiber und Kinder, in der Stadt zu verhungern; ebenso
erbarmungslos ließen auch die Römer die Gefangenen über die Klinge
springen oder kreuzigten sie. Die übriggebliebenen Kämpfer und
namentlich die beiden Führer wurden einzeln aus den Kloaken, in die sie
sich gerettet hatten, hervorgezogen. Am Toten Meer, eben da, wo
einstmals König David und die Makkabäer in höchster Bedrängnis eine
Zuflucht gefunden hatten, hielten sich die Reste der Insurgenten noch
auf Jahre hinaus in den Felsenschlössern Machaerus und Massada, bis
endlich als die letzten der freien Juden Judas, des Galiläers Enkel,
Eleazar und die Seinigen erst ihren Frauen und Kindern und dann sich
selbst den Tod gaben. Das Werk war getan. Daß Kaiser Vespasianus, ein
tüchtiger Soldat, es nicht verschmäht hat, wegen eines solchen
unvermeidlichen Erfolgs über ein kleines, längst untertäniges Volk als
Sieger auf das Kapitol zu ziehen und daß der aus dem Allerheiligsten
des Tempels heimgebrachte siebenarmige Kandelaber auf dem Ehrenbogen,
den der Reichssenat dem Titus auf dem Markte der Kampfstadt errichtete,
noch heute zu schauen ist ^27, gibt keine hohe Vorstellung von dem
kriegerischen Sinn dieser Zeit. Freilich ersetzte der tiefe Widerwille,
den die Okzidentalen gegen das Judenvolk hegten, einigermaßen, was der
kriegerischen Glorie mangelte, und wenn den Kaisern der Judenname zu
schlecht war, um ihn so sich beizulegen wie die der Germanen und der
Parther, so hielten sie es nicht unter ihrer Würde, dem Pöbel der
Hauptstadt die Siegesschadenfreude dieses Triumphes zu bereiten.
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^27 Dieser Bogen ist dem Titus nach seinem Tode vom Reichssenat
gesetzt. Ein anderer, ihm während seiner kurzen Regierung von demselben
Senat im Circus gewidmeter (CIL VI, 944) gibt sogar mit ausdrücklichen
Worten als Grund der Denkmalerrichtung an: “weil er nach Vorschrift und
Anweisung und unter der Oberleitung des Vaters das Volk der Juden
bezwang und die bis auf ihn von allen Feldherren, Königen und Völkern
entweder vergeblich belagerte oder gar nicht angegriffene Stadt
Hierusolyma zerstört hat.” Die historische Kunde dieses seltsamen
Schriftstückes, welches nicht bloß Nebukadnezar und Antiochos
Epiphanes, sondern den eigenen Pompeius ignoriert, steht auf gleicher
Höhe mit der Überschwenglichkeit des Preises einer recht gewöhnlichen
Waffentat.
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Dem Werk des Schwertes folgte die politische Wendung. Die von den
früheren hellenischen Staaten eingehaltene und von den Römern
übernommene, in der Tat über die bloße Toleranz gegen fremde Art und
fremden Glauben weit hinausgehende Politik, die Judenschaft insgemein
als nationale und religiöse Samtgemeinschaft anzuerkennen, war
unmöglich geworden. Zu deutlich waren in der jüdischen Insurrektion die
Gefahren zu Tage getreten, welche diese national-religiöse, einerseits
streng konzentrierte, andererseits über den ganzen Osten sich
verbreitende und selbst in den Westen verzweigte Vergesellschaftung in
sich trug. Der zentrale Kultus wurde demzufolge ein für allemal
beseitigt. Dieser Entschluß der Regierung steht zweifellos fest und hat
nichts gemein mit der nicht mit Sicherheit zu beantwortenden Frage, ob
die Zerstörung des Tempels absichtlich oder zufällig erfolgt ist; wenn
auf der einen Seite die Unterdrückung des Kultus nur die Schließung des
Tempels erforderte und das prächtige Bauwerk verschont werden konnte,
so hätte andererseits, wäre der Tempel zufällig zugrunde gegangen, der
Kultus auch in einem wieder erbauten fortgeführt werden können.
Freilich wird es immer wahrscheinlich bleiben, daß hier nicht der
Zufall des Krieges gewaltet hat, sondern für die veränderte Politik der
römischen Regierung gegenüber dem Judentum die Flammen des Tempels das
Programm waren ^28. Deutlicher noch als in den Vorgängen in Jerusalem
zeichnet sich dieselbe in der gleichzeitig auf Anordnung Vespasians
erfolgten Schließung des Zentralheiligtums der ägyptischen Judenschaft,
des Oniastempels unweit Memphis im heliopolitanischen Distrikt, welcher
seit Jahrhunderten neben dem von Jerusalem stand etwa wie neben dem
Alten Testament die Übersetzung durch die alexandrinischen Siebzig;
auch er wurde seiner Weihgeschenke entkleidet und die Gottesverehrung
in demselben untersagt.
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^28 Die Erzählung des Josephus, daß Titus mit seinem Kriegsrat
beschloß, den Tempel nicht zu zerstören, erregt durch ihre offenbare
Absichtlichkeit Bedenken, und da die Benutzung des Tacitus in Sulpicius
Severus’ Chronik von Bernays vollständig erwiesen ist, so kann
allerdings wohl in Frage kommen, ob nicht dessen gerade
entgegengesetzter Bericht (chron. 2, 30, 6), daß der Kriegsrat
beschlossen habe, den Tempel zu zerstören, aus Tacitus herrührt und
ihm, obwohl er Spuren christlicher Überarbeitung zeigt, der Vorzug zu
geben ist. Dies empfiehlt sich weiter dadurch, daß die an Vespasian
gerichtete Dedikation der Argonautica des Dichters Valerius Flaccus den
Sieger von Solyma feiert, der die Brandfackeln schleudert.
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In weiterer Ausführung der neuen Ordnung der Dinge verschwanden das
Hohepriestertum und das Synhedrion von Jerusalem und verlor damit die
Judenschaft des Reiches ihr äußerliches Oberhaupt und ihre bis dahin in
religiösen Fragen allgemein kompetente Oberbehörde. Die bisher
wenigstens tolerierte Jahressteuer eines jeden Juden ohne Unterschied
des Wohnorts an den Tempel fiel allerdings nicht weg, wurde aber mit
bitterer Parodie auf den kapitolinischen Jupiter und dessen Vertreter
auf Erden, den römischen Kaiser, übertragen. Bei der Beschaffenheit der
jüdischen Einrichtungen schloß die Unterdrückung des zentralen Kultus
die Auflösung der Gemeinde Jerusalem in sich. Die Stadt ward nicht bloß
zerstört und niedergebrannt, sondern blieb auch in Trümmern liegen, wie
einst Karthago und Korinth; ihre Feldmark, Gemeinde- wie Privatland,
wurde kaiserliche Domäne ^29. Was von der Bürgerschaft der volkreichen
Stadt dem Hunger oder dem Schwert entgangen war, kam unter den Hammer
des Sklavenmarktes. In den Trümmern der zerstörten Stadt schlug die
Legion ihr Lager auf, welche mit ihren spanischen und thrakischen
Auxilien fortan im jüdischen Lande garnisonieren sollte. Die bisherigen
in Palästina selbst rekrutierten Provinzialtruppen wurden anderswohin
verlegt. In Emmaus, in der nächsten Nähe von Jerusalem, wurde eine
Anzahl römischer Veteranen angesiedelt, Stadtrecht aber auch dieser
Ortschaft nicht verliehen. Dagegen wurde das alte Sichem, der religiöse
Mittelpunkt der samaritanischen Gemeinde, vielleicht schon seit
Alexander dem Großen eine griechische Stadt, jetzt in den Formen der
hellenischen Politie unter dem Namen Flavia Neapolis reorganisiert. Die
Landeshauptstadt Caesarea, bis dahin griechische Stadtgemeinde, erhielt
als “erste Flavische Kolonie” römische Ordnung und lateinische
Geschäftssprache. Es waren dies Ansätze zur okzidentalischen
Munizipalisierung des jüdischen Landes. Nichtsdestoweniger blieb das
eigentliche Judäa, wenn auch entvölkert und verarmt, nach wie vor
jüdisch; wessen die Regierung sich zu dem Lande versah, zeigt schon die
durchaus anomal dauernde militärische Belegung, die, da Judäa nicht an
der Reichsgrenze lag, nur zur Niederhaltung der Einwohner bestimmt
gewesen sein kann.
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^29 Daß der Kaiser dies Land für sich nahm (ιδίαν αυτώ τήν χώραν
φυλάττων) sagt Josephus (bel. Iud. 7, 6, 6); dazu stimmt nicht sein
Befehl πάσαν γήν αποθόσθαι τών Ιουδαίων (a. a. O.), worin wohl ein
Irrtum oder ein Schreibfehler steckt. Zu der Expropriierung paßt es,
daß im Gnadenweg einzelnen jüdischen Grundbesitzern anderswo Land
angewiesen ward (Ios. vit. 16). übrigens ist das Gebiet wohl als
Ausstattung für die dort stationierende Legion verwendet worden (Eph.
epigr. II, n. 696; Tac. ann. 13, 54).
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Auch die Herodeer überdauerten nicht lange den Untergang Jerusalems.
König Agrippa II., der Herr von Caesarea Paneas und von Tiberias, hatte
den Römern in dem Krieg gegen seine Landsleute getreue Heerfolge
geleistet und selbst aus demselben wenigstens militärisch ehrenvolle
Narben aufzuweisen; überdies hielt seine Schwester Berenike, eine
Kleopatra im Kleinen, mit dem Rest ihrer viel in Anspruch genommenen
Reize das Herz des Bezwingers von Jerusalem gefangen. So blieb er
persönlich im Besitz der Herrschaft; aber nach seinem Tode, etwa
dreißig Jahre später, ging auch diese letzte Erinnerung an den
jüdischen Staat in die römische Provinz Syrien auf.
In der Ausübung ihrer Religionsgebräuche wurden den Juden weder in
Palästina noch anderswo Hindernisse in den Weg gelegt. Selbst ihren
religiösen Unterricht und die daran sich anknüpfenden Versammlungen
ihrer Gesetzlehrer und Gesetzkundigen ließ man in Palästina wenigstens
gewähren und hinderte nicht, daß diese Rabbinervereinigungen
versuchten, sich einigermaßen an die Stelle des ehemaligen Synhedrion
von Jerusalem zu setzen und in den Anfängen des Talmud ihre Lehre und
ihre Gesetze zu fixieren. Obwohl einzelne nach Ägypten und Kyrene
geflüchtete Teilnehmer an dem jüdischen Aufstand dort Unruhen
hervorriefen, wurden die Judenschaften außerhalb Palästina, so viel wir
sehen, in ihrer bisherigen Stellung belassen. Gegen die Judenhetze,
welche eben um die Zeit der Zerstörung Jerusalems in Antiocheia dadurch
hervorgerufen ward, daß die dortigen Juden von einem ihrer abgefallenen
Glaubensgenossen öffentlich der Absicht geziehen worden waren, die
Stadt anzuzünden, schritt der Vertreter des Statthalters von Syrien
energisch ein und gestattete nicht, wie es im Werke war, daß man die
Juden nötigte, den Landesgöttern zu opfern und den Sabbath nicht zu
halten. Titus selbst, als er nach Antiocheia kam, wies die dortigen
Führer der Bewegung mit ihrer Bitte, die Juden auszuweisen oder
mindestens ihre Privilegien zu kassieren, auf das bestimmteste ab. Man
scheute davor zurück, dem jüdischen Glauben als solchem den Krieg zu
erklären und die weitverzweigte Diaspora auf das äußerste zu treiben;
es war genug, daß das Judentum in seiner politischen Repräsentation aus
dem Staatswesen getilgt war.
Die Wendung in der seit Alexander gegen das Judentum eingehaltenen
Politik lief im wesentlichen darauf hinaus, dieser religiösen
Gemeinschaft die einheitliche Leitung und die äußerliche
Geschlossenheit zu entziehen und ihren Leitern eine Macht aus der Hand
zu winden, welche sich nicht bloß über das Heimatland der Juden,
sondern über die Judenschaften insgemein innerhalb und außerhalb des
Römischen Reiches erstreckte und allerdings im Orient dem einheitlichen
Reichsregiment Eintrag tat. Die Lagiden wie die Seleukiden und nicht
minder die römischen Kaiser der Julisch-Claudischen Dynastie hatten
sich dies gefallen lassen; aber die unmittelbare Herrschaft der
Okzidentalen über Judäa hatte den Gegensatz der Reichs- und dieser
Priestergewalt in dem Grade verschärft, daß die Katastrophe mit
unausbleiblicher Notwendigkeit eintrat und ihre Konsequenzen zog. Vom
politischen Standpunkt aus kann wohl die Schonungslosigkeit der
Kriegführung getadelt werden, welche übrigens diesem Krieg ziemlich mit
allen ähnlichen der römischen Geschichte gemein ist, aber schwerlich
die infolge desselben verfügte religiös-politische Auflösung der
Nation. Wenn den Institutionen, welche zur Bildung einer Partei, wie
die der Zeloten war, geführt hatten und mit einer gewissen
Notwendigkeit führen mußten, die Axt an die Wurzel gelegt ward, so
geschah nur, was richtig und notwendig war, wie schwer und individuell
ungerecht auch der einzelne davon getroffen werden mochte. Vespasianus,
der die Entscheidung gab, war ein verständiger und maßhaltender Regent.
Es handelte sich nicht um eine Glaubens-, sondern um eine Machtfrage;
der jüdische Kirchenstaat als Haupt der Diaspora vertrug sich nicht mit
der Unbedingtheit des weltlichen Großstaates. Von der allgemeinen Norm
der Toleranz hat die Regierung sich auch in diesem Fall nicht entfernt,
nicht gegen das Judentum, sondern gegen den Hohenpriester und das
Synhedrion den Krieg geführt.
Ganz hat auch die Tempelzerstörung diesen ihren Zweck nicht verfehlt.
Es gab nicht wenige Juden und noch mehr Judengenossen, namentlich in
der Diaspora, welche mehr an dem jüdischen Sittengesetz und an dem
jüdischen Monotheismus hielten als an der streng nationalen
Glaubensform; die ganze ansehnliche Sekte der Christen hatte sich
innerlich vom Judentum gelöst und stand zum Teil in offener Opposition
zu dem jüdischen Ritus. Für diese war der Fall Jerusalems keineswegs
das Ende der Dinge, und innerhalb dieser ausgedehnten und
einflußreichen Kreise erreichte die Regierung einigermaßen, was sie mit
der Auflösung der Zentralstelle der jüdischen Gottesverehrung
beabsichtigte. Die Scheidung des den Nationen gemeinen Christenglaubens
von dem national-jüdischen, der Sieg der Anhänger des Paulus über
diejenigen des Petrus, wurde durch den Wegfall des jüdischen
Zentralkults wesentlich gefördert.
Aber bei den Juden von Palästina, da, wo man zwar nicht hebräisch, aber
doch aramäisch sprach, und bei dem Teil der Diaspora, der fest an
Jerusalem hing, wurde durch die Zerstörung des Tempels der Riß zwischen
dem Judentum und der übrigen Welt vertieft. Die national-religiöse
Geschlossenheit, die die Regierung beseitigen wollte, wurde in diesem
verengten Kreis durch den gewaltsamen Versuch, sie zu zerschlagen,
vielmehr neu gefestigt und zunächst zu weiteren verzweifelten Kämpfen
getrieben.
Nicht volle fünfzig Jahre nach der Zerstörung Jerusalems, im Jahre 116
^30, erhob sich die Judenschaft am östlichen Mittelmeer gegen die
Reichsregierung. Der Aufstand, obwohl von der Diaspora unternommen, war
rein nationaler Art, in seinen Hauptsitzen Kyrene, Kypros, Ägypten,
gerichtet auf die Austreibung der Römer wie der Hellenen und, wie es
scheint, die Begründung eines jüdischen Sonderstaats. Er verzweigte
sich bis in das asiatische Gebiet und ergriff Mesopotamien und
Palästina selbst. Wo die Aufständischen siegreich waren, führten sie
den Krieg mit derselben Erbitterung wie die Sicarier in Jerusalem; sie
erschlugen, wen sie ergriffen - der Geschichtschreiber Appian, ein
geborener Alexandriner, erzählt, wie er vor ihnen um sein Leben laufend
mit genauer Not nach Pelusion entkam -, und oftmals töteten sie die
Gefangenen unter qualvollen Martern oder zwangen sie, gleich wie einst
Titus die in Jerusalem gefangenen Juden, als Fechter im Kampfspiel zur
Augenweide der Sieger zu fallen. In Kyrene sollen also 220000, auf
Kypros gar 240000 Menschen von ihnen umgebracht worden sein.
Andererseits erschlugen in Alexandreia, das selbst nicht in die Hände
der Juden gefallen zu sein scheint ^31, die belagerten Hellenen, was
von Juden damals in der Stadt war. Die nächste Ursache der Erhebung ist
nicht klar. Das Blut der Zeloten, die nach Alexandreia und Kyrene sich
geflüchtet und dort ihre Glaubenstreue mit dem Tode unter dem römischen
Henkersbeil besiegelt hatten, mag nicht umsonst geflossen sein; der
Parthische Krieg, währenddessen der Aufstand begann, hat ihn insofern
gefördert, als die in Ägypten stehenden Truppen wahrscheinlich auf den
Kriegsschauplatz berufen wurden. Allem Anschein nach war es ein
Ausbruch der seit der Tempelzerstörung gleich dem Vulkan im Verborgenen
glühenden und in unberechenbarer Weise in Flammen aufschlagenden
religiösen Erbitterung der Judenschaft, von der Art, wie der Orient sie
zu allen Zeiten erzeugt hat und erzeugt; wenn wirklich die Insurgenten
einen Juden zum König ausriefen, so hat diese Erhebung sicher, wie die
in der Heimat, in der großen Masse der geringen Leute ihren Herd
gehabt. Daß diese Judenerhebung zum Teil zusammenfiel mit dem früher
erzählten Befreiungsversuch der kurz vorher von Kaiser Traianus
unterworfenen Völkerschaften, während dieser im fernen Osten an der
Euphratmündung stand, gab ihr sogar eine politische Bedeutung; wenn die
Erfolge dieses Herrschers ihm am Schluß seiner Laufbahn unter den
Händen zerrannen, so hat die jüdische Insurrektion namentlich in
Palästina und Mesopotamien dazu das ihrige beigetragen. Um den Aufstand
niederzuschlagen, mußten überall die Truppen marschieren; gegen den
“König” der kyrenäischen Juden Andreas oder Lukuas und die Insurgenten
in Ägypten sandte Traianus den Quintus Marcius Turbo mit Heer und
Flotte, gegen die Aufständischen in Mesopotamien, wie schon gesagt
ward, den Lusius Quietus, zwei seiner erprobtesten Feldherrn. Den
geschlossenen Truppen Widerstand zu leisten, vermochten die
Aufständischen nirgends, wenngleich der Kampf in Afrika wie in
Palästina sich bis in die erste Zeit Hadrians fortspann, und es
ergingen über diese Diaspora ähnliche Strafgerichte wie früher über die
Juden Palästinas. Daß Traianus die Juden in Alexandreia vernichtet hat,
wie Appian sagt, ist schwerlich ein unrichtiger, wenn auch vielleicht
ein allzu schroffer Ausdruck dessen, was dort geschah; für Kypros ist
es bezeugt, daß seitdem kein Jude die Insel auch nur betreten durfte
und selbst den schiffbrüchigen Israeliten dort der Tod erwartete. Wäre
über diese Katastrophe unsere Überlieferung so ausgiebig wie über die
jerusalemische, so würde sie wohl als deren Fortsetzung und Vollendung
erscheinen und gewissermaßen auch als ihre Erklärung; dieser Aufstand
zeigt das Verhältnis der Diaspora zu dem Heimatland und den Staat im
Staate, zu dem das Judentum sich entwickelt hatte.
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^30 Eusebius (hist. eccl. 4, 2) setzt den Ausbruch in das 18., also
nach seiner Rechnung (in der Chronik) das vorletzte Jahr Traians, und
damit stimmt auch Dio 68, 32.
^31 Eusebius selbst (bei Synkellos) sagt nur: Αδριανός Ιουδαίουςκατά
Αλεξανδρέων στασιάζοντας εκόλασεν. Die armenische und die lateinische
Übersetzung scheinen daraus irrig eine Wiederherstellung des von den
Juden zerstörten Alexandreia gemacht zu haben, von welcher auch
Eusebius in der Kirchengeschichte 4, 2 und Dio 68. 32 nichts wissen.
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Zu Ende war auch mit dieser zweiten Niederwerfung die Auflehnung des
Judentums gegen die Reichsgewalt nicht. Man kann nicht sagen, daß diese
dasselbe weiter provoziert hat; gewöhnliche Verwaltungsakte, wie sie im
ganzen Reiche unweigerlich hingenommen wurden, trafen die Hebräer da,
wo die volle Widerstandskraft des nationalen Glaubens ihren Sitz hatte,
und riefen dadurch, wahrscheinlich zur Überraschung der Regieren den
selbst, eine Insurrektion hervor, die in der Tat ein Krieg war. Wenn
Kaiser Hadrianus, als seine Rundreise durch das Reich ihn auch nach
Palästina führte, im Jahre 130 die zerstörte heilige Stadt der Juden
als römische Kolonie wieder aufzurichten beschloß, tat er sicher diesen
nicht die Ehre an, sie zu fürchten, und dachte nicht an
religiöse-politische Propaganda, sondern er verfügte für dies
Legionslager, was kurz vorher oder bald nachher auch am Rhein, an der
Donau, in Afrika geschah, die Verknüpfung desselben mit einer zunächst
aus den Veteranen sich rekrutierenden Stadtgemeinde, welche ihren Namen
Aelia Capitolina teils von ihrem Stifter, teils von dem Gott empfing,
welchem damals statt des Jehova die Juden zinsten. Ähnlich verhält es
sich mit dem Verbot der Beschneidung; es erging, wie später bemerkt
werden wird, wahrscheinlich gar nicht in der Absicht, damit dem
Judentum als solchem den Krieg zu machen. Begreiflicherweise fragten
die Juden nicht nach den Motiven jener Stadtgründung und dieses
Verbots, sondern empfanden beides als einen Angriff auf ihren Glauben
und ihr Volktum, und antworteten darauf mit einem Aufstand, der,
anfangs von den Römern vernachlässigt, dann durch Intensität und Dauer
in der Geschichte der römischen Kaiserzeit seinesgleichen nicht hat.
Die gesamte Judenschaft des In- und des Auslandes geriet in Bewegung
und unter stützte mehr oder minder offen die Insurgenten am Jordan ^32,
sogar Jerusalem fiel ihnen in die Hände ^33 und der Statthalter
Syriens, ja Kaiser Hadrianus selbst erschienen auf dem Kampfplatz. Den
Krieg leiteten, bezeichnend genug, der Priester Eleazar ^34 und der
Räuberhauptmann Simon, zugenannt Bar-Kokheba, das ist der Sternensohn,
als der Bringer himmlischer Hilfe, vielleicht als Messias. Von der
finanziellen Macht und der Organisation der Insurgenten zeugen die
durch mehrere Jahre auf den Namen dieser beiden geschlagenen Silber-
und Kupfermünzen. Nachdem eine genügende Truppenzahl zusammengezogen
war, gewann der erprobte Feldherr Sextus Iulius Severus die Oberhand,
aber nur in allmählichem und langsamem Vorschreiten; ganz wie in dem
Vespasianischen Krieg kam es zu keiner Feldschlacht, aber ein Platz
nach dem andern kostete Zeit und Blut, bis endlich nach dreijähriger
Kriegführung ^35 die letzte Burg der Insurgenten, das feste Bether
unweit Jerusalem, von den Römern erstürmt ward. Die in guten Berichten
überlieferten Zahlen von 50 genommenen Festungen, 985 besetzten
Dörfern, 580000 Gefallenen sind nicht unglaublich, da der Krieg mit
unerbittlicher Grausamkeit geführt und die männliche Bevölkerung wohl
überall niedergemacht ward.
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^32 Dies zeigen die Ausdrücke Dios 69, 13: οι απαντάχου γής Ιουδαίοι
und πάσης ως ειπείν κινουμένης επί τούτω τής οικουμένης.
^33 Wenn nach dem Zeitgenossen Appian (Syr. 50) Hadrian abermals die
Stadt zerstörte (κατέσκαψε), so beweist das sowohl die vorhergehende
wenigstens einigermaßen vollendete Anlage der Kolonie wie auch deren
Einnahme durch die Insurgenten. Nur dadurch auch erklärt sich der große
Verlust, den die Römer erlitten (Fronto Parth. p. 218 Nab.: Hadriano
Imperium obtinente quantum militum a Iudaeis . . . caesum; Dio 69, 14);
und es paßt wenigstens gut dazu, daß der Statthalter von Syrien,
Publicius Marcellus, seine Provinz verließ, um seinem Kollegen Tineius
Rufus (Eus. hist. eccl. 4, 6; B. Borghesi, Oeuvres complètes. Bd. 3, S.
64) in Palästina Hilfe zu bringen (CIG 4033, 4C34).
^34 Daß die Münzen mit diesem Namen dem hadrianischen Aufstand
angehören, ist jetzt erwiesen (v. Sallet, Zeitschrift für Numismatik 5,
1878, S. 110); dies ist also der Rabbi Eleazar aus Modein der jüdischen
Berichte (Ewald, Geschichte des Volkes Israel, Bd. 7, S. 418; E.
Schürer, Lehrbuch der neutestamentlichen Zeitgeschichte. Jena 1874, S.
357). Daß der Simon, den dieselben Münzen teils mit Eleazar zusammen,
teils allein nennen, der Bar-Kokheba des Justinus Martyr und des
Eusebius sei ist mindestens sehr wahrscheinlich.
^35 Dio (69, 12) nennt den Krieg langwierig (ούτ' ολιγοχρόνιος);
Eusebius setzt in der Chronik den Anfang auf das 16., das Ende auf das
18. oder 19. Jahr Hadrians; die Insurgentenmünzen sind datiert vom
ersten oder vom zweiten Jahr “der Befreiung Israels”. Zuverlässige
Daten haben wir nicht; die rabbinische Tradition (Schärer, Lehrbuch, S.
361) ist dafür nicht brauchbar.
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Infolge dieses Aufstandes ward selbst der Name des besiegten Volkes
beseitigt: die Provinz hieß fortan nicht mehr wie früher Judaea,
sondern mit dem alten Herodotischen Namen das Syrien der Philistäer
oder Syria Palaestina. Das Land blieb verödet; die neue Hadriansstadt
bestand, aber gedieh nicht. Den Juden wurde bei Todesstrafe untersagt,
Jerusalem auch nur zu betreten, die Besatzung verdoppelt; das
beschränkte Gebiet zwischen Ägypten und Syrien, zu dem von dem
transjordanischen nur ein kleiner Streifen am Toten Meer gehörte und
das nirgends die Reichsgrenze berührte, war seitdem mit zwei Legionen
belegt. Trotz aller dieser Gewaltmaßregeln blieb die Landschaft
unruhig, zunächst wohl infolge des mit der Nationalsache längst
verflochtenen Räuberwesens; Pius ließ gegen die Juden marschieren und
auch unter Severus ist die Rede von einem Krieg gegen Juden und
Samariter. Aber zu größeren Bewegungen unter den Juden ist es nach dem
Hadrianischen Krieg nicht wieder gekommen.
Es muß anerkannt werden, daß diese wiederholten Ausbrüche des in den
Gemütern der Juden gärenden Grolls gegen die gesamte nicht jüdische
Mitbürgerschaft die allgemeine Politik der Regierung nicht änderten.
Wie Vespasian so hielten auch die folgenden Kaiser den Juden gegenüber
nicht bloß im wesentlichen den allgemeinen Standpunkt der politischen
und religiösen Toleranz fest, sondern die für die Juden erlassenen
Ausnahmegesetze waren und blieben hauptsächlich darauf gerichtet, sie
von denjenigen allgemeinen Bürgerpflichten, welche mit ihrer Sitte und
ihrem Glauben sich nicht vertrugen, zu entbinden und werden darum auch
geradezu als Privilegien bezeichnet ^36.
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^36 Biographie Alexanders c. 22: Iudaeis privilegia reservavit,
Christianos esse passus est. Deutlich tritt hier die bevorzugte
Stellung der Juden vor den Christen zutage, welche allerdings wieder
darauf beruht, daß jene eine Nation darstellen, diese nicht.
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Rechtlich scheint seit Claudius’ Zeit, dessen Unterdrückung des
jüdischen Kultus in Italien wenigstens die letzte derartige Maßregel
ist, von der wir wissen, den Juden der Aufenthalt und die freie
Religionsübung in dem gesamten Reich zugestanden zu haben. Es wäre kein
Wunder gewesen, wenn jene Aufstände in den afrikanischen und syrischen
Landschaften zur Austreibung der dort ansässigen Juden überhaupt
geführt hätten; aber dergleichen Beschränkungen sind, wie wir sahen,
nur lokal, zum Beispiel für Kypros verfügt worden. Der Hauptsitz der
Juden blieben immer die griechischen Provinzen; auch in der
einigermaßen zweisprachigen Hauptstadt, deren zahlreiche Judenschaft
eine Reihe von Synagogen umfaßte, bildete diese einen Teil der
griechischen Bevölkerung Roms. Ihre Grabschriften in Rom sind
ausschließlich griechisch; in der aus dieser Judenschaft entwickelten
römischen Christengemeinde ist das Taufbekenntnis bis in späte Zeit
hinab griechisch gesprochen worden und die ersten drei Jahrhunderte
hindurch die Schriftstellerei ausschließlich griechisch gewesen. Aber
restriktive Maßregeln gegen die Juden scheinen auch in den lateinischen
Provinzen nicht getroffen worden zu sein; durch und mit dem Hellenismus
ist das jüdische Wesen in den Okzident eingedrungen, und es fanden auch
in diesem sich Judengemeinden, obwohl sie an Zahl und Bedeutung selbst
jetzt noch, wo die gegen die Diaspora gerichteten Schläge die
Judengemeinden des Ostens schwer beschädigt hatten, weit hinter diesen
zurückstanden.
Politische Privilegien folgten aus der Tolerierung des Kultus an sich
nicht. An der Anlegung ihrer Synagogen und Proseuchen wurden die Juden
nicht gehindert, ebensowenig an der Bestellung eines Vorstehers für
dieselbe (αρχισυναγωγός) sowie eines Kollegiums der Ältesten (άρχοντες)
mit einem Oberältesten (γερουσιάρχης) an der Spitze. Obrigkeitliche
Befugnisse sollten mit diesen Stellungen nicht verknüpft sein; aber bei
der Untrennbarkeit der jüdischen Kirchenordnung und der jüdischen
Rechtspflege übten die Vorsteher, wie im Mittelalter die Bischöfe, wohl
überall eine wenn auch nur faktische Jurisdiktion. Auch waren die
Judenschaften der einzelnen Städte nicht allgemein als Körperschaften
anerkannt, sicher zum Beispiel die römische nicht; doch bestanden an
vielen Orten auf Grund lokaler Privilegien dergleichen korporative
Verbände mit Ethnarchen oder, wie sie jetzt meistens heißen,
Patriarchen an der Spitze. Ja in Palästina finden wir im Anfang des
dritten Jahrhunderts wiederum einen Vorsteher der gesamten Judenschaft,
der kraft erblichen Priesterrechts über seine Glaubensgenossen fast wie
ein Herrscher schaltet und selbst über Leib und Leben Gewalt hat und
welchen die Regierung wenigstens toleriert ^37. Ohne Frage war dieser
Patriarch für die Juden der alte Hohepriester, und es hatte also unter
den Augen und unter dem Druck der Fremdherrschaft das hartnäckige Volk
Gottes sich abermals rekonstituiert und insoweit Vespasians Werk
zuschanden gemacht.
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^37 Um zu erklären, daß auch in der Knechtschaft die Juden eine gewisse
Selbstverwaltung haben führen können, schreibt Origenes (um das Jahr
226) an Africanus c. 14: “Wieviel vermag auch jetzt, wo die Römer
herrschen und die Juden ihnen den Zins (τό δίδραχμον) zahlen, der
Volksvorsteher (ο εθνάρχης) bei ihnen mit Zulassung des Kaisers
(σθγχωρούντος Καίσαρος). Auch Gerichte finden heimlich statt nach dem
Gesetze, und es wird sogar manchmal auf den Tod erkannt. Das habe ich,
der ich lange im Lande dieses Volkes gelebt, selber erfahren und
erkundet.” Der Patriarch von Judäa tritt schon in dem auf Hadrians
Namen gefälschten Briefe in der Biographie des Tyrannen Saturninus auf
(c. 8), in den Verordnungen zuerst im Jahre 392 (Cod. Theod. 16, 8, 8).
Patriarchen als Vorsteher einzelner jüdischer Gemeinden, wofür das Wort
seiner Bedeutung nach besser paßt, begegnen schon in den Verordnungen
Konstantins des Ersten (Cod. Theod. 16, 8, 1 u. 2).
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In Betreff der Heranziehung der Juden zu den öffentlichen Leistungen
war die Befreiung vom Kriegsdienst als unvereinbar mit ihren religiösen
Grundsätzen längst anerkannt und blieb es. Die besondere Kopfsteuer,
welcher sie unterlagen, die alte Tempelabgabe, konnte als Kompensation
für diese Befreiung angesehen werden, wenn sie auch nicht in diesem
Sinn auferlegt worden war. Für andere Leistungen, wie zum Beispiel für
Übernahme von Vormundschaften und Gemeindeämtern, werden sie wenigstens
seit Severus’ Zeit im allgemeinen als fähig und pflichtig betrachtet,
diejenigen aber, welche ihrem “Aberglauben” zuwiderlaufen, ihnen
erlassen ^38, wobei in Betracht kommt, daß der Ausschluß von den
Gemeindeämtern mehr und mehr aus einer Zurücksetzung zu einem
Privilegium ward. Selbst bei Staatsämtern mag in späterer Zeit ähnlich
verfahren worden sein.
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^38 Diese Regel stellen mit Berufung auf einen Erlaß des Severus die
Juristen des dritten Jahrhunderts auf (Dig. 27, 1, 15, 6; 50, 2, 3, 3).
Nach der Verordnung vom Jahre 321 (Cod. Theod. 16, 8, 3) erscheint dies
sogar als ein Recht, nicht als eine Pflicht der Juden, so daß es von
ihnen abhing, das Amt zu übernehmen oder abzulehnen.
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Der einzige ernstliche Eingriff der Staatsgewalt in die jüdischen
Gebräuche betrifft die Zeremonie der Beschneidung; indes ist gegen
diese wahrscheinlich nicht vom religiös-politischen Standpunkt aus
eingeschritten worden, sondern es sind diese Maßnahmen mit dem Verbot
der Kastrierung verknüpft gewesen und zum Teil wohl aus Mißverständnis
der jüdischen Weise hervorgegangen. Die immer mehr um sich greifende
Unsitte der Verstümmelung zog zuerst Domitian in den Kreis der
strafbaren Verbrechen; als Hadrian die Vorschrift schärfend die
Kastrierung unter das Mordgesetz stellte, scheint auch die Beschneidung
als Kastrierung aufgefaßt worden zu sein ^39, was allerdings von den
Juden als ein Angriff auf ihre Existenz empfunden werden mußte und
empfunden ward, obwohl dies vielleicht nicht damit beabsichtigt war.
Bald nachher, wahrscheinlich infolge des dadurch mitveranlaßten
Aufstandes, gestattete Pius die Beschneidung für Kinder jüdischer
Herkunft, während übrigens selbst die des unfreien Nichtjuden und des
Proselyten nach wie vor für alle dabei Beteiligten die Strafe der
Kastration nach sich ziehen sollte. Dies war insofern auch von
politischer Wichtigkeit, als dadurch der förmliche Übertritt zum
Judentum ein strafbares Verbrechen wurde; und wahrscheinlich ist das
Verbot eben in diesem Sinne nicht erlassen, aber aufrecht erhalten
worden ^40. Zu dem schroffen Abschließen der Judenschaft gegen die
Nichtjuden wird dasselbe das seinige beigetragen haben.
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^39 Die analoge Behandlung der Kastration in dem Hadrianischen Erlaß
Dig. 48, 8, 4, 2 und der Beschneidung bei Paulus sent. 5, 22, 3; 4 und
Mod. dig. 48, 8, 11 pr. legen diese Auffassung nahe. Auch daß Severus
ludaeos fieri sub gravi poena vetuit (vita 17), wird wohl nichts sein
als die Einschärfung dieses Verbots.
^40 Die merkwürdige Nachricht bei Origenes (c. Cels. 2, 13; geschrieben
um 250) zeigt, daß die Beschneidung des Nichtjuden von Rechts wegen die
Todesstrafe nach sich zog, obwohl es nicht klar ist, inwiefern dies auf
Samariter oder Sicarier Anwendung fand.
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Blicken wir zurück auf die Geschichte des Judentums in der Epoche von
Augustus bis auf Diocletian, so erkennen wir eine durchgreifende
Umgestaltung seines Wesens wie seiner Stellung. Dasselbe tritt in diese
Epoche ein als eine um das beschränkte Heimatland fest geschlossene
nationale und religiöse Macht, welche selbst dem Reichsregiment in und
außerhalb Judäa mit der Waffe in der Hand sich entgegenstellt und auf
dem Gebiet des Glaubens eine gewaltige propagandistische Macht
entwickelt. Man kann es verstehen, daß die römische Regierung die
Verehrung des Jahve und den Glauben des Moses nicht anders dulden
wollte, als wie auch der Kultus des Mithra und der Glaube des Zornaster
Duldung fand. Die Reaktion gegen dies geschlossene und auf sich selbst
stehende Judentum waren die von Vespasian und Hadrian gegen das
jüdische Land, von Traianus gegen die Juden der Diaspora geführten
zerschmetternden Schläge, deren Wirkung weit hinaus reicht über die
unmittelbare Zerstörung der bestehenden Gemeinschaft und die
Herabdrückung des Ansehens und der Macht der Judenschaft. In der Tat
sind das spätere Christentum wie das spätere Judentum die Konsequenzen
dieser Reaktion des Westens gegen den Osten. Die große
propagandistische Bewegung, welche die tiefere religiöse Anschauung vom
Osten in den Westen trug, ward auf diese Weise, wie schon gesagt ward,
aus den engen Schranken der jüdischen Nationalität befreit; wenn sie
die Anlehnung an Moses und die Propheten keineswegs aufgab, löste sie
sich doch notwendig von dem in Scherben gegangenen Regiment der
Pharisäer. Die christlichen Zukunftsideale wurden universell, seit es
ein Jerusalem auf Erden nicht mehr gab. Aber wie der erweiterte und
vertiefte neue Glaube, der mit seinem Wesen auch den Namen wechselte,
aus diesen Katastrophen hervorging, so nicht minder die verengte und
verstockte Altgläubigkeit, die sich, wenn nicht mehr in Jerusalem, so
in dem Haß gegen diejenigen zusammenfand, die dasselbe zerstört hatten,
und mehr noch in dem gegen die freiere und höhere aus dem Judentum das
Christentum entwickelnde geistige Bewegung. Die äußere Macht der
Judenschaft war gebrochen und Erhebungen, wie sie in der mittleren
Kaiserzeit stattgefunden haben, begegnen späterhin nicht wieder; mit
dem Staat im Staate waren die römischen Kaiser fertiggeworden, und
indem das eigentlich gefährliche Moment, die propagandistische
Ausbreitung, auf das Christentum überging, waren die Bekenner des alten
Glaubens, die dem neuen Bunde sich verschlossen, für die weitere
allgemeine Entwicklung beseitigt. Aber wenn die Legionen Jerusalem
zerstören konnten, das Judentum selbst konnten sie nicht schleifen; und
was nach der einen Seite Heilmittel war, übte nach der andern die
Wirkung des Giftes. Das Judentum blieb nicht bloß, sondern es ward auch
ein anderes. Es liegt eine tiefe Kluft zwischen dem Judentum der
älteren Zeit, das für seinen Glauben Propaganda macht, dessen
Tempelvorhof die Heiden erfüllen, dessen Priester täglich für Kaiser
Augustus opfern, und dem starren Rabbinismus, der außer Abrahams Schoß
und dem mosaischen Gesetz von der Welt nichts weiß noch wissen will.
Fremde waren die Juden immer gewesen und hatten es sein wollen; aber
das Gefühl der Entfremdung steigerte sich jetzt in ihnen selbst wie
gegen sie in entsetzlicher Weise, und schroff zog man nach beiden
Seiten hin dessen gehässige und schädliche Konsequenzen. Von dem
geringschätzigen Spott des Horatius gegen den aufdringlichen Juden aus
dem römischen Ghetto ist ein weiter Schritt zu dem feierlichen Groll,
welchen Tacitus hegt gegen diesen Abschaum des Menschengeschlechts, dem
alles Reine unrein und alles Unreine rein ist; dazwischen liegen jene
Aufstände des verachteten Volkes und die Notwendigkeit dasselbe zu
besiegen und für seine Niederhaltung fortwährend Geld und Menschen
aufzuwenden. Die in den kaiserlichen Verordnungen stets wiederkehrenden
Verbote der Mißhandlung des Juden zeigen, daß jene Worte der
Gebildeten, wie billig, von den Niederen in Taten übersetzt wurden. Die
Juden ihrerseits machten es nicht besser. Sie wendeten sich ab von der
hellenischen Literatur, die jetzt als befleckend galt, und lehnten
sogar sich auf gegen den Gebrauch der griechischen Bibelübersetzung;
die immer steigende Glaubensreinigung wandte sich nicht bloß gegen die
Griechen und die Römer, sondern ebensosehr gegen die “halben Juden” von
Samaria und gegen die christlichen Ketzer; die Buchstabengläubigkeit
gegenüber den heiligen Schriften stieg bis in die schwindelnde Höhe der
Absurdität, und vor allem stellte ein womöglich noch heiligeres
Herkommen sich fest, in dessen Fesseln alles Leben und Denken
erstarrte. Die Kluft zwischen jener Schrift vom Erhabenen, die den Land
und Meer erschütternden Poseidon Homers und den die leuchtende Sonne
erschaffenden Jehova nebeneinander zu stellen wagt, und den Anfängen
des Talmud, welche dieser Epoche angehören, bezeichnet den Gegensatz
zwischen dem Judentum des ersten und dem des dritten Jahrhunderts. Das
Zusammenleben der Juden und Nichtjuden erwies sich mehr und mehr als
ebenso unvermeidlich wie unter den gegebenen Verhältnissen
unerträglich; der Gegensatz in Glaube, Recht und Sitte verschärfte
sich, und die gegenseitige Hoffart wie der gegenseitige Haß wirkten
nach beiden Seiten hin sittlich zerrüttend. Die Ausgleichung wurde in
diesen Jahrhunderten nicht bloß nicht gefördert, sondern ihre
Verwirklichung immer weiter in die Ferne gerückt, je mehr ihre
Notwendigkeit sich herausstellte. Diese Erbitterung, diese Hoffart,
diese Verachtung, wie sie damals sich festsetzten, sind freilich nur
das unvermeidliche Aufgehen einer vielleicht nicht minder
unvermeidlichen Saat; aber die Erbschaft dieser Zeiten lastet auf der
Menschheit noch heute.
KAPITEL XII.
Ägypten
Die beiden Reiche von Ägypten und Syrien, die so lange in jeder
Hinsicht miteinander gerungen und rivalisiert hatten, fielen ungefähr
um die gleiche Zeit widerstandslos in die Gewalt der Römer. Wenn
dieselben auch von dem angeblichen oder wirklichen Testament Alexanders
II. († 673 81) keinen Gebrauch machten und das Land damals nicht
einzogen, so standen doch die letzten Herrscher des Lagidenhauses
anerkanntermaßen in römischer Klientel; bei Thronstreitigkeiten
entschied der Senat, und seit der römische Statthalter von Syrien,
Aulus Gabinius, den König Ptolemaeos Auletes mit seinen Truppen nach
Ägypten zurückgeführt hatte (699 55; vgl. 4, 160), haben die römischen
Legionen das Land nicht wieder verlassen. Wie die übrigen
Klientelkönige nahmen auch die Herrscher Ägyptens an den Bürgerkriegen
auf Mahnung der von ihnen anerkannten oder ihnen mehr imponierenden
Regierung teil; und wenn es unentschieden bleiben muß, welche Rolle
Antonius in dem phantastischen Ostreich seiner Träume dem Heimatland
des allzu sehr von ihm geliebten Weibes zugedacht hat, so gehört doch
Antonius’ Regiment in Alexandreia sowohl wie der letzte Kampf in dem
letzten Bürgerkrieg vor den Toren dieser Stadt ebensowenig zu der
Spezialgeschichte Ägyptens wie die Schlacht von Aktion zu der von
Epirus. Wohl aber gab diese Katastrophe und der damit verknüpfte Tod
der letzten Fürstin der Lagidendynastie den Anlaß dazu, daß Augustus
den erledigten Thron nicht wieder besetzte, sondern das Königreich
Ägypten in eigene Verwaltung nahm. Diese Einziehung des letzten Stückes
der Küste des Mittelmeeres in die unmittelbare römische Administration
und der zeitlich und pragmatisch damit zusammenfallende Abschluß der
neuen Monarchie bezeichnen dieser für die Verfassung, jene für die
Verwaltung des ungeheuren Reiches den Wendepunkt, das Ende der alten
und den Anfang einer neuen Epoche.
Die Einverleibung Ägyptens in das Römische Reich vollzog sich insofern
in abweichender Weise, als das sonst den Staat beherrschende Prinzip
der Dyarchie, das heißt des gemeinschaftlichen Regiments der beiden
höchsten Reichsgewalten, des Prinzeps und des Senats, von einigen
untergeordneten Bezirken abgesehen, allein auf Ägypten keine Anwendung
fand, sondern in diesem Lande ^1 dem Senat als solchem sowie jedem
einzelnen seiner Mitglieder jede Beteiligung bei dem Regiment
abgeschnitten, ja sogar den Senatoren und den Personen senatorischen
Ranges das Betreten dieser Provinz untersagt ward ^2. Man darf dies
nicht etwa in der Art auffassen, als wäre Ägypten mit dem übrigen Reich
nur durch eine Personalunion verknüpft; der Prinzeps ist nach dem Sinn
und Geist der Augustischen Ordnung ein integrierendes und dauernd
funktionierendes Element des römischen Staatswesens ebenso wie der
Senat, und seine Herrschaft über Ägypten geradeso ein Teil der
Reichsherrschaft wie die Herrschaft des Prokonsuls von Afrika ^3. Eher
mag man sich das staatsrechtliche Verhältnis in der Weise
verdeutlichen, daß das britische Reich in derselben Verfassung sich
befinden würde, wenn Ministerium und Parlament nur für das Mutterland
in Betracht kämen, die Kolonien dagegen dem absoluten Regiment der
Kaiserin von Indien zu gehorchen hätten. Welche Motive den neuen
Monarchen dazu bestimmten, gleich im Beginn seiner Alleinherrschaft
diese tief einschneidende und zu keiner Zeit angefochtene Einrichtung
zu treffen und wie dieselbe in die allgemeinen politischen Verhältnisse
eingegriffen hat, gehört der allgemeinen Geschichte des Reiches an;
hier haben wir darzulegen, wie unter der Kaiserherrschaft die inneren
Verhältnisse Ägyptens sich gestalteten.
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^1 Diesen Ausschluß des Mitregiments des Senats wie der Senatoren
bezeichnet Tacitus (hist. 1, 11) mit den Worten, daß Augustus Ägypten
ausschließlich durch seine persönlichen Diener verwalten lassen wollte
(domi retinere; vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 963). Prinzipiell
gilt diese abweichende Gestaltung des Regiments für die sämtlichen
nicht von Senatoren verwalteten Provinzen, deren Vorsteher auch
anfänglich vorzugsweise praefecti hießen (CIL V, p. 809, 902). Aber bei
der ersten Teilung der Provinzen zwischen Kaiser und Senat gab es deren
wahrscheinlich keine andere als eben Ägypten; und auch nachher trat der
Unterschied hier insofern schärfer hervor, als die sämtlichen übrigen
Provinzen dieser Kategorie keine Legionen erhielten. Denn in dem
Eintreten der ritterlichen Legionskommandanten statt der senatorischen,
wie es in Ägypten Regel war, findet der Ausschluß des
Senatorenregiments den greifbarsten Ausdruck.
^2 Diese Bestimmung gilt nur für Ägypten, nicht für die übrigen von
Nichtsenatoren verwalteten Gebiete. Wie wesentlich sie der Regierung
erschien, erkennt man aus dem zu ihrer Sicherung aufgebotenen
konstitutionellen und religiösen Apparat (vit. trig. tyr. c. 22).
^3 Die gangbare Behauptung, daß provincia für die nicht von Senatoren
verwalteten Distrikte nur abusiv gesetzt werde, ist nicht begründet.
Privateigentum des Kaisers war Ägypten ebensosehr oder ebensowenig wie
Gallien und Syrien - sagt doch Augustus selber (Mon. Ancyr. 5, 24):
Aegyptum imperio populi Romani adieci und legte dem Statthalter, da er
als Ritter nicht pro praetore sein konnte, durch besonderes Gesetz die
gleiche prozessualische Kompetenz bei, wie sie die römischen Prätoren
hatten (Tac. ann. 12, 60).
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Was im allgemeinen von allen hellenischen oder hellenisierten Gebieten
gilt, daß die Römer, indem sie sie zum Reiche zogen, die einmal
bestehenden Einrichtungen konservierten und nur, wo es schlechterdings
notwendig erschien, Modifikationen eintreten ließen, das findet in
vollem Umfang Anwendung auf Ägypten.
Wie Syrien so war Ägypten, als es römisch ward, ein Land zwiefacher
Nationalität; auch hier stand neben und über dem Einheimischen der
Grieche, jener der Knecht, dieser der Herr. Aber rechtlich und
tatsächlich waren die Verhältnisse der beiden Nationen in Ägypten von
denen Syriens völlig verschieden.
Syrien stand wesentlich schon in der vorrömischen und durchaus in der
römischen Epoche nur mittelbar unter der Landesregierung; es zerfiel
teils in Fürstentümer, teils in autonome Stadtbezirke und wurde
zunächst von den Landesherren oder Gemeindebehörden verwaltet. In
Ägypten ^4 dagegen gibt es weder Landesfürsten noch Reichsstädte nach
griechischer Art. Die beiden Verwaltungskreise, in welche Ägypten
zerfällt, das “Land” (η χώρα) der Ägypter mit seinen ursprünglich
sechsunddreißig Bezirken (νομοί) und die beiden griechischen Städte
Alexandreia in Unter- und Ptolemais in Oberägypten ^5 sind streng
gesondert und scharf sich entgegengesetzt und doch eigentlich kaum
verschieden. Der Land- wie der Stadtbezirk ist nicht bloß territorial
abgegrenzt, sondern jener wie dieser auch Heimatbezirk; die
Zugehörigkeit zu einem jeden ist unabhängig vom Wohnort und erblich.
Der Ägypter aus dem chemmitischen Nomos gehört demselben mit den
Seinigen ebenso an, wenn er seinen Wohnsitz in Alexandreia hat, wie der
in Chemmis wohnende Alexandriner der Bürgerschaft von Alexandreia. Der
Landbezirk hat zu seinem Mittelpunkt immer eine städtische Ansiedlung,
der chemmitische zum Beispiel die um den Tempel des Chemmis oder des
Pan erwachsene Stadt Panopolis, oder, wie dies in griechischer
Auffassung ausgedrückt wird, es hat jeder Nomos seine Metropolis;
insofern kann jeder Landbezirk auch als Stadtbezirk gelten. Wie die
Städte sind auch die Nomen in der christlichen Epoche die Grundlage der
episkopalen Sprengel geworden. Die Landbezirke ruhen auf den in Ägypten
alles beherrschenden Kultusordnungen; Mittelpunkt für einen jeden ist
das Heiligtum einer bestimmten Gottheit und gewöhnlich führt er von
dieser oder von dem heiligen Tier derselben den Namen; so heißt der
chemmitische Bezirk nach dem Gott Chemmis oder nach griechischer
Gleichung dem Pan, andere Bezirke nach dem Hund, dem Löwen, dem
Krokodil. Aber auch umgekehrt fehlt den Stadtbezirken der religiöse
Mittelpunkt nicht; Alexandreias Schutzgott ist Alexander, der
Schutzgott von Ptolemais der erste Ptolemaeos, und die Priester, die
dort wie hier für diesen Kult und den ihrer Nachfolger eingesetzt sind,
sind für beide Städte die Eponymen. Dem Landbezirk fehlt völlig die
Autonomie: die Verwaltung, die Besteuerung, die Rechtspflege liegen in
der Hand der königlichen Beamten ^6 und die Kollegialität, das
Palladium des griechischen wie des römischen Gemeinwesens, ist hier in
allen Stufen schlechthin ausgeschlossen. Aber in den beiden
griechischen Städten ist es auch nicht viel anders. Es gibt wohl eine
in Phylen und Demen eingeteilte Bürgerschaft, aber keinen Gemeinderat
^7; die Beamten sind wohl andere und anders benannte als die der Nomen,
aber auch durchaus Beamte königlicher Ernennung und ebenfalls ohne
kollegialische Einrichtung. Erst Hadrian hat einer ägyptischen
Ortschaft, dem von ihm zum Andenken an seinen im Nil ertrunkenen
Liebling angelegten Antinoopolis, Stadtrecht nach griechischer Art
gegeben und späterhin Severus, vielleicht ebensosehr den Antiochenern
zum Trutz als zu Nutz der Ägypter, der Hauptstadt Ägyptens und der
Stadt Ptolemais und noch mehreren anderen ägyptischen Gemeinden zwar
keine städtischen Magistrate, aber doch einen städtischen Rat
bewilligt. Bis dahin nennt sich zwar im offiziellen Sprachgebrauch die
ägyptische Stadt Nomos, die griechische Polis, aber eine Polis ohne
Archonten und Buleuten ist ein inhaltloser Name. So ist es auch in der
Prägung. Die ägyptischen Nomen haben das Prägerecht nicht gehabt; aber
noch weniger hat Alexandreia jemals Münzen geschlagen. Ägypten ist
unter allen Provinzen der griechischen Reichshälfte die einzige, welche
keine andere Münze als Königsmünze kennt. Auch in römischer Zeit war
dies nicht anders. Die Kaiser stellten die unter den letzten Lagiden
eingerissenen Mißbräuche ab: Augustus beseitigte die unreelle
Kupferprägung derselben, und als Tiberius die Silberprägung wieder
aufnahm, gab er dem ägyptischen Silbergeld ebenso reellen Wert wie dem
übrigen Provinzialcourant des Reiches ^8. Aber der Charakter der
Prägung blieb im wesentlichen der gleiche ^9. Es ist ein Unterschied
zwischen Nomos und Polis wie zwischen dem Gott Chemmis und dem Gott
Alexander; in administrativer Hinsicht ist eine Verschiedenheit nicht
da. Ägypten bestand aus einer Mehrzahl ägyptischer und einer Minderzahl
griechischer Ortschaften, welche sämtlich der Autonomie entbehrten und
sämtlich unter unmittelbarer und absoluter Verwaltung des Königs und
der von diesem ernannten Beamten standen.
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^4 Selbstverständlich ist hier das Land Ägypten gemeint, nicht die den
Lagiden unterworfenen Besitzungen. Kyrene war ähnlich geordnet. Aber
auf das südliche Syrien und die übrigen, längere oder kürzere Zeit in
ägyptischer Gewalt stehenden Territorien ist das eigentlich ägyptische
Regiment niemals angewandt worden.
^5 Dazu kommt weiter Naukratis, die älteste schon vor den Ptolemäern in
Ägypten gegründete Griechenstadt; ferner Paraetonion, das freilich
gewissermaßen schon außerhalb der Grenzen Ägyptens liegt.
^6 Eine gewisse gemeinschaftliche Aktion, ähnlich derjenigen; wie sie
auch von den Regionen und den vici der sich selbst verwaltenden
Stadtgemeinden geübt wird hat natürlich nicht gefehlt: dahin gehört,
was von Agoranomie und Gymnasiarchie in den Nomen begegnet, ebenso die
Setzung von Ehrendenkmälern und dergleichen mehr, was übrigens alles
nur in geringem Umfang und meist erst spät sich zeigt. Nach dem Edikt
des Alexander (CIG 4957, Z. 34) scheinen die Strategen von dem
Statthalter nicht eigentlich ernannt, sondern nur nach angestellter
Prüfung bestätigt worden zu sein; wer den Vorschlag gehabt hat, wissen
wir nicht.
^7 Deutlich treten die Verhältnisse hervor in der im Anfang der
Regierung des Pius dem bekannten Redner Aristeides von den ägyptischen
Griechen gesetzten Inschrift (CIG 4679); als Dedikanten werden genannt
η πόλις τών Αλεξανδρέων καί Ερμούπολις η μεγάλη καί η βουλή η Αντινοέων
νέων Έλληνων καί οι εν τώ Δέλτα τής Αιγύπτου καί οι τόν Θηβαικόν νομόν
οικούντεσ Έλληνες.. Also nur Antinoopolis, die Stadt der “neuen
Hellenen”, hat eine Bule; Alexandreia erscheint ohne diese, aber als
griechische Stadt in der Gesamtheit. Außerdem beteiligten sich bei
dieser Widmung die im Delta und die in Thebae lebenden Griechen, von
den ägyptischen Städten einzig Groß-Hermopolis, wobei wahrscheinlich
die unmittelbare Nachbarschaft von Antinoopolis eingewirkt hat.
Ptolemais legt Strabon (17, 1, 42 p. 813) ein σύστημα πολιτικόν εν τώ
Ελληνικώ τρόπω bei; aber schwerlich darf man dabei an mehr denken, als
was der Hauptstadt nach ihrer uns genauer bekannten Verfassung zustand,
also namentlich an die Teilung der Bürgerschaft in Phylen. Daß die
vorptolemäische Griechenstadt Naukratis die Bule, die sie ohne Zweifel
gehabt hat, in ptolemäischer Zeit behalten hat, ist möglich, kann aber
für die Ptolemäischen Ordnungen nicht entscheiden.
Dios Angabe (51, 17), daß Augustus die übrigen ägyptischen Städte bei
ihrer Ordnung beließ, den Alexandrinern aber wegen ihrer
Unzuverlässigkeit den Gemeinderat nahm, beruht wohl auf Mißverständnis,
um so mehr, als danach Alexandreia zurückgesetzt erscheint gegen die
sonstigen ägyptischen Gemeinden, was durchaus nicht zutrifft.
^8 Die ägyptische Goldprägung hörte natürlich mit der Einziehung des
Landes auf, da es im Römischen Reiche nur Reichsgold gibt. Auch mit dem
Silber hat Augustus es ebenso gehalten und als Herr von Ägypten
lediglich Kupfer und auch dies nur in mäßigen Quantitäten schlagen
lassen. Zuerst Tiberius prägte seit 27/28 n. Chr. Silbermünze für die
ägyptische Zirkulation, dem Anschein nach als Zeichengeld, da die
Stücke ungefähr dem Gewicht nach 4, dem Silbergehalt nach 1 römischen
Denar entsprechen (Feuardent, Numismatique de la Égypte ancienne. Bd.
2, S. XI). Aber da im legalen Kurs die alexandrinische Drachme als
Obolus (also als Sechstel, nicht als Viertel; vergleiche Römisches
Münzwesen, S. 43, 723) des römischen Denars angesetzt wurde (Hermes 5,
1870, S. 136) und das provinziale Silber gegenüber dem Reichssilber
immer verlor, ist vielmehr das alexandrinische Tetradrachmon vom
Silberwert eines Denars zum Kurswert von 2s Denar angesetzt worden.
Demnach ist bis auf Commodus, von wo ab das alexandrinische
Tetradrachmon wesentlich Kupfermünze ist, dasselbe gerade ebenso
Wertmünze gewesen wie das syrische Tetradrachmon und die kappadokische
Drachme; man hat nur jenem den alten Namen und das alte Gewicht
gelassen.
^9 Daß Kaiser Hadrianus unter anderen seiner ägyptisierenden Launen
auch den Nomen so wie seiner neuen Antinoopolis für einmal das
Prägerecht gab, was dann nachher noch ein paar Mal geschehen ist,
ändert an der Regel nichts.
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Es war hiervon eine Folge, daß Ägypten allein unter allen römischen
Provinzen keine allgemeine Vertretung gehabt hat. Der Landtag ist die
Gesamtrepräsentation der sich selber verwaltenden Gemeinden der
Provinz. In Ägypten aber gab es solche nicht; die Nomen waren lediglich
kaiserliche oder vielmehr königliche Verwaltungsbezirke, und
Alexandreia stand nicht bloß so gut wie allein, sondern war ebenfalls
ohne eigentliche munizipale Organisation. Der an der Spitze der
Landeshauptstadt stehende Priester konnte wohl sich “Oberpriester von
Alexandreia und ganz Ägypten” nennen und hat eine gewisse Ähnlichkeit
mit dem Asiarchen und dem Bithyniarchen Kleinasiens; aber die tiefe
Verschiedenheit der Organisationen wird dadurch doch nur verdeckt.
Die Herrschaft trägt dementsprechend in Ägypten einen ganz anderen
Charakter als in dem übrigen schließlich unter dem Kaiserregiment
zusammengefaßten Gebiet der griechischen und der römischen
Zivilisation. In diesem verwaltet durchgängig die Gemeinde; der
Herrscher des Reiches ist genau genommen nur der gemeinsame Vorsteher
der zahlreichen mehr oder minder autonomen Bürgerschaften, und neben
den Vorzügen der Selbstverwaltung treten ihre Nachteile und Gefahren
überall hervor. In Ägypten ist der Herrscher König, der Landesbewohner
sein Untertan, die Verwaltung die der Domäne. Diese prinzipiell ebenso
von oben herab absolut geführte wie auf das gleiche Wohlergehen aller
Untertanen ohne Unterschied des Ranges und des Vermögens gerichtete
Verwaltung ist die Eigenart des Lagidenregiments, entwickelt
wahrscheinlich mehr aus der Hellenisierung der alten
Pharaonenherrschaft als aus der städtisch geordneten Weltherrschaft,
wie der große Makedonier sie gedacht hatte und wie sie am
vollkommensten in dem syrischen Neu-Makedonien zur Durchführung
gelangte. Das System forderte einen in eigener Person nicht bloß
heerführenden, sondern in täglicher Arbeit verwaltenden König, eine
entwickelte und streng disziplinierte Beamtenhierarchie, rücksichtslose
Gerechtigkeit gegen Hohe und Niedere; und wie diese Herrscher, nicht
durchaus ohne Grund, sich wohl den Namen des Wohltäters (ευεργέτης)
beilegten, so darf die Monarchie der Lagiden zusammengestellt werden
mit der friderizianischen, von der sie in den Grundzügen sich nicht
entfernte. Allerdings hatte die Kehrseite, das unvermeidliche
Zusammenbrechen des Systems in unfähiger Hand, auch Ägypten erfahren.
Aber die Norm blieb; und der augustische Prinzipat neben der
Senatsherrschaft ist nichts als die Vermählung des Lagidenregiments mit
der alten städtischen und bündischen Entwicklung.
Eine weitere Folge dieser Regierungsform ist die namentlich vom
finanziellen Standpunkt aus unzweifelhafte Überlegenheit der
ägyptischen Verwaltung über diejenige der übrigen Provinzen. Man kann
die vorrömische Epoche bezeichnen als das Ringen der finanziell
dominierenden Macht Ägyptens mit dem räumlich den übrigen Osten
erfüllenden asiatischen Reich; in der römischen setzt sich dies in
gewissem Sinn darin fort, daß die kaiserlichen Finanzen insbesondere
durch den ausschließlichen Besitz Ägyptens denen des Senats überlegen
gegenüberstehen. Wenn es der Zweck des Staates ist, den möglichst
großen Betrag aus dem Gebiet herauszuwirtschaften, so sind in der alten
Welt die Lagiden die Meister der Staatskunst schlechthin gewesen.
Insonderheit waren sie auf diesem Gebiet die Lehrmeister und die
Vorbilder der Caesaren. Wie viel die Römer aus Ägypten zogen, vermögen
wir nicht mit Bestimmtheit zu sagen. In der persischen Zeit hatte
Ägypten einen Jahrestribut von 700 babylonischen Talenten Silbers, etwa
4 Mill. Mark entrichtet; die Jahreseinnahme der Ptolemäer aus Ägypten
oder vielmehr aus ihren Besitzungen überhaupt betrug in ihrer
glänzendsten Periode 12800 ägyptische Silbertalente oder 57 Mill. Mark
und außerdem 1½ Mill. Artaben = 591000 Hektoliter Weizen; am Ende ihrer
Herrschaft reichlich 6000 Talente oder 23 Mill. Mark. Die Römer bezogen
aus Ägypten jährlich den dritten Teil des für den Konsum von Rom
erforderlichen Korns, 20 Mill. römische Scheffel ^10 = 1740000
Hektoliter; indes ist ein Teil davon sicher aus den eigentlichen
Domänen geflossen, ein anderer vielleicht gegen Entschädigung geliefert
worden, während andererseits die ägyptischen Steuern wenigstens zu
einem großen Teil in Geld angesetzt waren, so daß wir nicht imstande
sind, die ägyptische Einnahme der römischen Reichskasse auch nur
annähernd zu bestimmen. Aber nicht bloß durch ihre Höhe ist sie für die
römische Staatswirtschaft von entscheidender Bedeutung gewesen, sondern
weil sie als Vorbild diente zunächst für den kaiserlichen
Domanialbesitz in den übrigen Provinzen, überhaupt aber für die gesamte
Reichsverwaltung, wie dies bei deren Darlegung auseinanderzusetzen ist.
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^10 Diese Ziffer gibt die sogenannte Epitome Victors c. 1 für die Zeit
Augusts. Nachdem diese Abgabe auf Konstantinopel übergegangen war,
gingen dahin unter Justinian (ed. 13 c. 8) jährlich 8 Mill. Artaben
(denn diese sind nach c. 6 zu verstehen) oder 26 2/3 Mill. römischer
Scheffel (Hultsch, Metrologie, S. 628), wozu dann noch die von
Diocletian eingeführte gleichartige Abgabe an die Stadt Alexandreia
hinzutritt. Den Schiffern wurden für den Transport nach Konstantinopel
jährlich 8000 Solidi = 100000 Mark aus der Staatskasse gezahlt.
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Aber wenn die kommunale Selbstverwaltung in Ägypten keine Stätte hat
und in dieser Hinsicht zwischen den beiden Nationen, aus welchen dieser
Staat ebenso wie der syrische sich zusammensetzt, eine reale
Verschiedenheit nicht besteht, so ist zwischen ihnen in anderer
Beziehung eine Schranke aufgerichtet, wozu Syrien keine Parallele
bietet. Nach der Ordnung der makedonischen Eroberer disqualifizierte
die ägyptische Ortsangehörigkeit für sämtliche öffentliche Ämter und
für den besseren Kriegsdienst. Wo der Staat seinen Bürgern Zuwendungen
machte, beschränkten sich diese auf die der griechischen Gemeinden ^11;
die Kopfsteuer dagegen zahlten lediglich die Ägypter, und auch von den
Gemeindelasten, die die Eingesessenen des einzelnen ägyptischen
Bezirkes treffen, sind die daselbst ansässigen Alexandriner befreit
^12. Obwohl im Fall des Vergehens der Rücken des Ägypters wie des
Alexandriners büßte, so durfte doch dieser sich rühmen, und tat es
auch, daß ihn der Stock treffe und nicht wie jenen die Peitsche ^13.
Sogar die Gewinnung des besseren Bürgerrechts war den Ägyptern
untersagt ^14. Die Bürgerverzeichnisse der zwei großen von den beiden
Reichsgründern geordneten und benannten Griechenstädte in Unter- und
Oberägypten faßten die herrschende Bevölkerung in sich, und der Besitz
des Bürgerrechts einer dieser Städte war in dem Ägypten der Ptolemäer
dasselbe, was der Besitz des römischen Bürgerrechts im Römischen Reich.
Was Aristoteles dem Alexander empfahl, den Hellenen ein Herrscher
(ηγεμών), den Barbaren ein Herr zu sein, jene als Freunde und Genossen
zu versorgen, diese wie die Tiere und die Pflanzen zu nutzen, das haben
die Ptolemäer in vollem Umfang praktisch durchgeführt. Der König,
größer und freier als sein Lehrmeister, trug den höheren Gedanken im
Sinne der Umwandlung der Barbaren in Hellenen oder wenigstens der
Ersetzung der barbarischen Ansiedlungen durch hellenische, und diesem
gewährten die Nachfolger fast überall und namentlich in Syrien breiten
Spielraum ^15. In Ägypten geschah das gleiche nicht. Wohl suchten
dessen Herrscher mit den Eingeborenen namentlich auf dem religiösen
Gebiet Fühlung zu halten und wollten nicht als Griechen über die
Ägypter, viel eher als irdische Götter über die Untertanen insgemein
herrschen; aber damit vertrug sich die ungleiche Berechtigung der
Untertanen durchaus, eben wie die rechtliche und faktische Bevorzugung
des Adels ein ebenso wesentlicher Teil des friderizianischen Regiments
war wie die gleiche Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe.
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^11 Wenigstens schloß Kleopatra bei einer Getreideverteilung in
Alexandreia die Juden aus (Ios. c. Ap. 2, 5), um so viel mehr also die
Ägypter.
^12 Das Edikt des Alexander (CIG 4957) Z. 33 f. befreit die εν τή χώρα
(nicht εν τή πόλει) ihrer Geschäfte wegen wohnhaften εγγενείς
Αλεξανδρεις von den λειτουργίαι χωρικαί.
^13 “Es bestehen”, sagt der alexandrinische Jude Philon (in Flacc. 10),
“hinsichtlich der körperlichen Züchtigung (τών μαστίγων) Unterschiede
in unserer Stadt nach dem Stande der zu Züchtigenden: die Ägypter
werden mit anderer Geißel gezüchtigt und von anderen, die Alexandriner
aber mit Stöcken (σπάθαις; σπάθη ist die Rispe des Palmblatts) und von
den alexandrinischen Stockträgern” (σπαθηφόροι, etwa bacillarius). Er
beklagt sich nachher bitter, daß die Ältesten seiner Gemeinde, wenn sie
einmal gehauen werden sollten, nicht wenigstens mit den anständigen
Bürgerprügeln (ταίς ελευθεριωτέραις καί πολιτικωτέραις μάστιξιν)
bedacht worden seien.
^14 Ios. c. Ap. 2, 4: μόνοις Αιγυπτίοις οι κύριοι νύν Ρωμαίοι τής
οικουμένης μεταλαμβάνειν ηστινοσούν πολιτείας απειρήκασιν. 6: Aegyptiis
neque regum quisquam videtur ius civitatis fuisse largitus neque nunc
quilibet imperatorum (vgl. Eph. epigr. V, p. 13). Derselbe rückt seinem
Widersacher vor (2, 3, 4), daß er, ein geborener Ägypter, seine Heimat
verleugnet und sich für einen Alexandriner ausgegeben habe.
Einzelausnahmen werden dadurch nicht ausgeschlossen.
^15 Auch die alexandrinische Wissenschaft hat im Sinne des Königs gegen
diesen Satz (Plut. de fort. Alex. 1, 6) protestiert; Eratosthenes
bezeichnete die Zivilisation als nicht den Hellenen allein eigen und
nicht allen Barbaren abzusprechen, zum Beispiel nicht den Indern, den
Arianern, den Römern, den Karthagern; die Menschen seien vielmehr zu
teilen in “gute” und “schlechte” (Strabon 1. fin. p. 66). Aber von
dieser Theorie ist auf die ägyptische Rasse auch unter den Lagiden
keine praktische Anwendung gemacht worden.
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Wie die Römer im Orient überhaupt das Werk der Griechen fortsetzten, so
blieb auch die Ausschließung der einheimischen Ägypter von der
Gewinnung des griechischen Bürgerrechts nicht bloß bestehen, sondern
wurde auf das römische Bürgerrecht ausgedehnt. Der ägyptische Grieche
dagegen konnte das letztere ebenso wie jeder andere Nichtbürger
gewinnen. Der Eintritt freilich in den Senat wurde ihm so wenig
gestattet wie dem römischen Bürger aus Gallien, und diese Beschränkung
ist viel länger für Ägypten als für Gallien in Kraft geblieben ^16;
erst im Anfang des dritten Jahrhunderts wurde in einzelnen Fällen davon
abgesehen, und als Regel hat sie noch im fünften gegolten. In Ägypten
selbst wurden die Stellungen der Oberbeamten, das heißt der für die
ganze Provinz fungierenden, und ebenso die Offizierstellen den
römischen Bürgern in der Form vorbehalten, daß als Qualifikation dafür
das Ritterpferd verlangt ward; es war dies durch die allgemeine
Reichsordnung gegeben, und ähnliche Privilegien hatten ja in Ägypten
unter den früheren Lagiden die Makedonier gegenüber den sonstigen
Griechen besessen. Die Ämter zweiten Ranges blieben unter römischer
Herrschaft wie bisher den ägyptischen Ägyptern verschlossen und wurden
mit Griechen besetzt, zunächst den Bürgern von Alexandreia und
Ptolemais. Wenn im Reichskriegsdienst für die erste Klasse das römische
Bürgerrecht gefordert wurde, so ließ man doch bei den in Ägypten selbst
stationierten Legionen auch den ägyptischen Griechen nicht selten in
der Weise zu, daß ihm bei der Aushebung das römische Bürgerrecht
verliehen ward. Für die Kategorie der Auxiliartruppen unterlag die
Zulassung der Griechen keiner Beschränkung; die Ägypter aber sind auch
hierfür wenig oder gar nicht, dagegen für die unterste Klasse, die in
der ersten Kaiserzeit noch aus Sklaven gebildete Flottenmannschaft,
späterhin in beträchtlicher Zahl verwendet worden. Im Lauf der Zeit hat
die Zurücksetzung der eingeborenen Ägypter wohl in ihrer Strenge
nachgelassen und sind dieselben öfter zum griechischen und mittels
dessen auch zum römischen Bürgerrecht gelangt; im ganzen aber ist das
römische Regiment einfach die Fortsetzung wie der griechischen
Herrschaft so auch der griechischen Exklusivität gewesen. Wie das
makedonische Regiment sich mit Alexandreia und Ptolemais begnügt hatte,
so hat auch das römische einzig in dieser Provinz nicht eine einzige
Kolonie gegründet ^17.
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^16 Auch die Zulassung zu den ritterlichen Stellungen war wenigstens
erschwert: non est ex albo iudex patre Aegyptio (CIL IV, 1943; vgl.
Römisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 919, A. 2; Eph. epigr. V, p. 13 n. 2).
Doch begegnen früh einzelne Alexandriner in ritterlichen Ämtern wie
Tiberius Julius Alexander (Anm. 21).
^17 Wenn die Worte des Plinius (nat. 5, 31, 128) genau sind, daß die
Pharos-Insel vor dem Hafen von Alexandreia eine colonia Caesaris
dictatoris sei (vgl. 5, 221), so hat der Diktator auch hier über
Aristoteles hinaus wie Alexander gedacht. Darüber aber kann kein
Zweifel sein, daß nach der Einziehung Ägyptens es dort nie eine
römische Kolonie gegeben hat.
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Auch die Sprachordnung ist in Ägypten wesentlich unter den Römern
geblieben, wie die Ptolemäer sie festgestellt hatten. Abgesehen von dem
Militär, bei dem das Lateinische allein herrschte, ist für den Verkehr
der oberen Stellen die Geschäftssprache die griechische. Der
einheimischen Sprache, die von den semitischen wie von den arischen
Sprachen radikal verschieden, am nächsten vielleicht derjenigen der
Berber in Nordafrika verwandt ist, und der einheimischen Schrift haben
die römischen Herrscher und ihre Statthalter sich nie bedient, und wenn
schon unter den Ptolemäern den ägyptisch geschriebenen Aktenstücken
griechische Übersetzung beigefügt werden mußte, so gilt für diese ihre
Nachfolger mindestens dasselbe. Allerdings blieb es den Ägyptern
unverwehrt, soweit es ihnen nach dem Ritual erforderlich oder sonst
zweckmäßig erschien, sich der Landessprache und ihrer altgeheiligten
Schriftzeichen zu bedienen; es mußte auch in diesem alten Heim des
Schriftgebrauchs im gewöhnlichen Verkehr nicht bloß bei
Privatkontrakten, sondern selbst bei Steuerquittungen und ähnlichen
Schriftstücken die dem großen Publikum allein geläufige Landessprache
und die übliche Schrift zugelassen werden. Aber es war dies eine
Konzession und der herrschende Hellenismus bemüht, sein Reich zu
erweitern. Das Bestreben, den im Lande herrschenden Anschauungen und
Überlieferungen auch im Griechischen einen allgemein gültigen Ausdruck
zu schaffen, hat der Doppelnamigkeit in Ägypten eine Ausdehnung gegeben
wie nirgend sonst. Alle ägyptischen Götter, deren Namen nicht selbst
den Griechen geläufig wurden, wie der der Isis, wurden mit
entsprechenden oder auch nicht entsprechenden griechischen geglichen;
vielleicht die Hälfte der Ortschaften, eine Menge von Personen führen
sowohl eine einheimische wie eine griechische Benennung. Allmählich
drang hierin die Hellenisierung durch. Die alte heilige Schrift
begegnet auf den erhaltenen Denkmälern zuletzt unter Kaiser Decius um
die Mitte des 3., ihre geläufigere Abart zuletzt um die Mitte des 5.
Jahrhunderts; aus dem gemeinen Gebrauch sind beide beträchtlich früher
verschwunden. Die Vernachlässigung und der Verfall der einheimischen
Elemente der Zivilisation drückt sich darin aus. Die Landessprache
selbst behauptete sich noch lange nachher in den abgelegenen Orten und
den niederen Schichten und ist erst im 17. Jahrhundert völlig
erloschen, nachdem sie, die Sprache der Kopten, gleich wie die
syrische, infolge der Einführung des Christentums und der auf die
Hervorrufung einer volkstümlich-christlichen Literatur gerichteten
Bemühungen, in der späteren Kaiserzeit eine beschränkte Regeneration
erfahren hatte.
In dem Regiment kommt vor allem in Betracht die Unterdrückung des Hofes
und der Residenz, die notwendige Folge der Einziehung des Landes durch
Augustus. Es blieb wohl, was bleiben konnte. Auf den in der
Landessprache, also bloß für Ägypter geschriebenen Inschriften heißen
die Kaiser wie die Ptolemäer Könige von Ober- und Unterägypten und die
Auserwählten der ägyptischen Landesgötter, daneben freilich auch, was
bei den Ptolemäern nicht geschehen war, Großkönige ^18. Die Zeiten
zählte man in Ägypten wie bisher nach dem landüblichen Kalender und
seinem auf die römischen Herrscher übergehenden Königsjahr; den
goldenen Becher, den in jedem Juni der König in den schwellenden Nil
warf, warf jetzt der römische Vizekönig. Aber damit reichte man nicht
weit. Der römische Herrscher konnte die mit seiner Reichsstellung
unvereinbare Rolle des ägyptischen Königs nicht durchführen. Mit der
Vertretung durch einen Untergebenen machte der neue Landesherr gleich
bei dem ersten nach Ägypten gesandten Statthalter unbequeme
Erfahrungen; der tüchtige Offizier und talentvolle Poet, der es nicht
hatte lassen können, auch seinen Namen den Pyramiden einzuschreiben,
wurde deswegen abgesetzt und ging daran zugrunde. Es war unvermeidlich,
hier Schranken zu setzen. Die Geschäfte, deren Erledigung nach dem
Alexandersystem nicht minder dem Fürsten persönlich oblag ^19 wie nach
der Ordnung des römischen Prinzipats, mochte der römische Statthalter
führen wie der einheimische König; König durfte er weder sein noch
scheinen ^20. Es ward das in der zweiten Stadt der Welt sicher tief und
schwer empfunden. Der bloße Wechsel der Dynastie wäre nicht allzu sehr
ins Gewicht gefallen. Aber ein Hof wie der der Ptolemäer, geordnet nach
dem Zeremoniell der Pharaonen, König und Königin in ihrer Göttertracht,
der Pomp der Festzüge, der Empfang der Priesterschaften und der
Gesandten, die Hofbankette, die großen Zeremonien der Krönung, der
Eidesleistung, der Vermählung, der Bestattung, die Hofämter der
Leibwächter und des Oberleibwächters (αρχισωματοφύλαξ), des
einführenden Kammerherrn (εισανγγελεύς), des Obertafelmeisters
(αρχεδέατρος), des Oberjägermeisters (αρχικυνηγός), die Vettern und
Freunde des Königs, die Dekorierten - das alles ging für die
Alexandriner ein für alle Mal unter mit der Verlegung des
Herrschersitzes vom Nil an den Tiber. Nur die beiden berühmten
alexandrinischen Bibliotheken blieben dort mit allem ihrem Zubehör und
Personal als Rest der alten königlichen Herrlichkeit. Ohne Frage büßte
Ägypten bei der Depossedierung seiner Regenten sehr viel mehr ein als
Syrien; freilich waren beide Völkerschaften in der machtlosen Lage, daß
sie hinnehmen mußten, was ihnen angesonnen ward, und an eine Auflehnung
für die verlorene Weltmachtstellung ist hier so wenig wie dort auch nur
gedacht worden.
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^18 Augustus’ Titulatur lautet bei den ägyptischen Priestern
folgendermaßen: “Der schöne Knabe, lieblich durch Liebenswürdigkeit,
der Fürst der Fürsten, auserwählt von Ptah und Nun dem Vater der
Götter, König von Oberägypten und König von Unterägypten, Herr der
beiden Länder, Autokrator, Sohn der Sonne, Herr der Diademe, Kaisar,
ewig lebend, geliebt von Ptah und Isis”; wobei die beiden Eigennamen
Autokrator Kaisar aus dem Griechischen beibehalten sind. Der
Augustustitel kommt zuerst bei Tiberius in ägyptischer Übersetzung
(ntixu), mit beibehaltenem griechischem Σεβαστός zuerst unter Domitian
vor. Die Titulatur des schönen lieblichen Knaben, welche in besserer
Zeit nur den zu Mitregenten erklärten Kindern gegeben zu werden pflegt,
ist späterhin stereotyp geworden und findet sich wie für Caesarion und
Augustus, so auch für Tiberius, Claudius, Titus, Domitian verwendet.
Wichtiger ist es, daß abweichend von der älteren Titulatur, wie sie zum
Beispiel griechisch auf der Inschrift von Rosette sich findet (CIG
4697), bei den Caesaren von Augustus an der Titel hinzutritt “Fürst der
Fürsten”, womit ohne Zweifel deren, den früheren Königen fehlende
Großkönigstellung ausgedrückt werden soll.
^19 Wenn die Leute wüßten, pflegte König Seleukos zu sagen (Plus. an
seni 11), was es für eine Last ist, so viele Briefe zu schreiben und zu
lesen, so würden sie das Diadem, wenn es zu ihren Füßen läge, nicht
aufheben.
^20 Daß derselbe andere Abzeichen trug als die Offiziere überhaupt
(Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 271), wird aus vita Hadr. 4
schwerlich gefolgert werden dürfen.
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Die Verwaltung des Landes liegt, wie schon gesagt ward, in den Händen
des “Stellvertreters”, das heißt des Vizekönigs; denn obwohl der neue
Landesherr, mit Rücksicht auf seine Stellung im Reiche, sowohl für sich
wie für seine höher gestellten Vertreter der königlichen Benennungen
auch in Ägypten sich enthielt, so hat er doch der Sache nach durchaus
als Nachfolger der Ptolemäer die Herrschaft geführt, und die gesamte
zivile wie militärische Obergewalt ist in seiner und seines Vertreters
Hand vereinigt. Daß weder Nichtbürger noch Senatoren diese Stellung
bekleiden durften, ist schon bemerkt worden; Alexandrinern, wenn sie
zum Bürgerrecht und ausnahmsweise zum Ritterpferd gelangt waren, ist
sie zuweilen übertragen worden ^21. Im übrigen stand dieses Amt unter
den nicht senatorischen an Rang und Einfluß anfänglich allen übrigen
voran und späterhin einzig der Kommandantur der kaiserlichen Garde
nach. Außer den eigentlichen Offizieren, wobei nur der Ausschluß des
Senators und die dadurch bedingte niedrigere Titulatur des
Legionskommandanten (praefectus statt legatus) von der allgemeinen
Ordnung sich entfernt, fungieren neben und unter dem Statthalter und
gleichfalls für ganz Ägypten ein oberster Beamter für die Justiz und
ein oberster Finanzverwalter, beide ebenfalls römische Bürger vom
Ritterrang und, wie es scheint, nicht dem Verwaltungsschema der
Ptolemäer entlehnt, sondern nach einem auch in anderen kaiserlichen
Provinzen angewandten Verfahren dem Statthalter zu- und untergeordnet
^22.
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^21 So hat Tiberius Julius Alexander, ein alexandrinischer Jude, in den
letzten Jahren Neros diese Statthalterschaft geführt; allerdings
gehörte er einer sehr reichen und vornehmen, selbst mit dem
kaiserlichen Hause verschwägerten Familie an und hatte im Partherkrieg
sich als Generalstabschef Corbulos ausgezeichnet, welche Stellung er
bald nachher in dem Jüdischen Krieg des Titus abermals übernahm. Er muß
einer der tüchtigsten Offiziere dieser Epoche gewesen sein. Ihm ist die
pseudo-aristotelische, offenbar von einem andern alexandrinischen Juden
verfaßte Schrift περί κοσμού gewidmet (J. Bernays, Gesammelte
Abhandlungen. Bd. 2, S. 278).
^22 Unverkennbar sind der iuridicus Aegypti (CIL X, 6976; auch missus
in Aegyptum ad iurisdictionem Bull. dell’ Inst. 1856, S. 142; iuridicus
Alexandreae CIL VI, 1564; VIII, 8925, 8934; Dig. 1, 20, 2) und der
idiologus ad Aegyptum (CIL X, 4862; procurator ducenarius Alexandriae
idiulogu Eph. epigr. V, p. 30 und CIG 3751; ο γνώμων τού ιδίου λόγου
CIG 4957 v. 44 vgl. v. 39) den neben den Legaten der kaiserlichen
Provinzen stehenden Hilfsbeamten für die Rechtspflege (legati iuridici)
und die Finanzen (procuratores provinciae) nachgebildet (Römisches
Staatsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., S. 223, A. 5). Daß sie für das ganze Land
bestellt und dem praefectus Aegypti untergeordnet waren, sagt Strabon
(17, 1, 12 p. 797) ausdrücklich und fordert auch die öftere Erwähnung
Ägyptens in der Titulatur sowie die Wendung in dem Edikt CIG 4957 v.
39. Ausschließlich aber war ihre Kompetenz nicht; “viele Prozesse”,
sagt Strabon, “entscheidet der rechtsprechende Beamte” (daß es
Vormünder gab, lehrt Dig. 1, 20, 2), und nach demselben liegt es dem
Idiologos namentlich ob, die bona vacantia et caduca für den Fiskus
einzuziehen.
Dies schließt nicht aus, daß der römische iuridicus an die Stelle des
älteren Dreißigergerichts mit dem αρχιδικαστής an der Spitze (Diodor 1,
75) getreten ist, welcher ägyptisch ist und nicht mit dem
alexandrinischen αρχιδικαστής verwechselt werden darf, übrigens
vielleicht schon vor der römischen Zeit beseitigt worden ist, und daß
der Idiologos hervorgegangen ist aus einem in Ägypten bestehenden
Anrecht des Königs auf die Erbschaften, wie es im übrigen Reiche in
gleicher Ausdehnung nicht vorkam; welches letztere Lumbroso
(Recherchen, S. 285) sehr wahrscheinlich gemacht hat.
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Alle übrigen Beamten fungieren nur für einzelne Bezirke und sind in der
Hauptsache aus der ptolemäischen Ordnung übernommen. Daß die Vorsteher
der drei Provinzen Unter-, Mittel- und Oberägypten, abgesehen vom
Kommando mit dem gleichen Geschäftskreis, wie der Statthalter
ausgestattet, in augustischer Zeit aus den ägyptischen Griechen,
späterhin wie die eigentlichen Oberbeamten aus der römischen
Ritterschaft genommen wurden, ist bemerkenswert als ein Symptom der im
Verlauf der Kaiserzeit sich steigernden Zurückdrängung des
einheimischen Elements in der Magistratur.
Unter diesen oberen und mittleren Behörden stehen die Lokalbeamten, die
Vorsteher der ägyptischen wie der griechischen Städte nebst den sehr
zahlreichen, bei dem Hebungswesen und den mannigfaltigen, auf den
Geschäftsverkehr gelegten Abgaben beschäftigten Subalternen und wieder
in dem einzelnen Bezirk die Vorsteher der Unterbezirke und der Dörfer,
welche Stellungen mehr als Lasten denn als Ehren angesehen und den
Ortsangehörigen oder Ortsansässigen, jedoch mit Ausschluß der
Alexandriner, durch den Oberbeamten auferlegt werden; die wichtigste
darunter, die Vorstandschaft des Nomos, wird auf je drei Jahre von dem
Statthalter besetzt. Die örtlichen Behörden der griechischen Städte
waren der Anzahl wie der Titulatur nach andere; in Alexandreia
namentlich fungierten vier Oberbeamten, der Priester Alexanders 23, der
Stadtschreiber (θπομνηματογράφος) ^24, der Oberrichter (αρχιδικαστής)
und der Nachtwächtermeister (νυκτερινός στρατηγός). Daß sie angesehener
waren als die Strategen der Nomen, versteht sich von selbst und zeigt
deutlich das dem ersten alexandrinischen Beamten zustehende
Purpurgewand. übrigens rühren sie ebenfalls aus der Ptolemäerzeit her
und werden wie die Nomenvorsteher aus den Eingesessenen von der
römischen Regierung auf Zeit ernannt. Römische Beamte kaiserlicher
Ernennung finden sich unter diesen städtischen Vorstehern nicht. Aber
der Priester des Museion, der zugleich der Präsident der
alexandrinischen Akademie der Wissenschaften ist und auch über die
bedeutenden Geldmittel dieser Anstalt verfügt, wird vom Kaiser ernannt;
ebenso werden die Aufsicht über das Alexandergrab und die damit
verbundenen Baulichkeiten und einige andere wichtige Stellungen in der
Hauptstadt Ägyptens von der Regierung in Rom mit Beamten von Ritterrang
besetzt ^25.
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^23 Der εκηγητής, nach Strabon (17, 1, 12 p. 797) der erste städtische
Beamte in Alexandreia unter den Ptolemäern wie unter den Römern und
berechtigt, den Purpur zu tragen, ist sicher identisch mit dem
Jahrpriester in dem Testament Alexanders des in solchen Dingen sehr
wohl unterrichteten Alexanderromans (3, 33 p. 149 Müller). Wie der
Exegetes neben seiner wohl im religiösen Sinn zu fassenden Titulatur
die επιμέλεια τών τή πόλει χρησίμων hat, so ist jener Priester des
Romans επιμελιστής τής πόλεως. So wenig wie den Purpur und den goldenen
Kranz wird der Romanschreiber auch die Besoldung von einem Talent und
die Erblichkeit erfunden haben; die letztere, bei welcher auch Lumbroso
(L’Egitto al tempo dei Greci e Romani. 1882, S. 152) an den εξηγητής
έναρχος der alexandrinischen Inschriften (CIG 4688, 4976 c) erinnert,
ist vermutlich in der Weise zu denken, daß ein gewisser Kreis von
Personen durch Erbrecht berufen war und der Statthalter aus diesen den
Jahrpriester bestellte. Dieser Priester Alexanders (sowie der folgenden
ägyptischen Könige, nach dem Stein von Kanopos und dem von Rosette CIG
4697) war unter den früheren Lagiden für die alexandrinischen Akte
eponym, während später wie unter den Römern dafür die Königsnamen
eintreten. Nicht verschieden von ihm ist wohl auch der “Oberpriester
von Alexandreia und ganz Ägypten” einer stadtrömischen Inschrift aus
hadrianischer Zeit (CIG 5900: αρχιερεί Αλεξανδρείας καί Αιγύπτου πάσης
Δευκίω Ιουλίω Ουηστίνω καί επιστάτει τού μουσείου καί επί τών εν Ρώμη
βιβλιοσθηκών Ρωμαικών τε καί Ελληνικών καί επί τής παιδείας Αδριανού,
επιστολεί τοί αυτού αυτοκράτορος); die eigentliche Titulatur εξηγητής
wurde, da sie gewöhnlich den Küster bezeichnet, außerhalb Ägyptens
vermieden. Sollte, was die Fassung der Inschrift nahe legt, das
Oberpriestertum damals dauernd gewesen sein, so wiederholt sich
bekanntlich der Übergang von der Jährigkeit zu der wenigstens
titularen, nicht selten auch reellen Lebenslänglichkeit überhaupt bei
den Sacerdotien der Provinzen, zu denen dieses alexandrinische zwar
nicht gehört, aber deren Stelle es in Ägypten vertritt. Daß das
Priestertum und die Vorstandschaft des Museums zwei verschiedene Ämter
sind, zeigt die Inschrift selbst. Dasselbe lehrt die Inschrift eines
königlichen Oberarztes aus guter Lagidenzeit, der daneben sowohl Exeget
ist wie Vorsteher des Museums (Χρύσερμον Ηρακλείτου Αλεξανδρέα τόν
σθγγενή βασιλέως Πτολεμαίου καί εξηγητήν καί επί τών ιατρών καί
επιστάτην τού Μούσείου). Aber beide Denkmäler legen zugleich nahe, daß
die Stellung des ersten Beamten von Alexandreia und die Vorstandschaft
des Museums häufig demselben Manne übertragen worden sind, obwohl in
römischer Zeit jene vom Präfekten, diese vom Kaiser vergeben ward.
^24 Nicht zu verwechseln mit dem gleichartigen Amt, das Philon (in
Flacc. 16) erwähnt und Lukianos (apolog. 12) bekleidete; dies ist kein
städtisches, sondern eine Subalternstelle bei der Präfektur von
Ägypten, lateinisch a commentariis oder ab actis.
^25 Dies ist der procurator Neaspoleos et mausolei Alexandriae (CIL
VIII, 8934; Henzen 6929). Beamte gleicher Art und gleichen Ranges,
deren Kompetenz aber nicht klar erhellt, sind der procurator ad
Mercurium Alexandreae (CIL X, 3847) und der procurator Alexandreae
Pelusii (CIL VI, 1624). Auch der Pharus steht unter einem kaiserlichen
Freigelassenen (CIL VI, 8582).
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Selbstverständlich sind Alexandriner und Ägypter in diejenigen
Prätendentenbewegungen hineingezogen worden, die vom Orient ausgingen,
und haben dabei regelmäßig mitgemacht; auf diese Weise sind hier
Vespasian, Cassius, Niger, Macrianus, Vaballathus, der Sohn der
Zenobia, Probus zu Herrschern ausgerufen worden. Die Initiative aber
haben in allen diesen Fällen weder die Bürger von Alexandreia ergriffen
noch die wenig angesehenen ägyptischen Truppen, und die meisten dieser
Revolutionen, auch die mißlungenen, haben für Ägypten keine besonders
empfindlichen Folgen gehabt. Aber die an den Namen der Zenobia sich
knüpfende Bewegung ist für Alexandreia und für ganz Ägypten fast ebenso
verhängnisvoll geworden wie für Palmyra. In Stadt und Land standen die
palmyrenisch und römisch Gesinnten mit den Waffen und der Brandfackel
in der Hand sich gegenüber. An der Südgrenze rückten die barbarischen
Blemyer ein, wie es scheint im Einverständnis mit dem palmyrenisch
gesinnten Teil der Bewohner Ägyptens, und bemächtigten sich eines
großen Teils von Oberägypten ^26. In Alexandreia war der Verkehr
zwischen den beiden feindlichen Quartieren aufgehoben, selbst Briefe zu
befördern, war schwierig und gefährlich ^27. Die Gassen starrten von
Blut und von unbegrabenen Leichen. Die dadurch erzeugten Seuchen
wüteten noch ärger als das Schwert; und damit keines der vier Rosse des
Verderbens mangele, versagte auch der Nil und gesellte sich die
Hungersnot zu den übrigen Geißeln. Die Bevölkerung schmolz in der Weise
zusammen, daß, wie ein Zeitgenosse sagt, es früher in Alexandreia mehr
Greise gab als nachher Bürger. Als der von Claudius gesandte Feldherr
Probus endlich die Oberhand gewann, warfen sich die palmyrenisch
Gesinnten, darunter die Mehrzahl der Ratsmitglieder, in das feste
Kastell Prucheion in der unmittelbaren Nähe der Stadt; und obwohl, als
Probus den Austretenden Schonung des Lebens verhieß, die große Mehrzahl
sich unterwarf, harrte doch ein beträchtlicher Teil der Bürgerschaft
bis zum Äußersten aus in dem Kampf der Verzweiflung. Die Festung,
endlich durch Hunger bezwungen (270), wurde geschleift und lag seitdem
öde; die Stadt aber verlor ihre Mauern. In dem Lande haben die Blemyer
sich noch jahrelang behauptet; erst Kaiser Probus hat Ptolemais und
Koptos ihnen wieder entrissen und sie aus dem Lande hinausgeschlagen.
Der Notstand, den diese durch eine Reihe von Jahren sich hinziehenden
Unruhen hervorgerufen haben müssen, mag dann wohl die einzige
nachweislich in Ägypten entstandene Revolution ^28 zum Ausbruch
gebracht haben. Unter der Regierung Diocletians lehnten sich, wir
wissen nicht warum und wozu, sowohl die eingeborenen Ägypter wie die
Bürgerschaft von Alexandreia gegen die bestehende Regierung auf. Es
wurden Gegenkaiser aufgestellt, Lucius Domitius Domitianus und
Achilleus, falls nicht etwa beide Namen dieselbe Persönlichkeit
bezeichnen; die Empörung währte drei bis vier Jahre; die Städte Busiris
im Delta und Koptos unweit Theben wurden von den Truppen der Regierung
zerstört und schließlich unter der eigenen Führung Diocletians im
Frühjahr 297 die Hauptstadt nach achtmonatlicher Belagerung bezwungen.
Von dem Herunterkommen des reichen, aber durchaus auf den inneren und
äußeren Frieden angewiesenen Landes zeugt nichts so deutlich wie die im
Jahre 302 erlassene Verfügung desselben Diocletian, daß ein Teil des
bisher nach Rom gesandten ägyptischen Getreides in Zukunft der
alexandrinischen Bürgerschaft zugute kommen solle ^29. Allerdings
gehört dies zu den Maßregeln, welche die Dekapitalisierung Roms
bezweckten; aber den Alexandrinern, die zu begünstigen dieser Kaiser
wahrlich keine Ursache hatte, wäre die Lieferung nicht zugewandt
worden, wenn sie sie nicht dringend gebraucht hätten.
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^26 Auf die Allianz der Palmyrener und der Blemyer deutet die Notiz der
vita Firmi c. 3 und daß nach Zosimus (hist. 1, 71) Ptolemais zu den
Blemyern abfiel (vgl. Eus. hist. eccl. 7, 32). Aurelian hat mit diesen
nur verhandelt (vita 34. 41); Probus erst warf sie wieder aus Ägypten
(Zos. a. a. O.; vita 17).
^27 Wir besitzen noch dergleichen Briefe, von dem damaligen Bischof der
Stadt Dionysios († 265), an die in der feindlichen Stadthälfte
abgesperrten Gemeindeglieder gerichtet (Eus. hist. eccl. 7, 21, 22 vgl.
32). Wenn es darin heißt: “leichter kommt man vom Orient in den
Okzident als von Alexandreia nach Alexandreia” und η μεσαιτάτη τής
πόλεως οδός, also die von der Lochiasspitze quer durch die Stadt
laufende, mit Säulenhallen besetzte Straße (vgl. Lumbroso, L’Egitto, S.
137) mit der Wüste zwischen Ägypten und dem Gelobten Lande verglichen
wird, so scheint es fast, als habe Severus Antoninus seine Drohung
ausgeführt, eine Mauer quer durch die Stadt zu ziehen und militärisch
zu besetzen (Dio 77, 23). Die Schleifung der Mauern nach der
Niederwerfung des Aufstandes (Amm. 22,16,15) würde dann auf ebendiesen
Bau zu beziehen sein.
^28 Die angeblich ägyptischen Tyrannen Aemilianus, Firmus, Saturninus
sind als solche wenigstens nicht beglaubigt. Die sogenannte
Lebensbeschreibung des zweiten ist nichts als die arg entstellte
Katastrophe des Prucheion.
^29 Chr. Pasch. p. 514; Prok. hist. 26; Gothofred zu Cod. Theod. 14,
26, 2. Ständige Kornverteilungen sind schon früher in Alexandreia
eingerichtet worden, aber, wie es scheint, nur für altersschwache
Personen, und vermutlich für Rechnung der Stadt, nicht des Staats (Eus.
hist. eccl. 7, 21).
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Wirtschaftlich ist Ägypten bekanntlich vor allem das Land des
Ackerbaues. Zwar ist die “schwarze Erde” - das bezeichnet der
einheimische Landesname Chemi - nur ein schmaler Doppelstreifen zu
beiden Seiten des mächtigen, von der letzten Stromschnelle bei Syene,
der Südgrenze des eigentlichen Ägyptens, auf 120 Meilen in breiter
Fülle durch die rechts und links sich ausdehnende gelbe Wüste zum
Mittelländischen Meer strömenden Nils; nur an seinem letzten Ende
breitet die “Gabe des Flusses”, das Nildelta, zwischen den
mannigfaltigen Armen seiner Mündung sich zu beiden Seiten weiter aus.
Auch der Ertrag dieser Strecken hängt Jahr für Jahr ab von dem Nil und
den sechzehn Ellen seiner Schwelle, den den Vater umspielenden sechzehn
Kindern, wie die Kunst der Griechen den Flußgott darstellt; mit gutem
Grund nennen die Araber die niedrigen Ellen mit den Namen der Engel des
Todes, denn erreicht der Fluß die volle Höhe nicht, so trifft das ganze
ägyptische Land Hunger und Verderben. Im allgemeinen aber vermag
Ägypten, wo die Bestellungskosten verschwindend niedrig sind, der
Weizen hundertfältig trägt und auch die Gemüsezucht, der Weinbau, die
Baumkultur, namentlich die Dattelpalme, und die Viehzucht guten Ertrag
bringen, nicht bloß eine dichte Bevölkerung zu ernähren, sondern auch
reichlich Getreide in das Ausland zu senden. Dies führte dazu, daß nach
der Einsetzung der Fremdherrschaft dem Lande selbst von seinem Reichtum
nicht viel verblieb. Ungefähr wie in persischer Zeit und wie heutzutage
schwoll damals der Nil und fronten die Ägypter hauptsächlich für das
Ausland, und zunächst dadurch spielt Ägypten in der Geschichte des
kaiserlichen Rom eine wichtige Rolle. Nachdem Italiens eigener
Getreidebau gesunken und Rom die größte Stadt der Welt geworden war,
bedurfte dasselbe der stetigen Zufuhr billigen überseeischen Getreides;
und vor allem durch die Lösung der nicht leichten wirtschaftlichen
Aufgabe, die hauptstädtische Zufuhr finanziell möglich zu machen und
sicherzustellen hat der Prinzipat sich befestigt. Diese Lösung ruhte
auf dem Besitz Ägyptens, und insofern hier der Kaiser ausschließlich
gebot, hielt er durch Ägypten das Land Italien mit seinen Dependenzen
in Schach. Als Vespasianus die Herrschaft ergriff, sandte er seine
Truppen nach Italien, er selbst aber ging nach Ägypten und bemächtigte
sich Roms durch die Kornflotte. Wo immer ein römischer Regent daran
gedacht hat oder haben soll, den Sitz der Regierung nach dem Osten zu
verlegen, wie uns von Caesar, Antonius, Nero, Geta erzählt wird, da
richten sich die Gedanken wie von selber nicht nach Antiocheia, obwohl
dies damals die regelmäßige Residenz des Ostens war, sondern nach der
Geburtsstätte und der festen Burg des Prinzipats, nach Alexandreia.
Deshalb war denn auch die römische Regierung auf die Hebung des
Feldbaues in Ägypten eifriger bedacht als irgendwo sonst. Da derselbe
von der Nilüberschwemmung abhängig ist, ward es möglich, durch
systematisch durchgeführte Wasserbau ten, künstliche Kanäle, Dämme,
Reservoirs die für den Feldbau geeignete Fläche bedeutend zu erweitern.
In den guten Zeiten Ägyptens, des Heimatlandes der Meßschnur und des
Kunstbaus, war dafür viel geschehen, aber diese segensreichen Anlagen
unter den letzten elenden und finanziell bedrängten Regierungen in
argen Verfall geraten. So führte die römische Besitznahme sich würdig
damit ein, daß Augustus durch die in Ägypten stehenden Truppen die
Nilkanäle einer durchgreifenden Reinigung und Erneuerung unterwarf.
Wenn zur Zeit der römischen Besitzergreifung die volle Ernte einen
Stand des Flusses von vierzehn Ellen erfordert hatte und bei acht Ellen
Mißernte eintrat, so genügten später, nachdem die Kanäle in Stand
gesetzt waren, schon zwölf Ellen für eine volle Ernte und gaben acht
Ellen noch einen genügenden Ertrag. Jahrhunderte nachher hat Kaiser
Probus Ägypten nicht bloß von den Äthiopen befreit, sondern auch die
Wasserbauten am Nil wieder instand gesetzt. Es darf überhaupt
angenommen werden, daß die besseren Nachfolger Augusts in ähnlichem
Sinne administrierten und daß, zumal bei der durch Jahrhunderte kaum
unterbrochenen inneren Ruhe und Sicherheit, der ägyptische Ackerbau
unter dem römischen Prinzipat in dauerndem Flor gestanden hat. Welche
Rückwirkung diese Verhältnisse auf die Ägypter selbst hatten, vermögen
wir genauer nicht zu verfolgen. Zu einem großen Teil beruhten die
Einkünfte aus Ägypten auf dem kaiserlichen Domanialbesitz, welcher in
römischer wie in früherer Zeit einen beträchtlichen Teil des ganzen
Areals ausmachte ^30; hier wird, zumal bei der wenig kostspieligen
Bestellung, den Kleinpächtern, die dieselbe beschafften, nur eine
mäßige Quote des Ertrags geblieben oder eine hohe Geldpacht auferlegt
worden sein. Aber auch die zahlreichen und durchgängig kleineren
Eigentümer werden eine hohe Grundsteuer in Getreide oder in Geld
entrichtet haben. Die ackerbauende Bevölkerung, genügsam wie sie war,
blieb in der Kaiserzeit wohl zahlreich; aber sicher lastete der
Steuerdruck, sowohl an sich wie wegen der Verwendung des Ertrags im
Ausland, schwerer auf Ägypten unter der römischen Fremdherrschaft als
unter dem keineswegs schonenden Regiment der Ptolemäer.
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^30 In der Stadt Alexandreia scheint es kein eigentliches Grundeigentum
gegeben zu haben, sondern nur eine Art Erbmiete (Amm. 22, 11, 6;
Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 963, A. 1); im übrigen aber hat das
Privateigentum am Boden in dem Sinn, wie das Provinzialrecht überhaupt
ein solches kennt, auch in Ägypten gegolten. Von Domanialbesitz ist oft
die Rede, zum Beispiel sagt Strabon (17, 1, 51 p. 828), daß die besten
ägyptischen Datteln auf einer Insel wachsen, auf der Private kein Land
besitzen dürften, sondern sie sei früher königlich, jetzt kaiserlich
und bringe eine große Einnahme. Vespasian verkaufte einen Teil der
ägyptischen Domänen und erbitterte dadurch die Alexandriner (Dio 66,
8), ohne Zweifel die Großpächter, die dann das Land an die eigentlichen
Bauern in Unterpacht gaben. Ob der Grundbesitz in toter Hand,
insbesondere der Priesterkollegien, in der römischen Zeit noch so
ausgedehnt war wie früher, kann in Zweifel gezogen werden; ebenso ob im
übrigen der Großgrundbesitz oder das Kleineigentum überwog; die
Kleinwirtschaft war sicher allgemein. Ziffern besitzen wir weder für
die Domanial- noch für die Grundsteuerquote; daß die fünfte Garbe bei
Orosius (hist. 1, 8, 9) mit Einschluß des usque ad nunc aus der Genesis
abgeschrieben ist, hat Lumbroso, Recherches, S. 94, mit Recht bemerkt.
Die Domanialrente kann nicht unter der Hälfte betragen haben; auch für
die Grundsteuer möchte der Zehnte (Lumbroso a. a. O., S. 289, 293) kaum
genügen.
Anderweitige Ausfuhr des Getreides aus Ägypten bedurfte der Bewilligung
des Statthalters (Hirschfeld, Annona, S. 23), ohne Zweifel weil sonst
in dem dichtbevölkerten Lande leicht Mangel hätte eintreten können.
Doch ist diese Einrichtung sicher mehr kontrollierend gewesen als
prohibitiv; in dem Periplus des Ägypters wird mehrfach (c. 7, 17, 24,
28 vgl. 56) Getreide unter den Exportartikeln aufgeführt. Auch die
Bestellung der Äcker scheint ähnlich kontrolliert worden zu sein; “die
Ägypter”, heißt es, “bauen lieber Rüben als Getreide, soweit sie
dürfen, wegen des Rüböls” (Plin. nat. 19, 5, 79).
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Von der Wirtschaft Ägyptens bildete der Ackerbau nur einen Teil; wie
dasselbe in dieser Hinsicht Syrien weit voranstand, so hatte es vor dem
wesentlich agrikolen Afrika die hohe Blüte der Fabriken und des Handels
voraus. Die Linnenfabrikation in Ägypten steht an Alter und Umfang und
Ruhm der syrischen mindestens gleich und hat, wenn auch die feineren
Sorten in dieser Epoche vorzugsweise in Syrien und Phönizien fabriziert
wurden ^31, sich durch die ganze Kaiserzeit gehalten; als Aurelian die
Lieferungen aus Ägypten an die Reichshauptstadt auf andere Gegenstände
als Getreide erstreckte, fehlten unter diesen die Leinwand und der Werg
nicht. In feinen Glaswaren behaupteten, sowohl in der Färbung wie in
der Formung, die Alexandriner entschieden den ersten Platz, ja, wie sie
meinten insofern das Monopol, als gewisse beste Sorten nur mit
ägyptischem Material herzustellen seien. Unbestritten hatten sie ein
solches in dem Papyrus. Diese Pflanze, die im Altertum massenweise auf
den Flüssen und Seen Unterägyptens kultiviert ward und sonst nirgends
gedieh, lieferte den Eingeborenen sowohl Nahrung wie das Material für
Stricke, Körbe und Kähne, das Schreibmaterial aber damals für die ganze
schreibende Welt. Welchen Ertrag sie gebracht haben muß, ermißt man aus
den Maßregeln, die der römische Senat ergriff, als einmal auf dem
römischen Platz der Papyrus knapp ward und zu fehlen drohte; und da die
mühsame Zubereitung nur an Ort und Stelle erfolgen kann, müssen
zahllose Menschen davon in Ägypten gelebt haben. Auf Glas und Papyrus
^32 erstreckten sich neben dem Leinen die von Aurelian zu Gunsten der
Reichshauptstadt eingeführten alexandrinischen Warenlieferungen.
Vielfach muß der Verkehr mit dem Osten auf die ägyptische Fabrikation
bietend und verlangend eingewirkt haben. Gewebe wurden daselbst für den
Export nach dem Orient fabriziert und zwar in der durch den
Landesgebrauch geforderten Weise: die gewöhnlichen Kleider der Bewohner
von Habesch waren ägyptisches Fabrikat; nach Arabien und Indien gingen
die Prachtstoffe besonders der in Alexandreia kunstvoll betriebenen
Bunt- und Goldwirkerei. Ebenso spielten die in Ägypten angefertigten
Glaskorallen in dem Handel der afrikanischen Küste dieselbe Rolle wie
heutzutage. Indien bezog teils Glasbecher, teils unverarbeitetes Glas
zur eigenen Fabrikation; selbst am chinesischen Hof sollen die
Glasgefäße, mit welchen die römischen Fremden dem Kaiser huldigten,
hohe Bewunderung erregt haben. Ägyptische Kaufleute brachten dem König
der Axomiten (Habesch) als stehende Geschenke nach dortiger Landesart
angefertigte Gold- und Silbergefäße, den zivilisierten Herrschern der
südarabischen und der indischen Küste unter anderen Gaben auch Statuen,
wohl von Bronze, und musikalische Instrumente. Dagegen sind die
Materialien der Luxusfabrikation, die aus dem Orient kamen,
insbesondere Elfenbein und Schildpatt, schwerlich vorzugsweise in
Ägypten, hauptsächlich wohl in Rom verarbeitet worden. Endlich kam in
einer Epoche, welche in öffentlichen Prachtbauten ihresgleichen niemals
in der Welt gehabt hat, das kostbare Baumaterial, welches die
ägyptischen Steinbrüche lieferten, in ungeheuren Massen auch außerhalb
Ägyptens zur Verwendung: der schöne rote Granit von Syene, die Breccia
verde aus der Gegend von Kosêr, der Basalt, der Alabaster, seit
Claudius der graue Granit und besonders der Porphyr der Berge oberhalb
Myos Hormos. Die Gewinnung derselben ward allerdings größtenteils für
kaiserliche Rechnung durch Strafkolonisten bewirkt; aber wenigstens der
Transport muß dem ganzen Lande und namentlich der Stadt Alexandreia
zugute gekommen sein. Welchen Umfang der ägyptische Verkehr und die
ägyptische Fabrikation gehabt hat, zeigt eine zufällig erhaltene Notiz
über die Ladung eines durch seine Größe ausgezeichneten Lastschiffes
(άκατος), das unter Augustus den jetzt an der Porta del Popolo
stehenden Obelisken mit seiner Basis nach Rom brachte; es führte
außerdem 200 Matrosen, 1200 Passagiere, 400000 röm. Scheffel (34000
Hektoliter) Weizen und eine Ladung von Leinwand, Glas, Papier und
Pfeffer. “Alexandreia”, sagt ein römischer Schriftsteller des 3.
Jahrhunderts ^33, “ist eine Stadt der Fülle, des Reichtums und der
Üppigkeit, in der niemand müßig geht; dieser ist Glasarbeiter, jener
Papierfabrikant, der dritte Leinweber; der einzige Gott ist das Geld.”
Es gilt dies verhältnismäßig von dem ganzen Lande.
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^31 Im Diocletianischen Edikt sind unter den fünf feinen Linnensorten
die vier ersten syrisch oder kilikisch (tarsisch), und das ägyptische
Leinen erscheint nicht bloß an letzter Stelle, sondern wird auch
bezeichnet als tarsisches alexandrinisches, das heißt nach tarsischem
Muster in Alexandreia verfertigtes.
^32 Einem reichen Mann in Ägypten wurde nachgesagt, daß er seinen
Palast mit Glas statt mit Marmor getäfelt habe und Papyrus und Leim
genug besitze, um ein Heer damit zu füttern (vita Firmi 3).
^33 Daß der angebliche Brief Hadrians (vita Saturnini 8) ein spätes
Machwerk ist, zeigt zum Beispiel, daß der Kaiser sich in diesem an
seinen Schwager Servianus gerichteten, höchst freundschaftlichen Brief
beklagt über die Injurien, mit denen die Alexandriner bei seiner ersten
Abreise seinen Sohn Verus überhäuft hätten, während andererseits
feststeht, daß dieser Servianus neunzigjährig im Jahre 136 hingerichtet
ward, weil er die kurz zuvor erfolgte Adoption des Verus gemißbilligt
hatte.
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Von dem Handelsverkehr Ägyptens mit den südlich angrenzenden
Landschaften sowie mit Arabien und Indien wird weiterhin eingehend die
Rede sein. Derjenige mit den Ländern des Mittelmeers tritt in der
Überlieferung weniger hervor, zum Teil wohl, weil er zu dem
gewöhnlichen Gang der Dinge gehörte und nicht oft sich Veranlassung
fand, seiner besonders zu gedenken. Das ägyptische Getreide wurde von
alexandrinischen Schiffern nach Italien geführt und infolgedessen
entstand in Portus bei Ostia ein dem alexandrinischen Sarapistempel
nachgebildetes Heiligtum mit seiner Schiffergemeinde ^34; aber an dem
Vertrieb der aus Ägypten nach dem Westen gehenden Waren werden diese
Lastschiffe schwerlich in bedeutendem Umfang beteiligt gewesen sein.
Dieser lag wahrscheinlich ebenso sehr und vielleicht mehr in der Hand
der italischen Reeder und Kapitäne als der ägyptischen; wenigstens gab
es schon unter den Lagiden eine ansehnliche italische Niederlassung in
Alexandreia ^35 und haben im Okzident die ägyptischen Kaufleute nicht
die gleiche Verbreitung gehabt wie die syrischen ^36. Die später zu
erwähnenden Anordnungen Augusts, welche auf dem Arabischen und dem
Indischen Meer den Handelsverkehr umgestalteten, fanden auf die
Schiffahrt des Mittelländischen keine Anwendung; die Regierung hatte
kein Interesse daran, hier die ägyptischen Kaufleute vor den übrigen zu
begünstigen. Es blieb dort der Verkehr vermutlich wie er war.
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^34 Die ναύκληροι τού πορεύτικου Αλεξανδρινού στόλου, die den ohne
Zweifel nach Portus gehörigen Stein CIG 5889 gesetzt haben, sind die
Kapitäne dieser Getreideschiffe. Aus dem Serapeum von Ostia besitzen
wir eine Reihe von Inschriften (CIL XIV, 47), wonach dasselbe in allen
Stücken die Kopie des alexandrinischen war; der Vorsteher ist zugleich
επιμελητής παντός τού Αλεξανδρείνου στόλου (CIG 5973). Wahrscheinlich
waren diese Fahrzeuge wesentlich mit dem Korntransport beschäftigt und
erfolgte dieser also sukzessiv, worauf auch die von Kaiser Gaius in der
Meerenge von Reggio getroffenen Vorkehrungen (Ios. ant. Iud. 19, 2, 5)
hinweisen. Damit ist wohl vereinbar, daß das erste Erscheinen der
alexandrinischen Flotte im Frühjahr für Puteoli ein Fest war (Sen.
epist. 77, 1).
^35 Dies zeigen die merkwürdigen delischen Inschriften Eph. epigr. V,
p. 600, 602.
^36 Schon in den delischen Inschriften des letzten Jahrhunderts der
Republik wiegen die Syrer vor. Die ägyptischen Gottheiten haben dort
wohl ein viel verehrtes Heiligtum gehabt, aber unter den zahlreichen
Priestern und Dedikanten begegnet nur ein einziger Alexandriner
(Hauvette-Besnault, BCH 6, 1882, S. 316 f.). Gilden alexandrinischer
Kaufleute kennen wir von Tomi und von Perinthos (CIG 2024).
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Ägypten war also nicht bloß in seinen anbaufähigen Teilen mit einer
dichten ackerbauenden Bevölkerung besetzt, sondern auch, wie schon die
zahlreichen und zum Teil sehr ansehnlichen Flecken und Städte dies
erkennen lassen, ein Fabrikland und daher denn auch weitaus die am
stärksten bevölkerte Provinz des Römischen Reiches. Das alte Ägypten
soll eine Bevölkerung von 7 Millionen gehabt haben; unter Vespasian
zählte man in den offiziellen Listen 7½ Millionen kopfsteuerpflichtiger
Einwohner, wozu die von der Kopfsteuer befreiten Alexandriner und
sonstigen Griechen, sowie die wahrscheinlich nicht sehr zahlreichen
Sklaven hinzutreten, so daß die Bevölkerung mindestens auf 8 Millionen
Köpfe anzusetzen ist. Da das anbaufähige Areal heutzutage auf 500
deutsche Quadratmeilen, für die römische Zeit höchstens auf 700
veranschlagt werden kann, so wohnten damals in Ägypten auf der
Quadratmeile durchschnittlich etwa 11000 Menschen.
Wenn wir den Blick auf die Bewohner Ägyptens richten, so sind die
beiden das Land bewohnenden Nationen, die große Masse der Ägypter und
die kleine Minderzahl der Alexandriner, durchaus verschiedene Kreise
^37, wenngleich zwischen beiden die Ansteckungskraft des Lasters und
die allem Laster eigene Gleichartigkeit eine schlimme Gemeinschaft des
Bösen gestiftet hat.
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^37 Nachdem Juvenal die wüsten Zechgelage der eingeborenen Ägypter zu
Ehren der Lokalgötter der einzelnen Nomen geschildert hat, fügt er
hinzu, daß darin die Eingeborenen dem Kanopos, das heißt dem durch
seine zügellose Ausgelassenheit berüchtigten alexandrinischen
Sarapisfest (Strab. 17, 1, 17 p. 801) in keiner Hinsicht nachständen:
horrida sane Aegyptus, sed luxuria, quantum ipse notavi, barbara famoso
non cedit turba Canopo (sat. 15, 44).
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Die eingeborenen Ägypter werden von ihren heutigen Nachkommen weder in
der Lage noch in der Art sich weit entfernt haben. Sie waren genügsam,
nüchtern, arbeitsfähig und tätig, geschickte Handwerker und Schiffer
und gewandte Kaufleute, festhaltend am alten Herkommen und am alten
Glauben. Wenn die Römer versichern, daß die Ägypter stolz seien auf die
Geißelmale wegen begangener Steuerdefrauden ^38, so sind dies
Anschauungen vom Standpunkt aus des Steuerbeamten. Es fehlte in der
nationalen Kultur nicht an guten Keimen; bei aller Überlegenheit der
Griechen auch in dem geistigen Kampfe der beiden so völlig
verschiedenen Rassen hatten die Ägypter wieder manche und wesentliche
Dinge vor den Hellenen voraus, und sie empfanden dies auch. Es ist
schließlich doch der Rückschlag ihrer eigenen Empfindung, wenn die
ägyptischen Priester der griechischen Unterhaltungsliteratur die von
den Hellenen sogenannte Geschichtsforschung und ihre Behandlung
poetischer Märchen als wirklicher Überlieferung aus vergangenen
Urzeiten verspotten; in Ägypten mache man keine Verse, aber ihre ganze
alte Geschichte sei eingeschrieben auf den Tempeln und
Gedächtnissteinen; freilich seien jetzt nur noch wenige derselben
kundig, da viele Denkmale zerstört seien und die Überlieferung zugrunde
gehe durch die Unwissenheit und die Gleichgültigkeit der Späteren. Aber
diese berechtigte Klage trägt in sich selbst die Hoffnungslosigkeit;
der ehrwürdige Baum der ägyptischen Zivilisation war längst zum
Niederschlagen gezeichnet. Der Hellenismus drang zersetzend bis an die
Priesterschaft selbst. Ein ägyptischer Tempelschreiber, Chaeremon, der
als Lehrer der griechischen Philosophie an den Hof des Claudius für den
Kronprinzen berufen ward, legte in seiner ‘Ägyptischen Geschichte’ den
alten Landesgöttern die Elemente der stoischen Physik unter und die in
der Landesschrift geschriebenen Urkunden in diesem Sinne aus. In dem
praktischen Leben der Kaiserzeit kam das alte ägyptische Wesen fast nur
noch in Betracht auf dem religiösen Gebiet. Religion war diesem Volke
eins und alles. Die Fremdherrschaft an sich wurde willig ertragen, man
möchte sagen kaum empfunden, solange sie die heiligen Gebräuche des
Landes und was damit zusammenhing nicht antastete. Freilich hing damit
in dem inneren Landesregiment so ziemlich alles zusammen, Schrift und
Sprache, Priesterprivilegien und Priesterhoffart, Hofsitte und
Landesart; die Fürsorge der Regierung für den derzeit lebenden heiligen
Ochsen, die Leistungen für dessen Bestattung bei seinem Ableben und für
die Auffindung des geeigneten Nachfolgers galten diesen Priestern und
diesem Volke als das Kriterium der Tüchtigkeit des jedesmaligen
Landesherrn und als der Maßstab für die ihm schuldige Achtung und
Treue. Der erste Perserkönig führte sich damit in Ägypten ein, daß er
das Heiligtum der Neith in Sais seiner Bestimmung, das heißt den
Priestern zurückgab; der erste Ptolemaeos brachte, noch als
makedonischer Statthalter, die nach Asien entführten ägyptischen
Götterbilder an ihre alte Stätte zurück und restituierte den Göttern
von Pe und Tep die ihnen entfremdeten Landschenkungen; für die bei dem
großen Siegeszuge des Euergetes aus Persien heimgebrachten heiligen
Tempelbilder statten die Landespriester in dem berühmten Kanopischen
Dekret vom Jahre 238 v. Chr. dem König ihren Dank ab; die landübliche
Einreihung der lebenden Herrscher und Herrscherinnen in den Kreis der
Landesgötter haben diese Ausländer ebenso mit sich vornehmen lassen wie
die ägyptischen Pharaonen. Die römischen Herrscher sind diesem Beispiel
nur in beschränktem Maße gefolgt. In der Titulatur gingen sie wohl, wie
wir sahen, einigermaßen auf den Landeskultus ein, vermieden aber doch,
selbst in ägyptischer Fassung, die mit den okzidentalischen
Anschauungen in allzu grellem Kontrast stehenden landüblichen
Prädikate. Da diese Lieblinge des Ptah und der Isis in Italien gegen
die ägyptische Götterverehrung ähnlich wie gegen die jüdische
einschritten, ließen sie von solcher Liebe sich erklärlicherweise
außerhalb der Hieroglyphen nichts merken und beteiligten sich auch in
Ägypten in keiner Weise an dem Dienst der Landesgötter. Wie hartnäckig
immer die Landesreligion noch unter der Fremdherrschaft bei den
eigentlichen Ägyptern festgehalten ward, die Pariastellung, in welcher
diese selbst neben den herrschenden Griechen und Römern sich befanden,
drückte notwendig auf den Kultus und die Priester, und von der
führenden Stellung, dem Einflusse, der Bildung des alten ägyptischen
Priesterstandes sind unter dem römischen Regiment nur dürftige Reste
wahrzunehmen. Dagegen diente die von Hause aus schöner Gestaltung und
geistiger Verklärung abgewandte Landesreligion in und außer Ägypten als
Ausgangs- und Mittelpunkt für allen erdenklichen frommen Zauber und
heiligen Schwindel - es genügt dafür zu erinnern an den in Ägypten
heimischen dreimal größten Hermes mit der an seinen Namen sich
knüpfenden Literatur von Traktätchen und Wunderbüchern sowie der
entsprechenden weitverbreiteten Praxis. In den Kreisen aber der
Eingeborenen knüpften sich in dieser Epoche an den Kultus die ärgsten
Mißbräuche - nicht bloß viele Tage hindurch fortgesetzte Zechgelage zu
Ehren der einzelnen Ortsgottheiten mit der dazu gehörigen Unzucht,
sondern auch dauernde Religionsfehden zwischen den einzelnen Sprengeln
um den Vorrang des Ibis vor der Katze, des Krokodils vor dem Pavian. Im
Jahre 127 n. Chr. wurden wegen eines solchen Anlasses die Ombiten im
südlichen Ägypten von einer benachbarten Gemeinde ^39 bei einem
Festgelage überfallen und es sollen die Sieger einen der Erschlagenen
gefressen haben. Bald nachher verzehrte die Hundegemeinde der
Hechtgemeinde zum Trotz einen Hecht und diese jener zum Trotze einen
Hund, und es brach darüber zwischen diesen beiden Nomen ein Krieg aus,
bis die Römer einschritten und beide Parteien abstraften. Dergleichen
Vorgänge waren in Ägypten an der Tagesordnung. Auch sonst fehlte es an
Unruhen im Lande nicht. Gleich der erste von Augustus bestellte
Vizekönig von Ägypten mußte wegen vermehrter Steuern Truppen nach
Oberägypten senden, nicht minder, vielleicht ebenfalls infolge des
Steuerdrucks, nach Heroonpolis am oberen Ende des Arabischen
Meerbusens. Einmal, unter Kaiser Marcus, nahm ein Aufstand der
eingeborenen Ägypter sogar einen bedrohlichen Charakter an. Als in den
schwer zugänglichen Küstensümpfen ostwärts von Alexandreia, der
sogenannten “Rinderweide” (bucolia), welche den Verbrechern und den
Räubern als Zufluchtsort diente und eine Art Kolonie derselben bildete,
einige Leute von einer römischen Truppenabteilung aufgegriffen wurden,
erhob sich zu deren Befreiung die ganze Räuberschaft, und die
Landbevölkerung schloß sich an. Die römische Legion aus Alexandreia
ging ihnen entgegen, aber sie wurde geschlagen und fast wäre
Alexandreia selbst den Aufständischen in die Hände gefallen. Der
Statthalter des Ostens, Avidius Cassius, rückte wohl mit seinen Truppen
ein, wagte aber auch nicht gegen die Überzahl den Kampf, sondern zog es
vor, in dem Bunde der Aufständischen Zwietracht hervorzurufen; nachdem
die eine Bande gegen die andere stand, wurde die Regierung leicht ihrer
aller Herr. Auch dieser sogenannte Rinderhirtenaufstand hat
wahrscheinlich, wie dergleichen Bauernkriege meistens, einen religiösen
Charakter getragen; der Führer Isidoros, der tapferste Mann Ägyptens,
war seinem Stande nach ein Priester, und daß zur Bundesweihe nach
Ableistung des Eides ein gefangener römischer Offizier geopfert und von
den Schwörenden gegessen ward, paßt sowohl dazu wie zu dem
Kannibalismus des Ombitenkrieges. Einen Nachklang dieser Vorgänge
bewahren die ägyptischen Räubergeschichten der spätgriechischen
untergeordneten Literatur. Wie sehr übrigens dieselben der römischen
Verwaltung zu schaffen gemacht haben mögen, einen politischen Zweck
haben sie nicht gehabt und auch die allgemeine Ruhe des Landes nur
partiell und temporär unterbrochen.
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^38 Amm. 22, 16, 23: erubescit apud (Aegyptios), si qui non infitiando
tributa plurimas in corpore vibices ostendat.
^39 Dies ist nach Juvenal Tentyra, was ein Fehler sein muß, wenn das
bekannte gemeint ist; aber auch die Liste des Ravennaten 3, 2 nennt
beide Orte zusammen.
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Neben den Ägyptern stehen die Alexandriner, einigermaßen wie in
Ostindien die Engländer neben den Landeseingeborenen. Allgemein gilt
Alexandreia in der vorkonstantinischen Kaiserzeit als die zweite Stadt
des Römischen Reiches und die erste Handelsstadt der Welt. Sie zählte
am Ende der Lagidenherrschaft über 300000 freie Einwohner, in der
Kaiserzeit ohne Zweifel noch mehr. Die Vergleichung der beiden großen,
im Wetteifer miteinander erwachsenen Kapitalen am Nil und am Orontes
ergibt ebenso viele Gleichartigkeiten wie Gegensätze. Beides sind
verhältnismäßig neue Städte, monarchische Schöpfungen aus dem Nichts,
von planmäßiger Anlage und regelmäßiger städtischer Einrichtung; das
Wasser läuft in jedem Hause wie in Antiocheia so auch in Alexandreia.
An Schönheit der Lage und Pracht der Gebäude war die Stadt im
Orontestal der Rivalin ebenso überlegen wie diese ihr in der Gunst der
Örtlichkeit für den Großhandel und an Volkszahl. Die großen
öffentlichen Bauten der ägyptischen Hauptstadt, der königliche Palast,
das der Akademie gewidmete Museion, vor allem der Tempel des Sarapis
waren Wunderwerke einer früheren, architektonisch hoch entwickelten
Epoche; aber der großen Zahl kaiserlicher Anlagen in der syrischen
Residenz hat die von wenigen der Caesaren betretene ägyptische
Hauptstadt nichts Entsprechendes entgegenzustellen.
In der Unbotmäßigkeit und der Oppositionslust gegen das Regiment stehen
Antiochener und Alexandriner einander gleich; man kann hinzusetzen,
auch darin, daß beide Städte, und namentlich Alexandreia, eben unter
der römischen Regierung und durch dieselbe blühten und viel mehr
Ursache hatten zu danken als zu frondieren. Wie die Alexandriner sich
zu ihren hellenischen Regenten verhielten, davon zeugt die lange Reihe
zum Teil noch heute gebräuchlicher Spottnamen, welche die königlichen
Ptolemäer ohne Ausnahme dem Publikum ihrer Hauptstadt verdankten. Auch
Kaiser Vespasianus empfing von den Alexandrinern für die Einführung
einer Steuer auf Salzfisch den Titel des Sardellensäcklers
(Κυβιοσάκτης), der Syrer Severus Alexander den des Oberrabbiners; aber
die Kaiser kamen selten nach Ägypten und die fernen und fremden
Herrscher boten diesem Spott keine rechte Zielscheibe. In ihrer
Abwesenheit widmete das Publikum wenigstens den Vizekönigen die gleiche
Aufmerksamkeit mit beharrlichem Eifer; selbst die Aussicht auf
unausbleibliche Züchtigung vermochte die oft witzige und immer freche
Zunge dieser Städter nicht zum Schweigen zu bringen ^40. Vespasian
begnügte sich in Vergeltung jener ihm bewiesenen Aufmerksamkeit, die
Kopfsteuer um sechs Pfennige zu erhöhen, und bekam dafür den weiteren
Namen des Sechspfennigmanns; aber ihre Reden über Severus Antoninus,
den kleinen Affen des großen Alexander und den Geliebten der Mutter
Iokaste, sollten ihnen teuer zu stehen kommen. Der tückische Herrscher
erschien in aller Freundschaft und ließ sich vom Volke feiern, dann
aber seine Soldaten auf die festliche Menge einhauen, so daß Tage lang
die Plätze und Straßen der großen Stadt im Blute schwammen; ja er
ordnete die Auflösung der Akademie an und die Verlegung der Legion in
die Stadt selbst, was freilich beides nicht zur Ausführung kam. Aber
wenn es in Antiocheia in der Regel bei den Spottreden blieb, so griff
der alexandrinische Pöbel bei dem geringsten Anlaß zum Stein und zum
Knittel. Im Krawallieren, sagt ein selbst alexandrinischer Gewährsmann,
sind die Ägypter allen anderen voraus; der kleinste Funken genügt hier,
um einen Tumult zu entfachen. Wegen versäumter Visiten, wegen
Konfiskation verdorbener Lebensmittel, wegen Ausschließung aus einer
Badeanstalt, wegen eines Streites zwischen dem Sklaven eines vornehmen
Alexandriners und einem römischen Infanteristen über den Wert oder
Unwert der beiderseitigen Pantoffel haben die Legionen auf die
Bürgerschaft von Alexandreia einhauen müssen. Es kam hier zum
Vorschein, daß die niedere Schicht der alexandrinischen Bevölkerung zum
größeren Teil aus Eingeborenen bestand; bei diesen Aufläufen spielten
die Griechen freilich die Anstifter, wie denn die Rhetoren, das heißt
hier die Hetzredner, dabei ausdrücklich erwähnt werden ^41, aber im
weiteren Verlauf tritt dann die Tücke und die Wildheit des eigentlichen
Ägypters ins Gefecht. Die Syrer sind feige und als Soldaten sind es die
Ägypter auch; aber im Straßentumult sind sie imstande, einen Mut zu
entwickeln, der eines besseren Zieles würdig wäre ^42. An den
Rennpferden ergötzten sich die Antiochener wie die Alexandriner; aber
hier endigte kein Wagenrennen ohne Steinwürfe und Messerstiche. Von der
Judenhetze unter Kaiser Gaius wurden beide Städte ergriffen; aber in
Antiocheia genügte ein ernstes Wort der Behörde, um ihr ein Ende zu
machen, während der alexandrinischen, von einigen Bengeln durch eine
Puppenparade angezettelten Tausende von Menschenleben zum Opfer fielen.
Die Alexandriner, heißt es, gaben, wenn ein Auflauf entstand, nicht
Frieden, bevor sie Blut gesehen hatten. Die römischen Beamten und
Offiziere hatten daselbst einen schweren Stand. “Alexandreia”, sagt ein
Berichterstatter aus dem 4. Jahrhundert, “betreten die Statthalter mit
Zittern und Zagen, denn sie fürchten die Volksjustiz; wo ein
Statthalter ein Unrecht begeht, da folgt sofort das Anstecken des
Palastes und die Steinigung.” Das naive Vertrauen auf die Gerechtigkeit
dieser Prozedur bezeichnet den Standpunkt des Schreibers, der zu diesem
“Volke” gehört hat. Die Fortsetzung dieses die Regierung wie die Nation
gleich entehrenden Lynchsystems liefert die sogenannte
Kirchengeschichte, die Ermordung des den Heiden und den Orthodoxen
gleich mißliebigen Bischofs Georgios und seiner Genossen unter Julian
und die der schönen Freidenkerin Hypatia durch die fromme Gemeinde des
Bischofs Kyrillos unter Theodosius II. Tückischer, unberechenbarer,
gewalttätiger waren diese alexandrinischen Aufläufe als die
antiochenischen, aber ebenso wie diese weder für den Bestand des
Reiches gefährlich noch auch nur für die einzelne Regierung.
Leichtfertige und bösartige Buben sind recht unbequem, aber auch nur
unbequem, im Hause wie im Gemeinwesen.
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^40 Sen. dial. 19, 6: loquax et in contumelias praefectorum irgeniosa
provincia . . . etiam periculosi sales placent.
^41 Dion Chrysostomos sagt in seiner Ansprache an die Alexandriner (or.
32 p. 663 Reiske): “Weil nun (die Verständigen) zurücktreten und
schweigen, daher entstehen bei euch die ewigen Streitigkeiten und
Händel und das wüste Geschrei und die schlimmen und zügellosen Reden,
die Ankläger, die Verdächtigungen, die Prozesse, der Rednerpöbel.” In
der alexandrinischen Judenhetze, die Philon so drastisch schildert,
sieht man diese Volksredner an der Arbeit.
^42 Dio Cass. 39, 58: “Die Alexandriner leisten in aller Hinsicht das
Mögliche an Dreistigkeit und reden heraus, was ihnen in den Mund kommt.
Im Krieg und seinen Schrecken benehmen sie sich feige; bei den
Aufläufen aber, die bei ihnen sehr häufig und sehr ernst sind, greifen
sie ohne weiteres zum Totschlagen und achten um des augenblicklichen
Erfolgs willen das Leben für nichts, ja sie gehen in ihr Verderben, als
handelte es sich um die höchsten Dinge.”
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Auch in dem religiösen Wesen haben beide Städte eine analoge Stellung.
Den Landeskultus, wie die einheimische Bevölkerung ihn in Syrien wie in
Ägypten festhielt, haben in seiner ursprünglichen Gestalt wie die
Antiochener so auch die Alexandriner abgelehnt. Aber wie die
Seleukiden, so haben auch die Lagiden sich wohl gehütet, an den
Grundlagen der alten Landesreligion zu rütteln, und nur, die älteren
nationalen Anschauungen und Heiligtümer mit den schmiegsamen Gestalten
des griechischen Olymp verquickend, sie äußerlich einigermaßen
hellenisiert, zum Beispiel den griechischen Gott der Unterwelt, den
Pluton, unter dem bis dahin wenig genannten ägyptischen Götternamen
Sarapis in den Landeskultus eingeführt und auf diesen dann den alten
Osiriskult allmählich übertragen ^43. So spielten die echt ägyptische
Isis und der pseudo-ägyptische Sarapis in Alexandreia eine ähnliche
Rolle wie in Syrien der Belos und der Elagabalos, und drangen auch in
ähnlicher Weise wie diese, wenngleich weniger mächtig und heftiger
angefochten, in der Kaiserzeit allmählich in den okzidentalischen
Kultus ein. In der bei Gelegenheit dieser religiösen Gebräuche und
Feste entwickelten Unsittlichkeit und der durch priesterlichen Segen
approbierten und stimulierten Unzucht hatten beide Städte sich einander
nichts vorzuwerfen.
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^43 Die “frommen Ägypter” wehrten sich dagegen, wie Macrobius (Sat. 1,
7, 14) berichtet, aber tyrannide Ptolemaeorum pressi hos quoque deos
(Sarapis und Saturnus) in cultum recipere Alexandrinorum more, apud
quos potissimum colebantur, coacti sunt. Da sie also blutige Opfer
darbringen mußten, was gegen ihr Ritual war, ließen sie diese Götter
wenigstens in den Städten nicht zu: nullum Aegypti oppidum intra muros
suos aut Saturni aut Sarapis fanum recepit.
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Bis in späte Zeit hinab hat der alte Kultus in dem frommen Lande
Ägypten seine festeste Burg behauptet ^44. Die Restauration des alten
Glaubens, sowohl wissenschaftlich in der an denselben sich anlehnenden
Philosophie wie auch praktisch in der Abwehr der von den Christen gegen
den Polytheismus gerichteten Angriffe, und in der Wiederbelebung des
heidnischen Tempeldienstes und der heidnischen Mantik, hat ihren
rechten Mittelpunkt in Alexandreia. Als dann der neue Glaube auch diese
Burg eroberte, blieb die Landesart sich dennoch treu; die Wiege des
Christentums ist Syrien, die des Mönchtums Ägypten. Von der Bedeutung
und der Stellung der Judenschaft, in welcher ebenfalls beide Städte
sich gleichen, ist schon in anderer Verbindung die Rede gewesen. Von
der Regierung ins Land gerufene Einwanderer wie die Hellenen, standen
sie wohl diesen nach und waren kopfsteuerpflichtig wie die Ägypter,
aber hielten sich und galten mehr als diese. Ihre Zahl betrug unter
Vespasian eine Million, etwa den achten Teil der Gesamtbevölkerung
Ägyptens, und wie die Hellenen wohnten sie vorzugsweise in der
Hauptstadt, von deren fünf Vierteln zwei jüdisch waren. An anerkannter
Selbständigkeit, an Ansehen, Bildung und Reichtum war die
alexandrinische Judenschaft schon vor dem Untergang Jerusalems die
erste der Welt; und infolgedessen hat ein guter Teil der letzten Akte
der jüdischen Tragödie, wie dies früher dargelegt worden ist, auf
ägyptischem Boden sich abgespielt.
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^44 Der oft angeführte anonyme Verfasser einer Reichsbeschreibung aus
der Zeit des Constantius, ein guter Heide, preist Ägypten namentlich
auch wegen seiner musterhaften Frömmigkeit: “Nirgends werden die
Mysterien der Götter so gut gefeiert wie dort von alters her und noch
heute.” Freilich, fügt er hinzu, meinten einige, daß die Chaldäer - er
meint den syrischen Kult - die Götter besser verehrten; aber er halte
sich an das, was er mit Augen gesehen. “Hier gibt es Heiligtümer aller
Art und prächtig geschmückte Tempel, und in Menge finden sich Küster
und Priester und Propheten und Gläubige und treffliche Theologen, und
alles geht nach seiner Ordnung; du findest die Altäre immer von Flammen
lodern und die Priester mit ihren Binden und die Weihrauchfässer mit
herrlich duftenden Spezereien.” Aus derselben Zeit etwa (nicht vor
Hadrian) und offenbar auch von kundiger Hand rührt eine andere
boshaftere Schilderung her (vita Saturnini 8): “Wer in Ägypten den
Sarapis verehrt, ist auch Christ, und die sich christliche Bischöfe
nennen, verehren gleichfalls den Sarapis; jeder Großrabbi der Juden,
jeder Samariter, jeder christliche Geistliche ist da zugleich ein
Zauberer, ein Prophet, ein Quacksalber (aliptes). Selbst wenn der
Patriarch nach Ägypten kommt, fordern die einen, daß er zum Sarapis,
die andern, daß er zu Christus beten.” Diese Diatribe hängt sicher
damit zusammen, daß die Christen den ägyptischen Gott für den Joseph
der Bibel erklärten, den Urenkel der Sara und mit Recht den Scheffel
tragend. In ernsterem Sinn faßt die Lage der ägyptischen Altgläubigen
der vermutlich dem 3. Jahrhundert angehörige Verfasser des in
lateinischer Übersetzung unter den dem Apuleius beigelegten Schriften
erhaltenen Göttergesprächs, in welchem der dreimal größte Hermes dem
Asklepios die zukünftigen Dinge verkündet: “Du weißt doch, Asklepios,
daß Ägypten ein Abbild des Himmels oder, um richtiger zu reden, eine
Übersiedelung und Niederfahrt der ganzen himmlischen Waltung und
Tätigkeit ist; ja, um noch richtiger zu reden, unser Vaterland ist der
Tempel des gesamten Weltalls. Und dennoch: eintreten wird eine Zeit, wo
es den Anschein gewinnt, als hätte Ägypten vergeblich mit frommem Sinn
in emsigem Dienst das Göttliche gehegt, wo alle heilige Verehrung der
Götter erfolglos und verfehlt sein wird. Denn die Gottheit wird zurück
in den Himmel sich begeben, Ägypten wird verlassen und das Land,
welches der Sitz der Götterdienste war, wird der Anwesenheit göttlicher
Macht beraubt und auf sich selbst angewiesen sein. Dann wird dieses
geweihte Land, die Stätte der Heiligtümer und Tempel, dicht mit Gräbern
und Leichen angefüllt sein. O Ägypten, Ägypten, von deinen
Götterdiensten werden nur Gerüchte sich erhalten, und auch diese werden
deinen kommenden Geschlechtern unglaublich dünken, nur Worte werden
sich erhalten auf den Steinen, die von deinen frommen Taten erzählen,
und bewohnen wird Ägypten der Skythe oder Inder oder sonst einer aus
dem benachbarten Barbarenland. Neue Rechte werden eingeführt werden,
neues Gesetz, nichts heiliges, nichts gottesfürchtiges, nichts des
Himmels und der Himmlischen Würdiges wird gehört noch im Geiste
geglaubt werden. Eine schmerzliche Trennung der Götter von den Menschen
tritt ein; nur die bösen Engel bleiben da, die unter die Menschheit
sich mengen.” (Nach J. Bernays’ Übersetzung, Gesammelte Abhandlungen,
Bd. 1, S. 330).
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Alexandreia wie Antiocheia sind vorzugsweise Sitze der wohlhabenden
Handel- und Gewerbetreibenden; aber in Antiocheia fehlt der Seehafen
und was daran hängt, und wie rege es dort auf den Gassen herging, sie
hielten doch keinen Vergleich aus gegen das Leben und Treiben der
alexandrinischen Fabrikarbeiter und Matrosen. Dagegen hatte für den
Lebensgenuß, das Schauspiel, das Diner, die Liebesfreuden Antiocheia
mehr zu bieten als die Stadt, in der “niemand müßig ging”. Auch das
eigentliche, vorzugsweise an die rhetorischen Exhibitionen anknüpfende
Literatentreiben, welches wir in der Schilderung Kleinasiens
skizzierten, trat in Ägypten zurück ^45, wohl mehr im Drang der
Geschäfte des Tages als durch den Einfluß der zahlreichen und gut
bezahlten, in Alexandreia lebenden und großenteils auch dort heimischen
Gelehrten. Für den Gesamtcharakter der Stadt kamen diese Männer des
Museums, von denen noch weiter die Rede sein wird, vor allem, wenn sie
in fleißiger Arbeit ihre Schuldigkeit taten, nicht in hervorragender
Weise in Betracht. Die alexandrinischen Ärzte aber galten als die
besten im ganzen Reich; freilich war Ägypten nicht minder die rechte
Heimstätte der Quacksalber und der Geheimmittel und jener wunderlichen
zivilisierten Form der Schäfermedizin, in welcher fromme Einfalt und
spekulierender Betrug sich im Mantel der Wissenschaft drapieren. Des
dreimal größten Hermes haben wir schon gedacht; auch der
alexandrinische Sarapis hat im Altertum mehr Wunderkuren verrichtet als
irgendeiner seiner Kollegen und selbst den praktischen Kaiser Vespasian
angesteckt, daß auch er die Blinden und Lahmen heilte, jedoch nur in
Alexandreia.
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^45 Als die Römer von dem berühmten Rhetor Proaeresios (Ende 3., Anfang
4. Jahrhundert) einen seiner Schüler für einen Lehrstuhl erbitten,
sendet er ihnen den Eusebios aus Alexandreia; “hinsichtlich der
Rhetorik”, heißt es von diesem (Eun. proaer. p. 92 Boiss.), “genügt es
zu sagen, daß er ein Ägypter war; denn dieses Volk treibt zwar mit
Leidenschaft das Versemachen, aber die ernste Redekunst (ο σπουδαίος
Έρμης) ist bei ihnen nicht zu Hause”. Die merkwürdige Wiederaufnahme
der griechischen Poesie in Ägypten, der zum Beispiel das Epos des
Nonnos angehört, liegt jenseits der Grenzen unserer Darstellung.
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Obgleich der Platz, welchen Alexandreia in der geistigen und
literarischen Entwicklung des späteren Griechenlands und der
okzidentalischen Kultur überhaupt einnimmt oder einzunehmen scheint,
nicht in einer Schilderung der örtlichen Zustände Ägyptens, sondern nur
in derjenigen dieser Entwicklung selbst entsprechend gewürdigt werden
kann, ist das alexandrinische Gelehrtenwesen und dessen Fortdauer unter
dem römischen Regiment eine allzu merkwürdige Erscheinung, um nicht
auch in dieser Verbindung in seiner allgemeinen Stellung berührt zu
werden. Daß die Verschmelzung der orientalischen und der hellenischen
Geisteswelt neben Syrien vorzugsweise in Ägypten sich vollzog, wurde
schon bemerkt; und wenn der neue Glaube, der den Okzident erobern
sollte, von Syrien ausging, so kam die ihm homogene Wissenschaft,
diejenige Philosophie, welche neben dem Menschengeist und außerhalb
desselben den überweltlichen Gott und die göttliche Offenbarung
anerkennt und verkündet, vorzugsweise aus Ägypten, wahrscheinlich schon
der neue Pythagoreismus, sicher das philosophische Neujudentum, von dem
früher die Rede war, sowie der neue Platonismus, dessen Begründer, der
Ägypter Plotinos, ebenfalls schon erwähnt ward. Auf dieser vorzugsweise
in Alexandreia sich vollziehenden Durchdringung der hellenischen und
der orientalischen Elemente beruht es hauptsächlich, daß, wie dies in
der Darstellung der italischen Verhältnisse näher darzulegen ist, der
dortige Hellenismus in der früheren Kaiserzeit vorzugsweise ägyptische
Form trägt. Wie die an Pythagoras, Moses, Platon anknüpfenden altneuen
Weisheiten von Alexandreia aus in Italien eindrangen, so spielte die
Isis und was dazu gehört die erste Rolle in der bequemen
Modefrömmigkeit, welche die römischen Poeten der augustischen Zeit und
die pompeianischen Tempel aus der des Claudius uns zeigen. Die
ägyptische Kunstübung herrscht vor in den kampanischen Fresken
derselben Epoche wie in der tiburtinischen Villa Hadrians. Dem
entspricht die Stellung, welche das alexandrinische Gelehrtenwesen in
dem geistigen Leben der Kaiserzeit einnimmt. Nach außen hin beruht
dasselbe auf der staatlichen Pflege der geistigen Interessen und würde
mit mehr Recht an den Namen Alexanders anknüpfen als an den
Alexandreias; es ist die Realisierung des Gedankens, daß in einem
gewissen Stadium der Zivilisation Kunst und Wissenschaft durch das
Ansehen und die Machtmittel des Staats gestützt und gefördert werden
müssen, die Konsequenz des genialen Moments der Weltgeschichte, welcher
Alexander und Aristoteles nebeneinander stellte. Es soll hier nicht
gefragt werden, wie in dieser mächtigen Konzeption Wahrheit und Irrtum,
Beschädigung und Hebung des geistigen Lebens sich miteinander mischen,
nicht die dürftige Nachblüte des göttlichen Singens und des hohen
Denkens der freien Hellenen einmal mehr gestellt werden neben den
üppigen und doch auch großartigen Ertrag des späteren Sammelns,
Forschens und Ordnens. Konnten die Institutionen, welche diesem
Gedanken entsprangen, der griechischen Nation unwiederbringlich
Verlorenes nicht oder, was schlimmer ist, nur scheinhaft erneuern, so
haben sie ihr auf dem noch freien Bauplatz der geistigen Welt den
einzig möglichen und auch einen herrlichen Ersatz gewährt. Für unsere
Erwägung kommen vor allem die örtlichen Verhältnisse in Betracht.
Kunstgärten sind einigermaßen unabhängig vom Boden, und nicht anders
ist es mit diesen wissenschaftlichen Institutionen, nur daß sie ihrem
Wesen nach an die Höfe gewiesen sind. Die materielle Unterstützung kann
ihnen auch anderswo zuteil werden; aber wichtiger als diese ist die
Gunst der höchsten Kreise, die ihnen die Segel schwellt, und die
Verbindungen, welche, in den großen Zentren zusammenlaufend, diese
Kreise der Wissenschaft füllen und erweitern. In der besseren Zeit der
Alexandermonarchien hatte es solcher Zentren so viele gegeben als es
Staaten gab, und dasjenige des Lagidenhofs war nur das angesehenste
unter ihnen gewesen. Die römische Republik hatte die übrigen eines nach
dem andern in ihre Gewalt gebracht und mit den Höfen auch die
dazugehörigen wissenschaftlichen Anstalten und Kreise beseitigt. Daß
der künftige Augustus, als er den letzten dieser Höfe aufhob, die damit
verknüpften gelehrten Institute bestehen ließ, ist die rechte und nicht
die schlechteste Signatur der veränderten Zeit. Der energischere und
höhere Philhellenismus des Caesarenregiments unterschied sich zu seinem
Vorteil von dem republikanischen dadurch, daß er nicht bloß
griechischen Literaten in Rom zu verdienen gab, sondern die große Tutel
der griechischen Wissenschaft als einen Teil der Alexanderherrschaft
betrachtete und behandelte. Freilich war, wie in dieser gesamten
Regeneration des Reiches, der Bauplan großartiger als der Bau. Die
königlich patentierten und pensionierten Musen, welche die Lagiden nach
Alexandreia gerufen hatten, verschmähten es nicht, die gleichen Bezüge
auch von den Römern anzunehmen; und die kaiserliche Munifizenz stand
hinter der früheren königlichen nicht zurück. Der Bibliothekfonds von
Alexandreia und der Fonds der Freistellen für Philosophen, Poeten,
Ärzte und Ge lehrte aller Art ^46 sowie die diesen gewährten
Immunitäten wurden von Augustus nicht vermindert, von Kaiser Claudius
vermehrt, freilich mit der Auflage, daß die neuen Claudischen
Akademiker die griechischen Geschichtswerke des wunderlichen Stifters
Jahr für Jahr in ihren Sitzungen zum Vortrag zu bringen hatten. Mit der
ersten Bibliothek der Welt behielt Alexandreia zugleich durch die ganze
Kaiserzeit einen gewissen Primat der wissenschaftlichen Arbeit, bis das
Museion zugrunde ging und der Islam die antike Zivilisation erschlug.
Es war auch nicht bloß die damit gebotene Gelegenheit, sondern zugleich
die alte Tradition und die Geistesrichtung dieser Hellenen, welche der
Stadt jenen Vorrang bewahrte, wie denn unter den Gelehrten die
geborenen Alexandriner an Zahl und Bedeutung hervorragen. Auch in
dieser Epoche sind zahlreiche und achtbare gelehrte Arbeiten,
namentlich philologische und physikalische, aus dem Kreise der
Gelehrten “vom Museum”, wie sie gleich den Parisern “vom Institut” sich
titulierten, hervorgegangen; aber die literarische Bedeutung, welche
die alexandrinische und die pergamenische Hofwissenschaft und Hofkunst
in der besseren Epoche des Hellenismus für die gesamte hellenische und
hellenisierende Welt gehabt hat, knüpfte nie auch nur entfernt sich an
die römisch-alexandrinische. Die Ursache liegt nicht in dem Mangel an
Talenten oder anderen Zufälligkeiten, am wenigsten daran, daß der Platz
im Museum vom Kaiser zuweilen nach Gaben und immer nach Gunst vergeben
ward und die Regierung damit völlig schaltete wie mit dem Ritterpferd
und den Hausbeamtenstellungen; das war auch an den älteren Höfen nicht
anders gewesen. Hofphilosophen und Hofpoeten blieben in Alexandreia,
aber nicht der Hof; es zeigte sich hier recht deutlich, daß es nicht
auf die Pensionen und Gratifikationen ankam, sondern auf die für beide
Teile belebende Berührung der großen politischen und der großen
wissenschaftlichen Arbeit. Diese stellte wohl für die neue Monarchie
sich ein und damit auch ihre Konsequenzen; aber die Stätte dafür war
nicht Alexandreia: diese Blüte der politischen Entwicklung gehörte
billig den Lateinern und der lateinischen Hauptstadt. Die augustische
Poesie und die augustische Wissenschaft sind unter ähnlichen
Verhältnissen zu ähnlicher bedeutender und erfreulicher Entwicklung
gelangt wie die hellenistische an dem Hof der Pergamener und der
früheren Ptolemäer. Sogar indem griechischen Kreise knüpfte, soweit die
römische Regierung auf denselben im Sinne der Lagiden einwirkte, mehr
als an Alexandreia sich dies an Rom an. Die griechischen Bibliotheken
der Hauptstadt standen freilich der alexandrinischen nicht gleich und
ein dem alexandrinischen Museum vergleichbares Institut gab es in Rom
nicht. Aber die Stellung an den römischen Bibliotheken öffnete die
Beziehungen zu dem Hofe. Auch die von Vespasian eingerichtete, von der
Regierung besetzte und besoldete hauptstädtische Professur der
griechischen Rhetorik gab ihrem Inhaber, wenn er gleich nicht in dem
Sinne Hausbeamter war wie der kaiserliche Bibliothekar, eine ähnliche
Stellung und galt, ohne Zweifel deswegen, als der vornehmste Lehrstuhl
des Reiches ^47. Vor allem aber war das kaiserliche
Kabinettssekretariat in seiner griechischen Abteilung die angesehenste
und einflußreichste Stellung, zu der ein griechischer Literat überhaupt
gelangen konnte. Versetzung von der alexandrinischen Akademie in ein
derartiges hauptstädtisches Amt war nachweislich Beförderung ^48. Auch
abgesehen von allem, was die griechischen Literaten sonst allein in Rom
fanden, genügten die Hofstellungen und die Hofämter, um den
angesehensten von ihnen den Zug vielmehr dahin zu geben als an den
ägyptischen “Freitisch”. Das gelehrte Alexandreia dieser Zeit ward eine
Art Witwensitz der griechischen Wissenschaft, achtungswert und
nützlich, aber auf den großen Zug der Bildung wie der Verbildung der
Kaiserzeit von keinem durchschlagenden Einfluß; die Plätze im Museum
wurden, wie billig, nicht selten an namhafte Gelehrte von auswärts
vergeben, und für das Institut selbst kamen die Bücher der Bibliothek
mehr in Betracht als die Bürger der großen Handels- und Fabrikstadt.
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^46 Ein “homerischer Poet” εκ Μουσείου bringt es fertig, den Memnon in
vier homerischen Versen anzusingen, ohne ein Wort von dem Seinen
hinzuzutun (CIG 4748). Hadrian macht einen alexandrinischen Poeten zum
Lohn für ein loyales Epigramm zum Mitglied (Athenaeos 15 p. 677 e).
Beispiele von Rhetoren aus hadrianischer Zeit bei Philostratos vit.
soph. 1, 22, 3. c. 25, 3. Ein φιλοσόφος από Μουσείου in Halikarnassos
(BCH 4, 1880, S. 405). In späterer Zeit, wo der Circus alles ist,
finden wir einen namhaften Ringkämpfer - vielleicht darf man sagen, als
Ehrenmitglied der philosophischen Klasse (Inschrift aus Rom CIG 5914:
νεωκόρος τού μεγάλου Σαράπιδος καί τών εν τώ Μουσείω σειτουμένων ατελών
φιλοσόφων; vgl. das. 4724 und Firm. err. 13,3). Οι εν Εφέσω από τού
Μουσείου ιατροί (Wood, Ephesus. Inscriptions from tombs, n. 7), eine
Gesellschaft ephesischer Ärzte, beziehen sich wohl auch auf das Museum
von Alexandreia, aber sind schwerlich Mitglieder desselben, sondern in
demselben gebildet.
^47 Ο άνω θρόνος bei Philostratos vit. soph. 2, 10, 5.
^48 Beispiele sind Chaeremon, der Lehrer Neros, vorher angestellt in
Alexandreia (Suidas Äιονύσιος Αλεξανδρεύς; vgl. Zeller, Hermes 11,
1876, S. 430 und oben 7, 275); Dionysios, des Glaukos Sohn, zuerst in
Alexandreia Nachfolger Chaeremons, dann von Nero bis auf Traian
Bibliothekar in Rom und kaiserlicher Kabinettssekretär (Suidas. a. a.
O.); L. Julius Vestinus unter Hadrian, der sogar nach der
Vorstandschaft des Museums dieselben Stellungen wie Dionysios in Rom
bekleidete, auch als philologischer Schriftsteller bekannt.
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Die militärischen Verhältnisse Ägyptens stellten, eben wie in Syrien,
den Truppen daselbst eine zwiefache Aufgabe: den Schutz der Südgrenze
und der Ostküste, der freilich mit dem für die Euphratlinie
erforderlichen nicht entfernt verglichen werden kann, und die
Aufrechterhaltung der inneren Ordnung im Lande wie in der Hauptstadt.
Die römische Besatzung bestand, abgesehen von den bei Alexandreia und
auf dem Nil stationierten Schiffen, die hauptsächlich für die
Zollkontrolle gedient zu haben scheinen, unter Augustus aus drei
Legionen nebst den dazugehörigen, nicht zahlreichen Hilfstruppen,
zusammen etwa 20000 Mann. Es war dies etwa halb soviel, als er für die
sämtlichen asiatischen Provinzen bestimmte, was der Wichtigkeit dieser
Provinz für die neue Monarchie entsprach. Die Besatzung wurde aber
wahrscheinlich noch unter Augustus selbst um ein Drittel und dann unter
Domitian um ein weiteres Drittel vermindert. Anfänglich waren zwei
Legionen außerhalb der Hauptstadt stationiert; das Hauptlager aber und
bald das einzige lag vor den Toren derselben, da wo Caesar der Sohn den
letzten Kampf mit Antonius ausgefochten hatte, in der danach benannten
Vorstadt Nikopolis. Diese hatte ihr eigenes Amphitheater und ihr
eigenes kaiserliches Volksfest und war völlig selbständig eingerichtet,
so daß eine Zeitlang die öffentlichen Lustbarkeiten von Alexandreia
durch die ihrigen in Schatten gestellt wurden. Die unmittelbare
Bewachung der Grenze fiel den Auxilien zu. Dieselben Ursachen also,
welche in Syrien die Disziplin lockerten, die zunächst polizeiliche
Aufgabe und die unmittelbare Berührung mit der großen Hauptstadt, kamen
auch für die ägyptischen Truppen ins Spiel; hier trat noch hinzu, daß
die üble Gewohnheit, den Soldaten bei der Fahne das eheliche Leben oder
doch ein Surrogat desselben zu gestatten und die Truppe aus diesen
Lagerkindern zu ergänzen, bei den makedonischen Regimentern der
Ptolemäer seit langem einheimisch war und rasch auch bei den Römern
sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade einbürgerte. Dem
entsprechend scheint das ägyptische Korps, in welchem die Okzidentalen
noch seltener dienten als in den übrigen Armeen des Ostens und das zum
großen Teil aus der Bürgerschaft und dem Lager von Alexandreia sich
rekrutierte, unter allen Armeekorps das am wenigstens angesehene
gewesen zu sein, wie denn auch die Offiziere dieser Legion, wie schon
bemerkt ward, im Rang denen der übrigen nachstanden.
Die eigentlich militärische Aufgabe der ägyptischen Truppen hängt eng
zusammen mit den Maßregeln für die Hebung des ägyptischen Handels. Es
wird angemessen sein, beides zusammenzufassen und zunächst die
Beziehungen zu den kontinentalen Nachbarn im Süden, sodann diejenigen
zu Arabien und Indien im Zusammenhang darzulegen.
Ägypten reicht nach Süden, wie schon bemerkt, bis zu der Schranke,
welche der letzte Katarakt unweit Syene (Assuân) der Schiffahrt
entgegenstellt. Jenseits Syene beginnt der Stamm der Kesch, wie die
Ägypter sie nennen, oder, wie die Griechen übersetzen, der
Dunkelfarbigen, der Äthiopen, wahrscheinlich den später zu erwähnenden
Urbewohnern Abessiniens stammverwandt, und, wenn auch vielleicht aus
der gleichen Wurzel wie die Ägypter entsprungen, doch in der
geschichtlichen Entwicklung als fremdes Volk ihnen gegenüberstehend.
Weiter südwärts folgen die Nahsiu der Ägypter, das heißt die Schwarzen,
die Nubier der Griechen, die heutigen Neger. Die Könige Ägyptens hatten
in besseren Zeiten ihre Herrschaft weit in das Binnenland hinein
ausgedehnt oder es hatten wenigstens auswandernde Ägypter hier sich
eigene Herrschaften gegründet; die schriftlichen Denkmäler des
pharaonischen Regiments gehen bis oberhalb des dritten Katarakts nach
Dongola hinein, wo Nabata (bei Nûri) der Mittelpunkt ihrer
Niederlassungen gewesen zu sein scheint; und noch beträchtlich weiter
stromaufwärts, etwa sechs Tagereisen nördlich von Khartum, bei Schendi
im Sennaar, in der Nähe der früh verschollenen Äthiopenstadt Meroë
finden sich Gruppen freilich schriftloser Tempel und Pyramiden. Als
Ägypten römisch ward, war es mit dieser Machtentwicklung längst vorbei
und herrschte jenseits Syene ein äthiopischer Stamm unter Königinnen,
die stehend den Namen oder den Titel Kandake führten ^49 und in jenem
einst ägyptischen Nabata in Dongola residierten; ein Volk auf niedriger
Stufe der Zivilisation, überwiegend Hirten, imstande, ein Heer von
30000 Mann aufzubringen, aber gerüstet mit Schilden von Rindshäuten,
bewehrt meist nicht mit Schwertern, sondern mit Beilen oder Lanzen und
eisenbeschlagenen Keulen; räuberische Nachbarn, im Gefecht den Römern
nicht gewachsen. Diese fielen im Jahre 730 (24) oder 731 (23) in das
römische Gebiet ein, wie sie behaupteten, weil die Vorsteher der
nächsten Nomen sie geschädigt hätten, wie die Römer meinten, weil die
ägyptischen Truppen damals großenteils in Arabien beschäftigt waren und
sie hofften, ungestraft plündern zu können. In der Tat überwanden sie
die drei Kohorten, die die Grenze deckten, und schleppten aus den
nächsten ägyptischen Distrikten Philae, Elephantine, Syene die Bewohner
als Sklaven fort und als Siegeszeichen die Statuen des Kaisers, die sie
dort vorfanden. Aber der Statthalter, der eben damals die Verwaltung
des Landes übernahm, Gaius Petronius, vergalt den Angriff rasch; mit
10000 Mann zu Fuß und 800 Reitern trieb er sie nicht bloß zum Lande
hinaus, sondern folgte ihnen den Nil entlang in ihr eigenes Land,
schlug sie nachdrücklich bei Pselchis (Dakke) und erstürmte ihre feste
Burg Premis (Ibrim) so wie die Hauptstadt selbst, die er zerstörte.
Zwar erneuerte die Königin, ein tapferes Weib, im nächsten Jahre den
Angriff und versuchte Premis, wo römische Besatzung geblieben war, zu
erstürmen; aber Petronius brachte rechtzeitig Ersatz, und so entschloß
sich die Äthiopin, Gesandte zu senden und um Frieden zu bitten. Der
Kaiser gewährte ihn nicht bloß, sondern befahl, das unterworfene Gebiet
zu räumen, und wies den Vorschlag seines Statthalters ab, die Besiegten
tributpflichtig zu machen. Insofern ist dieser sonst nicht bedeutende
Vorgang bemerkenswert, als gleich damals der bestimmte Entschluß der
römischen Regierung sich zeigte, zwar das Niltal, soweit der Fluß
schiffbar ist, unbedingt zu behaupten, aber von der Besitznahme der
weiten Landschaften am oberen Nil ein für allemal abzusehen. Nur die
Strecke von Syene, wo unter Augustus die Grenztruppen standen, bis nach
Hiera Sykaminos (Maharraka), das sogenannte Zwölfmeilenland
(Δωδεκάσχοινος) ist zwar niemals als Nomos eingerichtet und nie als ein
Teil Ägyptens, aber doch als zum Reiche gehörig betrachtet worden; und
spätestens unter Domitian wurden selbst die Posten bis nach Hiera
Sykaminos vorgerückt ^^50. Dabei ist es im wesentlichen geblieben. Die
von Nero geplante orientalische Expedition sollte allerdings auch
Äthiopien umfassen; aber es blieb bei der vorläufigen Erkundung des
Landes durch römische Offiziere bis über Meroë hinauf. Das nachbarliche
Verhältnis muß an der ägyptischen Südgrenze bis in die Mitte des
dritten Jahrhunderts im ganzen friedlicher Art gewesen sein, wenn es
auch an kleineren Händeln mit jener Kandake und mit ihren
Nachfolgerinnen, die längere Zeit sich behauptet zu haben scheinen,
später vielleicht mit anderen, jenseits der Reichsgrenze zur Vormacht
gelangenden Stämmen, nicht gefehlt haben wird. Erst als das Reich in
der valerianisch-gallienischen Zeit aus den Fugen ging, brachen die
Nachbarn auch über diese Grenze. Es ist schon erwähnt worden, daß die
in den Gebirgen an der Südostgrenze ansässigen, früher den Äthiopen
gehorchenden Blemyer, ein Barbarenvolk von entsetzlicher Roheit,
welches noch Jahrhunderte später sich der Menschenopfer nicht entwöhnt
hatte, in dieser Epoche selbständig gegen Ägypten vorging und im
Einverständnis mit den Palmyrenern einen guten Teil Oberägyptens
besetzte und eine Reihe von Jahren behauptete. Der tüchtige Kaiser
Probus vertrieb sie; aber die einmal begonnenen Einfälle hörten nicht
auf ^51, und Kaiser Diocletianus entschloß sich, die Grenze
zurückzunehmen. Das schmale Zwölfmeilenland forderte starke Besatzung
und trug dem Staate wenig ein. Die Nubier, welche in der libyschen
Wüste hausten und besonders die große Oase stetig heimsuchten, gingen
darauf ein, ihre alten Sitze aufzugeben und sich in dieser Landschaft
anzusiedeln, die ihnen förmlich abgetreten ward; zugleich wurden ihnen
sowohl wie ihren östlichen Nachbarn, den Blemyern, feste Jahrgelder
ausgesetzt, dem Namen nach, um sie für die Grenzbewachung zu
entschädigen, in der Tat ohne Zweifel als Abkaufsgelder für ihre
Plünderzüge, die natürlich dennoch nicht aufhörten. Es war ein Schritt
zurück, der erste, seit Ägypten römisch war.
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^49 Der Eunuch der Kandake, der im Jesaias liest (Apostelgeschichte 8,
27), ist bekannt; eine Kandake regiert auch zu Neros Zeit (Plin. nat.
6, 29, 182) und spiele eine Rolle im Alexanderroman (3, 18 f.).
^50 Daß die Reichsgrenze bis Hiera Sykaminos reichte, ergibt sich für
das 2. Jahrhundert aus Ptol. geogr. 5, 5, 74, für die Zeit Diocletians
aus den die Reichsstraßen bis dahin führenden Itinerarien. In der ein
Jahrhundert jüngeren Notitia dignitatum reichen die Posten wieder nicht
hinaus über Syene, Philae, Elephantine. In der Strecke von Philae nach
Hiera Sykaminos, der Dodekaschoenos Herodots (2, 29), scheinen schon in
früher Zeit für die Ägyptern und Äthiopen immer gemeinschaftliche Isis
von Philae Tempelabgaben erhoben worden zu sein; aber griechische
Inschriften aus der Lagidenzeit haben sich hier nicht gefunden, dagegen
zahlreiche datierte aus römischer, die ältesten aus der des Augustus
(Pselchis, 2 n. Chr.: CIG 5086) und des Tiberius (ebenda, J. 26: 5104;
J. 33: 5101), die jüngste aus der des Philippus (Kardassi, J. 248:
5010). Diese beweisen nicht unbedingt für die Reichsangehörigkeit des
betreffenden Fundorts; aber die eines landvermessenden Soldaten vom
Jahre 33 (5101) und die eines praesidium vom Jahre 84 (Talmis, 5042
f.), sowie zahlreiche andere setzen dieselbe allerdings voraus.
Jenseits der bezeichneten Grenze hat sich nie ein ähnlicher Stein
gefunden; denn die merkwürdige Inschrift der regina (CIL III, 83), bei
Messaurât, südlich von Schendi (16° 25' Breite, 5 Lieues nördlich von
den Ruinen von Naga) gefunden, die südlichste aller bekannten
lateinischen Inschriften, jetzt im Berliner Museum, hat nicht ein
römischer Untertan gesetzt, sondern vermutlich ein aus Rom
zurückkehrender Abgesandter einer afrikanischen Königin, der lateinisch
redet, vielleicht nur, um zu zeigen, daß er in Rom gewesen sei.
^51 Die tropaea Niliaca, sub quibus Aethiops et Indus intremuit, in
einer wahrscheinlich im Jahre 296 gehaltenen Rede (Paneg. 5, 5) gehen
auf ein derartiges Rencontre, nicht auf die ägyptische Insurrektion;
von Angriffen der Blemyer spricht eine andere Rede vom Jahre 289
(Paneg. 3, 17).
Über die Abtretung des Zwölfmeilengebiets an die Nubier berichtet Prok.
Pers. 1, 19. Als unter der Herrschaft nicht der Nubier, sondern der
Blemyer stehend erwähnen dasselbe Olympiodorus (fr. 37 Müller) und die
Inschrift des Silko CIG 5072. Das kürzlich zum Vorschein gekommene
Fragment eines griechischen Heldengedichts auf den Blemyersieg eines
spätrömischen Kaisers bezieht Bücheler (Rheinisches Museum N. F. 39,
1880, S. 279 f.) auf den des Marcianus im Jahre 451 (vgl. Priscus fr.
21).
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Von dem kaufmännischen Verkehr an dieser Grenze ist aus dem Altertum
wenig überliefert. Da die Katarakte des oberen Nils den unmittelbaren
Wasserweg sperrten, hat sich der Verkehr zwischen dem inneren Afrika
und den Ägyptern, namentlich der Elfenbeinhandel in römischer Zeit mehr
über die abessinischen Häfen als am Nil hin bewegt; aber gefehlt hat er
auch in dieser Richtung nicht ^52. Die auf der Insel Philae zahlreich
neben den Ägyptern wohnenden Äthiopen sind offenbar meistens Kaufleute
gewesen, und der hier vorwaltende Grenzfrieden wird das Seinige
beigetragen haben zum Aufblühen der oberägyptischen Grenzstädte und des
ägyptischen Handels überhaupt.
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^52 Juvenal erwähnt sat. 11, 124 die Elefantenzähne, quos mittit porta
Syenes.
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Die Ostküste Ägyptens stellt der Entwicklung des Weltverkehrs eine
schwer zu lösende Aufgabe. Der durchgängig öde und felsige Strand ist
eigentlicher Kultur unfähig und in alter wie in neuer Zeit eine Wüste
^52. Dagegen nähern die beiden für die Kulturentwicklung der alten Welt
vorzugsweise wichtigen Meere, das Mittelländische und das Rote oder
Indische sich einander am meisten an den beiden nördlichsten Spitzen
des letzteren, dem Persischen und dem Arabischen Golf; jener nimmt den
Euphrat in sich auf, der in seinem mittleren Lauf dem Mittelländischen
Meere nahekommt; dieser ist nur wenige Tagemärsche entfernt von dem in
dasselbe Meer fließenden Nil. Daher nimmt in alter Zeit der
Handelsverkehr zwischen dem Osten und dem Westen überwiegend entweder
die Richtung auf dem Euphrat zu der syrischen und der arabischen Küste
oder er wendet sich von der Ostküste Ägyptens nach dem Nil. Die
Verkehrswege vom Euphrat her sind älter als die über den Nil; aber die
letzteren haben den Vorzug der besseren Schiffbarkeit des Stromes und
des kürzeren Landtransports; Die Beseitigung des letzteren durch
Herstellung einer künstlichen Wasserstraße ist bei dem Euphratweg
ausgeschlossen, bei dem ägyptischen in alter wie in neuer Zeit wohl
schwierig, aber nicht unmöglich befunden. Sonach ist dem Land Ägypten
von der Natur selbst vorgeschrieben, die Ostküste mit dem Nillauf und
der nördlichen Küste durch Land- oder Wasserstraßen zu verbinden; und
es gehen auch die Anfänge derartiger Anlagen bis zurück in die Zeit
derjenigen einheimischen Herrscher, welche zuerst Ägypten dem Ausland
und dem großen Handelsverkehr erschlossen. Auf den Spuren, wie es
scheint, älterer Anlagen der großen Regenten Ägyptens, Sethi I. und
Rhamses II., begann der Sohn Psammetichs, König Necho (610-594 v.
Chr.), den Bau eines Kanals, der in der Nähe von Kairo vom Nil
abzweigend eine Wasserverbindung mit den Bitterseen bei Ismailia und
durch diese mit dem Roten Meer herstellen sollte, ohne indes das Werk
vollenden zu können. Daß er dabei nicht bloß die Beherrschung des
Arabischen Golfs und den Handelsverkehr mit den Arabern in das Auge
faßte, sondern das Persische und das Indische Meer und der entlegenere
Osten bereits in den Horizont dieses Ägypterkönigs getreten waren, ist
deswegen wahrscheinlich, weil derselbe Herrscher die einzige im
Altertum ausgeführte Umschiffung Afrikas veranlaßt hat. Außer Zweifel
ist dies für König Dareios I., den Herrn sowohl Persiens wie Ägyptens;
er vollendete den Kanal, aber, wie seine an Ort und Stelle
aufgefundenen Denksteine melden, ließ er ihn selbst wieder verschütten,
wahrscheinlich weil seine Ingenieure befürchteten, daß das Meerwasser,
eingelassen in den Kanal, die Gefilde Ägyptens überschwemmen werde.
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^52 Nach der Art, wie Ptolemaeos 4, 5, 14 u. 15 diese Küste behandelt,
scheint sie, eben wie das Zwölfmeilenland, außerhalb der
Nomeneinteilung gestanden zu haben.
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Der Wettkampf der Lagiden und der Seleukiden, welcher die Politik der
nachalexandrischen Zeit überhaupt beherrscht, war zugleich ein Kampf
zwischen dem Euphrat und dem Nil. Jener war im Besitz, dieser der
Prätendent; und in der besseren Zeit der Lagiden ist die friedliche
Offensive mit großer Energie geführt worden. Nicht bloß wurde jener von
Necho und Dareios unternommene Kanal, jetzt der “Fluß Ptolemaeos”
genannt, durch den zweiten Ptolemäer Philadelphos († 247 v. Chr.) zum
ersten Mal der Schiffahrt eröffnet, sondern es wurden auch an den für
die Sicherheit der Schiffe und für die Verbindung mit dem Nil am besten
geeigneten Punkten der schwierigen Ostküste umfassende Hafenbauten
ausgeführt. Vor allem geschah dies an der Mündung des zum Nil führenden
Kanals, bei den Ortschaften Arsinoe, Kleopatris, Klysma, alle drei in
der Gegend des heutigen Suez. Weiter abwärts entstanden außer manchen
kleineren Anlagen die beiden bedeutenden Emporien Myos Hormos, etwas
oberhalb des heutigen Kosêr, und Berenike im Trogodytenland, ungefähr
in gleicher Breite mit Syene am Nil sowie mit dem arabischen Hafen
Leuke Kome, von der Stadt Koptos, bei der der Nil am weitesten östlich
vorspringt, jenes sechs bis sieben, dieses elf Tagemärsche entfernt und
durch quer durch die Wüste angelegte, mit großen Zisternen versehene
Straßen mit diesem Hauptemporium am Nil verbunden. Der Warenverkehr der
Ptolemäerzeit ist wahrscheinlich weniger durch den Kanal gegangen als
über diese Landwege nach Koptos.
Über jenes Berenike im Trogodytenland hinaus hat sich das eigentliche
Ägypten der Lagiden nicht erstreckt. Die weiter gegen Süden liegenden
Ansiedlungen Ptolemais “für die Jagd” unterhalb Suâkin und die
südlichste Ortschaft des Lagidenreichs, das spätere Adulis, damals
vielleicht “Berenike die goldene” oder “bei Saba” genannt, Zula unweit
des heutigen Massaua, bei weitem der beste Hafen an dieser ganzen
Küste, sind nicht mehr gewesen als Küstenforts und haben mit Ägypten
nicht in Landverbindung gestanden. Auch sind diese entlegenen
Ansiedlungen ohne Zweifel unter den späteren Lagiden entweder
verlorengegangen oder freiwillig aufgegeben worden, und war in der
Epoche, wo die römische Herrschaft eintritt, wie im Binnenland Syene,
so an der Küste das trogodytische Berenike die Reichsgrenze.
In diesem von den Ägyptern nie besetzten oder früh geräumten Gebiet
bildete sich, sei es am Ausgang der Lagidenepoche, sei es in der ersten
Kaiserzeit, ein unabhängiger Staat von Ausdehnung und Bedeutung,
derjenige der Axomiten ^54, entsprechend dem heutigen Habesch. Er führt
seinen Namen von der im Herzen dieses Alpenlandes, acht Tagereisen vom
Meer in der heutigen Landschaft Tigre gelegenen Stadt Axomis, dem
heutigen Aksum; als Hafen dient ihm das schon erwähnte beste Emporium
an dieser Küste, Adulis in der Bucht von Massaua. Die ursprüngliche
Bevölkerung dieser Landschaft mag wohl das Agau gesprochen haben, von
welcher Sprache sich noch heute in einzelnen Strichen des Südens reine
Überreste behaupten und die dem gleichen hamitischen Kreise mit den
heutigen Bedscha, Dankali, Somali, Galla angehört; der ägyptischen
Bevölkerung scheint dieser Sprachkreis in ähnlicher Weise verwandt wie
die Griechen mit den Kelten und den Slaven, so daß hier wohl für die
Forschung eine Verwandtschaft, für das geschichtliche Dasein aber
vielmehr allein der Gegensatz besteht. Aber bevor unsere Kunde von
diesem Lande auch nur beginnt, müssen überlegene Semitische, zu den
himjaritischen Stämmen des südlichen Arabiens gehörige Einwanderer den
schmalen Meerbusen überschritten und ihre Sprache wie ihre Schrift dort
einheimisch gemacht haben. Die alte, erst lange nach römischer Zeit im
Volksgebrauch erloschene Schriftsprache von Habesch, das Ge’ez oder,
wie sie fälschlich meist genannt wird, die äthiopische ^55, ist rein
semitisch ^56, und die jetzt noch lebenden Dialekte, namentlich das
Tigrina, sind es im wesentlichen auch, nur durch die Einwirkung des
älteren Agau getrübt.
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^54 Das Beste, was wir über das Reich von Axomis wissen, lehrt der von
einem ihrer Könige ohne Zweifel in der besseren Kaiserzeit in Adulis
gesetzte Stein (CIG 5127b), eine Art von Denkschrift über die Taten
dieses anscheinenden Reichsgründers im Stil der persepolitanischen des
Dareios oder der ancyranischen des Augustus und angebracht an dem
Königsthron, vor welchem bis in das 6. Jahrhundert hinein die
Verbrecher hingerichtet wurden. Die sachkundige Erörterung Dillmanns
(Abhandlungen der Berliner Akademie, 1877, S. 195 f.) erklärt, was
davon erklärbar ist. Vom römischen Standpunkt aus ist hervorzuheben,
daß der König zwar die Römer nicht nennt, aber deutlich auf ihre
Reichsgrenzen Rücksicht nimmt, indem er die Tangaiten unterwirft μέχρι
τών τής Αιγύπτου ορίων und eine Straße anlegt από τών τής εμής
βασιλείας τόπων μέχρι Αιγύπτου, ferner als Nordgrenze seiner arabischen
Expedition Leuke Kome nennt, die letzte römische Station an der
arabischen Westküste. Daraus folgt weiter, daß diese Inschrift jünger
ist als der unter Vespasian geschriebene Periplus des Roten Meeres;
denn nach diesem (c. 5) herrscht der König von Axomis από τών
Μοσχοφάγων μέχρι τής άλλης βαρβαρίας, und zwar ist dies ausschließlich
zu verstehen, da er c. 2 die τύραννοι der Moschophagen nennt und ebenso
c. 14 bemerkt, daß jenseits der Straße Bab el Mandeb kein “König” sei,
sondern nur “Tyrannen”. Also reichte damals das Axomitanische Reich
noch nicht bis zur römischen Grenze, sondern nur bis etwa nach
Ptolemais “der Jagd”, ebenso nach der anderen Richtung nicht bis zum
Kap Guardafui, sondern nur bis zur Straße Bab el Mandeb. Auch an der
arabischen Küste spricht der Periplus von Besitzungen des Königs von
Axomis nicht, obwohl er mehrfach der Dynasten daselbst gedenkt.
^55 Der Name der Äthiopen haftet in besserer Zeit an dem Land am oberen
Nil, insbesondere den Reichen von Meroë und Nabata, also an dem Gebiet,
das wir jetzt Nubien nennen. Im späteren Altertum, zum Beispiel von
Prokopios, wird die Benennung auf den Staat von Axomis bezogen, und
daher bezeichnen die Abessinier seit langem ihr Reich mit diesem Namen.
^56 Daher die Legende, daß die Axomiten von Alexander in Afrika
angesiedelte Syrer seien und noch syrisch sprächen (Philostorgius hist.
eccl. 3, 6).
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Über die Anfänge dieses Gemeinwesens hat sich keine Überlieferung
erhalten. Am Ausgang der neronischen Zeit und vielleicht schon lange
vorher herrschte der König der Axomiten an der afrikanischen Küste etwa
von Suâkin bis zur Straße Bab el Mandeb. Einige Zeit darauf - näher
läßt sich die Epoche nicht bestimmen - finden wir ihn als Grenznachbarn
der Römer an der Südgrenze Ägyptens, auch an der anderen Küste des
Arabischen Meerbusens in dem Zwischengebiet zwischen dem römischen
Besitz und dem der Sabäer in kriegerischer Tätigkeit, also nach Norden
mit dem römischen Gebiet auch in Arabien sich unmittelbar berührend,
überdies die afrikanische Küste außerhalb des Busens vielleicht bis zum
Kap Guardafui beherrschend. Wie weit sich sein Gebiet von Axomis
landeinwärts erstreckt hat, erhellt nicht; Äthiopien, das heißt Sennaar
und Dongola, haben wenigstens in der früheren Kaiserzeit schwerlich
dazu gehört; vielmehr mag zu der Zeit das Reich von Nabata neben dem
axomitischen bestanden haben. Wo uns die Axomiten entgegentreten,
finden wir sie auf einer verhältnismäßig vorgeschrittenen Stufe der
Entwicklung. Unter Augustus hob sich der ägyptische Handelsverkehr
nicht minder wie mit Indien so mit diesen afrikanischen Häfen. Der
König gebot nicht bloß über ein Heer, sondern, wie dies schon seine
Beziehungen zu Arabien voraussetzen, auch über eine Flotte. Den König
Zoskales, der in Vespasians Zeit in Axomis regierte, nennt ein
griechischer Kaufmann, der in Adulis gewesen war, einen rechtschaffenen
und der griechischen Schrift kundigen Mann; einer seiner Nachfolger hat
an Ort und Stelle eine in geläufigem Griechisch verfaßte Denkschrift
aufgestellt, die seine Taten den Fremden erzählte; er selbst nennt sich
in derselben einen Sohn des Ares, welchen Titel die Könige der Axomiten
bis in das vierte Jahrhundert hinab beibehielten, und widmet den Thron,
der jene Denkschrift trägt, dem Zeus, dem Ares und dem Poseidon. Schon
zu Zoskales’ Zeit nennt jener Fremde Adulis einen wohlgeordneten
Handelsplatz; seine Nachfolger nötigten die schweifenden Stämme der
arabischen Küste, zu Lande wie zur See Frieden zu halten, und stellten
eine Landverbindung her von ihrer Hauptstadt bis an die römische
Grenze, was bei der Beschaffenheit dieser zunächst auf Seeverbindung
angewiesenen Landschaft nicht gering anzuschlagen ist. Unter Vespasian
dienten Messingstücke, die nach Bedürfnis geteilt wurden, den
Eingeborenen statt des Geldes und zirkulierte die römische Münze nur
bei den Adulis ansässigen Fremden; in der späteren Kaiserzeit haben die
Könige selber geprägt. Daneben nennt der axomitische Herrscher sich
König der Könige, und keine Spur deutet auf römische Klientel; er übt
die Prägung in Gold, was die Römer nicht bloß in ihrem Gebiet, sondern
auch in ihrem Machtbereich nicht zuließen. Es gibt in der Kaiserzeit
außerhalb der römisch-hellenischen Grenzen kaum ein anderes Land,
welches in gleicher Selbständigkeit dem hellenischen Wesen bei sich
eine Stätte bereitet hätte wie der Staat von Habesch. Daß im Lauf der
Zeit die einheimische oder vielmehr aus Arabien eingebürgerte
Volkssprache die Alleinherrschaft zurückgewann und das Griechische
verdrängte, ist wahrscheinlich teils auf arabischen Einfluß
zurückzuführen, teils auf den des Christentums und die damit
zusammenhängende Wiederbelebung der Volksdialekte, wie wir sie auch in
Syrien und in Ägypten fanden, und schließt nicht aus, daß die
griechische Sprache in Axomis und Adulis im 1. und 2. Jahrhundert
unserer Zeitrechnung eine ähnliche Stellung gehabt hat wie in Syrien
und in Ägypten, soweit es eben gestattet ist, Kleines mit Großem zu
vergleichen.
Von politischen Beziehungen der Römer zu dem Staat von Axomis wird aus
den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, auf welche unsere
Erzählung sich beschränkt, kaum etwas gemeldet. Mit dem übrigen Ägypten
nahmen sie auch die Häfen der Ostküste in Besitz bis hinab zu dem
abgelegenen und darum in römischer Zeit unter einen eigenen
Kommandanten gestellten trogodytischen Berenike ^57. An
Gebietserweiterung in die unwirtlichen und wertlosen Küstengebirge
hinein ist hier nie gedacht worden; auch kann die dünne und auf der
niedrigsten Stufe der Entwicklung stehende Bevölkerung des nächst
angrenzenden Gebiets den Römern niemals ernsthaft zu schaffen gemacht
haben. Ebensowenig haben die Caesaren so, wie es die früheren Lagiden
getan hatten, sich der Emporien der axomitanischen Küste zu bemächtigen
versucht. Ausdrücklich gemeldet wird nur, daß Gesandte des
Axomitenkönigs mit Kaiser Aurelian verhandelten. Aber eben dieses
Stillschweigen sowie die früher bezeichnete unabhängige Stellung des
Herrschers ^58 führen darauf, daß hier die geltenden Grenzen
beiderseits dauernd respektiert wurden und ein gutes nachbarliches
Verhältnis bestand, welches den Interessen des Friedens und vornehmlich
dem ägyptischen Handelsverkehr zugute kam. Daß dieser, insbesondere der
wichtige Elfenbeinhandel, in welchem Adulis für das innere Afrika das
hauptsächliche Entrepôt war, überwiegend von Ägypten aus und auf
ägyptischen Schiffen geführt worden ist, kann bei der überlegenen
Zivilisation Ägyptens schon für die Lagidenzeit keinem Zweifel
unterliegen, und auch in römischer Zeit hat dieser Verkehr sich wohl
nur gesteigert, nicht weiter geändert.
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^57 Dies ist der praefectus praesidiorum et montis Beronices (CIL IX,
3083), praefectus montis Berenicidis (Orelli 3881), praefectus
Bernicidis (CIL X, 1129), ein Offizier von Ritterrang, analog den oben
angeführten, in Alexandreia stationierten.
^58 Auch das Schreiben, das Kaiser Constantius im Jahre 356 an den
damaligen König von Axomis, Aeizanas, richtet, ist das eines Herrschers
an einen anderen gleichgestellten: er ersucht ihn um
freundnachbarlichen Beistand gegen die Ausbreitung der athanasischen
Ketzerei und um Absetzung und Auslieferung eines derselben verdächtigen
axomitischen Geistlichen. Die Kulturgemeinschaft tritt hier nur um so
bestimmter hervor, als der Christ gegen den Christen den Arm des Heiden
anruft.
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Bei weitem wichtiger als der Verkehr mit dem afrikanischen Süden war
für Ägypten und das Römische Reich überhaupt der Verkehr mit Arabien
und den weiter östlich gelegenen Küsten. Die arabische Halbinsel ist
dem hellenischen Kulturkreise ferngeblieben. Es wäre wohl anders
gekommen, wenn König Alexander ein Jahr länger gelebt hätte; der Tod
raffte ihn weg mitten in den Vorbereitungen, die bereits erkundete
arabische Südküste vom Persischen Meerbusen aus zu umfahren und zu
besetzen. Aber die Fahrt, die der große König nicht hatte antreten
können, hat nach ihm nie ein Grieche unternommen. Seit fernster Zeit
hat dagegen zwischen den beiden Küsten des Arabischen Meerbusens ein
lebhafter Verkehr über das mäßig breite Wasser hinüber stattgefunden.
In den ägyptischen Berichten aus der Pharaonenzeit spielen die
Seefahrten nach dem Land Punt, die von dort heimgebrachte Beute an
Weihrauch, Ebenholz, Smaragden, Leopardenfellen eine bedeutende Rolle.
Daß späterhin der nördliche Teil der arabischen Westküste zu dem Gebiet
der Nabatäer gehörte und mit diesem in die Gewalt der Römer kam, ist
schon angegeben worden. Es war dies ein ödes Gestade ^59; nur das
Emporium Leuke Kome, die letzte Stadt der Nabatäer und insofern auch
des Römischen Reiches, stand nicht bloß mit dem gegenüberliegenden
Berenike in Seeverkehr, sondern war auch der Ausgangspunkt der nach
Petra und von da zu den Häfen des südlichen Syriens führenden
Karawanenstraße und insofern einer der Knotenpunkte des
orientalisch-okzidentalischen Handels. Die südlich angrenzenden
Gebiete, nord- und südwärts von dem heutigen Mekka, entsprachen in
ihrer Naturbeschaffenheit dem gegenüberliegenden Trogodytenland und
sind gleich diesem im Altertum weder politisch noch kommerziell von
Bedeutung, auch dem Anschein nach nicht unter einem Szepter geeinigt,
sondern von schweifenden Stämmen besetzt gewesen. Aber am Südende des
Busens ist der einzige arabische Stamm zu Hause, welcher in der
vorislamischen Zeit zu größerer Bedeutung gelangt ist. Die Griechen und
die Römer nennen diese Araber in älterer Zeit nach der damals am
meisten hervortretenden Völkerschaft Sabäer, in späterer nach einer
anderen gewöhnlich Homeriten, wir nach der neu-arabischen Form des
letzteren Namens jetzt meistens Himjariten. Die Entwicklung dieses
merkwürdigen Volkes hatte lange vor dem Beginn der römischen Herrschaft
über Ägypten eine bedeutende Stufe erreicht ^60. Seine Heimstatt, das
“glückliche Arabien” der Alten, die Gegend von Mocha und Aden, ist von
einer schmalen, glühend heißen und öden Strandebene umsäumt, aber das
gesunde und temperierte Innere von Jemen und Hadramaut erzeugt an den
Gebirgshängen und in den Tälern eine üppige Vegetation, und die
zahlreichen Bergwässer gestatten bei sorgfältiger Wirtschaft vielfach
eine gartenartige Kultur. Von der reichen und eigenartigen Zivilisation
dieser Landschaft geben noch heute ein redendes Zeugnis die Reste von
Stadtmauern und Türmen, von Nutz-, namentlich Wasserbauten und mit
Inschriften bedeckten Tempeln, welche die Schilderung der alten
Schriftsteller von der Pracht und dem Luxus dieser Landschaft
vollkommen bestätigen; über die Burgen und Schlösser der zahlreichen
Kleinfürsten Jemens haben die arabischen Geographen Bücher geschrieben.
Berühmt sind die Trümmer des mächtigen Dammes, welcher einst in dem Tal
bei Mariaba den Danafluß staute und es möglich machte, die Fluren
aufwärts zu bewässern ^61, und von dessen Durchbruch und der dadurch
angeblich veranlaßten Auswanderung der Bewohner von Jemen nach Norden
die Araber lange Zeit ihre Jahre gezählt haben. Vor allem aber ist
dieser Bezirk einer der Ursitze des Großhandels zu Lande wie zur See,
nicht bloß weil seine Produkte, der Weihrauch, die Edelsteine, das
Gummi, die Kassia, Aloe, Senna, Myrrhe und zahlreiche andere Drogen den
Export hervorrufen, sondern auch weil dieser semitische Stamm, ähnlich
wie der der Phöniker, seiner ganzen Art nach für den Handel geschaffen
ist; eben wie die neueren Reisenden sagt auch Strabon, daß die Araber
alle Händler und Kaufleute sind. Die Silberprägung ist hier alt und
eigenartig; die Münzen sind anfänglich athenischen Stempeln, später
römischen des Augustus nachgeprägt, aber auf einen selbständigen,
wahrscheinlich babylonischen Fuß ^62. Aus dem Land dieser Araber
führten die uralten Weihrauchstraßen quer durch die Wüste nach den
Stapelplätzen am Arabischen Meerbusen Aelana und dem schon genannten
Leuke Kome und den Emporien Syriens, Petra und Gaza ^63; diese Wege des
Landhandels, welche neben denen des Euphrat und des Nil den Verkehr
zwischen Orient und Okzident seit ältester Zeit vermitteln, sind
vermutlich die eigentliche Grundlage des Aufblühens von Jemen. Aber der
Seeverkehr gesellte ebenfalls bald sich dazu; der große Stapelplatz
dafür ward Adane, das heutige Aden. Von hier aus gingen die Waren zu
Wasser, sicher überwiegend auf arabischen Schiffen, entweder nach eben
jenen Stapelplätzen am Arabischen Meerbusen und also nach den syrischen
Häfen oder nach Berenike und Myos Hormos und von da nach Koptos und
Alexandreia. Daß dieselben Araber ebenfalls in sehr früher Zeit sich
der gegenüberliegenden Küste bemächtigten und ihre Sprache und Schrift
und ihre Zivilisation nach Habesch verpflanzten, wurde schon gesagt.
Wenn Koptos, das Nil-Emporium für den östlichen Handel, ebenso viel
Araber wie Ägypter zu Bewohnern hatte, wenn sogar die Smaragdgruben
oberhalb Berenike (bei Djebel Zebâra) von den Arabern ausgebeutet
wurden, so zeigt dies, daß sie im Lagidenstaat selbst den Handel bis zu
einem gewissen Grad in der Hand hatten; und dessen passives Verhalten
in Betreff des Verkehrs auf dem Arabischen Meer, wohin höchstens einmal
ein Zug gegen die Piraten unternommen wurde ^64, wird eher begreiflich,
wenn ein seemächtiger und geordneter Staat diese Gewässer beherrschte.
Auch außerhalb ihres eigenen Meeres begegnen wir den Arabern des Jemen.
Adane blieb bis in die römische Kaiserzeit hinein Stapelplatz des
Verkehrs einerseits mit Indien, andererseits mit Ägypten und gedieh
trotz seiner eigenen ungünstigen Lage an dem baumlosen Strand zu
solcher Blüte, daß die Benennung des “glücklichen Arabien” zunächst auf
diese Stadt sich bezieht. Die Herrschaft, die in unseren Tagen der Imam
von Maskat im Südosten der Halbinsel über die Inseln Sokotra und
Sansibar und die afrikanische Ostküste vom Kap Guardafui südlich
ausgeübt hat, stand in vespasianischer Zeit “von alters her” den
Fürsten Arabiens zu: die Dioskorides-Insel, eben jenes Sokotra,
gehorchte damals dem König von Hadramaut, Azania, das heißt die Küste
Somal und weiter südlich einem der Unterkönige seines westlichen
Nachbarn, des Königs der Homeriten. Die südlichste Station an der
ostafrikanischen Küste, von welcher die ägyptischen Kaufleute wußten,
Rhapta in der Gegend von Sansibar, pachteten von diesem Scheich die
Kaufleute von Muza, das ist ungefähr das heutige Mocha, “und senden
dorthin ihre Handelsschiffe, meistens bemannt mit arabischen Kapitänen
und Matrosen, welche mit den Eingeborenen zu verkehren gewohnt und oft
durch Heirat verknüpft und der Örtlichkeiten und der Landessprachen
kundig sind”. Die Bodenkultur und die Industrie reichten dem Handel die
Hand: in den vornehmen Häusern Indiens trank man neben dem italischen
Falerner und dem syrischen Laodikener auch arabischen Wein; und die
Lanzen und die Schusterpfriemen, welche die Eingeborenen der Küste von
Sansibar von den fremden Händlern kauften, waren Fabrikat von Muza. So
ward diese Landschaft, die zudem viel verkaufte und wenig kaufte, eine
der reichsten der Welt.
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^59 Landeinwärts liegt das uralte Teimâ, der Sohn Ismaels der Genesis,
von dem assyrischen König Tiglatpilesar im achten Jahrhundert vor Chr.
unter seinen Eroberungen aufgezählt, von dem Propheten Jeremias
zusammen mit Sidon genannt, ein merkwürdiger Knotenpunkt assyrischer,
ägyptischer, arabischer Beziehungen, dessen weitere Entfaltung, nachdem
kühne Reisende ihn erschlossen haben, wir von der orientalischen
Forschung erwarten dürfen. In Teimâ selbst fand kürzlich Euting
aramäische Inschriften ältester Epoche (Nöldeke, SB Berlin 1884, S. 813
f.) Aus dem nicht weit entfernten Orte Medâin-Sâlih (Hidjr) stammen
gewisse, den attischen nachgeprägte Münzen, welche zum Teil die Eule
der Pallas durch dasjenige Götterbild ersetzen, das die Ägypter
bezeichnen als Besa, den Herrn von Punt, das heißt von Arabien (Erman,
Zeitschrift für Numismatik 9, 1880, S. 296f.). Der ebendaselbst
gefundenen nabatäischen Inschriften wurde schon gedacht Nicht weit von
da bei ‘Ola (el-Ally) haben sich Inschriften gefunden, die in der
Schrift und in den Götter- und Königsnamen denen der südarabischen
Minäer entsprechen und zeigen, daß diese hier, sechzig Tagereisen von
ihrer Heimat, aber auf der von Eratosthenes erwähnten Weihrauchstraße
von Minaea nach Aelana, eine bedeutende Station gehabt haben; daneben
andere eines verwandten, aber nicht identischen südarabischen Stammes
(D. H. Müller in den Berichten der Wiener Akademie vom 17. Dezember
1884). Die minäischen Inschriften gehören ohne Zweifel der vorrömischen
Zeit an. Da bei der Einziehung des nabatäischen Königreichs durch
Traian diese Landstriche aufgegeben wurden, so mag von da an ein
anderer südarabischer Stamm dort geherrscht haben.
^60 Die an den Weihrauchhandel anknüpfenden Nachrichten bei
Theophrastos († 287 vor Chr.; hist. plant. 9, 4) und vollständiger bei
Eratosthenes (t 194 vor Chr.; bei Strabon 16, 4, 2 p. 768) von den vier
großen Völkerschaften der Minäer (Mamali Theophr.?) mit der Hauptstadt
Karna; der Sabäer (Saba Theophr.) mit der Hauptstadt Mariaba; der
Kattabanen (Kitibaena Theophr.) mit der Hauptstadt Tamna; der
Chatramotiten (Hadramyta Theophr.) mit der Hauptstadt Sabata
umschreiben eben den Kreis, aus dem das Homeritenreich sich entwickelt
hat, und bezeichnen seine Anfänge. Die viel gesuchten Minäer sind jetzt
mit Sicherheit nachgewiesen in Ma’in im Binnenland oberhalb Marib und
Hadramaut, wo Hunderte von Inschriften sich gefunden und schon nicht
weniger als 26 Königsnamen ergeben haben. Mariaba heißt heute noch
Marib. Die Landschaft Chatramotitis oder Chatramitis ist Hadramaut.
^61 Die merkwürdigen Reste dieses mit größter Präzision und
Geschicklichkeit ausgeführten Bauwerks sind beschrieben von Arnaud
(Journal Asiatique, 7. série, tome 3 a. 1874, S. 3 f. mit Plänen; vgl.
Ritter, Erdkunde, Bd. 12, S. 861). Zu beiden Seiten des jetzt fast ganz
verschwundenen Dammes stehen je zwei aus Quadern aufgeführte
Steinbauten von konischer, fast zylindrischer Form, zwischen denen eine
schmale Öffnung für das aus dem Bassin ausfließende Wasser sich
befindet; wenigstens auf der einen Seite führt ein mit Kieseln
ausgelegter Kanal dasselbe an diese Pforte. Dieselbe war einstmals mit
übereinander gesetzten Bohlen geschlossen, welche einzeln entfernt
werden konnten, um das Wasser nach Bedürfnis abzuführen. Der eine
dieser Steinzylinder trägt die folgende Inschrift (nach der allerdings
nicht in allen Einzelheiten gesicherten Übersetzung von D. H. Müller,
SB Wien 97, 1880, S. 965): “Jata’amar der Herrliche, Sohn des Samah’ali
des Erhabenen, Fürst von Saba, ließ den Balap[berg] durchstechen [und
errichtete] den Schleusenbau, genannt Rahab, zur leichteren
Bewässerung.” Für die chronologische Fixierung dieses und zahlreicher
anderer Königsnamen der sabäischen Inschriften fehlt es an sicheren
Anhaltspunkten. Der assyrische König Sargon sagt in der
Khorsabad-Inschrift, nachdem er die Überwindung des Königs von Gaza,
Hanno, im Jahre 716 vor Chr. erzählt hat: “ich empfing den Tribut des
Pharao, des Königs von Ägypten, der Schamsijja, der Königin von
Arabien, und des Ithamara, des Sabäers: Gold, Kräuter des Ostlandes,
Sklaven, Pferde und Kamele” (Müller, a. a. O., S. 988; M. Duncker,
Geschichte des Altertums. 5. Aufl. Berlin 1878-83. Bd. 2, S. 327.
^62 Sallet in der Berliner Zeitschrift für Numismatik 8, 1881, S. 243.
J. H. Mordtmann in der Wiener numismatischen Zeitschrift 12, S. 289.
^63 Plinius (nat. 12, 14, 65) berechnet die Kosten einer Kamellast
Weihrauch auf dem Landweg von der arabischen Küste bis nach Gaza auf
688 Denare (= 600 Mark). “Auf der ganzen Strecke”, sagt er, “ist zu
zahlen für Futter und Wasser und Unterkunft und für verschiedene Zölle;
dann fordern die Priester gewisse Anteile und die Schreiber der Könige;
außerdem erpressen die Wachen und die Trabanten und die Leibwächter und
Diener; dazu kommen dann unsere Reichszölle.” Bei dem Wassertransport
fielen diese Zwischenkosten weg.
^64 Die Züchtigung der Piraten berichtet Agatharchides bei Diod. 3, 43
und Strab. 16, 4, 18 p. 777. Ezion Geber aber in Palästina am
aelanitischen Meerbusen, ή νύν Βερενίκη καλείται (Ios. ant. Iud. 8, 6,
4), heißt sicher so nicht von einer Ägypterin (J. G. Droysen,
Geschichte des Hellenismus, Bd. 3, 2, S. 349), sondern von der Jüdin
des Tims.
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Wie weit die politische Entwicklung derselben mit der wirtschaftlichen
Schritt gehalten hatte, läßt sich für die vorrömische und die frühere
Kaiserzeit nicht bestimmen; nur so viel scheint sowohl aus den
Berichten der Okzidentalen wie aus den einheimischen Inschriften sich
zu ergeben, daß diese Südwestspitze Arabiens unter mehrere selbständige
Herrscher mit Gebieten von mäßiger Größe geteilt war. Es standen dort
neben den am meisten hervortretenden Sabäern und Homeriten die schon
genannten Chatramotiten in Hadramaut und nördlich im Binnenland die
Minäer, alle unter eigenen Fürsten.
Den Arabern Jemens gegenüber haben die Römer die gerade
entgegengesetzte Politik befolgt wie gegenüber den Axomiten. Augustus,
für den die Nichterweiterung der Grenzen der Ausgangspunkt des
Reichsregiments war, und der die Eroberungspläne seines Vaters und
Meisters beinahe alle fallenließ, hat eine Ausnahme mit der arabischen
Südwestküste gemacht und ist hier nach freiem Entschluß angreifend
vorgegangen. Es geschah dies wegen der Stellung, welche diese
Völkergruppe in dem indisch-ägyptischen Handelsverkehr damals einnahm.
Um die politisch und finanziell wichtigste Landschaft seines
Herrschaftsgebiets wirtschaftlich auf die Höhe zu bringen, welche seine
Vorherrschen herzustellen versäumt hatten oder hatten verfallen lassen,
bedurfte er vor allem der Gewinnung des Zwischenverkehrs zwischen
Arabien und Indien einer- und Europa andererseits. Der Nilweg
konkurrierte seit langem erfolgreich mit den arabischen und den
Euphratstraßen; aber Ägypten spielte dabei, wie wir sahen, wenigstens
unter den späteren Lagiden eine untergeordnete Rolle. Nicht mit den
Axomiten, aber wohl mit den Arabern bestand Handelskonkurrenz; sollte
der ägyptische Verkehr aus einem passiven ein aktiver, aus einem
indirekten ein direkter werden, so mußten die Araber niedergeworfen
werden; und dies ist es, was Augustus gewollt und das römische Regiment
einigermaßen auch erreicht hat.
Im sechsten Jahre seiner Regierung in Ägypten (Ende 729 25) entsandte
Augustus eine eigens für diese Expedition hergestellte Flotte von 80
Kriegs- und 130 Transportschiffen und die Hälfte der ägyptischen Armee,
ein Korps von 10000 Mann, ungerechnet die Zuzüge der beiden nächsten
Klientelkönige, des Nabatäers Obodas und des Juden Herodes, gegen die
Staaten der Jemen, um dieselben entweder zu unterwerfen oder wenigstens
zugrunde zu richten ^65, woneben die dort aufgehäuften Schätze sicher
auch in Rechnung kamen. Aber das Unternehmen schlug vollständig fehl,
und zwar durch die Unfähigkeit des Führers, des damaligen Statthalters
von Ägypten, Gaius Aelius Gallus ^66. Da auf die Besetzung und den
Besitz der öden Küste von Leuke Kome abwärts bis an die Grenze des
feindlichen Gebiets gar nichts ankam, so mußte die Expedition
unmittelbar gegen dieses gerichtet und aus dem südlichsten ägyptischen
Hafen die Armee sofort in das glückliche Arabien geführt werden ^67.
Stattdessen wurde die Flotte in dem nördlichsten, dem von Arsinoe
(Suez) fertiggestellt und das Heer in Leuke Kome ans Land gesetzt,
gleich als wäre es darauf angekommen, die Fahrt der Flotte und den
Marsch der Truppen möglichst zu verlängern. Überdies waren die
Kriegsschiffe überflüssig, da die Araber keine Kriegsflotte besaßen,
die römischen Seeleute mit der Fahrt an der arabischen Küste unbekannt
und die Fahrzeuge, obwohl besonders für diese Expedition gebaut, für
ihre Bestimmung ungeeignet. Die Piloten fanden sich nicht zurecht
zwischen den Untiefen und Klippen, und schon die Fahrt auf den
römischen Gewässern von Arsinoe nach Leuke Kome kostete viele Schiffe
und Leute. Hier wurde überwintert; im Frühjahr 730 (24) begann der Zug
in Feindesland. Die Araber hinderten ihn nicht, aber wohl Arabien. Wo
einmal die Doppeläxte und die Schleudern und Bogen mit dem Pilum und
dem Schwert zusammenstießen, stoben die Eingeborenen auseinander wie
die Spreu vor dem Winde; aber die Krankheiten, die im Lande endemisch
sind, der Skorbut, der Aussatz, die Gliederlähmung dezimierten die
Soldaten ärger als die blutigste Schlacht, und um so mehr, als der
Feldherr es nicht verstand, die schwerfällige Heermasse rasch vorwärts
zu bringen. Dennoch gelangte die römische Armee bis vor die Mauern der
Hauptstadt der zunächst von dem Angriff betroffenen Sabäer, Mariaba.
Aber da die Einwohner die Tore ihrer mächtigen, heute noch stehenden
Mauern ^68 schlossen und energische Gegenwehr leisteten, verzweifelte
der römische Feldherr an der Lösung der ihm gestellten Aufgabe und
trat, nachdem er sechs Tage vor der Stadt gelegen hatte, den Rückzug
an, den die Araber kaum ernstlich störten und der im Drang der Not,
freilich unter schlimmer Einbuße an Mannschaften, verhältnismäßig
schnell gelang.
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^65 Dies (προσοικειούσθαι τούτους - τούς Άραβας - ή καταστρέφεσθαι:
Strab. 16, 4, 22 p. 780; ει μή ο Συλλαίος αυτόν - τόν Γάλλον -
προυδίδου, κάν κατεστρέψατο τήν Ευδαίμονα πάσαν: ders. 17, 1, 53 p.
819) war der eigentliche Zweck der Expedition, obwohl auch die Hoffnung
auf die für das Aerarium eben damals sehr willkommene Beute
ausdrücklich erwähnt wird.
^66 Der Bericht Strabons (16, 4, 22 f. p. 780) über die arabische
Expedition seines “Freundes” Gallus (φίλος αμίν καί εταίρος Strab. 2,
5, 12 p. 118), in dessen Gefolge er Ägypten bereiste, ist zwar
zuverlässig und ehrlich wie alle seine Meldungen, aber augenscheinlich
von diesem Freunde ohne jede Kritik übernommen. Die Schlacht, in der
10000 Feinde und zwei Römer fielen, und die Gesamtzahl der in diesem
Feldzug Gefallenen, welche sieben ist, richten sich selbst; aber nicht
besser ist der Versuch, den Mißerfolg auf den nabatäischen Wesir
Syllaeos abzuwälzen durch einen “Verrat”, wie er geschlagenen Generalen
geläufig ist. Allerdings eignete sich dieser insofern zum Sündenbock,
als er einige Jahre nachher auf Betreiben des Herodes von Augustus in
Untersuchung gezogen und verurteilt und hingerichtet ward (Ios. ant.
Iud. 16, 10); aber obwohl wir den Bericht des Agenten besitzen, der
diese Sache für Herodes in Rom geführt hat, ist darin von diesem Verrat
kein Wort zu finden. Daß Syllaeos die Absicht gehabt haben soll, erst
die Araber durch die Römer und dann diese selbst zugrunde zu richten,
wie Strabo “meint”, ist bei der Stellung der Klientelstaaten Roms
geradezu unvernünftig. Eher ließe sich denken, daß Syllaeos der
Expedition deshalb abgeneigt war, weil der Handelsverkehr durch das
Nabatäerland durch sie beeinträchtigt werden konnte. Aber den
arabischen Minister deswegen des Verrats zu beschuldigen, weil die
römischen Fahrzeuge für die arabische Küstenfahrt ungeeignet waren oder
weil das römische Heer genötigt war, das Wasser auf Kamelen
mitzuführen, Durra und Datteln statt Brot und Fleisch, Butter statt öl
zu essen; als Entschuldigung dafür, daß auf die bei dem Rückmarsch in
60 Tagen zurückgelegte Strecke für den Hinmarsch 180 verwendet wurden,
die betrügerische Wegweisung vorzuführen; endlich die vollkommen
richtige Bemerkung des Syllaeos, daß ein Landmarsch von Arsinoe nach
Leuke Kome untunlich sei, damit zu kritisieren, daß von da nach Petra
eine Karawanenstraße gehe, zeigt nur, was ein vornehmer Römer einem
griechischen Literaten aufzubinden vermochte.
^67 Die schärfste Kritik des Feldzugs gibt die Auseinandersetzung des
ägyptischen Kaufmanns über die Zustände auf der arabischen Küste von
Leuke Kome (el-Haura, nördlich von Janbô, der Hafenstadt von Medina)
bis zur Katakekaumene-Insel (Djebel Tair bei Lohaia). “Verschiedene
Völker bewohnen sie, die teils etwas, teils völlig verschiedene
Sprachen reden. Die Bewohner der Küste leben in Hürden wie die
‘Fischesser’ auf dem entgegengesetzten Ufer” (diese Hürden beschreibt
er c. 2 als vereinzelt liegend und in die Felsspalten, eingebaut), “die
des Binnenlandes in Dörfern und Weidegemeinschaften; es sind bösartige
zwiesprachige Menschen, welche die aus der Fahrstraße verschlagenen
Seefahrer plündern und die Schiffbrüchigen in die Sklaverei schleppen.
Deshalb wird von den Unter- und den Oberkönigen Arabiens beständig auf
sie Jagd gemacht; sie heißen Kanraiten (oder Kassaviten). überhaupt ist
die Schiffahrt an dieser ganzen Küste gefährlich, der Strand hafenlos
und unzugänglich, von böser Brandung, klippig und überhaupt sehr
schlimm. Darum halten wir, wenn wir in diese Gewässer einfahren, uns in
der Mitte und eilen, in das arabische Gebiet zu kommen zur Insel
Katakekaumene; von da an sind die Bewohner gastlich und begegnen
zahlreiche Herden von Schafen und Kamelen.” Dieselbe Gegend zwischen
der römischen und der homeritischen Grenze und dieselben Zustände hat
auch der axomitische König im Sinn, wenn er schreibt: πέραν δέ τής
ερυθράς θαλάσσης οικούντας Αρραβίτας καί Κιναιδοκολπίτας (vgl. Ptol.
geogr. 6, 7, 20), σράτευμα ναυτικόν καί πεζικόν διαπεμψάμενος καί
υποτάξας αυτών τούς βασιλείας, φόρους τής γής τελείν εκέλυσα καί
οδεύεσθαι μετ' ειρήνης καί πλέεσθαι, από τε Δευκής κώμης έως τών
Σαβαίων χώρας επολέμησα.
^68 Diese Mauern, von Bruchstein erbaut, bilden einen Kreis von einer
Viertelstunde im Durchmesser. Sie sind beschrieben von Arnaud, a. a. O.
(vgl. Anm. 61).
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Es war ein übler Mißerfolg; aber Augustus gab die Eroberung Arabiens
nicht auf. Es ist schon erzählt worden, daß die Orientfahrt, die der
Kronprinz Gaius im Jahre 753 antrat, in Arabien endigen sollte; es war
diesmal im Plan, nach der Unterwerfung Armeniens im Einverständnis mit
der parthischen Regierung, oder nötigenfalls nach Niederwerfung ihrer
Armeen, an die Euphratmündung zu gelangen und von da aus den Seeweg,
den einst der Admiral Nearchos für Alexander erkundet hatte, nach dem
glücklichen Arabien zu nehmen ^69. In anderer, aber nicht minder
unglücklicher Weise endigten diese Hoffnungen durch den parthischen
Pfeil, der den Kronprinzen vor den Mauern von Artageira traf. Mit ihm
ward der arabische Eroberungsplan für alle Zukunft begraben. Die große
Halbinsel ist in der ganzen Kaiserzeit, abgesehen von dem nördlichen
und nordwestlichen Küstenstriche, in derjenigen Freiheit verblieben,
aus welcher seinerzeit der Henker des Hellenentums, der Islam
hervorgehen sollte.
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^69 Daß die orientalische Expedition des Gaius zum Endziel Arabien
hatte, sagt Plinius (namentlich nat. 12, 14, 55, 56; vgl. 2, 67, 168;
6, 27, 141; c. 28, 160; 32, 1, 10) ausdrücklich. Daß sie von der
Euphratmündung ausgehen sollte, folgt daraus, daß die Expedition nach
Armenien und Verhandlungen mit der parthischen Regierung ihr
vorausgingen. Darum lagen auch den Kollektaneen Jubas über die
bevorstehende Expedition die Berichte der Feldherren Alexanders über
ihre Erkundung Arabiens zu Grunde.
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Aber gebrochen ward der arabische Handel allerdings, teils durch die
weiterhin zu erörternden Maßregeln der römischen Regierung zum Schutz
der ägyptischen Schiffahrt, teils durch einen gegen den
Hauptstapelplatz des indisch-arabischen Verkehrs von den Römern
geführten Schlag. Sei es unter Augustus selbst, möglicherweise bei den
Vorbereitungen zu der von Gaius auszuführenden Invasion, sei es unter
einem seiner nächsten Nachfolger, es erschien eine römische Flotte vor
Adane und zerstörte den Platz; in Vespasians Zeit war er ein Dorf und
seine Blüte vorüber. Wir kennen nur die nackte Tatsache ^70, aber sie
spricht für sich selber. Ein Seitenstück zu der Zerstörung Korinths und
Karthagos durch die Republik, hat sie wie diese ihren Zweck erreicht
und dem römisch-ägyptischen Handel die Suprematie im Arabischen
Meerbusen und im Indischen Meere gesichert.
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^70 Die einzige Kunde von dieser merkwürdigen Expedition hat der
ägyptische Kapitän aufbewahrt der um das Jahr 75 die Fahrt an den
Küsten des Roten Meeres beschrieben hat. Er kennt (c. 26) das Adane der
Späteren, das heutige Aden, als ein Dorf an der Küste (κώμη
παραθαλάσσιος), das zum Reiche des Königs der Homeriten Charibael
gehört, aber früher eine blühende Stadt war und davon heißt (ευδαίμων
δ' επεκλήθη πρότερον ούσα πόλις), weil vor der Einrichtung des
unmittelbaren indisch-ägyptischen Verkehrs dieser Ort als Stapelplatz
diente: νύν δέ ου πρό πολλού τών ημετέρων χρόνων Καίσαρ αυτήν
κατεστρέψατο. Das letzte Wort kann hier nur “zerstören” heißen, nicht,
wie häufiger, “unterwerfen”, weil die Umwandlung der Stadt in ein Dorf
motiviert werden soll. Für Καίσαρ hat Schwanbeck (Rheinisches Museum N.
F. 7, 1848, S. 353) Χαριβαήλ, C. Möller Ιλασάρ (wegen Strab. 16, 4, 21
p. 782) vorgeschlagen; beides ist nicht möglich, dieses nicht, weil
dieser arabische Dynast in einem weit entlegenen Distrikt herrschte,
auch unmöglich als bekannt vorausgesetzt werden konnte, jenes nicht,
weil Charibael Zeitgenosse des Schreibers war und hier ein vor der Zeit
desselben vorgefallenes Ereignis berichtet wird. An der Überlieferung
wird man nicht Anstoß nehmen, wenn man überlegt, welches Interesse die
Römer daran haben mußten, den arabischen Stapelplatz zwischen Indien
und Ägypten zu beseitigen und den direkten Verkehr herbeizuführen. Daß
die römischen Berichte von diesem Vorgang schweigen, ist ihrem Wesen
angemessen; die Expedition, welche ohne Zweifel durch eine ägyptische
Flotte ausgeführt ward und lediglich in der Zerstörung eines vermutlich
wehrlosen Küstenplatzes bestand, wird vermutlich von keinem Belang
gewesen sein; um den großen Handelsverkehr haben die Annalisten sich
nie gekümmert, und überhaupt sind die Vorgänge in Ägypten noch weniger
als die in den andern kaiserlichen Provinzen zur Kenntnis des Senats
und damit der Annalisten gekommen. Die nackte Bezeichnung Καίσαρ, wobei
nach Lage der Sache der damals regierende ausgeschlossen ist, erklärt
sich wohl daraus, daß der berichtende Kapitän wohl die Tatsache der
Zerstörung durch die Römer, aber Zeit und Urheber nicht kannte.
Möglich ist es, daß hierauf die Notiz bei Plinius (nat. 2, 67, 168) zu
beziehen ist: maiorem (oceana) partem et orientis victoriae magni
Alexandri lustravere usque in Arabicum sinum, in quo res gerente C.
Caesare Aug. f. signa navium ex Hispaniensibus naufragiis feruntur
agnita. Gaius kam nicht nach Arabien (Plin. nat. 6, 28, 160); aber
recht wohl kann während der armenischen Expedition von Ägypten aus ein
römisches Geschwader von einem seiner Unterbefehlshaber an diese Küste
geführt worden sein, um die Hauptexpedition vorzubereiten. Daß darüber
sonst Stillschweigen herrscht, kann auch nicht befremden. Die arabische
Expedition des Gaius war so feierlich angekündigt und dann in so übler
Weise aufgegeben worden, daß loyale Berichterstatter alle Ursache
hatten, eine Tatsache zu verwischen, die nicht wohl erwähnt werden
konnte, ohne auch das Scheitern des größeren Planes zu berichten.
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Indes die Blüte des gesegneten Landes von Jemen war zu fest begründet,
um diesem Schlag zu erliegen; politisch hat es sogar vielleicht erst in
dieser Epoche sich straffer zusammengefaßt. Mariaba war, als die Waffen
des Gallus an seinen Mauern scheiterten, vielleicht nicht mehr als die
Hauptstadt der Sabäer; aber schon damals war die Völkerschaft der
Homeriten, deren Hauptstadt Sapphar etwas südlich von Mariaba auch im
Binnenland liegt, die stärkste des glücklichen Arabiens. Ein
Jahrhundert später finden wir beide vereinigt unter einem in Sapphar
regierenden König der Homeriten und der Sabäer, dessen Herrschaft bis
Mocha und Aden und, wie schon gesagt ward, über die Insel Sokotra und
die Küste von Somal und Sansibar sich erstreckt; und wenigstens von
dieser Zeit an kann von einem Reich der Homeriten die Rede sein. Die
Wüstenei nördlich von Mariaba bis zur römischen Grenze gehörte damals
nicht dazu und stand überhaupt unter keiner geordneten Gewalt ^71; die
Fürstentümer der Minäer und der Chatramotiten blieben auch ferner unter
eigenen Landesherren. Die östliche Hälfte Arabiens hat beständig einen
Teil des Persischen Reiches gebildet und niemals unter dem Szepter der
Beherrscher des glücklichen Arabien gestanden. Auch jetzt also waren
die Grenzen enge und sind es wohl geblieben; es ist wenig über die
weitere Entwicklung der Verhältnisse bekannt ^72. In der Mitte des 4.
Jahrhunderts war das Reich der Homeriten mit dem der Axomiten vereinigt
und wurde von Axomis aus beherrscht ^73, welche Untertänigkeit indes
späterhin sich wieder gelöst hat. Sowohl das Reich der Homeriten wie
das vereinigte axomitisch-homeritische stand als unabhängiger Staat in
der späteren Kaiserzeit mit Rom in Verkehr und Vertrag.
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^71 Der ägyptische Kaufmann unterscheidet den ένθεσμος βασιλεύς der
Homeriten (c. 23) scharf von den τύραννοι, den bald unter ihm
stehenden, bald unabhängigen (c. 14) Stammhäuptern, und ebenso scharf
diese geordneten Zustände von der Rechtlosigkeit der Wüstenbewohner (c.
2). Wenn Strabon und Tacitus für diese Dinge so offene Augen gehabt
hätten wie jener praktische Mann, so wüßten wir etwas mehr vom
Altertum.
^72 Der Krieg des Macrinus gegen die Arabes eudaemones (vita 12) und
die an Aurelian geschickten Boten derselben (vita 33), die neben denen
der Axomiten genannt werden, würden deren damals fortdauernde
Selbständigkeit beweisen, wenn auf diese Angaben Verlaß wäre.
^73 Der König nennt sich um das Jahr 356 (Anm. 58) in einer Urkunde
(CIG 5128) βασιλεύς Αξωμιτών καί Ομηριτών καί τού Ραειδάν (Schloß in
Sapphar, der Hauptstadt der Homeriten: Dillmann, Abhandlungen der
Berliner Akademie, 1878, S. 207) . . . καί Σαβαειτών καί τού Σιλεή
(Schloß in Mariaba, der Hauptstadt der Sabäer: Dillmann a. a. O.). Dazu
stimmt die gleichzeitige Sendung von Gesandten ad gentem Axumitarum et
Homerita[rum] (Cod. Theod. 12, 12, 2). Über die späteren Verhältnisse
vgl. besonders Nonnosus (FEIG 4 p. 179 Müller) und Prok. Pers. 1, 20.
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In dem Handel und der Schiffahrt haben die Araber des Südwestens der
Halbinsel auch später noch, wenn nicht mehr den Platz der Vormacht,
doch die ganze Kaiserzeit hindurch eine hervorragende Stelle
eingenommen. Nach der Zerstörung von Adane ist Muza die
Handelsmetropole dieser Landschaft geworden. Noch für die
vespasianische Zeit trifft die früher gegebene Darstellung im
wesentlichen zu. Der Ort wird uns in dieser Zeit geschildert als
ausschließlich arabisch, bewohnt von Reedern und Seeleuten und voll
rührigen kaufmännischen Treibens; mit ihren eigenen Schiffen befahren
die Muzaiten die ganze afrikanische Ost- und die indische Westküste und
verfrachten nicht bloß die Waren des eigenen Landes, sondern bringen
auch die nach orientalischem Geschmack in den Fabriken des Okzidents
gefertigten Purpurstoffe und Goldstickereien und die feinen Weine
Syriens und Italiens den Orientalen, hinwiederum den Westländern die
edlen Waren des Ostens. In dem Weihrauch und den sonstigen Aromen
müssen Muza und das Emporium des benachbarten Reiches von Hadramaut,
Kane, östlich von Aden, eine Art tatsächlichen Monopols immer behalten
haben; erzeugt wurde diese im Altertum sehr viel mehr als heute
gebrauchte Ware wie auf der südlichen arabischen, so auch auf der
afrikanischen Küste von Adulis bis zum “Vorgebirge der Arome”, dem Kap
Guardafui, aber von hier holten sie die Kaufleute von Muza, und sie
brachten sie in den Welthandel. Auf der schon erwähnten
Dioskorides-Insel war eine gemeinschaftliche Handelsniederlassung der
drei großen seefahrenden Nationen dieser Meere, der Hellenen, das heißt
der Ägypter, der Araber und der Inder. Von Beziehungen aber zum
Hellenismus, wie wir sie auf der gegenüberliegenden Küste bei den
Axomiten fanden, begegnet im Lande Jemen keine Spur; wenn die
Münzprägung durch okzidentalische Stempel bestimmt ist, so waren diese
eben im ganzen Orient gangbar. Sonst haben sich Schrift und Sprache und
Kunstübung, soweit wir zu urteilen vermögen, hier ebenso selbständig
entwickelt wie Handel und Schiffahrt, und sicher ist es dadurch mit
bewirkt worden, daß die Axomiten, während sie politisch die Homeriten
sich unterwarfen, später aus der hellenischen Bahn in die arabische
zurücklenkten.
In dem gleichen Sinn wie für die Beziehungen zu dem südlichen Afrika
und zu den arabischen Staaten und in erfreulicherer Weise ist in
Ägypten selbst für die Wege des Handelsverkehrs zunächst von Augustus
und ohne Zweifel von allen verständigen Regenten gesorgt worden. Das
von den früheren Ptolemäern auf den Spuren der Pharaonen eingerichtete
Straßen- und Hafensystem war, wie die gesamte Verwaltung, in den Wirren
der letzten Lagidenzeit arg heruntergekommen. Es wird nicht
ausdrücklich gemeldet, daß Augustus die Land- und die Wasserwege und
die Häfen Ägyptens wieder instand gesetzt hat; aber daß es geschehen,
ist darum nicht minder gewiß. Koptos ist die ganze Kaiserzeit hindurch
der Knotenpunkt dieses Verkehrs geblieben ^74. Aus einer kürzlich
aufgefundenen Urkunde hat sich ergeben, daß in der ersten Kaiserzeit
die beiden von danach den Häfen von Myos Hormos und von Berenike
führenden Straßen durch die römischen Soldaten repariert und an den
geeigneten Stellen mit den erforderlichen Zisternen versehen worden
sind ^75. Der Kanal, der das Rote Meer mit dem Nil und also mit dem
Mittelländischen Meer verband, ist auch in römischer Zeit nur in
zweiter Reihe, hauptsächlich vielleicht für den Transport der Marmor-
und Porphyrblöcke von der ägyptischen Ostküste an das Mittelmeer
benutzt worden; aber fahrbar blieb er durch die ganze Kaiserzeit.
Kaiser Traianus hat ihn erneuert und wohl auch erweitert - vielleicht
ist er es gewesen, der ihn mit dem noch ungeteilten Nil bei Babylon
(unweit Kairo) in Verbindung gesetzt und dadurch seine Wassermenge
verstärkt hat - und ihm den Namen des Traianus- oder des Kaiserflusses
(Augustus amnis) beigelegt, von welchem in späterer Zeit dieser Teil
Ägyptens benannt wurde (Augustamnica).
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^74 Aristeides (or. 48 p. 485 Dind.) nennt Koptos den indischen und
arabischen Stapelplatz. In dem Roman des Ephesiers Xenophon (4, 1)
begeben sich die syrischen Räuber nach Koptos; “denn dort passieren
eine Menge von Kaufleuten durch, die nach Äthiopien und Indien reisen.”
^75 Später legte Hadrian die “neue Hadriansstraße” an, welche von
seiner Antinoosstadt bei Hermopolis, wahrscheinlich durch die Wüste
nach Myos Hormos und von Myos Hormos am Meer hin, nach Berenike führte,
und versah sie mit Zisternen, Quartieren (σταθμοί) und Kastellen
(Inschrift: Revue archιologique N. S. 21, 1870, S. 314). Indes ist von
dieser Straße nachher nicht die Rede, und es fragt sich, ob sie Bestand
gehabt hat.
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Auch für die Unterdrückung der Piraterie auf dem Roten und dem
Indischen Meer ist Augustus ernstlich tätig gewesen; die Ägypter
dankten es ihm noch lange nach seinem Tode, daß durch ihn die
Piratensegel vom Meer verschwanden und den Handelsschiffen wichen.
Freilich geschah dafür bei weitem nicht genug. Daß die Regierung in
diesen Gewässern wohl von Zeit zu Zeit Schiffsgeschwader in Tätigkeit
setzte, aber eine ständige Kriegsflotte nicht daselbst stationierte;
daß die römischen Kauffahrer regelmäßig im Indischen Meer Schützen an
Bord nahmen, um die Angriffe der Piraten abzuweisen, würde befremden,
wenn nicht die relative Gleichgültigkeit gegen die Unsicherheit der
Meere überall, hier so gut wie an der belgischen Küste und an denen des
Schwarzen Meeres, wie eine Erbsünde dem römischen Kaiserregiment oder
vielmehr dem römischen Regiment überhaupt anhaftete. Freilich waren die
Regierungen von Axomis und von Sapphar durch ihre geographische Lage
noch mehr als die Römer in Berenike und Leuke Kome dazu berufen, der
Piraterie zu steuern, und es mag diesem Umstand mit zuzuschreiben sein,
daß die Römer mit diesen teils schwächeren, teils unentbehrlichen
Nachbarn im ganzen in gutem Einvernehmen geblieben sind.
Daß der Seeverkehr Ägyptens, wenn nicht mit Adulis, so doch mit Arabien
und Indien in derjenigen Epoche, welche der Römerherrschaft unmittelbar
vorherging, in der Hauptsache nicht durch die Ägypter vermittelt ward,
ist früher gezeigt worden. Den großen Seeverkehr nach Osten erhielt
Ägypten erst durch die Römer. “Nicht zwanzig ägyptische Schiffe im
Jahr”, sagt ein Zeitgenosse des Augustus, “wagten unter den Ptolemäern
sich aus dem Arabischen Golf hinaus; jetzt fahren jährlich 120
Kauffahrer allein aus dem Hafen von Myos Hormos nach Indien.” Der
Handelsgewinn, den der römische Kaufmann bis dahin mit dem persischen
oder arabischen Zwischenhändler hatte teilen müssen, floß seit der
Eröffnung der direkten Verbindung mit dem ferneren Osten ihm in seinem
ganzen Umfang zu. Dies ist wahrscheinlich zunächst dadurch erreicht
worden, daß den arabischen und indischen Fahrzeugen die ägyptischen
Häfen wenn nicht geradezu gesperrt, so doch durch Differenzialzölle
tatsächlich geschlossen wurden ^76; nur durch die Voraussetzung einer
solchen Navigationsakte zu Gunsten der eigenen Schiffahrt konnte diese
plötzliche Umgestaltung der Handelsverhältnisse herbeigeführt werden.
Aber der Verkehr wurde nicht bloß gewaltsam aus einem passiven in einen
aktiven umgewandelt; er wurde auch absolut gesteigert, teils infolge
der vermehrten Nachfrage im Okzident nach den Waren des Ostens, teils
auf Kosten der übrigen Verkehrsstraßen durch Arabien und Syrien. Für
den arabischen und den indischen Handel mit dem Okzident erwies sich
der Weg über Ägypten mehr und mehr als der kürzeste und der billigste.
Der Weihrauch, der in älterer Zeit großenteils auf dem Landweg durch
das innere Arabien nach Gaza ging, kam späterhin meistens zu Wasser
über Ägypten. Einen neuen Aufschwung nahm um die Zeit Neros der
indische Verkehr, indem ein kundiger und mutiger ägyptischer Kapitän,
Hippalos, es wagte, statt an der langgestreckten Küste hin vielmehr vom
Ausgang des Arabischen Golfs durch das offene Meer geradewegs nach
Indien zu steuern; er kannte den Monsun, den seitdem die Schiffer, die
nach ihm diese Straße befuhren, den Hippalos nannten. Seitdem war die
Fahrt nicht bloß wesentlich kürzer, sondern auch den Land- und den
Seepiraten weniger ausgesetzt. In welchem Umfang der sichere
Friedensstand und der zunehmende Luxus den Verbrauch orientalischer
Waren im Okzident steigerte, lassen einigermaßen die Klagen erkennen,
welche in der Zeit Vespasians laut wurden über die ungeheuren Summen,
welche dafür aus dem Reiche hinausgingen. Den Gesamtbetrag der jährlich
den Arabern und den Indern gezahlten Kaufgelder schlägt Plinius auf 100
(= 22 Mill. Mark), für Arabien allein auf 55 Mill. Sesterzen (= 12
Mill. Mark) an, wovon freilich ein Teil durch Warenexport gedeckt ward.
Die Araber und die Inder kauften wohl die Metalle des Okzidents, Eisen,
Kupfer, Blei, Zinn, Arsenik, die früher erwähnten ägyptischen Artikel,
den Wein, den Purpur, das Gold- und Silbergerät, auch Edelsteine,
Korallen, Krokusbalsam; aber sie hatten dem fremden Luxus immer weit
mehr zu bieten, als für ihren eigenen zu empfangen. Daher ging nach den
großen arabischen und indischen Emporien das römische Gold- und
Silbergeld in ansehnlichen Quantitäten. In Indien hatte dasselbe schon
unter Vespasian sich so eingebürgert, daß man es mit Vorteil dort
ausgab. Von diesem orientalischen Verkehr kam der größte Teil auf
Ägypten; und wenn die Steigerung des Verkehrs durch die vermehrten
Zolleinnahmen der Regierungskasse zugute kam, so hob die Nötigung zu
eigenem Schiffbau und eigener Kauffahrt den Wohlstand der Privaten.
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^76 Ausdrücklich gesagt wird dies nirgends, aber es geht deutlich aus
dem Periplus des Ägypters hervor. Er spricht an zahlreichen Stellen von
dem Verkehr des nicht römischen Afrika mit Arabien (c. 7. 8) und
umgekehrt der Araber mit dem nicht römischen Afrika (c. 17. 21. 31;
danach Ptol. geogr. 1, 17, 6) und mit Persien (c. 27. 33) und Indien
(c. 21. 27. 49); ebenso von dem der Perser mit Indien (c. 36) so wie
der indischen Kauffahrer mit dem nicht römischen Afrika (c. 14. 31. 32)
und mit Persien (c. 36) und Arabien (c. 32). Aber mit keinem Worte
deutet er an, daß diese fremden Kaufleute auch nach Berenike, Myos
Hormos, Leuke Kome kämen; ja wenn er bei dem wichtigsten Handelsplatz
dieses ganzen Kreises, bei Muza bemerkt, daß diese Kaufleute mit ihren
eigenen Schiffen nach der afrikanischen Küste außerhalb der Straße Bab
el Mandeb (denn das ist ihm τό πέραν) und nach Indien fahren, so kann
Ägypten unmöglich zufällig fehlen.
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Während also die römische Regierung ihre Herrschaft in Ägypten auf den
engen Raum beschränkte, den die Schiffbarkeit des Nils abgrenzt, und
sei es nun in Kleinmut oder in Weisheit, auf jeden Fall mit
folgerichtiger Energie weder Nubien noch Arabien jemals zu erobern
versuchte, erstrebte sie mit gleicher Energie den Besitz des arabischen
und des indischen Großverkehrs und erreichte wenigstens eine bedeutende
Beschränkung der Konkurrenten. Die rücksichtslose Verfolgung der
Handelsinteressen bezeichnet wie die Politik der Republik so nicht
minder, und vor allem in Ägypten, die des Prinzipats.
Wie weit überhaupt gegen Osten der direkte römische Seeverkehr gegangen
ist, läßt sich nur annähernd bestimmen. Zunächst nahm er die Richtung
auf Barygaza (Barôtsch am Meerbusen von Cambay, oberhalb Bombay),
welcher große Handelsplatz durch die ganze Kaiserzeit der Mittelpunkt
des ägyptisch-indischen Verkehrs geblieben sein wird; mehrere Orte auf
der Halbinsel Gudjarat führen bei den Griechen griechische Benennungen,
wie Naustathmos und Theophila. In der flavischen Zeit, in welcher die
Monsunfahrten schon stehend geworden waren, ist die ganze Westküste
Vorderindiens den römischen Kaufleuten erschlossen bis hinab zu der
Küste von Malabar, der Heimat des hoch geschätzten und teuer bezahlten
Pfeffers, dessen wegen sie die Häfen von Muziris (wahrscheinlich
Mangaluru) und Nelkynda (indisch wohl Nîlakantha, von einem der
Beinamen des Gottes Schiwa; wahrscheinlich das heutige Nîlêswara)
besuchten; etwas weiter südlich bei Kananor haben sich zahlreiche
römische Goldmünzen der julisch-claudischen Epoche gefunden, einst
eingetauscht gegen die für die römischen Küchen bestimmten Gewürze. Auf
der Insel Salike, der Taprobane der älteren griechischen Schiffer, dem
heutigen Ceylon, hatte in Claudius’ Zeit ein römischer Angestellter,
der von der arabischen Küste durch Stürme dorthin verschlagen worden
war, freundliche Aufnahme bei dem Landesherrn gefunden, und es hatte
dieser, verwundert, wie der Bericht sagt, über das gleichmäßige Gewicht
der römischen Münzstücke trotz der Verschiedenheit der Kaiserköpfe, mit
dem Schiffbrüchigen zugleich Gesandte an seinen römischen Kollegen
geschickt. Dadurch erweiterte sich zunächst nur der Kreis der
geographischen Kunde; erst später, wie es scheint, wurde die Schiffahrt
bis nach jener großen und produktenreichen Insel ausgedehnt, auf der
auch mehrfach römische Münzen zum Vorschein gekommen sind. Aber über
das Kap Komorin und Ceylon gehen die Münzfunde nur ausnahmsweise hinaus
^77, und schwerlich hat auch nur die Küste von Kornmandel und die
Gangesmündung, geschweige denn die hinterindische Halbinsel und China
ständigen Handelsverkehr mit den Okzidentalen unterhalten. Die
chinesische Seide ist allerdings schon früh regelmäßig nach dem Westen
vertrieben worden, aber, wie es scheint, ausschließlich auf dem Landweg
und durch Vermittlung teils der Inder von Barygaza, teils und
vornehmlich der Parther: die Seidenleute oder die Serer (von dem
chinesischen Namen der Seide, Ser) der Okzidentalen sind die Bewohner
des Tarim-Beckens, nordwestlich von Tibet, wohin die Chinesen ihre
Seide brachten, und auch den Verkehr dorthin hüteten eifersüchtig die
parthischen Zwischenhändler. Zur See sind allerdings einzelne Schiffer
zufällig oder erkundend wenigstens an die hinterindische Ostküste und
vielleicht noch weiter gelangt; der im Anfang des zweiten Jahrhunderts
n. Chr. den Römern bekannte Hafenplatz Kattigara ist eine der
chinesischen Küstenstädte, vielleicht Hang-tschau-fu an der Mündung des
Yang-tse-kiang. Der Bericht der chinesischen Annalen, daß im Jahre 166
n. Chr. eine Gesandtschaft des Kaisers An-tun von Ta- (das ist Groß)
Tsin (Rom) in Ji-Nan (Tongking) gelandet und von da auf dem Landweg in
die Hauptstadt Lo-yang (oder Ho-nan-fu am mittleren Hoang-ho) zum
Kaiser Hwan-ti gelangt sei, mag mit Recht auf Rom und den Kaiser Marcus
Antoninus bezogen werden. Indes dieser Vorfall und was die chinesischen
Quellen von ähnlichem Auftreten der Römer in ihrem Lande im Lauf des 3.
Jahrhunderts melden, wird kaum von öffentlichen Sendungen verstanden
werden können, da hierüber römische Angaben schwerlich fehlen würden;
wohl aber mögen einzelne Kapitäne dem chinesischen Hof als Boten ihrer
Regierung gegolten haben. Bemerkbare Folgen haben diese Verbindungen
nur insofern gehabt, als über die Gewinnung der Seide die früheren
Märchen allmählich besserer Kunde wichen.
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^77 In Bâmanghati (Distrikt Singhbhum) westlich von Kalkutta soll ein
großer Schatz Goldmünzen römischer Kaiser (genannt werden Gordian und
Konstantin) zum Vorschein gekommen sein (Beglar bei A. Cunningham,
Archaeological survey of India, Bd. 13, S. 72); aber ein solcher
vereinzelter Fund beweist nicht, daß der ständige Verkehr sich so weit
erstreckt hat. Im nördlichen China in der Provinz Schensi westlich von
Peking sollen neuerlichst römische Münzen von Nero an bis hinab auf
Aurelian zum Vorschein gekommen sein, sonst sind weder aus Hinterindien
noch aus China dergleichen Funde bekannt.
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Boden- und Geldwirtschaft der römischen Kaiserzeit
Die ökonomische Herrschaftsstellung Italiens, wie sie in den letzten
Jahrhunderten der Republik sich festgestellt hatte, zeigt sich in
dieser Epoche und über dieselbe hinaus im Stande des Beharrens und
fester noch gegründet als die politische Prärogative. Wenn der reichste
Mann der caesarischen Zeit, Marcus Crassus, auf 170 Millionen Sesterzen
geschätzt worden war, so sahen die folgenden Generationen darauf zurück
wie auf eine Zeit der Armut ^1. Mit dem Frieden, der auf die
Bürgerkriege folgte, kam eine Epoche der Fülle und des Reichtums, wie
die Republik sie nicht gekannt hatte. Als der Reichste unter Augustus
wird genannt Gnaeus Lentulus der Augur (Konsul 740 14) mit einem
Vermögen von 400 Mill. Sesterzen ^2. Das gleiche wird dem mächtigen
Freigelassenen des Claudius, Narcissus, zugeschrieben ^3. Das Vermögen
des Ministers Neros, Seneca, wird, allerdings von seinen Feinden, auf
300 Mill. geschätzt ^4, ebenso hoch das des gefeierten Sachwalters
unter Nero und Vespasian, Vibius Crispus, dessen Reichtum lange
sprichwörtlich blieb ^5. Am Ende des 3. Jahrhunderts warf Kaiser
Tacitus bei seiner Thronbesteigung sein fundiertes Privatvermögen von
280 Mill. Sesterzen in den Staatsschatz ein ^6. Noch am Anfang des 5.
Jahrhunderts bezogen die ersten senatorischen Häuser in der alten
Reichshauptstadt eine Jahresrente, die einem Kapital von mindestens 400
Mill. Sesterzen nach der älteren Rechnung gleichkam ^7. Wichtiger als
diese Angaben über ausnahmsweise große Vermögen sind einige andere,
welche die Mittelklasse der Aristokratie betreffen: ein Vermögen von 20
Mill. Sesterzen gilt unter Marcus als mäßiger Reichtum ^8; Familien mit
einem Vermögen von 100 Mill. Sesterzen werden im 5. Jahrhundert als
reiche zweiten Ranges betrachtet. Der senatorische Zensus von einer
Mill. Sesterzen ist also offenbar eine äußerste Grenze, welche bei der
Mehrzahl sicher ansehnlich überschritten ward. In den Angaben über das
im Jahre 746 (8) errichtete Testament eines begüterten Freigelassenen,
welcher außer seinen Liegenschaften über 4116 Sklaven, 3600 Paar
Ochsen, 257000 Schafe und 60 Mill. Sesterzen bar verfügt, treten die
einzelnen Bestandteile eines solchen Großvermögens an Ackerland, Weide
und Kapitaliengeschäft deutlich hervor ^9. Daß bei solchen
Vermögensbeständen die Reichen der oberen Klassen eine Herrenstellung
in den Ortschaften einnahmen, aus denen sie hervorgingen, und eine Art
von Hof und Gefolge sich um jeden von ihnen sammelte, ist erklärlich.
Sie stellen zum guten Teil durch ihre Freigebigkeit die öffentlichen
Gebäude, namentlich die Luxusanlagen, wie Theater, Bäder, Hallen her;
auf ihre Kosten schmausen die Bürgerschaften und leben die Klienten,
und auch in die besseren Kreise hinein reichen dergleichen Spenden. Der
jüngere Plinius unter Traianus, ein vermögender Senator, aber
keineswegs in dieser Hinsicht hervorragend, hat seiner Vaterstadt Comum
für die Gründung und Vermehrung einer öffentlichen Bibliothek, für die
Anlage und die Ausstattung eines Warmbades, zur Alimentation von
Kindern und zu öffentlichen Schmäusen teils bei Lebzeiten, teils im
Testament Zuwendungen im Gesamtbetrag von mindestens 5 Mill. Sesterzen
gemacht, außerdem in anderen Städten, zu denen er Beziehungen hatte,
Tempel und Hallen auf seine. Kosten gebaut und seinen Freunden, dem
einen zur Ausstattung der Tochter, dem andern zur Equipierung für den
Unteroffiziersdienst, dem dritten, um ihm den Eintritt in den
Ritterstand möglich zu machen, persönliche Geschenke bis zu 300000
Sesterzen gemacht. Diese durch die Individualität des Charakters und
der Beziehungen vielfach bedingte, aber im Wesen nicht persönliche,
sondern standesmäßig geforderte Liberalität ist für alle Zeiten von dem
vornehmen Römer und vor allem von dem Senator des Reiches geübt worden,
aber keineswegs zu allen Zeiten in gleicher Weise. Mit Sehnsucht
gedachten die Klienten der domitianischen Epoche der bessern Zeiten, wo
unter den Spenden dieser Art der Ritterring nichts Seltenes war ^10;
Gaius Piso, der Rivale Neros, dessen königliche Freigebigkeit
seinesgleichen nicht hatte, war gewohnt, jährlich einer gewissen Zahl
seiner Freunde den Ritterzensus zu schenken, so wie die Kaiser in
gleicher Weise senatorische Vermögen zu schenken pflegten ^11. “Es war
früher Sitte”, schreibt Plinius ^12 unter Traian, “daß wem ein Poet ein
Carmen widmete, ihm dafür eine Verehrung machte; jetzt aber ist mit
anderen stattlichen Dingen vor allem auch dies abgekommen, und es kommt
uns albern vor, uns feiern zu lassen.” Dies ist nur eine einzelne
Konsequenz einer tiefgreifenden sozialen Revolution ^13. Die Diarchie,
die Augustus begründet, die Samtherrschaft des Kaisers und des Senats,
offenbart sich auf diesem Gebiet noch energischer als in der
eigentlichen Politik. Die Epoche von der Actischen Schlacht bis zum
Vierkaiserjahr, das julisch-claudische Saeculum, bezeichnet Tacitus als
die Glanzzeit der römischen Aristokratie. Die alten reichen oder
erlauchten Häuser wetteiferten in großartigem Prunk; man warb noch um
die Stimmen der Bürgerschaft, um die Ehrenbezeugungen der Provinzen und
der abhängigen Könige, um eine stattliche Klientel. Das Rom der
augustischen und der claudischen Zeit erinnert vielfach an das der
Päpste und der Kardinäle des sechzehnten Jahrhunderts; das Kaiserhaus
war in der Tat nur das erste unter vielen strahlenden Gestirnen. Aber
dieser Wetteifer hatte vielfach den ökonomischen Ruin im Gefolge; die
Dezimierung der Aristokratie unter den nächsten Nachfolgern des
Augustus traf vorzugsweise die großen Vermögen und führte zu deren
Zertrümmerung; die neuen durch Vespasian aus den Landstädten nach Rom
verpflanzten Senatoren brachten die bürgerliche Sparsamkeit mit sich,
und die alten glänzenden Traditionen der Lentuler und der Pisonen
ersetzten sich nicht. Der Senat, dem Plinius und Tacitus angehörten,
ist wohl nicht minder reich gewesen wie derjenige, in dem Piso und
Seneca saßen; aber wie das Bewußtsein oder, wenn man will, die Illusion
des Mitregiments allmählich schwand und die Monarchie in allen ihren
Konsequenzen sich geltend machte, so kam auch die Vermögensverwaltung
der vornehmen Welt von fürstlicher Freigebigkeit und fürstlicher
Verschuldung zu dem gewöhnlichen bequemen und soliden Lebensgenuß des
festbegründeten Reichtums.
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^1 Plin. 13, 92.
^2 Sen. benef. 2, 27.
^3 Dio 60, 34.
^4 Tac. ann. 13, 42; Dio 61, 10.
^5 Mart. epigr. 4, 54, 7.
^6 vita 10.
^7 Die Angabe Olympiodors (p. 44 Müller), daß zahlreiche Häuser Roms je
4000 Pfund Gold (ανά τεσσαράκοντα χρυσού κεντηνάρια), ungerechnet die
etwa ein Drittel der Summe erreichenden Naturallieferungen, die Häuser
zweiten Ranges 1500 bis 1000 Pfund Gold an Einkünften bezogen hätten,
kann nur in der oben angegebenen Beschränkung richtig sein, da die
Einkünfte doch nicht von 1500 auf 4000 gesprungen sein werden. 4000
Pfund Gold Einkünfte geben nach alter Rechnung, das Goldpfund zu 4000
Sesterzen gerechnet und mit 5 Prozent kapitalisiert, ein Vermögen von
320 Mill. Sesterzen, wozu dann die Naturalabgaben kommen.
^8 In der lustigen Geschichte, die der Arzt Galenus (13 p. 636 Kühn)
“ohne Namen zu nennen” erzählt, von dem Römer, “der nicht mehr als 5
Mill. Denare Vermögen hat”, wird dieser medizinische Amateur, der es
unter seiner Würde hält, sich billiger Rezepte zu bedienen, keineswegs
als ein armer Mann bezeichnet, sondern vielmehr immer “der Reiche”
genannt, aber wohl entgegengesetzt den “noch viel Reicheren oder den
Königen”, welche mit recht teuren Rezepten zu versehen hier Galenus
seine Kollegen instandsetzt. Noch weniger dürfte aus der Anekdote bei
Epiktetos (diss. 1, 26, 11) gefolgert werden, daß ein Vermögen von 1½
Mill. Denaren jemals ernsthaft als Armut betrachtet worden ist. Ebenso
wird, wenn der jüngere Plinius (epist. 2, 4) von seinen modicae
facultates spricht, in Anschlag zu bringen sein, daß der gebildete
Reiche sich nicht gern selbst so nennt.
^9 Plin. epist. 33, 135. Ähnlich läßt Martialis (epigr. 4, 37) den
reichen Mann, der seine Gäste mit der Aufzählung seiner Reichtümer
langweilt, erst die an verschiedene Leute ausgeliehenen Summen,
zusammen etwa 3 Mill., aufführen, dann die Renten aus Häusern und
Grundstücken mit 3 Mill., dann die der Weiden von Parma mit 600000
Sesterzen. In einem anderen Epigramm 5, 13 vergleicht er sein
bescheidenes Dichterlos mit dem eines Reichen, dem die Kasten der
Freigelassenen, das heißt der städtischen Geschäftsleute, der Boden
Ägyptens und die Weiden von Parma zinsen.
^10 Mart. 14, 122.
^11 schol. Iuv. zu V, 109.
^12 epist. 3, 21.
^13 Tac. ann. 3, 55.
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Wenngleich bei der Ausdehnung des römischen Staates unter den Kaisern
und bei der Mannigfaltigkeit seiner Bestandteile die wirtschaftlichen
Fragen im besonderen nur nach diesen Bestandteilen einigermaßen
genügend gewürdigt werden können, so bleibt doch einmal auch noch in
dieser Periode Italien so sehr das herrschende Gebiet, daß dessen
wirtschaftliche Verhältnisse in gewissem Sinne immer noch die des
Reiches sind; andererseits aber sind doch als Ursache wie als Ergebnis
eine Reihe von Momenten hier zu verzeichnen, welche nur in einer
allgemeinen, Italien vorzugsweise, aber daneben das Reich überhaupt
berücksichtigenden Erörterung zu ihrem Rechte gelangen.
In erster Reihe steht hier der Gegensatz des großen und des kleinen
Bodeneigentums, wobei zunächst abzusehen ist von der wirtschaftlichen
Form der Nutzung. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der griechischen
wie der römischen Welt gehen vom Kleinbesitz aus und streben zum
Großbesitz; außer den allgemeinen, noch heute in gleicher Richtung
wirkenden Ursachen kommen hier noch besonders in Betracht die der
Bildung des Großkapitals förderliche Sklaveninstitution und die die
ganze alte Welt beherrschende Tendenz, die Rentenziehung durch
Grundbesitz als die sicherste und anständigste, der freien Entwicklung
des Mannes bürgerlich wie intellektuell günstigste zu betrachten. Diese
Richtung auf Steigerung des Großbesitzes waltet wie in der Gemeinde der
Stadt Rom so auch in der Reichsbürgerschaft der Kaiserzeit ohne
Unterschied der Provinzen; die Latifundien, wie die Großbesitzungen in
der Kaiserzeit genannt zu werden pflegen, bilden sich in Italien wie in
Gallien, Afrika, Syrien mit einer Notwendigkeit, die von dem
Naturgesetz sich kaum wesentlich unterscheidet. Daß die hierfür
maßgebenden Ursachen in der Kaiserzeit stärker wirkten als früher, wird
im allgemeinen nicht behauptet werden können.
Der Konzentrierung der Kapitalien in wenigen Händen war die spätere
Epoche der Republik und die augustische Zeit wahrscheinlich günstiger
als die folgenden Epochen, und der schnelle Wechsel der großen Häuser,
den im Gegensatz zu jener Periode die spätere Kaiserzeit aufweist, muß
notwendig eine, man möchte sagen periodische Zerschlagung der großen
Vermögen herbeigeführt und eine gewisse, allerdings in hohem Grade
bedenkliche Schranke gegen die Akkumulation des Großvermögens und
insbesondere des Großeigentums gebildet haben.
Sehr verständig hielt die Regierung daran fest, der faktischen
Konzentrierung des Grundbesitzes die rechtliche Geschlossenheit nicht
zu gewähren; die Gesetzgebung hielt unentwegt durch alle Krisen und
allen Verfall an dem Grundsatze fest, daß der Grundbesitz dem Verkehr
nicht auf die Dauer entzogen werden kann, und gibt sich nicht dazu her,
der Deszendenz den Grundbesitz des Aszendenten für die Zukunft zu
sichern. Daß dieser bei weitem nicht in ihrem vollen Inhalt gewürdigten
Aufrechthaltung der freien Veräußerung und der unbedingten Teilbarkeit
des Grundbesitzes die mangelhafte Geschlossenheit und die fortdauernde
Kleinbewirtschaftung auch des Großgrundbesitzes entgegenkommt, wird
weiterhin ausgeführt werden.
Nur in einer Richtung tritt mit der Einführung der Monarchie eine
wesentliche Abweichung von dem früher befolgten System ein: es betrifft
dies den Grundbesitz in toter Hand. Die Republik, insbesondere die
spätere, hat denselben in engen Grenzen gehalten, praktisch eigentlich
nur angewandt, um den Stadtgemeinden die ökonomische Existenz dauernd
zu sichern. Diese allerdings sind für ihre Ausgaben in republikanischer
wie in der Kaiserzeit in erster Reihe angewiesen auf die
Liegenschaften, von denen sie entweder einen festen Zins beziehen oder
die sie geradezu als Eigentümer im Wege der Verpachtung verwerten; und
ein beträchtlicher Teil des Bodeneigentums im ganzen Reich steht also
im Eigentum der städtischen Gemeinden oder auch der einzelnen, an diese
sich anlehnenden Korporationen. Aber für den Staat selbst besteht diese
Einrichtung nicht. Der Grundsatz der römischen Demokratie, daß das
Bodeneigentum des Staats wesentlich bestimmt sei, zum Kleinbesitz
aufgeteilt zu werden, wird in der Kaiserzeit in Italien vollständig
durchgeführt und auch in den Provinzen mehr und mehr realisiert, so daß
selbst das in denselben noch nicht aufgeteilte Land mehr als Bittbesitz
der zeitigen Inhaber denn als eigentlich auf die Dauer rentierendes
Staatsgut angesehen wird; wenigstens tatsächlich erscheinen die von dem
Provinzialboden an den Staat fließenden Bezüge nicht mehr als
Bodenrente, sondern als Steuer. Dagegen tritt mit der Monarchie
sogleich auch die Domäne ein, das heißt, das dem Inhaber des Prinzipats
zustehende und von ihm nach den Regeln des Privatrechts genutzte
Bodeneigentum wird dem Verkehr entzogen und dem jedesmaligen Nachfolger
zu gleichem Recht überwiesen. Den sehr verschlungenen Wegen, auf denen
die Umwandlung des Privateigentums des Prinzeps in Krongut
herbeigeführt worden ist, kann hier nicht nachgegangen werden;
rechtlich und tatsächlich stellt sich dies Verhältnis schon unter
Augustus fest und ist wahrscheinlich zunächst daraus hervorgegangen,
daß er Ägypten rechtlich als Nachfolger der Ptolemäer übernahm und der
hier uralte Begriff des für Rechnung des Landesherrn bewirtschafteten
Bodeneigentums sich dann auf das gesamte Reich übertrug.
Ziehen wir für die Großwirtschaft der Kaiserzeit im allgemeinen die
Summe, so zeigt diese eine stetige Zunahme derselben, welcher aber das
Korrektiv der freien Lösbarkeit nicht fehlt und als neues Moment das
Eintreten des “Ersten der Bürger” als des ersten Großgrundbesitzers ein
für allemal.
In Italien kamen verschiedene Momente hinzu, die den Großgrundbesitz in
besonderer Weise steigerten. Daß die vermögenden Leute von selbst
vorzugsweise nach der Hauptstadt oder wenigstens nach Italien zogen,
welches an den Annehmlichkeiten der hauptstädtischen Existenz bis zu
einem gewissen Grade teilhatte, versteht sich von selbst. Die
Bestimmung, daß die politische Laufbahn nur dem in Italien ansässigen
Reichsbürger eröffnet ward ^14, mußte, soweit der Provinziale rechtlich
zu derselben zugelassen war oder im Laufe der Zeit ward, geradezu als
eine an die angesehensten Familien daselbst gerichtete Aufforderung
erscheinen, ihren Wohnsitz nach Italien zu verlegen; und es ist davon
in immer steigendem Umfang Gebrauch gemacht worden. Daß diese
Übersiedelung mehr oder minder mit der Erwerbung italischen
Großgrundbesitzes verbunden war, liegt in der Sache; förmlich
vorgeschrieben ist es seit Traian, daß wenigstens der Senator den
dritten, später den vierten Teil seines Vermögens in italischem
Grundbesitz anzulegen hat ^15. Noch unmittelbarer griffen hier die
Bestimmungen ein, welche zunächst gerichtet waren gegen den
überschuldeten Grundbesitz und dafür den Weg gingen, das nicht
fundierte Kapital zur Fundierung zu zwingen, indem die verzinsliche
Anlage von Geldern in Rom und Italien nur bis zu einer gewissen Quote
des von dem Gläubiger in italischem Grundbesitz angelegten Kapitals
verstattet ward. Sie rühren her vom Diktator Caesar; unter Augustus,
wie es scheint, außer Anwendung gelassen, sind sie unter Tiberius im
Jahre 33 in großem Umfang durchgeführt worden, indem von dem Bankier
damals der Nachweis des doppelten fundierten Kapitals gefordert ward
und auf diese Weise ungeheure Summen zur Anlage in italischem
Grundbesitz genötigt wurden ^16. Daß diese Vorschriften späterhin außer
Kraft traten, berechtigt nichts anzunehmen; auf die Provinzialen sind
sie gewiß nicht erstreckt worden, sondern gehören zu den ökonomischen
Privilegien, in welche die alte Vormachtstellung Italiens in der
Kaiserzeit sich auflöst.
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^14 Da nach republikanischer Ordnung der Senator verpflichtet war, in
der Sitzung zu erscheinen, und für die Ladung bestimmte Vorschriften
bestanden, so wird die für die Munizipien bestehende Ordnung, daß das
Ratsmitglied in der Stadt oder doch innerhalb der Bannmeile wohnen muß
(Eph. epigr. II, 134), vermutlich altes Recht sein. Aber direkter
Gebrauch ist davon außer in besonders gefährlichen Zeiten (Liv. 36, 3;
43, 11) nicht gemacht worden; und schwerlich trat bei Zuwiderhandeln
eine andere Folge ein als die Löschung des Namens von der Liste. Ob
diese Bestimmung in der Kaiserzeit wieder aufgenommen ward, ist nicht
bekannt. Das Augustische Edikt, das dem Senator vorschrieb, Italien
nicht anders als nach eingeholtem Urlaub zu verlassen, welches später
zuerst für die aus Sizilien, dann im Jahre 49 auch für die aus der
Narbonensis gebürtigen Senatoren außer Kraft gesetzt ward, aber sonst
in Geltung blieb (Dio 52, 42; Tac. ann. 12, 23), hat wohl an jene
Vorschriften angeknüpft, aber ist rechtlich und mehr noch faktisch auf
jeden Fall eine Neuerung.
Daß mit der Erteilung des Ritterpferdes eine ähnliche Verpflichtung
verbunden war, ist sehr wahrscheinlich, nicht wegen der Notiz bei
Tacitus (ann. 6, 14), sondern wegen der Verwendung derselben bei den
Geschworenengerichten.
^15 Plin. epist. 6, 19; vita Marci 11.
^16 Suet. Tib. 48. Tac. ann. 6, 17, wo die Interpunktion zu ändern ist:
hinc inopia rei nummariae commoto simul omnium aere alienor et quia tot
damnatis (nicht infolge der von den Wechslern vorgenommenen
Kreditbeschränkung, sondern infolge der Seianischen Prozesse) bonisque
eorum divenditis signatum argentum fisco vel aerario attinebatur, ad
hoc senatus praescripserat duas quisque fenoris partes in agris per
Italiam collocaret (d. h. da das bare Geld augenblicklich knapp war,
war das Maß der Possessionen hoch gegriffen, in der Voraussetzung, daß
der einzelne verschuldete Besitzer für seine Schulden seine Grundstücke
leisten werde), debitores totidem aeris alieni statim solverent (dieser
Satz ist sachlich aus Sueton hinzuzunehmen, vielleicht sogar bei
Tacitus bloß ausgefallen). Dies schlug aber fehl. Die Kreditoren
forderten trotz dessen die vollen Beträge, und ihres Kredits wegen
wagten die Schuldner sich nicht auf das Moratorium zu stützen; borgen
aber konnten sie nicht, da die Bankiers ihr bares Kapital für die ihnen
aufgezwungenen Käufe nötig hatten, und verkaufen nur unter dem Preis,
teils da allzu viel Grundstücke zugleich auf den Markt kamen, teils wer
verkaufen mußte, schlechte Preise bedang. Da trat der Kaiser ein, indem
er den bedrängten Grundbesitzern bei gehöriger Sicherheitsstellung den
Betrag von 100 Mill. Sesterzen (22 Mill. Mark) auf drei Jahre
unverzinslich hingab.
Übrigens kann die Bestimmung unmöglich allgemein gewesen sein; auf
jeden Fall richtete sie sich nicht gegen den Geschäftsmann überhaupt,
sondern gegen Senatoren und Ritter und war vielleicht förmlich auf
diese beschränkt. Durchführbar war sie insofern, als dem Kläger, dem
vor den Geschworenen der Nachweis gelang, daß jemand mehr Geld verborgt
als fundiert habe, eine bedeutende Geldbelohnung ausgesetzt war.
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Wenn also in Italien der Großgrundbesitz früher als in den Provinzen
und in stärkerem Verhältnis den Kleinbesitz überwog, so gilt von dem
Domanialbesitz das Umgekehrte, sofern darunter das werbende Gut
verstanden wird. Die kaiserlichen Luxusbesitzungen finden sich
selbstverständlich vorzugsweise in Italien, vor allem natürlich in Rom
selbst sowie in der Umgegend der Hauptstadt und in der Badegegend von
Baiae, wo kein beliebter Villeggiaturort ohne kaiserliche Villen ist
und manche derselben, wie die von Alba, Antium, Tibur, Baiae, an Umfang
den Städten, an Pracht dem städtischen Kaiserpalast nicht nachstanden.
Aber der eigentlich wirtschaftliche Domanialbesitz ist in Italien wohl
auch in stetigem Zunehmen, aber doch verhältnismäßig untergeordnet
gewesen und geblieben ^17. Es muß durch Erbschaft und Konfiskation und
sonst eine Masse italischen Großgrundbesitzes vorübergehend
kaiserliches Eigentum geworden sein, wie denn auch derartige
Massenverwaltungen mehrfach begegnen ^18; aber allem Anschein nach hat
der Fiskus den vermutlich gering rentierenden italischen
Großgrundbesitz regelmäßig wiederveräußert. Nur die offenbar sehr
einträglichen großen Ziegeleien in der Nähe Roms und an anderen
geeigneten Orten Italiens sind allmählich in großem Umfang in
kaiserlichen Besitz gekommen und im Domanialgut festgehalten worden.
Die relative Geringfügigkeit des Domanialbesitzes in Italien und das
Fehlen großer und außerhalb des Munizipalverbandes stehender
Domanialverwaltungen darf auch zu den ökonomischen Privilegien gezählt
werden, die Italien wenigstens bis auf Severus genoß. Die ungeheure
Steigerung, welche die Domanialwirtschaft durch diesen Kaiser erfuhr,
hat sich wahrscheinlich auch auf Italien erstreckt, unter dem überhaupt
die privilegierte Stellung Italiens anfängt zu schwinden. Im vierten
Jahrhundert steht in der Domanialverwaltung Italien auf einer Stufe mit
den übrigen Reichsgebieten und zeigt sich auch auf diesem Gebiet dessen
Einreihung unter die Provinzen.
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^17 Wenn Tacitus (ann. 4, 7) für das frühere Regiment des Tiberius
rühmend die rari per Italiam Caesaris agri hervorhebt, so ist der
Gegensatz dazu wohl weniger der dauernde italische Domanialstand der
späteren Zeit als die Epoche der Seianischen Konfiskationen. Es fehlt
nicht an vorseverischen Zeugnissen für kaiserliche Domänen in Italien,
auch abgesehen von dem Luxusbesitz und den Figlinen. Beide
Alimentarurkunden, die von Benevent wie die von Veleia, nennen den
Kaiser mehrfach unter den adfines. Die saltus Galliani der achten
Region (Plin. nat. 3, 15, 118) sind kaiserlicher Großbesitz und werden
von Plinius unter den Gemeinden aufgezählt; sie sind offenbar der Kern
der res privata regionis Ariminensium oder Flaminiae, die später in
Italien am meisten hervortritt (Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S.
45).
Die Sommerweiden in Samnium sowie die darauf befindlichen großen
Schafherden standen wenigstens unter Marcus im kaiserlichen Besitz (CIL
IX, 2438). Von den dazugehörigen apulischen Winterweiden muß dasselbe
gegolten haben, vielleicht bezieht sich darauf der procurator
s(altuum?) A(pulorum?) CIL IX, 784 und der procurator regionis
Calabricae CIL X, 1795 und ist der spätere procurator rei privatae per
Apuliam et Calabriam sive saltus Carminianensis (Not. occ. 12, 18)
daraus hervorgegangen; wenigstens gehört der saltus gewiß in ältere
Zeit. Überdies war natürlich auch mit den nicht zunächst für den Ertrag
eingerichteten Villen immer eine gewisse Wirtschaft verbunden.
^18 Der procurator ad bona Plautiani (CIL III, 1464) und später der
comes Gildoniaci patrimonii (Not. occ. 12, 5); andere Beispiele bei
Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 25 (2. Aufl., S. 126 ff., vgl.
Beiträge zur alten Geschichte, Bd. 2, S. 287ff.). Diese Massen werden
italischen Grundbesitz wenigstens mit umfaßt haben.
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Langsamer als in Italien, aber nicht minder stetig steigert sich der
Großgrundbesitz in den Provinzen. Was über die einzelnen zu bemerken
ist, ist in den betreffenden Abschnitten dargelegt; hier mag nur, um
den Umfang derselben, der auch und vor allem ein politischer Faktor
ist, einigermaßen zu veranschaulichen, eine der Diatriben stehen,
welche einer, der die Dinge kannte und der vor allem sich selber
predigte, der Minister Neros, Seneca (epist. 89, 20), in dieser
Hinsicht vorbringt: “Vernehmt, ihr reichen Männer, einmal ein ernstes
Wort, und weil der einzelne davon nichts hören mag, so sei es
öffentlich gesagt. Wo wollt ihr euren Besitzungen die Grenzen setzen?
Der Bezirk, der einst eine Gemeinde faßte, dünkt jetzt dem einen
Grundherrn eng. Wie weit wollt ihr eure Ackerfluren ausdehnen, wenn für
die einzelne Wirtschaft der Raum einer Provinz euch zu klein scheint?
Namhafte Flüsse nehmen ihren Lauf durch eine einzige Privatbesitzung
und große völkerscheidende Ströme sind von der Quelle bis zur Mündung
eines und desselben Eigentümers. Ihr seid nicht zufrieden, wenn euer
Grundbesitz nicht Meere umschließt, wenn nicht jenseits des
Adriatischen und des Ionischen und des Ägäischen Meeres euer Meier
ebenfalls gebietet, wenn nicht die Inseln, die Heimaten der gefeierten
Helden der Sage unter euren Besitzungen beiläufig figurieren und was
einst ein Reich hieß, jetzt ein Grundstück ist.” Das ist wohl Rhetorik,
aber auch Wahrheit. Im übrigen soll hier im allgemeinen nur darauf noch
hingewiesen werden, daß der Großgrundbesitz nicht bloß das ganze Reich
in immer steigendem Maße beherrschte, sondern auch sich zu einer
gewissen Gleichartigkeit entwickelte und insofern ohne Zweifel einer
der mächtigsten Träger der nivellierenden Zivilisation der Kaiserzeit
gewesen ist. Indem teils das italische Großkapital auch in den
Provinzen Grundeigentum erwirbt, teils die durch Reichtum
hervorragenden provinzialen Familien mehr und mehr nach Rom gezogen
werden, stellt sich für den Großgrundbesitz des ganzen Reiches in der
Wirtschaft wie im Luxus eine gewisse Gleichförmigkeit ein, die mehr
durch die örtliche Bedingtheit als durch die verschiedene
Lebensgewohnheit der Besitzer eingeschränkt wird. Das afrikanische
Herrenhaus hatte seine Palmen für sich wie das rheinische seine
Heizeinrichtungen; aber die Darstellungen des vornehmen Landlebens, wie
sie kürzlich im Tal des Rummel in Numidien ^19 in den Mosaiken des
dazugehörigen Badegebäudes zum Vorschein gekommen sind, der prachtvolle
getürmte Palast, der schattige Garten, in dem die Dame des Hauses
sitzt, der Stall mit edlen Rennpferden, das Jagdgehege, die berittenen
Jäger mit ihren Hunden und die zuschauenden Damen, die Fischteiche, die
Literaturecke (filosofi locus) gehören nicht der afrikanischen, sondern
der gesamten Reichsaristokratie gleichmäßig an, und die Gegenstücke
dazu finden sich in allen Provinzen. Ebenso muß, je mehr die
Großgrundbesitzer aufhörten, Provinzialen zu sein, auch die
Wirtschaftsweise sich ins Gleiche gesetzt haben. Auch die agronomischen
Schriften der Epoche zeigen dies; Columella unter Nero schreibt
zunächst für das italische Landgut, aber die Abweichungen der
Wirtschaft in Baetica, Gallien, Kilikien, Syrien, Ägypten, Numidien
sind ihm völlig geläufig und werden öfters erwähnt. Es waren zumeist
Fremde, überwiegend Italiener, welche im Auftrag der Eigentümer überall
den Betrieb leiteten und mehr oder minder die örtliche Wirtschaftsweise
durch die allgemeine, im ganzen wohl rationellere ersetzten. Die
unbegreiflich rasche und intensive Romanisierung Afrikas in der
Kaiserzeit hängt ohne Zweifel damit zusammen, daß der Großgrundbesitz
wohl in keiner zweiten Provinz sich mit gleicher Energie entwickelt
hat.
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^19 CIL VIII, 10889-10891.
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Wie der kaiserliche Großgrundbesitz provinzialen Ursprungs zu sein
scheint, so hat er auch hauptsächlich in den Provinzen seinen Sitz
gehabt, insbesondere in dem prokonsularischen Afrika, worüber in dem
betreffenden Abschnitt gehandelt ist. Dabei spielten in den Provinzen
die Bergwerke und die Marmorbrüche dieselbe Rolle wie in Italien die
Ziegeleien: sie standen dem Rechte nach unter denselben Regeln wie
jedes andre Bodeneigentum, aber die Kaiser strebten dahin, dieselben
dem Domanialbesitz einzuverleiben, und es ist dies allmählich in allen
Provinzen in weitem Umfang durchgeführt worden. Im allgemeinen ist auch
hier hervorzuheben die ungeheure quantitative Ausdehnung des
Domanialguts, welche unter Severus eingetreten ist, wozu allerdings die
Massenkonfiskation wesentlich beigetragen hat, die der Kaiser der
illyricanischen Soldaten gegen die beiden rivalisierenden und
überwundenen Militärparteien verfügte, die aber doch in der Hauptsache
als eine konstitutive Änderung der Finanzorganisation aufzufassen ist,
gewissermaßen als Emanzipation der Regierung von den Steuererträgen
durch Ersetzung derselben durch den Ertrag der neu geschaffenen
Domänen. In welchem Umfang dies geschehen ist, davon gibt einigermaßen
einen Begriff, daß für das neue Domanialgut (res privata principis) ein
zweiter dem des bisher bestehenden (patrimonium principis) in der
Rangordnung vorgehender Oberdirektor eingesetzt ward, dessen
administrative Bedeutung in dem Gehalt von 300000 Sesterzen (65000
Mark), dem höchsten mit einer kaiserlichen Prokuration verbundenen,
ihren Ausdruck findet und aus dem in den Ordnungen des 4. Jahrhunderts
der eine der beiden Reichsfinanzminister hervorgegangen ist.
Je mehr der Rückgang des Kleinbesitzes im Lauf der natürlichen
Entwicklung lag, desto entschiedener ist er zu allen Zeiten als
nachteilig für das Gemeinwesen erkannt worden: man sah darin weit mehr
den Verfall der guten alten Ordnung als die natürliche Entwicklung der
Dinge; und es gilt dies von der Kaiserzeit nicht minder wie von
derjenigen der Gracchen. Es ist ein wohlunterrichteter Schriftsteller,
ein erfahrener Beamter aus der Zeit Vespasians, der die damaligen
Verhältnisse in die Worte zusammenfaßt, daß der Großgrundbesitz Italien
zugrunde gerichtet habe und jetzt im Zuge sei, die Provinzen ebenfalls
zugrunde zu richten. Inwieweit in dieser Epoche versucht worden ist,
das Einschwinden des Kleinbesitzes zu hemmen, ist nur. darzulegen.
Eins der wichtigsten Momente in dieser Hinsicht ist bereits erwähnt
worden: die Rückbildung des Großgrundbesitzes zum Kleinbesitz ist nicht
bloß gesetzlich offengehalten worden, sondern hat auch auf natürlichem
Wege sich in nicht unbedeutendem Maße vollzogen. Der römische
Großgrundbesitz ist in weit höherem Grade fluktuierend gewesen als der
heutige, nicht bloß weil er nie zu rechtlicher Geschlossenheit und nur
annähernd zu örtlicher gelangt ist, sondern auch weil der durch
Übertragungssteuern gar nicht und durch die Sitte wenig beschränkte
Besitzwechsel und die fortdauernde Kleinwirtschaft in zahlreichen
Fällen vom Groß- zum Kleinbesitz führte. Erbteilung und Konkurs,
Einzelverkauf und Einzelschenkung müssen häufig die Auflösung
bestehender Güterkomplexe oder die Ablösung einzelner Parzellen
herbeigeführt haben. Die weit über die heutige Sitte hinausgehende
Häufigkeit der Vermächtnisse, namentlich auch zu Gunsten abhängiger
Leute, hat vermutlich oft den Kleinbesitz begründet; wenn auch
meistenteils dieselben in Geld oder beweglichem Gut gegeben wurden, so
wird doch mancher vermögende Mann diesem oder jenem Besitzlosen ein
Gütchen hinterlassen haben ^20. Selbst das bäuerliche Emporarbeiten
durch den Fleiß und das Geschick der Hände zu eigenem Besitz ist nicht
ausgeschlossen. Ein solcher aus Afrika berichtet uns in ebenso
ungeschickten wie ehrlichen Versen ^21, wie er erst als gemeiner
Schnitter zwölf Jahre, dann elf weitere als Vormann der Schnitterschar
unter der glühenden Sonne gearbeitet habe und so dazu gelangt sei, ein
eigenes Stadt- und Landhaus in einer der kleinen dortigen Landstädte zu
erwerben und sogar in den Rat derselben und zu Ämtern und Würden zu
gelangen. Er ist sicher nicht der einzige seines Schlages gewesen. Wenn
die römische Demokratie davon ausgegangen ist, die Steigerung des
Kleinbesitzes auf mehr oder minder revolutionärem Wege herbeizuführen,
so haben wenigstens die Anhänger des Prinzipats dessen demokratische
Herkunft nicht verleugnet, ja dergleichen Maßregeln in Italien in einer
Weise durchgeführt, vor denen Gaius Gracchus und Caesar selbst
erschrocken sein würden.
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^20 Auf der Alimentarurkunde von Veleia sind die meisten kleinen
Grundeigentümer nicht im Besitz einheitlicher alter Erbgüter, sondern
solcher, die aus Mengstücken zusammengesetzt und wahrscheinlich aus
einem Großgrundbesitz ausgeschieden sind.
^21 Eph. epigr. V, p. 277 [CIL VIII, S. n. 118241.
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Die italischen Landanweisungen nach dem Sieg des Dreiherrn Antonius wie
des Caesars bei Philippi und weiter nach dem Siege Caesars über
Antonius bei Actium erfolgten auf Kosten des Privateigentums und gingen
insofern einen sehr verschiedenen Weg; aber das Ergebnis, man darf
vielleicht hinzusetzen das Ziel war das der Gracchischen Bewegung: es
wurden nicht bloß die Besitzer gewechselt, sondern es trat vielfach an
die Stelle des im Laufe der Zeit entwickelten Großgrundbesitzes
wiederum der Kleinbesitz der Adsignation. Wenn Augustus in seinem
Rechenschaftsbericht mit Stolz hinweist auf die 28 volkreichen und
blühenden italischen Städte, die von ihm gegründet seien und zu denen
noch zehn bis zwölf andere in der gleichen Zeit anderweitig gegründete
hinzutreten, so darf dies allerdings, was auch sonst darüber geurteilt
werden möge, als eine wirksame Steigerung des italischen Kleinbesitzes
bezeichnet werden.
Aber auf dem gleichen revolutionären Weg konnte Augustus selbst nach
der Konstituierung des Prinzipats und konnten die späteren Herrscher
nicht fortgehen. Je mehr der Prinzipat aus der Revolution
hervorgegangen war, desto mehr war es Lebensbedingung für denselben,
die Revolution zu schließen; das Privateigentum ist nie heiliger
gehalten worden als in dem Italien des Prinzipats. Nicht einmal die
Feldherren, welche mit den provinzialen Heeren sich die Herrschaft in
Italien erstritten, Vespasian und Severus, haben daran gerührt. Damit
waren umfassende Maßregeln zur Herstellung von Kleinbesitz für Italien
ausgeschlossen. Wohl waren bei diesen Adsignationen mehr oder minder
bedeutende Stücke nicht zur Verteilung gelangt, andere durch erblosen
Abgang des Empfängers erledigt. Grundstücke dieser Art scheinen es
gewesen zu sein, welche Nero in Antium und Tarent, Vespasian in
Lavinium, Paestum, Reate zur Verteilung gebracht hat. Nachdem dann
Vespasian den größten Teil dieser Reste entweder verkauft oder
adsigniert und Domitianus endlich alle derartigen noch übrigen
meistenteils steinigen Ländereien den Inhabern zu vollem Eigentum
überlassen hatte, gab es Staatsländereien, die zur Verteilung hätten
gebracht werden können, in Italien überall nicht mehr. Parzellierung
der kaiserlichen Domänen oder angekauften Landes wäre möglich gewesen;
aber soviel wir wissen, ist dazu nichts geschehen. Die Gründung neuen
Kleinbesitzes in Italien durch die Regierung hat damit überhaupt ein
Ende.
In den Provinzen dagegen ist das Gracchische System von dem Prinzipat
ein für allemal adoptiert und danach stetig neuer Kleinbesitz ins Leben
gerufen worden. Unentwegt hielt man fest an der Theorie, daß alles
nicht von den römischen Behörden adsignierte Land im Eigentum des
Staats oder des Kaisers stehe, und wenn auch dessen Ausübung zunächst
praktisch ruhte, die derzeitigen Okkupanten jederzeit ausgetrieben und
das Land an Kolonisten adsigniert werden könne. In der praktischen
Ausführung ist auf diesem Wege sowohl in der Form der Adsignation
innerhalb einer bestehenden Stadtgemeinde, wie im Wege der
Koloniegründung in den Provinzen Kleinbesitz in das Leben gerufen
worden. Allerdings ist dabei wohl in manchen Fällen nur ein
Besitzwechsel eingetreten, insofern der angesiedelte Mann römischen
oder latinischen Rechts an die Stelle eines peregrinischen Vorbesitzers
trat; aber der Großbesitz und das Ödland, vielleicht auch die Domäne
werden doch vielfach für diese Adsignationen den Boden geliefert haben.
Wir werden uns aber von der Vermehrung, die durch die provinziale
Landanweisung dem Kleinbesitz des Reiches erwuchs, keine allzu
übertriebene Vorstellung machen dürfen. Der Gedanke, den Augustus
ursprünglich gefaßt zu haben scheint, die Veteranenversorgung
namentlich des Legionärs dadurch zu bewirken, daß ihm eine Bauernstelle
zugeteilt ward, ist schon von ihm selbst wieder aufgegeben und in eine
Geldzahlung umgewandelt worden, die wohl nur in der Minderzahl der
Fälle zur Erwerbung von Kleinbesitz geführt hat; es muß sich wohl als
unausführbar erwiesen haben, aus dem Veteranen nach dem Ablauf der
langen Dienstjahre durchgängig einen existenzfähigen Kleinbesitzer zu
machen. Es wird daher die direkte Anweisung von provinzialem Landbesitz
wohl nur da mit der Dienstentlassung verbunden gewesen sein, wo
ausnahmsweise bessere Bedingungen gewährt werden konnten.
In Ermangelung irgendwelcher anderen Zahlen, die das Verhältnis von
Groß- und Kleinbesitz uns veranschaulichen könnten, mag erwähnt werden,
daß unter Traian, nach Ausweis der Alimentarurkunden, im
Beneventanischen das etwa in augustischer Zeit von 90 Kleinbesitzern
bewirtschaftete Ackerland in 50 Händen war, von denen zwei ein
Rittervermögen, neun zwischen 400000 und 100000 Sesterzen, die übrigen
ein Vermögen unter 100000 Sesterzen besaßen, soweit dies Vermögen bei
jenen Verpfändungen berücksichtigt worden ist. In der Aemilia dagegen
stellen sich die Verhältnisse viel ungünstiger: unter 52 Grundbesitzern
hat ein Fünftel Ritterzensus oder mehr, ungefähr ein Drittel zwischen
400000 und 100000 Sesterzen, etwa die Hälfte unter 100000 Sesterzen;
auch die Zahl der ursprünglichen Besitzungen, aus welchen jene 52
Besitzkomplexe hervorgegangen waren, muß verhältnismäßig sehr viel
größer gewesen sein, als sie in der beneventanischen Tafel sich
darstellt. Es zeigt sich hier ein überhaupt sehr beträchtliches, in dem
reicheren nördlichen Italien geradezu erdrückendes Übergewicht des
Großbesitzes; untergegangen aber ist der Kleinbesitz doch nirgends und
in den weniger der Spekulation unterworfenen abgelegenen Landschaften
Italiens noch immer ein wesentliches Element der Bevölkerung.
Die Bodennutzung richtet sich in erster Reihe auf den Ackerbau mit
Einschluß des Wein- und des Ölbaus und der ähnlichen Nutzungen. Daß in
dem mehrhundertjährigen sicheren Frieden, den die Monarchie brachte,
der Feldbau, und insbesondere der italische, im großen und ganzen
genommen in blühendem Zustande gewesen ist, unterliegt keinem Zweifel.
Die Einmischung des Staats in den Verkehr durch die Übernahme der
Versorgung der Hauptstadt war ohne Zweifel ein wirtschaftlicher Fehler;
Augustus hat dies unumwunden anerkannt und ausdrücklich erklärt, daß
nur politische Rücksichten ihn bestimmten, daran festzuhalten ^22. Ohne
Zweifel wäre Ackerbau und Handel dadurch gefördert worden, wenn die
Versorgung Roms mit Getreide dem freien Verkehr wiedergegeben worden
wäre. Aber einmal, Rom war doch nicht das Reich, und nicht für den
ganzen Staat spielt der Herrscher in dieser Weise die Vorsehung.
Andererseits hatte die Einfuhr überseeischen Getreides namentlich nach
Rom mit ihren Konsequenzen sich bereits früher festgestellt und war
sogar durch die Lage und die Entwicklung der Hauptstadt wenigstens
nachträglich bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt; das Korn, das
die ackerbauend bleibenden Landschaften der Halbinsel liefern konnten,
muß der Konsum des übrigen Italien mehr als absorbiert haben. Wein und
Öl waren fortdauernd Quellen reichen Gewinns. Auch der Ackerbau der
Provinzen, wo in den sonst fruchtbarsten Gegenden, in Ägypten und
Numidien, Wein- und Ölbau zurücktraten, muß immer lohnend gewesen sein:
es ist nicht selten von teuren Kornpreisen, nur ausnahmsweise von
besonders niedrigen die Rede, so daß im ganzen wohl eher zu wenig als
zu viel produziert ward. Die Wirtschaft ist entweder Guts- oder
Bauernwirtschaft. Es wird notwendig sein, beide gesondert zu
betrachten.
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^22 Die merkwürdige Nachricht bei Suet. Aug. 42 darf nicht auf den
italischen Ackerbau allein bezogen werden, sondern nur auf den des
ganzen Reiches. Wären die frumentationes publicae in Rom aufgehoben
worden, so würde dies den Ackerbau nicht bloß in Italien, sondern
ebenso und vielleicht mehr in Sizilien, Sardinien, Afrika belebt haben;
die Vernachlässigung des Ackerbaus in Verlaß auf den Staat, welche
Augustus beklagt, trifft also ebensosehr die Provinzen, und darum nimmt
auch Augustus Rücksicht auf die Grundbesitzer und die Kaufleute
(negotiantes). Die magna sterilitas, welche Augustus zu diesen
Äußerungen veranlaßte, konnte immer wiederkehren, mochte auch der
italische Ackerbau noch so sehr gedeihen.; aber wenn der Ackerbau
allgemein zunahm und der Verkehr sich frei vollzog, war Hoffnung
vorhanden auf Ausgleichung.
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Die von Columella und Varro geschilderte und gepriesene Gutswirtschaft,
in unseren Beispielen gestellt auf einen Besitz von 200 Morgen und etwa
zehn Feldarbeiter, ist insofern Selbstwirtschaft des Besitzers, als
dieser zwar der Regel nach in der Stadt lebt, aber häufig auf das
Landgut hinauskommt und den die Wirtschaft unmittelbar leitenden
unfreien Meier (vilicus) stetig anweist und beaufsichtigt; die
eigentliche Arbeit beschafft dieser mit den vom Eigentümer gestellten
Sklaven. Auf größeren Grundbesitz ist diese Wirtschaftsform nicht
anwendbar, da der Meier alsdann die Aufsicht nicht in genügender Weise
führen kann; es wird in diesem Fall der Besitz in entsprechende Bezirke
geteilt und jeder derselben gesondert verwaltet ^23. Diese Wirtschaft
ist jetzt in vollem und unvermeidlichem Verfall; den Landwirten dieser
Zeit, vor allem Columella, erscheint sie allerdings noch als
Musterwirtschaft und wird von ihnen zugrunde gelegt, aber in der Tat
als eine gewesene Institution oder als ein unerreichbares Ideal. In der
Tat ist sie mit den realen Verhältnissen nicht mehr in Einklang zu
bringen. Güterkomplexe von der Ausdehnung und Zerstreuung durch ganz
Italien und oft genug noch durch manche Provinzen, wie sie in der
Kaiserzeit sich gestalteten, ließen diese Art der Selbstbewirtschaftung
nicht mehr zu; sie konnte nur fortgeführt werden, indem an die Stelle
des Herrn dessen unfreier Geschäftsführer (actor) trat, und damit war
ihr Wesen zerstört. “Wer ein entlegenes oder gar ein überseeisches
Landgut kauft”, sagt Columella ^24, “der tritt in der Tat sein Hab und
Gut seinen Sklaven ab, die durch die Abwesenheit des Herrn notwendig
verdorben werden, und wenn sie also verdorben sind und gewechselt
werden sollen, das Gut plündern und zugrunde richten.” Dazu kam das
allgemeine Erschlaffen der Springfedern des menschlichen Daseins. Die
vornehme Weit dieser Epoche war sehr viel reicher als die der späteren
Republik, und unendlich viel gleichgültiger gegen die Mehrung des
Besitzes; der dem gewaltigen Ringen der republikanischen Welt fern
liegende Gedanke, daß der Mensch von allem genug haben könne, machte
wie im Senatssaal so auch in der Vermögensverwaltung sich geltend; die
Ehre und die Freude an der möglichst besten Ausnutzung auch der
Glücksgüter, mächtigere Triebe vielleicht im gewerblichen Leben als das
unmittelbare Bedürfnis, schwanden aus dieser müden Welt. Von der
anerkannten Tatsache des allgemeinen Rückgangs des Bodenertrags in
Italien geht Columella aus. Es ist bezeichnend für die unter dem
Prinzipat herrschenden Stimmungen, daß bei den Landwirten, wenn sie
ihre Bilanzen zogen, die Meinung Geltung gewann von der Erschöpfung des
italischen Bodens durch den Erntesegen früherer besserer Zeiten; aber
freilich macht Columella mit gutem Recht geltend, daß nicht die Natur
Schuld trage, sondern die Menschen. Niemand, meint er ^25, bemüht sich
noch um rationelle Kunde des Ackerbaus; man gibt sich nicht einmal die
Mühe, einen tüchtigen Ackersmann zum Meier zu bestellen, sondern
schickt die Leute aufs Land hinaus, die als Handwerker nicht mehr den
Tagelohn abzuliefern vermögen, oder die unbrauchbaren Sänftenträger und
Lakaien. Das war zu beklagen, aber nicht zu ändern. Die Gutswirtschaft
der früheren Epoche, die übrigens auch in republikanischer Zeit in
ihrer vollen Intensität sicher nicht allgemein durchgeführt worden war,
stirbt wie die anderen republikanischen Institutionen in der Kaiserzeit
ab; nicht einmal in der Form der Vertretung des Herrn durch den Actor
scheint sie in großem Umfang sich behauptet zu haben. Die Gutsherren
gaben die Selbstwirtschaft auf und beschränkten sich durchgängig auf
die Kontrolle der fremden Händen überwiesenen wirtschaftlichen Leitung.
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^23 Das Arbeiterpersonal, sagt Columella (1, 9, 7), des einzelnen
Gutes, die classis oder die decuria, soll zehn Köpfe nicht übersteigen:
itaque si latior est ager, in regiones diducendae sunt eae classes.
Allerdings kam in diesem Fall es auch vor, daß die Sklaven in Ketten
arbeiteten (Sen. benef. 7, 10, 5: vasta spatia terrarum colenda per
vinctos), wo also diese Wirtschaft der Plantagenform sich nähert.
^24 1, 1, 20.
^25 praef. 12.
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Die Kleinwirtschaft hat in der Kaiserzeit den Ackerbau allem Anschein
nach bei weitem mehr beherrscht als unter der Republik. Daß der
Kleinbesitz auch Kleinwirtschaft ist, versteht sich von selbst; aber
auch der Großbesitz, der auf die Selbstwirtschaft verzichtet, hat im
römischen Ackerbau, wie es scheint, so gut wie ausschließlich, die Form
der Kleinwirtschaft angenommen; von Großpacht findet auf diesem Gebiet
sich kaum eine Spur ^26. Die Kleinwirtschaft wird bald durch Freie,
bald durch Sklaven beschafft: der Eigentümer kann die einzelne
Parzelle, welche er zur Kleinwirtschaft bestimmt, entweder einem freien
Zeitpächter (colonus) überweisen, der dann dem Grundherrn nur den
bedungenen Pachtzins zu zahlen hat, oder einen unfreien Meier (vilicus)
darauf setzen, der dann entweder nach den Regeln der sogenannten
Pekuliargeschäfte gleich dem Pächter einen festen Zins zahlt oder auch
mit dem Herrn Einnahme und Ausgabe verrechnet; indes scheint die
letztere wenig bequeme Form nicht in bedeutendem Umfang vorgekommen ^27
und über den Grundsatz verfahren zu sein, den Columella ^28 ausspricht,
daß, wo der Eigentümer die Selbstwirtschaft in der früher bezeichneten
Weise nicht ausüben kann oder will, es weniger nachteilig ist, mit
freien Pächtern zu wirtschaften als mit unfreien Meiern. Dies
Verpachtungssystem ist gewiß auch früher oft genug vorgekommen, aber
doch nur nebenher und aushilfsweise ^29; jetzt wird es eigentlich
regelmäßige Form der Bodenwirtschaft. Es zeigt sich dies vor allem in
der Verschiebung des Sprachgebrauchs: colonus, das heißt der Ackerbauer
im Gegensatz zum Hirten, wird noch von Cicero und Varro ohne weiteres
von jedem Landwirt gebraucht, sei er Gutsbesitzer oder Bauer oder
Pächter, technisch aber in republikanischer Zeit verwendet für den
kleinen Grundbesitzer, woraus die politische Verwendung des Wortes sich
entwickelt hat, in der Kaiserzeit dagegen für den selbst
wirtschaftenden Kleinpächter. Dieser Wechsel in der Beziehung des
Schlagwortes hat sich im Anfang der Kaiserzeit entschieden; den
Schriftstellern der neronischen Zeit, dem jüngeren Seneca und dem
Columella, ist der “Landwirt” bereits synonym mit dem Kleinpächter.
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^26 Auf den großen afrikanischen Domänen erscheinen die conductores,
die Pächter des Herrenhauses, und der, es scheint nach Analogie der
Munizipalordnung, diesem Quasi-Gemeinwesen zustehenden Fronden, neben
den coloni, den Pächtern der Parzellen. Das letztere Wort wird nie vom
Großpächter gebraucht.
^27 Belehrend ist ein von Scaevola referierter Rechtsfall (Dig. 20, 1,
32). Ein Latifundienbesitz wird verkauft. Da ein Teil der Grundstücke
ohne Pächter ist, so übergibt der Käufer diese seinem actor zur
Bewirtschaftung, und es werden nun der Meier und die weiter
erforderlichen Sklaven von diesem darauf gesetzt (Stichus vilicus et
ceteri servi ad culturam missi et Stichi vicarii); daß letztere im
Peculium des Meiers stehen, ist charakteristisch dafür, daß dieser den
Colonus vertritt. Aber deutlich erscheint dies hier als ein
exzeptionelles Verfahren und als Regel die Verpachtung.
^28 1 7, 6.
^29 Gewiß sind die großen Vermögen der republikanischen Zeit, soweit
sie in Ackerland bestanden, auch schon vielfach in der Form der
Kleinpacht genutzt worden. Aber normal war die Gutswirtschaft noch am
Ende der Republik; aber nicht mehr, als Columella schrieb.
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Aber auch freigeborene Lohnarbeiter haben nicht gefehlt; die
arbeitsfähigen Kinder des Kolonen müssen oft in eine solche Stellung
eingetreten und nicht selten auf diesem Wege dem Vater in der Pacht
gefolgt sein, wie denn die römischen Landwirte den von Kindesbeinen auf
dem Gut beschäftigten Kolonen als besonders geeignet bezeichnen. Die
alte Sitte, namentlich für die Ernte freie Lohnarbeiter zuzuziehen,
begegnet auch in dieser Epoche, und es ist nicht unmöglich, daß sie in
den eigentlichen Hauptsitzen des Ackerbaus bedeutende Ausdehnung
gewonnen und einen eigenen Stand von Tagelöhnern entwickelt hat ^30.
Daß das neue Wirtschaftssystem an die Stelle der alten Selbstwirtschaft
oder vielmehr der eigenen Direktion des Eigentümers getreten ist,
erklärt auch die weitgehende, unter Umständen bis zur
Wirtschaftsleitung sich steigernde Beteiligung des Grundherrn an der
Wirtschaftsführung. Der Gutsherr liefert regelmäßig das Inventar, das
freilich auf die Gefahr des Pächters steht und bei Auflösung der Pacht
unbeschädigt zurückgegeben oder zum vollen Wert ersetzt werden muß ^31,
empfängt nicht selten statt des Pachtzinses eine Fruchtquote und
kontrolliert je nach den Pachtbedingungen im einzelnen Fall den
Pächter. Die eigentliche Feldarbeit beschaffen regelmäßig die von dem
Eigentümer dem Pächter gestellten Sklaven; verständige Grundherren
wirken dahin, daß diese sorgfältig ausgewählt und gut behandelt werden,
auch dazu gelangen, sich tatsächlich einen Hausstand zu begründen, so
daß der Bauer sie ungefesselt kann arbeiten lassen und der
Sklavenzwinger, der nirgends fehlt, nur als Strafe zur Anwendung kommt.
Die kolossale Ausdehnung dieser Wirtschaftsweise entspricht derjenigen
des Großgrundbesitzes; es sind sicher keine Redensarten, wenn Seneca,
der Minister Neros, selbst einer der reichsten Männer seiner Zeit und
einer der besten Wirte, von den in Italien und in allen Provinzen
zugleich wirtschaftenden Besitzern spricht ^32 und von ihren nach
Tausenden zählenden, für einen Mann grabenden und pflügenden Kolonen.
Es zeigt sich dies weiter darin, daß auch diese Wirtschaft, soweit sie
eigene Tätigkeit des Eigentümers erheischt, sich wieder selber aufhebt;
bei entwickeltem Großbesitz übt der Herr auch die Kontrolle der Pächter
nicht mehr unmittelbar, sondern distriktweise durch seine unfreien
Geschäftsführer (actores), in noch weiterer Steigerung des Umfangs
durch die diesen vorgesetzten freien Direktoren (procuratores), wovon
dann die kaiserliche Domanialverwaltung die höchste Stufe darstellt.
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^30 Die merkwürdige Inschrift von Mactar (Eph. epigr. V, n. 279 = CIL
VIII, S. n. 11824), welche 7, 345 angeführt ward, rührt von einem
solchen Feldarbeiter her falcifera cum turma virum processerat arvis
seu Cirtae Nomados seu Iovis arva petens, demessor cunctos anteibam
primus in arvis pos tergus linquens densa meum gremia.
^31 Dig. 19, 2, 54, 2.
^32 epist. 87, 7; 89, 20; 114, 26.
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Diese Form der Kleinwirtschaft geht, wie der Großgrundbesitz, zu dem
sie gehört, gleichförmig durch das ganze Reich und erstreckt sich auch
auf die kaiserlichen Domänen ohne wesentliche rechtliche Abweichung,
wenngleich tatsächlich das fiskalische Interesse die Lage der
kaiserlichen Kolonen wohl gegenüber denen der Privaten günstiger
gestaltet hat. Daß diese Kleinwirtschaft kein voller Ersatz ist für den
großenteils durch sie verdrängten Kleinbesitz, bedarf der Ausführung
nicht: dasselbe Grundstück, das als Kleinbesitz, sei es in Form des
Sammelbesitzes, sei es mit Realteilung, eine Mehrzahl freier Familien
ernähren konnte, nährte als Kleinpacht ein für allemal nur die Familie
des Pächters; und das Selbstgefühl und die Unabhängigkeit, die auch den
kleinen Grundbesitzer wenigstens adeln können, sind dem Zeitpächter
notwendig verschlossen. Dennoch darf in der düsteren Geschichte des
Prinzipats diese wirtschaftliche Gestaltung des Großbesitzes als eine
der lichteren Seiten bezeichnet werden. Die wirtschaftliche Stellung
des Kolonen, den die Kapitalkraft des Grundherrn stützte, war weniger
unsicher als die des Kleinbesitzers, und wie das Verhältnis sich
entwickelt hatte, führte es wenigstens mit wirtschaftlicher
Notwendigkeit zur humanen Behandlung der Pächter durch den Grundherrn
und der Ackersklaven durch den Pächter, ebenso zu einer gewissen
Vereinigung der Betriebsvorzüge der Groß- und der Kleinwirtschaft. Man
soll nicht vergessen, daß die alte Bauernwirtschaft erst zur
Schuldknechtschaft geführt und dann in sich selbst Bankrott gemacht
hat; nicht vergessen die unmenschliche Wirtschaftlichkeit des
catonischen Musterguts, das den Sklavenhausstand und die freie Arbeit
völlig ausschließt. In dieser Kleinpachtwirtschaft lag für die unfreien
Leute eine erträglichere Existenz und eine gewisse Aussicht, durch
Wohlverhalten zur Freiheit zu gelangen; es lag ferner in ihr einige
Garantie für die Verwendung einer wenn auch beschränkten Zahl freier
Familien in einer wirtschaftlich haltbaren Stellung. Die Armee der
Kaiserzeit hat allem Anschein nach ganz überwiegend aus diesen
Kleinpächterfamilien sich rekrutiert. Die mit der neuen Welt
unzufriedene und die Zustände der republikanischen Zeit, eben weil sie
unwiederbringlich dahin waren, mehr sehnsüchtig als nachdenklich
idealisierende Anschauung der vornehmen Kreise Italiens hat auch für
diese Entwicklung der Bodenwirtschaft nichts als Vorwurf und Klage;
beide sind nicht unberechtigt, aber hier vor allem gilt das tröstende
Evangelium der Geschichte, daß aller Verfall auch wieder Entwicklung
ist.
Neben dem Ackerbau bestand die sonstige Bodenwirtschaft wie früher,
ohne daß in dieser Hinsicht erhebliche Änderungen zu verzeichnen wären.
Daß die unproduktive Verwendung des Bodens zu bloßen Luxusanlagen bei
dem Reichtum und der Hoffart der vornehmen Welt in Italien namentlich
unter der ersten Dynastie in weitem Umfange stattgefunden hat, ist
selbstverständlich; von den Villenanlagen, die den Raum ganzer Städte
einnehmen, spricht Seneca ^33 so gut wie früher Sallustius, und jener
hebt weiter hervor, daß der richtige Reiche nicht zufrieden ist, bis an
jedem See, an jedem Strand Italiens, die die Mode konsekriert hat, er
seine besondere Villeggiatur besitzt, wie dies an den kaiserlichen
Villen sich im einzelnen verfolgen läßt. In diesen Anlagen ist manches
große Vermögen verbaut worden; aber daß die Lusthaine und die Villen
dem Ackerbau den Platz wegnahmen, ist eine Redensart wie andere auch
^34. Daß der italische Ackerbau unter der Republik durch die Zerstörung
zahlreicher Städte und die Ausdehnung der Weidewirtschaft eine sehr
empfindliche Einschränkung erfahren hat, ist früher auseinandergesetzt
worden; aber wie die bei dem Beginn der Monarchie vorhandenen
Gemeinwesen mit verschwindenden Ausnahmen unter ihr fortbestanden, so
hat auch die Bodenwirtschaft, im großen und ganzen genommen, in der
Kaiserzeit wahrscheinlich sich in dieser rückgängigen Richtung nicht
weiterbewegt, vielmehr eher den umgekehrten Weg eingeschlagen ^35, wenn
auch großartige Maßregeln in diesem Sinn, wie die von Caesar in Betreff
der Pontinischen Sümpfe geplante, nicht zur Ausführung gelangt sind. In
den Provinzen sind die Deduktionen von Kolonisten gewiß vielfältig in
der Weise erfolgt, daß dadurch Weide- oder Ödland unter den Pflug kam.
Allem Anschein nach ist in der Kaiserzeit der Ackerbau nur da
ausgefallen, wo entweder die Beschaffenheit des Bodens oder die
Unsicherheit des Besitzes oder der Mangel an Arbeitskräften ihm im Wege
stand. Daß die Weidewirtschaft regelmäßig Großwirtschaft ist und also
diese Bodenstücke regelmäßig den Reichen gehören, liegt in der Sache
und gilt also auch für diese Zeit.
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^33 epist. 89, 21.
^34 In diesem Sinn sagt Tiberius bei Tacitus (ann. 3, 54): nisi
provinciarum copiae et dominis et servitiis et agris subvenerint,
nostra nos scilicet nemora nostraeque villae tuebuntur. Das läßt sich
vertreten, wenn man die Stadt und die Umgegend Roms ins Auge faßt: von
Tibur und Tusculum mag es einigermaßen richtig sein, daß die Städte den
Landhäusern Platz machten. Aber für das übrige Italien paßt dies um so
weniger, als die Prachtanlagen der großen hauptstädtischen Familien auf
Latium und einen Teil Kampaniens sich beschränken.
^35 In der Alimentartafel von Veleia tritt bei den saltus auffallend
oft hervor, daß sie mehr oder minder mit Ackerland gemischt sind, was
wohl auf späteren partiellen Anbau zurückgehen mag.
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Im Geldgeschäft ist die ältere indirekte Hebung der Staatseinnahmen
durch Vermittlung der Kapitalistengesellschaften, eine der
hauptsächlichen Burgen der republikanischen Plutokratie, in ihrer
verderblichsten Form, der Festsetzung der Abgaben in einer Fruchtquote
und der Überlassung dieser Zehnten an eine Gesellschaft gegen eine an
die Staatskasse zu zahlende Geldsumme, schon von dem Diktator Caesar
beseitigt worden. Bei der Einziehung der für Rom bestimmten
Naturallieferungen und der in Geld angesetzten Steuern sind die alten
Kompagnien noch eine Zeitlang tätig gewesen; aber teils die Hebung
durch die steuerpflichtige Gemeinde, die zum Beispiel für Asia auch von
dem Diktator Caesar angeordnet ward, teils die Einsetzung eigener
kaiserlicher Finanzverwaltungen für jede Provinz müssen die Macht der
Mittelsmänner weiter beschränkt haben, bis dann in den späteren Jahren
des Tiberius auch das immer noch wichtige und gewinnbringende Geschäft
der Überführung der also gezahlten Gelder und gelieferten Naturalien
nach Rom oder an den sonstigen Bestimmungsort den großen Kompagnien
genommen ward ^36 und diese aus der provinzialen Grund- und
Vermögenssteuer überhaupt verschwinden. Bei anderen Steuern hat sich
die indirekte Hebung länger behauptet, so bei der Freilassungs-, der
Auktions- und der wichtigen Erbschaftssteuer; doch ist auch für die
letztere, wie es scheint unter Hadrian, die direkte Erhebung eingeführt
worden, und mehr und mehr werden die Kapitalistengesellschaften auch
aus diesen Hebungen verbannt. Am längsten haben sie sich bei den Zöllen
und den nutzbaren Bodenrechten des Staats behauptet; und hier ist die
Verpachtung auch für Rechnung der kaiserlichen Kasse angewandt worden
^37. Wenn unter Nero die Abschaffung der Zölle in Frage kam, so ist
dabei ohne Zweifel mit maßgebend gewesen, daß die hier unentbehrlich
erscheinende Hebung durch Private mit dem Geiste der neuen Monarchie
nicht harmonierte. Indes kam es dazu nicht und begnügte die Regierung
damals und später sich mit der Verschärfung der gegen die Zollpächter
geübten Kontrolle. Doch scheint, während unter der Republik die
Pachtung vom Staat der Regel nach bedeutenden Umfang hatte und einzelne
Gesellschaften finanzielle Großmächte waren, unter dem Prinzipat der
Umfang der einzelnen Pacht vielmehr beschränkt gewesen zu sein. Auch
abgesehen von dem kaiserlichen Kolonat, von dem schon die Rede war,
sind die fiskalischen und ärarischen Konduktoren dieser Zeit offenbar
nicht entfernt zu vergleichen mit den Publikanen der Republik; und
dasselbe gilt von den noch fortbestehenden Kompagnien, denen durchaus
kaiserliche Beamte und kaiserliches Gesinde in einer Weise über- und
eingeordnet wurden, daß der ganze Betrieb unter stetiger Mitwirkung der
Regierungsorgane sich vollzogen haben muß. Auch tritt, ganz im
Gegensatz zu dieser, namentlich im fiskalischen Gebiet hier sehr häufig
an die Stelle der Verpachtung die eigene Bewirtschaftung unter Aufsicht
spezieller Beamter oder Beauftragter: so zum Beispiel sind die
kaiserlichen Ziegeleien und Marmorbrüche niemals und in der Regel auch
die kaiserlichen Bergwerke nicht verpachtet worden. Dem Eingreifen des
Großkapitals in dieses wenigstens halbstaatliche Gebiet ist demnach
unter dem Prinzipat eine mächtige Schranke gesetzt worden. Der Anteil
an der Herrschaft, den die Geldaristokratie eine Zeitlang faktisch
behauptet hatte, war damit gebrochen.
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^36 Die Umgestaltung des Hebewesens liegt sehr im Dunkeln; sicher ist
nur, daß die Hebung durch die Gemeinden selbst wenigstens in Asien
schon durch den Diktator Caesar eingeführt ward (App. civ. 5, 4), und
wahrscheinlich wird dieselbe gleichzeitig wenigstens für die übrigen in
Geld steuernden Provinzen angeordnet sein (Marquardt, Staatsverwaltung,
Bd. 2, S. 185). Wenn dennoch Tacitus (ann. 4, 6; vgl. Römisches
Staatsrecht, 3. Aufl., Bd. 2, S. 1017) zum Jahr 23 sagt: frumenta et
pecuniae vectigales, cetera publicorum fructuum societatibus equitum
Romanorum agitabantur, so können die pecuniae vectigales eben nur diese
in Geld normierten Abgaben der Provinzen sein und den Sozietäten nur
noch das Geschäft obgelegen haben, diese von den Gemeinden einzuziehen
und an den Bestimmungsort zu übermitteln, so daß sie also in dieser
Hinsicht mehr das Bankier- als das Hebegeschäft für den Staat
besorgten. Da Tacitus diese Einrichtung unter den in Tiberius’ späterer
Zeit weggefallenen aufführt, so wird damals wohl auch die Vermittlung
zwischen den zahlenden Gemeinden und der Staatskasse auf den Staat
übergegangen sein. Von dem nach Rom zu liefernden Getreide ist der
Transport immer durch Private beschafft worden (Marquardt,
Privatalterthümer, S. 390).
^37 Deutlich zeigen dieses Verhältnis die über das Vermögen des
Isidorus und der Patrone Martials (Anm. 9) beigebrachten Angaben. Auch
Plinius (epist. 3, 19) sagt: sum quidem prope totus in praediis,
aliguid tamen fenero.
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Das gewerbsmäßige Geldverleihen ist jetzt ein regelmäßiger Bestandteil
des Haushalts jedes vermögenden Römers geworden. Auch die Vornehmen
pflegen den größten Teil ihres Vermögens in Grundbesitz anzulegen, aber
daneben ein mehr oder minder beträchtliches Kapital bankiermäßig zu
verwerten, indem sie dasselbe teils gegen eigentliche Sicherheiten
ausleihen, teils in der Form der Anleihe an Handel und Industrie und
Spekulationen aller Art sich beteiligen. Dem kam andrerseits die selbst
gesetzlich festgestellte Ordnung entgegen, daß das Verleihen gegen
Zinsen nur insoweit gestattet wurde, als der Betreffende den gleichen
oder noch einen höheren Betrag in Grundbesitz angelegt hatte. Es ist
dies das System, nach dem auch Crassus und Atticus ihr Vermögen
verwalteten; mit dem Zurücktreten der Selbstwirtschaft ward in der
Gutsverwaltung dasselbe mehr und mehr allgemein. Wenn bei richtiger
Führung dabei auch die Bodenwirtschaft gewann, insofern bei
eintretendem Bedürfnis sie nicht auf den Kredit, sondern auf das
Kapital greifen konnte, so lag hierin andererseits eine Verknüpfung des
Grundbesitzes mit der Spekulation, deren Bedenklichkeit durch jene
äußerliche Fixierung des Verhältnisses zwischen fundiertem und nicht
fundiertem Vermögen mehr anerkannt als abgewandt wurde. Die großen
Vermögen dieser Epoche sind hauptsächlich auf diesem Wege gebildet; von
Seneca zum Beispiel wird geradezu gesagt, daß er durch die Wucherzinsen
ein reicher Mann geworden sei ^38, und seine Feinde wenigstens
behaupteten, daß er die Eroberung Britanniens dazu benutzt habe, um 40
Mill. Sesterzen den bedrängten Gemeinden dort vorzuschießen, deren
Rückforderung dann den gefährlichen Aufstand des Jahres 60
herbeigeführt haben soll ^39. Wo einer zum Krösus, da werden viele zu
Bettlern. Die namentlich unter der ersten Dynastie stets sich
wiederholenden Klagen über Überschuldung und Zusammenbrechen der
vornehmen Häuser gehen vermutlich mehr noch auf diese
Spekulantengeschäfte zurück als auf die eigentliche Verschwendung; und
andererseits wird die mit Vespasian eintretende innerliche Revolution
sich in erster Reihe darin gezeigt haben, daß das befestigte Vermögen
im Wechselportefeuille Maß hielt und daß wenigstens dem Senator des
Reiches die Sitte nicht gestattete, mit seinen Kapitalien zu wuchern.
Wie der von Haus aus sehr begüterte spätere Kaiser Pius nie mehr als 4
Prozent Zinsen nahm, so zeigt auch die spätere Gesetzgebung, daß man
unterschied zwischen den Zinsen, die der gewöhnliche Geschäftsmann
nehmen konnte, und denen, die dem vornehmen Mann zu nehmen geziemte.
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^38 Tac. ann. 13, 42.
^39 Dio 60, 2.
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Daß Gewerbe und Handel unter der Friedensmacht, wie der römische Staat
dieser Epoche sie entwickelte, emporgeblüht sein müssen, ist von
vornherein gewiß; mancherlei Einzelheiten zeigen uns die steigende
Spezialisierung des Handwerks, die weiten Absatzkreise einzelner
Fabrikate, die Bedeutung des Imports wie des Exports über die
Reichsgrenze; allgemeine Daten, die ein vergleichendes Urteil gegenüber
früheren und späteren Perioden gestatteten, ergibt unsere Überlieferung
nicht. Somit beschränkt diese Auseinandersetzung sich darauf, gewisse
allgemeine und soziale Verhältnisse kurz zu berühren, die einigermaßen
sich fassen lassen.
Wenn einstmals der einzelne Haushalt sich selber genügte, so war mit
der steigenden Kultur mehr und mehr die bezahlte Arbeit, die
gewerbliche sowohl wie der Handel mit offenem Laden, in die erste Reihe
getreten: aber gleich wie in der Epoche, wo Speisen und Kleider
lediglich durch das Gesinde bereitet wurden, liegt diese Arbeit jetzt
zwar in der Hand der Kapitalisten, wird aber ausgeführt durch ihr
unfreies Gesinde. Die großen Vermögen auch der Aristokratie sind
allerdings zum guten Teil aus der stillen Beteiligung der Vornehmen an
spekulativen Geschäften dieser Art hervorgegangen; aber einen auf das
Gewerbe gestützten Mittelstand kennt diese Epoche sowenig wie die
frühere; wie der Senat der Hauptstadt aus den Großgrundbesitzern sich
zusammensetzt, so bilden in jeder Landstadt die Gutsbesitzer den
Gemeinderat und den höheren Stand. Wenn ein Flickschuster sich es
gestattet hat, in dem gebildeten Bononia eine Volkslustbarkeit zu geben
und in Mutina ein Walker, wo wird, fragt Martialis ^40, der Gastwirt
dies tun? So erkauften die Trimalchionen für vieles Geld die
Gelegenheit, sich auslachen zu lassen; von der Teilnahme an den
Gemeindegeschäften blieben sie nach wie vor von Rechts wegen selbst in
der kleinsten Stadt ausgeschlossen. Caesars Anordnung, daß in den
Provinzen der Freigelassene in den Gemeinderat gelangen könne, nahm
Augustus wieder zurück. Der einzelne Sklave sucht als Lohnknecht,
Schuster, Arzt und so ferner seinen Verdienst oder wird auch von seinem
Herrn in ein bestimmtes Geschäft hineingesetzt; was er auf diese Weise
erwirbt, gehört zwar rechtlich dem Herrn, wird aber sehr häufig nur zum
Teil an ihn abgeliefert. Der Sklave hat oft eigenen Haushalt und
faktisch eigenen Besitz: die Freilassung erfolgt oft gegen eine aus
diesem Besitz dem Herrn zu zahlende Summe, löst aber regelmäßig das
Anrecht des Herrn auf einen Teil des Verdienstes des Freigelassenen
nicht auf. So werden auch die bedeutenderen Geschäfte betrieben: zum
Beispiel selbst die Ladeninhaber (negotiantes, mercatores), die
Geldhändler (argentarii), die Händler mit Spezereien (thurarii),
vermögende und in ihrer Art angesehene Persönlichkeiten, sind dennoch
fast ohne Ausnahme unfrei oder aus der Unfreiheit entlassen.
Wirtschaftlich hat dies System seine vorteilhafte Seite: das Fortkommen
des einzelnen geschickten Arbeiters und brauchbaren Geschäftsmanns
hängt weniger vom Zufall ab als bei völlig freier Konkurrenz, sondern
es steht hier, wenn der Herr seinen Vorteil versteht, hinter jedem
tüchtigen Mann die Macht des Kapitals. Es wird damit ferner zwischen
der Sklavenschaft und der Bürgerschaft eine Brücke geschlagen, welche
im allgemeinen wenigstens die besten Elemente aus jener in diese
überführt und die, wie nachteilig sie auch vielfach sich erweist, doch
im ganzen weniger schadet als die völlige Abschließung der Sklavenwelt
gegen die der Freien. Die rechtliche Ausgleichung führt wenigstens in
den späteren Generationen auch die nationale und soziale allmählich
herbei, und das Zusammenschwinden des Bürgerstandes würde im Römischen
Reich sehr viel früher und stärker aufgetreten sein, wenn nicht die
außerordentliche, aber zugleich stehende Vermehrung durch die
Freilassungen ihm zu Hilfe gekommen wäre. Sie sind auch bei der
Bauernwirtschaft vorgekommen, aber überwiegend beruhen sie auf dem
Gewerbe- und Handelsverkehr, in dem sie nicht selten sogar eine
hervorragende Stellung gewinnen und sich oder doch ihre Nachkommen in
die Geld- und weiter in die eigentliche Aristokratie einführen.
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^40 Mart. epigr. 3, 59.
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Ist in Beziehung auf Handel und Gewerbe nicht viel mehr zu
konstatieren, als daß die Dinge auch unter dem Prinzipat beim alten
blieben, so erweitert sich dagegen in bemerkenswerter Weise derjenige
Kreis, in welchem die Sitte dem anständigen Manne gestattet, Geld zu
erwerben. Die strenge Regel, daß der Dienst, der einem Mitbürger oder
auch dem Staat geleistet wird, von dem Gentleman umsonst geleistet
werden muß und durch Bezahlung wenn nicht unehrlich, so doch unvornehm
wird, ist tatsächlich schon unter der Republik nach vielen Seiten hin
durchbrochen worden. Aber erst in dieser Zeit bildet sich die
öffentliche Laufbahn auch in ökonomischer Hinsicht aus, als hinführend
zu einer finanziell und sozial angesehenen Stellung. Es gilt dies für
Beamte, Soldaten, Sachwalter, Rechtsgelehrte, also überhaupt für alle
mit dem öffentlichen Leben verknüpften Hilfsleistungen, während private
Dienste, wie zum Beispiel des Arztes und des Jugendlehrers, sich wenig
oder gar nicht über die eigentlichen Gewerbe erheben. Dies geht
unmittelbar zurück auf den neuen Prinzipat. Die von diesem neben die
alten Staatsbeamten gestellte Kategorie gleichfalls in öffentlichen
Geschäften, sei es im Heer oder in der Verwaltung, verwandter
persönlicher Diener des Kaisers wurde von Haus aus mit festem und hoch
gegriffenen Gehalte ausgestattet und damit von dieser Remuneration der
bisherige Makel entfernt. Es war dies um so leichter, als die außerhalb
Roms tätigen Staatsbeamten längst eine Vergütung für die Ausrüstungs-
und sonstigen Kosten empfangen hatten, die der Sache nach auf eine
Besoldung hinauslief; dennoch war die Einführung der förmlichen und
direkten Besoldung im Staatsdienst eine eingreifende Neuerung. Sie
würde noch tiefer eingegriffen haben, wenn nicht die Kontinuität der
amtlichen Stellung gefehlt hätte. Zwar die Unteroffizierstellung war
eine dauernde und führte auch eine dauernde Versorgung sowie im
günstigen Fall den Eintritt in die höhere Beamtenlaufbahn herbei; aber
wenn auch im übrigen die kaiserlichen Diener weit längere Zeit als die
Staatsdiener in ihren Stellungen blieben und die amtlichen Intervalle
bei ihnen sicher seltener und kürzer eintraten, so ist doch das Amt im
allgemeinen auch in der Kaiserzeit nicht eine Lebensstellung und die
Gehalte der Regel nach nicht hoch genug, um schon in kürzerer Frist
eine solche zu gewähren. Dafür aber traten ergänzend hinzu die
Tätigkeiten des rechtskundigen Beirats und vor allem des redekundigen
Sachwalters. Zwar unter Augustus ward die alte Vorschrift, daß kein
Sachwalter von dem Klienten Geld annehmen dürfe, noch einmal
eingeschärft ^41, und die hervorragenden Redner dieser Epoche, Asinius
Pollio, Messalla Corvinus und andere mehr, hielten an der alten
Ehrenhaftigkeit um so mehr fest, als sie durchaus reiche und vornehme
Männer waren. Aber wenn der Kaiser seine Beamten bezahlte, so konnte
der Advokat unmöglich unentgeltlich tätig sein; im allgemeinen kehrten
weder Klienten noch Advokaten sich an das Gesetz, und unter Claudius
mußten die “Schenkungen” bis zu 10000 Sesterzen gesetzlich freigegeben
werden ^42. Dabei ist es insofern geblieben, als die Advokatenhonorare
in gewissen Grenzen nicht bloß erlaubt, sondern bald auch klagbar
geworden sind ^43. Zu diesem legitimen Verdienst tritt noch hinzu ein
anderweitig darzustellendes, aber auch in der Ökonomie nicht zu
übersehendes Moment, die Durchführung des Strafprozesses mittels der
Privatanklage und der gesetzliche Anspruch des siegreichen
Privatanklägers auf bedeutende Geldbelohnungen, zum Beispiel bei dem
Hochverratsprozeß auf den vierten Teil des Vermögens des Verurteilten,
welche Prämien besonders bei den Anklagen vor dem Senat oft noch
arbiträr gesteigert wurden. Es lag in der Sache, daß dieser Gewinn
größtenteils denjenigen Sachwaltern zufiel, die diesen Weg zu gehen
nicht verschmähten: und die großen Vermögen der Advokaten besonders im
ersten Jahrhundert sind vorzugsweise auf diesem Wege zusammengekommen.
Späterhin ist mit der veränderten Prozeßform diese Mißbildung
zurückgetreten, wogegen die Sachwalterstellung überhaupt in ihrer
sozialen und ökonomischen Bedeutung sich behauptet. Auch den bei dem
Prozeß den Sachwaltern assistierenden Rechtsbeiständen (pragmatici)
konnte das gleiche nicht verweigert werden; doch waren diese
untergeordneten Ranges ^44 und ihr Erwerb nicht beträchtlich. Dagegen
wird ihre Beihilfe bei Vollziehung von Rechtsgeschäften, zum Beispiel
bei Abfassung von Testamenten, ähnlich, wenn auch niedriger gestanden
haben wie heute die der Notare, und nicht minder fanden sie Verwendung
als salarierte Privatbegleiter des in die Provinzen zur Rechtsprechung
gesandten, der Regel nach selbst rechtsunkundigen hohen Beamten. So
bildete sich hier eine Laufbahn für Talente, im allgemeinen jedem
zugänglich, der die für die Vorbildung erforderlichen, allerdings nicht
ganz unbedeutenden Kosten aufzubringen vermochte und auch in ihrem
weiteren Verlauf an Bedingungen geknüpft, die verhältnismäßig leicht zu
erfüllen waren. Dem römischen Eupatriden gegenüber macht Juvenal es
geltend, daß aus dem Volke der Jüngling kommt, der am Euphrat
Waffendienst tut und bei den Adlern Wache hält, die den bezwungenen
Bataver bändigen; daß der niedere Quirite den Redner stellt, welcher
die Prozesse des ungebildeten Adligen führt; daß der römische Plebejer
es ist, der die Knoten des Rechts und die Rätsel der Gesetzgebung löst.
Freilich, wer bloß Geld erwerben will, der wird in der Wechselstube
oder bei dem Auktionsgeschäft, als Arzt und Baumeister, als Musikus
oder Jockey rascher zum Ziel kommen; aber wer ehrgeizig nach einer
Stellung strebt, dem ist jetzt auch eine solche nicht mehr
verschlossen: der sorgliche Vater besseren Schlages bei demselben
Dichter ^45 fordert seinen Sohn auf, sich über seinen Lebensberuf zu
entscheiden, entweder um den Rebstock des Unteroffiziers einzukommen
oder in die Advokatenschule einzutreten oder auch die Gesetze zu
studieren. Vielleicht auf keine Weise hat der Prinzipat der
republikanischen Aristokratie entschiedener Abbruch getan als durch
diese Restitution Gracchischen Geistes, anknüpfend an die Gracchischen
Ritterprivilegien, aber doch wesentlich neu und durchaus beruhend
einerseits auf der Organisation des stehenden Heeres und besonders der
Unteroffizierskarriere, andrerseits auf der Einrichtung der salarierten
kaiserlichen Beamten mit ihren weiteren Konsequenzen. Die Einrichtung
öffnet die Pforten keineswegs dem Bürger schlechthin; die
Freigelassenenwelt bleibt unbedingt ausgeschlossen, und wenn die
militärische Laufbahn wenigstens rechtlich jedem Freigeborenen
offensteht, so fordert die nicht militärische einen verhältnismäßig
hohen und kostspieligen Bildungsgrad und, soweit sie eine amtliche ist,
den Besitz des Rittervermögens. Die Einrichtung öffnet ferner ihre
Pforten in der Hauptsache nur dem, der der Regierung genehm ist und
genehm bleibt; die Aufnahme in das Heer und das Avancement hängt in
jedem einzelnen Fall vom kaiserlichen Gutdünken ab, und ebenso verleiht
die Regierung allein sowohl das Ritterpferd wie die daran geknüpften
Ämter. Aber dennoch ist auf diesem Wege dem Mittelstand und
einigermaßen selbst den niederen Schichten des Volkes die zu Reichtum
und Ämtern führende Laufbahn eröffnet, während die spätere Republik
dem, welcher den Reichtum nicht bereits besitzt, ihre Ämter schlechthin
versagt. Auf dem sozialen Gebiet ist diese demokratisch-monarchische
Institution der schärfste Ausdruck des Prinzipats und seine rechte
treibende Kraft.
——————————————————————————
^41 Dio 54, 18.
^42 Tac. ann. 11, 5; 13, 5; 42.
^43 Plin. epist. 5, 9.
^44 Juv. sat. 7, 123.
^45 Juv. sat. 14, 191; vorher 8, 46.
End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 8 by Theodor Mommsen
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Book Information
- Title
- Römische Geschichte — Buch 8
- Author(s)
- Mommsen, Theodor
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- February 1, 2002
- Word Count
- 256,388 words
- Library of Congress Classification
- DG
- Bookshelves
- DE Sachbuch, Browsing: History - European, Browsing: History - General
- Rights
- Public domain in the USA.
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