The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 5 by Theodor Mommsen
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Title: Römische Geschichte Book 5
Author: Theodor Mommsen
Release Date: February, 2002 [Etext #3064]
[Most recently updated: January 15, 2020]
Language: German
Character set encoding: UTF-8
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
Römische Geschichte
Fünftes Buch
Die Begründung der Militärmonarchie
von Theodor Mommsen
The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
words, nor is there any differentiation between the different accents of
ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
Contents
Fünftes Buch—Die Begründung der Militärmonarchie
KAPITEL I. Marcus Lepidus und Quintus Sertorius
KAPITEL II. Die Sullanische Restaurationsherrschaft
KAPITEL III. Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius
KAPITEL IV. Pompeius und der Oste
KAPITEL V. Der Parteienkampf während Pompeius’ Abwesenheit
KAPITEL VI. Pompeius’ Rücktritt und die Koalition der Prätendenten
KAPITEL VII. Die Unterwerfung des Westens
KAPITEL VIII. Pompeius’ und Caesars Gesamtherrschaft
KAPITEL IX. Crassus’ Tod. Der Bruch der Gesamtherrscher.
KAPITEL X. Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus
KAPITEL XI. Die alte Republik und die neue Monarchie
KAPITEL XII. Religion, Bildung, Literatur und Kunst
Fünftes Buch
Die Begründung der Militärmonarchie
Wie er sich sieht so um und um,
Kehrt es ihm fast den Kopf herum,
Wie er wollt’ Worte zu allem finden?
Wie er möcht’ so viel Schwall verbinden
Wie er möcht’ immer mutig bleiben
So fort und weiter fort zu schreiben?
Goethe
KAPITEL I.
Marcus Lepidus und Quintus Sertorius
Als Sulla im Jahre 676 (78) starb, beherrschte die von ihm restaurierte
Oligarchie unbeschränkt den römischen Staat; allein wie sie durch
Gewalt gegründet war, bedurfte sie auch ferner der Gewalt, um sich
gegen ihre zahlreichen heimlichen und offenen Gegner zu behaupten. Was
ihr entgegenstand, war nicht etwa eine einfache Partei mit klar
ausgesprochenen Zwecken und unter bestimmt anerkannten Führern, sondern
eine Masse der mannigfaltigsten Elemente, die wohl im allgemeinen unter
dem Namen der Popularpartei sich zusammenfaßten, aber doch in der Tat
aus den verschiedenartigsten Gründen und in der verschiedenartigsten
Absicht gegen die Sullanische Ordnung des Gemeinwesens Opposition
machten. Da waren die Männer des positiven Rechts, die Politik weder
machten noch verstanden, denen aber Sullas willkürliches Schalten mit
dem Leben und Eigentum der Bürger ein Greuel war. Noch bei Lebzeiten
Sullas, während jede andere Opposition schwieg, lehnten die strengen
Juristen gegen den Regenten sich auf: es wurden zum Beispiel die
Cornelischen Gesetze, welche verschiedenen italischen Bürgerschaften
das römische Bürgerrecht aberkannten, in gerichtlichen Entscheidungen
als nichtig behandelt, ebenso das Bürgerrecht von den Gerichten
erachtet als nicht aufgehoben durch die Kriegsgefangenschaft und den
Verkauf in die Sklaverei während der Revolution. Da waren ferner die
Überreste der alten liberalen Senatsminorität, welche in früheren
Zeiten auf eine Transaktion mit der Reformpartei und mit den Italikern
hingearbeitet hatte und jetzt in ähnlicher Weise geneigt war, die starr
oligarchische Verfassung Sullas durch Zugeständnisse an die Popularen
zu mildern. Da waren ferner die eigentlichen Popularen, die ehrlich
gläubigen bornierten Radikalen, die für die Schlagwörter des
Parteiprogramms Vermögen und Leben einsetzten, um nach dem Siege mit
schmerzlichem Erstaunen zu erkennen, daß sie nicht für eine Sache,
sondern für eine Phrase gefochten hatten. Ihnen galt es vornehmlich um
die Wiederherstellung der von Sulla zwar nicht aufgehobenen, aber doch
ihrer wesentlichsten Befugnisse entkleideten tribunizischen Gewalt,
welche nur mit um so geheimnisvollerem Zauber auf die Menge wirkte,
weil das Institut ohne handgreiflichen praktischen Nutzen und in der
Tat ein leeres Gespenst war - hat doch der Name des Volkstribuns noch
über ein Jahrtausend später Rom revolutioniert. Da waren vor allem die
zahlreichen und wichtigen Klassen, die die Sullanische Restauration
unbefriedigt gelassen oder geradezu in ihren politischen oder
Privatinteressen verletzt hatte. Aus solchen Ursachen gehörte der
Opposition an die dichte und wohlhabende Bevölkerung der Landschaft
zwischen dem Po und den Alpen, die natürlich die Gewährung des
launischen Rechts im Jahre 665 (89) nur als eine Abschlagszahlung auf
das volle römische Bürgerrecht betrachtete und der Agitation einen
willfährigen Boden gewährte. Desgleichen die ebenfalls durch Anzahl und
Reichtum einflußreichen und durch ihre Zusammendrängung in der
Hauptstadt noch besonders gefährlichen Freigelassenen, die es nicht
verschmerzen konnten, durch die Restauration wieder auf ihr früheres,
praktisch nichtiges Stimmrecht zurückgeführt worden zu sein.
Desgleichen ferner die hohe Finanz, die zwar vorsichtig sich still
verhielt, aber ihren zähen Groll und ihre nicht minder zähe Macht nach
wie vor sich bewahrte. Ebenso mißvergnügt war die hauptstädtische
Menge, die die wahre Freiheit im freien Brotkorn erkannte. Noch tiefere
Erbitterung gärte in den von den Sullanischen Konfiskationen
betroffenen Bürgerschaften, mochten sie nun, wie zum Beispiel die
Pompeianer, in ihrem durch die Sullanischen Kolonisten geschmälerten
Eigentum innerhalb desselben Stadtgebiets mit diesen zusammen und mit
ihnen in ewigem Hader leben oder, wie die Arretiner und Volaterraner,
zwar noch im tatsächlichen Besitz ihrer Mark, aber unter dem
Damoklesschwert der vom römischen Volke über sie verhängten
Konfiskation sich befinden oder endlich, wie dies besonders in Etrurien
der Fall war, als Bettler in ihren ehemaligen Wohnsitzen oder als
Räuber in den Wäldern verkommen. Es war endlich in Gärung der ganze
Familien- und Freigelassenenanhang derjenigen demokratischen Häupter,
die infolge der Restauration das Leben verloren hatten oder in allem
Elend des Emigrantenrums teils an den mauretanischen Küsten
umherirrten, teils am Hofe und im Heere Mithradats verweilten; denn
nach der von strenger Familiengeschlossenheit beherrschten politischen
Gesinnung dieser Zeit galt es den Zurückgebliebenen als Ehrensache ^1,
für die flüchtigen Angehörigen die Rückkehr in die Heimat, für die
toten wenigstens Aufhebung der auf ihrem Andenken und auf ihren Kindern
haftenden Makel und Rückgabe des väterlichen Vermögens auszuwirken. Vor
allem die eigenen Kinder der Geächteten, die der Regent von Rechts
wegen zu politischen Parias herabgesetzt hatte, hatten damit gleichsam
von dem Gesetze selbst die Aufforderung empfangen, gegen die bestehende
Ordnung sich zu empören.
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^1 Ein bezeichnender Zug ist es, daß ein angesehener Literaturlehrer,
der Freigelassene Staberius Eros, die Kinder der Geächteten
unentgeltlich an seinem Kursus teilnehmen ließ.
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Zu allen diesen oppositionellen Fraktionen kam weiter hinzu die ganze
Masse der ruinierten Leute. All das vornehme und geringe Gesindel, dem
im eleganten oder im banausischen Schlemmen Habe und Haltung darauf
gegangen war; die adligen Herren, an denen nichts mehr vornehm war als
ihre Schulden; die Sullanischen Lanzknechte, die der Machtspruch des
Regenten wohl in Gutsbesitzer, aber nicht in Ackerbauer hatte
umschaffen können, und die nach der verpraßten ersten Erbschaft der
Geächteten sich sehnten, eine zweite ähnliche zu tun - sie alle
warteten nur auf die Entfaltung der Fahne, die zum Kampfe gegen die
bestehenden Verhältnisse einlud, mochte sonst was immer darauf
geschrieben sein. Mit gleicher Notwendigkeit schlossen alle
aufstrebenden und der Popularität bedürftigen Talente der Opposition
sich an, sowohl diejenigen, denen der streng geschlossene
Optimatenkreis die Aufnahme oder doch das rasche Emporkommen verwehrte
und die deshalb in die Phalanx gewaltsam sich einzudrängen und die
Gesetze der oligarchischen Exklusivität und Anciennität durch die
Volksgunst zu brechen versuchten, als auch die gefährlicheren Männer,
deren Ehrgeiz nach einem höheren Ziel strebte, als die Geschicke der
Welt innerhalb der kollegialischen Umtriebe bestimmen zu helfen.
Namentlich auf der Advokatentribüne, dem einzigen von Sulla
offengelassenen Boden gesetzlicher Opposition, ward schon bei Lebzeiten
des Regenten von solchen Aspiranten mit den Waffen der formalen
Jurisprudenz und der schlagfertigen Rede lebhaft gegen die Restauration
gestritten; zum Beispiel der gewandte Sprecher Marcus Tullius Cicero
(geboren 3. Januar 648 106), eines Gutsbesitzers von Arpinum Sohn,
machte durch seine halb vorsichtige, halb dreiste Opposition gegen den
Machthaber sich rasch einen Namen. Dergleichen Bestrebungen hatten
nicht viel zu bedeuten, wenn der Opponent nichts weiter begehrte, als
den kurulischen Stuhl damit sich einzuhandeln und sodann als
Befriedigter den Rest seiner Jahre auf demselben zu versitzen. Wenn
freilich einem populären Mann dieser Stuhl nicht genügen und Gaius
Gracchus einen Nachfolger finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und
Leben unvermeidlich; indes für jetzt wenigstens war noch kein Name zu
nennen, dessen Träger ein so hohes Ziel sich vorgesteckt hätte.
Derart war die Opposition, mit der das von Sulla eingesetzte
oligarchische Regiment zu kämpfen hatte, nachdem dasselbe, früher als
Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen Tod auf sich selber
angewiesen worden war. Die Aufgabe war an sich nicht leicht und ward
noch erschwert durch die sonstigen sozialen und politischen Übelstände
dieser Zeit, vor allem durch die ungemeine Schwierigkeit, teils die
Militärchefs in den Provinzen in Unterwürfigkeit gegen die höchste
bürgerliche Obrigkeit zu erhalten, teils in der Hauptstadt mit den
Massen des daselbst sich anhäufenden italischen und außeritalischen
Gesindels und der in Rom großenteils in faktischer Freiheit lebenden
Sklaven fertig zu werden, ohne doch Truppen zur Verfügung zu haben. Der
Senat stand wie in einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten
Festung, und ernstliche Kämpfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die
von Sulla geordneten Widerstandsmittel waren ansehnlich und nachhaltig;
und wenngleich die Majorität der Nation der Regierung, wie Sulla sie
eingesetzt hatte, offenbar abgeneigt, ja ihr feindselig gesinnt war, so
konnte nichtsdestoweniger gegen die irre und wirre Masse einer
Opposition, welche weder im Ziel noch im Weg zusammen und hauptlos in
hundert Fraktionen auseinanderging, die Regierung sehr wohl noch auf
lange hinaus in ihrer festen Burg sich behaupten. Nur freilich mußte
sie auch sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener
Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren Verteidigung
heranbringen; für eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der
größte Schanzkünstler vergebens seine Mauern und Gräben.
Je mehr schließlich alles ankam auf die Persönlichkeit der leitenden
Männer auf beiden Seiten, desto übler war es, daß es genau genommen auf
beiden Seiten an Führern fehlte. Die Politik dieser Zeit ward durchaus
beherrscht von dem Koteriewesen in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war
dasselbe nichts Neues; die Familien- und Klubgeschlossenheit ist
untrennbar von der aristokratischen Ordnung des Staats und war seit
Jahrhunderten in Rom übermächtig. Aber allmächtig wurde dieselbe doch
erst in dieser Epoche, wie denn ihr Einfluß auch erst jetzt (zuerst 690
64) durch gesetzliche Repressivmaßregeln weniger gehemmt als
konstatiert ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinnten nicht minder
als die eigentliche Oligarchie, taten sich in Hetärien zusammen; die
Masse der Bürgerschaft, soweit sie überhaupt an den politischen
Vorgängen regelmäßig sich beteiligte, bildete nach den Stimmbezirken
gleichfalls geschlossene und fast militärisch organisierte Vereine, die
an den Vorstehern der Bezirke, den “Bezirksverteilern” (divisores
tribuum), ihre natürlichen Hauptleute und Mittelsmänner fanden. Feil
war diesen politischen Klubs alles: die Stimme des Wählers vor allem,
aber auch die des Ratsmanns und des Richters, auch die Fäuste, die den
Straßenkrawall machten, und die Rottenführer, die ihn lenkten - nur im
Tarif unterschieden sich die Assoziationen der Vornehmen und der
Geringen. Die Hetärie entschied die Wahlen, die Hetärie beschloß die
Anklagen, die Hetärie leitete die Verteidigung; sie gewann den
angesehenen Advokaten, sie akkordierte im Notfall wegen der
Freisprechung mit einem der Spekulanten, die den einträglichen Handel
mit Richterstimmen im großen betrieben. Die Hetärie beherrschte durch
ihre geschlossenen Banden die Straßen der Hauptstadt und damit nur zu
oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer gewissen Regel und
sozusagen öffentlich; das Hetärienwesen war besser geordnet und besorgt
als irgendein Zweig der Staatsverwaltung; wenn auch, wie es unter
zivilisierten Gaunern üblich ist, von dem verbrecherischen Treiben nach
stillschweigendem Einverständnis nicht geradezu gesprochen ward, so
hatte doch niemand dessen ein Hehl, und angesehene Sachwalter scheuten
sich nicht, ihr Verhältnis zu den Hetärien ihrer Klienten öffentlich
und verständlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzelner Mann,
der diesem Treiben und nicht zugleich dem öffentlichen Leben sich
entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politischer Don
Quichotte. An die Stelle der Parteien und des Parteienkampfes traten
die Klubs und deren Konkurrenz, an die Stelle des Regiments die
Intrige. Ein mehr als zweideutiger Charakter, Publius Cethegus, einst
einer der eifrigsten Marianer, später als Überläufer zu Sulla zu Gnaden
aufgenommen, spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der
einflußreichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischenträger und
Vermittler zwischen den senatorischen Fraktionen und als
staatsmännischer Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied
über die Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner
Mätresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur möglich, wo keiner
der politisch tätigen Männer sich über die Linie des Gewöhnlichen
erhob; jedes außerordentliche Talent hätte diese Faktionenwirtschaft
wie Spinnweben weggefegt; aber eben an politischen und militärischen
Kapazitäten war der bitterste Mangel. Von dem älteren Geschlecht hatten
die Bürgerkriege keinen einzigen angesehenen Mann übriggelassen als den
alten, klugen, redegewandten Lucius Philippus (Konsul 663 91),. der,
früher popular gesinnt, darauf Führer der Kapitalistenpartei gegen den
Senat und mit den Marianern eng verknüpft, endlich zeitig genug, um
Dank und Lohn zu ernten, übergetreten zu der siegenden Oligarchie,
zwischen den Parteien durchgeschlüpft war. Unter den Männern der
folgenden Generation waren die namhaftesten Häupter der reinen
Aristokratie Quintus Metellus Pius (Konsul 674 80), Sullas Genosse in
Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Konsul in Sullas
Todesjahr 676 (78), der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei
jüngere Offiziere, die beiden Brüder Lucius und Marcus Lucullus, von
denen jener in Asien, dieser in Italien mit Auszeichnung unter Sulla
gefochten hatten; um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius
(640-704 114-50), der nur als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie
Decimus Iunius Brutus (Konsul 677 77), Mamercus Aemilius Lepidus
Livianus (Konsul 677 77) und andern solchen Nullitäten, an denen der
vollklingende aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene
vier Männer erhoben sich wenig über den Durchschnittswert der vornehmen
Adligen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Vater ein feingebildeter
Mann und ehrlicher Aristokrat, aber von mäßigen Talenten und namentlich
kein Soldat. Metellus war nicht bloß ein persönlich achtbarer
Charakter, sondern auch ein fähiger und erprobter Offizier: nicht so
sehr wegen seiner engen verwandtschaftlichen und kollegialischen
Beziehungen zu dem Regenten, als besonders wegen seiner anerkannten
Tüchtigkeit war er im Jahre 675 (79) nach Niederlegung des Konsulats
nach Spanien gesandt worden, als dort die Lusitaner und die römischen
Emigranten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tüchtige
Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der ältere, der
ein sehr achtbares militärisches Talent mit gründlicher literarischer
Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte und auch als
Mensch ehrenwert erschien. Allein als Staatsmänner waren doch selbst
diese besseren Aristokraten nicht viel weniger schlaff und kurzsichtig
als die Dutzendsenatoren der Zeit. Dem äußeren Feind gegenüber
bewährten die namhafteren darunter sich wohl als brauchbar und brav;
aber keiner von ihnen bezeigte Lust und Geschick, die eigentlich
politischen Aufgaben zu lösen und das Staatsschiff durch die bewegte
See der Intrigen und Parteiungen als rechter Steuermann zu lenken. Ihre
politische Weisheit beschränkte sich darauf, aufrichtig zu glauben an
die alleinseligmachende Oligarchie, dagegen die Demagogie ebenso wie
jede sich emanzipierende Einzelgewalt herzlich zu hassen und mutig zu
verwünschen. Ihr kleiner Ehrgeiz nahm mit wenigem vorlieb. Was von
Metellus in Spanien erzählt wird, daß er nicht bloß die wenig
harmonische Leier der spanischen Gelegenheitspoeten sich gefallen,
sondern sogar, wo er hinkam, sich gleich einem Gotte mit Weinspenden
und Weihrauchduft empfangen und bei Tafel von niederschwebenden
Viktorien unter Theaterdonner das Haupt mit dem goldenen Siegeslorbeer
sich kränzen ließ, ist nicht besser beglaubigt als die meisten
geschichtlichen Anekdoten; aber auch in solchem Klatsch spiegelt sich
der heruntergekommene Ehrgeiz der Epigonengeschlechter. Selbst die
Besseren waren befriedigt, wenn nicht Macht und Einfluß, sondern das
Konsulat und der Triumph und im Rate ein Ehrenplatz errungen war, und
traten da, wo sie bei rechtem Ehrgeiz erst angefangen haben würden,
ihrem Vaterland und ihrer Partei wahrhaft nützlich zu sein, von der
politischen Bühne zurück, um in fürstlichem Luxus unterzugehen. Männer
wie Metellus und Lucius Lucullus waren schon als Feldherren nicht
weniger als auf die Erweiterung des römischen Gebiets durch neu
unterworfene Könige und Völkerschaften bedacht auf die der endlosen
Wildbret-, Geflügel- und Dessertliste der römischen Gastronomie durch
neue afrikanische und kleinasiatische Delikatessen und haben den besten
Teil ihres Lebens in mehr oder minder geistreichem Müßiggang verdorben.
Das traditionelle Geschick und die individuelle Resignation, auf denen
alles oligarchische Regiment beruht, waren der verfallenen und
künstlich wiederhergestellten römischen Aristokratie dieser Zeit
abhanden gekommen; ihr galt durchgängig der Cliquengeist als
Patriotismus, die Eitelkeit als Ehrgeiz, die Borniertheit als
Konsequenz. Wäre die Sullanische Verfassung unter die Obhut von Männern
gekommen, wie sie wohl im römischen Kardinalskollegium und im
venezianischen Rat der Zehn gesessen haben, so ist es nicht zu sagen,
ob die Opposition vermocht haben würde, sie so bald zu erschüttern; mit
solchen Verteidigern war allerdings jeder Angriff eine ernste Gefahr.
Unter den Männern, die weder unbedingte Anhänger noch offene Gegner der
Sullanischen Verfassung waren, zog keiner mehr die Augen der Menge auf
sich als der junge, bei Sullas Tode achtundzwanzigjährige Gnaeus
Pompeius (geb. 29. September 648 106). Es war das ein Unglück für den
Bewunderten wie für die Bewunderer; aber es war natürlich. Gesund an
Leib und Seele, ein tüchtiger Turner, der noch als Oberoffizier mit
seinen Soldaten um die Wette sprang, lief und hob, ein kräftiger und
gewandter Reiter und Fechter, ein kecker Freischarenführer, war der
Jüngling in einem Alter, das ihn von jedem Amt und vom Senat ausschloß,
Imperator und Triumphator geworden und hatte in der öffentlichen
Meinung den ersten Platz nächst Sulla, ja von dem läßlichen, halb
anerkennenden, halb ironischen Regenten selbst den Beinamen des Großen
sich erworben. Zum Unglück entsprach seine geistige Begabung diesen
unerhörten Erfolgen schlechterdings nicht. Er war kein böser und kein
unfähiger, aber ein durchaus gewöhnlicher Mensch, durch die Natur
geschaffen, ein tüchtiger Wachtmeister, durch die Umstände berufen,
Feldherr und Staatsmann zu sein. Ein einsichtiger, tapferer und
erfahrener, durchaus vorzüglicher Soldat, war er doch auch als Militär
ohne eine Spur höherer Begabung; als Feldherr wie überhaupt ist es ihm
eigen, mit einer an Ängstlichkeit grenzenden Vorsicht zu Werke zu gehen
und womöglich den entscheidenden Schlag erst dann zu führen, wenn die
ungeheuerste Überlegenheit über den Gegner hergestellt ist. Seine
Bildung ist die Dutzendbildung der Zeit; obwohl durch und durch Soldat
versäumte er doch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen
Redekünstler pflichtmäßig zu bewundern und zu beschenken. Seine
Rechtschaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem
beträchtlichen ererbten und erworbenen Vermögen verständig Haus hält;
er verschmähte es nicht, in der üblichen senatorischen Weise Geld zu
machen, aber er war zu kalt und zu reich, um deswegen sich in besondere
Gefahren zu begeben und hervorragende Schande sich aufzuladen. Die
unter seinen Zeitgenossen im Schwange gehende Lasterhaftigkeit hat mehr
als seine eigene Tugend ihm den - relativ allerdings wohl
gerechtfertigten - Ruhm der Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit
verschafft. Sein “ehrliches Gesicht” ward fast sprichwörtlich, und noch
nach seinem Tode war er ein würdiger und sittlicher Mann; in der Tat
war er ein guter Nachbar, welcher die empörende Sitte der Großen jener
Zeit, ihre Gebietsgrenzen durch Zwangskäufe oder, noch Schlimmeres, auf
Kosten der kleineren Nachbarn auszudehnen, nicht mitmachte, und zeigte
er im Familienleben Anhänglichkeit an Frau und Kinder; es gereicht ihm
ferner zur Ehre, daß er zuerst von der barbarischen Sitte abging, die
gefangenen feindlichen Könige und Feldherrn nach ihrer Aufführung im
Triumph hinrichten zu lassen. Aber das hielt ihn nicht ab, wenn sein
Herr und Meister Sulla befahl, sich von der geliebten Frau zu scheiden,
weil sie einem verfemten Geschlecht angehörte, und auf desselben
Gebieters Wink Männer, die ihm in schwerer Zeit hilfreich beigestanden
hatten, mit großer Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten zu lassen; er
war nicht grausam, wie man ihm vorwarf, aber, was vielleicht schlimmer
ist, kalt und im Guten wie im Bösen ohne Leidenschaft. Im
Schlachtgetümmel sah er dem Feinde das Weiße im Auge; im bürgerlichen
Leben war er ein schüchterner Mann, dem bei der geringsten Veranlassung
das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Verlegenheit öffentlich
sprach, überhaupt eckig, steif und ungelenk im Verkehr. Bei all seinem
hoffärtigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel diejenigen es sind,
die ihre Selbständigkeit zur Schau tragen, ein lenksames Werkzeug in
der Hand derjenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner
Freigelassenen und Klienten, von denen er nicht fürchtete, beherrscht
zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staatsmann.
Unklar über seine Ziele, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im
kleinen wie im großen kurzsichtig und ratlos, pflegte er seine
Unschlüssigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen zu
verbergen und, wenn er fein zu spielen meinte, nur mit dem Glauben
andere zu täuschen, sich selber zu betrügen. Durch seine militärische
Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast ohne
sein Zutun eine ansehnliche, ihm persönlich ergebene Partei zu, mit der
sich die größten Dinge hätten durchführen lassen; allein Pompeius war
in jeder Beziehung unfähig, eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten,
und wenn sie dennoch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne
sein Zutun durch das bloße Schwergewicht der Verhältnisse. Hierin wie
in andern Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist mit seinem
bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen doch noch minder
unerträglich als dieser langweiligste und steifleinenste aller
nachgemachten großen Männer. Seine politische Stellung war durchaus
schief. Er war Sullanischer Offizier und für die restaurierte
Verfassung einzustehen verpflichtet, und doch auch wieder in Opposition
gegen Sulla persönlich wie gegen das ganze senatorische Regiment. Das
Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den
Konsularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie
noch keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen
den Senat eine sehr gehässige Zwitterstellung eingenommen und er selbst
einst in den Reihen der Cinnaner gestanden - Erinnerungen, die wohl
verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die hervorragende Stellung,
die Pompeius unter Sulla sich erwarb, entzweite ihn innerlich
ebensosehr mit der Aristokratie, wie sie ihn äußerlich mit derselben
verflocht. Schwachköpfig wie er war, ward Pompeius auf der so
bedenklich rasch und leicht erklommenen Ruhmeshöhe vom Schwindel
ergriffen. Gleich als wolle er seine dürr prosaische Natur durch die
Parallele mit der poetischsten aller Heldengestalten selber verhöhnen,
fing er an sich mit Alexander dem Großen zu vergleichen und sich für
einen einzigen Mann zu halten, dem es nicht gezieme, bloß einer von den
fünfhundert römischen Ratsherren zu sein. In der Tat war niemand mehr
geschaffen, in ein aristokratisches Regiment als Glied sich einzufügen,
als er. Pompeius’ würdevolles Äußere, seine feierliche Förmlichkeit,
seine persönliche Tapferkeit, sein ehrbares Privatleben, sein Mangel an
aller Initiative hätten ihm, wäre er zweihundert Jahre früher geboren
worden, neben Quintus Maximus und Publius Decius einen ehrenvollen
Platz gewinnen mögen; zu der Wahlverwandtschaft, die zwischen Pompeius
und der Masse der Bürgerschaft und des Senats zu allen Zeiten bestand,
hat diese echt optimatische und echt römische Mediokrität nicht am
wenigsten beigetragen. Auch in seiner Zeit noch hätte es eine klare und
ansehnliche Stellung für ihn gegeben, wofern er damit sich genügen
ließ, der Feldherr des Rates zu sein, zu dem er von Haus aus bestimmt
war. Es genügte ihm nicht und so geriet er in die verhängnisvolle Lage,
etwas anderes sein zu wollen als er sein konnte. Beständig trachtete er
nach einer Sonderstellung im Staat und wenn sie sich darbot, konnte er
sich nicht entschließen, sie einzunehmen; mit tiefer Erbitterung nahm
er es auf, wenn Personen und Gesetze nicht unbedingt vor ihm sich
beugten, und doch trat er selbst mit nicht bloß affektierter
Bescheidenheit überall auf als einer von vielen Gleichberechtigten und
zitterte vor dem bloßen Gedanken, etwas Verfassungswidriges zu
beginnen. Also beständig in gründlicher Spannung mit und doch zugleich
der gehorsame Diener der Oligarchie, beständig gepeinigt von einem
Ehrgeiz, der vor seinem eigenen Ziele erschrickt, verfloß ihm in ewigem
innerem Widerspruch freudelos sein vielbewegtes Leben.
Ebensowenig als Pompeius kann Marcus Crassus zu den unbedingten
Anhängern der Oligarchie gezählt werden. Er ist eine für diese Epoche
höchst charakteristische Figur. Wie Pompeius, dem er im Alter um wenige
Jahre voranging, gehörte auch er zu dem Kreise der hohen römischen
Aristokratie, hatte die gewöhnliche standesmäßige Erziehung erhalten
und gleich Pompeius unter Sulla im Italischen Kriege mit Auszeichnung
gefochten. An geistiger Begabung, literarischer Bildung und
militärischem Talent weit zurückstehend hinter vielen seinesgleichen,
überflügelte er sie durch seine grenzenlose Rührigkeit und durch die
Beharrlichkeit, mit der er rang, alles zu besitzen und zu bedeuten. Vor
allen Dingen warf er sich in die Spekulation. Güterkäufe während der
Revolution begründeten sein Vermögen; aber er verschmähte keinen
Erwerbszweig; er betrieb das Baugeschäft in der Hauptstadt ebenso
großartig wie vorsichtig; er ging mit seinen Freigelassenen bei den
mannigfaltigsten Unternehmungen in Kompagnie; er machte in und außer
Rom, selbst oder durch seine Leute den Bankier; er Schoß seinen
Kollegen Im Senat Geld vor und unternahm es, für ihre Rechnung wie es
fiel Arbeiten auszuführen oder Richterkollegien zu bestechen.
Wählerisch im Profitmachen war er eben nicht. Schon bei den
Sullanischen Ächtungen war ihm eine Fälschung in den Listen
nachgewiesen worden, weshalb Sulla sich von da an in Staatsgeschäften
seiner nicht weiter bedient hatte; die Erbschaft nahm er darum nicht
weniger, weil die Testamentsurkunde, in der sein Name stand, notorisch
gefälscht war; er hatte nichts dagegen, wenn seine Meier die kleinen
Anlieger ihres Herrn von ihren Ländereien gewaltsam oder heimlich
verdrängten. Übrigens vermied er offene Kollisionen mit der
Kriminaljustiz und lebte als echter Geldmann selbst bürgerlich und
einfach. Auf diesem Wege ward Crassus binnen wenig Jahren aus einem
Mann von gewöhnlichem senatorischen, der Herr eines Vermögens, das
nicht lange vor seinem Tode nach Bestreitung ungeheurer
außerordentlicher Ausgaben sich noch auf 170 Mill. Sesterzen (13 Mill.
Taler) belief: er war der reichste Römer geworden und damit zugleich
eine politische Größe. Wenn nach seiner Äußerung niemand sich reich
nennen durfte, der nicht aus seinen Zinsen ein Kriegsheer zu
unterhalten vermochte, so war, wer dies vermochte, kaum noch ein bloßer
Bürger. In der Tat war Crassus’ Blick auf ein höheres Ziel gerichtet
als auf den Besitz der gefülltesten Geldkiste in Rom. Er ließ es sich
keine Mühe verdrießen, seine Verbindungen auszudehnen. Jeden Bürger der
Hauptstadt wußte er beim Namen zu grüßen. Keinem Bittenden versagte er
seinen Beistand vor Gericht. Zwar die Natur hatte nicht viel für ihn
als Sprecher getan: seine Rede war trocken, der Vortrag eintönig, er
hörte schwer; aber sein zäher Sinn, den keine Langeweile abschreckte
wie kein Genuß abzog, überwand die Hindernisse. Nie erschien er
unvorbereitet, nie extemporierte er, und so ward er ein allzeit
gesuchter und allzeit fertiger Anwalt, dem es keinen Eintrag tat, daß
ihm nicht leicht eine Sache zu schlecht war und daß er nicht bloß durch
sein Wort, sondern auch durch seine Verbindungen und vorkommenden Falls
durch sein Gold auf die Richter einzuwirken verstand. Der halbe Rat war
ihm verschuldet; seine Gewohnheit, den Freunden Geld ohne Zinsen auf
beliebige Rückforderung vorzuschießen, machte eine Menge einflußreicher
Männer von ihm abhängig, um so mehr, da er als echter Geschäftsmann
keinen Unterschied unter den Parteien machte, überall Verbindungen
unterhielt und bereitwillig jedem borgte, der zahlungsfähig oder sonst
brauchbar war. Die verwegensten Parteiführer, die rücksichtslos nach
allen Seiten hin ihre Angriffe richteten, hüteten sich, mit Crassus
anzubinden; man verglich ihn dem Stier der Herde, den zu reizen für
keinen rätlich war. Daß ein so gearteter und so gestellter Mann nicht
nach niedrigen Zielen streben konnte, leuchtet ein; und, anders als
Pompeius, wußte Crassus genau wie ein Bankier, worauf und womit er
politisch spekulierte. Seit Rom stand, war daselbst das Kapital eine
politische Macht; die Zeit war von der Art, daß dem Golde wie dem Eisen
alles zugänglich schien. Wenn in der Revolutionszeit eine
Kapitalistenaristokratie daran hatte denken mögen, die Oligarchie der
Geschlechter zu stürzen, so durfte auch ein Mann wie Crassus die Blicke
höher erheben als zu den Rutenbündeln und dem gestickten Mantel der
Triumphatoren. Augenblicklich war er Sullaner und Anhänger des Senats;
allein er war viel zu sehr Finanzmann, um einer bestimmten politischen
Partei sich zu eigen zu geben und etwas anderes zu verfolgen als seinen
persönlichen Vorteil. Warum sollte Crassus, der reichste und der
intriganteste Mann in Rom und kein scharrender Geizhals, sondern ein
Spekulant im größten Maßstab, nicht spekulieren auch auf die Krone?
Vielleicht vermochte er allein es nicht, dies Ziel zu erreichen; aber
er hatte ja schon manches großartige Gesellschaftsgeschäft gemacht: es
war nicht unmöglich, daß auch hierfür ein passender Teilnehmer sich
darbot. Es gehörte zur Signatur der Zeit, daß ein mittelmäßiger Redner
und Offizier, ein Politiker, der seine Rührigkeit für Energie, seine
Begehrlichkeit für Ehrgeiz hielt, der im Grunde nichts hatte als ein
kolossales Vermögen und das kaufmännische Talent, Verbindungen
anzuknüpfen - daß ein solcher Mann, gestützt auf die Allmacht der
Koterien und Intrigen, den ersten Feldherren und Staatsmännern der Zeit
sich ebenbürtig achten und mit ihnen um den höchsten Preis ringen
durfte, der dem politischen Ehrgeiz winkt.
In der eigentlichen Opposition, sowohl unter den liberalen
Konservativen als unter den Popuhren, hatten die Stürme der Revolution
mit erschreckender Gründlichkeit aufgeräumt. Unter jenen war der einzig
übriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta (630 bis ca. 681 124 -73),
der Freund und Bundesgenosse des Drusus und deswegen im Jahre 663 (91)
verbannt, sodann durch Sullas Krieg zurückgeführt in die Heimat; er war
ein kluger Mann und ein tüchtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht
seiner Partei noch durch das seiner Persönlichkeit zu mehr berufen als
zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei zog unter
dem jungen Nachwuchs der vierundzwanzigjährige Gaius Iulius Caesar
(geb. 12. Juli 652? 102) ^2 die Blicke von Freund und Feind auf sich.
Seine Verschwägerung mit Marius und Cinna - seines Vaters Schwester war
Marius’ Gemahlin gewesen, er selbst mit Cinnas Tochter vermählt -; die
mutige Weigerung des kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings, nach
dem Befehl des Diktators seiner jungen Gemahlin Cornelia den
Scheidebrief zuzusenden, wie es doch im gleichen Falle Pompeius getan;
ein keckes Beharren auf dem ihm von Marius zugeteilten, von Sulla aber
wieder aberkannten Priesteramt; seine Irrfahrten während der ihm
drohenden und mühsam durch Fürbitte seiner Verwandten abgewandten
Ächtung; seiner Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und in
Kilikien, die dem zärtlich erzogenen und fast weiblich stutzerhaften
Knaben niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen Sullas vor dem
“Knaben im Unterrock”, in dem mehr als ein Marius stecke - alles dies
waren ebenso viele Empfehlungen in den Augen der demokratischen Partei.
Indes an Caesar konnten doch nur Hoffnungen für die Zukunft sich
knüpfen; und die Männer, die durch ihr Alter und ihre Stellung im Staat
schon jetzt berufen gewesen sein würden, der Zügel der Partei und des
Staates sich zu bemächtigen, waren sämtliche tot oder geächtet. So war
die Führerschaft der Demokratie in Ermangelung eines wahrhaft Berufenen
für jeden zu haben, dem es belieben mochte, sich zum Vertreter der
unterdrückten Volksfreiheit aufzuwerfen; und in dieser Weise kam sie an
Marcus Aemilius Lepidus, einen Sullaner, der aus mehr als zweideutigen
Beweggründen überging in das Lager der Demokratie. Einst ein eifriger
Optimat und stark beteiligt bei den über die Güter der Geächteten
abgehaltenen Auktionen, hatte er als Statthalter von Sizilien die
Provinz so arg geplündert, daß ihm eine Anklage drohte, und, um dieser
zu entgehen, sich in die Opposition geworfen. Es war ein Gewinn von
zweifelhaftem Werte. Zwar ein bekannter Name, ein vornehmer Mann, ein
hitziger Redner auf dem Markt war damit der Opposition erworben; aber
Lepidus war ein unbedeutender und unbesonnener Kopf, der weder im Rate
noch im Felde verdiente, an der Spitze zu stehen. Nichtsdestoweniger
hieß die Opposition ihn willkommen, und dem neuen Demokratenführer
gelang es nicht bloß, seine Ankläger von der Fortsetzung des gegen ihn
begonnenen Angriffs abzuschrecken, sondern auch, seine Wahl zum Konsul
für 676 (78) durchzusetzen, wobei ihm übrigens außer den in Sizilien
erpreßten Schätzen auch Pompeius’ albernes Bestreben förderlich war,
bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern zu zeigen, was er
vermöge. Da also, als Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein
Haupt gefunden hatte und da dieser ihr Führer der höchste Beamte des
Staats geworden war, so ließ sich der nahe Ausbruch einer neuen
Revolution in der Hauptstadt mit Sicherheit vorhersehen.
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^2 Als Caesars Geburtsjahr pflegt man das Jahr 654 (100) anzusetzen,
weil er nach Sueton (Caes. 88), Plutarch (Caes. 69) und Appian (civ. 2
149) bei seinem Tode (15. März 710 44) im 56. Jahre stand; womit auch
die Angabe, daß er zur Zeit der Sullanischen Proskription (672 82)
achtzehn Jahre alt gewesen (Vell. 2, 41), ungefähr übereinstimmt. Aber
in unauflöslichem Widerspruch damit steht es, daß Caesar im Jahre 689
(65) die Ädilität, 692 (62) die Prätur, 695 (59) das Konsulat bekleidet
hat und jene Ämter nach den Annalgesetzen frühestens resp. im 37/38.,
40/41. und 43/44. Lebensjahr bekleidet werden durften. Es ist nicht
abzusehen, wie Caesar sämtliche kurulischen Ämter zwei Jahre vor der
gesetzlichen Zeit bekleidet haben, noch weniger, daß hiervon nirgends
Erwähnung geschehen sein sollte. Vielmehr legen diese Tatsachen die
Vermutung nahe, daß er, da sein Geburtstag unbezweifelt auf den 12.
Juli fiel, nicht 654 (100), sondern 652 (102) geboren ist, also im
Jahre 672 (82) im 20/21. Lebensjahre stand und nicht im 56., sondern 57
Jahre 8 Monate alt starb. Für diesen letzteren Ansatz läßt sich ferner
geltend machen, was man auffallenderweise dagegen angeführt hat, daß
Caesar “paene puer” von Marius und Cinna zum Flamen des Jupiter
bestellt wurde (Vell. 2, 43); denn Marius starb im Januar 668 (86), wo
Caesar nach dem gewöhnlichen Ansatz dreizehn Jahre und sechs Monate
alt, also nicht “beinahe”, wie Velleius sagt, sondern wirklich noch
Knabe und aus diesem Grunde eines solchen Priestertums kaum fähig war.
War er dagegen im Juli 652 (102) geboren, so stand er bei dem Tode des
Marius im sechzehnten Lebensjahr; und dazu stimmt die Bezeichnung bei
Velleius wie die allgemeine Regel, daß bürgerliche Stellungen nicht vor
Ablauf des Knabenalters übernommen werden. Zu diesem letzteren Ansatz
paßt es ferner allein, daß die um den Ausbruch des Bürgerkrieges von
Caesar geschlagenen Denare mit der Zahl LII, wahrscheinlich dem
Lebensjahr, bezeichnet sind; denn als er begann, war Caesar hiernach
etwas über 52 Jahre alt. Auch ist es nicht so verwegen, wie es uns an
regelmäßige und amtliche Geburtslisten Gewöhnten erscheint, in dieser
Hinsicht unsere Gewährsmänner eines Irrtum zu zeihen. Jene vier Angaben
können sehr wohl alle auf eine gemeinschaftliche Quelle zurückgehen und
dürfen überhaupt, da für die ältere Zeit vor dem Beginn der acta diurna
die Angaben über die Geburtsjahre auch der bekanntesten und
höchstgestellten Römer, zum Beispiel über das des Pompeius, in der
auffallendsten Weise schwanken, auf keine sehr hohe Glaubwürdigkeit
Anspruch machen. Vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 570.
In dem ‘Leben Caesars’ von Napoleon III. (Bd. 2, Kap. 1) ist hiergegen
eingewandt worden, teils daß das Annalgesetz für Caesars Geburtsjahr
nicht auf 652 (102), sondern 651 (103) führen würde, teils besonders,
daß auch sonst Fälle bekannt sind, wo dasselbe nicht befolgt worden
ist. Allein die erste Behauptung beruht auf einem Versehen; denn wie
Ciceros Beispiel zeigt, forderte das Annalgesetz nur, daß bei Antritt
des Amtes das 43. Lebensjahr begonnen, nicht daß es zurückgelegt sei.
Die behaupteten Ausnahmen aber von der Regel treffen sämtlich nicht zu.
Wenn Tacitus (ann. 11, 22) sagt, daß man ehemals bei der Vergebung der
Ämter gar keine Rücksicht auf das Alter genommen und Konsulat und
Diktatur an ganz junge Leute übertragen habe, so hat er natürlich, wie
auch alle Erklärer anerkennen, dabei die ältere Zeit im Sinne, vor
Erlaß der Annalgesetze, das Konsulat des dreiundzwanzigjährigen M.
Valerius Corvus und ähnliche Fälle. Daß Lucullus das höchste Amt vor
dem gesetzlichen Alter empfing, ist falsch; es wird nur berichtet (Cic.
ac. 2. 1, 1), daß auf Grund einer uns nicht näher bekannten
Ausnahmeklausel zur Belohnung für irgendwelche von ihm verrichtete Tat
er von dem gesetzlichen zweijährigen Intervall zwischen Ädilität und
Prätur dispensiert war - in der Tat war er 675 Ädil, wahrscheinlich 677
Prätor, 680 Konsul. Daß der Fall des Pompeius ein gänzlich
verschiedener ist, liegt auf der Hand; aber auch von Pompeius wird
mehrfach ausdrücklich gemeldet (Cic. imp. Cn. Pomp. 21, 62; App. civ.
3, 88), daß der Senat ihn von den Altersgesetzen entband. Daß dies für
Pompeius geschah, der als sieggekrönter Oberfeldherr und Triumphator,
an der Spitze eines Heeres und seit seiner Koalition mit Crassus auch
einer mächtigen Partei, sich um das Konsulat bewarb, ist ebenso
begreiflich, als es im höchsten Grade auffallend sein würde, wenn
dasselbe für Caesar bei seiner Bewerbung um die minderen Ämter
geschehen sein sollte, wo er wenig mehr bedeutete als andere politische
Anfänger; und noch viel auffallender ist es, daß wohl von jener
selbstverständlichen Ausnahme, aber nicht von dieser mehr als seltsamen
sich Erwähnung findet, so nahe solche Erwähnungen, namentlich im
Hinblick auf den 21jährigen Konsul Caesar den Sohn auch gelegen haben
würden (vgl. z. B. App. civ. 3, 88). Wenn aus diesen unzutreffenden
Beispielen dann die Folgerung gezogen wird, daß “man in Rom das Gesetz
wenig beachtet habe, wenn es sich um ausgezeichnete Männer handelte”,
so ist über Rom und die Römer wohl nie etwas Irrigeres gesagt worden
als dieser Satz. Die Größe des römischen Gemeinwesens wie nicht minder
die seiner großen Feldherren und Staatsmänner beruht vor allen Dingen
darauf, daß das Gesetz auch für sie galt.
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Schon früher aber als die Demokraten in der Hauptstadt hatten sich in
Spanien die demokratischen Emigranten wieder geregt. Die Seele dieser
Bewegung war Quintus Sertorius. Dieser vorzügliche Mann, geboren in
Nursia im Sabinerland, war von Haus aus zart und selbst weich
organisiert - die fast schwärmerische Liebe für seine Mutter Raia zeigt
es - und zugleich von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem
Kimbrischen, dem Spanischen und dem Italischen Krieg heimgebrachten
ehrenvollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gänzlich ungeschult,
erregte er durch den natürlichen Fluß und die treffende Sicherheit
seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein ungemeines
militärisches und staatsmännisches Talent hatte er namentlich in dem
von den Demokraten so über die Maßen elend und kopflos geführten
Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in glänzendem Kontrast zu
beweisen: anerkanntermaßen war er der einzige demokratische Offizier,
der den Krieg vorzubereiten und zu leiten verstand, und der einzige
demokratische Staatsmann, der dem gedankenlosen Treiben und Wüten
seiner Partei mit staatsmännischer Energie entgegentrat. Seine
spanischen Soldaten nannten ihn den neuen Hannibal und nicht bloß
deswegen, weil er gleich diesem im Kriege ein Auge eingebüßt hatte. Er
erinnert in der Tat an den großen Phöniker durch seine ebenso
verschlagene als mutige Kriegführung, sein seltenes Talent, den Krieg
durch den Krieg zu organisieren, seine Gewandtheit, fremde Nationen in
sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen, seine
Besonnenheit im Glück und Unglück, seine erfinderische Raschheit in der
Benutzung seiner Siege wie in der Abwendung der Folgen seiner
Niederlagen. Man darf zweifeln, ob irgendein römischer Staatsmann der
früheren oder der gegenwärtigen Zeit an allseitigem Talent mit
Sertorius sich vergleichen läßt. Nachdem Sullas Feldherren ihn
gezwungen hatten, aus Spanien zu weichen, hatte er an den spanischen
und afrikanischen Küsten ein unstetes Abenteuerleben geführt, bald im
Bunde, bald im Kriege mit den auch hier einheimischen kilikischen
Piraten und den Häuptlingen der schweifenden Stämme Libyens. Selbst
hierhin hatte die siegreiche römische Restauration ihn verfolgt; als er
Tingis (Tanger) belagerte, war dem Fürsten der Stadt zu Hilfe aus dem
römischen Afrika ein Korps unter Pacciaecus erschienen; aber Pacciaecus
ward von Sertorius völlig geschlagen und Tingis genommen. Auf das
weithin erschallende Gerücht von solchen Kriegstaten des römischen
Flüchtlings sandten die Lusitaner, die trotz ihrer angeblichen
Unterwerfung unter die römische Oberhoheit tatsächlich ihre
Unabhängigkeit behaupteten und jährlich mit den Statthaltern des
Jenseitigen Spaniens fochten, Botschaft an Sertorius nach Afrika, um
ihn zu sich einzuladen und ihm das Feldherrnamt über ihre Miliz zu
übertragen. Sertorius, der zwanzig Jahre zuvor unter Titus Didius in
Spanien gedient hatte und die Hilfsquellen des Landes kannte, beschloß,
der Einladung Folge zu leisten, und schiffte mit Zurücklassung eines
kleinen Postens an der mauretanischen Küste nach Spanien sich ein (um
674 80). Die Meerenge, die Spanien und Afrika scheidet, war besetzt
durch ein römisches, von Cotta geführtes Geschwader; sich
durchzuschleichen war nicht möglich; so schlug Sertorius sich durch und
gelangte glücklich zu den Lusitanern. Es waren nicht mehr als zwanzig
lusitanische Gemeinden, die sich unter seine Befehle stellten, und auch
von “Römern” musterte er nur 2600 Mann, von denen ein guter Teil
Übergetretene aus dem Heer des Pacciaecus oder römisch bewaffnete
Afrikaner waren. Sertorius erkannte es, daß alles darauf ankam, den
losen Guerillaschwärmen einen festen Kern römisch organisierter und
disziplinierter Truppen zu geben; er verstärkte zu diesem Ende seine
mitgebrachte Schar durch Aushebung von 4000 Fußsoldaten und 700 Reitern
und rückte mit dieser einen Legion und den Schwärmen der spanischen
Freiwilligen gegen die Römer vor. Den Befehl im jenseitigen Spanien
führte Lucius Fufidius, der durch seine unbedingte und bei den
Ächtungen erprobte Hingebung an Sulla vom Unteroffizier zum Proprätor
aufgerückt war; am Baetis ward dieser völlig geschlagen; 2000 Römer
bedeckten die Walstatt. Eilige Boten beriefen den Statthalter der
benachbarten Ebroprovinz, Marcus Domitius Calvinus, um dem weiteren
Vordringen der Sertorianer ein Ziel zu setzen; bald erschien (675 79)
auch der erprobte Feldherr Quintus Metellus, von Sulla gesandt, um den
unbrauchbaren Fufidius im südlichen Spanien abzulösen. Aber es gelang
doch nicht, des Aufstandes Herr zu werden. In der Ebroprovinz wurde von
dem Unterfeldherrn des Sertorius, dem Quästor Lucius Hirtuleius, nicht
bloß Calvinus’ Heer vernichtet und er selbst getötet, sondern auch
Lucius Manlius, der Statthalter des jenseitigen Galliens, der seinem
Kollegen zu Hilfe mit drei Legionen die Pyrenäen überschritten, von
demselben tapferen Führer vollständig geschlagen. Mühsam rettete
Manlius sich mit weniger Mannschaft nach Ilerda (Lerida) und von da in
seine Provinz, auf welchem Marsch er noch durch einen Überfall der
aquitanischen Völkerschaften sein ganzes Gepäck einbüßte. Im
Jenseitigen Spanien drang Metellus in das lusitanische Gebiet ein;
allein es gelang Sertorius, während der Belagerung von Longobriga
(unweit der Tajomündung) eine Abteilung unter Aquinus in einen
Hinterhalt zu locken und dadurch Metellus selbst zur Aufhebung der
Belagerung und zur Räumung des lusitanischen Gebietes zu zwingen.
Sertorius folgte ihm, schlug am Anas (Guadiana) das Korps des Thorius
und tat dem feindlichen Oberfeldherrn selbst unsäglichen Abbruch im
kleinen Kriege. Metellus, ein methodischer und etwas schwerfälliger
Taktiker, war in Verzweiflung über diesen Gegner, der die
Entscheidungsschlacht beharrlich verweigerte, aber Zufuhr und
Kommunikationen ihm abschnitt und von allen Seiten ihn beständig
umschwärmte.
Diese ungemeinen Erfolge, die Sertorius in beiden spanischen Provinzen
erfocht, waren im so bedeutsamer, als sie nicht bloß durch die Waffen
errungen wurden und nicht bloß militärischer Natur waren. Die
Emigrierten als solche waren nicht furchtbar; auch an einzelnen
Erfolgen der Lusitaner unter diesem oder jenem fremden Führer war wenig
gelegen. Aber mit dem sichersten politischen und patriotischen Takt
trat Sertorius, sowie er irgend es vermochte, statt als Condottiere der
gegen Rom empörten Lusitaner auf als römischer Feldherr und Statthalter
von Spanien, in welcher Eigenschaft er ja von den ehemaligen
Machthabern dorthin gesandt worden war. Er fing an ^3, aus den Häuptern
der Emigration einen Senat zu bilden, der bis auf dreihundert
Mitglieder steigen und in römischen Formen die Geschäfte leiten und die
Beamten ernennen sollte. Er betrachtete sein Heer als ein römisches und
besetzte die Offiziersstellen ohne Ausnahme mit Römern. Den Spaniern
gegenüber war er der Statthalter, der kraft seines Amtes Mannschaft und
sonstige Unterstützung von ihnen einmahnte; aber freilich ein
Statthalter, der statt des gewohnten despotischen Regiments bemüht war,
die Provinzialen an Rom und an sich persönlich zu fesseln. Sein
ritterliches Wesen machte ihm das Eingehen auf die spanische Weise
leicht und erweckte bei dem spanischen Adel für den wahlverwandten
wunderbaren Fremdling die glühendste Begeisterung; nach der auch hier
wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriegerischen Sitte
der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten Spanier, zu ihrem
römischen Feldherrn treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in
ihnen zuverlässigere Waffengefährten als in seinen Landsleuten und
Parteigenossen. Er verschmähte es nicht, auch den Aberglauben der
roheren spanischen Völkerschaften für sich nutzbar zu machen und seine
kriegerischen Pläne als Befehle der Diana durch die weiße Hindin der
Göttin sich zutragen zu lassen. Durchaus führte er ein gerechtes und
gelindes Regiment. Seine Truppen mußten, wenigstens so weit sein Auge
und sein Arm reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im
allgemeinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem
von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet verübten Frevel. Aber auch
auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen war er bedacht; er
setzte die Tribute herab und wies die Soldaten an, sich für den Winter
Baracken zu erbauen, wodurch die drückende Last der Einquartierung
wegfiel und damit eine Quelle unsäglicher Übelstände und Quälereien
verstopft ward. Für die Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca
(Huesca) eine Akademie errichtet, in der sie den in Rom gewöhnlichen
höheren Jugendunterricht empfingen, römisch und griechisch reden und
die Toga tragen lernten - eine merkwürdige Maßregel, die keineswegs
bloß den Zweck hatte, von den Verbündeten die in Spanien nun einmal
unvermeidlichen Geiseln in möglichst schonender Form zu nehmen, sondern
vor allem ein Ausfluß und eine Steigerung war des großen Gedankens des
Gaius Gracchus und der demokratischen Partei, die Provinzen allmählich
zu romanisieren. Hier zuerst wurde der Anfang dazu gemacht, die
Romanisierung nicht durch Ausrottung der alten Bewohner und Ersetzung
derselben durch italische Emigranten zu bewerkstelligen, sondern die
Provinzialen selbst zu romanisieren. Die Optimaten in Rom spotteten
über den elenden Emigranten, den Ausreißer aus der italischen Armee,
den letzten von der Räuberbande des Carbo; der dürftige Hohn fiel auf
sie selber zurück. Man rechnete die Massen, die gegen Sertorius ins
Feld geführt worden waren, mit Einschluß des spanischen Landsturms auf
120000 Mann zu Fuß, 2000 Bogenschützen und Schleuderer und 6000 Reiter.
Gegen diese ungeheure Übermacht hatte Sertorius nicht bloß sich in
einer Kette von glücklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern
auch den größten Teil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der
jenseitigen Provinz sah sich Metellus beschränkt auf die unmittelbar
von seinen Truppen besetzten Gebietsteile; hier hatten alle
Völkerschaften, die es konnten, Partei für Sertorius ergriffen. In der
diesseitigen gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein römisches Heer
mehr. Sertorianische Emissäre durchstreiften das ganze gallische
Gebiet; schon fingen auch hier die Stämme an, sich zu regen, und
zusammengerottete Haufen, die Alpenpässe unsicher zu machen. Die See
endlich gehörte ebensosehr den Insurgenten wie der legitimen Regierung,
da die Verbündetem jener, die Korsaren, in den spanischen Gewässern
fast so mächtig waren wie die römischen Kriegsschiffe. Auf dem
Vorgebirge der Diana (jetzt Denia zwischen Valencia und Alicante)
richtet Sertorius jenen eine feste Station ein, wo sie teils den
römischen Schiffen auflauerten, die den römischen Seestädten und dem
Heer ihren Bedarf zuführten, teils den Insurgenten die Waren abnahmen
oder lieferten, teils deren Verkehr mit Italien und Kleinasien
vermittelten. Daß diese allzeit fertigen Vermittler von der lohenden
Brandstätte überall hin die Funken trugen, war in hohem Grade
besorgniserregend, zumal in einer Zeit, wo überall im Römischen Reiche
so viel Brennstoff aufgehäuft war.
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^3 Wenigstens die Grundzüge dieser Organisation müssen in die Jahre 674
(80), 675 (79), 676 (78) fallen, wenngleich die Ausführung ohne Zweifel
zum guten Teil erst den späteren Jahren angehört.
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In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod (676 78).
Solange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geübtes und zuverlässiges
Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erheben bereit war, mochte die
Oligarchie den fast, wie es schien, entschiedenen Verlust der
spanischen Provinzen an die Emigranten sowie die Wahl des Führers der
Opposition daheim zum höchsten Beamten des Reiches allenfalls als
vorübergehende Mißgeschicke ertragen und, freilich in ihrer
kurzsichtigen Art, aber doch nicht ganz mit Unrecht, darauf sich
verlassen, daß entweder die Opposition es nicht wagen werde, zum
offenen Kampfe zu schreiten, oder daß, wenn sie es wage, der zweimalige
Erretter der Oligarchie dieselbe zum dritten Male herstellen werde.
Jetzt war der Stand der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen
Heißsporne in der Hauptstadt, längst ungeduldig über das endlose Zögern
und angefeuert durch die glänzenden Botschaften aus Spanien, drängten
zum Losschlagen, und Lepidus, bei dem augenblicklich die Entscheidung
stand, ging mit dem ganzen Eifer des Renegaten und mit der ihm
persönlich eigenen Leichtfertigkeit darauf ein. Einen Augenblick schien
es, als solle an der Fackel, die den Scheiterhaufen des Regenten
anzündete, auch der Bürgerkrieg sich entflammen; indes Pompeius’
Einfluß und die Stimmung der Sullanischen Veteranen bestimmten die
Opposition, das Leichenbegängnis des Regenten noch ruhig vorübergehen
zu lassen. Allein nur um so offener traf man sodann die Einleitung zur
abermaligen Revolution. Bereits hallte der Markt der Hauptstadt wider
von Anklagen gegen den “karikierten Romulus” und seine Schergen. Noch
bevor der Gewaltige die Augen geschlossen hatte, wurden von Lepidus und
seinen Anhängern der Umsturz der Sullanischen Verfassung, die
Wiederherstellung der Getreideverteilungen, die Wiedereinsetzung der
Volkstribune in den vorigen Stand, die Zurückführung der gesetzwidrig
Verbannten, die Rückgabe der konfiszierten Ländereien offen als das
Ziel der Agitation bezeichnet. Jetzt wurden mit den Geächteten
Verbindungen angeknüpft; Marcus Perpenna, in der cinnanischen Zeit
Statthalter von Sizilien, fand sich ein in der Hauptstadt. Die Söhne
der Sullanischen Hochverräter, auf denen die Restaurationsgesetze mit
unerträglichem Drucke lasteten, und überhaupt die namhafteren
marianisch gesinnten Männer wurden zum Beitritt aufgefordert; nicht
wenige, wie der junge Lucius Cinna, schlossen sich an; andere freilich
folgten dem Beispiele Gaius Caesars, der zwar auf die Nachricht von
Sullas Tode und Lepidus’ Plänen aus Asien heimgekehrt war, aber nachdem
er den Charakter des Führers und der Bewegung genauer kennengelernt
hatte, vorsichtig sich zurückzog. In der Hauptstadt ward auf Lepidus’
Rechnung in den Weinhäusern und den Bordellen gezecht und geworben.
Unter den etruskischen Mißvergnügten endlich ward eine Verschwörung
gegen die neue Ordnung der Dinge angezettelt ^4.
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^4 Die folgende Erzählung beruht wesentlich auf dem Bericht des
Licinianus, der, so trümmerhaft er auch gerade hier ist, dennoch über
die Insurrektion des Lepidus wichtige Aufschlüsse gibt.
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Alles dies geschah unter den Augen der Regierung. Der Konsul Catulus
sowie die verständigeren Optimaten drangen darauf, sofort entschieden
einzuschreiten und den Aufstand im Keime zu ersticken; allein die
schlaffe Majorität konnte sich nicht entschließen, den Kampf zu
beginnen, sondern versuchte so lange wie möglich, durch ein System von
Transaktionen und Konzessionen sich selber zu täuschen. Lepidus ging
zunächst auf dasselbe auch seinerseits ein. Das Ansinnen, die
Zurückgabe der den Volkstribunen entzogenen Befugnisse zu beantragen,
wies er nicht minder ab wie sein Kollege Catulus. Dagegen wurde die
Gracchische Kornverteilung in beschränktem Umfang wiederhergestellt. Es
scheinen danach nicht wie nach dem Sempronischen Gesetz alle, sondern
nur eine bestimmte Anzahl - vermutlich 40000 - ärmere Bürger die
früheren Spenden, wie sie Gracchus bestimmt hatte, fünf Scheffel
monatlich für den Preis von 6 1/3 Assen (2¾ Groschen) empfangen zu
haben - eine Bestimmung, aus der dem Ärar ein jährlicher Nettoverlust
von mindestens 300000 Talern erwuchs ^5. Die Opposition, durch diese
halbe Nachgiebigkeit natürlich ebensowenig befriedigt wie entschieden
ermutigt, trat in der Hauptstadt nur um so schroffer und gewaltsamer
auf; und in Etrurien, dem rechten Herd aller italischen
Proletarierinsurrektionen, brach bereits der Bürgerkrieg aus: die
expropriierten Faesulaner setzten sich mit gewaffneter Hand wieder in
den Besitz ihrer verlorenen Güter und mehrere der von Sulla daselbst
angesiedelten Veteranen kamen bei dem Auflauf um. Der Senat beschloß
auf diese Nachricht, die beiden Konsuln dorthin zu senden, um Truppen
aufzubieten und den Aufstand zu unterdrücken ^6. Es war nicht möglich,
kopfloser zu verfahren. Der Senat konstatierte der Insurrektion
gegenüber seine Schwachmütigkeit und seine Besorgnisse durch die
Wiederherstellung des Getreidegesetzes: er gab, um vor dem Straßenlärm
Ruhe zu haben, dem notorischen Haupte der Insurrektion ein Heer; und
wenn die beiden Konsuln durch den feierlichsten Eid, den man zu
ersinnen vermochte, verpflichtet wurden, die ihnen anvertrauten Waffen
nicht gegeneinander zu kehren, so gehörte wahrlich die dämonische
Verstocktheit oligarchischer Gewissen dazu, um ein solches Bollwerk
gegen die drohende Insurrektion aufrichten zu mögen. Natürlich rüstete
Lepidus in Etrurien nicht für den Senat, sondern für die Insurrektion,
höhnisch erklärend, daß der geleistete Eid nur für das laufende Jahr
ihn binde. Der Senat setzte die Orakelmaschine in Bewegung, um ihn zur
Rückkehr zu bestimmen, und übertrug ihm die Leitung der bevorstehenden
Konsulwahlen: allein Lepidus wich aus, und während die Boten deswegen
kamen und gingen und über Vergleichsvorschlägen das Amtsjahr zu Ende
lief, schwoll seine Mannschaft zu einem Heer an. Als endlich im Anfang
des folgenden Jahres (677 77) an Lepidus der bestimmte Befehl des
Senats erging, nun ungesäumt zurückzukehren, weigerte der Prokonsul
trotzig den Gehorsam und forderte seinerseits die Erneuerung der
ehemaligen tribunizischen Gewalt und die Wiedereinsetzung der
gewalttätig Vertriebenen in ihr Bürgerrecht und ihr Eigentum, überdies
für sich die Wiederwahl zum Konsul für das laufende Jahr, das heißt die
Tyrannis in gesetzlicher Form. Damit war der Krieg erklärt. Die
Senatspartei konnte, außer auf die Sullanischen Veteranen, deren
bürgerliche Existenz durch Lepidus bedroht ward, zählen auf das von dem
Prokonsul Catulus unter die Waffen gerufene Heer; und auf die
dringenden Mahnungen der Einsichtigen, namentlich des Philippus, wurde
demgemäß die Verteidigung der Hauptstadt und die Abwehr der in Etrurien
stehenden Hauptmacht der Demokratenpartei dem Catulus vom Senat
übertragen, auch gleichzeitig Gnaeus Pompeius mit einem anderen Haufen
ausgesandt, um seinem ehemaligen Schützling das Potal zu entreißen, das
dessen Unterbefehlshaber Marcus Brutus besetzt hielt. Während Pompeius
rasch seinen Auftrag vollzog und den feindlichen Feldherrn eng in
Mutina einschloß, erschien Lepidus vor der Hauptstadt, um, wie einst
Marius, sie mit stürmender Hand für die Revolution zu erobern. Das
rechte Tiberufer geriet ganz in seine Gewalt und er konnte sogar den
Fluß überschreiten; auf dem Marsfelde, hart unter den Mauern der Stadt,
wurde die entscheidende Schlacht geschlagen. Allein Catulus siegte;
Lepidus mußte zurückweichen nach Etrurien, während eine andere
Abteilung unter Lepidus’ Sohn Scipio sich in die Festung Alba warf.
Damit war der Aufstand im wesentlichen zu Ende. Mutina ergab sich an
Pompeius; Brutus wurde trotz des ihm zugestandenen sicheren Geleits
nachträglich auf Befehl des Pompeius getötet. Ebenso ward Alba nach
langer Belagerung durch Hunger bezwungen und der Führer gleichfalls
hingerichtet. Lepidus, durch Catulus und Pompeius von zwei Seiten
gedrängt, lieferte am etrurischen Gestade noch ein Treffen, um nur den
Rückzug sich zu ermöglichen, und schiffte dann in dem Hafen Cosa nach
Sardinien sich ein, von wo aus er der Hauptstadt die Zufuhr
abzuschneiden und die Verbindung mit den spanischen Insurgenten zu
gewinnen hoffte. Allein der Statthalter der Insel leistete ihm
kräftigen Widerstand, und er selbst starb nicht lange nach seiner
Landung an der Schwindsucht (677 77), womit in Sardinien der Krieg zu
Ende war. Ein Teil seiner Soldaten verlief sich; mit dem Kern der
Insurrektionsarmee und mit wohlgefüllten Kassen begab sich der gewesene
Prätor Marcus Perpenna nach Ligurien und von da nach Spanien zu der
Sertorianern.
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^5 Unter dem Jahre 676 (78) berichtet Licinianus (p. 23 Pertz, p. 42
Bonn): (Lepidus) [Ie]gem frumentari[am] nullo resistente l[argi]tus est
ut annon[ae] quinque modi popu[lo da]rentur. Danach hat also das Gesetz
der Konsuln des Jahres 681 (73) Marcus Terentius Lucullus und Gaius
Cassius Varus, welches Cicero (Verr. 3, 70, 136; 5, 21, 52) erwähnt und
auf das auch Sallust (hist. 3, 61, 19 Dietsch) sich bezieht, die fünf
Scheffel nicht erst wiederhergestellt, sondern nur durch Regulierung
der sizilischen Getreideankäufe die Kornspenden gesichert und
vielleicht im einzelnen manches geändert. Daß das Sempronische Gesetz
jedem in Rom domizilierenden Bürger gestattete, an den Getreidespenden
teilzunehmen, steht fest. Allein die spätere Getreideverteilung hat
diesen Umfang nicht gehabt; denn da das Monatkorn der römischen
Bürgerschaft wenig mehr als 33000 Medimnen = 198000 röm. Scheffel
betrug (Cic. Verr. 3, 30, 72), so empfingen damals nur etwa 40000
Bürger Getreide, während doch die Zahl der in der Hauptstadt
domizilierenden Bürger sicher weit beträchtlicher war. Diese
Einrichtung rührt wahrscheinlich aus dem Octavischen Gesetze her, das
im Gegensatze zu der übertriebenen Sempronischen eine “mäßige, für den
Staat erträgliche und für das gemeine Volk notwendige Spendung” (Cic.
off. 2, 21, 72; Brut. 62, 222) einführte; und allem Anschein nach ist
ebendies Gesetz die von Licinianus erwähnte lex frumentaria. Daß
Lepidus sich auf einen solchen Ausgleichsvorschlag einließ, stimmt zu
seinem Verhalten in Betreff der Restitution des Tribunats. Ebenso paßt
es zu den Verhältnissen, daß die Demokratie durch die hiermit
herbeigeführte Regulierung der Kornverteilung sich keineswegs
befriedigt fand (Sallust a. a. O.).
Die Verlustsumme ist danach berechnet, daß das Getreide mindestens den
doppelten Wert hatte; wenn die Piraterie oder andere Ursachen die
Kornpreise in die Höhe trieben, mußte sich ein noch weit
beträchtlicherer Schaden herausstellen.
^6 Aus den Trümmern des Licinianischen Berichts (p. 44 Bonn) geht auch
dies hervor, daß der Beschluß des Senats: “uti Lepidus et Catulus
decretis exercitibus maturrume proficiscerentur” (Sall. hist. 1, 14
Dietsch) - nicht von einer Entsendung der Konsuln vor Ablauf des
Konsulats in ihre prokonsularischen Provinzen zu verstehen ist, wozu es
auch an jedem Grunde gefehlt haben würde, sondern von der Sendung nach
Etrurien gegen die aufständischen Faesulaner, ganz ähnlich wie im
Catilinarischen Kriege der Konsul Gaius Antonius ebendorthin geschickt
ward. Wenn Philippus bei Sallust (hist. 1, 84, 4) sagt daß Lepidus ob
seditionem provinciam cum exercitu adeptus est so ist dies damit
vollständig im Einklang; denn das außerordentliche konsularische
Kommando in Etrurien ist ebensowohl eine provincia wie das ordentliche
prokonsularische im Narbonensischen Gallien.
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Über Lepidus also hafte die Oligarchie gesiegt; dagegen sah sie sich
durch die gefährliche Wendung des Sertorianischen Krieges zu
Zugeständnissen genötigt, die den Buchstaben wie den Geist der
Sullanischen Verfassung verletzten. Es war schlechterdings notwendig,
ein starkes Heer und einen fähigen Feldherrn nach Spanien zu senden;
und Pompeius gab sehr deutlich zu verstehen, daß er diesen Auftrag
wünsche oder vielmehr fordere. Die Zumutung war stark. Es war schon
übel genug, daß man diesen geheimen Gegner in dem Drange der
Lepidianischen Revolution wieder zu einem außerordentlichen Kommando
hatte gelangen lassen; aber noch viel bedenklicher war es, mit
Beseitigung aller von Sulla aufgestellten Regeln der Beamtenhierarchie
einem Manne, der noch kein bürgerliches Amt bekleidet hatte, eine der
wichtigsten ordentlichen Provinzialstatthalterschaften in einer Art zu
übertragen, wobei an Einhaltung der gesetzlichen Jahresfrist nicht zu
denken war. Die Oligarchie hatte somit, auch abgesehen von der ihrem
Feldherrn Metellus schuldigen Rücksicht, wohl Ursache, diesem neuen
Versuch des ehrgeizigen Jünglings, seine Sonderstellung zu verewigen,
allen Ernstes sich zu widersetzen; allein leicht war dies nicht.
Zunächst fehlte es ihr durchaus an einem für den schwierigen spanischen
Feldherrnposten geeigneten Mann. Keiner der Konsuln des Jahres bezeigte
Lust, sich mit Sertorius zu messen, und man mußte es hinnehmen, was
Lucius Philippus in voller Ratsversammlung sagte, daß unter den
sämtlichen namhaften Senatoren nicht einer fähig und willig sei, in
einem ernsthaften Kriege zu kommandieren. Vielleicht hätte man dennoch
hierüber sich hinweggesetzt und nach Oligarchenart, da man keinen
fähigen Kandidaten hatte, die Stelle mit irgendeinem Lückenbüßer
ausgefüllt, wenn Pompeius den Befehl bloß gewünscht und nicht ihn an
der Spitze einer Armee gefordert hätte. Catulus’ Weisungen, das Heer zu
entlassen, hatte er bereits überhört; es war mindestens zweifelhaft, ob
die des Senats eine bessere Aufnahme finden würden, und die Folgen
eines Bruchs konnte niemand berechnen - gar leicht konnte die Schale
der Aristokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das
Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloß sich die Majorität
zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung
eines Privatmannes mit der höchsten Amtsgewalt sich handelte,
verfassungsmäßig hätte befragt werden müssen, sondern vom Senate
empfing Pompeius die prokonsularische Gewalt und den Oberbefehl im
diesseitigen Spanien und ging vierzig Tage nach dessen Empfang, im
Sommer 677 (77), über die Alpen.
Zunächst fand der neue Feldherr im Keltenland zu tun, wo zwar eine
förmliche Insurrektion nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren Orten
die Ruhe ernstlich gestört worden war; infolgedessen Pompeius den
Kantons der Volker-Arekomiker und der Helvier ihre Selbständigkeit
entzog und sie unter Massalia legte. Auch ward von ihm durch Anlegung
einer neuen Alpenstraße über den Kottischen Berg (Mont Genèvre; 2, 105)
eine kürzere Verbindung zwischen dem Potal und dem Keltenlande
hergestellt. über dieser Arbeit verfloß die gute Jahreszeit: erst spät
im Herbst überschritt Pompeius die Pyrenäen.
Sertorius hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die
jenseitige Provinz entsandt, um Metellus in Schach zu halten, und war
selbst bemüht, seinen vollständigen Sieg in der diesseitigen zu
verfolgen und sich auf Pompeius’ Empfang vorzubereiten. Die einzelnen
keltiberischen Städte, die hier noch zu Rom hielten, wurden angegriffen
und eine nach der andern bezwungen; zuletzt, schon mitten im Winter,
war das feste Contrebia (südöstlich von Saragossa) gefallen. Vergeblich
hatten die bedrängten Städte Boten über Boten an Pompeius gesandt: er
ließ sich durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen
Vorschreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestädte, die durch die
römische Flotte verteidigt wurden, und der Distrikte der Indigeten und
Laletaner im nordöstlichen Winkel Spaniens, wo Pompeius, als er endlich
die Pyrenäen überschritten, sich festsetzte und seine ungeübten
Truppen, um sie an die Strapazen zu gewöhnen, den Winter hindurch
biwakieren ließ, war am Ende des Jahres 677 (77) das ganze diesseitige
Spanien durch Vertrag oder Gewalt von Sertorius abhängig geworden, und
die Landschaft am oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste
Stütze seiner Macht. Selbst die Besorgnis, die das frische römische
Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee
hervorrief, hatte für dieselbe heilsame Folgen. Marcus Perpenna, der
bis dahin als Sertorius im Range gleich auf ein selbständiges Kommando
über die von ihm aus Ligurien mitgebrachte Mannschaft Anspruch gemacht
hatte, wurde auf die Nachricht von Pompeius’ Eintreffen in Spanien von
seinen Soldaten genötigt, sich unter die Befehle seines fähigeren
Kollegen zu stellen.
Für den Feldzug des Jahres 678 (76) verwandte Sertorius gegen Metellus
wieder das Korps das Hirtuleius, während Perpenna mit einem starken
Heer am unteren Laufe des Ebro sich aufstellte, um Pompeius den
Übergang über diesen Fluß zu wehren, wenn er, wie zu erwarten war, in
der Absicht, Metellus die Hand zu reichen, in südlicher Richtung und,
der Verpflegung seiner Truppen wegen, an der Küste entlang marschieren
würde. Zu Perpennas Unterstützung war zunächst das Korps des Gaius
Herennius bestimmt; weiter landeinwärts, am oberen Ebro, holte
Sertorius selbst die Unterwerfung einzelner, römisch gesinnter
Distrikte nach und hielt zugleich sich dort bereit, nach den Umständen
Perpenna oder Hirtuleius zu Hilfe zu eilen. Auch diesmal war seine
Absicht darauf gerichtet, jeder Hauptschlacht auszuweichen und den
Feind durch kleine Kämpfe und Abschneiden der Zufuhr aufzureiben. Indes
Pompeius erzwang gegen Perpenna den Übergang über den Ebro und nahm
Stellung am Fluß Pallantia bei Saguntum, unweit des Vorgebirgs der
Diana, von wo aus, wie schon gesagt ward, die Sertorianer ihre
Verbindungen mit Italien und dem Osten unterhielten. Es war Zeit, daß
Sertorius selber erschien und die Überlegenheit seiner Truppenzahl und
seines Genies gegen die größere Tüchtigkeit der Soldaten seines Gegners
in die Waagschale warf. Um die Stadt Lauro (am Xucar südlich von
Valencia), die sich für Pompeius erklärt hatte und deshalb von
Sertorius belagert ward, konzentrierte der Kampf sich längere Zeit.
Pompeius strengte sich aufs äußerste an, sie zu entsetzen; allein
nachdem vorher ihm mehrere Abteilungen einzeln überfallen und
zusammengehauen worden waren, sah sich der große Kriegsmann, ebenda er
die Sertorianer umzingelt zu haben meinte und schon die Belagerten
eingeladen hatte, dem Abfangen der Belagerungsarmee zuzuschauen,
plötzlich vollständig ausmanövriert und mußte, um nicht selber
umzingelt zu werden, die Einnahme und Einäscherung der verbündeten
Stadt und die Abführung der Einwohner nach Lusitanien von seinem Lager
aus ansehen - ein Ereignis, das eine Reihe schwankend gewordener Städte
im mittleren und östlichen Spanien wieder an Sertorius festzuhalten
bestimmte. Glücklicher focht inzwischen Metellus. In einem heftigen
Treffen bei Italica (unweit Sevilla), das Hirtuleius unvorsichtig
gewagt hatte und in dem beide Feldherrn persönlich ins Handgemenge
kamen, Hirtuleius auch verwundet ward, schlug er diesen und zwang ihn,
das eigentliche römische Gebiet zu räumen und sich nach Lusitanien zu
werfen. Dieser Sieg gestattete Metellus, sich mit Pompeius zu
vereinigen. Die Winterquartiere 678/79 (76/75) nahmen beide Feldherren
an den Pyrenäen. Für den nächsten Feldzug 679 (75), beschlossen sie,
den Feind in seiner Stellung bei Valentia gemeinschaftlich anzugreifen.
Aber während Metellus heranzog, bot Pompeius, um die Scharte von Lauro
auszuwetzen und die gehofften Lorbeeren womöglich allein zu gewinnen,
vorher dem feindlichen Hauptheer die Schlacht an. Mit Freuden ergriff
Sertorius die Gelegenheit, mit Pompeius zu schlagen, bevor Metellus
eintraf. Am Flusse Sucro (Xucar) trafen die Heere aufeinander; nach
heftigem Gefecht ward Pompeius auf dem rechten Flügel geschlagen und
selbst schwer verwundet vom Schlachtfelde weggetragen. Zwar siegte
Afranius mit dem linken und nahm das Lager der Sertorianer, allein
während der Plünderung von Sertorius überrascht, ward auch er gezwungen
zu weichen. Hätte Sertorius am folgenden Tage die Schlacht zu erneuern
vermocht, Pompeius’ Heer wäre vielleicht vernichtet worden. Allein
inzwischen war Metellus herangekommen, hatte das gegen ihn aufgestellte
Korps des Perpenna niedergerannt und dessen Lager genommen; es war
nicht möglich, die Schlacht gegen die beiden vereinigten Heere
wiederaufzunehmen. Die Erfolge des Metellus, die Vereinigung der
feindlichen Streitkräfte, das plötzliche Stocken nach dem Sieg
verbreiteten Schrecken unter den Sertorianern, und wie es bei
spanischen Heeren nicht selten vorkam, verlief infolge dieses
Umschwungs der Dinge sich der größte Teil der sertorianischen Soldaten.
Indes die Entmutigung verflog so rasch wie sie gekommen war; die weiße
Hindin, die die militärischen Pläne des Feldherrn bei der Menge
vertrat, war bald wieder populärer als je; in kurzer Zeit trat in der
gleichen Gegend, südlich von Saguntum (Murviedro), das fest an Rom
hielt, Sertorius mit einer neuen Armee den Römern entgegen, während die
sertorianischen Kaper den Römern die Zufuhr von der Seeseite
erschwerten und bereits im römischen Lager der Mangel sich bemerklich
machte. Es kam abermals zur Schlacht in den Ebenen des Turiaflusses
(Guadalaviar), und lange schwankte der Kampf. Pompeius mit der Reiterei
ward von Sertorius geschlagen und sein Schwager und Quästor, der
tapfere Lucius Memmius, getötet; dagegen überwand Metellus den Perpenna
und schlug den gegen ihn gerichteten Angriff der feindlichen Hauptarmee
siegreich zurück, wobei er selbst im Handgemenge eine Wunde empfing.
Abermals zerstreute sich hierauf das Sertorianische Heer. Valentia, das
Gaius Herennius für Sertorius besetzt hielt, ward eingenommen und
geschleift. Römischerseits mochte man einen Augenblick der Hoffnung
sich hingeben mit dem zähen Gegner fertig zu sein. Die Sertorianische
Armee war verschwunden; die römischen Truppen, tief in das Binnenland
eingedrungen, belagerten den Feldherrn selbst in der Festung Clunia am
oberen Duero. Allein während sie vergeblich diese Felsenburg umstanden,
sammelten sich anderswo die Kontingente der insurgierten Gemeinden;
Sertorius entschlüpfte aus der Festung und stand noch vor Ablauf des
Jahres wieder als Feldherr an der Spitze einer Armee. Wieder mußten die
römischen Feldherrn mit der trostlosen Aussicht auf die unausbleibliche
Erneuerung der sisypheischen Kriegsarbeit die Winterquartiere beziehen.
Es war nicht einmal möglich, sie in dem wegen der Kommunikation mit
Italien und dem Osten so wichtigen, aber von Freund und Feind
entsetzlich verheerten Gebiet von Valentia zu nehmen; Pompeius führte
seine Truppen zunächst in das Gebiet der Vasconen ^7 (Biscaya) und
überwinterte dann in dem der Vaccäer (um Valladolid), Metellus gar in
Gallien.
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^7 In den neu gefundenen Sallustischen Bruchstücken, welche dem Ende
des Feldzuges von 75 anzugehören scheinen, gehören hierher die Worte:
Romanus [exer]citus (des Pompeius) frumenti gra[tia r]emotus in
Vascones i .. [it]emque Sertorius mon …o, cuius multum in[terer]at, ne
ei perinde Asiae [iter et Italiae intercluderetur].
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Fünf Jahre währte also der Sertorianische Krieg und noch war weder
hüben noch drüben ein Ende abzusehen. Unbeschreiblich litt unter
demselben der Staat. Eine Blüte der italischen Jugend ging in den
aufreibenden Strapazen dieser Feldzüge zugrunde. Die öffentlichen
Kassen entbehrten nicht bloß die spanischen Einnahmen, sondern hatten
auch für die Besoldung und Verpflegung der spanischen Heere jährlich
sehr ansehnliche Summen nach Spanien zu senden, die man kaum
aufzubringen wußte. Daß Spanien verödete und verarmte und die so schön
daselbst sich entfaltende römische Zivilisation einen schweren Stoß
erhielt, versteht sich von selbst, zumal bei einem so erbittert
geführten und nur zu oft die Vernichtung ganzer Gemeinden
veranlassenden Insurrektionskrieg. Selbst die Städte, die zu der in Rom
herrschenden Partei hielten, hatten unsägliche Not zu erdulden; die an
der Küste gelegenen mußten durch die römische Flotte mit dem
Notwendigen versehen werden, und die Lage der treuen binnenländischen
Gemeinden war beinahe verzweifelt. Fast nicht weniger litt die
gallische Landschaft, teils durch die Requisitionen an Zuzug zu Fuß und
zu Pferde, an Getreide und Geld, teils durch die drückende Last der
Winterquartiere, die infolge der Mißernte 680 (74) sich ins
unerträgliche steigerte; fast alle Gemeindekassen waren genötigt, zu
den römischen Bankiers ihre Zuflucht zu nehmen und eine erdrückende
Schuldenlast sich aufzubürden. Feldherren und Soldaten führten den
Krieg mit Widerwillen. Die Feldherren waren getroffen auf einen an
Talent weit überlegenen Gegner, auf einen langweilig zähen Widerstand,
auf einen Krieg sehr ernsthafter Gefahren und schwer erfochtener, wenig
glänzender Erfolge; es ward behauptet, daß Pompeius damit umgehe, sich
aus Spanien abberufen und irgend anderswo ein erwünschteres Kommando
sich übertragen zu lassen. Die Soldaten waren gleichfalls wenig erbaut
von einem Feldzug, in dem es nicht allein weiter nichts zu holen gab
als harte Schläge und wertlose Beute, sondern auch ihr Sold ihnen
höchst unregelmäßig gezahlt ward; Pompeius berichtete Ende 679 (75) an
den Senat, daß seit zwei Jahren der Sold im Rückstand sei und das Heer
sich aufzulösen drohe. Einen ansehnlichen Teil dieser Übelstände hätte
die römische Regierung allerdings zu beseitigen vermocht, wenn sie es
über sich hätte gewinnen können, den Spanischen Krieg mit minderer
Schlaffheit, um nicht zu sagen mit besserem Willen zu führen. In der
Hauptsache aber war es weder ihre Schuld noch die Schuld der
Feldherren, daß ein so überlegenes Genie, wie Sertorius war, auf einem
für den Insurrektions- und Korsarenkrieg so überaus günstigen Boden
aller numerischen und militärischen Überlegenheit zum Trotz den kleinen
Krieg Jahre und Jahre fortzuführen vermochte. Ein Ende war hier so
wenig abzusehen, daß vielmehr die Sertorianische Insurrektion sich mit
andern gleichzeitigen Aufständen verschlingen und dadurch ihre
Gefährlichkeit steigern zu wollen schien. Ebendamals ward auf allen
Meeren mit den Flibustierflotten, ward in Italien mit den
aufständischen Sklaven, in Makedonien mit den Völkerschaften an der
unteren Donau gefochten, und entschloß sich im Osten König Mithradates,
mitbestimmt durch die Erfolge der spanischen Insurrektion, das Glück
der Waffen noch einmal zu versuchen. Daß Sertorius mit den italischen
und makedonischen Feinden Roms Verbindungen angeknüpft hat, läßt sich
nicht bestimmt erweisen, obwohl er allerdings mit den Marianern in
Italien in beständigem Verkehr stand; mit den Piraten dagegen hatte er
schon früher offenes Bündnis gemacht, und mit dem pontischen König, mit
welchem er längst durch Vermittlung der an dessen Hof verweilenden
römischen Emigranten Einverständnisse unterhalten hatte, schloß er
jetzt einen förmlichen Allianztraktat, in dem Sertorius dem König die
kleinasiatischen Klientelstaaten, nicht aber die römische Provinz Asia
abtrat, überdies ihm einen zum Führer seiner Truppen geeigneten
Offizier und eine Anzahl Soldaten zu senden versprach, der König
dagegen ihm 40 Schiffe und 3000 Talente (4½ Mill. Taler) zu überweisen
sich anheischig machte. Schon erinnerten die klugen Politiker in der
Hauptstadt an die Zeit, als Italien sich durch Philippos und durch
Hannibal von Osten und von Westen aus bedroht sah; der neue Hannibal,
meinte man, könne, nachdem er, wie sein Vorfahr, Spanien durch sich
selbst bezwungen, eben wie dieser mit den Steilkräften Spaniens in
Italien gar leicht früher als Pompeius eintreffen, um, wie einst der
Phöniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen zu
rufen.
Indes dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig. Sertorius war
bei weitem nicht stark genug, um das Riesenunternehmen Hannibals zu
erneuern; er war verloren, wenn er Spanien verließ, an dessen Landes-
und Volkseigentümlichkeit all seine Erfolge hingen, und auch hier mehr
und mehr genötigt, der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswertes
Führergeschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht ändern;
der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlässig wie die Welle
und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Köpfen versammelt, bald
wieder auf eine Handvoll Leute zusammengeschmolzen; in gleicher Weise
blieben die römischen Emigranten unbotmäßig, hoffärtig und eigensinnig.
Die Waffengattungen, die längeres Zusammenhalten der Korps erfordern,
wie namentlich die Reiterei, waren natürlich in seinem Heer sehr
ungenügend vertreten. Seine fähigsten Offiziere und den Kern seiner
Veteranen rieb der Krieg allmählich auf, und auch die zuverlässigsten
Gemeinden fingen an, der Plackerei durch die Römer und der Mißhandlung
durch die Sertorianischen Offiziere müde zu werden und Zeichen der
Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswert, daß
Sertorius, auch darin Hannibal gleich, niemals über die
Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich getäuscht hat; er ließ keine
Gegenheil vorübergehen, um einen Vergleich herbeizuführen und wäre
jeden Augenblick bereit gewesen, gegen die Zusicherung, in seiner
Heimat friedlich leben zu dürfen, seinen Kommandostab niederzulegen.
Allein die politische Orthodoxie weiß nichts von Vergleich und
Versöhnung. Sertorius durfte nicht rückwärts noch seitwärts;
unvermeidlich mußte er weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie
auch schmaler und schwindelnder ward.
Pompeius’ Vorstellungen in Rom, denen Mithradates’ Auftreten im Osten
Nachdruck gab, hatten Erfolg. Er erhielt vom Senat die nötigen Gelder
zugesandt und Verstärkung durch zwei frische Legionen. So gingen die
beiden Feldherren im Frühjahr 680 (74) wieder an die Arbeit und
überschritten aufs neue den Ebro. Das östliche Spanien war infolge der
Schlachten am Xucar und Guadalaviar den Sertorianern entrissen; der
Kampf konzentrierte sich fortan am oberen und mittleren Ebro um die
Hauptwaffenplätze der Sertorianer Calagurris, Osca, Ilerda. Wie
Metellus in den früheren Feldzügen das Beste getan hatte, so gewann er
auch diesmal die wichtigsten Erfolge. Sein alter Gegner Hirtuleius, der
ihm wieder entgegentrat, ward vollständig geschlagen und fiel selbst
mit seinem Bruder - ein unersetzlicher Verlust für die Sertorianer.
Sertorius, den die Unglücksbotschaft erreichte, als er selbst im
Begriff war, die ihm gegenüberstehenden Feinde anzugreifen, stieß den
Boten nieder, damit die Nachricht die Seinigen nicht entmutigte; aber
lange war die Kunde nicht zu verbergen. Eine Stadt nach der andern
ergab sich. Metellus besetzte die keltiberischen Städte Segobriga
(zwischen Toledo und Cuenca) und Bilbilis (bei Calatayud). Pompeius
belagerte Pallantia (Palencia oberhalb Valladolid), das aber Sertorius
entsetzte und den Pompeius nötigte, sich auf Metellus zurückzuziehen;
vor Calagurris (Calahorra am oberen Ebro), wohin Sertorius sich
geworfen, erlitten sie beide empfindliche Verluste. Dennoch konnten
sie, als sie in die Winterquartiere gingen, Pompeius nach Gallien,
Metellus in seine eigene Provinz, auf beträchtliche Erfolge
zurücksehen; ein großer Teil der Insurgenten hatte sich gefügt oder war
mit den Waffen bezwungen worden.
In ähnlicher Weise verlief der Feldzug des folgenden Jahres (681 78);
in diesem war es vor allem Pompeius, der langsam, aber stetig das
Gebiet der Insurrektion einschränkte.
Der Rückschlag des Niedergangs ihrer Waffen auf die Stimmung im
Insurgentenlager blieb nicht aus. Wie Hannibals wurden auch Sertorius’
kriegerische Erfolge notwendig immer geringer; man fing an, sein
militärisches Talent in Zweifel zu ziehen; er sei nicht mehr der alte,
hieß es, er verbringe der Tag beim Schmaus oder beim Becher und
verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl der Ausreißer, der
abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald kamen Pläne der römischen
Emigranten gegen das Leben des Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie
klangen glaublich genug, zumal da so manche Offiziere der
Insurgentenarmee, namentlich Perpenna, nur widerwillig sich unter den
Oberbefehl des Sertorius gefügt hatten und seit langem von den
römischen Statthaltern dem Mörder des feindlichen Oberfeldherrn
Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt war. Sertorius entzog auf
jene Inzichten hin die Hut seiner Person den römischen Soldaten und gab
sie erlesenen Spaniern. Gegen die Verdächtigen selbst schritt er mit
furchtbarer, aber notwendiger Strenge ein und verurteilte, ohne wie
sonst Ratmänner zuzuziehen, verschiedene Angeschuldigte zum Tode; den
Freunden, hieß es darauf in den Kreisen der Mißvergnügten, sei er jetzt
gefährlicher als den Feinden. Bald ward eine zweite Verschwörung
entdeckt, die ihren Sitz in seinem eigenen Stabe hatte; wer zur Anzeige
gebracht ward, mußte flüchtig werden oder sterben, aber nicht alle
wurden verraten und die übrigen Verschworenen, unter ihnen vor allem
Perpenna, fanden hierin nur einen Antrieb, sich zu eilen. Man befand
sich im Hauptquartier zu Osca. Hier ward auf Perpennas Veranstaltung
dem Feldherrn ein glänzender Sieg berichtet, den seine Truppen
erfochten hätten; und bei der zur Feier dieses Sieges von Perpenna
veranstalteten festlichen Mahlzeit erschien denn auch Sertorius,
begleitet, wie er pflegte, von seinem spanischen Gefolge. Gegen den
sonstigen Brauch im Sertorianischen Hauptquartier ward das Fest bald
zum Bacchanal; wüste Reden flogen über den Tisch, und es schien, als
wenn einige der Gäste Gelegenheit suchten, einen Wortwechsel zu
beginnen; Sertorius warf sich auf seinem Lager zurück und schien den
Lärm überhören zu wollen. Da klirrte eine Trinkschale auf den Boden:
Perpenna gab das verabredete Zeichen. Marcus Antonius, Sertorius’
Nachbar bei Tische, führte den ersten Streich gegen ihn, und da der
Getroffene sich umwandte und sich aufzurichten versuchte, stürzte der
Mörder sich über ihn und hielt ihn nieder, bis die übrigen Tischgäste,
sämtlich Teilnehmer der Verschwörung, sich auf die Ringenden warfen und
den wehrlosen, an beiden Armen festgehaltenen Feldherrn erstachen (682
72). Mit ihm starben seine treuen Begleiter. So endigte einer der
größten, wo nicht der größte Mann, den Rom bisher hervorgebracht, ein
Mann, der unter glücklicheren Umständen vielleicht der Regenerator
seines Vaterlandes geworden sein würde, durch den Verrat der elenden
Emigrantenbande, die er gegen die Heimat zu führen verdammt war. Die
Geschichte liebt die Coriolane nicht; auch mit diesem hochherzigsten,
genialsten, bedauernswertesten unter allen hat sie keine Ausnahme
gemacht.
Die Erbschaft des Gemordeten dachten die Mörder zu tun. Nach Sertorius’
Tode machte Perpenna als der höchste unter den römischen Offizieren der
spanischen Armee Ansprüche auf den Oberbefehl. Man fügte sich, aber
mißtrauend und widerstrebend. Wie man auch gegen Sertorius bei seinen
Lebzeiten gemurrt hatte, der Tod setzte den Helden wieder in sein Recht
ein, und gewaltig brauste der Unwille der Soldaten auf, als bei der
Publikation seines Testaments unter den Namen der Erben auch der des
Perpenna verlesen ward. Ein Teil der Soldaten, namentlich die
lusitanischen, verliefen sich; die zurückgebliebenen beschlich die
Ahnung, daß mit Sertorius’ Tode der Geist und das Glück von ihnen
gewichen sei. Bei der ersten Begegnung mit Pompeius wurden denn auch
die elend geführten und mutlosen Insurgentenhaufen vollständig
zersprengt und unter anderen Offizieren auch Perpenna gefangen
eingebracht. Durch die Auslieferung der Korrespondenz des Sertorius,
die zahlreiche angesehene Männer in Italien kompromittiert haben würde,
suchte der Elende sich das Leben zu erkaufen; indes Pompeius befahl,
die Papiere ungelesen zu verbrennen und überantwortete ihn sowie die
übrigen Insurgentenchefs dem Scharfrichter. Die entkommenen Emigranten
verliefen sich und gingen größtenteils in die mauretanischen Wüsten
oder zu den Piraten. Einem Teil derselben eröffnete bald darauf das
Plotische Gesetz, das namentlich der junge Caesar eifrig unterstützte,
die Rückkehr in die Heimat; diejenigen aber, die von ihnen an dem Morde
des Sertorius teilgenommen hatten, starben, mit Ausnahme eines
einzigen, sämtlich eines gewaltsamen Todes. Osca und überhaupt die
meisten Städte, die im Diesseitigen Spanien noch zu Sertorius gehalten
hatten, öffneten dem Pompeius jetzt freiwillig ihre Tore; nur Uxama
(Osma), Clunia und Calagurris mußten mit den Waffen bezwungen werden.
Die beiden Provinzen wurden neu geordnet; in der jenseitigen erhöhte
Metellus den schuldigsten Gemeinden die Jahrestribute; in der
diesseitigen schaltete Pompeius belohnend und bestrafend, wie zum
Beispiel Calagurris seine Selbständigkeit verlor und unter Osca gelegt
ward. Einen Haufen Sertorianischer Soldaten, der in den Pyrenäen sich
zusammengefunden hatte, bewog Pompeius zur Unterwerfung und siedelte
ihn nordwärts der Pyrenäen bei Lugudunum (St. Bertrand im Departement
Haute-Garonne) als die Gemeinde der “Zusammengelaufenen” (convenae) an.
Auf der Paßhöhe der Pyrenäen wurden die römischen Siegeszeichen
errichtet; am Ende des Jahres 683 (71) zogen Metellus und Pompeius mit
ihren Heeren durch die Straßen der Hauptstadt, um den Dank der Nation
für die Besiegung der Spanier dem Vater Jovis auf dem Kapitol
darzubringen. Noch über das Grab hinaus schien Sullas Glück mit seiner
Schöpfung zu sein und dieselbe besser zu schirmen als die zu ihrer Hut
bestellten unfähigen und schlaffen Wächter. Die italische Opposition
hatte durch die Unfähigkeit und Vorschnelligkeit ihres Führers, die
Emigration durch inneren Zwist sich selber gesprengt. Diese
Niederlagen, obwohl weit mehr das Werk ihrer eigenen Verkehrtheit und
Zerfahrenheit als der Anstrengungen ihrer Gegner, waren doch
ebensoviele Siege der Oligarchie. Noch einmal waren die kurulischen
Stühle befestigt.
KAPITEL II.
Die Sullanische Restaurationsherrschaft
Als nach Unterdrückung der den Senat in seiner Existenz bedrohenden
Cinnanischen Revolution es der restaurierten Senatsregierung möglich
ward, der inneren und äußeren Sicherheit des Reiches wiederum die
erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen, zeigten sich der
Angelegenheiten genug, deren Lösung nicht verschoben werden konnte,
ohne die wichtigsten Interessen zu verletzen und gegenwärtige
Unbequemlichkeiten zu künftigen Gefahren anwachsen zu lassen. Abgesehen
von der sehr ernsten Verwicklung in Spanien war es schlechterdings
notwendig teils die Barbaren in Thrakien und den Donauländern, die
Sulla bei seinem Marsch durch Makedonien nur oberflächlich hatte
züchtigen können, nachhaltig zu Paaren zu treiben und die verwirrten
Verhältnisse an der Nordgrenze der griechischen Halbinsel militärisch
zu regulieren, teils den überall, namentlich aber in den östlichen
Gewässern herrschenden Flibustierbanden gründlich das Handwerk zu
legen, teils endlich in die unklaren kleinasiatischen Verhältnisse eine
bessere Ordnung zu bringen. Der Friede, den Sulla im Jahre 670 (84) mit
König Mithradates von Pontos abgeschlossen hatte und von dem der
Vertrag mit Murena 673 (81) wesentlich eine Wiederholung war, trug
durchaus den Stempel eines notdürftig für den Augenblick hergestellten
Provisoriums; und das Verhältnis der Römer zu König Tigranes von
Armenien, mit dem sie doch faktisch Krieg geführt hatten, war in diesem
Frieden ganz unberührt geblieben. Mit Recht hatte Tigranes darin die
stillschweigende Erlaubnis gefunden, die römischen Besitzungen in Asien
in seine Gewalt zu bringen. Wenn dieselben nicht preisgegeben bleiben
sollten, war es notwendig in Güte oder Gewalt mit dem neuen Großkönig
Asiens sich abzufinden.
Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die mit dem
demokratischen Treiben zusammenhängende Bewegung in Italien und Spanien
und deren Überwältigung durch die senatorische Regierung dargestellt
wurde, in diesem das äußere Regiment, wie die von Sulla eingesetzte
Behörde es geführt oder auch nicht geführt hat.
Man erkennt noch Sullas kräftige Hand in den energischen Maßregeln, die
in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat ungefähr gleichzeitig
gegen die Sertorianer, gegen die Dalmater und Thraker und gegen die
kilikischen Piraten verfügte.
Die Expedition nach der griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den
Zweck, teils die barbarischen Stämme botmäßig oder doch zahm zu machen,
die das ganze Binnenland vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere
durchstreiften und unter denen vornehmlich die Besser (im großen
Balkan), wie man damals sagte, selbst unter den Räubern als Räuber
verrufen waren, teils die namentlich im dalmatischen Litoral sich
bergenden Korsaren zu vernichten. Wie gewöhnlich ging der Angriff
gleichzeitig von Dalmatien und von Makedonien aus, in welcher letzteren
Provinz ein Heer von fünf Legionen hierzu gesammelt ward. Der gewesene
Prätor Gaius Cosconius, welcher in Dalmatien den Befehl führte,
durchstreifte das Land nach allen Richtungen und erstürmte nach
zweijähriger Belagerung die Festung Salona. In Makedonien versuchte der
Prokonsul Appius Claudius (676 bis 678 78-76) zunächst sich an der
makedonisch-thrakischen Grenze der Berglandschaften am linken Ufer des
Karasu zu bemeistern. Von beiden Seiten ward der Krieg mit arger
Wildheit geführt; die Thraker zerstörten die eroberten Ortschaften und
metzelten die Gefangenen nieder und die Römer vergalten Gleiches mit
Gleichem. Ernstliche Erfolge aber wurden nicht erreicht; die
beschwerlichen Märsche und die beständigen Gefechte mit den zahlreichen
und tapferen Gebirgsbewohnern dezimierten nutzlos die Armee; der
Feldherr selbst erkrankte und starb. Sein Nachfolger Gaius Scribonius
Curio (679-681 75-73) wurde durch mancherlei Hindernisse, namentlich
auch durch einen nicht unbedeutenden Militäraufstand bewogen, die
schwierige Expedition gegen die Thraker fallen zu lassen und dafür sich
nach der makedonischen Nordgrenze zu wenden, wo er die schwächeren
Dardaner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte. Erst der
tapfere und fähige Marcus Lucullus (682, 683 72, 71) rückte wieder
gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre
Hauptstadt Uscudama (Adrianopel) und zwang sie, der römischen
Oberhoheit sich zu fügen. Der König der Odrysen, Sadalas, und die
griechischen Städte an der Ostküste nördlich und südlich vom
Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kallatis, Odessos (bei Varna),
Mesembria und andere, wurden abhängig von den Römern; Thrakien, von dem
die Römer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen
Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmäßiger
Teil der Provinz Makedonien.
Aber weit nachteiliger als die immer doch auf einen geringen Teil des
Reiches sich beschränkenden Raubzüge der Thraker und Dardaner war für
den Staat wie für die einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich
griff und immer fester sich organisierte. Der Seeverkehr war auf dem
ganzen Mittelmeer in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Produkte
aus-, noch das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die
Leute, hier stockte wegen Mangels an Absatz die Bestellung der
Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die
Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine große Anzahl
angesehener Römer wurde von den Korsaren aufgebracht und mußte mit
schweren Summen sich ranzionieren, wenn es nicht gar den Piraten
beliebte, an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das
dann auch wohl mit wildem Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die
nach dem Osten bestimmten römischen Truppenabteilungen fingen an, ihre
Fahrten vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die
Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die freilich
selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere verschwanden.
Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen
als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und
Küsten. Ganz wie später in der Normannenzeit liefen die
Korsarengeschwader bei den Seestädten an und zwangen sie, entweder mit
großen Summen sich loszukaufen, oder belagerten und stürmten sie mit
gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden
mit Mithradates Samothrake, Klazomenä, Samos, Iassos von den Piraten
ausgeraubt wurden (670 84), so kann man sich denken, wie es da zuging,
wo weder eine römische Flotte noch ein römisches Heer in der Nähe
stand. All die alten reichen Tempel an den griechischen und
kleinasiatischen Küsten wurden nach der Reihe geplündert; allein aus
Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten (1500000 Talern)
weggeführt worden sein. Apollon, heißt es bei einem römischen Dichter
dieser Zeit, ist durch die Piraten so arm geworden, daß er, wenn die
Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein
Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über vierhundert
von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte Ortschaften, darunter
Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus nicht wenigen früher blühenden
Insel- und Küstenplätzen wanderte die gesamte Bevölkerung aus, um nicht
von den Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland
mehr war man vor denselben sicher; es kam vor, daß sie ein bis zwei
Tagemärsche von der Küste belegene Ortschaften überfielen. Die
entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im griechischen
Osten erliegen, stammt großenteils aus diesen verhängnisvollen Zeiten.
Das Korsarenwesen hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es waren
nicht mehr dreiste Schnapphähne, die in den kretischen Gewässern
zwischen Kyrene und dem Peloponnes - in der Flibustiersprache dem
“goldenen Meer” - von dem großen Zug des italisch-orientalischen
Sklaven- und Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr
bewaffnete Sklavenfänger, die “Krieg, Handel und Piraterie” ebenmäßig
nebeneinander betrieben, es war ein Korsarenstaat mit einem
eigentümlichen Gemeingeist; mit einer festen, sehr respektablen
Organisation, mit einer eigenen Heimat und den Anfängen einer
Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen Zwecken. Die
Flibustier nannten sich Kiliker; in der Tat fanden auf ihren Schiffen
die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen sich zusammen: die
entlassenen Söldner von den kretischen Werbeplätzen, die Bürger der
vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten
und Offiziere aus Fimbrias und Sertorius’ Heeren, überhaupt die
verdorbenen Leute aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller
überwundenen Parteien, alles was elend und verwegen war - und wo war
nicht Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine
zusammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener
Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Ächtung und der Missetat an
die Stelle der Nationalität trat und innerhalb dessen das Verbrechen,
wie so oft, vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten
Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feigheit und Unbotmäßigkeit
alle Bande der gesellschaftlichen Ordnung erschlafft hatten, mochten
die legitimen Gemeinwesen sich ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat
der Not und Gewalt, in den allein von allen das unverbrüchliche
Zusammenstehen, der kameradschaftliche Sinn, die Achtung vor dem
gegebenen Treuwort und den selbstgewählten Häuptern, die Tapferkeit und
die Gewandtheit sich geflüchtet zu haben schienen. Wenn auf der Fahne
dieses Staats die Rache an der bürgerlichen Gesellschaft geschrieben
war, die, mit Recht oder mit Unrecht, seine Mitglieder von sich
ausgestoßen hatte, so ließ sich darüber streiten, ob diese Devise viel
schlechter war als die der italischen Oligarchie und des orientalischen
Sultanismus, die im Zuge schienen, die Welt unter sich zu teilen. Die
Korsaren wenigstens fühlten jedem legitimen Staate sich ebenbürtig; von
ihrem Räuberstolz, ihrer Räuberpracht und ihrem Räuberhumor zeugt noch
manche echte Flibustiergeschichte toller Lustigkeit und ritterlicher
Banditenweise; sie meinten, und rühmten sich dessen, in einem gerechten
Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin gewannen, das hieß
ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn dem ergriffenen
Flibustier in jedem römischen Hafen das Kreuz gewiß war, so nahmen auch
sie als ihr Recht in Anspruch, jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu
dürfen. Ihre militärisch-politische Organisation war namentlich seit
dem Mithradatischen Krieg festgeschlossen. Ihre Schiffe, größtenteils
“Mauskähne”, das heißt kleine, offene, schnellsegelnde Barken, nur zum
kleineren Teil Zwei- und Dreidecker, fuhren jetzt regelmäßig in
Geschwader vereinigt und unter Admiralen, deren Barken in Gold und
Purpur zu glänzen pflegten. Dem bedrohten Kameraden, mochte er auch
völlig unbekannt sein, weigerte kein Piratenkapitän den erbetenen
Beistand; der mit einem aus ihrer Mitte abgeschlossene Vertrag ward von
der ganzen Gesellschaft unweigerlich anerkannt, aber auch jede einem
zugefügte Unbill von allen geahndet. Ihre rechte Heimat war das Meer
von den Säulen des Herkules bis in die syrischen und ägyptischen
Gewässer; die Zufluchtsstätten, deren sie für sich und ihre
schwimmenden Häuser auf dem Festlande bedurften, gewährten ihnen
bereitwillig die mauretanischen und dalmatischen Gestade, die Insel
Kreta, vor allem die an Vorsprüngen und Schlupfwinkeln reiche, die
Hauptstraße des Seehandels jener Zeit beherrschende und so gut wie
herrenlose Südküste Kleinasiens. Der lykische Städtebund daselbst und
die pamphylischen Gemeinden hatten wenig zu bedeuten; die seit 652
(102) in Kilikien bestehende römische Station reichte zur Beherrschung
der weitläufigen Küste bei weitem nicht aus; die syrische Herrschaft
über Kilikien war immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar
ersetzt worden durch die armenische, deren Inhaber als echter Großkönig
um das Meer gar nicht sich kümmerte und dasselbe bereitwillig den
Kilikern zur Plünderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die
Korsaren hier gediehen wie nirgends sonst. Nicht bloß besaßen sie hier
überall am Ufer Signalplätze und Stationen, sondern auch weiter
landeinwärts, in den abgelegensten Verstecken des unwegsamen und
gebirgigen lykischen, pamphylischen, kilikischen Binnenlandes, hatten
sie sich ihre Felsschlösser erbaut, in denen, während sie selbst zur
See fuhren, sie ihre Weiber, Kinder und Schätze bargen, auch wohl in
gefährlichen Zeiten selbst dort eine Zufluchtsstätte fanden. Namentlich
gab es solche Korsarenschlösser in großer Zahl in dem rauhen Kilikien,
dessen Waldungen zugleich den Piraten das vortrefflichste Holz zum
Schiffbau lieferten und wo deshalb ihre hauptsächlichsten
Schiffbaustätten und Arsenale sich befanden. Es war nicht zu
verwundern, daß dieser geordnete Militärstaat unter den mehr oder
minder sich selber überlassenen und sich selber verwaltenden
griechischen Seestädten sich eine feste Klientel bildete, die mit den
Piraten wie mit einer befreundeten Macht auf Grund bestimmter Verträge
in Handelsverkehr trat und der Aufforderung der römischen Statthalter,
Schiffe gegen sie zu stellen, nicht nachkam; wie denn zum Beispiel die
nicht unbeträchtliche Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete
auf ihren Werften Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem
Marktplatz feilzubieten.
Eine solche Seeräuberschaft war eine politische Macht; und als
politische Macht gab sie sich und ward sie genommen, seit zuerst der
syrische König Tryphon sie als solche benutzt und seine Herrschaft auf
sie gestützt hatte. Wir finden die Piraten als Verbündete des Königs
Mithradates von Pontos sowie der römischen demokratischen Emigration;
wir finden sie Schlachten liefern gegen die Flotten Sullas in den
östlichen wie in den westlichen Gewässern. Wir finden einzelne
Piratenfürsten, die über eine Kette von ansehnlichen Küstenplätzen
gebieten. Es läßt sich nicht sagen, wieweit die innere politische
Entwicklung dieses schwimmenden Staates bereits gediehen war; aber
unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim eines Seekönigtums, das
bereits sich ansässig zu machen beginnt und aus dem unter günstigen
Verhältnissen wohl ein dauernder Staat sich hätte entwickeln mögen.
Es ist hiermit ausgesprochen und ward zum Teil schon früher bezeichnet,
wie die Römer auf “ihrem Meere” die Ordnung hielten oder vielmehr nicht
hielten. Roms Schutzherrschaft über die Ämter bestand wesentlich in der
militärischen Vormundschaft; für die in der Hand der Römer vereinigte
Verteidigung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den Römern die
Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen Mündel
unverschämter betrogen als die römische Oligarchie die untertänigen
Gemeinden. Statt daß Rom eine allgemeine Reichsflotte aufgestellt und
die Seepolizei zentralisiert hätte, ließ der Senat die einheitliche
Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne die ebenhier gar nichts
auszurichten war, gänzlich fallen und überließ es jedem einzelnen
Statthalter und jedem einzelnen Klientelstaat, sich der Piraten zu
erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt daß Rom, wie es sich
anheischig gemacht, das Flottenwesen mit seinem und der formell
souverän gebliebenen Klientelstaaten Gut und Blut ausschließlich
bestritten hätte, ließ man die italische Kriegsmarine eingehen und
lernte sich behelfen mit den von den einzelnen Kaufstädten requirierten
Schiffen oder noch häufiger mit den überall organisierten Strandwachen,
wo dann in beiden Fällen alle Kosten und Beschwerden die Untertanen
trafen. Die Provinzialen mochten sich glücklich schätzen, wenn der
römische Statthalter die für die Küstenverteidigung ausgeschriebenen
Requisitionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte und nicht für
sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr häufig geschah,
angewiesen wurden, für einen von den Seeräubern gefangenen vornehmen
Römer die Ranzion zu bezahlen. Was etwa Verständiges begonnen ward, wie
die Besetzung Kilikiens 652 (102), verkümmerte sicher in der
Ausführung. Wer von den Römern dieser Zeit nicht gänzlich in der
gangbaren duseligen Vorstellung von nationaler Größe befangen war, der
hätte wünschen müssen, von der Rednerbühne auf dem Markte die
Schiffsschnäbel herabreißen zu dürfen, um wenigstens nicht stets durch
sie an die in besserer Zeit erfochtenen Seesiege sich gemahnt zu
finden.
Indes tat doch Sulla, der in dem Kriege gegen Mithradates wahrlich
hinreichend sich hatte überzeugen können, welche Gefahren die
Vernachlässigung des Flottenwesens mit sich bringe, verschiedene
Schritte, um dem Übel ernstlich zu steuern. Der Auftrag zwar, welchen
er den von ihm in Asien eingesetzten Statthaltern zurückgelassen, in
den Seestädten eine Flotte gegen die Seeräuber auszurüsten, hatte wenig
gefruchtet, da Murena es vorzog, Krieg mit Mithradates anzufangen, und
der Statthalter von Kilikien, Gnaeus Dolabella, sich ganz unfähig
erwies. Deshalb beschloß im Jahre 675 (79) der Senat, einen der Konsuln
nach Kilikien zu senden; das Los traf den tüchtigen Publius Servilius.
Er schlug in einem blutigen Treffen die Flotte der Piraten und wandte
sich darauf zur Zerstörung derjenigen Städte an der kleinasiatischen
Südküste, die ihnen als Ankerplätze und Handelsstationen dienten. Die
Festungen des mächtigen Seefürsten Zeniketes: Olympos, Korykos,
Phaselis im östlichen Lykien, Attaleia in Pamphylien wurden gebrochen,
und in den Flammen der Burg Olympos fand der Fürst selbst den Tod.
Weiter ging es gegen die Isaurer, welche im nordwestlichen Winkel des
rauben Kilikiens am nördlichen Abhang des Tauros ein mit prachtvollen
Eichenwäldern bedecktes Labyrinth von steilen Bergrücken, zerklüfteten
Felsen und tiefgeschnittenen Tälern bewohnten - eine Gegend, die noch
heute von den Erinnerungen an die alte Räuberzeit erfüllt ist. Um diese
isaurischen Felsennester, die letzten und sichersten Zufluchtsstätten
der Flibustier, zu bezwingen, führte Servilius die erste römische Armee
über den Tauros und brach die feindlichen Festungen Oroanda und vor
allem Isaura selbst, das Ideal einer Räuberstadt, auf der Höhe eines
schwer zugänglichen Bergzuges gelegen und die weite Ebene von Ikonion
vollständig überschauend und beherrschend. Der erst im Jahre 679 (75)
beendigte Krieg, aus dem Publius Servilius für sich und seine
Nachkommen den Beinamen des Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne
Frucht; eine große Anzahl von Korsaren und Korsarenschiffen geriet
durch denselben in die Gewalt der Römer; Lykien, Pamphylien,
Westkilikien wurden arg verheert, die Gebiete der zerstörten Städte
eingezogen und die Provinz Kilikien mit ihnen erweitert. Allein es lag
in der Natur der Sache, daß die Piraterie doch damit keineswegs
unterdrückt war, sondern nur sich zunächst nach andern Gegenden,
namentlich nach der ältesten Herberge der Korsaren des Mittelmeers,
nach Kreta, zog. Nur umfassend und einheitlich durchgeführte
Repressivmaßregeln oder vielmehr nur die Einrichtung einer ständigen
Seepolizei konnten hier durchgreifende Abhilfe gewähren.
In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen die Verhältnisse
des kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die hier zwischen Rom
und den Königen von Pontos und Armenien bestand, ließ nicht nach,
sondern steigerte sich mehr und mehr. Auf der einen Seite griff König
Tigranes von Armenien in der rücksichtslosesten Weise erobernd um sich.
Die Parther, deren in dieser Zeit auch durch innere Unruhen zerrissener
Staat tief daniederlag, wurden in andauernden Fehden weiter und weiter
in das innere Asien zurückgedrängt. Von den Landschaften zwischen
Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Corduene (nördliches Kurdistan)
und das Atropatenische Medien (Aserbeidschan) aus parthischen in
armenische Lehnkönigreiche verwandelt und das Reich von Ninive (Mosul)
oder Adiabene, wenigstens vorübergehend, gleichfalls gezwungen, in die
armenische Klientel einzutreten. Auch in Mesopotamien, namentlich in
und um Nisibis, ward die armenische Herrschaft begründet; nur die
südliche, großenteils wüste Hälfte, scheint nicht in festen Besitz des
neuen Großkönigs gekommen und namentlich Seleukeia am Tigris ihm nicht
untertänig geworden zu sein. Das Reich von Edessa oder Osrhoene übergab
er einem Stamme der schweifenden Araber, den er aus dem südlichen
Mesopotamien hierher verpflanzte und hier ansässig machte, um durch ihn
den Euphratübergang und die große Handelsstraße zu beherrschen ^1. Aber
Tigranes beschränkte seine Eroberungen keineswegs auf das östliche Ufer
des Euphrat. Vor allem Kappadokien war das Ziel seiner Angriffe und
erlitt, wehrlos wie es war, von dem übermächtigen Nachbar vernichtende
Schläge. Die östliche Landschaft Melitene riß Tigranes von Kappadokien
ab und vereinigte sie mit der gegenüberliegenden armenischen Provinz
Sophene, wodurch er den Euphratübergang mit der großen
kleinasiatisch-armenischen Handelsstraße in seine Gewalt bekam. Nach
Sullas Tode rückten die Armenier sogar in das eigentliche Kappadokien
ein und führten die Bewohner der Hauptstadt Mazaka (später Caesarea)
und elf anderer griechisch geordneter Städte weg nach Armenien. Nicht
mehr Widerstand vermochte das in voller Auflösung begriffene
Seleukidenreich dem neuen Großkönig entgegenzustellen. Hier herrschte
im Süden von der ägyptischen Grenze bis nach Stratons Turm (Caesarea)
der Judenfürst Alexandros Jannaeos, der im Kampfe mit den syrischen,
ägyptischen und arabischen Nachbarn und mit den Reichsstädten seine
Herrschaft Schritt vor Schritt erweiterte und befestigte. Die größeren
Städte Syriens, Gaza, Stratons Turm, Ptolemais, Beröa versuchten, sich
bald als freie Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene
Hand zu behaupten; vor allem die Hauptstadt Antiocheia war so gut wie
selbständig. Damaskos und die Libanostäler hatten sich dem nabatäischen
Fürsten Aretas von Petra unterworfen. In Kilikien endlich herrschten
die Seeräuber oder die Römer. Und um diese in tausend Splitter
zerschellende Krone fuhren die Seleukidenprinzen, als gälte es das
Königtum allen zum Spott und zum Ärgernis zu machen, beharrlich fort,
untereinander zu hadern, ja, während von diesem gleich dem Hause des
Laios zum ewigen Zwiste verfluchten Geschlechte die eigenen Untertanen
alle abtrünnig wurden, sogar Ansprüche auf den durch den erblosen
Abgang des Königs Alexander Il. erledigten Thron von Ägypten zu
erheben. So griff König Tigranes hier ohne Umstände zu. Das östliche
Kilikien ward mit Leichtigkeit von ihm unterworfen und die
Bürgerschaften von Soloi und anderen Städten ebenwie die kappadokischen
nach Armenien abgeführt. Ebenso wurde die obere syrische Landschaft,
mit Ausnahme der tapfer verteidigten Stadt Seleukeia an der Mündung des
Orontes, und der größte Teil von Phönike mit den Waffen bezwungen: um
680 (74) ward Ptolemais von den Armeniern eingenommen und schon der
Judenstaat ernstlich von ihnen bedroht. Die alte Hauptstadt der
Seleukiden Antiocheia ward eine der Residenzen des Großkönigs. Bereits
von dem Jahre 671 (83) an, dem nächsten nach dem Frieden zwischen Sulla
und Mithradates, wird Tigranes in den syrischen Jahrbüchern als der
Landesherr bezeichnet und erscheint Kilikien und Syrien als eine
armenische Satrapie unter dem Statthalter des Großkönigs Magadates. Die
Zeit der Könige von Ninive, der Salmanassar und Sanherib, schien sich
zu erneuern: wieder lastete der orientalische Despotismus schwer auf
der handeltreibenden Bevölkerung der syrischen Küste, wie einst auf
Tyros und Sidon; wieder warfen binnenländische Großstaaten sich auf die
Landschaften am Mittelmeer; wieder standen asiatische Heere von
angeblich einer halben Million Streiter an den kilikischen und
syrischen Küsten. Wie einst Salmanassar und Nebukadnezar die Juden nach
Babylon geführt hatten, so mußten jetzt aus allen Grenzlandschaften des
neuen Reiches, aus Corduene, Adiabene, Assyrien, Kilikien, Kappadokien,
die Einwohner, namentlich die griechischen oder halbgriechischen
Stadtbürger, mit ihrer gesamten Habe bei Strafe der Konfiskation alles
dessen, was sie zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen
Residenz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die Größe
der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in den
Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigtums auf das
Machtwort des neuen Großsultans aus der Erde springen. Die neue
“Tigranesstadt”, Tigranokerta, gegründet an der Grenze Armeniens und
Mesopotamiens und bestimmt zur Hauptstadt der neu für Armenien
gewonnenen Gebiete, ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern
von fünfzig Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mitgehörigen
Palast-, Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der neue
Großkönig sich nicht: wie in der ewigen Kindheit des Ostens überhaupt
die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit wirklichen Kronen auf
dem Haupte niemals verschwunden sind, so erschien auch Tigranes, wo er
öffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des
Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weißen, halb
purpurnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem hohen
Turban und der königlichen Stirnbinde, wo er ging und stand von vier
“Königen” in Sklavenart begleitet und bedient.
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^1 Das Reich von Edessa, dessen Gründung die einheimischen Chroniken
620 (134) setzen, kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter die
arabische Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir später daselbst
finden. Offenbar hängt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber
durch Tigranes den Großen in der Gegend von Edessa, Kallirhoe, Karrhä
(Plin. nat. 5, 20, 85; 21, 86; 6, 28, 142); wovon auch Plutarch (Luc.
21) berichtet, daß Tigranes, die Sitten der Zeltaraber umwandelnd, sie
seinem Reiche näher ansiedelte, um durch sie des Handels sich zu
bemächtigen. Vermutlich ist dies so zu verstehen, daß die Beduinen, die
gewohnt waren, durch ihr Gebiet Handelsstraßen zu eröffnen und auf
diesen feste Durchgangszölle zu erheben (Strab. 14, 748), dem Großkönig
als eine Art von Zollkontrolleuren dienen und an der Euphratpassage für
ihn und für sich Zölle erheben sollten. Diese “osrhoenischen Araber”
(Orei Arabes), wie sie Plinius nennt, müssen auch die Araber am Berg
Amanos sein, die Afranius überwand (Plut. Pomp. 39).
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Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien
der Übergriffe und begnügte sich, was kein Traktat ihm verbot, seine
Herrschaft am Schwarzen Meere fester zu begründen und die Landschaften,
die das Bosporanische jetzt unter seiner Oberhoheit von seinem Sohn
Machares beherrschte Königreich von dem Pontischen trennten, allmählich
in bestimmtere Abhängigkeit zu bringen. Aber auch er wandte alle
Anstrengungen darauf, seine Flotte und sein Heer instand zu setzen und
namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen und zu
organisieren, wobei die römischen Emigranten, die in großer Zahl an
seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten.
Den Römern war nichts daran gelegen, in die orientalischen
Angelegenheiten noch weiter verwickelt zu werden, als sie es bereits
waren. Es zeigt sich dies namentlich mit schlagender Deutlichkeit
darin, daß die Gelegenheit, die in dieser Zeit sich darbot, das
Ägyptische Reich auf friedlichem Wege unter unmittelbare römische
Herrschaft zu bringen, vom Senat verschmäht ward. Die legitime
Deszendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns war zu Ende gegangen, als der
nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Königs Lathyros von Sulla
eingesetzte König Alexandros II., ein Sohn Königs Alexandros I., wenige
Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auflauf in der Hauptstadt
getötet ward (673 81). Dieser Alexandros hatte in seinem Testament ^2
zum Erben die römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses
Dokuments ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an,
indem er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbenen
Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger gestattete er
zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathyros, dem einen,
Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flötenbläser (Auletes)
genannt, Ägypten, dem andern, Ptolemäos dem Kyprier, Kypros tatsächlich
in Besitz zu nehmen; sie wurden zwar vom Senat nicht ausdrücklich
anerkannt, aber doch auch keine bestimmte Forderung auf Herausgabe der
Reiche an sie gerichtet. Die Ursache, weshalb der Senat diesen unklaren
Zustand fortdauern ließ und nicht dazu kam, in bindender Weise auf
Ägypten und Kypros zu verzichten, war ohne Zweifel die ansehnliche
Rente, welche jene gleichsam auf Bittbesitz herrschenden Könige für die
Fortdauer desselben den römischen Koteriehäuptern fortwährend zahlten.
Allein der Grund, jenem lockenden Erwerb überhaupt zu entsagen, liegt
anderswo. Ägypten gab durch seine eigentümliche Lage und seine
finanzielle Organisation jedem dort befehligenden Statthalter eine
Geld- und Seemacht und überhaupt eine unabhängige Gewalt in die Hände,
wie sie mit dem argwöhnischen und schwächlichen Regiment der Oligarchie
sich schlechterdings nicht vertrug; von diesem Standpunkt aus war es
verständig, dem unmittelbaren Besitz der Nillandschaft zu entsagen.
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^2 Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von
Alexander I. († 666 88) oder Alexander II. († 673 81) herrühre, wird
gewöhnlich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe
sind unzulänglich; denn Cicero (leg. agr. 1, 4, 12; 15, 38; 16, 41)
sagt nicht, daß Ägypten im Jahre 666 (88), sondern daß es in oder nach
diesem Jahr an Rom gefallen sei; und wenn man daraus, daß Alexander I.
im Ausland, Alexander II. in Alexandreia umkam, gefolgert hat, daß die
in dem fraglichen Testament erwähnten in Tyros lagernden Schätze dem
ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daß Alexander II.
neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Ägypten getötet ward (J. A.
Letronne, Recueil des inscriptions grecques et latines de l’Egypte. Bd.
2, Paris 1848, S. 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein
konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daß der zweite Alexander
der letzte echte Lagide war, da bei den ähnlichen Erwerbungen von
Pergamon Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Sproß der
berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Das alte
Staatsrecht, wie es wenigstens für die römischen Klientelstaaten
maßgebend gewesen ist, scheint dem Regenten das letztwillige
Verfügungsrecht über sein Reich nicht unbedingt, sondern nur in
Ermangelung erbberechtigter Agnaten zugestanden zu haben. Vgl.
Gutschmids Anmerkung zu der deutschen Übersetzung von S. Sharper,
Geschichte Ägyptens. Bd. 2, S. 17. Ob das Testament echt oder falsch
war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; besondere
Gründe, eine Fälschung anzunehmen, liegen nicht vor.
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Weniger läßt es sich rechtfertigen, daß der Senat es unterließ, in die
kleinasiatischen und syrischen Angelegenheiten unmittelbar
einzugreifen. Die römische Regierung erkannte zwar den armenischen
Eroberer nicht als König von Kappadokien und Syrien an; aber sie tat
doch auch nichts, um ihn zurückzudrängen, wie nahe immer der Krieg, den
sie 676 (78) notgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begann, ihr
namentlich das Einschreiten in Syrien legte. In der Tat gab sie, indem
sie den Verlust Kappadokiens und Syriens ohne Kriegserklärung hinnahm,
damit nicht bloß ihre Schutzbefohlenen, sondern die wichtigsten
Grundlagen ihrer eigenen Machtstellung preis. Es war schon bedenklich,
wenn sie in den griechischen Ansiedlungen und Reichen am Euphrat und
Tigris die Vorwerke ihrer Herrschaft opferte; aber wenn sie die Asiaten
am Mittelmeer sich festsetzen ließ, welches die politische Basis ihres
Reiches war, so war dies nicht ein Beweis von Friedensliebe, sondern
das Bekenntnis, daß die Oligarchie durch die Sullanische Restauration
wohl oligarchischer, aber weder klüger noch energischer geworden war,
und für die römische Weltmacht der Anfang des Endes.
Auch auf der andern Seite wollte man den Krieg nicht. Tigranes hatte
keine Ursache, ihn zu wünschen, wenn Rom ihm auch ohne Krieg all seine
Bundesgenossen preisgab. Mithradates, der denn doch nicht bloß Sultan
war und Gelegenheit genug gehabt hatte, im Glück und Unglück
Erfahrungen über Freunde und Feinde zu machen, wußte sehr wohl, daß er
in einem zweiten römischen Krieg sehr wahrscheinlich ebenso allein
stehen würde wie in dem ersten und daß er nichts Klügeres tun konnte,
als sich ruhig zu verhalten und sein Reich im Innern zu stärken. Daß es
ihm mit seinen friedlichen Erklärungen Ernst war, hatte er in dem
Zusammentreffen mit Murena hinreichend bewiesen; er fuhr fort, alles zu
vermeiden, was dazu führen mußte, die römische Regierung aus ihrer
Passivität herauszudrängen.
Allein wie schon der Erste Mithradatische Krieg sich entsponnen hatte,
ohne daß eine der Parteien ihn eigentlich wünschte, so entwickelte auch
jetzt aus den entgegengesetzten Interessen sich gegenseitiger Argwohn,
aus diesem gegenseitige Verteidigungsanstalten, und es führten diese
endlich durch ihr eigenes Schwergewicht zum offenen Bruch. Das seit
langem die römische Politik beherrschende Mißtrauen in die eigene
Schlagfertigkeit und Kampfbereitschaft, welches bei dem Mangel
stehender Armeen und dem wenig musterhaften kollegialischen Regiment
wohl erklärlich ist, machte es gleichsam zu einem Axiom der römischen
Politik, jeden Krieg nicht bloß bis zur Überwältigung, sondern bis zur
Vernichtung des Gegners zu führen; man war insofern mit dem Frieden
Sullas von Haus aus in Rom so wenig zufrieden wie einst mit den
Bedingungen, die Scipio Africanus den Karthagern gewährt hatte. Die
vielfach geäußerte Besorgnis, daß ein zweiter Angriff des pontischen
Königs bevorstehe, ward einigermaßen gerechtfertigt durch die ungemeine
Ähnlichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse mit denen vor zwölf Jahren.
Wieder traf ein gefährlicher Bürgerkrieg zusammen mit ernstlichen
Rüstungen Mithradats; wieder überschwemmten die Thraker Makedonien und
bedeckten die Korsarenflotten das ganze Mittelmeer; wieder kamen und
gingen die Emissäre, wie einst zwischen Mithradates und den Italikern,
so jetzt zwischen den römischen Emigranten in Spanien und denen am Hofe
von Sinope. Schon im Anfang des Jahres 677 (77) ward es im Senat
ausgesprochen, daß der König nur auf die Gelegenheit warte, während des
italischen Bürgerkriegs über das römische Asien herzufallen; die
römischen Armeen in Asia und Kilikien wurden verstärkt, um möglichen
Ereignissen zu begegnen.
Andererseits verfolgte auch Mithradates mit steigender Besorgnis die
Entwicklung der römischen Politik. Er mußte es fühlen, daß ein Krieg
der Römer gegen Tigranes, wie sehr auch der schwächliche Senat davor
sich scheute, doch auf die Länge kaum vermeidlich sei und er nicht
umhin können werde, sich an demselben zu beteiligen. Der Versuch, das
immer noch mangelnde schriftliche Friedensinstrument von dem römischen
Senat zu erlangen, war in die Wirren der Lepidianischen Revolution
gefallen und ohne Erfolg geblieben; Mithradates fand darin ein
Anzeichen der bevorstehenden Erneuerung des Kampfes. Die Einleitung
dazu schien die Expedition gegen die Seeräuber, die mittelbar doch auch
die Könige des Ostens traf, deren Verbündete sie waren. Noch
bedenklicher waren die schwebenden Ansprüche Roms auf Ägypten und
Kypros; es ist bezeichnend, daß der pontische König den beiden
Ptolemäern, denen der Senat fortfuhr, die Anerkennung zu weigern, seine
beiden Töchter Mithradatis und Nyssa verlobte. Die Emigranten drängten
zum Losschlagen; Sertorius’ Stellung in Spanien, die zu erkunden
Mithradates unter passenden Vorwänden Boten in das Pompeianische
Hauptquartier abordnete, und die in der Tat eben um diese Zeit imposant
war, eröffnete dem König die Aussicht, nicht wie in dem ersten Krieg
gegen die beiden römischen Parteien, sondern mit der einen gegen die
andere zu fechten. Ein günstigerer Moment konnte kaum gehofft werden,
und am Ende war es immer besser, den Krieg zu erklären, als ihn sich
erklären zu lassen. Da starb im Jahre 679 (75) König Nikomedes III.
Philopator von Bithynien und hinterließ als der letzte seines Stammes -
denn ein von der Nysa geborener Sohn war oder hieß unecht - sein Reich
im Testament den Römern, welche diese mit der römischen Provinz
grenzende und längst von römischen Beamten und Kaufleuten erfüllte
Landschaft in Besitz zu nehmen nicht säumten. Gleichzeitig wurde auch
Kyrene, das bereits seit dem Jahr 658 (96) den Römern angefallen war,
endlich als Provinz eingerichtet und ein römischer Statthalter dorthin
geschickt (679 75). Diese Maßregeln in Verbindung mit den um dieselbe
Zeit an der Südküste von Kleinasien gegen die Piraten ausgeführten
Angriffen müssen in dem Könige Besorgnisse erregt haben; die Einziehung
Bithyniens namentlich machte die Römer zu unmittelbaren Nachbarn des
Pontischen Reiches; und dies vermutlich gab den Ausschlag. Der König
tat den entscheidenden Schritt und erklärte im Winter 679/80 (75/74)
den Römern den Krieg.
Gern hätte Mithradates die schwere Arbeit nicht allein übernommen. Sein
nächster und natürlicher Bundesgenosse war der Großkönig Tigranes;
allein der kurzsichtige Mann lehnte den Antrag seines Schwiegervaters
ab. So blieben nur die Insurgenten und die Piraten. Mithradates ließ es
sich angelegen sein, mit beiden durch starke, nach Spanien und nach
Kreta entsandte Geschwader sich in Verbindung zu setzen. Mit Sertorius
ward ein förmlicher Vertrag abgeschlossen, durch den Rom an den König
Bithynien, Paphlagonien, Galanen und Kappadokien abtrat - freilich
lauter Erwerbungen, die erst auf dem Schlachtfeld ratifiziert werden
mußten. Wichtiger war die Unterstützung, die der spanische Feldherr dem
König durch Sendung römischer Offiziere zur Führung seiner Heere und
Flotten gewährte. Die tätigsten unter den Emigranten im Osten, Lucius
Magius und Lucius Fannius, wurden von Sertorius zu seinen Vertretern am
Hofe von Sinope bestellt. Auch von den Piraten kam Hilfe; sie stellten
in großer Anzahl im Pontischen Reich sich ein, und namentlich durch sie
scheint es dem Könige gelungen zu sein, eine durch die Zahl wie durch
die Tüchtigkeit der Schiffe imponierende Seemacht zu bilden. Die
Hauptstütze blieben die eigenen Streitkräfte, mit denen der König,
bevor die Römer in Asien eintreffen würden, sich ihrer Besitzungen
daselbst bemächtigen zu können hoffte, zumal da in der Provinz Asia die
durch die Sullanische Kriegssteuer hervorgerufene finanzielle Not, in
Bithymen der Widerwille gegen das neue römische Regiment, in Kilikien
und Pamphylien der von dem kürzlich beendigten verheerenden Krieg
zurückgebliebene Brandstoff einer pontischen Invasion günstige
Aussichten eröffnete. An Vorräten fehlte es nicht; in den königlichen
Speichern lagen zwei Millionen Medimnen Getreide. Flotte und Mannschaft
waren zahlreich und wohlgeübt, namentlich die bastarnischen Soldknechte
eine auserlesene, selbst italischen Legionären gewachsene Schar. Auch
diesmal war es der König, der die Offensive begann. Ein Korps unter
Diophantos ruckte in Kappadokien ein, um die Festungen daselbst zu
besetzen und den Römern den Weg in das Pontische Reich zu verlegen; der
von Sertorius gesandte Führer, der Proprätor Marcus Marius, ging in
Gemeinschaft mit dem pontischen Offizier Eumachos nach Phrygien, um die
römische Provinz und das Taurusgebirge zu insurgieren; die Hauptarmee,
über 100000 Mann nebst 16000 Reitern und 100 Sichelwagen, geführt von
Taxiles und Hermokrates unter der persönlichen Oberleitung des Königs,
und die von Aristonikos befehligte Kriegsflotte von 400 Segeln bewegten
sich die kleinasiatische Nordküste entlang, um Paphlagonien und
Bithymen zu besetzen. Römischerseits ward zur Führung des Krieges in
erster Reihe der Konsul des Jahres 680 (74), Lucius Lucullus,
ausersehen, der als Statthalter von Asien und Kilikien an die Spitze
der in Kleinasien stehenden vier Legionen und einer fünften von ihm aus
Italien mitgebrachten gestellt und angewiesen ward, mit dieser auf
30000 Mann zu Fuß und 1600 Reiter sich belaufenden Armee durch Phrygien
in das Pontische Reich einzudringen. Sein Kollege Marcus Cotta ging mit
der Flotte und einem anderen römischen Korps nach der Propontis, um
Asia und Bithynien zu decken. Endlich wurde eine allgemeine Armierung
der Küsten, namentlich der von der pontischen Flotte zunächst bedrohten
thrakischen, angeordnet und die Säuberung der sämtlichen Meere und
Küsten von den Piraten und ihren pontischen Genossen
außerordentlicherweise einem einzigen Beamten übertragen, wofür die
Wahl auf den Prätor Marcus Antonius fiel, den Sohn des Mannes, der
dreißig Jahre zuvor zuerst die kilikischen Korsaren gezüchtigt hatte.
Außerdem stellte der Senat dem Lucullus eine Summe von 72 Mill.
Sesterzen (5½ Mill. Talern) zur Verfügung, um davon eine Flotte zu
erbauen; was Lucullus indes ablehnte. Aus allem sieht man, daß die
römische Regierung in der Vernachlässigung des Seewesens den Kern des
Übels erkannte und hierin wenigstens so weit Ernst machte, als ihre
Dekrete reichten.
So begann im Jahre 680 (74) der Krieg auf allen Punkten. Es war ein
Unglück für Mithradates, daß eben im Moment seiner Kriegserklärung der
Wendepunkt im Sertorianischen Kriege eintrat, wodurch von vornherein
eine seiner hauptsächlichsten Hoffnungen ihm zugrunde ging und es der
römischen Regierung möglich ward, ihre ganze Macht auf den See- und den
kleinasiatischen Krieg zu verwenden. In Kleinasien dagegen erntete
Mithradat die Vorteile der Offensive und der weiten Entfernung der
Römer von dem unmittelbaren Kriegsschauplatz. Dem Sertorianischen
Proprätor, der in der römischen Provinz Asia vorangestellt ward,
öffneten eine beträchtliche Anzahl kleinasiatischer Städte die Tore und
metzelten wie im Jahre 666 (88) die bei ihnen ansässigen römischen
Familien nieder; die Pisider, Isaurer, Kiliker ergriffen gegen Rom die
Waffen. Die Römer hatten an den bedrohten Punkten augenblicklich keine
Truppen. Einzelne tüchtige Männer versuchten wohl auf ihre eigene Hand
dieser Aufwiegelung der Provinzialen zu steuern - so verließ auf die
Kunde von diesen Ereignissen der junge Gaius Caesar Rhodos, wo er
seiner Studien wegen sich aufhielt, und warf sich mit einer rasch
zusammengerafften Schar den Insurgenten entgegen; allein viel konnten
solche Freikorps nicht ausrichten. Wenn nicht der tapfere Vierfürst des
um Pessinus ansässigen Keltenstammes der Tolistoboger, Deiotarus, die
Partei der Römer ergriffen und glücklich gegen die pontischen Feldherrn
gefochten hätte, so hätte Lucullus damit beginnen müssen, das
Binnenland der römischen Provinz dem Feind wiederabzunehmen. Auch so
aber verlor er mit der Beruhigung der Landschaft und mit der
Zurückdrängung des Feindes eine kostbare Zeit, die durch die geringen
Erfolge, welche seine Reiterei dabei erfocht, nichts weniger als
vergütet ward. Ungünstiger noch als in Phrygien gestalteten sich die
Dinge für die Römer an der Nordküste Kleinasiens. Hier hatte die große
Armee und die Flotte der Pontiker sich Bithyniens vollständig
bemeistert und den römischen Konsul Cotta genötigt, mit seiner wenig
zahlreichen Mannschaft und seinen Schiffen in den Mauern und dem Hafen
von Kalchedon Schutz zu suchen, wo Mithradates sie blockiert hielt.
Indes war diese Einschließung insofern ein günstiges Ereignis für die
Römer, als, wenn Cotta die pontische Armee vor Kalchedon festhielt und
Lucullus ebendahin sich wandte, die sämtlichen römischen Streitkräfte
bei Kalchedon sich vereinigen und schon hier statt in dem ferneren und
unwegsamen pontischen Land, die Waffenentscheidung erzwingen konnten.
Lucullus schlug auch die Straße nach Kalchedon ein; allein Cotta, um
noch vor dem Eintreffen des Kollegen auf eigene Hand eine Großtat
auszuführen, ließ seinen Flottenführer Publius Rutilius Nudus einen
Ausfall machen, der nicht bloß mit einer blutigen Niederlage der Römer
endigte, sondern auch den Pontikern es möglich machte, den Hafen
anzugreifen, die Kette, die denselben sperrte, zu sprengen und
sämtliche daselbst befindliche römische Kriegsschiffe, gegen siebzig an
der Zahl, zu verbrennen. Auf die Nachricht von diesen Unfällen, die
Lucullus am Fluß Sangarios erhielt, beschleunigte derselbe seinen
Marsch, zur großen Unzufriedenheit seiner Soldaten, welche nach ihrer
Meinung Cotta nichts anging und die weit lieber ein unverteidigtes Land
geplündert als ihre Kameraden siegen gelehrt hätten. Sein Eintreffen
machte die erlittenen Unfälle zum Teil wieder gut: der König hob die
Belagerung von Kalchedon auf, ging aber nicht nach Pontos zurück,
sondern südwärts in die altrömische Provinz, wo er an der Propontis und
am Hellespont sich ausbreitete, Lampsakos besetzte und die große und
reiche Stadt Kyzikos zu belagern begann. Immer fester verrannte er sich
also in die Sackgasse, die er eingeschlagen hatte, statt, was allein
für ihn Erfolg versprach, die weiten Entfernungen gegen die Römer ins
Spiel zu bringen. In Kyzikos hatte die alte hellenische Gewandtheit und
Tüchtigkeit sich so rein erhalten wie an wenigen anderen Orten; ihre
Bürgerschaft, obwohl sie in der unglücklichen Doppelschlacht von
Kalchedon an Schiffen und Mannschaft starke Einbuße erlitten hatte,
leistete dennoch den entschlossensten Widerstand. Kyzikos lag auf einer
Insel unmittelbar dem Festland gegenüber und durch eine Brücke mit
demselben verbunden. Die Belagerer bemächtigten sich sowohl des
Höhenzuges auf dem Festland, der an der Brücke endigt, und der hier
gelegenen Vorstadt, als auch auf der Insel selbst der berühmten
Dindymenischen Höhen, und auf der Festland- wie auf der Inselseite
boten die griechischen Ingenieure alle ihre Kunst auf, den Sturm
möglich zu machen. Allein die Bresche, die endlich zu machen gelang,
wurde während der Nacht wieder von den Belagerten geschlossen und die
Anstrengungen der königlichen Armee blieben ebenso fruchtlos wie die
barbarische Drohung des Königs, die gefangenen Kyzikener vor den Mauern
töten zu lassen, wenn die Bürgerschaft noch länger die Übergabe
verweigere. Die Kyzikener setzten die Verteidigung mit Mut und Glück
fort; es fehlte nicht viel, so hätten sie im Laufe der Belagerung den
König selbst gefangengenommen. Inzwischen hatte Lucullus sich einer
sehr festen Position im Rücken der pontischen Armee bemächtigt, die ihm
zwar nicht gestattete, der bedrängten Stadt unmittelbar zu Hilfe zu
kommen, aber wohl dem Feinde alle Zufuhr zu Lande abzuschneiden. So
stand die ungeheure, mit dem Troß auf 300000 Köpfe geschätzte
Mithradatische Armee, weder imstande zu schlagen, noch zu marschieren,
fest eingekeilt zwischen der unbezwinglichen Stadt und dem unbeweglich
stehenden römischen Heer und für allen ihren Bedarf einzig angewiesen
auf die See, die zum Glück für die Pontiker ihre Flotte ausschließlich
beherrschte. Aber die schlechte Jahreszeit brach herein; ein Unwetter
zerstörte einen großen Teil der Belagerungsbauten; der Mangel an
Lebensmitteln und vor allem an Pferdefutter fing an unerträglich zu
werden. Die Lasttiere und der Troß wurden unter Bedeckung des größten
Teils der pontischen Reiterei weggesandt mit dem Auftrag, um jeden
Preis sich durchzuschleichen oder durchzuschlagen; aber am Fluß
Rhyndakos östlich von Kyzikos holte Lucullus sie ein und hieb den
ganzen Haufen zusammen. Eine andere Reiterabteilung unter Metrophanes
und Lucius Fannius mußte nach langer Irrfahrt im westlichen Kleinasien
wieder in das Lager vor Kyzikos zurückkehren. Hunger und Seuchen
räumten unter den pontischen Scharen fürchterlich auf. Als der Frühling
herankam (681 73), verdoppelten die Belagerten ihre Anstrengungen und
nahmen die auf dem Dindymon angelegten Schanzen; es blieb dem König
nichts übrig, als die Belagerung aufzuheben und mit Hilfe der Flotte zu
retten, was zu retten war. Er selber ging mit der Flotte nach dem
Hellespont, erlitt aber teils bei der Abfahrt, teils unterwegs durch
Stürme beträchtliche Einbuße. Eben dahin brach auch das Landheer unter
Hermaeos und Marius auf, um in Lampsakos und von dessen Mauern
geschützt sich einzuschiffen. Ihr Gepäck ließen sie im Stich, sowie die
Kranken und Verwundeten, die von den erbitterten Kyzikenern sämtlich
niedergemacht wurden. Unterwegs fügte ihnen Lucullus beim Übergang über
die Flüsse Äsepos und Granikos sehr ansehnlichen Verlust zu; doch
erreichten sie ihr Ziel: die pontischen Schiffe entführten die
Überreste der großen Armee und die lampsakenische Bürgerschaft selbst
aus dem Bereiche der Römer.
Lucullus’ folgerechte und bedächtige Kriegführung hatte nicht bloß die
Fehler seines Kollegen wieder gutgemacht, sondern auch, ohne eine
Hauptschlacht zu liefern, den Kern der feindlichen Armee - angeblich
200 000 Soldaten - aufgerieben. Hätte er noch die Flotte gehabt, die im
Hafen von Kalchedon verbrannt war, so würde er die ganze feindliche
Armee vernichtet haben; so blieb das Zerstörungswerk unvollendet, und
er mußte sogar es leiden, daß trotz der Katastrophe von Kyzikos die
pontische Flotte in der Propontis sich aufstellte, Perinthos und
Byzantion auf der europäischen Küste von ihr blockiert, Priapos auf der
asiatischen ausgeraubt, das königliche Hauptquartier nach dem
bithynischen Hafen Nikomedeia gelegt ward. Ja ein erlesenes Geschwader
von fünfzig Segeln, das 10000 erlesene Leute, darunter Marcus Marius
und den Kern der römischen Emigranten trug, fuhr sogar hinaus in das
Ägäische Meer; es ging die Rede, daß es bestimmt sei, in Italien zu
landen, um dort aufs neue den Bürgerkrieg zu entfachen. Indes fingen
die Schiffe, die Lucullus nach dem Unfall von Kalchedon von den
asiatischen Gemeinden eingefordert hatte, an, sich einzustellen und ein
Geschwader lief aus, um das in das Ägäische Meer abgegangene feindliche
aufzusuchen. Lucullus selbst, als Flottenführer erprobt, übernahm das
Kommando. Vor dem Achäerhafen, in den Gewässern zwischen der troischen
Küste und der Insel Tenedos, wurden dreizehn feindliche, auf der Fahrt
nach Lemnos begriffene Fünfruderer unter Isidoros überfallen und
versenkt. Bei der kleinen Insel Neä zwischen Lemnos und Skyros sodann,
an welchem wenig besuchten Punkte die pontische Flottille von 32 Segeln
auf den Strand gezogen lag, fand sie Lucullus, griff zugleich die
Schiffe und die auf der Insel zerstreute Bemannung an und bemächtigte
sich des ganzen Geschwaders. Hier fanden Marcus Marius und die
tüchtigsten der römischen Emigrierten entweder im Kampfe oder nachher
durch das Henkerbeil den Tod. Die ganze ägäische Flotte der Feinde war
von Lucullus vernichtet. Den Krieg in Bithynien hatten inzwischen mit
dem durch Nachsendungen aus Italien verstärkten Landheer und einem in
Asien zusammengezogenen Geschwader Cotta und die Legaten Luculls
Voconius, Gaius Valerius Triarius und Barba fortgesetzt. Barba nahm im
Binnenland Prusias am Olymp und Nikäa, Triarius an der Küste Apameia
(sonst Myrleia) und Prusias am Meer (sonst Kios). Man vereinigte sich
dann zu einem gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Mithradates selbst
in Nikomedeia; indes der König, ohne nur den Kampf zu versuchen,
entwich auf seine Schiffe und fuhr heimwärts, und auch dies gelang ihm
nur, weil der mit der Blockierung des Hafens von Nikomedeia beauftragte
römische Flottenführer Voconius zu spät eintraf. Unterwegs ward zwar
das wichtige Herakleia an den König verraten und von ihm besetzt; aber
ein Sturm in diesen Gewässern versenkte über sechzig seiner Schiffe und
zerstreute die übrigen; fast allein gelangte der König nach Sinope. Die
Offensive Mithradats endigte mit einer vollständigen und durchaus
nicht, am wenigsten für den obersten Leiter, rühmlichen Niederlage der
pontischen Land- und Seemacht.
Lucullus ging jetzt seinerseits zum Angriff vor. Triarius übernahm den
Befehl über die Flotte mit dem Auftrag, vor allem den Hellespont zu
sperren und den aus Kreta und Spanien rückkehrenden pontischen Schiffen
aufzupassen, Cotta die Belagerung von Herakleia; das schwierige
Verpflegungsgeschäft ward den treuen und tätigen Galaterfürsten und dem
König Ariobarzanes von Kappadokien übertragen; Lucullus selbst rückte
im Herbst 681 (73) ein in die gesegnete und seit langem von keinem
Feinde betretene pontische Landschaft. Mithradates, jetzt entschlossen
zur strengsten Defensive, wich, ohne eine Schlacht zu liefern, zurück
von Sinope nach Amisos, von Amisos nach Kabeira (später Neo-Caesarea,
jetzt Niksar) am Lykos, einem Nebenfluß des Iris; er begnügte sich, den
Feind immer tiefer landeinwärts sich nachzuziehen und ihm die Zufuhren
und Verbindungen zu erschweren. Rasch folgte Lucullus; Sinope blieb
seitwärts liegen; die alte Grenze des römischen Machtgebiets, der
Halys, ward überschritten, die ansehnlichen Städte Amisos, Eupatoria
(am Iris), Themiskyra (am Thermodon) umstellt, bis endlich der Winter
den Märschen, aber nicht den Einschließungen der Städte ein Ende
machte. Die Soldaten Luculls murrten über das unaufhaltsame Vordringen,
das ihnen nicht gestattete, die Früchte ihrer Anstrengungen zu ernten,
und über die weitläufigen und in der rauben Jahreszeit beschwerlichen
Blockaden. Allein es war nicht Lucullus’ Art, auf dergleichen Klagen zu
hören; im Frühjahr 682 (72) ging es sofort weiter gegen Kabeira unter
Zurücklassung zweier Legionen vor Amisos unter Lucius Murena. Der König
hatte während des Winters neue Versuche gemacht, den Großkönig von
Armenien zum Eintritt in den Kampf zu bestimmen; sie blieben wie die
früheren vergeblich oder führten doch nur zu leeren Verheißungen. Noch
weniger bezeigten die Parther Lust, bei der verlorenen Sache sich zu
beteiligen. Indes hatte sich, besonders durch Werbungen im Skythenland,
wieder eine ansehnliche Armee unter Diophantos und Taxiles bei Kabeira
zusammengefunden. Das römische Heer, das nur noch drei Legionen zählte
und das an Reiterei den Pontikern entschieden nachstand, sah sich
genötigt, das Blachfeld möglichst zu vermeiden, und gelangte nach
Kabeira auf schwierigen Nebenpfaden, nicht ohne Beschwerden und
Verluste. Bei dieser Stadt lagerten die beiden Armeen längere Zeit
einander gegenüber. Gestritten ward hauptsächlich um die Zufuhr, die
auf beiden Seiten knapp war; Mithradates bildete deswegen aus dem Kern
seiner Reiterei und einer Abteilung erlesener Fußsoldaten unter
Diophantos und Taxiles ein fliegendes Korps, das bestimmt war, zwischen
dem Lykos und dem Halys zu streifen und die aus Kappadokien kommenden
römischen Lebensmitteltransporte aufzufangen. Allein der
Unterbefehlshaber Lucullus, Marcus Fabius Hadrianus, der einen solchen
Zug eskortierte, schlug nicht bloß die ihm auflauernde Schar in dem
Engpaß, wo sie ihn zu überfallen gedachte, vollständig aufs Haupt,
sondern auch, nachdem er Verstärkung aus dem Lager erhalten hatte, die
Armee des Diophantos und Taxiles selbst, so daß dieselbe völlig sich
auflöste. Es war für den König ein unersetzlicher Verlust, daß seine
Reiterei, auf die er allein vertraute, ihm hier zugrunde gegangen war;
sowie er durch die ersten vom Schlachtfeld nach Kabeira gelangenden
Flüchtlinge - bezeichnend genug die geschlagenen Generale selbst - die
Hiobspost, früher noch als Lucullus die Nachricht von dem Sieg,
erhalten hatte, beschloß er sofortigen weiteren Rückzug. Aber der
gefaßte Entschluß des Königs verbreitete sich mit Blitzesschnelle unter
seiner nächsten Umgebung; und wie die Soldaten die Vertrauten des
Königs eiligst einpacken sahen, wurden auch sie von panischem Schreck
ergriffen. Niemand wollte bei dem Aufbruch der letzte sein; Vornehme
und Geringe liefen durcheinander wie gescheuchtes Wild; keine
Autorität, nicht einmal die des Königs, ward noch beachtet und der
König selbst fortgerissen in dem wilden Getümmel. Die Verwirrung
gewahrend, griff Lucullus an, und fast ohne Widerstand zu leisten
ließen die pontischen Scharen sich niedermetzeln. Hätten die Legionen
Mannszucht zu halten und ihre Beutegier zu mäßigen vermocht, so wäre
kaum ein Mann ihnen entronnen und der König ohne Zweifel selbst
gefangen worden. Mit Not entkam Mithradates mit wenigen Begleitern
durch die Berge nach Komana (unweit Tokat und der Irisquelle), von wo
ihn aber auch bald eine römische Schar unter Marcus Pompeius
wiederaufscheuchte und ihn verfolgte, bis er, von nicht mehr als 2000
Reitern begleitet, in Talaura in Klein-Armenien die Grenze seines
Reiches überschritt. In dem Reiche des Großkönigs fand er eine
Zufluchtsstätte, aber auch nicht mehr (Ende 682 72). Tigranes ließ
seinem flüchtigen Schwiegervater zwar königliche Ehre erzeigen, aber er
lud ihn nicht einmal an seinen Hof, sondern hielt ihn in der
abgelegenen Grenzlandschaft, wo er sich befand, in einer Art von
anständiger Haft. Ganz Pontos und Klein-Armenien überschwemmten die
römischen Truppen und bis nach Trapezus hinauf unterwarf sich das
platte Land ohne Widerstand dem Sieger. Auch die Befehlshaber der
königlichen Schatzhäuser ergaben sich nach kürzerem oder längerem
Zaudern und lieferten ihre Kassenvorräte aus. Die Frauen des
königlichen Harems, die königlichen Schwestern, seine zahlreichen
Gemahlinnen und Kebse ließ der König, da sie zu flüchten nicht möglich
war, durch einen seiner Verschnittenen in Pharnakeia (Kerasunt)
sämtlich töten. Hartnäckigen Widerstand leisteten nur die Städte. Zwar
die wenigen im Binnenland, Kabeira, Amaseia, Eupatoria, waren bald in
der Gewalt der Römer; aber die größeren Seestädte, Amisos und Sinope in
Pontos, Amastris in Paphlagonien, Tios und das pontische Herakleia in
Bithynien, wehrten sich wie Verzweifelte, teils begeistert durch die
Anhänglichkeit an den König und die von ihm geschirmte freie
hellenische Stadtverfassung, teils terrorisiert durch die Scharen der
vom König herbeigerufenen Korsaren. Sinope und Herakleia ließen sogar
die Schiffe gegen die Römer auslaufen, und das sinopische Geschwader
bemächtigte sich einer römischen Flottille, die von der Taurischen
Halbinsel für Lucullus’ Heer Getreide brachte. Herakleia unterlag erst
nach zweijähriger Belagerung, nachdem die römische Flotte der Stadt den
Verkehr mit den griechischen Städten auf der Taurischen Halbinsel
abgeschnitten hatte und in den Reihen der Besatzung Verräterei
ausgebrochen war. Als Amisos aufs äußerste gebracht war, zündete die
Besatzung die Stadt an und bestieg unter dem Schutze der Flammen ihre
Schiffe. In Sinope, wo der kecke Piratenkapitän Seleukos und der
königliche Verschnittene Bakchides die Verteidigung leiteten, plünderte
die Besatzung die Häuser, bevor sie abzog, und steckte die Schiffe, die
sie nicht mitnehmen konnte, in Brand; es sollen hier, obwohl der größte
Teil der Verteidiger sich hatte einschiffen können, doch noch 8000
Korsaren von Lucullus getötet worden sein. Zwei volle Jahre nach der
Schlacht von Kabeira und darüber (682-684 72-70) währten diese
Städtebelagerungen, die Lucullus großenteils durch seine
Unterbefehlshaber betrieb, während er selbst die Verhältnisse der
Provinz Asia ordnete, die eine gründliche Reform erheischten und
erhielten. Wie geschichtlich merkwürdig auch jener hartnäckige
Widerstand der pontischen Kaufstädte gegen die siegreichen Römer ist,
so kam doch zunächst wenig dabei heraus; die Sache des Königs
Mithradates war darum nicht minder verloren. Der Großkönig hatte
offenbar für jetzt wenigstens durchaus nicht die Absicht, ihn in sein
Reich zurückzuführen. Die römische Emigration in Asien hatte durch die
Vernichtung der ägäischen Flotte ihre Besten eingebüßt; von den
Übriggebliebenen hatten nicht wenige, wie zum Beispiel die tätigen
Führer Lucius Magius und Lucius Fannius, ihren Frieden mit Lucullus
gemacht, und mit dem Tode des Sertorius, der in dem Jahre der Schlacht
von Kabeira umkam, schwand die letzte Hoffnung der Emigration. Die
eigene Macht Mithradats war vollständig zerschmettert und eine nach der
andern brachen ihre noch übrigen Stützen zusammen: auch seine von Kreta
und Spanien heimkehrenden Geschwader, siebzig Segel stark, wurden von
Triarius bei der Insel Tenedos angegriffen und vernichtet; auch der
Statthalter des Bosporanischen Reiches, des Königs eigener Sohn
Machares, fiel von ihm ab und schloß als selbständiger Fürst des
Taurischen Chersones auf eigene Hand mit den Römern Frieden und
Freundschaft (684 70). Der König selbst saß nach nicht allzurühmlicher
Gegenwehr in einem entlegenen armenischen Bergschloß, ein Flüchtling
aus seinem Reiche und fast ein Gefangener seines Schwiegersohns.
Mochten die Korsarenscharen noch auf Kreta sich behaupten und was aus
Amisos und Sinope entkommen war, an die schwer zugängliche Ostküste des
Schwarzen Meeres zu den Sanigen und Lazen sich retten: Lucullus’
geschickte Kriegführung und seine verständige Mäßigung, die es nicht
verschmähte, den gerechten Beschwerden der Provinzialen abzuhelfen und
die reumütigen Emigranten als Offiziere in seinem Heere anzustellen,
hatte mit mäßigen Opfern Kleinasien vom Feinde befreit und das
Pontische Reich vernichtet, so daß dasselbe aus einem römischen
Klientelstaat in eine römische Provinz verwandelt werden konnte. Eine
Kommission des Senats ward erwartet, um in Gemeinschaft mit dem
Oberfeldherrn die neue Provinzialorganisation festzustellen.
Aber noch waren die Verhältnisse mit Armenien nicht geschlichtet. Daß
eine Kriegserklärung der Römer gegen Tigranes an sich gerechtfertigt,
ja geboten war, wurde früher gezeigt. Lucullus, der die Verhältnisse
aus größerer Nähe und mit höherem Sinn betrachtete als das
Senatorenkollegium in Rom, erkannte deutlich die Notwendigkeit,
Armenien über den Tigris zurückzuweisen und die verlorene Herrschaft
Roms über das Mittelmeer wiederherzustellen. Er zeigte in der Leitung
der asiatischen Angelegenheiten sich als keinen unwürdigen Nachfolger
seines Lehrmeisters und Freundes Sulla; Philhellene wie wenige Römer
seiner Zeit, war er nicht unempfänglich für die Verpflichtung, die Rom
mit der Erbschaft Alexanders übernommen hatte: Schild und Schwert der
Griechen im Osten zu sein. Persönliche Beweggründe, der Wunsch, auch
jenseits des Euphrat Lorbeeren zu ernten, die Empfindlichkeit darüber,
daß der Großkönig in einem Schreiben an ihn den Imperatorentitel
weggelassen, können freilich Lucullus mitbestimmt haben; allein es ist
ungerecht, kleinliche und egoistische Motive für Handlungen anzunehmen,
zu deren Erklärung die pflichtmäßigen vollkommen ausreichen. Indes von
dem ängstlichen, lässigen, schlecht unterrichteten und vor allen Dingen
von ewiger Finanznot bedrängten römischen Regierungskollegium ließ sich
nimmermehr erwarten, daß es, ohne unmittelbar dazu genötigt zu sein,
die Initiative zu einer so weitschichtigen und kostspieligen Expedition
ergreifen werde. Um das Jahr 682 (72) waren die legitimen
Repräsentanten der Seleukidendynastie, Antiochos, der Asiate genannt,
und dessen Bruder, veranlaßt durch die günstige Wendung des Pontischen
Krieges, nach Rom gegangen, um eine römische Intervention in Syrien und
nebenbei die Anerkennung ihrer Erbansprüche auf Ägypten zu erwirken.
Wenn die letztere Anforderung nicht gewährt werden konnte, so ließen
doch der Augenblick wie die Veranlassung sich nicht günstiger finden,
um den längst notwendigen Krieg gegen Tigranes zu beginnen. Allein der
Senat hatte die Prinzen wohl als die rechtmäßigen Könige Syriens
anerkannt, aber sich nicht entschließen können, die bewaffnete
Intervention zu verfügen. Sollte die gute Gelegenheit benutzt und gegen
Armenien Ernst gemacht werden, so mußte Lucullus den Krieg ohne
eigentlichen Auftrag des Senats auf eigene Hand und eigene Gefahr
beginnen; auch er sah sich ebenwie Sulla in die Notwendigkeit versetzt,
was er im offenbarsten Interesse der bestehenden Regierung tat, nicht
mit ihr, sondern ihr zum Trotz ins Werk zu setzen. Erleichtert ward ihm
der Entschluß durch die seit langem unklar zwischen Krieg und Frieden
schwankenden Verhältnisse Roms zu Armenien, welche die Eigenmächtigkeit
seines Verfahrens einigermaßen bedeckten und es an formellen
Kriegsgründen nicht fehlen ließen. Die kappadokischen und syrischen
Zustände boten Anlässe genug, und es hatten auch schon bei der
Verfolgung des pontischen Königs römische Truppen das Gebiet des
Großkönigs verletzt. Da indes Lucullus’ Auftrag auf Führung des Krieges
gegen Mithradates ging und er hieran anzuknüpfen wünschte, so zog er es
vor, einen seiner Offiziere, Appius Claudius, an den Großkönig nach
Antiochien zu senden, um Mithradates’ Auslieferung zu fordern, was denn
freilich zum Kriege führen mußte. Der Entschluß war ernst, zumal bei
der Beschaffenheit der römischen Armee. Es war unvermeidlich, während
des Feldzugs in Armenien das ausgedehnte pontische Gebiet stark besetzt
zu halten, da sonst dem in Armenien stehenden Heer die Verbindung mit
der Heimat verloren ging und überdies ein Einfall Mithradats in sein
ehemaliges Reich leicht vorherzusehen war. Offenbar reichte die Armee,
an deren Spitze Lucullus den Mithradatischen Krieg beendigt hatte, von
beiläufig 30000 Mann für diese verdoppelte Aufgabe nicht aus. Unter
gewöhnlichen Verhältnissen würde der Feldherr von seiner Regierung die
Nachsendung einer zweiten Armee erbeten und erhalten haben; allein da
Lucullus den Krieg der Regierung über den Kopf nehmen wollte und
gewissermaßen mußte, sah er sich genötigt, hierauf zu verzichten und,
ob er gleich selbst die gefangenen thrakischen Söldner des pontischen
Königs seinen Truppen einreihte, dennoch mit nicht mehr als zwei
Legionen oder höchstens 15000 Mann den Krieg über den Euphrat zu
tragen. Schon dies war bedenklich; indes die Geringfügigkeit der Zahl
mochte durch die erprobte Tapferkeit der durchaus aus Veteranen
bestehenden Armee einigermaßen ersetzt werden. Weit schlimmer war die
Stimmung der Soldaten, auf die Lucullus in seiner hochadligen Art viel
zu wenig Rücksicht nahm. Lucullus war ein tüchtiger General und - nach
aristokratischem Maßstab - ein rechtschaffener und wohlwollender Mann,
aber nichts weniger als beliebt bei seinen Soldaten. Er war unpopulär
als entschiedener Anhänger der Oligarchie, unpopulär, weil er in
Kleinasien der greulichen Wucherei der römischen Kapitalisten
nachdrücklich gesteuert hatte, unpopulär wegen der Arbeiten und
Strapazen, die er dem Soldaten zumutete, unpopulär, weil er von seinen
Soldaten strenge Mannszucht forderte und die Plünderung der
griechischen Städte durch seine Leute möglichst verhinderte, daneben
aber doch für sich selber manchen Wagen und manches Kamel mit den
Schätzen des Ostens beladen ließ, unpopulär wegen seiner feinen,
vornehmen, hellenisierenden, durchaus nicht kameradschaftlichen und, wo
immer möglich, zu bequemem Wohlleben sich hinneigenden Weise. Nicht
eine Spur des Zaubers war in ihm, der zwischen dem Feldherrn und dem
Soldaten ein persönliches Band schlingt. Hierzu kam endlich, daß ein
großer Teil seiner tüchtigsten Soldaten alle Ursache hatte, sich über
die maßlose Verlängerung ihrer Dienstzeit zu beschweren. Seine beiden
besten Legionen waren ebendiejenigen, die Flaccus und Fimbria 668 (86)
nach dem Osten geführt hatten; ungeachtet ihnen vor kurzem nach der
Schlacht von Kabeira der durch dreizehn Feldzüge wohlverdiente Abschied
zugesichert worden war, führte sie Lucullus jetzt dennoch über den
Euphrat, einem neuen unabsehbaren Krieg entgegen - es schien, als wolle
man die Sieger von Kabeira schlimmer behandeln als die Geschlagenen von
Cannae. Daß mit so schwachen und so gestimmten Truppen ein Feldherr auf
eigene Faust und streng genommen verfassungswidrig eine Expedition
begann in ein fernes und unbekanntes Land voll reißender Ströme und
schneebedeckter Berge, das schon durch seine gewaltige Ausdehnung jeden
leichtsinnig unternommenen Angriff gefährlich machte, war in der Tat
mehr als gewagt. Vielfach und nicht ohne Grund wurde deshalb Lucullus’
Verfahren in Rom getadelt; nur hätte man dabei nicht verschweigen
sollen, daß zunächst die Verkehrtheit der Regierung dieses verwegene
Vorgehen des Feldherrn veranlaßte und dasselbe wo nicht rechtfertigte,
doch entschuldbar machte.
Schon die Sendung des Appius Claudius hatte neben der Aufgabe, den
Krieg diplomatisch zu motivieren, den Zweck gehabt, die Fürsten und
Städte zunächst Syriens gegen den Großkönig unter die Waffen zu
bringen; im Frühling 685 (69) erfolgte der förmliche Angriff. Während
des Winters hatte der König von Kappadokien im stillen für
Transportschiffe gesorgt; auf diesen ward der Euphrat bei Melitene
überschritten und der Marsch dann weiter über die Tauruspässe auf den
Tigris gerichtet. Auch diesen überschritt Lucullus in der Gegend von
Amida (Diarbekr) und rückte weiter vor auf die Straße zu, welche die an
der südlichen Grenze Armeniens neu gegründete zweite Hauptstadt
Tigranokerta ^3 mit der alten Metropole Artaxata verband. Bei jener
stand der Großkönig, kurz zuvor aus Syrien zurückgekommen, nachdem er
die Verfolgung seiner Eroberungspläne am Mittelmeer wegen der
Verwicklung mit den Römern vorläufig vertagt hatte. Eben entwarf er
einen Einfall in das römische Kleinasien von Kilikien und Lykaonien aus
und überlegte bei sich, ob die Römer Asien sofort räumen oder vorher
noch, etwa bei Ephesos, sich ihm zur Schlacht stellen würden, als ihm
die Nachricht von dem Anmarsche Luculls gebracht ward, welcher ihn von
der Verbindung mit Artaxata abzuschneiden drohte. Er ließ den Boten
aufknüpfen, aber die lästige Wirklichkeit blieb wie sie war; so verließ
er denn die neue Hauptstadt und begab sich in das innere Armenien, um
dort, was bis jetzt nicht geschehen war, gegen die Römer zu rüsten.
Inzwischen sollte Mithrobarzanes mit den eben zur Verfügung stehenden
Truppen in Verbindung mit den schleunigst aufgebotenen benachbarten
Beduinenstämmen die Römer beschäftigen. Allein das Korps des
Mithrobarzanes ward schon von dem römischen Vortrab, die Araber von
einem Detachement unter Sextilius zersprengt; Lucullus gewann die von
Tigranokerta nach Artaxata führende Straße, und während auf dem rechten
Tigrisufer ein römisches Detachement den nordwärts abziehenden
Großkönig verfolgte, ging er selbst auf das linke über und rückte vor
Tigranokerta. Der nie versiegende Pfeilregen, mit dem die Besatzung das
römische Heer überschüttete, und die Anzündung der Belagerungsmaschinen
durch Naphtha weihten hier die Römer ein in die neuen Gefahren der
iranischen Kriege, und der tapfere Kommandant Mankäos behauptete die
Stadt, bis endlich die große königliche Entsatzarmee aus allen Teilen
des weiten Reiches und den angrenzenden, den armenischen Werbern
offenstehenden Landschaften versammelt und durch die nordöstlichen
Pässe zum Entsatz der Hauptstadt herangerückt war. Der in den Kriegen
Mithradats erprobte Führer Taxiles riet, die Schlacht zu vermeiden und
die kleine römische Schar durch die Reiterei zu umstellen und
auszuhungern. Allein als der König den römischen Feldherrn, der sich
entschieden hatte, die Schlacht zu liefern, ohne darum die Belagerung
aufzuheben, mit nicht viel mehr als 10000 Mann gegen die zwanzigfache
Übermacht ausrücken und keck das Gewässer überschreiten sah, das beide
Heere trennte; als er auf der einen Seite diese kleine Schar
überblickte, “zur Gesandtschaft zu viel, zum Heere zu wenig”, auf der
andern seine ungeheuren Heerhaufen, in denen die Völker vom Schwarzen
und vom Kaspischen mit denen vom Mittelmeer und vom Persischen Golf
sich begegneten, deren gefürchtete eisenbedeckte Lanzenreiter allein
zahlreicher waren als Lucullus’ ganzes Heer und in denen es auch an
römisch gerüstetem Fußvolk nicht mangelte: da entschloß er sich, die
vom Feinde begehrte Schlacht ungesäumt anzunehmen. Während aber die
Armenier noch sich dazu ordneten, erkannte Lucullus’ scharfes Auge, daß
sie es versäumt hatten, eine Höhe zu besetzen, die ihre ganze
Reiterstellung beherrschte: er eilte sie mit zwei Kohorten einzunehmen,
indem zugleich seine schwache Reiterei durch einen Flankenangriff die
Aufmerksamkeit der Feinde von dieser Bewegung ablenkte, und sowie er
oben angekommen war, führte er seinen kleinen Haufen der feindlichen
Reiterei in den Rücken. Sie ward gänzlich zersprengt und warf sich auf
die noch nicht völlig geordnete Infanterie, die davonlief, ohne auch
nur zum Schlagen zu kommen. Das Bulletin des Siegers, daß 100000
Armenier und 5 Römer gefallen seien und der König Turban und Stirnbinde
von sich werfend unerkannt mit wenigen Reitern davongesprengt sei, ist
im Stile seines Meisters Sulla abgefaßt; allein nichtdestoweniger
bleibt der am 6. Oktober 685 (69) vor Tigranokerta erfochtene Sieg
einer der glänzendsten Sterne in der ruhmreichen Kriegsgeschichte Roms;
und er war nicht minder erfolgreich als glänzend. Alle südlich vom
Tigris den Parthern oder den Syrern entrissenen Landschaften waren
damit strategisch den Armeniern verloren und gingen größtenteils ohne
weiteres über in den Besitz des Siegers. Die neu erbaute zweite
Hauptstadt selber machte den Anfang. Die in ihr sehr zahlreichen
griechischen Zwangsansiedler empörten sich gegen die Besatzung und
öffneten dem römischen Heere die Pforten der Stadt, die den Soldaten
zur Plünderung preisgegeben ward. Sie war geschaffen für das neue
Großreich und ward wie dieses von dem Sieger vertilgt. Aus Kilikien und
Syrien hatte der armenische Satrap Magadates bereits alle Truppen
herausgezogen, um die Entsatzarmee vor Tigranokerta zu verstärken.
Lucullus rückte in die nördlichste Landschaft Syriens Kommagene ein und
erstürmte die Hauptstadt Samosata; bis in das eigentliche Syrien kam er
nicht, doch langten von den Dynasten und Gemeinden bis zum Roten Meere
hinab, von Hellenen, Syrern, Juden, Arabern, Gesandte an, um den Römern
als den neuen Oberherren zu huldigen. Selbst der Fürst von Corduene,
der östlich von Tigranokerta gelegenen Landschaft, unterwarf sich;
wogegen freilich in Nisibis und damit in Mesopotamien der Bruder des
Großkönigs Guras sich behauptete. Durchaus trat Lucullus auf als
Schirmherr der hellenischen Fürsten und Bürgerschaften; in Kommagene
setzte er einen Prinzen des seleukidischen Hauses, Antiochos, auf den
Thron; Antiochos den Asiaten, der nach dem Abzug der Armenier nach
Antiocheia zurückgekehrt war, erkannte er an als König von Syrien; die
gezwungenen Ansiedler von Tigranokerta entließ er wieder in ihre
Heimatorte. Die unermeßlichen Vorräte und Schätze des Großkönigs - an
Getreide wurden 30 Millionen Medimnen, an Geld allein in Tigranokerta
8000 Talente (12½ Mill. Taler) erbeutet - machten es Lucullus möglich,
die Kosten des Krieges zu bestreiten, ohne die Staatskasse in Anspruch
zu nehmen, und jedem seiner Soldaten außer reichlichster Verpflegung
noch eine Verehrung von 800 Denaren (240 Taler) zu machen.
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^3 Daß Tigranokerta in der Gegend von Mardin etwa zwei Tagemärsche
westlich von Nisibis gelegen hat, hat die von K. E. Sachau (Über die
Lage von Tigranokerta, Abh. der Berliner Akademie, 1880) an Ort und
Stelle angestellte Untersuchung erwiesen, wenn auch die von Sachau
vorgeschlagene genauere Fixierung der Örtlichkeit nicht außer Zweifel
ist. Dagegen steht seiner Auseinandersetzung über den Feldzug Luculls
das Bedenken entgegen, daß auf der dabei angenommenen Route von einer
Überschreitung des Tigris in der Tat nicht die Rede sein kann.
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Der Großkönig war tief gedemütigt. Er war ein schwächlicher Charakter,
übermütig im Glück, im Unglück verzagt; wahrscheinlich würde zwischen
ihm und Lucullus ein Abkommen zustande gekommen sein, das der Großkönig
mit ansehnlichen Opfern zu erkaufen, der römische Feldherr unter
leidlichen Bedingungen zu gewähren beide alle Ursache hatten, wenn der
alte Mithradates nicht gewesen wäre. Dieser hatte nicht teilgenommen an
den Kämpfen um Tigranokerta. Durch die zwischen dem Großkönig und den
Römern eingetretene Spannung nach zwanzigmonatlicher Haft um die Mitte
des Jahres 684 (70) befreit, war er mit 10000 armenischen Reitern in
sein ehemaliges Reich abgesandt worden, um die Kommunikationen des
Feindes zu bedrohen. Zurückgerufen, noch ehe er hier etwas ausrichten
konnte, als der Großkönig seine gesamte Macht aufbot, um die von ihm
erbaute Hauptstadt zu entsetzen, kamen bei seinem Eintreffen vor
Tigranokerta ihm schon die vom Schlachtfeld flüchtenden Haufen
entgegen. Vom Großkönig bis zum gemeinen Soldaten schien allen alles
verloren. Wenn aber Tigranes jetzt Frieden machte, so schwand für
Mithradates nicht bloß die letzte Möglichkeit der Wiedereinsetzung in
sein Reich, sondern seine Auslieferung war ohne Zweifel die erste
Bedingung des Friedens; und sicher würde Tigranes gegen ihn nicht
anders gehandelt haben als Bocchus einst gegen Jugurtha. Seine ganze
Persönlichkeit setzte darum der König ein, um diese Wendung zu
verhindern und den armenischen Hof zur Fortführung des Krieges zu
bestimmen, bei der er nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte;
und flüchtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluß an
diesem Hofe nicht gering. Noch war er ein stattlicher und gewaltiger
Mann, der, obwohl schon über sechzig Jahre alt, sich in voller Rüstung
auf das Pferd schwang und im Handgemenge gleich dem Besten seinen Mann
stand. Seinen Geist schienen die Jahre und die Schicksale gestählt zu
haben: während er in früheren Zeiten seine Heerführer aussandte und
selbst an dem Kriege nicht unmittelbar teilnahm, finden wir fortan als
Greis ihn in der Schlacht selber befehligen und selber fechten. Ihm,
der während seines fünfzigjährigen Regiments so viele unerhörte
Glückswechsel erlebt hatte, schien die Sache des Großkönigs durch die
Niederlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr
Lucullus’ Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum Frieden
kam und der Krieg in zweckmäßiger Weise fortgeführt ward, sogar in
hohem Maße bedenklich. Der vielerfahrene Greis, der fast wie ein Vater
dem Großkönig gegenüberstand und jetzt persönlich auf denselben zu
wirken vermochte, bezwang den schwachen Mann durch seine Energie und
bestimmte ihn, nicht nur sich für die Fortsetzung des Krieges zu
entscheiden, sondern auch ihn selber mit dessen politischer und
militärischer Leitung zu betrauen. Aus einem Kabinettskrieg sollte der
König jetzt ein national asiatischer werden, die Könige und die Völker
Asiens sich vereinigen gegen die übermächtigen und übermütigen
Okzidentalen. Es wurden die größten Anstrengungen gemacht, die Armenier
und die Parther miteinander zu versöhnen und sie zum gemeinschaftlichen
Kampfe gegen Rom zu bestimmen. Auf Mithradates’ Betrieb erbot sich
Tigranes, dem Arsakiden Phraates, dem Gott (regierte seit 684 70), die
von den Armeniern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die
“großen Täler”, zurückzugeben und mit ihm Freundschaft und Bündnis zu
machen. Allein nach allem, was vorhergegangen war, konnte dieses
Anerbieten kaum auf eine günstige Aufnahme rechnen; Phraates zog es
vor, die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Armeniern,
sondern mit den Römern sich zu sichern und zuzusehen, wie sich der
verhaßte Nachbar und der unbequeme Fremdling untereinander aufrieben.
Mit größerem Erfolg als an die Könige wandte Mithradates sich an die
Völker des Ostens. Es hielt nicht schwer, den Krieg darzustellen als
einen nationalen des Orients gegen den Okzident, denn er war es; gar
wohl konnte er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet
werden, daß das Ziel des Lucullischen Heeres der Tempel der persischen
Nanäa oder Anaitis in Elymais oder dem heutigen Luristan sei, das
gefeiertste und das reichste Heiligtum der ganzen Euphratlandschaft ^4.
Scharenweise drängten sich von nah und fern die Asiaten unter die
Banner der Könige, welche sie aufriefen, den Osten und seine Götter vor
den gottlosen Fremdlingen zu schirmen. Allein die Tatsachen hatten
gezeigt, daß das bloße Zusammentreiben ungeheurer Heerhaufen nicht
allein fruchtlos war, sondern durch die Einfügung in dieselben selbst
die wirklich marschier- und schlagfähigen Scharen unbrauchbar gemacht
und in das allgemeine Verderben mitverwickelt wurden. Mithradates
suchte vor allem die Waffe auszubilden, die zugleich die schwächste der
Okzidentalen und die stärkste der Asiaten war, die Reiterei: in der von
ihm neugebildeten Armee war die Hälfte der Mannschaft beritten. Für den
Dienst zu Fuß las er aus der Masse der aufgebotenen oder freiwillig
sich meldenden Rekruten die dienstfähigen Leute sorgfältig aus und ließ
diese durch seine pontischen Offiziere dressieren. Das ansehnliche
Heer, das bald wieder unter den Fahnen des Großkönigs zusammenstand,
war aber nicht bestimmt, auf der ersten Walstatt mit den römischen
Veteranen sich zu messen, sondern sich auf die Verteidigung und auf den
kleinen Krieg zu beschränken. Schon den letzten Krieg in seinem Reiche
hatte Mithradates stetig zurückweichend und die Schlacht vermeidend
geführt; auch diesmal wurde eine ähnliche Taktik angenommen und zum
Kriegsschauplatz das eigentliche Armenien bestimmt, das vom Feinde noch
vollkommen unberührte Erbland des Tigranes, durch seine physische
Beschaffenheit ebenso wie durch den Patriotismus seiner Bewohner
vortrefflich für diese Kriegsweise geeignet.
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^4 Cicero (imp. Cn. Pomp. 9, 23) meint schwerlich einen anderen als
einen der reichen Tempel der Landschaft Elymais, wohin die Raubzüge der
syrischen wie der parthischen Könige regelmäßig sich richteten (Strab.
16, 744; Polyb. 31, 11; 1. Makk. 6 u. a. m.), und wahrscheinlich diesen
als den bekanntesten; auf keinen Fall darf an den Tempel von Komana
oder überhaupt irgendein Heiligtum im Pontischen Reiche gedacht werden.
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Das Jahr 686 (68) fand Lucullus in einer schwierigen und täglich
bedenklicher sich gestaltenden Lage. Trotz seiner glänzenden Siege war
man in Rom durchaus nicht mit ihm zufrieden. Der Senat empfand die
Eigenmächtigkeit seines Verfahrens; die von ihm empfindlich verletzte
Kapitalistenpartei setzte alle Mittel der Intrige und Bestechung in
Bewegung, um seine Abberufung durchzusetzen. Täglich erscholl der Markt
der Hauptstadt von gerechten und ungerechten Beschwerden über den
tollkühnen, den habsüchtigen, den unrömischen, den hochverräterischen
Feldherrn. Den Klagen über die Vereinigung einer so grenzenlosen Macht,
zweier ordentlicher Statthalterschaften und eines wichtigen
außerordentlichen Kommandos, in der Hand eines solchen Mannes gab auch
der Senat insoweit nach, daß er die Provinz Asia einem der Prätoren,
die Provinz Kilikien nebst drei neu ausgehobenen Legionen dem Konsul
Quintus Marcius Rex bestimmte, und den Feldherrn auf das Kommando gegen
Mithradates und Tigranes beschränkte.
Diese in Rom gegen den Feldherrn sich erhebenden Anklagen fanden einen
gefährlichen Widerhall in den Quartieren am Iris und am Tigris: um so
mehr, als einzelne Offiziere, darunter der eigene Schwager des
Feldherrn, Publius Clodius, in diesem Sinne die Soldaten bearbeiteten.
Das ohne Zweifel von diesen in Umlauf gesetzte Gerücht, daß Lucullus
jetzt mit dem Pontisch-Armenischen Krieg noch eine Expedition gegen die
Parther zu verbinden gedenke, nährte die Erbitterung der Truppen.
Während aber also die schwierige Stimmung der Regierung wie der
Soldaten den siegreichen Feldherrn mit Abberufung und Meuterei
bedrohte, fuhr er selber fort, dem verzweifelten Spieler gleich, seinen
Einsatz und sein Wagen zu steigern. Zwar gegen die Parther zog er
nicht; aber als Tigranes sich weder bereit zeigte, Frieden zu machen,
noch, wie Lucullus es wünschte, eine zweite Hauptschlacht zu bestehen,
entschloß sich Lucullus von Tigranokerta durch die schwierige
Berglandschaft am östlichen Ufer des Wansees in das Tal des östlichen
Euphrat (oder des Arsanias, jetzt Murad Tschai) und aus diesem in das
des Araxes vorzudringen, wo, am nördlichen Abhang des Ararat, die
Hauptstadt des eigentlichen Armeniens Artaxata mit dem Erbschloß und
dem Harem des Königs lag. Er hoffte den König durch die Bedrohung
seiner angestammten Residenz entweder unterwegs oder mindestens doch
vor Artaxata zum Schlagen zu zwingen. Unumgänglich notwendig war es
freilich, bei Tigranokerta eine Abteilung zurückzulassen; und da das
Marschheer unmöglich noch weiter vermindert werden konnte, so blieb
nichts übrig als die Stellung im Pontos zu schwächen und von dort
Truppen nach Tigranokerta zu berufen. Die Hauptschwierigkeit aber war
die für militärische Unternehmungen so unbequeme Kürze des armenischen
Sommers. Auf der armenischen Hochebene, die 5000 Fuß und mehr über der
Meeresfläche liegt, sproßt bei Erzerum das Korn erst Anfang Juni, und
mit der Ernte im September stellt auch schon der Winter sich ein; in
höchstens vier Monaten mußte Artaxata erreicht und die Kampagne
beendigt sein.
Im Mittsommer 686 (68) brach Lucullus von Tigranokerta auf und
gelangte, ohne Zweifel durch den Bitlispaß und weiter westlich am
Wansee hinauf marschierend, auf das Plateau von Musch und an den
Euphrat. Der Marsch ging, unter beständigen sehr lästigen Scharmützeln
mit der feindlichen Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschützen,
langsam, aber ohne wesentliches Hindernis vonstatten, und auch der
Euphratübergang, den die armenische Reiterei ernstlich verteidigte,
ward durch ein glückliches Treffen erzwungen; die armenische Infanterie
zeigte sich, aber es glückte nicht, sie in das Gefecht zu verwickeln.
So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene Armeniens und
marschierte weiter hinein in das unbekannte Land. Man hatte keinen
eigentlichen Unfall erlitten; aber die bloße unabwendbare Verzögerung
des Marsches durch die Terrainschwierigkeiten und die feindlichen
Reiter war an sich schon ein sehr empfindlicher Nachteil. Lange bevor
man Artaxata erreicht hatte, brach der Winter herein; und wie die
italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen, riß der allzu straff
gespannte Bogen der militärischen Zucht. Eine förmliche Meuterei
nötigte den Feldherrn, den Rückzug anzuordnen, den er mit seiner
gewöhnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte. Glücklich angekommen in
Mesopotamien, wo die Jahreszeit noch weitere Unternehmungen gestattete,
überschritt Lucullus den Tigris und warf sich mit der Masse seines
Heeres auf die letzte hier den Armeniern gebliebene Stadt Nisibis. Der
Großkönig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung,
überließ die Stadt sich selbst; trotz ihrer tapferen Verteidigung ward
sie in einer finsteren Regennacht von den Belagerern erstürmt und
Lucullus’ Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute und nicht minder
bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher in Tigranokerta. Allein
inzwischen fiel die ganze Gewalt der feindlichen Offensive auf die
schwachen, im Pontos und in Armenien zurückgebliebenen römischen Korps.
Hier zwang Tigranes den römischen Befehlshaber Lucius Fannius -
denselben, der früher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler
gemacht hatte -, sich in eine Festung zu werfen und hielt ihn darin
belagert. Dort rückte Mithradates ein mit 4000 armenischen und 4000
eigenen Reitern und rief als Befreier und Rächer die Nation auf gegen
den Landesfeind. Alles fiel ihm zu; die zerstreuten römischen Soldaten
wurden überall aufgehoben und getötet; als der römische Kommandant im
Pontos, Hadrianus, seine Truppen gegen ihn führte, machten die
ehemaligen Söldner des Königs und die zahlreichen, als Sklaven dem
Heere folgenden Pontiker gemeinschaftliche Sache mit dem Feind. Zwei
Tage nacheinander währte der ungleiche Kampf; nur daß der König nach
zwei empfangenen Wunden vom Schlachtfeld weggetragen werden mußte, gab
dem römischen Befehlshaber die Möglichkeit, die so gut wie verlorene
Schlacht abzubrechen und mit dem kleinen Rest seiner Leute sich nach
Kabeira zu werfen. Ein anderer von Lucullus’ Unterbefehlshabern, der
zufällig in diese Gegend kam, der entschlossene Triarius, sammelte zwar
wieder einen Heerhaufen um sich und lieferte dem König ein glückliches
Gefecht; allein er war viel zu schwach, um ihn wieder vom pontischen
Boden zu vertreiben und mußte es geschehen lassen, daß der König
Winterquartiere in Komana nahm.
So kam das Frühjahr 687 (67) heran. Die Vereinigung der Armee in
Nisibis, die Muße der Winterquartiere, die häufige Abwesenheit des
Feldherrn hatten die Unbotmäßigkeit der Truppen inzwischen noch
gesteigert; sie verlangten nicht bloß ungestüm, zurückgeführt zu
werden, sondern es war bereits ziemlich offenbar, daß sie, wenn der
Feldherr sich weigerte, sie heimzuführen, von selbst aufbrechen würden.
Die Vorräte waren knapp; Fannius und Triarius sandten in ihrer
bedrängten Lage die inständigsten Bitten um Hilfeleistung an den
Oberfeldherrn. Schweren Herzens entschloß sich Lucullus, der
Notwendigkeit zu weichen, Nisibis und Tigranokerta aufzugeben und, auf
all die glänzenden Hoffnungen seiner armenischen Expedition
verzichtend, zurückzukehren auf das rechte Ufer des Euphrat. Fannius
wurde befreit; im Pontos aber war es schon zu spät. Triarius, nicht
stark genug, um mit Mithradates zu schlagen, hatte bei Gaziura (Turksal
am Iris, westlich von Tokat) eine feste Stellung genommen, während das
Gepäck bei Dadasa zurückblieb. Als indes Mithradates den letzteren Ort
belagerte, zwangen die römischen Soldaten, um ihre Habseligkeiten
besorgt, den Führer, seine gesicherte Stellung zu verlassen und
zwischen Gaziura und Ziela (Zilleh) auf den Skotischen Anhöhen dem
König eine Schlacht zu liefern. Was Triarius vorhergesehen hatte trat
ein: trotz der tapfersten Gegenwehr durchbrach der Flügel, den der
König persönlich führte, die römische Linie und drängte das Fußvolk in
eine lehmige Schlucht zusammen, in der es weder vor noch seitwärts
rücken konnte und erbarmungslos niedergehauen ward. Zwar ward durch
einen römischen Centurio, der dafür sein Leben opferte, der König auf
den Tod verwundet; aber die Niederlage war darum nicht minder
vollständig. Das römische Lager ward genommen; der Kern des Fußvolks,
fast alle Ober- und Unteroffiziere bedeckten den Boden; die Leichen
blieben unbegraben auf dem Schlachtfeld liegen, und als Lucullus auf
dem rechten Euphratufer ankam, erfuhr er nicht von den Seinigen,
sondern durch die Berichte der Eingeborenen die Niederlage.
Hand in Hand mit dieser Niederlage ging der Ausbruch der
Militärverschwörung. Ebenjetzt traf aus Rom die Nachricht ein, daß das
Volk beschlossen habe, den Soldaten, deren gesetzmäßige Dienstzeit
abgelaufen sei, das heißt den Fimbrianern, den Abschied zu bewilligen
und einem der Konsuln des laufenden Jahres den Oberbefehl in Bithynien
und Pontus zu übertragen; schon war der Nachfolger Luculls, der Konsul
Manius Acilius Glabrio, in Kleinasien gelandet. Die Verabschiedung der
tapfersten und unruhigsten Legionen und die Abberufung des
Oberfeldherrn in Verbindung mit dem Eindruck der Niederlage von Ziela
lösten in dem Heer alle Bande der Autorität auf, eben da der Feldherr
ihrer am notwendigsten bedurfte. Bei Talaura in Klein-Armenien stand er
den pontischen Truppen gegenüber, an deren Spitze Tigranes’
Schwiegersohn, Mithradates von Medien, den Römern bereits ein
glückliches Reitergefecht geliefert hatte; ebendahin war von Armenien
her die Hauptmacht des Großkönigs in Anmarsch. Lucullus sandte an den
neuen Statthalter von Kilikien, Quintus Marcius, der auf dem Marsch
nach seiner Provinz soeben mit drei Legionen in Lykaonien angelangt
war, um von ihm Hilfe zu erhalten; derselbe erklärte, daß seine
Soldaten sich weigerten, nach Armenien zu marschieren. Er sandte an
Glabrio mit dem Ersuchen, den ihm vom Volke übertragenen Oberbefehl zu
übernehmen; derselbe bezeigte noch weniger Lust, dieser jetzt so
schwierig und gefährlich gewordenen Aufgabe sich zu unterziehen.
Lucullus, genötigt den Oberbefehl zu behalten, befahl, um nicht bei
Talaura zugleich gegen die Armenier und die Pontiker schlagen zu
müssen, den Aufbruch gegen das anrückende armenische Heer. Die Soldaten
kamen dem Marschbefehl nach; allein da angelangt, wo die Straßen nach
Armenien und nach Kappadokien sich schieden, schlug die Masse des
Heeres die letztere ein und begab sich in die Provinz Asia. Hier
begehrten die Fimbrianer ihren augenblicklichen Abschied; und obwohl
sie auf die inständige Bitte des Oberfeldherrn und der übrigen Korps
hiervon wieder abließen, beharrten sie doch dabei, wenn der Winter
herankäme, ohne daß ihnen ein Feind gegenüberstände, sich auflösen zu
wollen; was denn auch geschah. Mithradates besetzte nicht bloß abermals
fast sein ganzes Königreich, sondern seine Reiter streiften durch ganz
Kappadokien und bis nach Bithymen; gleich vergeblich bat König
Ariobarzanes bei Quintus Marcius, bei Lucullus und bei Glabrio um
Hilfe. Es war ein seltsamer, fast unglaublicher Ausgang des in so
glorreicher Weise geführten Krieges. Wenn man bloß auf die
militärischen Leistungen sieht, so hat kaum ein anderer römischer
General mit so geringen Mitteln so viel ausgerichtet wie Lucullus; das
Talent und das Glück Sullas schienen auf diesen seinen Schüler sich
vererbt zu haben. Daß unter den obwaltenden Verhältnissen das römische
Heer aus Armenien unversehrt nach Kleinasien zurückkam, ist ein
militärisches Wunderwerk, das, soweit wir urteilen können, den
Xenophontischen Rückzug weit übertrifft und wohl zunächst aus der
Solidität des römischen und der Untüchtigkeit des orientalischen
Kriegswesens sich erklärt, aber doch unter allen Umständen dem Leiter
dieses Zuges einen ehrenvollen Platz unter den militärischen
Kapazitäten ersten Ranges sichert. Wenn Lucullus’ Name gewöhnlich nicht
unter diesen genannt wird, so liegt die Ursache allem Anschein nach nur
darin, daß teils kein militärisch auch nur leidlicher Bericht über
seine Feldzüge auf uns gekommen ist, teils überall, und vor allem im
Kriege, zunächst nichts gilt als das schließliche Resultat, und dies
freilich kam einer vollständigen Niederlage gleich. Durch die letzte
unglückliche Wendung der Dinge, hauptsächlich durch die Meuterei der
Soldaten, waren alle Erfolge eines achtjährigen Krieges wieder verloren
worden; man stand im Winter 687/88 (67/66) genau wieder an demselben
Fleck wie im Winter 679/80 (75/74).
Nicht bessere Resultate als der Kontinentalkrieg lieferte der Seekrieg
gegen die Piraten, der mit demselben zugleich begann und beständig mit
ihm in der engsten Verbindung stand. Es ward bereits erzählt, daß der
Senat im Jahre 680 (74) den verständigen Beschluß faßte, die Säuberung
der Meere von den Korsaren einem einzigen höchstkommandierenden
Admiral, dem Prätor Marcus Antonius, zu übertragen. Allein gleich von
vornherein hatte man sich in der Wahl des Führers durchaus vergriffen,
oder vielmehr diejenigen, welche diese an sich zweckmäßige Maßregel
durchgesetzt hätten, hatten nicht berechnet, daß im Senat alle
Personenfragen durch Cethegus’ Einfluß und ähnliche Koterierücksichten
entschieden wurden. Man hatte ferner versäumt, den gewählten Admiral in
einer seiner umfassenden Aufgabe angemessenen Weise mit Geld und
Schiffen auszustatten, so daß er durch seine ungeheuren Requisitionen
den befreundeten Provinzialen fast ebenso lästig fiel wie die Korsaren.
Die Erfolge waren entsprechend. In den kampanischen Gewässern brachte
die Flotte des Antonius eine Anzahl Piratenschiffe auf. Mit den
Kretensern aber, die mit den Piraten Freundschaft und Bündnis gemacht
hatten und seine Forderung, von dieser Gemeinschaft abzulassen, schroff
zurückwiesen, kam es zum Gefecht; und die Ketten, die Antonius
vorsorglich auf seinen Schiffen in Vorrat gelegt hatte, um die
gefangenen Flibustier damit zu fesseln, dienten dazu, den Quästor und
die übrigen römischen Gefangenen an die Masten der eroberten römischen
Schiffe zu schließen, als die kretischen Feldherren Lasthenes und
Panares aus dem bei ihrer Insel den Römern gelieferten Seetreffen
triumphierend nach Kydonia zurücksteuerten. Antonius, nachdem er mit
seiner leichtsinnigen Kriegführung ungeheure Summen vergeudet und nicht
das geringste ausgerichtet hatte, starb im Jahre 683 (71) auf Kreta.
Teils der schlechte Erfolg seiner Expedition, teils die Kostbarkeit des
Flottenbaus, teils der Widerwille der Oligarchie gegen jede
umfassendere Beamtenkompetenz bewirkten, daß man nach der faktischen
Beendigung dieser Unternehmung durch Antonius’ Tod keinen Oberadmiral
wieder ernannte und auf die alte Weise zurückkam, jeden Statthalter in
seiner Provinz für die Unterdrückung der Piraterie sorgen zu lassen;
wie denn zum Beispiel die von Lucullus hergestellte Flotte hierfür im
Ägäischen Meer tätig war. Nur was die Kreter anbetrifft, schien eine
Schmach wie die vor Kydonia erlittene doch selbst diesem gesunkenen
Geschlecht allein durch die Kriegserklärung beantwortet werden zu
können. Dennoch hätten die kretischen Gesandten, die im Jahre 684 (70)
in Rom mit der Bitte erschienen, die Gefangenen zurücknehmen und das
alte Bündnis wieder herstellen zu wollen, fast einen günstigen
Senatsbeschluß erlangt; was die ganze Korporation eine Schande nannte,
das verkaufte bereitwillig für klingenden Preis der einzelne Senator.
Erst nachdem ein förmlicher Senatsbeschluß die Anlehen der kretischen
Gesandten bei den römischen Bankiers klaglos gestellt, das heißt
nachdem der Senat sich selber in die Unmöglichkeit versetzt hatte, sich
bestechen zu lassen, kam das Dekret zustande, daß die kretischen
Gemeinden außer den römischen Überläufern, die Urheber des vor Kydonia
verübten Frevels, die Führer Lasthenes und Panares, den Römern zu
geeigneter Bestrafung zu übergeben, ferner sämtliche Schiffe und Boote
von vier oder mehr Rudern auszuliefern, 400 Geiseln zu stellen und eine
Buße von 4000 Talenten (6250000 Taler) zu zahlen hätten, wofern sie den
Krieg zu vermeiden wünschten. Als die Gesandten sich zur Eingebung
solcher Bedingungen nicht bevollmächtigt erklärten, wurde einer der
Konsuln des nächsten Jahres bestimmt, nach Ablauf seines Amtsjahres
nach Kreta abzugehen, um dort entweder das Geforderte in Empfang zu
nehmen oder den Krieg zu beginnen. Demgemäß erschien im Jahre 685 (69)
der Prokonsul Quintus Metellus in den kretischen Gewässern. Die
Gemeinden der Insel, voran die größeren Städte Gortyna, Knossos,
Kydonia, waren entschlossen, lieber mit den Waffen sich zu verteidigen,
als jenen übermäßigen Forderungen sich zu fügen. Die Kretenser waren
ein ruchloses und entartetes Volk, mit deren öffentlicher und privater
Existenz der Seeraub so innig verwachsen war wie der Landraub mit dem
Gemeinwesen der Ätoler; allein sie glichen den Ätolern wie überhaupt in
vielen Stücken so auch in der Tapferkeit, und es sind denn auch diese
beiden griechischen Gemeinden die einzigen, die den Kampf um die
Unabhängigkeit mutig und ehrenhaft geführt haben. Bei Kydonia, wo
Metellus seine drei Legionen ans Land setzte, stand eine kretische
Armee von 24000 Mann unter Lasthenes und Panares bereit, ihn zu
empfangen; es kam zu einer Schlacht im offenen Felde, in der der Sieg
nach hartem Kampf den Römern blieb. Allein die Städte trotzten dem
römischen Feldherrn nichtsdestoweniger hinter ihren Mauern; Metellus
mußte sich entschließen, eine nach der andern zu belagern. Zuerst ward
Kydonia, wohin die Trümmer der geschlagenen Armee sich geworfen hatten,
nach langer Belagerung von Panares gegen das Versprechen freien Abzuges
für sich selber übergeben. Lasthenes, der aus der Stadt entwichen war,
mußte zum zweiten Male in Knossos belagert werden, und da auch diese
Festung im Begriff war zu fallen, vernichtete er seine Schätze und
entschlüpfte abermals nach Orten, welche, wie Lyktos, Eleutherna und
andere, die Verteidigung noch fortsetzten. Zwei Jahre (686, 687 68, 67)
vergingen, bevor Metellus der ganzen Insel Herr und damit der letzte
Fleck freier griechischer Erde in die Gewalt der übermächtigen Römer
gekommen war; die kretischen Gemeinden, wie sie zuerst von allen
griechischen die freie Stadtverfassung und die Seeherrschaft bei sich
entwickelt hatten, sollten auch die letzten von allen jenen, einst das
Mittelmeer erfüllenden griechischen Seestaaten sein, die der römischen
Kontinentalmacht erlagen.
Alle Rechtsbedingungen waren erfüllt, um wiederum einen der üblichen
pomphaften Triumphe zu feiern; das Geschlecht der Meteller konnte
seinen makedonischen, numidischen, dalmatischen, baliarischen Titeln
mit gleichem Recht den neuen kretischen beifügen, und Rom besaß einen
stolzen Namen mehr. Nichtsdestoweniger stand die Macht der Römer auf
dem Mittelmeer nie tiefer, die der Korsaren nie höher als in diesen
Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter der Meere, die in dieser
Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sollen, des Isaurikers wie des
Kretikers und ihrer nichtigen Siege spotten. Wie nachdrücklich die
Seeräuber in den Mithradatischen Krieg eingriffen und wie die
hartnäckige Gegenwehr der pontischen Seestädte ihre besten Kräfte aus
dem Korsarenstaat zog, ward bereits erzählt. Aber derselbe machte auch
auf eigene Hand kaum minder großartige Geschäfte. Fast unter den Augen
der Flotte Luculls überfiel im Jahre 685 (69) der Pirat Athenodoros die
Insel Delos, zerstörte deren vielgefeierte Heiligtümer und Tempel und
führte die ganze Bevölkerung fort in die Sklaverei. Die Insel Lipara
bei Sizilien zahlte den Piraten jährlich einen festen Tribut, um von
ähnlichen Überfällen verschont zu bleiben. Ein anderer Piratenchef,
Herakleon, zerstörte im Jahre 682 (72) das in Sizilien gegen ihn
ausgerüstete Geschwader und wagte es, mit nicht mehr als vier offenen
Booten in den Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre später stieg
sein Kollege Pyrganion in demselben Hafen sogar an das Land, setzte
daselbst sich fest und schickte von dort aus Streifpartien in die
Insel, bis ihn der römische Statthalter endlich zwang, sich
wiedereinzuschiffen. Das war man am Ende nachgerade gewohnt, daß alle
Provinzen Geschwader ausrüsteten und Strandwachen aufstellten oder doch
für beides steuerten, und dennoch die Korsaren so regelmäßig
erschienen, um die Provinzen auszuplündern wie die römischen
Statthalter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respektierten
jetzt die unverschämten Frevler nicht mehr: von Kroton führten sie den
Tempelschatz der Lakinischen Hera mit sich fort; sie landeten in
Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Häfen, ja in Ostia
selbst; sie brachten die vornehmsten römischen Offiziere als Gefangene
auf, unter andern den Flottenführer der kilikischen Armee und zwei
Prätoren mit ihrem ganzen Gefolge, mit den gefürchteten Beilen und
Ruten selbst und allen Abzeichen ihrer Würde; sie entführten aus einer
Villa bei Misenum die eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten
ausgesandten römischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen
von Ostia die gegen sie ausgerüstete und von einem Konsul befehligte
römische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Reisende auf der
Appischen Straße, der vornehme Badegast in dem irdischen Paradiese von
Baiae waren ihrer Habe und ihres Lebens fürder keinen Augenblick
sicher; aller Handel und aller Verkehr stockte; die entsetzlichste
Teuerung herrschte in Italien und namentlich in der von überseeischem
Korn lebenden Hauptstadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig
mit Klagen über unerträglichen Notstand; hier dürfte die Bezeichnung
passen.
Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restaurierte Senat
die Grenzbewachung in Makedonien, die Disziplin über die Klientelkönige
Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei geübt hat; die Resultate
waren nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung
in einer anderen, vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der
Überwachung des provinzialen und vor allem des italischen Proletariats.
Der Krebsschaden des Sklavenproletariats zehrte an dem Marke aller
Staaten des Altertums und um so mehr, je mächtiger sie emporgeblüht
waren; denn Macht und Reichtum des Staats führten unter den bestehenden
Verhältnissen regelmäßig zu einer unverhältnismäßigen Vermehrung der
Sklavenmenge. Natürlich litt demnach Rom darunter schwerer als
irgendein anderer Staat des Altertums. Schon die Regierung des sechsten
Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirten- und Feldsklaven
Truppen schicken müssen. Die unter den italischen Spekulanten mehr und
mehr um sich greifende Plantagenwirtschaft hatte das gefährliche Übel
ins unendliche gesteigert; in der Zeit der Gracchischen und der
Marianischen Krise und mit denselben in engem Zusammenhang hatten
Sklavenaufstände an zahlreichen Punkten des Römischen Reiches
stattgehabt, in Sizilien sogar zu zwei blutigen Kriegen (619-622 und
652-654 135-132 und 102-100) sich entwickelt. Aber das Dezennium der
Restaurationsherrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie für
die Flibustier zur See so für die gleichartigen Banden auf dem
Festland, vor allem in der bisher noch verhältnismäßig leidlich
geordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte daselbst
kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den minder bevölkerten
Landschaften Italiens waren Räubereien alltäglich, Mordtaten häufig.
Gegen Menschenraub an fremden Sklaven wie an freien Leuten erging -
vielleicht in dieser Epoche - ein besonderer Volksschluß; gegen
gewaltsame Besitzentziehung von Grundstücken ward um diese Zeit eine
eigene summarische Klage neu eingeführt. Diese Verbrechen mußten
besonders deswegen gefährlich erscheinen, weil sie zwar gewöhnlich
begangen wurden von dem Proletariat, aber als moralische Urheber und
Teilnehmer an dem Gewinn auch die vornehme Klasse in großem Umfang
dabei mittätig war. Namentlich der Menschen- und der Ackerraub wurde
sehr häufig durch die Aufseher der großen Güter veranlaßt und durch die
daselbst vereinigten häufig bewaffneten Sklavenscharen ins Werk
gesetzt; und gar mancher hochangesehene Mann verschmähte nicht, was
einer seiner diensteifrigen Sklavenaufseher so für ihn erwarb wie
Mephisto für Faust die Linden Philemons. Wie die Dinge standen, zeigt
die verschärfte Bestrafung der durch bewaffnete Banden verübten
Eigentumsfrevel, welche einer der besseren Optimaten, Marcus Lucullus,
als Vorstand der hauptstädtischen Rechtspflege um das Jahr 676 (78)
einführte ^5, mit der ausgesprochenen Absicht, die Eigentümer der
großen Sklavenherden durch die Gefahr sich dieselben aberkannt zu
sehen, zu nachdrücklicherer Beaufsichtigung derselben anzuhalten. Wo
also im Auftrag der vornehmen Welt geplündert und gemordet ward, lag es
diesen Sklaven- und Proletariermassen nahe, das gleiche Geschäft für
eigene Rechnung zu treiben; es genügte ein Funke, um den furchtbaren
Brennstoff in Flammen zu setzen und das Proletariat in eine
Insurrektionsarmee zu verwandeln. Die Veranlassung fand sich bald.
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^5 Aus diesen Bestimmungen hat sich der Begriff des Raubes als eines
besonderen Verbrechens entwickelt, während das ältere Recht den Raub
unter dem Diebstahl mitbegriff.
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Die Fechterspiele, die unter den Volkslustbarkeiten in Italien jetzt
den ersten Rang behaupteten, hatten die Errichtung zahlreicher
Anstalten namentlich in und um Capua herbeigeführt, worin diejenigen
Sklaven teils aufbewahrt, teils eingeschult wurden, die bestimmt waren,
zur Belustigung der souveränen Menge zu töten oder zu sterben -
natürlich großenteils tapfere kriegsgefangene Leute, die es nicht
vergessen hatten, einst gegen die Römer im Felde gestanden zu haben.
Eine Anzahl solcher verzweifelter Menschen brach aus einer der
capuanischen Fechterschulen aus (681 73) und warf sich auf den Vesuv.
An ihrer Spitze standen zwei keltische Männer, die mit ihren
Sklavennamen Krixos und Önomaos genannt werden, und der Thraker
Spartacus. Dieser, vielleicht ein Sprößling des edlen, in der
thrakischen Heimat wie in Pantikapäon sogar zu königlichen Ehren
gelangten Geschlechts der Spartokiden, hatte unter den thrakischen
Hilfstruppen im römischen Heer gedient, war desertiert und als Räuber
in die Berge gegangen und hier wiedereingefangen und für die
Kampfspiele bestimmt worden. Die Streifereien dieser kleinen,
anfänglich nur vierundsiebzig Köpfe zählenden, aber rasch durch Zulauf
aus der Umgegend anschwellenden Schar wurden den Bewohnern der reichen
kampanischen Landschaft bald so lästig, daß dieselben, nachdem sie
vergeblich versucht hatten, sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie
Hilfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammengeraffte
Abteilung von 3000 Mann unter Führung des Clodius Glaber und besetzte
die Aufgänge zum Vesuv, um die Sklavenschar auszuhungern. Aber die
Räuber wagten es trotz ihrer geringen Anzahl und ihrer mangelhaften
Bewaffnung, über jähe Abhänge hinabkletternd die römischen Posten zu
überfallen; und als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifelter
Männer unvermutet auf sich eindringen sah, gab sie Fersengeld und
verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg verschaffte den
Räubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenngleich auch jetzt noch ein
großer Teil von ihnen nichts führte als zugespitzte Knüttel, so fand
die neue und stärkere Abteilung der Landwehr, zwei Legionen unter dem
Prätor Publius Varinius, die von Rom her in Kampanien einrückte, sie
schon fast wie ein Kriegsheer in der Ebene lagernd. Varinius hatte
einen schwierigen Stand. Seine Milizen, genötigt, dem Feind gegenüber
zu biwakieren, wurden durch die feuchte Herbstwitterung und die dadurch
erzeugten Krankheiten arg mitgenommen; und schlimmer noch als die
Epidemien lichteten Feigheit und Unbotmäßigkeit die Reihen. Gleich zu
Anfang lief eine seiner Abteilungen vollständig auseinander, so daß die
Flüchtigen nicht etwa auf das Hauptkorps zurück, sondern geradewegs
nach Hause gingen. Als sodann der Befehl gegeben ward, gegen die
feindlichen Verschanzungen vorzugehen und anzugreifen, weigerte sich
der größte Teil der Leute, ihm Folge zu leisten. Nichtsdestoweniger
brach Varinius mit denen, die standhielten, gegen die Räuberschar auf;
allein er fand sie nicht mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war
sie aufgebrochen und hatte sich südwärts gegen Picentia (Vicenza bei
Amalfi) gewendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht
wehren konnte, daß sie über den Silarus zurückwich bis in das innere
Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Räuber. Auch dorthin
folgte Varinius und hier endlich stellte der verachtete Feind sich zum
Treffen. Alle Verhältnisse, unter denen der Kampf stattfand, waren zum
Nachteil der Römer; die Soldaten, so ungestüm sie kurz zuvor die
Schlacht gefordert hatten, schlugen dennoch sich schlecht; Varinius
ward vollständig besiegt, sein Pferd und die Insignien seiner Amtswürde
gerieten mit dem römischen Lager selbst in Feindeshand. Massenweise
strömten die süditalischen Sklaven, namentlich die tapferen halbwilden
Hirten, unter die Fahne der so unverhofft erschienenen Erlöser; nach
den mäßigen Angaben stieg die Zahl der bewaffneten Insurgenten auf
40000 Mann. Kampanien, soeben geräumt, ward rasch wieder eingenommen,
das daselbst unter dem Quästor des Varinius, Gaius Thoranius,
zurückgebliebene römische Korps zersprengt und aufgerieben. Im ganzen
Süden und Südwesten Italiens war das offene Land in den Händen der
siegreichen Räuberhauptleute; selbst ansehnliche Städte, wie Consentia
im bruttischen Land, Thurii und Metapont in Lucanien, Nola und Nuceria
in Kampanien, wurden von ihnen erstürmt und erlitten alle Greuel, die
siegreiche Barbaren über wehrlose Zivilisierte, entfesselte Sklaven
über ihre gewesenen Herren zu bringen vermögen. Daß ein Kampf wie
dieser überhaupt rechtlos und mehr eine Metzelei als ein Krieg war,
versteht sich leider von selbst: die Herren schlugen jeden gefangenen
Sklaven von Rechts wegen ans Kreuz; diese machten natürlich gleichfalls
ihre Gefangenen nieder oder zwangen gar in noch höhnischerer Vergeltung
die kriegsgefangenen Römer, im Fechtspiel einander selber zu morden;
wie dies später mit dreihundert derselben bei der Leichenfeier eines im
Kampfe gefallenen Räuberhauptmanns geschah. In Rom war man mit Recht in
Besorgnis über den immer weiter um sich greifenden verheerenden Brand.
Es ward beschlossen, das nächste Jahr (682 72) beide Konsuln gegen die
furchtbaren Bandenchefs auszusenden. In der Tat gelang es dem Prätor
Quintus Arrius, einem Unterfeldherrn des Konsuls Lucius Genius, den
keltischen Haufen, der unter Krixos von der Masse des Räuberheers sich
gesondert hatte und auf eigene Hand brandschatzte, in Apulien am
Garganus zu fassen und zu vernichten. Aber um so glänzendere Siege
erfocht Spartacus im Apennin und im nördlichen Italien, wo der Konsul
Gnaeus Lentulus, während er die Räuber zu umzingeln und aufzuheben
vermeinte, sodann sein Kollege Gellius und der soeben noch siegreiche
Prätor Arrius, endlich bei Mutina der Statthalter des Diesseitigen
Gallien, Gaius Cassius (Konsul 681 73), und der Prätor Gnaeus Manlius
einer nach dem andern seinen Streichen erlagen. Die kaum bewaffneten
Sklavenrotten waren der Schreck der Legionen; die Kette der Niederlagen
erinnerte an die ersten Jahre des Hannibalischen Krieges. Was hätte
kommen mögen, wenn nicht entlaufene Fechtersklaven, sondern die
Volkskönige aus den Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze
der siegreichen Scharen gestanden hätten, ist nicht zu sagen; wie die
Bewegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glänzenden Siege ein
Räuberaufstand und unterlag weniger der Übermacht ihrer Gegner als der
eignen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit gegen den
gemeinschaftlichen Feind, die in den früheren sizilischen
Sklavenkriegen in so bemerkenswerter Weise hervorgetreten war, wird in
diesem italischen vermißt, wovon wohl die Ursache darin zu suchen ist,
daß die sizilischen Sklaven in dem gemeinsamen Syrohellenismus einen
gleichsam nationalen Einigungspunkt fanden, die italischen dagegen in
die beiden Massen der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich
schieden. Die Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker
Spartacus - Önomaos war gleich in einem der ersten Gefechte gefallen -
und ähnlicher Hader lähmte die Benutzung der errungenen Erfolge und
verschaffte den Römern manchen wichtigen Sieg. Aber noch weit
nachteiliger als die keltisch-germanische Unbotmäßigkeit wirkte auf das
Unternehmen der Mangel eines festen Planes und Zieles. Wohl stand
Spartacus, nach dem Wenigen zu schließen, was wir von dem seltenen Mann
erfahren, hierin über seiner Partei. Er verriet neben seinem
strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn gleich
von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schar vorstand und
die Beute verteilte, wenigstens ebensosehr wie seine Tapferkeit die
Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um dem empfindlichen Mangel an
Reiterei und an Waffen abzuhelfen, versuchte er mit Hilfe der in
Unteritalien aufgegriffenen Pferdeherden, sich eine Kavallerie zu
schulen und zu disziplinieren und, sowie er den Hafen von Thurii in die
Hände bekam, von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch
Vermittlung der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen
vermochte auch er nicht die wilden Horden, die er anführte, auf feste
Endziele hinzulenken. Gern hätte er den tollen Bacchanalien der
Grausamkeit gewehrt, die die Räuber in den eingenommenen Städten sich
gestatteten und die die hauptsächliche Ursache waren, weshalb keine
italische Stadt freiwillig mit den Insurgenten gemeinschaftliche Sache
machte; aber der Gehorsam, den der Räuberhauptmann im Kampfe fand,
hörte mit dem Siege auf und seine Vorstellungen und Bitten waren
vergeblich. Nach den im Apennin 682 (72) erfochtenen Siegen stand dem
Sklavenheer nach jeder Richtung hin der Weg frei. Spartacus selbst soll
beabsichtigt haben, die Alpen zu überschreiten, um sich und den
Seinigen die Rückkehr in ihre keltische oder thrakische Heimat zu
öffnen; wenn der Bericht gegründet ist, so zeigt er, wie wenig der
Sieger seine Erfolge und seine Macht überschätzte. Da die Mannschaft
sich weigerte, dem reichen Italien so rasch den Rücken zu wenden,
schlug Spartacus den Weg nach Rom ein und soll daran gedacht haben, die
Hauptstadt zu blockieren. Indes auch diesem zwar verzweifelten, aber
doch planmäßigen Beginnen zeigten die Scharen sich abgeneigt; sie
zwangen ihren Führer, da er Feldherr sein wollte, Räuberhauptmann zu
bleiben und ziellos weiter in Italien auf Plünderung umherzuziehen. Rom
mochte sich glücklich preisen, daß es also kam; auch so aber war guter
Rat teuer. Es fehlte an geübten Soldaten wie an erprobten Feldherren;
Quintus Metellus und Gnaeus Pompeius waren in Spanien, Marcus Lucullus
in Thrakien, Lucius Lucullus in Kleinasien beschäftigt, und zur
Verfügung standen nur rohe Milizen und höchstens mittelmäßige
Offiziere. Man bekleidete mit dem außerordentlichen Oberbefehl in
Italien den Prätor Marcus Crassus, der zwar kein namhafter Feldherr
war, aber doch unter Sulla mit Ehren gefochten und wenigstens Charakter
hatte, und stellte ihm eine wenn nicht durch ihre Qualität, doch durch
ihre Zahl imponierende Armee von acht Legionen zur Verfügung. Der neue
Oberfeldherr begann damit, die erste Abteilung, die wieder mit
Wegwerfung ihrer Waffen vor den Räubern davonlief, nach der ganzen
Strenge der Kriegsgesetze zu behandeln und den zehnten Mann davon
hinrichten zu lassen; worauf in der Tat die Legionen sich wieder etwas
mehr zusammennahmen. Spartacus, in dem nächsten Gefecht besiegt, zog
sich zurück und suchte durch Lucanien nach Rhegion zu gelangen.
Ebendamals beherrschten die Piraten nicht bloß die sizilischen
Gewässer, sondern selbst den Hafen von Syrakus; mit Hilfe ihrer Boote
gedachte Spartacus ein Korps nach Sizilien zu werfen, wo die Sklaven
nur auf einen Anstoß warteten, um zum dritten Male loszuschlagen. Der
Marsch nach Rhegion gelang, allein die Korsaren, vielleicht geschreckt
durch die von dem Prätor Gaius Verres auf Sizilien eingerichteten
Strandwachen, vielleicht auch von den Römern bestochen, nahmen von
Spartacus den bedungenen Lohn, ohne ihm die Gegenleistung dafür zu
gewähren. Crassus inzwischen war dem Räuberheer bis etwa an die
Krathismündung gefolgt und ließ, ähnlich wie Scipio vor Numantia, seine
Soldaten, da sie nicht schlugen, wie sie sollten, einen festungsähnlich
verschanzten Wall in der Länge von sieben deutschen Meilen aufführen,
der die Bruttische Halbinsel von dem übrigen Italien absperrte ^6 und
dem von Rhegion zurückkehrenden Insurgentenheer den Weg verlegte und
die Zufuhr abschnitt. Indes in einer dunklen Winternacht durchbrach
Spartacus die feindlichen Linien und stand im Frühjahr 683 (71) ^7
wieder in Lucanien. Das mühsame Werk war also vergebens gewesen.
Crassus fing an, an der Lösung seiner Aufgabe zu verzweifeln, und
forderte vom Senat, daß er die in Makedonien unter Marcus Lucullus, im
diesseitigen Spanien unter Gnaeus Pompeius stehenden Heere zu seiner
Unterstützung nach Italien berufe. Es bedurfte indes dieses äußersten
Notschrittes nicht; die Uneinigkeit und der Übermut der Räuberhaufen
genügten, um ihre Erfolge wieder zu vereiteln. Abermals lösten sich die
Kelten und Germanen von dem Bunde, dessen Haupt und Seele der Thraker
war, um unter Führern ihrer eigenen Nation, Gannicus und Castus, sich
vereinzelt den Römern ans Messer zu liefern. Einmal, am Lucanischen
See, rettete sie Spartacus’ rechtzeitiges Erscheinen; sie schlugen nun
zwar wohl ihr Lager nahe bei dem seinigen auf, aber dennoch gelang es
Crassus, den Spartacus durch die Reiterei zu beschäftigen und indessen
die keltischen Haufen zu umstellen und zum Sonderkampf zu zwingen, in
welchem sie sämtlich, man sagt 12300 Streiter, tapfer kämpfend fielen,
alle auf dem Platze und mit den Wunden nach vorn. Spartacus versuchte
darauf, sich mit seiner Abteilung in die Berge um Petelia (bei
Strongoli in Kalabrien) zu werfen und schlug nachdrücklich die römische
Vorhut, die dem Weichenden folgte. Allein dieser Sieg gereichte mehr
dem Sieger als dem Besiegten zum Nachteil. Berauscht von dem Erfolg
weigerten sich die Räuber, weiter zurückzuweichen, und nötigten ihren
Feldherrn, sie durch Lucanien nach Apulien dem letzten entscheidenden
Kampf entgegenzuführen. Vor der Schlacht stieß Spartacus sein Roß
nieder; wie er im Glück und im Unglück treu bei den Seinen ausgeharrt
hatte, so zeigte er ihnen jetzt durch die Tat, daß es ihm wie allen
hier gehe um Sieg oder Tod. Auch in der Schlacht stritt er mit dem Mut
eines Löwen: zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in
die Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden
Feinde. Also starben der große Räuberhauptmann und mit ihm die besten
seiner Gesellen den Tod freier Männer und ehrlicher Soldaten (683 71).
Nach dem teuer erkauften Siege ward von den Truppen, die ihn erfochten,
und von denen des Pompeius, die inzwischen nach Überwindung der
Sertorianer aus Spanien eingetroffen waren, durch ganz Apulien und
Lucanien eine Menschenhetze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen
war, um die letzten Funken des gewaltigen Brandes zu zertreten. Obwohl
in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das Städtchen Tempsa 683
(71) von einer Räuberschar eingenommen ward, und in dem durch Sullas
Expropriationen schwer betroffenen Etrurien ein rechter Landfriede noch
keineswegs sich einfand, galt doch derselbe offiziell als in Italien
wiederhergestellt. Wenigstens die schmachvoll verlorenen Adler waren
wiedergewonnen - allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren
fünf ein; und längs der Straße von Capua nach Rom zeugten die
sechstausend Kreuze, die gefangene Sklaven trugen, von der neu
begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des anerkannten Rechts
über das rebellierende lebendige Eigen.
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^6 Da die Linie sieben deutsche Meilen (Sall. hist. 4, 19 Dietsch;
Plut. Crass. 10) lang war, so ging sie wohl nicht von Squillace nach
Pizzo, sondern nördlicher, etwa bei Castrovillari und Cassano über die
hier in gerader Linie etwa sechs deutsche Meilen breite Halbinsel.
^7 Daß Crassus noch 682 (72) den Oberbefehl übernahm, ergibt sich aus
der Beseitigung der Konsuln (Plot. Crass. 10); daß der Winter 682/83
(72/71) den beiden Heeren am Bruttischen Wall verstrich, aus der
“Schneenacht (Plot. a. a. O.).
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Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Dezennium der
sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige, den Lebensnerv der
Nation notwendig berührende Gefahr war an sich in keiner der während
dieser Zeit vorgekommenen äußeren oder inneren Bewegungen enthalten,
weder in der Insurrektion des Lepidus, noch in den Unternehmungen der
spanischen Emigranten, noch in den thrakisch-makedonischen und
kleinasiatischen Kriegen, noch in den Piraten- und Sklavenaufständen;
und dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine
Existenz gefochten. Die Ursache war, daß die Aufgaben, solange sie noch
mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben; die
Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaßregeln erzeugte die
entsetzlichsten Mißstände und Unglücksfälle und schuf abhängige Klassen
und machtlose Könige in ebenbürtige Gegner um. Die Demokratie zwar, und
die Sklaveninsurrektion hatte man besiegt; aber wie die Siege waren,
ward durch sie der Sieger weder innerlich gehoben noch äußerlich
gekräftigt. Es war keine Ehre, daß die beiden gefeiertsten Generale der
Regierungspartei in einem achtjährigen, mit mehr Niederlagen als Siegen
bezeichneten Kampf des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen
Guerillas nicht Herr geworden waren, daß erst der Mordstahl seiner
Freunde den Sertorianischen Krieg zu Gunsten der legitimen Regierung
entschieden hatte. Die Sklaven nun gar war es viel weniger eine Ehre
besiegt, als eine Schande, ihnen jahrelang in gleichem Kampfe
gegenübergestanden zu haben. Wenig mehr als ein Jahrhundert war seit
dem Hannibalischen Kriege verflossen; es mußte dem ehrbaren Römer das
Blut in die Wangen treiben, wenn er den furchtbar raschen Rücktritt der
Nation seit jener großen Zeit erwog. Damals standen die italischen
Sklaven wie die Mauern gegen Hannibals Veteranen; jetzt stäubte die
italische Landwehr vor den Knütteln ihrer entlaufenen Knechte wie Spreu
auseinander. Damals machte jeder einfache Oberst im Fall der Not den
Feldherrn und focht oft ohne Glück, doch immer mit Ehren; jetzt hielt
es hart, unter all den vornehmen Offizieren nur einen Führer von
gewöhnlicher Brauchbarkeit zu finden. Damals nahm die Regierung lieber
den letzten Bauer vom Pflug, als daß sie darauf verzichtet hätte,
Griechenland und Spanien zu erobern; jetzt war man drauf und dran,
beide längst erworbene Gebiete wieder preiszugeben, nur um daheim der
aufständischen Knechte sich erwehren zu können. Auch Spartacus hatte,
so gut wie Hannibal, vom Po bis an die sizilische Meerenge Italien mit
Heeresmacht durchzogen, beide Konsuln geschlagen und Rom mit der
Blockade bedroht; wozu es gegen das ehemalige Rom des größten Feldherrn
des Altertums bedurft hatte, das vermochte gegen das jetzige ein kecker
Räuberhauptmann. War es ein Wunder, daß solchen Siegen über Insurgenten
und Räuberführer kein frisches Leben entkeimte?
Ein noch minder erfreuliches Ergebnis aber hatten die äußeren Kriege
herausgestellt. Zwar der thrakisch-makedonische hatte, wenn kein dem
ansehnlichen Aufwand von Menschen und Feld entsprechendes, doch auch
kein geradezu ungünstiges Resultat gegeben. Dagegen in dem
kleinasiatischen und in dem Piratenkrieg hatte die Regierung
vollständigen Bankrott gemacht. Jener schloß ab mit dem Verlust der
gesamten, in acht blutigen Feldzügen gemachten Eroberungen, dieser mit
der vollständigen Verdrängung der Römer von “ihrem Meer”. Einst hatte
Rom im Vollgefühl der Unwiderstehlichkeit seiner Landmacht das
Übergewicht auch auf das zweite Element übertragen; jetzt war der
gewaltige Staat zur See ohnmächtig und, wie es schien, im Begriff, auch
wenigstens über den asiatischen Kontinent die Herrschaft einzubüßen.
Die materiellen Wohltaten des staatlichen Daseins: Sicherheit der
Grenzen, ungestörter friedlicher Verkehr, Rechtsschutz, geordnete
Verwaltung, fingen an, alle miteinander den sämtlichen im römischen
Staat vereinigten Nationen zu verschwinden; die segnenden Götter alle
schienen zum Olymp emporgestiegen zu sein und die jammervolle Erde den
amtlich berufenen oder freiwilligen Plünderern oder Peinigern
überlassen zu haben. Dieser Verfall des Staats ward auch nicht etwa
bloß von dem, der politische Rechte und Bürgersinn hatte, als ein
öffentliches Unglück gefühlt, sondern die Proletariatsinsurrektion und
die an die Zeiten der neapolitanischen Ferdinande erinnernde Räuber-
und Piratenwirtschaft trugen das Gefühl dieses Verfalls in das
entlegenste Tal, in die niedrigste Hütte Italiens, ließen ihn jeden,
der Handel und Verkehr trieb, der nur einen Scheffel Weizen kaufte, als
persönlichen Notstand empfinden.
Wenn nach den Urhebern dieses heillosen und beispiellosen Jammers
gefragt ward, so war es nicht schwer, mit gutem Recht gar viele deshalb
anzuklagen. Die Sklavenwirte, deren Herz im Geldbeutel saß, die
unbotmäßigen Soldaten, die bald feigen, bald unfähigen, bald tollkühnen
Generale, die meist am falschen Ende hetzenden Demagogen des Marktes
trugen ihren Teil der Schuld, oder vielmehr, wer trug an derselben
nicht mit? Instinktmäßig ward es empfunden, daß dieser Jammer, diese
Schande, diese Zerrüttung zu kolossal waren, um das Werk eines
einzelnen zu sein. Wie die Größe des römischen Gemeinwesens nicht das
Werk hervorragender Individuen, sondern das einer tüchtig organisierten
Bürgerschaft gewesen ist, so ist auch der Verfall dieses gewaltigen
Gebäudes nicht aus der verderblichen Genialität einzelner, sondern aus
der allgemeinen Desorganisation hervorgegangen. Die große Majorität der
Bürgerschaft taugte nichts und jeder morsche Baustein half mit zu dem
Ruin des ganzen Gebäudes; es büßte die ganze Nation, was die ganze
Nation verschuldete. Es war ungerecht, wenn man die Regierung als den
letzten greifbaren Ausdruck des Staats für alle heilbaren und
unheilbaren Krankheiten desselben verantwortlich machte; aber das
allerdings war wahr, daß die Regierung in furchtbar schwerer Weise
mittrug an dem allgemeinen Verschulden. In dem Kleinasiatischen Kriege
zum Beispiel, wo kein einzelner der regierenden Herren sich in
hervorragender Weise verfehlt, Lucullus sogar, militärisch wenigstens,
tüchtig, ja glorreich sich geführt hatte, ward es nur um so deutlicher,
daß die Schuld des Mißlingens in dem System und in der Regierung als
solcher, hier zunächst in dem früheren schlaffen Preisgeben
Kappadokiens und Syriens und in der schiefen Stellung des tüchtigen
Feldherrn gegenüber dem keines energischen Beschlusses fähigen
Regierungskollegium lag. Ebenso hatte in der Seepolizei der Senat den
einmal gefaßten richtigen Gedanken einer allgemeinen Piratenjagd erst
in der Ausführung verdorben und dann ihn gänzlich fallen lassen, um
wieder nach dem alten törichten System gegen die Rosse des Meeres
Legionen zu senden. Nach diesem System wurden die Expeditionen des
Servilius und des Marcius nach Kilikien, des Metellus nach Kreta
unternommen; nach diesem ließ Triarius die Insel Delos zum Schutz vor
den Piraten mit einer Mauer umziehen. Solche Versuche, der
Seeherrschaft sich zu versichern, erinnern an jenen persischen
Großkönig, der das Meer mit Ruten peitschen ließ, um es sich untertänig
zu machen. Wohl hatte also die Nation guten Grund, ihren Bankrott
zunächst der Restaurationsregierung zur Last zu legen. Immer schon war
mit der Wiederherstellung der Oligarchie ein ähnliches Mißregiment
gekommen, nach dem Sturz der Gracchen wie nach dem des Marius und
Saturninus; aber so gewaltsam und zugleich doch auch so schlaff, so
verdorben und verderblich war dasselbe nie zuvor aufgetreten. Wenn aber
eine Regierung nicht regieren kann, hört sie auf legitim zu sein und es
hat, wer die Macht, auch das Recht, sie zu stürzen. Zwar ist es leider
wahr, daß eine unfähige und verbrecherische Regierung lange Zeit das
Wohl und die Ehre des Landes mit Füßen zu treten vermag, bevor die
Männer sich finden, welche die von dieser Regierung selbst
geschmiedeten entsetzlichen Waffen gegen sie schwingen und aus der
sittlichen Empörung der Tüchtigen und dem Notstande der vielen die in
solchem Fall legitime Revolution heraufbeschwören können und wollen.
Aber wenn das Spiel mit dem Glücke der Völker ein lustiges sein mag und
wohl lange Zeit hindurch ungestört gespielt werden kann, so ist es doch
auch ein tückisches, das zu seiner Zeit die Spieler verschlingt; und
niemand schilt dann die Axt, wenn sie dem Baum, der solche Früchte
trägt, sich an die Wurzel legt. Für die römische Oligarchie war diese
Zeit jetzt gekommen. Der Pontisch-Armenische Krieg und die
Piratenangelegenheit wurden die nächsten Ursachen zum Umsturz der
Sullanischen Verfassung und zur Einsetzung einer revolutionären
Militärdiktatur.
KAPITEL III.
Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius
Noch stand die Sullanische Verfassung unerschüttert. Der Sturm, den
Lepidus und Sertorius gegen sie gewagt hatten, war mit geringer Einbuße
zurückgeschlagen worden. Das halbfertige Gebäude mit dem energischen
Geiste seines Urhebers auszubauen, hatte die Regierung freilich
versäumt. Es zeichnet sie, daß sie die von Sulla zur Verteilung
bestimmten, aber noch nicht von ihm selbst parzellierten Ländereien
weder aufteilte noch auch den Anspruch auf dieselben geradezu aufgab,
sondern die früheren Eigentümer ohne Regulierung des Titels vorläufig
im Besitze duldete, manche noch unverteilte Strecke sullanischen
Domaniallandes auch wohl gar von einzelnen Personen nach dem alten,
durch die Gracchischen Reformen rechtlich und faktisch beseitigten
Okkupationssystem willkürlich in Besitz nehmen ließ. Was den Optimaten
unter den Sullanischen Bestimmungen gleichgültig oder unbequem war,
wurde ohne Bedenken ignoriert oder kassiert; so die gegen ganze
Gemeinden ausgesprochene Aberkennung des Staatsbürgerrechts; so das
Verbot der Zusammenschlagung der neuen Bauernstellen; so manche der von
Sulla einzelnen Gemeinden erteilten Freibriefe, natürlich ohne daß man
die für diese Exemtionen gezahlten Summen den Gemeinden zurückgegeben
hätte. Aber wenn auch diese Verletzungen der Ordnungen Sullas durch die
Regierung selbst dazu beitrugen, die Fundamente seines Gebäudes zu
erschüttern, waren und blieben doch die Sempronischen Gesetze im
wesentlichen abgeschafft.
Wohl fehlte es nicht an Männern, die die Wiederherstellung der
Gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Entwürfen, um das,
was Lepidus und Sertorius im Wege der Revolution versucht hatten,
stückweise auf dem Wege verfassungsmäßiger Reform zu erreichen. In die
beschränkte Wiederherstellung der Getreidespenden hatte die Regierung
bereits unter dem Druck der Agitation des Lepidus unmittelbar nach
Sullas Tode gewilligt (676 78) und sie tat ferner was irgend möglich
war, um in dieser Lebensfrage für das hauptstädtische Proletariat ihm
zu Willen zu sein. Als trotz jener Verteilungen die hohen,
hauptsächlich durch die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise eine so
drückende Teuerung in Rom hervorriefen, daß es darüber im Jahre 679
(75) zu einem heftigen Straßenauflauf kam, halfen zunächst
außerordentliche Ankäufe von sizilischem Getreide für Rechnung der
Regierung der ärgsten Not ab; für die Zukunft aber regelte ein von den
Konsuln des Jahres 681 (78) eingebrachtes Getreidegesetz die Ankäufe
des sizilischen Getreides und gab, freilich auf Kosten der
Provinzialen, der Regierung die Mittel, um ähnliche Mißstände besser zu
verhüten. Aber auch die minder materiellen Differenzpunkte, die
Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt in ihrem alten Umfang und
die Beseitigung der senatorischen Gerichte, hörten nicht auf,
Gegenstände populärer Agitation zu bilden, und hier leistete die
Regierung nachdrücklicheren Widerstand. Den Streit um das tribunizische
Amt eröffnete schon 678 (76), unmittelbar nach der Niederlage des
Lepidus, der Volkstribun Lucius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des
gleichnamigen Mannes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst
dieses Amt bekleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den
der rührige Konsul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im Jahre 680 (74)
nahm Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, ließ sich aber durch
die Autorität des Konsuls Lucius Lucullus bestimmen, von seinem
Vorhaben abzustehen. Mit größerem Eifer trat das Jahr darauf in seine
Fußstapfen Gaius Licinius Macer, der - bezeichnend für die Zeit - in
das öffentliche Leben seine literarischen Studien hineintrug und, wie
er es in der Chronik gelesen, der Bürgerschaft anriet, die Konskription
zu verweigern.
Auch über die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die
senatorischen Geschworenen wurden bald nur zu wohl begründete
Beschwerden laut. Die Verurteilung eines einigermaßen einflußreichen
Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloß empfand der Kollege mit
dem Kollegen, der gewesene oder künftige Angeklagte mit dem
gegenwärtigen armen Sünder billiges Mitleid; auch die Käuflichkeit der
Geschworenenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere Senatoren
waren gerichtlich dieses Verbrechens überwiesen worden; auf andere
gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie
Quintus Catulus, räumten in offener Senatssitzung es ein, daß die
Beschwerden vollkommen gegründet seien; einzelne besonders eklatante
Fälle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im Jahre 680 (74), über
Maßregeln gegen die Freiheit der Geschworenen zu deliberieren,
natürlich nur so lange, bis der erste Lärm sich gelegt hatte und man
die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Folgen dieser
elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem System der
Plünderung und Peinigung der Provinzialen, mit dem verglichen selbst
die bisherigen Frevel erträglich und gemäßigt erschienen. Das Stehlen
und Rauben war gewissermaßen durch Gewohnheit legitim geworden; die
Erpressungskommission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den
Vogteien heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen
Kollegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem
Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bieten wollen,
dafür von diesem abwesend und ungehört zum Tode verurteilt ward; als
selbst römische Bürger, wenn sie nicht Ritter oder Senatoren waren, in
der Provinz nicht mehr sicher waren vor den Ruten und Beilen des
römischen Vogts, und die älteste Errungenschaft der römischen
Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens, von der herrschenden
Oligarchie anfing mit Füßen getreten zu werden: da hatte auch das
Publikum auf dem römischen Markte ein Ohr für die Klagen über seine
Vögte in den Provinzen und über die ungerechten Richter, die solche
Untaten moralisch mitverschuldeten. Die Opposition unterließ es
natürlich nicht, auf dem fast allein ihr übriggebliebenen Terrain, dem
gerichtlichen, ihre Gegner anzugreifen. So zog der junge Gaius Caesar,
der auch, soweit sein Alter es gestattete, sich bei der Agitation um
die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt eifrig beteiligte, im
Jahre 677 (77) einen der angesehensten Sullanischen Parteimänner, den
Konsular Gnaeus Dolabella, und im folgenden Jahr einen andern
Sullanischen Offizier, Gaius Antonius, vor Gericht; so Marcus Cicero
684 (70) den Gaius Verres, eine der elendesten unter den Kreaturen
Sullas und eine der schlimmsten Geißeln der Provinzialen. Wieder und
wieder wurden die Bilder jener finsteren Zeit der Ächtungen, die
entsetzlichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der
römischen Kriminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhetorik,
mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versammelten Menge
entfaltet und der gewaltige Tote sowie seine lebenden Schergen ihrem
Zorn und Hohn unnachsichtlich preisgegeben. Die Wiederherstellung der
vollen tribunizischen Gewalt, an deren Bestehen die Freiheit, die Macht
und das Glück der Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber
geknüpft schien, die Wiedereinführung der “strengen” Gerichte der
Ritterschaft, die Erneuerung der von Sulla beseitigten Zensur zur
Reinigung der höchsten Staatsbehörde von den faulen und schädlichen
Elementen wurden täglich mit lautem Ruf von den Rednern der Volkspartei
gefordert.
Indes mit alledem kam man nicht weiter. Es gab Skandal und Lärm genug,
aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, daß man die Regierung nach
und über Verdienst prostituierte, doch noch keineswegs erreicht. Die
materielle Macht lag immer noch, solange militärische Einmischung fern
blieb, in den Händen der hauptstädtischen Bürgerschaft; und dies
“Volk”, das in den Gassen Roms sich drängte und auf dem Markt Beamte
und Gesetze machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat:
Zwar mußte die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren eigenes
nächstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der Erneuerung
des Sempronischen Korngesetzes. Allein daran war nicht zu denken, daß
diese Bürgerschaft um einer Idee oder gar um einer zweckmäßigen Reform
willen Ernst gemacht hätte. Mit Recht ward auf die Römer dieser Zeit
angewandt, was Demosthenes von seinen Athenern sagte: daß die Leute gar
eifrig täten, solange sie um die Rednerbühne ständen und die Vorschläge
zu Reformen vernähmen; aber wenn sie nach Hause gekommen seien, denke
keiner weiter an das, was er auf dem Markte gehört habe. Wie auch jene
demokratischen Agitatoren die Flammen schürten, es half eben nichts, da
der Brennstoff fehlte. Die Regierung wußte dies und ließ in den
wichtigen Prinzipienfragen sich keinerlei Zugeständnis entreißen;
höchstens daß sie sich dazu verstand (um 682 72), einem Teil der mit
Lepidus landflüchtig gewordenen Leute die Amnestie zuzugestehen. Was
von Konzessionen erfolgte, ging nicht so sehr aus dem Drängen der
Demokratie hervor, als aus den Vermittlungsversuchen der gemäßigten
Aristokratie. Allein von den beiden Gesetzen, die der einzige noch
übrige Führer dieser Fraktion, Gaius Cotta, in seinem Konsulat 679 (75)
durchsetzte, wurde das die Gerichte betreffende schon im nächsten Jahre
wieder beseitigt, und auch das zweite, welches die Sullanische
Bestimmung aufhob, daß die Bekleidung des Tribunats zur Übernahme
anderer Magistraturen unfähig mache, die übrigen Beschränkungen aber
bestehen ließ, erregte wie jede halbe Maßregel nur den Unwillen beider
Parteien. Die Partei der reformistisch gesinnten Konservativen, die
durch Cottas bald nachher (um 681 73) erfolgten frühen Tod ihr
namhaftestes Haupt verlor, sank mehr und mehr in sich selbst zusammen,
erdrückt zwischen den immer schroffer hervortretenden Extremen. Von
diesen aber blieb die Partei der Regierung, schlecht und schlaff wie
sie war, der gleich schlechten und gleich schlaffen Opposition
gegenüber notwendig im Vorteil.
Aber dies der Regierung so günstige Verhältnis änderte sich, als die
Differenzen zwischen ihr und denjenigen ihrer Parteigänger sich
schärfer entwickelten, deren Hoffnungen über den Ehrensitz in der Kurie
und das aristokratische Landhaus hinaus zu höheren Zielen sich erhoben.
In erster Linie stand hier Gnaeus Pompeius. Wohl war er Sullaner; aber
es ist früher gezeigt worden, wie wenig er unter seiner eigenen Partei
sich zurechtfand, wie von der Nobilität, als deren Schild und Schwert
er offiziell angesehen ward, ihn doch seine Herkunft, seine
Vergangenheit, seine Hoffnungen immer wieder schieden. Der schon
klaffende Riß hatte während der spanischen Feldzüge (677 - 683 77 - 71)
des Feldherrn sich unheilbar erweitert. Unwillig und halb gezwungen
hatte die Regierung ihn ihrem rechten Vertreter Quintus Metellus als
Kollegen beigesellt; und wieder er beschuldigte, wohl nicht ohne Grund,
den Senat durch die sei es liederliche, sei es böswillige
Vernachlässigung der spanischen Armeen deren Niederlagen verschuldet
und das Schicksal der Expedition aufs Spiel gesetzt zu haben. Nun kam
er zurück als Sieger über die heimlichen Feinde, an der Spitze eines
krieggewohnten und ihm ganz ergebenen Heeres, für seine Soldaten
Landanweisungen begehrend, für sich Triumph und Konsulat. Die letzteren
Forderungen verstießen gegen das Gesetz. Pompeius, obwohl mehrmals
schon außerordentlicherweise mit der höchsten Amtsgewalt bekleidet,
hatte noch kein ordentliches Amt, nicht einmal die Quästur verwaltet
und war noch immer nicht Mitglied des Rats; und Konsul durfte nur
werden, wer die Staffel der geringeren ordentlichen Ämter durchmessen,
triumphieren nur, wer die ordentliche höchste Gewalt bekleidet hatte.
Der Senat war gesetzlich befugt, ihn, wenn er um das Konsulat sich
bewarb, auf die Bewerbung um die Quästur zu verweisen, wenn er den
Triumph erbat, ihn an den großen Scipio zu erinnern, der unter gleichen
Verhältnissen auf den Triumph über das eroberte Spanien verzichtet
hatte. Nicht minder hing Pompeius hinsichtlich der seinen Soldaten
versprochenen Domänen verfassungsmäßig ab von dem guten Willen des
Senats. Indes wenn auch der Senat, wie es bei seiner Schwächlichkeit
auch im Grollen wohl denkbar war, hierin nachgab und dem siegreichen
Feldherrn für den gegen die Demokratenchefs geleisteten Schergendienst
den Triumph, das Konsulat, die Landanweisungen zugestand, so war doch
eine ehrenvolle Annulierung in ratsherrlicher Indolenz unter der langen
Reihe der friedlichen senatorischen Imperatoren das günstigste Los, das
die Oligarchie dem sechsunddreißigjährigen Feldherrn zu bereiten
vermochte. Das, wonach sein Herz eigentlich verlangte, das Kommando im
Mithradatischen Krieg freiwillig vom Senat bewilligt zu erhalten,
konnte er nimmer erwarten; in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse
durfte die Oligarchie es nicht zulassen, daß er den afrikanischen und
europäischen noch die Trophäen des dritten Weltteils hinzufügte; die im
Osten reichlich und bequem zu pflückenden Lorbeeren blieben auf jeden
Fall der reinen Aristokratie vorbehalten. Wenn aber der gefeierte
General bei der herrschenden Oligarchie seine Rechnung nicht fand, so
blieb - da zu einer rein persönlichen, ausgesprochen dynastischen
Politik weder die Zeit reif noch Pompeius’ ganze Persönlichkeit
geeignet war - ihm keine andere Wahl, als mit der Demokratie
gemeinschaftliche Sache zu machen. An die Sullanische Verfassung band
ihn kein eigenes Interesse: er konnte seine persönlichen Zwecke auch
innerhalb einer mehr demokratischen ebensogut, wo nicht besser
verfolgen. Dagegen fand er alles, was er brauchte, bei der
demokratischen Partei. Die tätigen und gewandten Führer derselben waren
bereit und fähig, dem unbehilflichen und etwas hölzernen Helden die
mühselige politische Leitung abzunehmen, und doch viel zu gering, um
dem gefeierten Feldherrn die erste Rolle und namentlich die
militärische Oberleitung streitig machen zu können oder auch nur zu
wollen. Selbst der weitaus bedeutendste von ihnen, Gaius Caesar, war
nichts als ein junger Mensch, dem seine dreisten Fahrten und eleganten
Schulden weit mehr als seine feurige demokratische Beredsamkeit einen
Namen gemacht hatten und der sich sehr geehrt fühlen mußte, wenn der
weltberühmte Imperator ihm gestattete, sein politischer Adjutant zu
sein. Die Popularität, auf welche Menschen wie Pompeius, von größeren
Ansprüchen als Fähigkeiten, mehr Wert zu legen pflegen, als sie gern
sich selber gestehen, mußte im höchsten Maß dem jungen General zuteil
werden, dessen Übertritt der fast aussichtslosen Sache der Demokratie
den Sieg gab. Der von ihm für sich und seine Soldaten geforderte
Siegeslohn fand damit sich von selbst. Überhaupt schien, wenn die
Oligarchie gestürzt ward, bei dem gänzlichen Mangel anderer
ansehnlicher Oppositionshäupter es nur von Pompeius abzuhängen, seine
weitere Stellung sich selber zu bestimmen. Daran aber konnte kaum
gezweifelt werden, daß der Übertritt des Feldherrn der soeben siegreich
aus Spanien heimkehrenden und noch in Italien geschlossen
zusammenstehenden Armee zur Oppositionspartei den Sturz der bestehenden
Ordnung zur Folge haben müsse. Regierung und Opposition waren gleich
machtlos; sowie die letztere nicht mehr bloß mit Deklamationen focht,
sondern das Schwert eines siegreichen Feldherrn bereit war, ihren
Anforderungen Nachdruck zu geben, war die Regierung jedenfalls,
vielleicht sogar ohne Kampf, überwunden.
So sah man von beiden Seiten sich gedrängt zur Koalition. An
persönlichen Abneigungen mochte es dort wie hier nicht fehlen; der
siegreiche Feldherr konnte die Straßenredner unmöglich lieben, diese
noch weniger den Henker des Carbo und Brutus mit Freuden als ihr Haupt
begrüßen; indes die politische Notwendigkeit überwog, wenigstens für
den Augenblick, jedes sittliche Bedenken.
Aber die Demokraten und Pompeius schlossen ihren Bund nicht allein.
Auch Marcus Crassus war in einer ähnlichen Lage wie Pompeius. Obwohl
Sullaner wie dieser, war doch auch seine Politik, ganz wie die des
Pompeius, vor allem eine persönliche und durchaus nicht die der
herrschenden Oligarchie; und auch er stand jetzt in Italien an der
Spitze einer starken und siegreichen Armee, mit welcher er soeben den
Sklavenaufstand niedergeschlagen hatte. Es blieb ihm die Wahl entweder
gegen die Koalition mit der Oligarchie sich zu verbinden oder in die
Koalition einzutreten; er wählte den letzteren und damit ohne Zweifel
den sichereren Weg. Bei seinem kolossalen Vermögen und seinem Einfluß
auf die hauptstädtischen Klubs war er überhaupt ein schätzbarer
Bundesgenosse; unter den obwaltenden Umständen aber war es ein
unberechenbarer Gewinn, wenn das einzige Heer, mit welchem der Senat
den Truppen des Pompeius hätte begegnen können, der angreifenden Macht
sich beigesellte. Die Demokraten überdies, denen bei der Allianz mit
dem übermächtigen Feldherrn nicht wohl zu Mute sein mochte, sahen nicht
ungern in Marcus Crassus ihm ein Gegengewicht und vielleicht einen
künftigen Rivalen zur Seite gestellt.
So kam im Sommer des Jahres 683 (71) die erste Koalition zustande
zwischen der Demokratie einer- und den beiden Sullanischen Generalen
Gnaeus Pompeius und Marcus Crassus andererseits. Beide machten das
Parteiprogramm der Demokratie zu dem ihrigen; es ward ihnen dafür
zunächst das Konsulat auf das kommende Jahr, Pompeius überdies der
Triumph und die begehrten Landlose für seine Soldaten, Crassus als dem
Überwinder des Spartacus wenigstens die Ehre des feierlichen Einzugs in
die Hauptstadt zugesichert.
Den beiden italischen Armeen, der hohen Finanz und der Demokratie, die
also zum Sturz der Sullanischen Verfassung verbündet auftraten, hatte
der Senat nichts gegenüberzustellen als etwa das zweite spanische Heer
unter Quintus Metellus Pius. Allein Sulla hatte richtig vorhergesagt,
daß das, was er getan, nicht zum zweitenmal geschehen werde: Metellus,
durchaus nicht geneigt, sich in einen Bürgerkrieg zu verwickeln, hatte
sofort nach Überschreitung der Alpen seine Soldaten entlassen. So blieb
der Oligarchie nichts übrig, als in das Unvermeidliche sich zu fügen.
Der Rat bewilligte die für Konsulat und Triumph erforderlichen
Dispensationen; Pompeius und Crassus wurden, ohne Widerstand zu finden,
zu Konsuln für das Jahr 684 (70) gewählt, während ihre Heere, angeblich
in Erwartung des Triumphs, vor der Stadt lagerten. Noch vor dem Antritt
seines Amtes bekannte sodann Pompeius in einer von dem Volkstribun
Marcus Lollius Palicanus abgehaltenen Volksversammlung sich öffentlich
und förmlich zu dem demokratischen Programm. Die Verfassungsänderung
war damit im Prinzip entschieden.
Allen Ernstes ging man nun an die Beseitigung der sullanischen
Institutionen. Vor allen Dingen erhielt das tribunizische Amt wieder
seine frühere Geltung. Pompeius selbst als Konsul brachte das Gesetz
ein, das den Volkstribunen ihre althergebrachten Befugnisse, namentlich
auch die legislatorische Initiative zurückgab - freilich eine seltsame
Gabe aus der Hand des Mannes, der mehr als irgend ein Lebender dazu
getan hatte, der Gemeinde ihre alten Privilegien zu entreißen.
Hinsichtlich der Geschworenenstellung wurde die Bestimmung Sullas, daß
das Verzeichnis der Senatoren als Geschworenenliste dienen solle, zwar
abgeschafft; allein es kam doch keineswegs zu einer einfachen
Wiederherstellung der Gracchischen Rittergerichte. Künftig, so
bestimmte das neue Aurelische Gesetz, sollten die Geschworenenkollegien
zu einem Dritteil aus Senatoren bestehen, zu zwei Dritteilen aus
Männern vom Ritterzensus, von welchen letzteren wieder die Hälfte die
Distriktvorsteherschaft oder das sogenannte Kassentribunat bekleidet
haben mußte. Es war diese letzte Neuerung eine weitere, den Demokraten
gemachte Konzession, indem hiernach wenigstens der dritte Teil der
Kriminalgeschworenen mittelbar hervorging aus den Wahlen der Distrikte.
Wenn dagegen der Senat nicht gänzlich aus den Gerichten verdrängt ward,
so ist die Ursache davon wahrscheinlich teils in Crassus’ Beziehungen
zum Senat zu suchen, teils in dem Beitritt der senatorischen
Mittelpartei zu der Koalition, mit dem es auch wohl zusammenhängt, daß
der Bruder ihres kürzlich verstorbenen Führers, der Prätor Lucius
Cotta, dies Gesetz einbrachte.
Nicht weniger wichtig war die Beseitigung der für Asien von Sulla
festgesetzten Steuerordnung, welche vermutlich ebenfalls in dies Jahr
fällt; der damalige Statthalter Asiens, Lucius Lucullus, ward
angewiesen, das von Gaius Gracchus eingeführte Verpachtungssystem
wiederherzustellen und damit der hohen Finanz diese wichtige Geld- und
Machtquelle zurückzugeben.
Endlich ward die Zensur wieder ins Leben gerufen. Die Wahlen dafür,
welche die neuen Konsuln kurz nach Antritt ihres Amtes anberaumten,
fielen, in offenbarer Verhöhnung des Senats, auf die beiden Konsuln des
Jahres 682 (73) Gnaeus Lentulus Clodianus und Lucius Genius, die wegen
ihrer elenden Kriegführung gegen Spartacus durch den Senat vom Kommando
entfernt worden waren. Es begreift sich, daß diese Männer alle Mittel,
die ihr wichtiges und ernstes Amt ihnen zu Gebote stellte, in Bewegung
setzten, um den neuen Machthabern zu huldigen und den Senat zu ärgern.
Mindestens der achte Teil des Senats, vierundsechzig Senatoren, eine
bis dahin unerhörte Zahl, wurden von der Liste gestrichen, darunter der
einst von Gaius Caesar ohne Erfolg angeklagte Gaius Antonius und der
Konsul des Jahres 683 (71), Publius Lentulus Sura, vermutlich auch
nicht wenige der verhaßten Kreaturen Sullas.
So war man mit dem Jahre 684 (70) wieder im wesentlichen zurückgekommen
auf die vor der sullanischen Restauration bestehenden Ordnungen. Wieder
ward die hauptstädtische Menge aus der Staatskasse, das heißt von den
Provinzen gespeist; wieder gab die tribunizische Gewalt jedem Demagogen
den gesetzlichen Freibrief, die staatlichen Ordnungen zu verkehren;
wieder erhob der Geldadel, als Inhaber der Steuerpachtungen und der
gerichtlichen Kontrolle über die Statthalter, neben der Regierung sein
Haupt so mächtig wie nur je zuvor; wieder zitterte der Senat vor dem
Wahrspruch der Geschworenen des Ritterstandes und vor der zensorischen
Rüge. Das System Sullas, das auf die politische Vernichtung der
kaufmännischen Aristokratie und der Demagogie die Alleinherrschaft der
Nobilität begründet hatte, war damit vollständig über den Haufen
geworfen. Abgesehen von einzelnen untergeordneten Bestimmungen, deren
Abschaffung erst später nachgeholt wurde, wie zum Beispiel der
Zurückgabe des Selbstergänzungsrechts an die Priesterkollegien, blieb
von Sullas allgemeinen Ordnungen hiernach nichts übrig als teils die
Konzessionen, die er selbst der Opposition zu machen notwendig gefunden
hatte, wie namentlich die Anerkennung des römischen Bürgerrechts der
sämtlichen Italiker, teils Verfügungen ohne schroffe Parteitendenz, an
denen deshalb auch die verständigen Demokraten nichts auszusetzen
fanden, wie unter anderm die Beschränkung der Freigelassenen, die
Regulierung der Beamtenkompetenzen und die materiellen Änderungen im
Kriminalrecht.
Weniger einig als über diese prinzipiellen war die Koalition
hinsichtlich der persönlichen Fragen, die eine solche Staatsumwälzung
anregte. Begreiflicherweise ließen die Demokraten sich nicht genügen
mit der allgemeinen Anerkennung ihres Programms, sondern auch sie
forderten jetzt eine Restauration in ihrem Sinn: Wiederherstellung des
Andenkens ihrer Toten, Bestrafung der Mörder, Rückberufung der
Geächteten aus der Verbannung, Aufhebung der auf ihren Kindern
lastenden politischen Zurücksetzung, Rückgabe der von Sulla
eingezogenen Güter, Schadenersatz aus dem Vermögen der Erben und
Gehilfen des Diktators. Es waren das allerdings die logischen
Konsequenzen, die aus einem reinen Sieg der Demokratie sich ergaben;
allein der Sieg der Koalition von 683 (71) war doch weit entfernt, ein
solcher zu sein. Die Demokratie gab dazu den Namen und das Programm,
die übergetretenen Offiziere aber, vor allen Pompeius, die Macht und
die Vollendung; und nun- und nimmermehr konnten diese zu einer Reaktion
ihre Zustimmung geben, die nicht bloß die bestehenden Verhältnisse bis
in ihre Grundfesten erschüttert, sondern auch schließlich sich gegen
sie selbst gewandt haben würde - war es doch noch im frischen Andenken,
welcher Männer Blut Pompeius vergossen, wie Crassus zu seinem ugeheuren
Vermögen den Grund gelegt hatte. So ist es wohl erklärlich, aber auch
zugleich bezeichnend für die Schwäche der Demokratie, daß die Koalition
von 683 (71) nicht das geringste tat, um den Demokraten Rache oder auch
nur Rehabilitation zu gewähren. Die nachträgliche Einforderung aller
der für erstandene konfiszierte Güter noch rückständigen oder auch von
Sulla den Käufern erlassenen Kaufgelder, welche der Zensor Lentulus in
einem besonderen Erlaß feststellte, kann kaum als Ausnahme bezeichnet
werden; denn wenn auch nicht wenige Sullaner dadurch in ihren
persönlichen Interessen empfindlich verletzt wurden, so war doch die
Maßregel selbst wesentlich eine Bestätigung der von Sulla vorgenommenen
Konfiskationen.
Sullas Werk war also zerstört; aber was nun werden sollte, war damit
viel mehr in Frage gestellt als entschieden. Die Koalition, einzig
zusammengehalten durch den gemeinschaftlichen Zweck, das
Restaurationswerk zu beseitigen, löste sich, als dieser erreicht war,
wenn nicht förmlich, doch der Sache nach von selber auf; für die Frage
aber, wohin nun zunächst das Schwergewicht der Macht fallen sollte,
schien sich eine ebenso rasche wie gewaltsame Lösung vorzubereiten. Die
Heere des Pompeius und Crassus lagerten immer noch vor den Toren der
Stadt. Jener hatte zwar zugesagt, nach dem Triumph (am letzten Dezember
683 71) seine Soldaten zu verabschieden; allein zunächst war es
unterblieben, um unter dem Druck, den das spanische Heer vor der
Hauptstadt auf diese und den Senat ausübte, die Staatsumwälzung
ungestört zu vollenden, was denn in gleicher Weise auch auf die Armee
des Crassus Anwendung fand. Diese Ursache bestand jetzt nicht mehr;
aber dennoch unterblieb die Auflösung der Heere. Die Dinge nahmen die
Wendung, als werde einer der beiden mit der Demokratie alliierten
Feldherrn die Militärdiktatur ergreifen und Oligarchen und Demokraten
in dieselben Fesseln schlagen. Dieser eine aber konnte nur Pompeius
sein. Von Anfang an hatte Crassus in der Koalition eine untergeordnete
Rolle gespielt; er hatte sich antragen müssen und verdankte selbst
seine Wahl zum Konsulat hauptsächlich Pompeius’ stolzer Verwendung.
Weitaus der stärkere, war Pompeius offenbar der Herr der Situation;
wenn er zugriff, so schien er werden zu müssen, als was ihn der
Instinkt der Menge schon jetzt bezeichnete: der unumschränkte Gebieter
des mächtigsten Staates der zivilisierten Welt. Schon drängte sich die
ganze Masse der Servilen um den künftigen Monarchen. Schon suchten die
schwächeren Gegner eine letzte Hilfe in einer neuen Koalition; Crassus,
voll alter und neuer Eifersucht auf den jüngeren, so durchaus ihn
überflügelnden Rivalen, näherte sich dem Senat und versuchte, durch
beispiellose Spenden die hauptstädtische Menge an sich zu fesseln - als
ob die durch Crassus selbst mitgebrochene Oligarchie und der ewig
undankbare Pöbel vermocht haben würden, gegen die Veteranen der
spanischen Armee irgendwelchen Schutz zu gewähren. Einen Augenblick
schien es, als würde es vor den Toren der Hauptstadt zwischen den
Heeren des Pompeius und Crassus zur Schlacht kommen.
Allein diese Katastrophe wandten die Demokraten durch ihre Einsicht und
ihre Geschmeidigkeit ab. Auch ihrer Partei lag, ebenwie dem Senat und
Crassus, alles daran, daß Pompeius nicht die Diktatur ergriff; aber mit
richtigerer Einsicht in ihre eigene Schwäche und in den Charakter des
mächtigen Gegners versuchten ihre Führer den Weg der Güte. Pompeius
fehlte keine Bedingung, um nach der Krone zu greifen, als die erste von
allen: der eigene königliche Mut. Wir haben den Mann früher
geschildert, mit seinem Streben, zugleich loyaler Republikaner und Herr
von Rom zu sein, mit seiner Unklarheit und Willenlosigkeit, mit seiner,
unter dem Pochen auf selbständige Entschlüsse sich verbergenden
Lenksamkeit. Es war dies die erste große Probe, auf die das Verhängnis
ihn stellte; er hat sie nicht bestanden. Der Vorwand, unter dem
Pompeius die Entlassung der Armee verweigerte, war, daß er Crassus
mißtraute und darum nicht mit der Entlassung der Soldaten den Anfang
machen könne. Die Demokraten bestimmten den Crassus, hierin
entgegenkommende Schritte zu tun, dem Kollegen vor aller Augen zum
Frieden die Hand zu bieten; öffentlich und insgeheim bestürmten sie
diesen, daß er zu dem zwiefachen Verdienst, den Feind besiegt und die
Parteien versöhnt zu haben, noch das dritte und größte fügen möge, dem
Vaterland den inneren Frieden zu erhalten und das drohende Schreckbild
des Bürgerkrieges zu bannen. Was nur immer auf einen eitlen,
ungewandten, unsicheren Mann zu wirken vermag, alle Schmeichelkünste
der Diplomatie, aller theatralische Apparat patriotischer Begeisterung
wurde in Bewegung gesetzt, um das ersehnte Ziel zu erreichen; was aber
die Hauptsache war, die Dinge hatten durch Crassus’ rechtzeitige
Nachgiebigkeit sich so gestaltet, daß Pompeius nur die Wahl blieb,
entweder geradezu als Tyrann von Rom auf- oder zurückzutreten. So gab
er endlich nach und willigte in die Entlassung der Truppen. Das
Kommando im Mithradatischen Krieg, das zu erlangen er ohne Zweifel
hoffte, als er sich für 684 (70) zum Konsul hatte wählen lassen, konnte
er jetzt nicht wünschen, da mit dem Feldzuge von 683 (71) Lucullus
diesen Krieg in der Tat beendigt zu haben schien; die vom Senat in
Gemäßheit des Sempronischen Gesetzes ihm angewiesene Konsularprovinz
anzunehmen, hielt er unter seiner Würde, und Crassus folgte darin
seinem Beispiel. So zog Pompeius, als er nach Entlassung seiner
Soldaten am letzten Tage des Jahres 684 (70) sein Konsulat niederlegte,
sich zunächst ganz von den öffentlichen Geschäften zurück und erklärte,
fortan als einfacher Bürger in stiller Muße leben zu wollen. Er hatte
sich so gestellt, daß er nach der Krone greifen mußte und, da er dies
nicht wollte, ihm keine Rolle übrig blieb als die nichtige eines
resignierenden Thronkandidaten.
Der Rücktritt des Mannes, dem nach der Lage der Sachen die erste Stelle
zukam, vom politischen Schauplatz führte zunächst ungefähr dieselbe
Parteistellung wieder herbei, wie wir sie in der gracchischen und
marianischen Epoche fanden. Sulla hatte dem Senat das Regiment nur
befestigt, nicht gegeben; so blieb denn auch dasselbe, nachdem die von
Sulla errichteten Bollwerke wieder gefallen waren, nichtsdestoweniger
zunächst dem Senat, während die Verfassung freilich, mit der er
regierte, im wesentlichen die wiederhergestellte Gracchische,
durchdrungen war von einem der Oligarchie feindlichen Geiste. Die
Demokratie hatte die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung
bewirkt; aber ohne einen neuen Gracchus war diese ein Körper ohne
Haupt, und daß weder Pompeius noch Crassus auf die Dauer dieses Haupt
sein konnten, war an sich klar und durch die letzten Vorgänge noch
deutlicher dargetan worden. So mußte die demokratische Opposition in
Ermangelung eines Führers, der geradezu das Ruder in die Hand genommen
hätte, vorläufig sich begnügen, die Regierung auf Schritt und Tritt zu
hemmen und zu ärgern. Zwischen der Oligarchie aber und der Demokratie
erhob sich zu neuem Ansehen die Kapitalistenpartei, welche in der
jüngsten Krise mit der letzteren gemeinschaftliche Sache gemacht hatte,
die aber zu sich hinüberzuziehen und an ihr ein Gegengewicht gegen die
Demokratie zu gewinnen, die Oligarchen jetzt eifrig bemüht waren. Also
von beiden Seiten umworben, säumten die Geldherren nicht, ihre
vorteilhafte Lage sich zunutze zu machen und das einzige ihrer früheren
Privilegien, das sie noch nicht zurückerlangt hatten, die dem
Ritterstand reservierten vierzehn Bänke im Theater, sich jetzt (687 67)
durch Volksschluß wiedergeben zu lassen. Im ganzen näherten sie, ohne
mit der Demokratie schroff zu brechen, doch wieder mehr sich der
Regierung. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus und seiner
Klientel gehören in diesen Zusammenhang; hauptsächlich aber scheint ein
besseres Verhältnis zwischen dem Senat und der Geldaristokratie dadurch
hergestellt zu sein, daß dieser dem tüchtigsten unter den senatorischen
Offizieren, Lucius Lucullus, auf Andringen der von demselben schwer
gekränkten Kapitalisten im Jahre 686 (68) die Verwaltung der für diese
so wichtigen Provinz Asia abnahm.
Während aber die hauptstädtischen Faktionen miteinander des gewohnten
Haders pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche
Entscheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereignisse ihren
verhängnisvollen Gang, wie wir ihn früher geschildert haben, und sie
waren es, die den zögernden Verlauf der hauptstädtischen Politik zur
Krise drängten. Der Land- wie der Seekrieg hatte dort die ungünstigste
Wendung genommen. Im Anfang des Jahres 687 (67) war die pontische Armee
der Römer aufgerieben, die armenische in voller Auflösung auf dem
Rückzug, alle Eroberungen verloren, das Meer ausschließlich in der
Gewalt der Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Höhe
getrieben, daß man eine förmliche Hungersnot befürchtete. Wohl hatten,
wie wir sahen, die Fehler der Feldherren, namentlich die völlige
Unfähigkeit des Admirals Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst
tüchtigen Lucius Lucullus, diesen Notstand zum Teil verschuldet, wohl
auch die Demokratie durch ihre Wühlereien zu der Auflösung des
armenischen Heeres wesentlich beigetragen. Aber natürlich ward die
Regierung jetzt für alles, was sie und was andere verdorben hatten, in
Bausch und Bogen verantwortlich gemacht und die grollende hungrige
Menge verlangte nur eine Gelegenheit, um mit dem Senat abzurechnen.
Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie auch
herabgewürdigt und entwaffnet, war noch nicht gestürzt, dennoch lag die
Führung der öffentlichen Angelegenheiten in den Händen des Senats; sie
stürzte aber, wenn die Gegner diese, daß heißt namentlich die
Oberleitung der militärischen Angelegenheiten, sich selber zueigneten;
und jetzt war dies möglich. Wenn jetzt Vorschläge über eine andere und
bessere Führung des Land- und Seekrieges an die Komitien gebracht
wurden, so war bei der Stimmung der Bürgerschaft der Senat
voraussichtlich nicht imstande, deren Durchsetzung zu verhindern; und
eine Intervention der Bürgerschaft in diesen höchsten Verwaltungsfragen
war tatsächlich die Absetzung des Senats und die Übertragung der
Leitung des Staats an die Führer der Opposition. Wieder einmal brachte
die Verkettung der Dinge die Entscheidung in die Hände des Pompeius.
Seit mehr als zwei Jahren lebte der gefeierte Feldherr als Privatmann
in der Hauptstadt. Seine Stimme ward im Rathaus wie auf dem Markte
selten vernommen; dort war er nicht gern gesehen und ohne
entscheidenden Einfluß, hier scheute er sich vor dem stürmischen
Treiben der Parteien. Wenn er aber sich zeigte, geschah es mit dem
vollständigen Hofstaat seiner vornehmen und geringen Klienten, und eben
seine feierliche Zurückgezogenheit imponierte der Menge. Wenn er, an
dem der volle Glanz seiner ungemeinen Erfolge noch unvermindert
haftete, jetzt sich erbot, nach dem Osten abzugehen, so ward er ohne
Zweifel mit aller von ihm selbst geforderten militärischen und
politischen Machtvollkommenheit von der Bürgerschaft bereitwillig
bekleidet. Für die Oligarchie, die in der politischen Militärdiktatur
ihren sicheren Ruin, in Pompeius selbst seit der Koalition von 683 (71)
ihren verhaßtesten Feind sah, war dies ein vernichtender Schlag; aber
auch der demokratischen Partei konnte dabei nicht wohl zu Mute sein. So
wünschenswert es ihr an sich sein mußte, dem Regiment des Senats ein
Ende zu machen, so war es doch, wenn es in dieser Weise geschah, weit
weniger ein Sieg ihrer Partei als ein persönlicher ihres übermächtigen
Verbündeten. Leicht konnte in diesem der demokratischen Partei ein weit
gefährlicherer Gegner aufstehen als der Senat war. Die wenige Jahre
zuvor durch die Entlassung der spanischen Armee und Pompeius’ Rücktritt
glücklich vermiedene Gefahr kehrte in verstärktem Maße wieder, wenn
Pompeius jetzt an die Spitze der Armeen des Ostens trat.
Diesmal indes griff Pompeius zu oder ließ es wenigstens geschehen, daß
andere für ihn zugriffen. Es wurden im Jahre 687 (67) zwei
Gesetzvorschläge eingebracht, von denen der eine außer der längst von
der Demokratie geforderten Entlassung der ausgedienten Soldaten der
asiatischen Armee die Abberufung des Oberfeldherrn derselben, Lucius
Lucullus, und dessen Ersetzung durch einen der Konsuln des laufenden
Jahres, Gaius Piso oder Manius Glabrio, verfügte, der zweite den sieben
Jahre zuvor zur Reinigung der Meere von den Piraten vom Senat selbst
aufgestellten Plan wiederaufnahm und erweiterte. Ein einziger, vom
Senat aus den Konsularen zu bezeichnender Feldherr sollte bestellt
werden, um zur See auf dem gesamten Mittelländischen Meer von den
Säulen des Herkules bis an die pontische und syrische Küste
ausschließlich, zu Lande über sämtliche Küsten bis zehn deutsche Meilen
landeinwärts mit den betreffenden römischen Statthaltern konkurrierend,
den Oberbefehl zu übernehmen. Auf drei Jahre hinaus war demselben das
Amt gesichert. Ihn umgab ein Generalstab, wie Rom noch keinen gesehen
hatte, von fünfundzwanzig Unterbefehlshabern senatorischen Standes,
alle mit prätorischen Insignien und prätorischer Gewalt bekleidet, und
von zwei Unterschatzmeistern mit quästorischen Befugnissen, sie alle
erlesen durch den ausschließlichen Willen des höchstkommandierenden
Feldherrn. Es ward demselben gestattet, bis zu 120000 Mann Fußvolk,
5000 Reitern, 500 Kriegsschiffen aufzustellen und zu dem Ende über die
Mittel der Provinzen und Klientelstaaten unbeschränkt zu verfügen;
überdies wurden die vorhandenen Kriegsschiffe und eine ansehnliche
Truppenzahl sofort ihm überwiesen. Die Kassen des Staats in der
Hauptstadt wie in den Provinzen sowie die der abhängigen Gemeinden
sollten ihm unbeschränkt zu Gebot stehen und trotz der peinlichen
Finanznot sofort aus der Staatskasse ihm eine Summe von 11 Mill. Talern
(144 Mill. Sesterzen) ausgezahlt werden.
Es leuchtet ein, daß durch diese Gesetzentwürfe, namentlich durch den
die Expedition gegen die Piraten betreffenden, das Regiment des Senats
über den Haufen fiel. Wohl waren die von der Bürgerschaft ernannten
ordentlichen höchsten Beamten von selbst die rechten Feldherren der
Gemeinde und bedurften auch die außerordentlichen Beamten, um
Feldherren sein zu können, wenigstens nach strengem Recht der
Bestätigung durch die Bürgerschaft; aber auf die Besetzung der
einzelnen Kommandos stand der Gemeinde verfassungsmäßig kein Einfluß zu
und nur entweder auf Antrag des Senats oder doch auf Antrag eines an
sich zum Feldherrnamt berechtigten Beamten hatten bisher die Komitien
hin und wieder hier sich eingemischt und auch die spezielle Kompetenz
vergeben. Hierin stand vielmehr, seit es einen römischen Freistaat gab,
dem Senate das tatsächlich entscheidende Wort zu und es war diese seine
Befugnis im Laufe der Zeit zu endgültiger Anerkennung gelangt. Freilich
hatte die Demokratie auch hieran schon gerüttelt; allein selbst in dem
bedenklichsten der bisher vorgekommenen Fälle, bei der Übertragung des
afrikanischen Kommandos auf Gaius Marius 647 (107), war nur ein
verfassungsmäßig zum Feldherrnamt überhaupt berechtigter Beamter durch
den Schluß der Bürgerschaft mit einer bestimmten Expedition beauftragt
worden. Aber jetzt sollte die Bürgerschaft einen beliebigen Privatmann
nicht bloß mit der außerordentlichen höchsten Amtsgewalt ausstatten,
sondern auch mit einer bestimmt von ihr normierten Kompetenz. Daß der
Senat diesen Mann aus der Reihe der Konsulare zu erkiesen hatte, war
eine Milderung nur in der Form; denn die Auswahl blieb demselben nur
deshalb überlassen, weil es eben eine Wahl nicht war und der stürmisch
aufgeregten Menge gegenüber der Senat den Oberbefehl der Meere und
Küsten schlechterdings keinem andern übertragen konnte als einzig dem
Pompeius. Aber bedenklicher noch als diese prinzipielle Negierung der
Senatsherrschaft war die tatsächliche Aufhebung derselben durch die
Einrichtung eines Amtes von fast unbeschränkter militärischer und
finanzieller Kompetenz. Während das Feldherrnamt sonst auf eine
einjährige Frist, auf eine bestimmte Provinz, auf streng zugemessene
militärische und finanzielle Hilfsmittel beschränkt war, war dem neuen
außerordentlichen Amt von vornherein eine dreijährige Dauer gesichert,
die natürlich weitere Verlängerung nicht ausschloß, war demselben der
größte Teil der sämtlichen Provinzen, ja sogar Italien selbst, das
sonst von militärischer Amtsgewalt frei war, untergeordnet, waren ihm
die Soldaten, Schiffe, Kassen des Staats fast unbeschränkt zur
Verfügung gestellt. Selbst der eben erwähnte uralte Fundamentalsatz des
republikanisch-römischen Staatsrechts, daß die höchste militärische und
bürgerliche Amtsgewalt nicht ohne Mitwirkung der Bürgerschaft vergeben
werden könne, ward zu Gunsten des neuen Oberfeldherrn gebrochen: indem
das Gesetz den fünfundzwanzig Adjutanten, die er sich ernennen würde,
im voraus prätorischen Rang und prätorische Befugnisse verlieh ^1,
wurde das höchste Amt des republikanischen Rom einem neu geschaffenen
untergeordnet, für das den geeigneten Namen zu finden der Zukunft
überlassen blieb, das aber der Sache nach schon jetzt die Monarchie in
sich enthielt. Es war eine vollständige Umwälzung der bestehenden
Ordnung, zu der mit diesem Gesetzvorschlag der Grund gelegt ward.
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^1 Die außerordentliche Amtsgewalt (pro consule, pro praetore, pro
quaestore) konnte nach römischem Staatsrecht in dreifacher Weise
entstehen. Entweder ging sie hervor aus dem für die nichtstädtische
Amtstätigkeit geltenden Grundsatz, daß das Amt bis zu dem gesetzlichen
Endtermin, die Amtsgewalt aber bis zum Eintreffen des Nachfolgers
fortdauert, was der älteste, einfachste und häufigste Fall ist. Oder
sie entstand auf dem Wege, daß die beikommenden Organe, namentlich die
Komitien, in späterer Zeit auch wohl der Senat, einen nicht in der
Verfassung vorgesehenen Oberbeamten ernannten, indem dieser zwar sonst
dem ordentlichen Beamten gleichstand, aber doch zum Kennzeichen der
Außerordentlichkeit seines Amtes sich nur “an Prätors” oder “an Konsuls
Statt” nannte. Hierher gehören auch die in ordentlichem Wege zu
Quästoren ernannten, dann aber außerordentlicherweise mit prätorischer
oder gar konsularischer Amtsgewalt ausgestatteten Beamten (quaestores
pro praetore oder pro consule), in welcher Eigenschaft zum Beispiel
Publius Lentulus Marcellinus 679 (73) nach Kyrene (Sall. hist. 2, 39
Dietsch), Gnaeus Piso 689 (65) nach dem Diesseitigen Spanien (Sall.
Cat. 19), Cato 696 (58) nach Kypros (Vell. 2, 45) gingen. Oder endlich
es beruht die außerordentliche Amtsgewalt auf dem Mandierungsrecht des
höchsten Beamten. Derselbe ist, wenn er seinen Amtsbezirk verläßt oder
sonst behindert ist, sein Amt zu versehen, befugt, einen seiner Leute
zu seinem Stellvertreter zu ernennen, welcher dann legatus pro praetore
(Sall. Iug. 36-38) oder wenn die Wahl auf den Quästor fällt, quaestor
pro praetore (Sall. Iug. 103) heißt. In gleicher Weise ist er befugt,
wenn er keinen Quästor hat, dessen Geschäfte durch einen seines
Gefolges versehen zu lassen, welcher dann legatus pro quaestore heißt
und mit diesem Namen wohl zuerst auf den makedonischen Tetradrachmen
des Sura, Unterbefehlshabers des Statthalters von Makedonien 665-667
(89-87) begegnet. Das aber ist dem Wesen der Mandierung zuwider und
darum nach älterem Staatsrecht unzulässig, daß der höchste Beamte, ohne
in seiner Funktionierung gehindert zu sein, gleich bei Antritt seines
Amtes von vornherein einen oder mehrere seiner Untergebenen mit
höchster Amtsgewalt ausstattet; und insofern sind die legati pro
praetore des Prokonsuls Pompeius eine Neuerung und schon denen
gleichartig, die in der Kaiserzeit eine so große Rolle spielen.
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Diese Maßregeln eines Mannes, der soeben noch von seiner Halbheit und
Schwäche so auffallende Beweise geliefert hatte, befremden durch ihre
durchgreifende Energie. Indes ist es doch wohl erklärlich, daß Pompeius
diesmal entschlossener verfuhr als während seines Konsulats. Handelte
es sich doch nicht darum, sofort als Monarch aufzutreten, sondern die
Monarchie zunächst nur vorzubereiten durch eine militärische
Ausnahmemaßregel, die, wie revolutionär sie ihrem Wesen nach war, doch
noch in den Formen der bestehenden Verfassung vollzogen werden konnte,
und die zunächst Pompeius dem alten Ziel seiner Wünsche, dem Kommando
gegen Mithradates und Tigranes, entgegenführte. Auch gewichtige
Zweckmäßigkeitsgründe sprachen für die Emanzipation der Militärgewalt
von dem Senat. Pompeius konnte nicht vergessen haben, daß ein nach ganz
gleichen Grundsätzen angelegter Plan zur Unterdrückung der Piraterie
wenige Jahre zuvor an der verkehrten Ausführung durch den Senat
gescheitert, daß der Ausgang des Spanischen Krieges durch die
Vernachlässigung der Heere von sehen des Senats und dessen
unverständige Finanzwirtschaft aufs höchste gefährdet worden war; er
konnte nicht übersehen, wie die große Majorität der Aristokratie gegen
ihn, den abtrünnigen Sullaner, gesinnt war und welchem Schicksal er
entgegenging, wenn er als Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen
Kompetenz sich nach dem Osten senden ließ. Begreiflich ist es daher,
daß er als die erste Bedingung der Übernahme des Kommandos eine vom
Senat unabhängige Stellung bezeichnete und daß die Bürgerschaft
bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in hohem Grade
wahrscheinlich, daß Pompeius diesmal durch seine Umgebungen, die über
sein Zurückweichen vor zwei Jahren vermutlich nicht wenig ungehalten
waren, zu rascherem Handeln fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge
über Lucullus’ Abberufung und die Expedition gegen die Piraten wurden
eingebracht von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und
sittlich ruinierten Mann, aber einem gewandten Unterhändler, dreisten
Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernsthaft auch Pompeius’
Beteuerungen gemeint waren, daß er den Oberbefehl in dem
Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und nur nach häuslicher Ruhe
sich sehne, so ist doch davon wahrscheinlich so viel wahr, daß der
kecke und bewegliche Klient, der mit Pompeius und dessen engerem Kreise
im vertraulichen Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen
vollkommen durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehilflichen Patron
die Entscheidung zum guten Teil über den Kopf nahm.
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Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im stillen sein mochten,
konnte doch nicht wohl öffentlich gegen den Gesetzvorschlag auftreten.
Die Durchbringung desselben hätte sie allem Anschein nach auf keinen
Fall zu hindern vermocht, wohl aber durch Opposition dagegen mit
Pompeius offen gebrochen und dadurch ihn genötigt, entweder der
Oligarchie sich zu nähern oder gar beiden Parteien gegenüber seine
persönliche Politik rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten
nichts übrig, als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war,
auch diesmal noch festzuhalten und diese Gelegenheit zu ergreifen, um
wenigstens den Senat endlich definitiv zu stürzen und aus der
Opposition in das Regiment überzugehen, das weitere aber der Zukunft
und Pompeius’ wohlbekannter Charakterschwäche zu überlassen. So
unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor Lucius Quinctius,
derselbe, der sieben Jahre zuvor für die Wiederherstellung der
tribunizischen Gewalt tätig gewesen war, und der gewesene Quästor Gaius
Caesar, die Gabinischen Gesetzvorschläge.
Die privilegierten Klassen waren außer sich, nicht bloß die Nobilität,
sondern ebenso die kaufmännische Aristokratie, die auch ihre
Sonderrechte durch eine so gründliche Staatsumwälzung bedroht fühlte
und wieder einmal ihren rechten Patron in dem Senat erkannte. Als der
Tribun Gabinius nach Einbringung seiner Anträge in der Kurie sich
zeigte, fehlte nicht viel, daß ihn die Väter der Stadt mit eigenen
Händen erwürgt hätten, ohne in ihrem Eifer zu erwägen, wie höchst
unvorteilhaft diese Methode zu argumentieren für sie ablaufen wußte.
Der Tribun entkam auf den Markt und rief die Menge auf, das Rathaus zu
stürmen, als eben zur rechten Zeit noch die Sitzung aufgehoben ward.
Der Konsul Piso, der Vorkämpfer der Oligarchie, der zufällig der Menge
in die Hände geriet, wäre sicher ein Opfer der Volkswut geworden, wenn
nicht Gabinius darüber zugekommen wäre und, um nicht durch unzeitige
Freveltaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu stellen, den Konsul
befreit hätte. Inzwischen blieb die Erbitterung der Menge unvermindert
und fand stets neue Nahrung in den hohen Getreidepreisen und den
zahlreichen, zum Teil ganz tollen Gerüchten, zum Beispiel, daß Lucius
Lucullus die ihm zur Kriegführung überwiesenen Gelder teils in Rom
zinsbar belegt, teils mit denselben den Prätor Quinctius der Sache des
Volkes abwendig zu machen versucht habe; daß der Senat dem “zweiten
Romulus”, wie man Pompeius nannte, das Schicksal des ersten ^2 zu
bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darüber kam der Tag der
Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedrängt stand die Menge auf dem Markte;
bis an die Dächer hinauf waren alle Gebäude, von wo aus die Rednerbühne
gesehen werden konnte, mit Menschen bedeckt. Sämtliche Kollegen des
Gabinius hatten dem Senat die Interzession zugesagt: aber den
brausenden Wogen der Massen gegenüber schwiegen alle bis auf den
einzigen Lucius Trebellius, der sich und dem Senat geschworen hatte,
lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser interzedierte, unterbrach
Gabinius sogleich die Abstimmung über seine Gesetzvorschläge und
beantragte bei dem versammelten Volke, mit seinem widerstrebenden
Kollegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius Gracchus’ Antrag mit dem
Octavius verfahren war, das heißt ihn sofort seines Amtes zu entsetzen.
Es ward abgestimmt und die Verlesung der Stimmtafeln begann; als die
ersten siebzehn Bezirke, die zur Verlesung kamen, sich für den Antrag
erklärten und die nächste bejahende Stimme demselben die Majorität gab,
zog Trebellius, seines Eides vergessend, die Interzession kleinmütig
zurück. Vergeblich bemühte sich darauf der Tribun Otho zu bewirken, daß
wenigstens die Kollegialität gewahrt und statt eines Feldherrn zwei
gewählt werden möchten; vergeblich strengte der hochbejahrte Quintus
Catulus, der geachtetste Mann im Senat, seine letzten Kräfte dafür an,
daß die Unterfeldherren nicht vom Oberfeldherrn ernannt, sondern vom
Volke gewählt werden möchten. Otho konnte in dem Toben der Menge nicht
einmal sich Gehör verschaffen; dem Catulus verschaffte es Gabinius’
wohlberechnete Zuvorkommenheit, und in ehrerbietigem Schweigen horchte
die Menge den Worten des Greises; aber verloren waren sie darum nicht
minder. Die Vorschläge wurden nicht bloß mit allen Klauseln unverändert
zum Gesetz erhoben, sondern auch, was Pompeius noch im einzelnen
nachträglich begehrte, augenblicklich und vollständig bewilligt.
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^2 Der Sage nach ward König Romulus von den Senatoren in Stücke
zerrissen.
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Mit hochgespannten Hoffnungen sah man die beiden Feldherren Pompeius
und Glabrio nach ihren Bestimmungsorten abgehen. Die Kornpreise waren
nach dem Durchgehen der Gabinischen Gesetze sogleich auf die
gewöhnlichen Sätze zurückgegangen: ein Beweis, welche Hoffnungen an die
großartige Expedition und ihren ruhmvollen Führer sich knüpften. Sie
wurden, wie später erzählt wird, nicht bloß erfüllt, sondern
übertroffen; in drei Monaten war die Säuberung der Meere vollendet.
Seit dem Hannibalischen Kriege war die römische Regierung nicht mit
solcher Energie nach außen hin aufgetreten; gegenüber der schlaffen und
unfähigen Verwaltung der Oligarchie hatte die demokratisch-militärische
Opposition auf das glänzendste ihren Beruf dargetan, die Zügel des
Staates zu fassen und zu lenken. Die ebenso unpatriotischen wie
ungeschickten Versuche des Konsuls Piso, den Anstalten des Pompeius zu
Unterdrückung der Piraterie im Narbonensischen Gallien kleinliche
Hindernisse in den Weg zu legen, steigerten nur die Erbitterung der
Bürgerschaft gegen die Oligarchie und ihren Enthusiasmus für Pompeius:
einzig dessen persönliche Dazwischenkunft verhinderte es, daß die
Volksversammlung nicht den Konsul kurzweg seines Amtes entsetzte.
Inzwischen war auf dem asiatischen Festland die Verwirrung nur noch
ärger geworden. Glabrio, der an Lucullus’ Stelle den Oberbefehl gegen
Mithradates und Tigranes übernehmen sollte, war in Vorderasien sitzen
geblieben und hatte zwar durch verschiedene Proklamationen die Soldaten
gegen Lucullus aufgestiftet, aber den Oberbefehl nicht angetreten, so
daß Lucullus denselben fortzuführen gezwungen war. Gegen Mithradates
war natürlich nichts geschehen; die pontischen Reiter plünderten
ungescheut und ungestraft in Bithynien und Kappadokien. Durch den
Piratenkrieg war auch Pompeius veranlaßt worden, sich mit seinem Heer
nach Kleinasien zu begeben; nichts lag näher, als ihm den Oberbefehl in
dem Pontisch-Armenischen Kriege zu übertragen, dem er selbst seit
langem nachtrachtete. Allein die demokratische Partei in Rom teilte
begreiflicherweise die Wünsche ihres Generals nicht und hütete sich
wohl, hierin die Initiative zu ergreifen. Es ist sehr wahrscheinlich,
daß sie den Gabinius bestimmt hatte, den Mithradatischen und den
Piratenkrieg nicht von vornherein beide zugleich an Pompeius, sondern
den ersteren an Glabrio zu übertragen; auf keinen Fall konnte sie jetzt
die Ausnahmestellung des schon allzumächtigen Feldherrn steigern und
verewigen wollen. Auch Pompeius selbst verhielt nach seiner Gewohnheit
sich leidend, und vielleicht wäre er in der Tat nach Vollziehung des
ihm gewordenen Auftrags heimgekehrt, wenn nicht ein allen Parteien
unerwarteter Zwischenfall eingetreten wäre. Ein gewisser Gaius
Manilius, ein ganz nichtiger und unbedeutender Mensch, hatte als
Volkstribun es durch seine ungeschickten Gesetzvorschläge zugleich mit
der Aristokratie und der Demokratie verdorben. In der Hoffnung, sich
unter des mächtigen Feldherrn Flügeln zu bergen, wenn er diesem
verschaffe, was er, wie jedem bekannt war, sehnlichst wünschte, aber
doch zu fordern sich nicht getraute, stellte er bei der Bürgerschaft
den Antrag, die Statthalter Glabrio aus Bithynien und Pontos, Marcius
Rex aus Kilikien abzuberufen und diese Ämter sowie die Führung des
Krieges im Osten, wie es scheint ohne bestimmte Zeitgrenze und
jedenfalls mit der freiesten Befugnis, Frieden und Bündnis zu
schließen, dem Prokonsul der Meere und Küsten neben seinem bisherigen
Amte zu übertragen (Anfang 688 66). Es zeigte hier sich einmal recht
deutlich, wie zerrüttet die römische Verfassungsmaschine war, seit die
gesetzgeberische Gewalt teils der Initiative nach jedem noch so
geringen Demagogen, und der Beschlußfassung nach der unmündigen Menge
in die Hände gegeben, teils auf die wichtigsten Verwaltungsfragen
erstreckt war. Der Manilische Vorschlag war keiner der politischen
Parteien genehm; dennoch fand er kaum irgendwo ernstlichen Widerstand.
Die demokratischen Führer konnten aus denselben Gründen, die sie
gezwungen hatten, das Gabinische Gesetz sich gefallen zu lassen, es
nicht wagen, sich dem Manilischen geradezu zu widersetzen; sie
verschlossen ihren Unwillen und ihre Besorgnisse in sich und redeten
öffentlich für den Feldherrn der Demokratie. Die gemäßigten Optimaten
erklärten sich für den Manilischen Antrag, weil nach dem Gabinischen
Gesetz der Widerstand auf jeden Fall vergeblich war und weiterblickende
Männer schon damals erkannten, daß es für den Senat die richtige
Politik sei, sich Pompeius möglichst zu nähern und bei dem
vorauszusehenden Bruch zwischen ihm und den Demokraten ihn auf ihre
Seite hinüberzuziehen. Die Männer des Schaukelsystems endlich segneten
den Tag, wo auch sie eine Meinung zu haben scheinen und entschieden
auftreten konnten, ohne es mit einer der Parteien zu verderben - es ist
bezeichnend, daß mit der Verteidigung des Manilischen Antrags Marcus
Cicero zuerst die politische Rednerbühne betrat. Einzig die strengen
Optimaten, Quintus Catulus an der Spitze, zeigten wenigstens Farbe und
sprachen gegen den Vorschlag. Natürlich wurde derselbe mit einer an
Einstimmigkeit grenzenden Majorität zum Gesetz erhoben. Pompeius
erhielt dadurch zu seiner früheren ausgedehnten Machtfülle noch die
Verwaltung der wichtigsten kleinasiatischen Provinzen, so daß es
innerhalb der weiten römischen Grenzen kaum noch einen Fleck Landes
gab, der ihm nicht gehorcht hätte, und die Führung eines Krieges, von
dem man, wie von Alexanders Heerfahrt, wohl sagen konnte, wo und wann
er begann, aber nicht, wo und wann er enden möge. Niemals noch, seit
Rom stand, war solche Gewalt in den Händen eines einzigen Mannes
vereinigt gewesen.
Die Gabinisch-Manilischen Anträge beendigten den Kampf zwischen dem
Senat und der Popularpartei, den vor siebenundsechzig Jahren die
Sempronischen Gesetze begonnen hatten. Wie die Sempronischen Gesetze
die Revolutionspartei zunächst als politische Opposition
konstituierten, so ging dieselbe mit den Gabinisch-Manilischen über aus
der Opposition in das Regiment; und wie es ein großartiger Moment
gewesen war, als mit der vergeblichen Interzession des Octavius der
erste Bruch in die bestehende Verfassung geschah, so war es nicht
minder ein bedeutungsvoller Augenblick, als mit dem Rücktritt des
Trebellius das letzte Bollwerk des senatorischen Regiments
zusammenbrach. Auf beiden Seiten ward dies wohl empfunden, und selbst
die schlaffen Senatorenseelen zuckten auf in diesem Todeskampf; aber es
lief doch die Verfassungsfehde in gar anderer und gar viel
kümmerlicherer Weise zu Ende, als sie angefangen hatte. Ein in jedem
Sinne adliger Jüngling hatte die Revolution eröffnet; sie ward
beschlossen durch kecke Intriganten und Demagogen des niedrigsten
Schlages. Wenn andererseits die Optimaten mit gemessenem Widerstand,
mit einer selbst auf den verlorenen Posten ernst ausharrenden
Verteidigung begonnen hatten, so endigten sie mit der Initiative zum
Faustrecht, mit großwortiger Schwäche und jämmerlichem Eidbruch. Es war
nun erreicht, was einst als ein kecker Traum erschienen war: der Senat
hatte aufgehört zu regieren. Aber wenn die einzelnen alten Männer, die
noch die ersten Stürme der Revolution gesehen, die Worte der Gracchen
vernommen hatten, jene Zeit und diese miteinander verglichen, so fanden
sie alles inzwischen verändert, Landschaft und Bürgerschaft,
Staatsrecht und Kriegszucht, Leben und Sitte, und wohl mochte
schmerzlich lächeln, wer die Ideale der Gracchenzeit mit ihrer
Realisierung verglich. Indes solche Betrachtungen gehörten der
Vergangenheit an. Für jetzt und wohl auch für die Zukunft war der Sturz
der Aristokratie eine vollendete Tatsache. Die Oligarchen glichen einer
vollständig aufgelösten Armee, deren versprengte Haufen noch eine
andere Heeresmasse verstärken, aber selbst nirgends mehr das Feld
halten, noch auf eigene Rechnung ein Gefecht wagen konnten. Aber indem
der alte Kampf zu Ende lief, bereitete zugleich ein neuer sich vor: der
Kampf der beiden bisher zum Sturz der aristokratischen Staatsverfassung
verbündeten Mächte, der bürgerlich demokratischen Opposition und der
immer übermächtiger aufstrebenden Militärgewalt. Pompeius’
Ausnahmestellung war schon nach dem Gabinischen, um wie viel mehr nach
dem Manilischen Gesetz mit einer republikanischen Staatsordnung
unvereinbar. Er war, wie schon damals die Gegner mit gutem Grund
sagten, durch das Gabinische Gesetz nicht zum Admiral, sondern zum
Reichsregenten bestellt worden; nicht mit Unrecht heißt er einem mit
den östlichen Verhältnissen vertrauten Griechen “König der Könige”.
Wenn er dereinst, wiederum siegreich und mit erhöhtem Ruhm, mit
gefüllten Kassen, mit schlagfertigen und ergebenen Truppen zurückkehrt
aus dem Osten, nach der Krone die Hand ausstreckte - wer wollte dann
ihm in den Arm fallen? Sollte etwa gegen den ersten Feldherrn seiner
Zeit und seine erprobten Legionen der Konsular Quintus Catulus die
Senatoren aufbieten? Oder der designierte Ädil Gaius Caesar die
städtische Menge, deren Augen er soeben an seinen dreihundertzwanzig
silbergerüsteten Fechterpaaren geweidet hatte? Bald werde man, rief
Catulus, abermals auf die Felsen des Kapitols flüchten müssen, um die
Freiheit zu retten. Es war nicht die Schuld des Propheten, wenn der
Sturm nicht, wie er meinte, von Osten kam, sondern das Schicksal,
buchstäblicher als er selbst es ahnte seine Worte erfüllend, das
vernichtende Unwetter wenige Jahre später aus dem Keltenland
heranführte.
KAPITEL IV.
Pompeius und der Osten
Wir haben früher gesehen, wie trostlos im Osten zu Lande und zur See
die Angelegenheiten Roms standen, als im Anfang des Jahres 687 (67)
Pompeius zunächst die Führung des Krieges gegen die Piraten mit beinahe
unumschränkter Machtvollkommenheit übernahm. Er begann damit, das
ungeheure ihm überwiesene Gebiet in dreizehn Bezirke zu teilen und
jeden derselben einem seiner Unterfeldherren zu überweisen, um daselbst
Schiffe und Mannschaften zu rüsten, die Küsten abzusuchen und die
Piratenboote aufzubringen oder einem der Kollegen ins Garn zu jagen. Er
selbst ging mit dem besten Teil der vorhandenen Kriegsschiffe, unter
denen auch diesmal die rhodischen sich auszeichneten, früh im Jahr in
See und reinigte zunächst die sizilischen, afrikanischen und sardischen
Gewässer, um vor allem die Getreidezufuhr aus diesen Provinzen nach
Italien wieder in Gang zu bringen. Für die Säuberung der spanischen und
gallischen Küsten sorgten inzwischen die Unterfeldherren. Es war bei
dieser Gelegenheit, daß der Konsul Gaius Piso von Rom aus die
Aushebungen zu hemmen versuchte, welche Pompeius’ Legat Marcus
Pomponius kraft des Gabinischen Gesetzes in der Provinz Narbo
veranstaltete - ein unkluges Beginnen, dem zu steuern und zugleich die
gerechte Erbitterung der Menge gegen den Konsul in den gesetzlichen
Schranken zu halten Pompeius vorübergehend wieder in Rom erschien. Als
nach vierzig Tagen im westlichen Becken des Mittelmeers die Schiffahrt
überall freigemacht war, ging Pompeius mit seinen sechzig besten
Fahrzeugen weiter in das östliche Meer, zunächst nach dem Ur- und
Hauptsitz der Piraterie, den lykischen und kilikischen Gewässern. Auf
die Kunde von dem Herannahen der römischen Flotte verschwanden nicht
bloß die Piratenkähne überall von der offenen See; auch die starken
lykischen Festen Antikragos und Kragos ergaben sich, ohne ernstlichen
Widerstand zu leisten. Mehr noch als die Furcht öffnete Pompeius’
wohlberechnete Milde die Tore dieser schwer zugänglichen Seeburgen.
Seine Vorgänger hatten jeden gefangenen Seeräuber ans Kreuz heften
lassen; er gab ohne Bedenken allen Quartier und behandelte namentlich
die auf den genommenen Piratenbooten vorgefundenen gemeinen Ruderer mit
ungewohnter Nachsicht. Nur die kühnen kilikischen Seekönige wagten
einen Versuch, wenigstens ihre eigenen Gewässer mit den Waffen gegen
die Römer zu behaupten: nachdem sie ihre Kinder und Frauen und ihre
reichen Schätze in die Bergschlösser des Taurus geflüchtet hatten,
erwarteten sie die römische Flotte an der Westgrenze Kilikiens, auf der
Höhe von Korakesion. Aber Pompeius’ wohlbemannte und mit allem
Kriegszeug wohlversehene Schiffe erfochten hier einen vollständigen
Sieg. Ohne weiteres Hindernis landete er darauf und begann die
Bergschlösser der Korsaren zu stürmen und zu brechen, während er
fortfuhr, ihnen selbst als Preis der Unterwerfung Freiheit und Leben zu
bieten. Bald gab die große Menge es auf, in ihren Burgen und Bergen
einen hoffnungslosen Krieg fortzusetzen und bequemte sich zur Ergebung.
Neunundvierzig Tage nachdem Pompeius in der östlichen See erschienen,
war Kilikien unterworfen und der Krieg zu Ende. Die rasche
Überwältigung der Piraterie war eine große Erleichterung, aber keine
großartige Tat: mit den Hilfsmitteln des römischen Staates, die in
verschwenderischem Maße waren aufgeboten worden, konnten die Korsaren
so wenig sich messen als die vereinigten Diebesbanden einer großen
Stadt mit einer wohlorganisierten Polizei. Es war naiv, eine solche
Razzia als einen Sieg zu feiern. Aber verglichen mit dem langjährigen
Bestehen und der grenzenlosen, täglich weiter um sich greifenden
Ausdehnung des Übels ist es erklärlich, daß die überraschend schnelle
Überwältigung der gefürchteten Piraten auf das Publikum den
gewaltigsten Eindruck machte; um so mehr, da dies die erste Probe des
in einer Hand zentralisierten Regiments war und die Parteien gespannt
darauf harrten, ob es verstehen werde, besser als das kollegialische zu
regieren. Gegen 400 Schiffe und Boote, darunter 90 eigentliche
Kriegsfahrzeuge, wurden teils von Pompeius genommen, teils ihm
ausgeliefert; im ganzen sollen an 1300 Piratenfahrzeuge zugrunde
gerichtet und außerdem die reichgefüllten Arsenale und Zeughäuser der
Flibustier in Flammen aufgegangen sein. Von den Seeräubern waren gegen
10000 umgekommen, über 20000 dem Sieger lebend in die Hände gefallen,
wogegen Publius Clodius, der Flottenführer der in Kilikien stehenden
römischen Armee, und eine Menge anderer von den Piraten weggeführter,
zum Teil daheim längst tot geglaubter Individuen durch Pompeius ihre
Freiheit wiedererlangten. Im Sommer 687 (67), drei Monate nach dem
Beginn des Feldzugs, gingen Handel und Wandel wieder ihren gewohnten
Gang und anstatt der früheren Hungersnot herrschte in Italien Überfluß.
Ein verdrießliches Zwischenspiel auf der Insel Kreta trübte indes
einigermaßen diesen erfreulichen Erfolg der römischen Waffen. Dort
stand schon im zweiten Jahre Quintus Metellus, beschäftigt, die im
wesentlichen bereits bewirkte Unterwerfung der Insel zu vollenden, als
Pompeius in den östlichen Gewässern erschien. Eine Kollision lag nahe,
denn nach dem Gabinischen Gesetz erstreckte sich Pompeius’ Kommando
konkurrierend mit dem des Metellus auf die ganze Ianggestreckte, aber
nirgends über zwanzig deutsche Meilen breite Insel; doch war Pompeius
so rücksichtsvoll, sie keinem seiner Unterbefehlshaber zu überweisen.
Allein die noch widerstrebenden kretischen Gemeinden, die ihre
unterworfenen Landsleute von Metellus mit der grausamsten Strenge zur
Verantwortung hatten ziehen sehen und dagegen die milden Bedingungen
vernahmen, welche Pompeius den ihm sich ergebenden Ortschaften des
südlichen Kleinasiens zu stellen pflegte, zogen es vor, ihre
Gesamtunterwerfung an Pompeius einzugeben, der sie auch in Pamphylien,
wo er eben sich befand, von ihren Gesandten entgegennahm und ihnen
seinen Legaten Lucius Octavius mitgab, um Metellus den Abschluß der
Verträge anzuzeigen und die Städte zu übernehmen. Kollegialisch war
dies Verfahren freilich nicht; allein das formelle Recht war durchaus
auf seiten des Pompeius und Metellus im offenbarsten Unrecht, wenn er,
den Vertrag der Städte mit Pompeius vollständig ignorierend, dieselben
als feindliche zu behandeln fortfuhr. Vergeblich protestierte Octavius;
vergeblich rief er, da er selbst ohne Truppen gekommen war, aus Achaia
den dort stehenden Unterfeldherrn des Pompeius, Lucius Sisenna, herbei;
Metellus, weder um Octavius noch um Sisenna sich bekümmernd, belagerte
Eleutherna und nahm Lappa mit Sturm, wo Octavius selbst
gefangengenommen und beschimpft entlassen, die mit ihm gefangenen
Kreter aber dem Henker überliefert wurden. So kam es zu förmlichen
Gefechten zwischen Sisennas Truppen, an deren Spitze nach dieses
Führers Tode sich Octavius stellte, und denen des Metellus; selbst als
jene nach Achaia zurückkommandiert worden waren, setzte Octavius in
Gemeinschaft mit dem Kreter Aristion den Krieg fort, und Hierapytna, wo
beide sich hielten, ward von Metellus erst nach der hartnäckigsten
Gegenwehr bezwungen.
In der Tat hatte damit der eifrige Optimat Metellus gegen den
Oberfeldherrn der Demokratie auf eigene Hand den förmlichen Bürgerkrieg
begonnen; es zeugt von der unbeschreiblichen Zerrüttung der römischen
Staatsverhältnisse, daß diese Auftritte zu nichts weiterem führten als
zu einer bitteren Korrespondenz zwischen den beiden Generalen, die ein
paar Jahre darauf wieder friedlich und sogar “freundschaftlich”
nebeneinander im Senate saßen.
Pompeius stand während dieser Vorgänge in Kilikien; für das nächste
Jahr, wie es schien, einen Feldzug vorbereitend gegen die Kretenser
oder vielmehr gegen Metellus, in der Tat des Winkes harrend, der ihn
zum Eingreifen in die gründlich verwirrten Angelegenheiten des
kleinasiatischen Kontinents berief. Was von Lucullus’ Heer nach den
erlittenen Verlusten und der Verabschiedung der Fimbrianischen Legionen
noch übrig war, stand untätig am oberen Halys in der Landschaft der
Trokmer an der Grenze des pontischen Gebietes. Den Oberbefehl führte
einstweilen immer noch Lucullus, da sein ernannter Nachfolger Glabrio
fortfuhr, in Vorderasien zu säumen. Ebenso untätig lagerten in Kilikien
die drei von Quintus Marcius Rex befehligten Legionen. Das pontische
Gebiet war wieder ganz in der Gewalt des Königs Mithradates, der die
einzelnen Männer und Gemeinden, die den Römern sich angeschlossen
hatten, wie zum Beispiel die Stadt Eupatoria, mit grausamer Strenge
ihren Abfall büßen ließ. Zu einer ernsten Offensive gegen die Römer
schritten die Könige des Ostens nicht, sei es daß sie überhaupt nicht
in ihrem Plan lag, sei es, was auch behauptet wurde, daß Pompeius’
Landung in Kilikien die Könige Mithradates und Tigranes bewog, von
weiterem Vorgehen abzustehen. Rascher als Pompeius selbst es gehofft
haben mochte, verwirklichte das Manilische Gesetz seine im stillen
genährten Hoffnungen: Glabrio und Rex wurden abberufen und die
Statthalterschaften Pontus-Bithynien und Kilikien mit den darin
stehenden Truppen sowie die Führung des Pontisch-Armenischen Krieges
nebst der Befugnis, mit den Dynasten des Ostens nach eigenem Gutdünken
Krieg, Frieden und Bündnis zu machen, auf Pompeius übertragen. Über die
Aussicht auf so reiche Ehren und Spolien vergaß Pompeius gern die
Züchtigung eines übellaunigen und seine sparsamen Lorbeerblätter
neidisch hütenden Optimaten, gab den Zug gegen Kreta und die fernere
Verfolgung der Korsaren auf und bestimmte auch seine Flotte zu
Unterstützung des Angriffs, den er gegen die Könige von Pontus und
Armenien entwarf. Doch verlor er über diesen Landkrieg die immer wieder
aufs neue ihr Haupt erhebende Piraterie keineswegs völlig aus den
Augen. Ehe er Asien verließ (691 63), ließ er daselbst noch die nötigen
Schiffe gegen die Korsaren instand setzen; auf seinen Antrag ward das
Jahr darauf für Italien eine ähnliche Maßregel beschlossen und die dazu
nötige Summe vom Senat bewilligt. Man fuhr fort, die Küsten mit
Reiterbesatzungen und kleinen Geschwadern zu decken. Wenn man auch, wie
schon die später zu erwähnenden Expeditionen gegen Kypros 696 (58) und
gegen Ägypten 699 (55) beweisen, der Piraterie nicht durchaus Herr
ward, so hat dieselbe doch nach der Expedition des Pompeius unter allen
Wechselfällen und politischen Krisen Roms niemals wieder so ihr Haupt
emporheben und so völlig die Römer an der See verdrängen können, wie es
unter dem Regiment der verrotteten Oligarchie geschehen war.
Die wenigen Monate, die vor dem Beginn des kleinasiatischen Feldzugs
noch übrig waren, wurden von dem neuen Oberfeldherrn mit angestrengter
Tätigkeit zu diplomatischen und militärischen Vorbereitungen benutzt.
Es gingen Gesandte an Mithradates, mehr um zu kundschaften, als um eine
ernstliche Vermittlung zu versuchen. Am pontischen Hofe hoffte man, daß
der König der Parther, Phraates, durch die letzten bedeutenden Erfolge,
die die Verbündeten über Rom davongetragen hatten, sich zum Eintritt in
das pontisch-armenische Bündnis bestimmen lassen werde. Dem
entgegenzuwirken gingen römische Boten an den Hof von Ktesiphon; und
ihnen kamen die inneren Wirren zu Hilfe, die das armenische
Herrscherhaus zerrissen. Des Großkönigs Tigranes gleichnamiger Sohn
hatte sich gegen seinen Vater empört, sei es daß er den Tod des Greises
nicht abwarten mochte, sei es daß der Argwohn desselben, der schon
mehreren seiner Brüder das Leben gekostet hatte, ihn die einzige
Möglichkeit der Rettung in der offenen Empörung sehen ließ. Vom Vater
überwunden, hatte er mit einer Anzahl vornehmer Armenier sich an den
Hof des Arsakiden geflüchtet und intrigierte dort gegen den Vater. Es
war zum Teil sein Werk, daß Phraates den Lohn für den Beitritt, der ihm
von beiden Seiten geboten ward, den gesicherten Besitz Mesopotamiens,
lieber aus der Hand der Römer nahm und den mit Lucullus hinsichtlich
der Euphratgrenze abgeschlossenen Vertrag mit Pompeius erneuerte, ja
sogar darauf einging, mit den Römern gemeinschaftlich gegen Armenien zu
operieren. Noch größeren Schaden als durch die Förderung des Bündnisses
zwischen den Römern und den Parthern tat der jüngere Tigranes den
Königen Tigranes und Mithradates dadurch, daß sein Aufstand eine
Spaltung zwischen ihnen selbst hervorrief. Der Großkönig näherte im
geheimen den Argwohn, daß der Schwiegervater bei der Schilderhebung
seines Enkels - die Mutter des jüngeren Tigranes, Kleopatra, war die
Tochter Mithradats - die Hand im Spiel gehabt haben möge, und wenn es
auch darüber nicht zum offenen Bruch kam, so war doch das gute
Einverständnis der beiden Monarchen eben in dem Augenblick gestört, wo
sie desselben am dringendsten bedurften.
Zugleich betrieb Pompeius die Rüstungen mit Energie. Die asiatischen
Bundes- und Klientelgemeinden wurden gemahnt, den vertragsmäßigen Zuzug
zu leisten. Öffentliche Anschläge forderten die entlassenen Veteranen
der Legionen Fimbrias auf, als Freiwillige wieder unter die Fahnen
zurückzutreten, und durch große Versprechungen und den Namen des
Pompeius ließ ein ansehnlicher Teil derselben in der Tat sich
bestimmen, dem Rufe zu folgen. Die gesamte Streitmacht, die unter
Pompeius’ Befehlen vereinigt war, mochte mit Ausschluß der Hilfsvölker
sich auf etwa 40-50000 Mann belaufen ^1.
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^1 Pompeius verteilte unter seine Soldaten und Offiziere als
Ehrengeschenk 384 Mill. Sesterzen (= 16000 Talente; App. Mithr. 116);
da die Offiziere 100 Mill. empfingen (Plin. nat. 37, 2, 16), von den
gemeinen Soldaten aber jeder 6000 Sesterzen (Plin., App.), so zählte
das Heer noch bei dem Triumph etwa 40000 Mann.
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Im Frühjahr 688 (66) begab sich Pompeius nach Galatien, um den
Oberbefehl über die Truppen Luculls zu übernehmen und mit ihnen in das
pontische Gebiet einzurücken, wohin die kilikischen Legionen angewiesen
waren zu folgen. In Danala, einer Ortschaft der Trokmer, trafen die
beiden Feldherren zusammen; die Versöhnung aber, die die beiderseitigen
Freunde zu bewirken gehofft hatten, ward nicht erreicht. Die
einleitenden Höflichkeiten gingen bald über in bittere Erörterungen und
diese in heftigen Wortwechsel; man schied verstimmter, als man gekommen
war. Da Lucullus fortfuhr, gleich als wäre er noch im Amte,
Ehrengeschenke zu machen und Ländereien zu verteilen, so erklärte
Pompeius alle nach seinem Eintreffen von seinem Amtsvorgänger
vollzogenen Handlungen für nichtig. Formell war er in seinem Recht;
sittlichen Takt in der Behandlung eines verdienten und mehr als genug
gekränkten Gegners durfte man bei ihm nicht suchen.
Sowie es die Jahreszeit erlaubte, überschritten die römischen Truppen
die pontische Grenze. Gegen sie stand hier mit 30000 Mann zu Fuß und
3000 Reitern König Mithradates. Im Stich gelassen von seinen
Verbündeten und mit verstärkter Macht und Energie von Rom angegriffen,
machte er einen Versuch, Frieden zu erwirken; allein von unbedingter
Unterwerfung, die Pompeius forderte, wollte er nichts hören - was
konnte der unglücklichste Feldzug ihm Schlimmeres bringen? Um sein
Heer, größtenteils Schützen und Reiter, nicht dem furchtbaren Stoß der
römischen Linieninfanterie preiszugeben, wich er langsam vor dem Feinde
zurück und nötigte die Römer, ihm auf seinen Kreuz- und Quermärschen zu
folgen, wobei er, wo Gelegenheit dazu war, mit seiner überlegenen
Reiterei der feindlichen standhielt und den Römern durch die
Erschwerung der Verpflegung nicht geringe Drangsale bereitete.
Ungeduldig gab endlich Pompeius es auf, die pontische Armee zu
begleiten und ging, den König stehen lassend, daran, das Land zu
unterwerfen: er rückte an den oberen Euphrat, überschritt ihn und
betrat die östlichen Provinzen des Pontischen Reiches. Aber auch
Mithradates folgte auf das linke Euphratufer nach, und in der
Anaitischen oder Akilisenischen Landschaft angelangt, verlegte er den
Römern den Weg bei der festen und mit Wasser wohl versehenen Burg
Dasteira, von wo aus er mit seinen leichten Truppen das Blachfeld
beherrschte. Pompeius, immer noch der kilikischen Legionen entbehrend
und ohne sie nicht stark genug, um sich in dieser Lage zu behaupten,
mußte über den Euphrat zurückgehen und in dem waldigen, von
Felsschluchten und Tieftälern vielfach durchschnittenen Terrain des
pontischen Armenien vor den Reitern und Bogenschützen des Königs Schutz
suchen. Erst als die Truppen aus Kilikien eintrafen und es möglich
machten, nun mit Übermacht die Offensive wiederaufzunehmen, ging
Pompeius wieder vor, umschloß das Lager des Königs mit einer
Postenkette von fast vier deutschen Meilen Länge und hielt ihn hier
förmlich blockiert, während die römischen Detachements die Gegend weit
umher durchstreiften. Die Not im pontischen Lager war groß; schon mußte
die Bespannung niedergestoßen werden, endlich nach
fünfundvierzigtägigem Verweilen ließ der König seine Kranken und
Verwundeten, da er sie weder retten konnte, noch dem Feinde in die
Hände fallen lassen wollte, durch die eigenen Leute niedermachen und
brach zur Nachtzeit in möglichster Stille auf gegen Osten. Vorsichtig
folgte Pompeius durch das unbekannte Land; schon näherte der Marsch
sich der Grenze, die Mithradates’ und Tigranes’ Gebiete voneinander
schied. Als der römische Feldherr erkannte, daß Mithradates nicht
innerhalb seines Gebietes den Kampf zur Entscheidung zu bringen,
sondern den Feind in die grenzenlosen Fernen des Ostens sich
nachzuziehen gedenke, entschloß er sich, dies nicht zu gestatten. Die
beiden Heere lagerten hart aneinander. Während der Mittagsrast brach
das römische auf, ohne daß der Feind es bemerkte, umging ihn und
besetzte die vorwärts liegenden und einen vom Feinde zu passierenden
Engpaß beherrschenden Anhöhen am südlichen Ufer des Flusses Lykos
(Jeschil Irmak) unweit des heutigen Enderes, da wo später Nikopolis
erbaut ward. Den folgenden Morgen brachen die Pontiker in gewohnter
Weise auf und, den Feind wie bisher hinter sich vermutend, schlugen sie
nach zurückgelegtem Tagesmarsch ihr Lager eben in dem Tale, dessen
Höhenring die Römer besetzt hatten. Plötzlich erscholl in der Stille
der Nacht rings im Kreise um sie der gefürchtete Schlachtruf der
Legionen und regneten von allen Seiten die Geschosse in die asiatischen
Heerhaufen, in denen Soldaten und Troß, Wagen, Pferde, Kamele sich
durcheinander schoben und in deren dichtem Knäuel trotz der Dunkelheit
kein Geschoß fehlging. Als die Römer sich verschossen hatten, stürmten
sie von den Höhen herab auf die in dem Scheine des inzwischen
aufgegangen Mondes sichtbar gewordenen und fast wehrlos ihnen
preisgegebenen Scharen, und was nicht von dem Eisen der Feinde fiel,
ward in dem fürchterlichen Gedränge unter den Hufen und Rädern
zermalmt. Es war das letzte Schlachtfeld, auf welchem der greise König
mit den Römern gestritten hat. Mit drei Begleitern, zweien seiner
Reiter und einer Kebse, die in Männertracht ihm zu folgen und tapfer
neben ihm zu streiten gewohnt war, entrann er von dort zu der Feste
Sinoria, wo sich ein Teil seiner Getreuen zu ihm fand. Er teilte seine
hier aufbewahrten Schätze, 6000 Talente Goldes (11 Mill. Taler), unter
sie aus, versah sie und sich mit Gift und eilte mit dem ihm gebliebenen
Haufen den Euphrat hinauf, um mit seinem Verbündeten, dem Großkönig von
Armenien, sich zu vereinigen.
Auch diese Hoffnung war eitel; das Bündnis, auf das vertrauend
Mithradates den Weg nach Armenien einschlug, bestand damals bereits
nicht mehr. Während der eben erzählten Kämpfe zwischen Mithradates und
Pompeius war der Partherkönig, dem Drängen der Römer und vor allem dem
des landflüchtigen armenischen Prinzen nachgebend, mit gewaffneter Hand
in das Reich des Tigranes eingefallen und hatte denselben gezwungen,
sich in die unzugänglichen Gebirge zurückzuziehen. Die Invasionsarmee
begann sogar die Belagerung der Hauptstadt Artaxata; allein da dieselbe
sich in die Länge zog, entfernte sich König Phraates mit dem größten
Teil seiner Truppen, worauf Tigranes das zurückgebliebene parthische
Korps und die von seinem Sohn geführten armenischen Emigranten
überwältigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft
wiederherstellte. Begreiflicherweise indes war unter diesen Umständen
der König wenig geneigt, mit den aufs neue siegreichen Römern zu
schlagen, am wenigsten sich für Mithradates aufzuopfern, dem er minder
traute als je, seit ihm die Meldung zugekommen war, daß sein
rebellischer Sohn beabsichtige, sich zu dem Großvater zu begeben. So
knüpfte er mit den Römern Unterhandlungen über einen Sonderfrieden an;
aber er wartete den Abschluß des Vertrages nicht ab, um das Bündnis,
das ihn an Mithradates fesselte, zu zerreißen. An der armenischen
Grenze angelangt, mußte dieser vernehmen, daß der Großkönig Tigranes
einen Preis von 100 Talenten (150000 Taler) auf seinen Kopf gesetzt,
seine Gesandten festgenommen und sie den Römern ausgeliefert habe.
König Mithradates sah sein Reich in den Händen des Feindes, seine
Bundesgenossen im Begriff, mit demselben sich zu vergleichen; es war
nicht möglich, den Krieg fortzusetzen; er mußte sich glücklich
schätzen, wenn es ihm gelang, sich an die Ost- und Nordgestade des
Schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen abtrünnigen und mit den
Römern in Verbindung getretenen Sohn Machares wieder aus dem
Bosporanischen Reiche zu verdrängen und an der Mäotis für neue Entwürfe
einen neuen Boden zu finden. So schlug er sich nordwärts. Als der König
auf der Flucht die alte Grenze Kleinasiens, den Phasis, überschritten
hatte, stellte Pompeius vorläufig seine Verfolgung ein; statt aber in
das Quellgebiet des Euphrat zurückzukehren, wandte er sich seitwärts in
das Gebiet des Araxes, um mit Tigranes ein Ende zu machen. Fast ohne
Widerstand zu finden gelangte er in die Gegend von Artaxata (unweit
Eriwan) und schlug drei deutsche Meilen von der Stadt sein Lager.
Daselbst fand der Sohn des Großkönigs sich zu ihm, der nach dem Sturze
des Vaters das armenische Diadem aus der Hand der Römer zu empfangen
hoffte und darum den Abschluß des Vertrages zwischen seinem Vater und
den Römern in jeder Weise zu hindern bemüht war. Der Großkönig war nur
um so mehr entschlossen, den Frieden um jeden Preis zu erkaufen. Zu
Pferd und ohne Purpurgewand, aber geschmückt mit der königlichen
Stirnbinde und dem königlichen Turban erschien er an der Pforte des
römischen Lagers und begehrte, vor den römischen Feldherrn geführt zu
werden. Nachdem er hier auf Geheiß der Liktoren, wie die römische
Lagerordnung es erheischte, sein Roß und sein Schwert abgegeben hatte,
warf er nach Barbarenart sich dem Prokonsul zu Füßen und legte zum
Zeichen der unbedingten Unterwerfung Diadem und Tiara in seine Hände.
Pompeius, hocherfreut über den mühelosen Sieg, hob den gedemütigten
König der Könige auf, schmückte ihn wieder mit den Abzeichen seiner
Würde und diktierte den Frieden. Außer einer Zahlung von 9 Mill. Talern
(6000 Talente) an die Kriegskasse und einem Geschenk an die Soldaten,
wovon auf jeden einzelnen 50 Denare (15 Taler) kamen, trat der König
alle gemachten Eroberungen wieder ab, nicht bloß die phönikischen,
syrischen, kilikischen, kappadokischen Besitzungen, sondern auch am
rechten Ufer des Euphrat Sophene und Korduene; er ward wieder
beschränkt auf das eigentliche Armenien und mit seinem Großkönigtum war
es von selber vorbei. In einem einzigen Feldzuge hatte Pompeius die
beiden mächtigen Könige von Pontus und Armenien vollständig
unterworfen. Am Anfang des Jahres 688 (66) stand kein römischer Soldat
jenseits der Grenze der altrömischen Besitzungen, am Schlusse desselben
irrte König Mithradates landflüchtig und ohne Heer in den Schluchten
des Kaukasus und saß König Tigranes auf dem armenischen Thron nicht
mehr als König der Könige, sondern als römischer Lehnfürst. Das gesamte
kleinasiatische Gebiet westlich vom Euphrat gehorchte den Römern
unbedingt; die siegreiche Armee nahm ihre Winterquartiere östlich von
diesem Strom auf armenischem Boden, in der Landschaft vom oberen
Euphrat bis an den aus welchem damals zuerst die Italiker ihre Rosse
tränkten.
Aber das neue Gebiet, das die Römer hier betraten, erweckte ihnen neue
Kämpfe. Unwillig sahen die tapferen Völkerschaften des mittleren und
östlichen Kaukasus die fernen Okzidentalen auf ihrem Gebiet lagern. Es
wohnten dort in der fruchtbaren und wasserreichen Hochebene des
heutigen Georgien die Iberer, eine tapfere, wohlgeordnete, ackerbauende
Nation, deren Geschlechtergaue unter ihren Ältesten das Land nach
Feldgemeinschaft bestellten, ohne Sondereigentum der einzelnen Bauern.
Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen teils die
Herrengeschlechter, daraus immer der Älteste der ganzen iberischen
Nation als König, der Nächstälteste als Richter und Heerführer
vorstand, teils besondere Priesterfamilien, denen vornehmlich oblag,
die Kunde der mit anderen Völkern geschlossenen Verträge zu bewahren
und über deren Einhaltung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als
Leibeigene des Königs. Auf einer weit niedrigeren Kulturstufe standen
ihre östlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am unteren Kur
bis zum Kaspischen Meere hinab saßen. Vorwiegend ein Hirtenvolk,
weideten sie, zu Fuß oder zu Pferde, ihre zahlreichen Herden auf den
üppigen Wiesen des heutigen Schirwan; die wenigen Ackerfelder wurden
noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne Schar bestellt. Münze war
unbekannt und über hundert ward nicht gezählt. Jeder ihrer Stämme,
deren sechsundzwanzig waren, hatten seinen eigenen Häuptling und sprach
seinen besonderen Dialekt. An Zahl den Iberern weit überlegen,
vermochten sich die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben
zu messen. Die Fechtart beider Nationen war übrigens im ganzen die
gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurfspießen,
die sie häufig nach Indianerart aus Waldverstecken, hinter Baumstämmen
hervor oder von den Baumwipfeln herab, auf den Feind entsendeten; die
Albaner hatten auch zahlreiche, zum Teil nach medisch-armenischer Art
mit schweren Kürassen und Schienen gepanzerte Reiter. Beide Nationen
lebten auf ihren Äckern und Triften in vollkommener, seit
unvordenklicher Zeit bewahrter Unabhängigkeit. Den Kaukasus scheint
gleichsam die Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die
Völkerfluten aufgerichtet zu haben: an ihm hatten einst die Waffen des
Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden; jetzt schickte die
tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an, sie auch gegen die Römer
zu verteidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, daß der römische
Oberfeldherr im nächsten Frühjahr das Gebirge zu überschreiten und den
pontischen König jenseits des Kaukasus zu verfolgen beabsichtige - den
Mithradates, vernahm man, überwinterte in Dioskurias (Iskuria zwischen
Suchum Kale und Anaklia) am Schwarzen Meer -, überschritten zuerst die
Albaner unter dem Fürsten Oroizes noch im Mittwinter 688/89 (66/65) den
Kur und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in drei größere Korps
unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus und Pompeius selbst
auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der Hauptangriff traf, hielt
tapfer stand und Pompeius selbst verfolgte, nachdem er sich des gegen
ihn geschickten Haufens entledigt, die auf allen Punkten geschlagenen
Barbaren bis an den Kur. Der König der Iberer, Artokes, hielt sich
ruhig und versprach Frieden und Freundschaft; allein Pompeius, davon
benachrichtigt, daß er insgeheim rüste, um die Römer bei ihrem Marsche
in den Pässen des Kaukasus zu überfallen, rückte im Frühjahr 689 (65),
bevor er die Verfolgung des Mithradates wiederaufnahm, vor die beiden
kaum eine halbe deutsche Meile voneinander entfernten Festungen
Harmozika (Horumziche oder Armazi) und Seusamora (Tsumar), welche wenig
oberhalb des heutigen Tiflis die beiden Flußtäler des Kur und seines
Nebenflusses Aragua und damit die einzigen von Armenien nach Iberien
führenden Pässe beherrschen. Artokes, eher er dessen sich versah, vom
Feinde überrascht, brannte eiligst die Kurbrücke ab und wich
unterhandelnd in das innere Land zurück. Pompeius besetzte die
Festungen und folgte den Iberern auf das andere Ufer des Kur, wodurch
er sie zu sofortiger Unterwerfung zu bestimmen hoffte. Artokes aber
wich weiter und weiter in das innere Land zurück, und als er endlich am
Fluß Peloros Halt machte, geschah es nicht, um sich zu ergeben, sondern
um zu schlagen. Allein dem Anprall der Legionen standen doch die
iberischen Schützen keinen Augenblick, und da Artokes auch den Peioros
von den Römern überschritten sah, fügte er sich endlich den
Bedingungen, die der Sieger stellte, und sandte seine Kinder als
Geiseln. Pompeius marschierte jetzt, seinem früher entworfenen Plane
gemäß, durch den Sarapanapaß aus dem Gebiet des Kur in das des Phasis
und von da am Flusse hinab an das Schwarze Meer, wo an der kolchischen
Küste die Flotte unter Servilius bereits seiner harrte. Aber es war ein
unsicherer Gedanke und fast ein wesenloses Ziel, dem zuliebe man Heer
und Flotte an den märchenreichen kolchischen Strand geführt hatte. Der
soeben mühselig zurückgelegte Zug durch unbekannte und meist feindliche
Nationen war nichts, verglichen mit dem, der noch bevorstand; und wenn
es denn wirklich gelang, von der Phasismündung aus die Streitmacht nach
der Krim zu führen, durch kriegerische und arme Barbarenstämme, auf
unwirtlichen und unbekannten Gewässern, längs einer Küste, wo an
einzelnen Stellen die Gebirge lotrecht in die See hinabfallen und es
schlechterdings notwendig gewesen wäre, die Schiffe zu besteigen; wenn
es gelang, diesen Zug zu vollenden, der vielleicht schwieriger war als
die Heerfahrten Alexanders und Hannibals - was ward im besten Falle
damit erzielt, das irgend den Mühen und Gefahren entsprach? Freilich
war der Krieg nicht geendigt, solange der alte König noch unter den
Lebenden war; aber wer bürgte dafür, daß es wirklich gelang, das
königliche Wild zu fangen, um dessentwillen diese beispiellose Jagd
angestellt werden sollte? War es nicht besser, selbst auf die Gefahr
hin, daß Mithradates noch einmal die Kriegsfackel nach Kleinasien
schleudere, von einer Verfolgung abzustehen, die so wenig Gewinn und so
viele Gefahren verhieß? Wohl drängten den Feldherrn zahlreiche Stimmen
im Heer, noch zahlreichere in der Hauptstadt, die Verfolgung unablässig
und um jeden Preis fortzusetzen; aber es waren Stimmen teils
tolldreister Hitzköpfe, teils derjenigen perfiden Freunde, die den
allzumächtigen Imperator gern um jeden Preis von der Hauptstadt
ferngehalten und ihn im Osten in unabsehbare Unternehmungen verwickelt
hätten. Pompeius war ein zu erfahrener und zu bedächtiger Offizier, um
im hartnäckigen Festhalten an einer so unverständigen Expedition seinen
Ruhm und sein Heer auf das Spiel zu setzen; ein Aufstand der Albaner im
Rücken des Heeres gab den Vorwand her, um die weitere Verfolgung des
Königs aufzugeben und die Rückkehr anzuordnen. Die Flotte erhielt den
Auftrag, in dem Schwarzen Meer zu kreuzen, die kleinasiatische
Nordküste gegen jeden feindlichen Einfall zu decken, den Kimmerischen
Bosporus aber streng zu blockieren unter Androhung der Lebensstrafe für
jeden Kauffahrer, der die Blockade brechen würde. Die Landtruppen
führte Pompeius nicht ohne große Beschwerden durch das kolchische und
armenische Gebiet an den unteren Lauf des Kur und weiter, den Strom
überschreitend, in die albanische Ebene. Mehrere Tage mußte das
römische Heer in der glühenden Hitze durch dies wasserarme Blachland
marschieren, ohne auf den Feind zu treffen; erst am linken Ufer des
Abas (wahrscheinlich der sonst Alazonios, jetzt Alasan genannte Fluß)
stellte unter Führung des Koses, Bruders des Königs Oroizes, sich die
Streitmacht der Albaner den Römern entgegen; sie soll mit Einschluß des
von den transkaukasischen Steppenbewohnern eingetroffenen Zuzuges 60000
Mann zu Fuß und 12000 Reiter gezählt haben. Dennoch hätte sie
schwerlich den Kampf gewagt, wenn sie nicht gemeint hätte, bloß mit der
römischen Reiterei fechten zu sollen; aber die Reiter waren nur
vorangestellt und wie diese sich zurückzogen, zeigten sich dahinter
verborgen die römischen Infanteriemassen. Nach kurzem Kampfe war das
Heer der Barbaren in die Wälder versprengt, die Pompeius zu umstellen
und anzuzünden befahl. Die Albaner bequemten sich hierauf, Frieden zu
machen und dem Beispiele der mächtigeren Völker folgend, schlossen alle
zwischen dem Kur und dem Kaspischen Meer sitzenden Stämme mit dem
römischen Feldherrn Vertrag ab. Die Albaner, Iberer und überhaupt die
südlich am und unter dem Kaukasus ansässigen Völkerschaften traten also
wenigstens für den Augenblick in ein abhängiges Verhältnis zu Rom. Wenn
dagegen auch die Völker zwischen dem Phasis und der Mäotis, Kolcher,
Soaner, Heniocher, Zyger, Achäer, sogar die fernen Bastarner dem langen
Verzeichnis der von Pompeius unterworfenen Nationen eingereiht wurden,
so nahm man dabei offenbar es mit dem Begriff der Unterwerfung sehr
wenig genau. Der Kaukasus bewährte sich abermals in seiner
weltgeschichtlichen Bedeutung; wie die persische und die hellenische
fand auch die römische Eroberung an ihm ihre Grenze.
So blieb denn König Mithradates sich selbst und dem Verhängnis
überlassen. Wie einst sein Ahnherr, der Gründer des Pontischen Staates,
sein künftiges Reich zuerst betreten hatte, flüchtend vor den Häschern
des Antigonos und nur von sechs Reitern begleitet, so hatte nun der
Enkel die Grenzen seines Reiches wieder überschreiten und seine und
seiner Väter Eroberungen mit dem Rücken ansehen müssen. Aber die Würfel
des Verhängnisses hatten keinem öfter und launenhafter die höchsten
Gewinste und die gewaltigsten Verluste zugeworfen als dem alten Sultan
von Sinope, und rasch und unberechenbar wechseln die Geschicke im
Osten. Wohl mochte Mithradates jetzt am Abend seines Lebens jeden neuen
Wechselfall mit dem Gedanken hinnehmen, daß auch er nur wieder einen
neuen Umschwung vorbereite und das einzig Stetige der ewige Wandel der
Geschicke sei. War doch die römische Herrschaft der Orientalen im
tiefsten Grunde ihres Wesens unerträglich und Mithradates selbst, im
Guten wie im Bösen, der rechte Fürst des Ostens; bei der Schlaffheit
des Regiments, wie der römische Senat es über die Provinzen übte, und
bei dem gärenden und zum Bürgerkriege reifenden Hader der politischen
Parteien in Rom konnte Mithradates, wenn es ihm glückte, seine Zeit
abzuwarten, gar wohl noch zum drittenmal seine Herrschaft
wiederherstellen. Darum eben, weil er hoffte und plante, solange Leben
in ihm war, blieb er den Römern gefährlich, solange er lebte, als
landflüchtiger Greis nicht minder wie da er mit seinen Hunderttausenden
ausgezogen war, um Hellas und Makedonien den Römern zu entreißen. Der
rastlose alte Mann gelangte im Jahre 689 (85) von Dioskurias unter
unsäglichen Beschwerden teils zu Lande, teils zur See in das Reich von
Pantikapäon, stürzte hier durch sein Ansehen und sein starkes Gefolge
seinen abtrünnigen Sohn Machares vom Thron und zwang ihn, sich selber
den Tod zu geben. Von hier aus versuchte er noch einmal, mit den Römern
zu unterhandeln; er bat, ihm sein väterliches Reich zurückzugeben und
erklärte sich bereit, die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als
Lehnfürst Zins zu entrichten. Allein Pompeius weigerte sich, dem König
eine Stellung zu gewähren, in der er das alte Spiel aufs neue begonnen
haben würde, und bestand darauf, daß er sich persönlich unterwerfe.
Mithradates aber dachte nicht daran, sich dem Feinde in die Hände zu
liefern, sondern entwarf neue und immer ausschweifendere Pläne. Mit
Anspannung aller der Mittel, die seine geretteten Schätze und der Rest
seiner Staaten ihm darboten, rüstete er ein neues, zum Teil aus Sklaven
bestehendes Heer von 36000 Mann, das er nach römischer Art bewaffnete
und einübte, und eine Kriegsflotte; dem Gerücht zufolge beabsichtigte
er durch Thrakien, Makedonien und Pannonien westwärts zu ziehen, die
Skythen in den sarmatischen Steppen, die Kelten an der Donau als
Bundesgenossen mit sich fortzureißen und mit dieser Völkerlawine sich
auf Italien zu stürzen. Man hat dies wohl großartig gefunden und den
Kriegsplan des pontischen Königs mit dem Heereszug Hannibals
verglichen; aber derselbe Entwurf, der in einem genialen Geiste genial
ist, wird eine Torheit in einem verkehrten. Diese beabsichtigte
Invasion der Orientalen in Italien war einfach lächerlich und nichts
als die Ausgeburt einer ohnmächtigen phantasierenden Verzweiflung.
Durch die vorsichtige Kaltblütigkeit ihres Führers blieben die Römer
davor bewahrt, dem abenteuerlichen Gegner abenteuernd zu folgen und in
der fernen Krim einen Angriff abzuwehren, dem, wenn er nicht in sich
selber erstickte, immer noch früh genug am Fuße der Alpen begegnet
ward. In der Tat, während Pompeius, ohne weiter um die Drohungen des
ohnmächtigen Riesen sich zu bekümmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen
beschäftigt war, erfüllten ohne sein Zutun sich im entlegenen Norden
die Geschicke des greisen Königs. Die unverhältnismäßigen Rüstungen
hatten unter den Bosporanern, denen man die Häuser einriß, die Ochsen
vom Pflug spannte und niederstieß, um Balken und Flechsen zum
Maschinenbau zu gewinnen, die heftigste Gärung hervorgerufen. Auch die
Soldaten gingen unlustig an die hoffnungslose italische Expedition.
Stets war Mithradates umgeben gewesen von Argwohn und Verrat; er hatte
nicht die Gabe, Liebe und Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in
früheren Jahren seinen ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genötigt
hatte, im römischen Lager Schutz zu suchen, wie während der Feldzüge
Luculls seine vertrautesten Offiziere Diokles, Phönix, sogar die
namhaftesten römischen Emigranten zum Feind übergegangen waren, so
folgte jetzt, wo sein Stern erblich und der alte, kranke, verbitterte
Sultan keinem mehr als seinen Verschnittenen zugänglich war, noch
rascher Abfall auf Abfall. Der Kommandant der Festung Phanagoria (auf
der asiatischen Küste Kertsch gegenüber), Kastor, erhob zuerst die
Fahne des Aufstandes; er proklamierte die Freiheit der Stadt und
lieferte die in der Festung befindlichen Söhne Mithradats in die Hände
der Römer. Während unter den bosporanischen Städten der Aufstand sich
ausbreitete, Chersonesos (unweit Sevastopol), Theudosia (Kaffa) und
andere sich den Phanagoriten anschlossen, ließ der König seinem Argwohn
und seiner Grausamkeit den Lauf. Auf die Anzeige verächtlicher Eunuchen
hin wurden seine Vertrautesten an das Kreuz geschlagen; die eigenen
Söhne des Königs waren ihres Lebens am wenigsten sicher. Derjenige von
ihnen, der des Vaters Liebling und wahrscheinlich von ihm zum
Nachfolger bestimmt war, Pharnakes, entschloß sich und trat an die
Spitze des Insurgenten. Die Häscher, welche Mithradates sandte, um ihn
zu verhaften, die gegen ihn ausgeschickten Truppen gingen zu ihm über;
das Korps der italischen Überläufer, vielleicht der tüchtigste unter
den Mithradatischen Heerhaufen und ebendarum am wenigsten geneigt, die
abenteuerliche und für die Überläufer besonders bedenkliche Expedition
gegen Italien mitzumachen, erklärte sich in Masse für den Prinzen; die
übrigen Heerabteilungen und die Flotte folgten dem gegebenen Beispiel.
Nachdem die Landschaft und die Armee den König verlassen hatten,
öffnete endlich auch die Hauptstadt Pantikapäon den Insurgenten die
Tore und überlieferte ihnen den alten, in seinem Palaste
eingeschlossenen König. Von der hohen Mauer seiner Burg flehte dieser
den Sohn an, ihm wenigstens das Leben zu gewähren und nicht in das Blut
des Vaters die Hände zu tauchen; aber die Bitte klang übel aus dem
Munde eines Mannes, an dessen eigenen Händen das Blut der Mutter und
das frisch vergossene seines unschuldigen Sohnes Xiphares klebte, und
in seelenloser Härte und Unmenschlichkeit übertraf Pharnakes noch
seinen Vater. Da es nun also zum Tode ging, so beschloß der Sultan,
wenigstens zu sterben, wie er gelebt hatte: seine Frauen, seine Kebse
und seine Töchter, unter diesen die jugendlichen Bräute der Könige von
Ägypten und Kypros, sie alle mußten die Bitterkeit des Todes erleiden
und den Giftbecher leeren, bevor auch er denselben nahm und dann, da
der Trank nicht schnell genug wirkte, einem keltischen Söldner Betuitus
den Nacken zum tödlichen Streiche darbot. So starb im Jahre 691 (63)
Mithradates Eupator, im achtundsechzigsten Jahre seines Lebens, im
siebenundfünfzigsten seiner Regierung, sechsundzwanzig Jahre nachdem er
zum ersten Male gegen die Römer ins Feld gezogen war. Die Leiche, die
König Pharnakes als Belegstück seiner Verdienste und seiner Loyalität
an Pompeius sandte, ward auf dessen Anordnung beigesetzt in den
Königsgräbern von Sinope.
Mithradates’ Tod galt den Römern einem Siege gleich: lorbeerbekränzt,
als hätten sie einen solchen zu melden, erschienen die Boten, welche
dem Feldherrn die Katastrophe berichteten, im römischen Lager von
Jericho. Ein großer Feind ward mit ihm zu Grabe getragen, ein größerer,
als je noch in dem schlaffen Osten einer den Römern erstanden war.
Instinktmäßig fühlte es die Menge; wie einst Scipio mehr noch über
Hannibal als über Karthago triumphiert hatte, so wurde auch die
Überwindung der zahlreichen Stämme des Ostens und des Großkönigs selbst
fast vergessen über Mithradates’ Tod, und bei Pompeius’ feierlichem
Einzug zog nichts mehr die Blicke der Menge auf sich als die
Schildereien, in denen man den König Mithradates als Flüchtling sein
Pferd am Zügel führen, dann ihn sterbend zwischen den Leichen seiner
Töchter niedersinken sah. Wie man auch über die Eigenartigkeit des
Königs urteilen mag, er ist eine bedeutende, im vollen Sinne des Wortes
weltgeschichtliche Gestalt. Er war keine geniale, wahrscheinlich nicht
einmal eine reichbegabte Persönlichkeit; aber er besaß die sehr
respektable Gabe zu hassen, und mit diesem Hasse hat er den ungleichen
Kampf gegen die übermächtigen Feinde ein halbes Jahrhundert hindurch
zwar ohne Erfolg, aber mit Ehren bestanden. Bedeutungsvoller noch als
durch seine Individualität ward er durch den Platz, auf den die
Geschichte ihn gestellt hat. Als der Vorläufer der nationalen Reaktion
des Orients gegen die Okzidentalen hat er den neuen Kampf des Ostens
gegen den Westen eröffnet; und das Gefühl, daß man mit seinem Tode
nicht am Ende, sondern am Anfang sei, blieb den Besiegten wie den
Siegern.
Pompeius inzwischen war, nachdem er im Jahre 689 (65) mit den Völkern
des Kaukasus gekriegt hatte, zurückgegangen in das Pontische Reich und
bezwang daselbst die letzten noch Widerstand leistenden Schlösser,
welche, um dem Räuberunwesen zu steuern, geschleift, die Schloßbrunnen
durch hineingewälzte Felsblöcke unbrauchbar gemacht wurden. Von da
brach er im Sommer 690 (64) nach Syrien auf, um dessen Verhältnisse zu
ordnen.
Es ist schwierig, den aufgelösten Zustand, in dem die syrischen
Landschaften damals sich befanden, anschaulich darzulegen. Zwar hatte
infolge der Angriffe Luculls der armenische Statthalter Magadates im
Jahre 685 (69), diese Provinzen geräumt, und auch die Ptolemäer, so
gern sie die Versuche ihrer Vorfahren, die syrische Küste zu ihrem
Reiche zu fügen, erneuert haben würden, scheuten sich doch, durch die
Okkupation Syriens die römische Regierung zu reizen, um so mehr als
diese noch nicht einmal für Ägypten ihren mehr als zweifelhaften
Rechtstitel reguliert hatte und von den syrischen Prinzen mehrfach
angegangen worden war, sie als die legitimen Erben des erloschenen
Lagidenhauses anzuerkennen. Aber wenn auch die größeren Mächte sich
augenblicklich sämtlich der Einmischung in die Angelegenheiten Syriens
enthielten, so litt das Land doch weit mehr, als es unter einem großen
Krieg hätte leiden können, durch die end- und ziellosen Fehden der
Fürsten, Ritter und Städte. Die faktischen Herren im Seleukidenreich
waren derzeit die Beduinen, die Juden und die Nabatäer. Die
unwirtliche, quell- und baumlose Sandsteppe, die von der Arabischen
Halbinsel aus bis an und über den Euphrat sich hinziehend gegen Westen
bis an den syrischen Gebirgszug und seinen schmalen Küstensaum, gegen
Osten bis zu den reichen Niederungen des Tigris und des unteren Euphrat
reicht, diese asiatische Sahara ist die uralte Heimat der Söhne
Ismaels; seit es eine Überlieferung gibt, finden wir dort den
“Bedawin”, den “Sohn der Wüste”, seine Zelte schlagen und seine Kamele
weiden oder auch auf seinem geschwinden Roß Jagd machen, bald auf den
Stammfeind, bald auf den wandernden Handelsmann. Begünstigt früher
durch König Tigranes, der sich ihrer für seine handelspolitischen Pläne
bediente, nachher durch die vollständige Meisterlosigkeit in dem
syrischen Lande, breiteten diese Kinder der Wüste über das nördliche
Syrien sich aus; namentlich spielten diejenigen Stämme hier politisch
fast die erste Rolle, die durch die Nachbarschaft der zivilisierten
Syrer die ersten Anfänge einer geordneten Existenz in sich aufgenommen
hatten. Die namhaftesten unter diesen Emiren waren Abgaros, der
Häuptling des Araberstammes der Mardaner, den Tigranes um Edessa und
Karrhä im oberen Mesopotamien angesiedelt hatte; dann westlich vom
Euphrat Sampsikeramos, Emir der Araber von Hemesa (Homs) zwischen
Damaskos und Antiocheia und Herr der starken Festung Arethusa; Azizos,
das Haupt einer anderen, in derselben Gegend streifenden Horde;
Alchaudonios, der Fürst der Rhambäer, der schon mit Lucullus sich in
Verbindung gesetzt hatte, und andere mehr. Neben diesen Beduinenfürsten
waren überall dreiste Gesellen aufgetreten, die es den Kindern der
Wüste in dem edlen Gewerbe der Wegelagerung gleich- oder auch
zuvortaten: so Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn, vielleicht der mächtigste
unter diesen syrischen Raubrittern und einer der reichsten Männer
dieser Zeit, der über das Gebiet der Ityräer - der heutigen Drusen - in
den Tälern des Libanos wie an der Küste und über die nördlich
vorliegende Marsyasebene mit den Städten Heliopolis (Baalbek) und
Chalkis gebot und 8000 Reiter aus seiner Tasche besoldete; so
Dionaysios und Kinyras, die Herren der Seestädte Tripolis (Tarablus)
und Byblos (zwischen Tarablus und Beirut); so der Jude Silas in Lysias,
einer Festung unweit Apameia am Orontes.
Im Süden Syriens dagegen schien der Stamm der Juden sich um diese Zeit
zu einer politischen Macht konsolidieren zu wollen. Durch die fromme
und kühne Verteidigung des uralten jüdischen Nationalkultus, den der
nivellierende Hellenismus der syrischen Könige bedrohte, war das
Geschlecht der Hasmonäer oder der Makkabi nicht bloß zum erblichen
Prinzipal und allmählich zu königlichen Ehren gelangt, sondern es
hatten auch die fürstlichen Hochpriester erobernd nach Norden, Osten
und Süden um sich gegriffen. Als der tapfere Jannaeos Alexandros starb
(675 79) erstreckte sich das Jüdische Reich gegen Süden über das ganze
philistäische Gebiet bis an die ägyptische Grenze, gegen Südosten bis
an die des Nabatäerreiches von Petra, von welchem Jannaeos
beträchtliche Strecken am rechten Ufer des Jordan und des Toten Meeres
abgerissen hatte, gegen Norden über Samaria und die Dekapolis bis zum
See Genezareth; schon machte er hier Anstalt, Ptolemais (Acco)
einzunehmen und die Übergriffe der Ityräer erobernd zurückzuweisen. Die
Küste gehorchte den Juden vom Berg Karmel bis nach Rhinokorura mit
Einschluß des wichtigen Gaza - nur Askalon war noch frei -, so daß das
einst vom Meer fast abgeschnittene Gebiet der Juden jetzt mit unter den
Freistätten der Piraterie aufgeführt werden konnte. Wahrscheinlich
hätten, zumal da der armenische Sturm, eben als er sich den Grenzen
Judäas nahte, durch Lucullus’ Dazwischenkunft von dieser Landschaft
abgewendet ward, die begabten Herrscher des Hasmonäischen Hauses ihre
Waffen noch weiter getragen, wenn nicht die Machtentwicklung dieses
merkwürdigen, erobernden Priesterstaates durch innere Spaltungen im
Keime geknickt worden wäre. Der konfessionelle und der nationale
Unabhängigkeitssinn, deren energische Vereinigung den Makkabäerstaat
ins Leben gerufen hatte, traten rasch wieder aus- und sogar
gegeneinander. Der jüdischen Orthodoxie oder dem sogenannten
Pharisäismus genügte die freie Religionsübung, wie sie den syrischen
Herrschern abgetrotzt worden war; ihr praktisches Ziel war eine von dem
weltlichen Regiment wesentlich absehende, aus den Orthodoxen in aller
Herren Ländern zusammengesetzte Judengemeinschaft, welche in der jedem
gewissenhaften Juden obliegenden Steuer für den Tempel zu Jerusalem und
in den Religionsschulen und geistlichen Gerichten ihre sichtbaren
Vereinigungspunkte fand. Dieser von dem staatlichen Leben sich
abwendenden, mehr und mehr in theologischer Gedankenlosigkeit und
peinlichem Zeremonialdienst erstarrenden Orthodoxie gegenüber standen
die Vertreter der nationalen Unabhängigkeit, erstarkt in den
glücklichen Kämpfen gegen die Fremdherrschaft, vorschreitend zu dem
Gedanken einer Wiederherstellung des jüdischen Staates, die Vertreter
der alten großen Geschlechter, die sogenannten Sadduzäer, teils
dogmatisch, indem sie nur die heiligen Bücher selber gelten ließen und
den Vermächtnissen der Schriftgelehrten, das ist der kanonischen
Tradition, nur Autorität, nicht Kanonizität zusprachen ^2; teils und
vor allem politisch, indem sie anstatt des fatalistischen Zuwartens auf
den starken Arm des Herrn Zebaoth das Heil der Nation erwarten lehrten
von den Waffen dieser Welt und von der innerlichen und äußerlichen
Stärkung des in den glorreichen Makkabäerzeiten wiederaufgerichteten
Davidischen Reiches. Jene Orthodoxen fanden ihren Halt in der
Priesterschaft und der Menge; sie bestritten den Hasmonäern die
Legitimität ihrer Hohenpriesterschaft und fochten gegen die bösen
Ketzer mit der ganzen rücksichtslosen Unversöhnlichkeit, womit die
Frommen für den Besitz irdischer Güter zu streiten gewohnt sind. Die
staatliche Partei dagegen stützte sich auf die von den Einflüssen des
Hellenismus berührte Intelligenz, auf das Heer, in dem zahlreiche
pisidische und kilikische Söldner dienten, und auf die tüchtigeren
Könige, welche hier mit der Kirchengewalt rangen, ähnlich wie ein
Jahrtausend später die Hohenstaufen mit dem Papsttum. Mit starker Hand
hatte Jannaeos die Priesterschaft niedergehalten; unter seinen beiden
Söhnen kam es (685f. 69) zu einem Bürger- und Bruderkrieg, indem die
Pharisäer sich dem kräftigen Aristobulos widersetzten und versuchten,
unter der nominellen Herrschaft seines Bruders, des gutmütigen und
schlaffen Hyrkanos, ihre Zwecke zu erreichen. Dieser Zwist brachte
nicht bloß die jüdischen Eroberungen ins Stocken, sondern gab auch
auswärtigen Nationen Gelegenheit, sich einzumischen und dadurch im
südlichen Syrien eine gebietende Stellung zu gewinnen. Zunächst gilt
dies von den Nabatäern. Diese merkwürdige Nation ist oft mit ihren
östlichen Nachbarn, den schweifenden Arabern, zusammengeworfen worden,
aber näher als den eigentlichen Kindern Ismaels ist sie dem aramäischen
Zweige verwandt. Dieser aramäische oder, nach der Benennung der
Okzidentalen, syrische Stamm muß von seinen ältesten Sitzen um Babylon,
wahrscheinlich des Handels wegen, in sehr früher Zeit eine Kolonie an
die Nordspitze des Arabischen Meerbusens ausgeführt haben: dies sind
die Nabatäer auf der Sinaitischen Halbinsel zwischen dem Golf von Suez
und Aila und in der Gegend von Petra (Wadi Musa). In ihren Häfen wurden
die Waren vom Mittelmeer gegen indische umgesetzt; die große südliche
Karawanenstraße, die von Gaza zur Euphratmündung und dem Persischen
Meerbusen lief, führte durch die Hauptstadt der Nabatäer Petra, deren
heute noch prachtvolle Felspaläste und Felsengräber deutlicheres
Zeugnis von der nabatäischen Zivilisation ablegen als die fast
verschollene Überlieferung. Die Pharisäerführer, denen nach Priesterart
der Sieg ihrer Partei um den Preis der Unabhängigkeit und Integrität
des Landes nicht zu teuer erkauft schien, ersuchten den König der
Nabatäer, Aretas, um Hilfe gegen Aristobulos, wofür sie alle von
Jannäos ihm entrissenen Eroberungen an ihn zurückzugeben verhießen.
Daraufhin war Aretas mit angeblich 50000 Mann in das jüdische Land
eingerückt und, verstärkt durch den Anhang der Pharisäer, hielt er den
König Aristobulos in seiner Hauptstadt belagert.
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^2 So verwarfen die Sadduzäer die Engel- und Geisterlehre und die
Auferstehung der Toten. Die meisten überlieferten Differenzpunkte
zwischen Pharisäern und Sadduzäern beziehen sich auf untergeordnete
rituelle, juristische und Kalenderfragen. Charakteristisch ist es, daß
die siegenden Pharisäer diejenigen Tage, an denen sie in den einzelnen
Kontroversen definitiv die Oberhand behalten oder ketzerische
Mitglieder aus dem Oberkonsistorium ausgestoßen hatten, in das
Verzeichnis der Gedenk- und Festtage der Nation eingetragen haben.
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Unter dem Faust- und Fehderecht, die also von einem Ende Syriens zum
andern herrschten, litten natürlich vor allen Dingen die größeren
Städte, wie Antiocheia, Seleukeia, Damaskos, deren Bürger in ihrem
Feldbau wie in ihrem See- und Karawanenhandel sich gelähmt sahen. Die
Bürger von Byblos und Berytos (Beirut) vermochten weder ihre Äcker noch
ihre Schiffe vor den Ityräern zu schützen, die von ihren Berg- und
Seekastellen aus Land und Meer gleich unsicher machten. Die von
Damaskos suchten der Angriffe der Ityräer und des Ptolemaeos dadurch
sich zu erwehren, daß sie sich den entfernteren Königen der Nabatäer
oder der Juden zu eigen gaben. In Antiocheia mischten sich
Sampsikeramos und Azizos in die inneren Fehden der Bürgerschaft und
fast wäre die hellenische Großstadt schon jetzt der Sitz eines
arabischen Emirs geworden. Es waren Zustände, die an die königlosen
Zeiten des deutschen Mittelalters erinnern, als Nürnberg und Augsburg
nicht in des Königs Recht und Gericht, sondern einzig in ihren Wällen
noch Schutz fanden; ungeduldig harrten die syrischen Kaufbürger des
starken Arms, der ihnen Frieden und Verkehrssicherheit wiedergab. An
einem legitimen König übrigens fehlte es in Syrien nicht; man hatte
deren sogar zwei oder drei. Ein Prinz Antiochos aus dem Hause der
Seleukiden war von Lucullus als Herr der nördlichsten syrischen Provinz
Kommagene eingesetzt worden, Antiochos der Asiate, dessen Ansprüche auf
den syrischen Thron sowohl bei dem Senat als bei Lucullus Anerkennung
gefunden hatten, war nach dem Abzug der Armenier in Antiocheia
aufgenommen und daselbst als König anerkannt worden. Ihm war dort
sogleich ein dritter Seleukidenprinz, Philippos, als Nebenbuhler
entgegengetreten, und es hatte die große, fast wie die alexandrinische
bewegliche und oppositionslustige Bürgerschaft von Antiocheia sowie
dieser und jener benachbarte arabische Emir sich eingemischt in den
Familienzwist, der nun einmal von der Herrschaft der Seleukiden
unzertrennlich schien. War es ein Wunder, daß die Legitimität den
Untertanen zum Spott und zum Ekel ward und daß die sogenannten
rechtmäßigen Könige noch etwas weniger im Lande galten als die kleinen
Fürsten und Raubritter?
In diesem Chaos Ordnung zu schaffen, bedurfte es weder genialer
Konzeptionen noch gewaltiger Machtentfaltung, wohl aber der klaren
Einsicht in die Interessen Roms und seiner Untertanen, und der
kräftigen und folgerechten Aufrichtung und Aufrechthaltung der als
notwendig erkannten Institutionen. Die Legitimitätspolitik des Senats
hatte sich sattsam prostituiert; den Feldherrn, den die Opposition ans
Regiment gebracht, durften nicht dynastische Rücksichten leiten,
sondern er hatte einzig darauf zu sehen, daß das Syrische Reich in
Zukunft weder durch Zwist der Prätendenten noch durch die
Begehrlichkeit der Nachbarn der römischen Klientel entzogen werde. Dazu
aber gab es nur einen Weg: daß die römische Gemeinde durch einen von
ihr gesandten Satrapen mit kräftiger Hand die Zügel der Regierung
erfasse, die den Königen des regierenden Hauses mehr noch durch eigene
Verschuldung als durch äußere Unfälle seit langem tatsächlich
entglitten waren. Den Weg schlug Pompeius ein. Antiochos der Asiate
erhielt auf seine Bitte, ihn als den angestammten Herrscher Syriens
anzuerkennen, die Antwort, daß Pompeius einem Könige, der sein Reich
weder zu behaupten noch zu regieren wisse, die Herrschaft nicht einmal
auf die Bitte seiner Untertanen, geschweige denn gegen deren bestimmt
ausgesprochene Wünsche zurückgeben werde. Mit diesem Briefe des
römischen Prokonsuls war das Haus des Seleukos von dem Throne gestoßen,
den es seit zweihundertfünfzig Jahren eingenommen hatte. Antiochos
verlor bald darauf sein Leben durch die Hinterlist des Emirs
Sampsikeramos, als dessen Klient er in Antiocheia den Herrn spielte;
seitdem ist von diesen Schattenkönigen und ihren Ansprüchen nicht
weiter die Rede. Wohl aber war es, um das neue römische Regiment zu
begründen und eine leidliche Ordnung in die verwirrten Verhältnisse zu
bringen, noch erforderlich, mit Heeresmacht in Syrien einzurücken und
all die Störer der friedlichen Ordnung, die während der vieljährigen
Anarchie emporgewachsen waren, durch die römischen Legionen zu
schrecken oder niederzuwerfen. Schon während der Feldzüge im Pontischen
Reiche und am Kaukasus hatte Pompeius den Angelegenheiten Syriens seine
Aufmerksamkeit zugewandt und einzelne Beauftragte und Abteilungen wo es
not tat eingreifen lassen. Aulus Gabinius - derselbe, der als
Volkstribun Pompeius nach dem Osten gesandt hatte - war schon 689 (65)
an den Tigris und sodann quer durch Mesopotamien nach Syrien
marschiert, um die verwickelten Verhältnisse im jüdischen Lande zu
schlichten. Ebenso war das schwer bedrängte Damaskos bereits durch
Lollius und Metellus besetzt worden. Bald nachher traf ein anderer
Adjutant des Pompeius, Marcus Scaurus, in Judäa ein, um die immer neu
wieder daselbst ausbrechenden Fehden beizulegen. Auch Lucius Afrianus,
der während Pompeius’ Expedition nach dem Kaukasus das Kommando über
die römischen Truppen in Armenien führte, hatte von Korduene (dem
nördlichen Kurdistan) aus sich in das obere Mesopotamien begeben und,
nachdem er durch die hilfreiche Teilnahme der in Karrhä angesiedelten
Hellenen den gefährlichen Weg durch die Wüste glücklich zurückgelegt
hatte, die Araber in Osrhoene zur Botmäßigkeit gebracht. Gegen Ende des
Jahres 690 (64), langte dann Pompeius selbst in Syrien an ^3 und
verweilte dort bis zum Sommer des folgenden Jahres, entschlossen
durchgreifend und für jetzt und künftig die Verhältnisse ordnend.
Zurückgehend auf die Zustände des Reiches in den besseren Zeiten der
Seleukidenherrschaft, wurden alle usurpierten Gewalten beseitigt, die
Raubherren aufgefordert, ihre Burgen zu übergeben, die arabischen
Scheichs wieder auf ihr Wüstengebiet beschränkt, die Verhältnisse der
einzelnen Gemeinden definitiv geregelt. Diesen strengen Befehlen
Gehorsam zu verschaffen, standen die Legionen bereit, und ihr
Einschreiten erwies sich insbesondere gegen die verwegenen Raubritter
als notwendig. Silas, der Herr von Lysias, der Herr von Tripolis,
Dionysios, der Herr von Byblos, Kinyras, wurden in ihren Burgen
gefangengenommen und hingerichtet, die Berg- und Seeschlösser der
Ityräer gebrochen, Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn in Chalkis gezwungen, mit
1000 Talenten (1827000 Taler) Lösegeld sich Freiheit und Herrschaft zu
erkaufen. Im übrigen fanden die Befehle des neuen Machthabers
meistenteils widerstandslosen Gehorsam. Nur die Juden schwankten. Die
früher von Pompeius gesandten Vermittler, Gabinius und Scaurus, hatten
- beide, wie es heißt, mit bedeutenden Summen bestochen - im Streite
der beiden Brüder Hyrkanos und Aristobulos zu Gunsten des letzteren
entschieden, auch den König Aretas veranlaßt, die Belagerung von
Jerusalem aufzuheben und sich in seine Heimat zu begeben, wobei er auf
dem Rückweg noch von Aristobulos eine Niederlage erlitt. Als aber
Pompeius in Syrien eintraf, kassierte er die Anordnungen seiner
Untergebenen und wies die Juden an, ihre alte Hochpriesterverfassung,
wie der Senat sie um 593 (61) anerkannt hatte, wieder einzuführen und
wie auf das Fürstentum selbst, so auch auf alle von den Hasmonäischen
Fürsten gemachten Eroberungen zu verzichten. Es waren die Pharisäer,
welche eine Gesandtschaft von zweihundert ihrer angesehensten Männer an
den römischen Feldherrn gesandt und von ihm den Sturz des Königtums
ausgewirkt hatten; nicht zum Vorteil der eigenen Nation, aber wohl zu
dem der Römer, die der Natur der Sache nach auch hier zurückkommen
mußten auf die alten Rechte der Seleukiden und eine erobernde Macht,
wie die des Jannaeos war, innerhalb ihres Reiches nicht dulden konnten.
Aristobulos schwankte, ob es besser sei, das Unvermeidliche geduldig
über sich ergehen zu lassen oder mit den Waffen in der Hand dem
Verhängnis zu erliegen; bald schien er im Begriff, sich Pompeius zu
unterwerfen, bald die nationale Partei unter den Juden zum Kampfe gegen
die Römer aufzurufen. Als endlich, da schon die Legionen vor den Toren
standen, er sich dem Feinde ergab, weigerte sich der entschlossenere
oder fanatisiertere Teil seiner Armee, den Befehlen des unfreien Königs
Folge zu leisten. Die Hauptstadt unterwarf sich; den steilen
Tempelfelsen verteidigte jene fanatische Schar drei Monate hindurch mit
todesmutiger Hartnäckigkeit, bis endlich während der Sabbathruhe der
Belagerten die Belagerer eindrangen, des Heiligtums sich bemächtigten
und die Anstifter dieser verzweifelten Gegenwehr, soweit sie nicht
unter den römischen Schwertern gefallen waren, unter die Beile der
Liktoren sandten. Damit ging der letzte Widerstand in den neu zum
römischen Staat gezogenen Gebieten zu Ende.
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^3 Den Winter 689/90 (65/64) brachte Pompeius noch in der Nähe des
Kaspischen Meeres zu (Dio 37, 7). Im Jahre 690 (64) unterwarf er
zunächst im Pontischen Reiche die letzten noch Widerstand leistenden
Burgen und zog dann langsam, überall die Verhältnisse regelnd, gegen
Süden. Daß die Ordnung Syriens 690 (64) begann, bestätigt sich dadurch,
daß die syrische Provinzialära mit diesem Jahre anhebt und durch
Ciceros Angabe hinsichtlich Kommagenes (ad. Q. fr. 2. 12, 2; vgl. Dio
37, 7). Den Winter 691/90 (64/63) scheint Pompeius in Antiocheia sein
Hauptquartier gehabt zu haben (Ios. bel. Iud. 14, 3, 1 u. 2, wo die
Verwirrung von Niese im Hermes 11, 1877, S. 471 berichtigt worden ist).
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Das von Lucullus begonnene Werk hatte Pompeius vollendet: die bisher
formell selbständigen Staaten Bithynien, Pontus und Syrien waren mit
dem römischen vereinigt, die seit mehr als hundert Jahren als notwendig
erkannte Vertauschung des schwächlichen Klientelsystems mit der
unmittelbaren Herrschaft über die wichtigeren abhängigen Gebiete war
endlich verwirklicht worden, sowie der Senat gestürzt und die
Gracchische Partei ans Ruder gekommen war. Man hatte im Osten neue
Grenzen erhalten, neue Nachbarn, neue freundliche und feindliche
Beziehungen. Neu traten unter die mittelbar römischen Gebiete ein das
Königreich Armenien und die kaukasischen Fürstentümer, ferner das Reich
am Kimmerischen Bosporus, der geringe Überrest der ausgedehnten
Eroberungen Mithradates Eupators, jetzt unter der Regierung seines
Sohnes und Mörders Pharnakes ein römischer Klientelstaat; nur die Stadt
Phanagoria, deren Befehlshaber Kastor das Signal zum Aufstand gegeben
hatte, wurde dafür von den Römern als frei und unabhängig anerkannt.
Nicht gleicher Erfolge konnte man gegen die Nabatäer sich rühmen. König
Aretas hatte zwar, dem Begehren der Römer sich fügend, das jüdische
Land geräumt; allein Damaskos war noch in seinen Händen und das
Nabatäerland nun gar hatte noch kein römischer Soldat betreten. Um dies
zu unterwerfen oder mindestens doch den neuen Nachbarn im arabischen
Lande zu zeigen, daß jetzt am Orontes und am Jordan die römischen Adler
geboten und daß die Zeit vorbei war, wo die syrischen Landschaften als
herrenloses Gut zu brandschatzen jedem freistand, begann Pompeius im
Jahre 691 (63) eine Expedition gegen Petra; allein aufgehalten durch
den Aufstand der Juden, der während dieses Zuges zum Ausbruch kam,
überließ er seinem Nachfolger Marcus Scaurus nicht ungern die
Ausführung der schwierigen Unternehmung gegen die fern inmitten der
Wüste gelegene Nabatäerstadt ^4. In der Tat sah auch Scaurus sich bald
genötigt, unverrichteter Sache umzukehren. Er mußte sich begnügen, in
den Wüsten am linken Ufer des Jordan die Nabatäer zu bekriegen, wo er
sich auf die Juden zu stützen vermochte, aber doch auch nur sehr
unbedeutende Erfolge davontrug. Schließlich überredete der gewandte
jüdische Minister Antipatros aus Idumäa den Aretas, sich die Gewähr
seiner sämtlichen Besitzungen mit Einschluß von Damaskos von dem
römischen Statthalter um eine Geldsumme zu erkaufen; und dies ist denn
der auf den Münzen des Scaurus verherrlichte Friede, wo König Aretas,
das Kamel am Zügel, kniefällig, dem Römer den Ölzweig darreichend
erscheint.
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^4 Zwar lassen Orosius (6, 6) und Dio (37, 15), ohne Zweifel beide nach
Livius, Pompeius bis nach Petra gelangen, auch wohl die Stadt einnehmen
oder gar das Rote Meer erreichen; allein daß er im Gegenteil bald nach
Empfang der Nachricht von dem Tode Mithradats, die ihm auf dem Marsche
nach Jerusalem zukam, aus Syrien nach Pontus zurückging, sagt Plutarch
(Pomp. 41, 42) und wird durch Florus (1, 39) und Josephus (bel. Iud.
14, 3, 3 u. 4) bestätigt. Wenn König Aretas unter den von Pompeius
Besiegten in den Bulletins figuriert, so genügte hierfür sein durch
Pompeius veranlaßter Abzug von Jerusalem.
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Bei weitem folgenreicher als diese neuen Beziehungen der Römer zu den
Armeniern, Iberern, Bosporanern und Nabatäern war die Nachbarschaft, in
welche sie durch die Okkupation Syriens zu dem parthischen Staate
traten. So geschmeidig die römische Diplomatie gegen Phraates
aufgetreten war, als noch der pontische und der armenische Staat
aufrecht standen, so willig damals sowohl Lucullus als Pompeius ihm den
Besitz der Landschaften jenseits des Euphrat zugestanden hatten, so
schroff stellte jetzt der neue Nachbar sich neben den Arsakiden; und
wenn die königliche Kunst, die eigenen Fehler zu vergessen, es ihm
gestattete, mochte Phraates wohl jetzt sich der warnenden Worte
Mithradats erinnern, daß der Parther durch das Bündnis mit den
Okzidentalen gegen die stammverwandten Reiche erst diesen und sodann
sich selber das Verderben bereite. Römer und Parther im Bunde hatten
Armenien zugrunde gerichtet; als es gestürzt war, kehrte Rom, seiner
alten Politik getreu, die Rollen um und begünstigte den gedemütigten
Feind auf Kosten des allzumächtigen Bundesgenossen. Schon die
auffallende Bevorzugung gehört hierher, die der Vater Tigranes seinem
Sohne, dem Verbündeten und Tochtermann des Partherkönigs, gegenüber bei
Pompeius fand; es war eine unmittelbare Beleidigung, als bald nachher
auf Pompeius’ Befehl der jüngere Tigranes mit seiner Familie zur Haft
gebracht und selbst dann nicht freigegeben ward, als sich Phraates bei
dem befreundeten Feldherrn für seine Tochter und seinen Schwiegersohn
verwandte. Aber Pompeius blieb hierbei nicht stehen. Die Landschaft
Korduene, auf welche sowohl Phraates als Tigranes Ansprüche erhoben,
wurde auf Pompeius’ Befehl durch römische Truppen für den letzteren
okkupiert und die im Besitz befindlichen Parther über die Grenze
hinausgeschlagen, ja bis nach Arbela in Adiabene verfolgt, ohne daß die
Regierung von Ktesiphon auch nur vorher gehört worden wäre (689 65).
Weitaus am bedenklichsten jedoch war es, daß die Römer keineswegs
geneigt schienen, die traktatenmäßig festgestellte Euphratgrenze zu
respektieren. Mehrmals marschierten römische, von Armenien nach Syrien
bestimmte Abteilungen quer durch Mesopotamien; der arabische Emir
Abgaros von Osrhoene ward unter auffallend günstigen Bedingungen in die
römische Klientel aufgenommen; ja Oruros, das im oberen Mesopotamien
etwa zwischen Nisibis und dem Tigris 50 deutsche Meilen östlich von dem
kommagenischen Euphratübergang liegt, ward bezeichnet als östlicher
Grenzpunkt der römischen Herrschaft, vermutlich der mittelbaren,
insofern die größere und fruchtbarere nördliche Hälfte Mesopotamiens
von den Römern ebenso wie Korduene dem Armenischen Reiche zugelegt
worden war. Die Grenze zwischen Römern und Parthern ward also statt des
Euphrat die große syrisch-mesopotamische Wüste; und auch dies schien
nur vorläufig. Den parthischen Gesandten, die kamen, um auf das
Einhalten der allerdings, wie es scheint, nur mündlich abgeschlossenen
Verträge hinsichtlich der Euphratgrenze zu dringen, gab Pompeius die
zweideutige Antwort, daß Roms Gebiet sich so weit erstrecke wie sein
Recht. Ein Kommentar zu dieser Rede schien der auffällige Verkehr
zwischen dem römischen Oberfeldherrn und den parthischen Satrapen der
Landschaft Medien und selbst der fernen Provinz Elymais (zwischen
Susiana, Medien und Persien im heutigen Luristan) ^5. Die Statthalter
dieses letzteren, gebirgigen, kriegerischen und entlegenen Landes waren
von je her bestrebt gewesen, eine von dem Großkönig unabhängige
Stellung zu gewinnen; um so verletzender und bedrohlicher war es für
die parthische Regierung, wenn Pompeius von diesem Dynasten die
dargebotene Huldigung annahm. Nicht minder war es bezeichnend, daß der
Titel des “Königs der Könige”, der dem Partherkönig bis dahin auch von
den Römern im offiziellen Verkehr zugestanden worden war, jetzt auf
einmal von ihnen mit dem einfachen Königstitel vertauscht ward. Es war
das mehr noch eine Drohung als eine Verletzung der Etikette. Seit Rom
die Erbschaft der Seleukiden getan, schien es fast, als gedenke man
dort im gelegenen Augenblick auf jene alten Zeiten zurückzugreifen, da
ganz Iran und Turan von Antiocheia aus beherrscht wurden und es doch
kein Parthisches Reich gab, sondern nur eine parthische Satrapie. Der
Hof von Ktesiphon hätte also Grund genug gehabt, mit Rom den Krieg zu
beginnen; es schien die Einleitung dazu, daß er im Jahre 690 (64) wegen
der Grenzfrage ihn an Armenien erklärte. Aber Phraates hatte doch nicht
den Mut, eben jetzt, wo der gefürchtete Feldherr mit seiner starken
Armee an den Grenzen des Parthischen Reiches stand, mit den Römern
offen zu brechen. Als Pompeius Kommissarien sandte, um den Streit
zwischen Parthien und Armenien gütlich beizulegen, fügte Phraates sich
der aufgezwungenen römischen Vermittlung und ließ es sich gefallen, daß
ihr Schiedsspruch den Armeniern Korduene und das nördliche Mesopotamien
zuwies. Bald nachher schmückte seine Tochter mit ihrem Sohne und ihrem
Gemahl den Triumph des römischen Feldherrn. Auch die Parther zitterten
vor der römischen Übermacht; und wenn sie nicht wie die Pontiker und
die Armenier den römischen Waffen erlegen waren, so schien die Ursache
davon nur die zu sein, daß sie es nicht gewagt hatten, den Kampf zu
bestehen.
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^5 Diese Auffassung beruht auf der Erzählung Plutarchs (Pomp. 36),
welche durch Strabons (16, 744) Schilderung der Stellung des Satrapen
von Elymais unterstützt wird. Eine Ausschmückung davon ist es, wenn in
den Verzeichnissen der von Pompeius besiegten Landschaften und Könige
Medien und dessen König Dareios aufgeführt werden (Diod. fr. Vat. p.
140; App. Mithr. 117); und daraus weiter herausgesponnen ist Pompeius’
Krieg mit den Medern (Vell. 2, 40; App. Mithr. 106, 114) und nun gar
der Zug desselben nach Ekbatana (Oros. hist. 6, 5). Eine Verwechselung
mit der fabelhaften gleichnamigen Stadt auf dem Karmel hat hier
schwerlich stattgefunden; es ist einfach jene unleidliche, wie es
scheint aus Pompeius’ großartigen und absichtlich zweideutigen
Bulletins sich herleitende, Übertreibung, die aus seiner Razzia gegen
die Gätuler einen Zug an die afrikanische Westküste (Plut. Pomp. 38),
aus seiner fehlgeschlagenen Expedition gegen die Nabatäer eine
Eroberung der Stadt Petra, aus seinem Schiedsspruch hinsichtlich der
Grenzen Armeniens eine Feststellung der römischen Reichsgrenze jenseits
Nisibis gemacht hat.
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Noch lag es dem Feldherrn ob, die inneren Verhältnisse der
neugewonnenen Landschaften zu regulieren und die Spuren eines
dreizehnjährigen, verheerenden Krieges soweit möglich zu tilgen. Das in
Kleinasien von Lucullus und der ihm beigegebenen Kommission, auf Kreta
von Metellus begonnene Organisationsgeschäft erhielt den endlichen
Abschluß durch Pompeius. Die bisherige Provinz Asia, die Mysien,
Lydien, Phrygien und Karien umfaßte, ward aus einer Grenz- eine
Mittelprovinz; neu eingerichtet wurden die Provinz Bithynien und
Pontus, welche gebildet ward aus dem gesamten ehemaligen Reiche des
Nikomedes und der westlichen Hälfte des ehemaligen pontischen Staates
bis an und über den Halys; die Provinz Kilikien, die zwar schon älter
war, aber doch erst jetzt ihrem Namen entsprechend erweitert und
organisiert ward und auch Pamphylien und Isaurien miteinschloß; die
Provinz Syrien und die Provinz Kreta. Freilich fehlte viel, daß jene
Ländermasse als römischer Territorialbesitz in dem heutigen Sinne des
Wortes hätte betrachtet werden können. Form und Ordnung des Regiments
blieben im wesentlichen, wie sie waren; nur trat an den Platz der
bisherigen Monarchen die römische Gemeinde. Wie bisher bestanden jene
asiatischen Landschaften aus einer bunten Mischung von
Domanialbesitzungen, tatsächlich oder rechtlich autonomen
Stadtgebieten, fürstlichen und priesterlichen Herrschaften und
Königreichen, welche alle für die innere Verwaltung mehr oder minder
sich selbst überlassen waren, übrigens aber bald in milderen, bald in
strengeren Formen von der römischen Regierung und deren Prokonsuln in
ähnlicher Weise abhingen, wie früher von dem Großkönig und dessen
Satrapen. Wenigstens dem Range nach nahm unter den abhängigen Dynasten
den ersten Platz ein der König von Kappadokien, dessen Gebiet schon
Lucullus durch die Belehnung mit der Landschaft Melitene (um Malatia)
bis an den Euphrat erweitert hatte und dem Pompeius noch teils an der
Westgrenze einige von Kilikien abgerissene Bezirke von Kastabala bis
nach Derbe bei Ikonion, teils an der Ostgrenze die am linken
Euphratufer Melitene gegenüber gelegene, anfänglich dem armenischen
Prinzen Tigranes zugedachte Landschaft Sophene verlieh, wodurch also
die wichtigste Euphratpassage ganz in die Gewalt dieses Fürsten kam.
Die kleine Landschaft Kommagene zwischen Syrien und Kappadokien mit der
Hauptstadt Samosata (Samsat) blieb als abhängiges Königtum dem schon
genannten Seleukiden Antiochos ^6: demselben wurden auch die wichtige,
den südlicheren Übergang über den. Euphrat beherrschende Festung
Seleukeia (bei Biradjik) und die nächsten Striche am linken Ufer des
Euphrat zugeteilt und somit dafür gesorgt, daß die beiden
Hauptübergänge über den Euphrat mit einem entsprechenden Gebiet am
östlichen Ufer in den Händen zweier von Rom völlig abhängigen Dynasten
blieben. Neben den Königen von Kappadokien und Kommagene und an
wirklicher Macht ihnen bei weitem überlegen herrschte in Kleinasien der
neue König Deiotarus. Einer der Vierfürsten des um Pessinus ansässigen
Keltenstammes der Tolistoboger und von Lucullus und Pompeius mit den
anderen kleinen römischen Klienten zur Heerfolge aufgeboten, hatte
Deiotarus in diesen Feldzügen, im Gegensatz zu all den schlaffen
Orientalen, seine Zuverlässigkeit und seine Tatkraft so glänzend
bewährt, daß die römischen Feldherren zu seinem galatischen Erbe und
seinen Besitzungen in der reichen Landschaft zwischen Amisos und der
Halysmündung ihm noch die östliche Hälfte des ehemals Pontischen
Reiches mit den Seestädten Pharnakia und Trapezus und das pontische
Armenien bis zur kolchischen und großarmenischen Grenze als Königreich
Klein-Armenien verliehen. Bald nachher vermehrte er sein schon
ansehnliches Gebiet noch durch die Landschaft der keltischen Trokmer,
deren Vierfürsten er verdrängte. So ward der geringe Lehnsmann einer
der mächtigsten Dynasten Kleinasiens, dem die Hut eines wichtigen Teils
der Reichsgrenze anvertraut werden konnte. Vasallen geringerer
Bedeutung waren die übrigen zahlreichen galatischen Vierfürsten, von
denen einer, der Trokmerfürst Bogodiatarus, wegen seiner im
Mithradatischen Kriege bewährten Tüchtigkeit von Pompeius mit der
ehemals pontischen Grenzstadt Mithradation beschenkt ward; der Fürst
von Paphlagonien, Attalos, der sein Geschlecht auf das alte
Herrscherhaus der Pylämeniden zurückführte; Aristarchos und andere
kleine Herren im kolchischen Gebiet; Tarkondimotos, der im östlichen
Kilikien in den Bergtälern des Amanos gebot; Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn,
der fortfuhr, in Chalkis am Libanos zu herrschen; der Nabatäerkönig
Aretas als Herr von Damaskos; endlich die arabischen Emirs in den
Landschaften dies- und jenseits des Euphrat, Abgaros in Osrhoene, den
die Römer, um ihn als vorgeschobenen Posten gegen die Parther zu
benutzen, auf alle Weise in ihr Interesse zu ziehen sich bemühten,
Sampsikeramos in Hemesa, Alchaudonios der Rhambäer, ein anderer Emir in
Bostra. Dazu kamen ferner die geistlichen Herren, die im Osten häufig
gleich den weltlichen Dynasten über Land und Leute geboten, und an
deren in dieser Heimat des Fanatismus fest gegründeter Autorität zu
rütteln oder auch nur die Tempel ihrer Schätze zu berauben die Römer
klüglich sich enthielten: der Hochpriester der Göttin Mutter in
Pessinus; die beiden Hochpriester der Göttin Ma in dem kappadokischen
Komana (am oberen Saros) und in der gleichnamigen pontischen Stadt
(Gümenek bei Tokat), welche beide Herren in ihren Landschaften nur dem
König an Macht nachstanden und deren jeder noch in viel späterer Zeit
ausgedehnte Liegenschaften mit eigener Gerichtsbarkeit und an
sechstausend Tempelsklaven besaß - mit dem pontischen Hochpriesteramt
ward Archelaos, der Sohn des gleichnamigen, von Mithradates zu den
Römern übergegangenen Feldherrn, von Pompeius belehnt -; der
Hochpriester des Venasischen Zeus in dem kappadokischen Amt Morimene,
dessen Einkünfte sich auf jährlich 23300 Taler (15 Talente) beliefen;
der “Erzpriester und Herr” desjenigen Gebiets im Rauhen Kilikien, wo
Teukros, des Aias Sohn, dem Zeus einen Tempel gegründet hatte, welche
seine Nachkommen kraft Erbrechts vorstanden; der “Erzpriester und Herr
des Volkes” der Juden, dem Pompeius, nachdem er die Mauern der
Hauptstadt und die königlichen Schatz- und Zwingburgen im Lande
geschleift hatte, unter ernstlicher Verwarnung, Friede zu halten und
nicht weiter auf Eroberungen auszugehen, die Vorstandschaft seiner
Nation zurückgab. Neben diesen weltlichen und geistlichen Potentaten
standen die Stadtgemeinden. Zum Teil waren dieselben zu größeren
Verbänden zusammengeordnet, welche einer verhältnismäßigen
Selbständigkeit sich erfreuten, wie namentlich der wohlgeordnete und
zum Beispiel der Teilnahme an der wüsten Piratenwirtschaft stets
ferngebliebene Bund der dreiundzwanzig lykischen Städte; wogegen die
zahlreichen vereinzelt stehenden Gemeinden, selbst wenn sie die
Selbstregierung verbrieft erhalten hatten, tatsächlich von den
römischen Statthaltern durchaus abhängig waren. Die Römer verkannten es
nicht, daß mit der Aufgabe, den Hellenismus zu vertreten und im Osten
Alexanders Marken zu schirmen und zu erweitern, vor allem die Hebung
des städtischen Wesens ihnen zur Pflicht geworden war; denn wenn die
Städte überall die Träger der Gesittung sind, so faßte vor allem der
Antagonismus der Orientalen und Okzidentalen in seiner ganzen Schärfe
sich zusammen in dem Gegensatz der orientalischen,
militärisch-despotischen Lebenshierarchie und des hellenisch-italischen
gewerb- und handeltreibenden städtischen Gemeinwesens. Lucullus und
Pompeius, sowenig sie auch sonst auf die Nivellierung der Zustände im
Osten ausgingen, und sosehr auch der letztere in Detailfragen die
Anordnungen seines Vorgängers zu meistern und zu ändern geneigt war,
trafen doch vollständig zusammen in dem Grundsatz, das städtische Wesen
in Kleinasien und Syrien bach Kräften zu fördern. Kyzikos, an dessen
kräftiger Gegenwehr die erste Heftigkeit des letzten Krieges sich
gebrochen hatte, empfing von Lucullus eine beträchtliche Erweiterung
seines Gebietes. Das pontische Herakleia, wie energisch es auch den
Römern widerstanden hatte, erhielt dennoch sein Gebiet und seine Häfen
zurück, und Cottas barbarisches Wüten gegen die unglückliche Stadt
erfuhr im Senat den schärfsten Tadel. Lucullus hatte es tief und
aufrichtig beklagt, daß das Schicksal ihm das Glück versagt hatte,
Sinope und Amisos von der Verheerung durch die pontische und die eigene
Soldateska zu erretten; er tat wenigstens, was er vermochte, um sie
wiederherzustellen, erweiterte ansehnlich ihre Gebiete, bevölkerte sie
aufs neue teils mit den alten Bewohnern, die auf seine Einladung
scharenweise in die geliebte Heimat zurückkehrten, teils mit neuen
Ansiedlern hellenischer Abstammung und sorgte für den Wiederaufbau der
zerstörten Gebäude. In gleichem Sinn und in noch größerem Maßstab
verfuhr Pompeius. Schon nach der Überwindung der Piraten hatte er die
Gefangenen, deren Zahl 20000 überstieg, statt nach dem Beispiel seiner
Vorgänger sie zu kreuzigen, angesiedelt teils in den verödeten Städten
des Ebenen Kilikien, wie in Mallos, Adana, Epiphaneia, und besonders in
Soloi, das seitdem den Namen der Pompeiusstadt (Pompeiopolis) führte,
teils in Dyme in Achaia, ja sogar in Tarent. Die Piratenkolonisierung
fand vielfachen Tadel ^7, da sie gewissermaßen auf das Verbrechen eine
Belohnung zu setzen schien; in der Tat war sie politisch und sittlich
wohl gerechtfertigt, denn wie die Dinge damals standen, war die
Piraterie etwas anderes als Räuberei und die Gefangenen billig, nach
Kriegsrecht zu behandeln. Vor allen Dingen aber ließ Pompeius es sich
angelegen sein, in den neuen römischen Provinzen das städtische Wesen
emporzubringen. Wie städtearm das Pontische Reich war, ward schon
bemerkt; die meisten Distrikte Kappadokiens hatten noch ein Jahrhundert
später keine Städte, sondern nur Bergfestungen als Zufluchtsort für die
ackerbauende Bevölkerung im Kriege: im ganzen östlichen Kleinasien wird
es, abgesehen von den sparsam gesäten griechischen Kolonien an den
Küsten, zu dieser Zeit nicht anders gewesen sein. Die Zahl der von
Pompeius in diesen Landschaften neu gegründeten Städte wird
einschließlich der kilikischen Ansiedlungen auf neununddreißig
angegeben, von denen mehrere zu hoher Blüte gelangten. Die namhaftesten
dieser Ortschaften in dem ehemaligen Pontischen Reiche sind Nikopolis,
die “Siegesstadt”, gegründet an dem Orte, wo Mithradates die letzte
einschneidende Niederlage erlitt - das schönste Siegesdenkmal des
trophäenreichen Feldherrn; Megalopolis, nach Pompeius’ Beinamen
genannt, an der Grenze von Kappadokien und Klein-Armenien, das spätere
Sebasteia (jetzt Siwas); Ziela, wo die Römer die unglückliche Schlacht
lieferten, eine um den dasigen Tempel der Anaitis entstandene und
bisher dem Hochpriester derselben eigene Ortschaft, der Pompeius
städtische Form und städtisches Recht gab; Diopolis, früher Kabeira,
später Neo-Caesarea (Niksar), gleichfalls eine der Walstätten des
letzten Krieges; Magnopolis oder Pompeiopolis, das wiederhergestellte
Eupatoria am Zusammenfluß des Lykos und des Iris, ursprünglich von
Mithradates erbaut, aber wegen des Abfalls der Stadt zu den Römern
wieder von ihm zerstört; Neapolis, sonst Phazemon, zwischen Amaseia und
dem Halys. Die meisten dieser Stadtgründungen wurden nicht durch
Kolonisten aus der Ferne bewirkt, sondern durch Niederlegung der Dörfer
und Zusammenziehung ihrer Bewohnerin den neuen Mauerring; nur in
Nikopolis siedelte Pompeius die Invaliden und Bejahrten seiner Armee
an, die es vorzogen, statt später in Italien, hier sofort eine Heimat
sich zu gründen. Aber auch an anderen Orten entstanden auf den Wink des
Machthabers neue Brennpunkte der hellenischen Zivilisation. In
Paphlagonien bezeichnete ein drittes Pompeiupolis die Stätte, wo
Mithradates’ Armee im Jahre 666 (88) den großen Sieg über die Bithyner
erfocht. In Kappadokien, das vielleicht mehr als irgendeine andere
Provinz durch den Krieg gelitten hatte, wurden die Residenz Mazaka
(später Caesarea, jetzt Kayseri) und sieben andere Ortschaften von
Pompeius wiederhergestellt und städtisch eingerichtet. In Kilikien und
Koilesyrien zählte man zwanzig von Pompeius angelegte Städte. In den
von den Juden geräumten Distrikten erhob sich Gadara in der Dekapolis
auf Pompeius’ Befehl aus seinen Trümmern und ward die Stadt Seleukis
gegründet. Bei weitem der größte Teil des auf dem asiatischen Kontinent
zur Verfügung stehenden Domaniallandes muß von Pompeius für seine neuen
Ansiedlungen verwandt worden sein, wogegen auf Kreta, um das Pompeius
sich wenig oder gar nicht kümmerte, der römische Domanialbesitz
ziemlich ausgedehnt geblieben zu sein scheint.
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^6 Der Krieg, den dieser Antiochos mit Pompeius geführt haben soll
(App. Mithr. 106, 117), stimmt sehr wenig zu dem Vertrag, den derselbe
mit Lucullus abschloß (Dio 36, 4) und seinem ungestörten Verbleiben in
der Herrschaft; vermutlich ist auch er bloß daraus herausgesponnen, daß
Antiochos von Kommagene unter den von Pompeius unterworfenen Königen
figurierte.
^7 Hierauf zielt vermutlich Ciceros Vorwurf (off. 3, 12, 49): piratas
immunes habemus, socios vectigales; insofern nämlich jene
Piratenkolonien wahrscheinlich von Pompeius zugleich mit der Immunität
beschenkt wurden, während bekanntlich die von Rom abhängigen
Provinzialgemeinden durchschnittlich steuerpflichtig waren.
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Nicht minder wie auf Gründung neuer Ortschaften war Pompeius darauf
bedacht, die bestehenden Gemeinden zu ordnen und zu heben. Die
eingerissenen Mißbräuche und Usurpationen wurden nach Vermögen
abgestellt; ausführliche und für die verschiedenen Provinzen mit
Sorgfalt entworfene Gemeindeordnungen regelten im einzelnen das
Munizipalwesen. Eine Reihe der ansehnlichsten Städte ward mit neuen
Privilegien beschenkt. Die Autonomie erhielten Antiocheia am Orontes,
die bedeutendste Stadt des römischen Asien und nur wenig zurückstehend
hinter dem ägyptischen Alexandreia und hinter dem Bagdad des Altertums,
der Stadt Seleukeia im Parthischen Reiche, ferner die Nachbarstadt von
Antiocheia, das persische Seleukeia, das damit für seine mutige
Gegenwehr gegen Tigranes den Lohn empfing; Gaza und überhaupt alle von
der jüdischen Herrschaft befreite Städte; in Vorderasien Mytilene;
Phanagoria am Schwarzen Meer.
So war der Bau des asiatischen Römerstaates vollendet, der mit seinen
Lehnkönigen und Vasallen, den gefürsteten Priestern und der Reihe ganz-
und halbfreier Städte lebhaft erinnert an das Heilige Römische Reich
Deutscher Nation. Er war kein Wunderwerk, weder hinsichtlich der
überwundenen Schwierigkeiten, noch hinsichtlich der erreichten
Vollendung, und ward es auch nicht durch all die großen Worte, mit
denen in Rom die vornehme Welt zu Gunsten des Lucullus, die lautere
Menge zum Preise des Pompeius freigebig waren. Pompeius namentlich ließ
sich feiern und feierte sich selbst in einer Weise, daß man ihn fast
für noch schwachköpfiger hätte halten mögen, als er in der Tat war.
Wenn die Mytilenäer ihm eine Bildsäule errichteten als ihrem Erretter
und Gründer, als demjenigen, der die den Erdkreis erfüllenden Kriege
sowohl zu Lande wie zur See beendigt, so mochte eine solche Huldigung
für den Bezwinger der Piraten und der Reiche des Ostens nicht allzu
überschwenglich scheinen. Aber die Römer übertrafen diesmal die
Griechen. Pompeius’ eigene Triumphalinschriften rechneten 12 Millionen
unterworfener Seelen und 1538 eroberte Städte und Burgen heraus - es
schien, als solle die Quantität die Qualität ersetzen - und erstreckten
den Kreis seiner Siege vom Mäotischen zum Kaspischen, von diesem zum
Roten Meer, von welchen drei Meeren er keines je mit Augen gesehen hat;
ja wenn er es auch nicht geradezu sagte, so veranlaßte er doch das
Publikum zu meinen, daß die Einziehung Syriens, die wahrlich keine
Heldentat war, den ganzen Osten bis nach Baktrien und Indien zum
Römischen Reiche gebracht habe - in so nebelhafte Ferne verschwamm in
seinen Angaben die Grenzlinie seiner östlichen Eroberungen. Die
demokratische Servilität, die zu allen Zeiten mit der höfischen
gewetteifert hat, ging bereitwillig auf dergleichen geschmacklosen
Schwindel ein. Ihr genügte nicht der pomphafte Triumphalzug, der am 28.
und 29. September 593 (61), dem sechsundvierzigsten Geburtstag Pompeius
des Großen, durch die Gassen Roms sich bewegte, verherrlicht, um von
den Kleinodien aller Art zu schweigen, durch die Kroninsignien
Mithradats und durch die Kinder der drei mächtigsten Könige Asiens, des
Mithradates, Tigranes und Phraates: sie lohnte ihrem Feldherrn, der
zweiundzwanzig Könige besiegt, dafür mit königlichen Ehren und verlieh
ihm den goldenen Kranz und die Insignien der Magistratur auf
Lebenszeit. Die ihm zu Ehren geschlagenen Münzen zeigen gar die
Weltkugel zwischen dem dreifachen, aus den drei Weltteilen
heimgebrachten Lorbeer und über ihr schwebend jenen dem Triumphator
über Afrika, Spanien und Asien von der Bürgerschaft verehrten
Goldkranz. Es kann solchen kindischen Huldigungen gegenüber nicht
wundernehmen, daß auch im entgegengesetzten Sinne Stimmen laut wurden.
Unter der römischen vornehmen Welt war es eine geläufige Rede, daß das
eigentliche Verdienst der Unterwerfung des Ostens Lucullus zukomme und
Pompeius nur nach dem Osten gegangen sei, um Lucullus zu verdrängen und
die von fremder Hand gebrochenen Lorbeeren um die eigene Stirn zu
flechten. Beides war vollständig falsch; nicht Pompeius, sondern
Glabrio ward nach Asien gesandt, um Lucullus abzulösen, und wie wacker
auch Lucullus gefochten, es war Tatsache, daß, als Pompeius den
Oberbefehl übernahm, die Römer all ihre früheren Erfolge wieder
eingebüßt und keinen Fußbreit pontischen Bodens innehatten. Mehr zum
Ziele traf der Spott der Hauptstädter, die nicht ermangelten, dem
mächtigen Besieger des Erdballs die Namen der von ihm überwundenen
Großmächte als Spitznamen beizulegen und ihn bald als “Sieger von
Salem” bald als “Emir” (Arabarches), bald als den römischen
Sampsikeramos begrüßten. Der unbefangene Urteiler wird indes weder in
jene Überschwenglichkeiten noch in diese Verkleinerungen einstimmen.
Lucullus und Pompeius haben, indem sie Asien unterwarfen und ordneten,
sich nicht als Helden und Staatsschöpfer bewährt, aber wohl als
einsichtige und kräftige Heerführer und Statthalter. Als Feldherr
bewies Lucullus nicht gemeine Talente und ein an Verwegenheit
grenzendes Selbstvertrauen, Pompeius militärische Einsicht und eine
seltene Zurückhaltung, wie denn kaum je ein General mit solchen
Streitkräften und einer so vollkommen freien Stellung so vorsichtig
aufgetreten ist wie Pompeius im Osten. Die glänzendsten Aufgaben trugen
von allen Seiten sich ihm gleichsam selber an: er konnte nach dem
Kimmerischen Bosporus und gegen das Rote Meer hin aufbrechen; er hatte
Gelegenheit, den Parthern den Krieg zu erklären; die aufständischen
Landschaften Ägyptens luden ihn ein, den von Rom nicht anerkannten
König Ptolemaeos vom Thron zu stoßen und das Testament Alexanders in
Vollzug zu setzen; aber Pompeius ist weder nach Pantikapäon noch nach
Petra, weder nach Ktesiphon noch nach Alexandreia gezogen; durchaus
pflückte er nur diejenigen Früchte, die ihm von selber in die Hand
fielen. Ebenso schlug er alle seine Schlachten zur See wie zu Lande mit
einer erdrückenden Übermacht. Wäre diese Mäßigung hervorgegangen aus
dem strengen Einhalten der erteilten Instruktionen, wie Pompeius
vorzugehen pflegte, oder auch aus der Einsicht, daß Roms Eroberungen
irgendwo eine Grenze finden müßten und neuer Gebietszuwachs dem Staat
nicht förderlich sei, so würde sie ein höheres Lob verdienen, als die
Geschichte es dem talentvollsten Offizier erteilt; allein wie Pompeius
war, ist seine Zurückhaltung ohne Zweifel einzig das Resultat des ihm
eigentümlichen Mangels an Sicherheit und an Initiative - Mängel
freilich, die dem Staate in diesem Falle weit nützlicher wurden als die
entgegengesetzten Vorzüge seines Vorgängers. Allerdings sind auch von
Lucullus wie von Pompeius sehr arge Fehler begangen worden. Lucullus
erntete deren Früchte selbst, indem sein unbesonnenes Verfahren ihm
alle Resultate seiner Siege wieder entriß; Pompeius überließ es seinen
Nachfolgern, die Folgen seiner falschen Politik gegen die Parther zu
tragen. Er konnte diese entweder bekriegen, wenn er dessen sich
getraute, oder mit ihnen Frieden halten und, wie er versprochen, den
Euphrat als Grenze anerkennen; zu jenem war er zu zaghaft, zu diesem zu
eitel, und so kam er denn zu der einfältigen Perfidie, die gute
Nachbarschaft, die der Hof von Ktesiphon wünschte und seinerseits übte,
durch die maßlosesten Übergriffe unmöglich zu machen, dennoch aber dem
Feinde zu gestatten, sich die Zeit des Bruches und der Vergeltung
selber wählen zu dürfen. Als Verwalter Asiens erwarb Lucullus ein mehr
als fürstliches Vermögen, und auch Pompeius empfing als Lohn für seine
Organisation von dem König von Kappadokien, von der reichen Stadt
Antiocheia und anderen Herren und Gemeinden große Barsummen und noch
ansehnlichere Schuldverschreibungen. Indes dergleichen Erpressungen
waren fast eine gewohnheitsmäßige Steuer geworden, und beide Feldherren
bewiesen doch nicht gerade in wichtigeren Fragen sich käuflich, ließen
auch womöglich sich von der Partei bezahlen, deren Interessen mit denen
Roms zusammenfielen. Wie die Zeiten einmal waren, hindert dies nicht,
die Verwaltung beider Männer als eine relativ löbliche und zunächst im
Interesse Roms, demnächst in dem der Provinzialen geführte zu
bezeichnen. Die Verwandlung der Klienten in Untertanen, die bessere
Regulierung der Ostgrenze, die Begründung eines einheitlichen und
starken Regiments waren segensreich für die Herrscher wie für die
Beherrschten. Der finanzielle Gewinn, den Rom machte, war unermeßlich;
die neue Vermögenssteuer, die mit Ausnahme einzelner, besonders
befreiter Gemeinden all jene Fürsten, Priester und Städte nach Rom zu
zahlen hatten, steigerte die römischen Staatseinnahmen fast um die
Hälfte ihres bisherigen Betrags. Freilich litt Asien schwer. Pompeius
legte an Geld und Kleinodien einen Betrag von 15 Mill. Talern (200
Mill. Sesterzen) in die Staatskasse nieder und verteilte 29 Millionen
(16000 Talente) unter seine Offiziere und Soldaten; wenn man hierzu die
bedeutenden von Lucullus heimgebrachten Summen, die nichtoffiziellen
Erpressungen der römischen Armee und den Betrag der Kriegsschäden
selbst rechnet, so ist die finanzielle Erschöpfung des Landes
begreiflich. Die römische Besteuerung Asiens war vielleicht an sich
nicht schlimmer als die der früheren Regenten, aber lastete doch
insofern schwerer auf dem Lande, als die Abgaben fortan in das Ausland
gingen und nur zum kleineren Teil wieder in Asien verwandt wurden; und
auf jeden Fall war sie in den alten wie in den neugewonnenen Provinzen
basiert auf die systematische Ausbeutung der Landschaften zu Gunsten
Roms. Aber die Verantwortung hierfür trifft weit weniger die Feldherren
persönlich als die Parteien daheim, auf die jene Rücksicht zu nehmen
hatten; Lucullus war sogar energisch bemüht, dem wucherischen Treiben
der römischen Kapitalisten in Asien Schranken zu setzen, und sein Sturz
ward wesentlich mit hierdurch herbeigeführt. Wie sehr es beiden Männern
Ernst damit war, die heruntergekommenen Landschaften wieder in die Höhe
zu bringen, beweist ihre Tätigkeit da, wo keine Rücksichten der
Parteipolitik ihnen die Hände banden, namentlich ihre Fürsorge für die
kleinasiatischen Städte. Wenn auch noch Jahrhunderte später manches in
Ruinen liegende asiatische Dorf an die Zeiten des großen Krieges
erinnerte, so mochte doch Sinope wohl mit dem Jahr der
Wiederherstellung durch Lucullus eine neue Ära beginnen und fast alle
ansehnlicheren Binnenstädte des Pontischen Reiches Pompeius als ihren
Stifter dankbar verehren. Die Einrichtung des römischen Asien durch
Lucullus und Pompeius darf bei all ihren unleugbaren Mängeln eine im
ganzen verständige und löbliche genannt werden; wie schwere Übelstände
aber auch ihr anhaften mochten, den vielgeplagten Asiaten mußte sie
schon darum willkommen sein, weil sie zugleich kam mit dem so lange und
so schmerzlich entbehrten inneren und äußeren Frieden.
Es blieb auch im wesentlichen Friede im Orient, bis der von Pompeius
mit der ihm eigenen Zaghaftigkeit nur angedeutete Gedanke, die
Landschaften östlich vom Euphrat zum Römischen Reiche zu fügen, von der
neuen Triarchie der römischen Machthaber energisch, aber unglücklich
wiederaufgenommen ward und bald darauf der Bürgerkrieg wie alle anderen
so auch die östlichen Provinzen in seinen verhängnisvollen Strudel
hineinzog. Daß in der Zwischenzeit die Statthalter Kilikiens beständig
mit den Bergvölkern des Amanos, die von Syrien mit den Schwärmen der
Wüste zu fechten hatten und namentlich in diesem Kriege gegen die
Beduinen manche römische Truppe aufgerieben ward, ist ohne weitere
Bedeutung. Bemerkenswerter ist der eigensinnige Widerstand, den die
zähe jüdische Nation den Eroberern entgegensetzte. Teils des
abgesetzten Königs Aristobulos Sohn Alexandros, teils Aristobulos
selbst, dem es nach einiger Zeit gelang, aus der Gefangenschaft zu
entkommen, erregten während der Statthalterschaft des Aulus Gabinius
(697-700 57-54) drei verschiedene Aufstände gegen die neuen Machthaber,
deren jedem die von Rom eingesetzte Regierung des Hochpriesters
Hyrkanos ohnmächtig erlag. Es war nicht politische Überlegung, sondern
der unbesiegbare Widerwille des Orientalen gegen das unnatürliche Joch,
der sie zwang, gegen den Stachel zu löcken; wie denn auch der letzte
und gefährlichste dieser Aufstände, zu welchem die durch die
ägyptischen Krisen veranlaßte Wegziehung der syrischen Okkupationsarmee
den nächsten Anstoß gab, begann mit der Ermordung der in Palästina
ansässigen Römer. Nicht ohne Mühe gelang es dem tüchtigen Statthalter,
die wenigen Römer, die diesem Schicksal sich entzogen und eine
vorläufige Zuflucht auf dem Berge Garizim gefunden hatten, von den dort
sie blockiert haltenden Insurgenten zu erretten und nach mehreren hart
bestrittenen Feldschlachten und langwierigen Belagerungen den Aufstand
zu bewältigen. Infolgedessen ward die Hohenpriestermonarchie
abgeschafft und das jüdische Land, wie einst Makedonien, in fünf
selbständige, von optimatisch geordneten Regierungskollegien verwaltete
Kreise aufgelöst, auch Samaria und andere, von den Juden geschleifte
Ortschaften wiederhergestellt, um ein Gegengewicht gegen Jerusalem zu
bilden, endlich den Juden ein schwererer Tribut auferlegt als den
übrigen syrischen Untertanen Roms.
Noch ist es übrig, auf das Königreich Ägypten nebst dem letzten ihm von
den ausgedehnten Eroberungen der Lagiden übriggebliebenen Nebenland,
der schönen Insel Kypros, einen Blick zu werfen. Ägypten war jetzt der
einzige wenigstens dem Namen nach noch unabhängige Staat des
hellenischen Ostens; ebenwie einst, als die Perser an der östlichen
Hälfte des Mittelmeers sich festsetzten, Ägypten ihre letzte Eroberung
war, säumten auch die mächtigen Eroberer aus dem Westen am längsten mit
der Einziehung dieser reichen und eigenartigen Landschaft. Die Ursache
lag, wie bereits angedeutet wurde, weder in der Furcht vor dem
Widerstand Ägyptens noch in dem Mangel einer geeigneten Veranlassung.
Ägypten war ungefähr ebenso machtlos wie Syrien und bereits im Jahre
673 (81) in aller Form Rechtens der römischen Gemeinde angestorben; das
am Hofe von Alexandreia herrschende Regiment der königlichen Garde,
welche Minister und gelegentlich Könige ein- und absetzte, für sich
nahm, was ihr gefiel, und, wenn ihr die Erhöhung des Soldes verweigert
ward, den König in seinem Palast belagerte, war im Lande oder vielmehr
in der Hauptstadt - denn das Land mit seiner Ackersklavenbevölkerung
kam überhaupt kaum in Betracht - ganz und gar nicht beliebt, und
wenigstens eine Partei daselbst wünschte die Einziehung Ägyptens durch
Rom und tat sogar Schritte, um sie herbeizuführen. Allein je weniger
die Könige Ägyptens daran denken konnten, mit den Waffen gegen Rom zu
streiten, desto energischer setzte das ägyptische Gold gegen die
römischen Reunionspläne sich zur Wehre; und infolge der eigentümlichen
despotisch-kommunistischen Zentralisation der ägyptischen
Volkswirtschaft waren die Einkünfte des Hofes von Alexandreia der
römischen Staatseinnahme, selbst nach deren Vermehrung durch Pompeius,
noch ungefähr gleich. Die argwöhnische Eifersucht der Oligarchie, die
weder die Eroberung noch die Verwaltung Ägyptens gern einem einzelnen
gönnte, kam hinzu. So vermochten die faktischen Herren von Ägypten und
Kypros durch Bestechung der führenden Männer im Senat sich ihre
schwankenden Kronen nicht bloß zu fristen, sondern sogar neu zu
befestigen und vom Senat die Bestätigung ihrer Königstitel zu erkaufen.
Allein damit waren sie noch nicht am Ziel. Das formelle Staatsrecht
forderte einen Beschluß der römischen Bürgerschaft; bevor dieser
erlassen war, waren die Ptolemäer abhängig von der Laune jedes
demokratischen Machthabers, und sie hatten also den Bestechungskrieg
auch gegen die andere römische Partei zu eröffnen, welche als die
mächtigere weit höhere Preise bedang. Der Ausgang war ungleich. Die
Einziehung von Kypros ward im Jahre 696 (58) vom Volke, das heißt von
den Führern der Demokratie verfügt, wobei als offizieller Grund,
weshalb dieselbe jetzt vorgenommen werde, die Förderung der Piraterie
durch die Kyprioten angegeben ward. Marcus Cato, von seinen Gegnern mit
der Ausführung dieser Maßregel beauftragt, kam nach der Insel ohne
Heer; allein es bedurfte dessen auch nicht. Der König nahm Gift; die
Einwohner fügten sich, ohne Widerstand zu leisten, dem unvermeidlichen
Verhängnis und wurden dem Statthalter von Kilikien untergeordnet. Der
überreiche Schatz von fast 7000 Talenten (fast 13 Mill. Taler), den der
ebenso habsüchtige wie geizige König sich nicht hatte überwinden
können, für die zur Rettung seiner Krone erforderlichen Bestechungen
anzugreifen, fiel mit dieser zugleich an die Römer und füllte in
erwünschter Weise die leeren Gewölbe ihres Ärars.
Dagegen gelang es dem Bruder, der in Ägypten regierte, die Anerkennung
durch Volksschluß von den neuen Herren Roms im Jahre 695 (59) zu
erkaufen; der Kaufpreis soll 6000 Talente (11 Mill. Taler) betragen
haben. Die Bürgerschaft freilich, längst gegen den guten Flötenbläser
und schlechten Regenten erbittert und nun durch den definitiven Verlust
von Kypros und den infolge der Transaktionen mit den Römern
unerträglich gesteigerten Steuerdruck aufs äußerste gebracht (696 58),
jagte ihn dafür aus dem Lande. Als der König darauf, gleichsam wie
wegen Entwährung des Kaufobjekts, sich an seine Verkäufer wandte, waren
diese billig genug einzusehen, daß es ihnen als redlichen
Geschäftsmännern obliege, dem Ptolemaeos sein Reich
wiederzuverschaffen; nur konnten die Parteien sich nicht einig werden,
wem der wichtige Auftrag, Ägypten mit bewaffneter Hand zu besetzen,
nebst den davon zu erhoffenden Sporteln zukommen solle. Erst als die
Triarchie auf der Konferenz von Luca sich neu befestigte, wurde
zugleich auch diese Angelegenheit geordnet, nachdem Ptolemaeos noch
sich zur Erlegung weiterer 10000 Talente (18 Mill. Taler) verstanden
hatte: der Statthalter Syriens, Aulus Gabinius, erhielt jetzt von den
Machthabern Befehl, sofort zur Zurückführung des Königs die nötigen
Schritte zu tun. Die Bürgerschaft von Alexandreia hatte inzwischen des
vertriebenen Königs ältester Tochter Berenike die Krone aufgesetzt und
ihr in der Person eines der geistlichen Fürsten des römischen Asien,
des Hochpriesters von Komana Archelaos, einen Gemahl gegeben, der
Ehrgeiz genug besaß, um an die Hoffnung, den Thron der Lagiden zu
besteigen, seine gesicherte und ansehnliche Stellung zu setzen. Seine
Versuche, die römischen Machthaber für sich zu gewinnen, blieben ohne
Erfolg; aber er schrak auch nicht zurück vor dem Gedanken, sein neues
Reich mit den Waffen in der Hand selbst gegen die Römer behaupten zu
müssen. Gabinius, ohne ostensible Vollmacht, den Krieg gegen Ägypten zu
beginnen, aber von den Machthabern dazu angewiesen, nahm die angebliche
Förderung der Piraterie durch die Ägypter und den Flottenbau des
Archelaos zum Vorwand und brach ungesäumt auf gegen die ägyptische
Grenze (699 55). Der Marsch durch die Sandwüste zwischen Gaza und
Pelusion, an der so manche gegen Ägypten gerichtete Invasion
gescheitert war, ward diesmal glücklich zurückgelegt, was besonders
.dem raschen und geschickten Führer der Reiterei, Marcus Antonius,
verdankt ward. Auch die Grenzfestung Pelusion wurde von der dort
stehenden jüdischen Besatzung ohne Gegenwehr übergeben. Vorwärts dieser
Stadt trafen die Römer auf die Ägypter, schlugen sie, wobei Antonius
wiederum sich auszeichnete, und gelangten, die erste römische Armee, an
den Nil. Hier hatten Flotte und Heer der Ägypter zum letzten
entscheidenden Kampfe sich aufgestellt; aber die Römer siegten abermals
und Archelaos selbst fand mit vielen der Seinigen kämpfend den Tod.
Sofort nach dieser Schlacht ergab sich die Hauptstadt und damit war
jeder Widerstand am Ende. Das unglückliche Land ward seinem
rechtmäßigen Zwingherrn überliefert: das Henken und Köpfen, womit ohne
des ritterlichen Antonius’ Dazwischenkunft Ptolemaeos die
Wiederherstellung des legitimen Regiments bereits in Pelusion zu feiern
begonnen haben würde, ging nun ungehemmt seinen Gang, und vor allen
anderen ward die unschuldige Tochter von dem Vater auf das Schafott
gesandt. Die Bezahlung des mit den Machthabern vereinbarten Lohnes
scheiterte an der absoluten Unmöglichkeit, dem ausgesogenen Lande die
verlangten ungeheuren Summen abzupressen, obwohl man dem armen Volke
den letzten Pfennig nahm; dafür aber, daß das Land wenigstens ruhig
blieb, sorgte die in der Hauptstadt zurückgelassene Besatzung von
römischer Infanterie und keltischer und deutscher Reiterei, welche die
einheimischen Prätorianer ablöste und übrigens nicht unglücklich ihnen
nacheiferte. Die bisherige Hegemonie Roms über Ägypten ward damit in
eine unmittelbare militärische Okkupation verwandelt und die nominelle
Fortdauer des einheimischen Königtums war nicht so sehr eine
Bevorzugung des Landes als eine zwiefache Belastung.
KAPITEL V.
Der Parteienkampf während Pompeius’ Abwesenheit
Mit dem Gabinischen Gesetze wechselten die hauptstädtischen Parteien
die Rollen. Seit der erwählte Feldherr der Demokratie das Schwert in
der Hand hielt, war seine Partei oder was dafür galt auch in der
Hauptstadt übermächtig. Wohl stand die Nobilität noch geschlossen
zusammen und gingen nach wie vor aus der Komitialmaschine nur Konsuln
hervor, die nach dem Ausdrucke der Demokraten schon in den Windeln zum
Konsulate designiert waren; die Wahlen zu beherrschen und hier den
Einfluß der alten Familien zu brechen, vermochten selbst die Machthaber
nicht. Aber leider fing das Konsulat, ebenda man es so weit gebracht
hatte, die “neuen Menschen” so gut wie vollständig davon
auszuschließen, selber an, vor dem neu aufgehenden Gestirn der;
exzeptionellen Militärgewalt zu erbleichen. Die Aristokratie empfand
es, wenn sie auch nicht gerade es sich gestand; sie gab sich selber
verloren. Außer Quintus Catulus, der mit achtbarer Festigkeit auf
seinem wenig erfreulichen Posten als Vorfechter einer überwundenen
Partei bis zu seinem Tode (694 60) ausharrte, ist aus den obersten
Reihen der Nobilität kein Optimat zu nennen, der die Interessen der
Aristokratie mit Mut und Stetigkeit vertreten hätte. Eben ihre
talentvollsten und gefeiertsten Männer, wie Quintus Metellus Pius und
Lucius Lucullus, abdizierten tatsächlich und zogen sich, soweit es
irgend schicklicherweise anging, auf ihre Villen zurück, um über Gärten
und Bibliotheken, über Vogelhäusern und Fischteichen den Markt und das
Rathaus möglichst zu vergessen. Noch viel mehr gilt dies natürlich von
der jüngeren Generation der Aristokratie, die entweder ganz in Luxus
und Literatur unterging oder der aufgehenden Sonne sich zuwandte. Ein
einziger unter den Jüngeren machte hiervon eine Ausnahme: es ist Marcus
Porcius Cato (geboren 659 95), ein Mann vom besten Willen und seltener
Hingebung, und doch eine der abenteuerlichsten und eine der
unerfreulichsten Erscheinungen in dieser an politischen Zerrbildern
überreichen Zeit. Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im
Handeln, voll Anhänglichkeit an sein Vaterland und die angestammte
Verfassung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne
Leidenschaft, hätte er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmeister
abgeben mögen. Unglücklicherweise aber geriet er früh unter die Gewalt
der Phrase, und, teils beherrscht von den Redensarten der Stoa, wie sie
in abstrakter Kahlheit und geistloser Abgerissenheit in der damaligen
vornehmen Welt im Umlauf waren, teils von dem Exempel seines
Urgroßvaters, den zu erneuern er für seine besondere Aufgabe hielt,
fing er an, als Musterbürger und Tugendspiegel in der sündigen
Hauptstadt umherzuwandeln, gleich dem alten Cato auf die Zeiten zu
schelten, zu Fuß zu gehen statt zu reiten, keine Zinsen zu nehmen,
soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und die Wiederherstellung der guten
alten Zeit damit einzuleiten, daß er nach König Romulus’ Vorgang ohne
Hemd ging. Eine seltsame Karikatur seines Ahnen, des greisen Bauern,
den Haß und Zorn zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert
meisterlich führte, der mit seinem bornierten, aber originellen und
gesunden Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war
dieser junge kühle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den
Lippen troff und den man immer mit dem Buche in der Hand sitzen sah,
dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst irgendein Handwerk
verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche der abstrakten Moral. Dennoch
gelangte er zu sittlicher und dadurch selbst zu politischer Bedeutung.
In einer durchaus elenden und feigen Zeit imponierten sein Mut und
seine negativen Tugenden der Menge; er machte sogar Schule, und es gab
einzelne - freilich waren sie danach -, die die lebendige
Philosophenschablone weiter kopierten und abermals karikierten. Auf
derselben Ursache beruht auch sein politischer Einfluß. Da er der
einzige namhafte Konservative war, der wo nicht Talent und Einsicht,
doch Ehrlichkeit und Mut besaß und immer bereitstand, wo es nötig und
nicht nötig war, seine Person in die Schanze zu schlagen, so ward er,
obwohl weder sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu
berechtigten, dennoch bald der anerkannte Vormann der Optimatenpartei.
Wo das Ausharren eines einzelnen entschlossenen Mannes entscheiden
konnte, hat er auch wohl einen Erfolg erzielt und in Detailfragen,
namentlich finanzieller Art, oft zweckmäßig eingegriffen, wie er denn
in keiner Senatssitzung fehlte und mit seiner Quästur in der Tat Epoche
machte, auch solange er lebte das öffentliche Budget im einzelnen
kontrollierte und natürlich denn auch darüber mit den Steuerpächtern in
beständigem Kriege lebte. übrigens fehlte ihm zum Staatsmann nicht mehr
als alles. Er war unfähig, einen politischen Zweck auch nur zu
begreifen und politische Verhältnisse zu überblicken; seine ganze
Taktik bestand darin, gegen jeden Front zu machen, der von dem
traditionellen moralisch-politischen Katechismus der Aristokratie
abwich oder ihm abzuweichen schien, womit er denn natürlich ebensooft
dem Gegner wie dem Parteigenossen in die Hände gearbeitet hat. Der Don
Quichotte der Aristokratie, bewährte er durch sein Wesen und sein Tun,
daß damals allenfalls noch eine Aristokratie vorhanden, die
aristokratische Politik aber nichts mehr war als eine Chimäre.
Mit dieser Aristokratie den Kampf fortzusetzen, brachte geringe Ehre.
Natürlich ruhten die Angriffe der Demokratie gegen den überwundenen
Feind darum nicht. Wie die Troßbuben über ein erobertes Lager, stürzte
sich die populäre Meute auf die gesprengte Nobilität, und wenigstens
die Oberfläche der Politik ward von dieser Agitation zu hohen
Schaumwellen emporgetrieben. Die Menge ging um so bereitwilliger mit,
als namentlich Gaius Caesar sie bei guter Laune hielt durch die
verschwenderische Pracht seiner Spiele (689 65), bei welchen alles
Gerät, selbst die Käfige der wilden Bestien, aus massivem Silber
erschien, und überhaupt durch eine Freigebigkeit, welche darum nur um
so mehr fürstlich war, weil sie einzig auf Schuldenmachen beruhte. Die
Angriffe auf die Nobilität waren von der mannigfaltigsten Art. Reichen
Stoff gewährten die Mißbräuche des aristokratischen Regiments: liberale
oder liberal schillernde Beamte und Sachverwalter wie Gaius Cornelius,
Aulus Gabinius, Marcus Cicero fuhren fort, die ärgerlichsten und
schändlichsten Seiten der Optimatenwirtschaft systematisch zu enthüllen
und Gesetze dagegen zu beantragen. Der Senat ward angewiesen, den
auswärtigen Boten an bestimmten Tagen Zutritt zu gewähren, um dadurch
der üblichen Verschleppung der Audienzen Einhalt zu tun. Die von
fremden Gesandten in Rom aufgenommenen Darlehen wurden klaglos
gestellt, da dies das einzige Mittel sei, den Bestechungen, die im
Senat an der Tagesordnung waren, ernstlich zu steuern (687 67). Das
Recht des Senats, in einzelnen Fällen von den Gesetzen zu dispensieren,
wurde beschränkt (687 67); ebenso der Mißbrauch, daß jeder vornehme
Römer, der in den Provinzen Privatgeschäfte zu besorgen hatte, sich
dazu vom Senat den Charakter eines römischen Gesandten erteilen ließ
(691 63). Man schärfte die Strafen gegen Stimmenkauf und Wahlumtriebe
(687, 691 67, 63), welche letztere namentlich in ärgerlicher Weise
gesteigert wurden durch die Versuche der aus dem Senat gestoßenen
Individuen, durch Wiederwahl in denselben zurückzugelangen. Es wurde
gesetzlich ausgesprochen, was bis dahin sich nur von selbst verstanden
hatte, daß die Gerichtsherren verbunden seien in Gemäßheit der nach
römischer Weise zu Anfang des Amtes von ihnen aufgestellten Normen
Recht zu sprechen (687 67).
Vor allem aber arbeitete man daran, die demokratische Restauration zu
vervollkommnen und die leitenden Gedanken der gracchischen Zeit in
zeitgemäßer Form zu verwirklichen. Die Wahl der Priester durch die
Komitien, wie sie Gnaeus Domitius eingeführt, Sulla wieder abgeschafft
hatte, ward durch ein Gesetz des Volkstribuns Titus Labienus im Jahre
691 (63) hergestellt. Man wies gern darauf hin, wieviel zur
Wiederherstellung der Sempronischen Getreidegesetze in ihrem vollen
Umfang noch fehle, und überging dabei mit Stillschweigen, daß unter den
veränderten Umständen, bei der bedrängten Lage der öffentlichen
Finanzen und der so sehr vermehrten Zahl der vollberechtigten römischen
Bürger, diese Wiederherstellung schlechterdings unausführbar war. In
der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen nährte man eifrig die
Agitation um politische Gleichberechtigung mit den Italikern. Schon 686
(68) reiste Gaius Caesar zu diesem Zweck daselbst von Ort zu Ort; 689
(65) machte Marcus Crassus als Zensor Anstalt, die Einwohner geradewegs
in die Bürgerliste einzuschreiben, was nur an dem Widerstand seines
Kollegen scheiterte; bei den folgenden Zensuren scheint dieser Versuch
sich regelmäßig wiederholt zu haben. Wie einst Gracchus und Flaccus die
Patrone der Latiner gewesen waren, so warfen sich die gegenwärtigen
Führer der Demokratie zu Beschützern der Transpadaner auf, und Gaius
Piso (Konsul 687 67) hatte es schwer zu bereuen, daß er gewagt hatte,
an einem dieser Klienten des Caesar und Crassus sich zu vergreifen.
Dagegen zeigten sich dieselben Führer keineswegs geneigt, die
politische Gleichberechtigung der Freigelassenen zu befürworten; der
Volkstribun Gaius Manilius, der in einer nur von wenigen Leuten
besuchten Versammlung das Sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der
Freigelassenen hatte erneuern lassen (31. Dezember 687 67), ward von
den leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouiert und mit ihrer
Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durchbringung vom
Senate kassiert. In demselben Sinn wurden im Jahre 689 (65) durch
Volksbeschluß die sämtlichen Fremden, die weder römisches noch
latinisches Bürgerrecht besaßen, aus der Hauptstadt ausgewiesen. Man
sieht, der innere Widerspruch der Gracchischen Politik, zugleich dem
Bestreben der Ausgeschlossenen um Aufnahme in den Kreis der
Privilegierten und dem der Privilegierten um Aufrechterhaltung ihrer
Sonderrechte Rechnung zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger
übergegangen: während Caesar und die Seinen einerseits den
Transpadanern das Bürgerrecht in Aussicht stellten, gaben sie
andererseits ihre Zustimmung zu der Fortdauer der Zurücksetzung der
Freigelassenen und zu der barbarischen Beseitigung der Konkurrenz, die
die Industrie und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in
Italien selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie
die Demokratie hinsichtlich der alten Kriminalgerichtsbarkeit der
Komitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben,
aber tatsächlich waren doch die Geschworenenkommissionen über
Hochverrat und Mord an ihre Stelle getreten, und an eine ernstliche
Wiederherstellung des alten, schon lange vor Sulla durchaus
unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünftiger Mensch denken. Aber
da doch die Idee der Volkssouveränität eine Anerkennung der peinlichen
Gerichtsbarkeit der Bürgerschaft wenigstens im Prinzip zu fordern
schien, so zog der Volkstribun Titus Labienus im Jahre 691 (63) den
alten Mann, der vor achtunddreißig Jahren den Volkstribun Lucius
Saturninus erschlagen hatte oder haben sollte, vor dasselbe
hochnotpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht
berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius
verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius Rabirius,
der den Saturninus wenn nicht getötet, doch wenigstens mit dem
abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der Vornehmen Parade gemacht
hatte, und der überdies unter den apulischen Gutsbesitzern wegen seiner
Menschenfängerei und seiner Bluttaten verrufen war. Es war, wenn nicht
dem Ankläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm standen,
durchaus nicht darum zu tun, diesen elenden Gesellen den Tod am Kreuze
sterben zu lassen; nicht ungern ließ man es geschehen, daß zunächst die
Form der Anklage vom Senat wesentlich gemildert, sodann die zur
Aburteilung des Schuldigen berufene Volksversammlung unter irgendeinem
Vorwand von der Gegenpartei aufgelöst und damit die ganze Prozedur
beseitigt ward. Immer waren durch dies Verfahren die beiden Palladien
der römischen Freiheit, das Provokationsrecht der Bürgerschaft und die
Unverletzlichkeit des Volkstribunats, noch einmal als praktisches Recht
festgestellt und der demokratische Rechtsboden neu ausgebessert worden.
Mit noch größerer Leidenschaftlichkeit trat die demokratische Reaktion
in allen Personenfragen auf, wo sie nur irgend konnte und durfte. Zwar
gebot ihr die Klugheit, die Rückgabe der von Sulla eingezogenen Güter
an die ehemaligen Eigentümer nicht zu betonen, um nicht mit den eigenen
Verbündeten sich zu entzweien und zugleich mit den materiellen
Interessen in einen Kampf zu geraten, dem die Tendenzpolitik selten
gewachsen ist; auch die Rückberufung der Emigrierten hing mit dieser
Vermögensfrage zu eng zusammen, um nicht ebenso unrätlich zu
erscheinen. Dagegen machte man große Anstrengungen, um den Kindern der
Geächteten die ihnen entzogenen politischen Rechte zurückzugegeben (691
63) und die Spitzen der Senatspartei wurden von persönlichen Angriffen
unablässig verfolgt. So hing Gaius Memmius dem Marcus Lucullus im Jahre
688 (66) einen Tendenzprozeß an. So ließ man dessen berühmteren Bruder
vor den Toren der Hauptstadt drei Jahre auf den wohlverdienten Triumph
harren (688-691 66-63). Ähnlich wurden Quintus Rex und der Eroberer von
Kreta, Quintus Metellus, insultiert. Größeres Aufsehen noch machte es,
daß der junge Führer der Demokratie Gaius Caesar im Jahre 691 (63)
nicht bloß sich es herausnahm, bei der Bewerbung um das höchste
Priesteramt mit den beiden angesehensten Männern der Nobilität, Quintus
Catulus und Publius Servilius, dem Sieger von Isaura, zu konkurrieren,
sondern sogar bei der Bürgerschaft ihnen den Rang ablief. Die Erben
Sullas, namentlich sein Sohn Faustus, sahen sich beständig bedroht von
einer Klage auf Rückerstattung der von dem Regenten angeblich
unterschlagenen öffentlichen Gelder. Man sprach sogar von der
Wiederaufnahme der im Jahre 664 (99) sistierten demokratischen Anklagen
auf Grund des Varischen Gesetzes. Am nachdrücklichsten wurden
begreiflicherweise die bei den Sullanischen Exekutionen beteiligten
Individuen gerichtlich verfolgt. Wenn der Quästor Marcus Cato in seiner
täppischen Ehrlichkeit selber den Anfang damit machte, ihnen die
empfangenen Mordprämien als widerrechtlich dem Staate entfremdetes Gut
wiederabzufordern (689 65), so kann es nicht befremden, daß das Jahr
darauf (690 64) Gaius Caesar als Vorsitzender in dem Mordgericht die
Klausel in der Sullanischen Ordnung, welche die Tötung eines Geächteten
straflos erklärte, kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten
unter den Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius
Luscius, vor seine Geschworenen stellen und zum Teil auch verurteilen
ließ. Endlich unterließ man nicht, die lange verfemten Namen der Helden
und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder öffentlich zu nennen und ihre
Andenken zu feiern. Wie Saturninus durch den gegen seinen Mörder
gerichteten Prozeß rehabilitiert ward, ist schon erzählt worden. Aber
einen anderen Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen
Nennung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, daß
derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen Barbaren
verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Führers der Demokratie
war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im Jahre 686 (68) Gaius Caesar
es wagte, den Verboten zuwider bei der Beerdigung der Witwe des Marius
die verehrten Züge des Helden auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Aber
als gar drei Jahre nachher (689 65) die Siegeszeichen, die Marius auf
dem Kapitol hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens,
allen unerwartet, wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Marmor
glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem Afrikanischen und
Kimbrischen Kriege, Tränen in den Augen, um das Bild des geliebten
Feldherrn, und den jubelnden Massen gegenüber wagte der Senat nicht, an
den Trophäen sich zu vergreifen, welche dieselbe kühne Hand den
Gesetzen zum Trotz erneuert hatte.
Indes all dieses Treiben und Hadern, soviel Lärm es auch machte, war
politisch betrachtet von sehr untergeordneter Bedeutung. Die Oligarchie
war überwunden, die Demokratie ans Ruder gelangt. Daß die Kleinen und
Kleinsten herbeieilten, um dem am Boden liegenden Feind noch einen
Fußtritt zu versetzen; daß auch die Demokraten ihren Rechtsboden und
ihren Prinzipienkult hatten; daß ihre Doktrinäre nicht ruhten, bis die
sämtlichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wiederhergestellt
waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie Legitimisten
es pflegen - das alles war ebenso begreiflich wie gleichgültig. Im
ganzen genommen ist die Agitation ziellos und sieht man ihr die
Verlegenheit der Urheber an, einen Gegenstand für ihre Tätigkeit zu
finden, wie sie sich denn auch fast durchaus um wesentlich schon
erledigte oder um Nebensachen dreht. Es konnte nicht anders sein. In
dem Kampfe gegen die Aristokratie waren die Demokraten Sieger
geblieben; aber sie hatten nicht allein gesiegt und die Feuerprobe
stand ihnen noch bevor - die Abrechnung nicht mit dem bisherigen Feind,
sondern mit dem übermächtigen Bundesgenossen, dem sie in dem Kampfe mit
der Aristokratie wesentlich den Sieg verdankten und dem sie jetzt eine
beispiellose militärische und politische Gewalt selbst in die Hände
gegeben hatten, weil sie nicht wagten, sie ihm zu verweigern. Noch war
der Feldherr des Ostens und der Meere beschäftigt, Könige ein- und
abzusetzen; wielange Zeit er dazu sich nehmen, wann er das
Kriegsgeschäft für beendet erklären werde, konnte keiner sagen als er
selbst, da wie alles andere, so auch der Zeitpunkt seiner Rückkehr nach
Italien, das heißt der Entscheidung in seine Hand gelegt war. Die
Parteien in Rom inzwischen saßen und harrten. Die Optimaten freilich
sahen der Ankunft des gefürchteten Feldherrn verhältnismäßig ruhig
entgegen; bei dem Bruch zwischen Pompeius und der Demokratie, dessen
Herannahen auch ihnen nicht entging, konnten sie nicht verlieren,
sondern nur gewinnen. Dagegen die Demokraten warteten mit peinlicher
Angst und suchten während der durch Pompeius’ Abwesenheit noch
vergönnten Frist gegen die drohende Explosion eine Kontermine zu legen.
Hierin trafen sie wieder zusammen mit Crassus, dem nichts übrig blieb,
um dem beneideten und gehaßten Nebenbuhler zu begegnen, als sich neu
und enger als zuvor mit der Demokratie zu verbünden. Schon bei der
ersten Koalition hatten Caesar und Crassus als die beiden Schwächeren
sich besonders nahe gestanden; das gemeinschaftliche Interesse und die
gemeinschaftliche Gefahr zog das Band noch fester, das den reichsten
und den verschuldetsten Mann von Rom zu engster Allianz verknüpfte.
Während öffentlich die Demokraten den abwesenden Feldherrn als das
Haupt und den Stolz ihrer Partei bezeichneten und alle ihre Pfeile
gegen die Aristokratie zu richten schienen, ward im stillen gegen
Pompeius gerüstet; und diese Versuche der Demokratie, sich der
drohenden Militärdiktatur zu entwinden, haben geschichtlich eine weit
höhere Bedeutung als die lärmende und größtenteils nur als Maske
benutzte Agitation gegen die Nobilität. Freilich bewegten sie sich in
einem Dunkel, in das unsere Überlieferung nur einzelne Streiflichter
fallen läßt; denn nicht die Gegenwart allein, auch die Folgezeit hatte
ihre Ursachen, einen Schleier darüber zu werfen. Indes im allgemeinen
sind sowohl der Gang wie das Ziel dieser Bestrebungen vollkommen klar.
Der Militärgewalt konnte nur durch eine andere Militärgewalt wirksam
Schach geboten werden. Die Absicht der Demokraten war, sich nach dem
Beispiel des Marius und Cinna der Zügel der Regierung zu bemächtigen,
sodann einen ihrer Führer sei es mit der Eroberung Ägyptens, sei es mit
der Statthalterschaft Spaniens oder einem ähnlichen ordentlichen oder
außerordentlichen Amte zu betrauen und in ihm und seinem Heer ein
Gegengewicht gegen Pompeius und dessen Armee zu finden. Dazu bedurften
sie einer Revolution, die zunächst gegen die nominelle Regierung, in
der Tat gegen Pompeius ging als den designierten Monarchen; und um
diese Revolution zu bewirken, war von der Erlassung der
Gabinisch-Manilischen Gesetze an bis auf Pompeius’ Rückkehr (688 - 692
66 - 62) die Verschwörung in Rom in Permanenz ^1. Die Hauptstadt war in
ängstlicher Spannung; die gedrückte Stimmung der Kapitalisten, die
Zahlungsstockungen, die häufigen Bankrotte waren Vorboten der gärenden
Umwälzung, die zugleich eine gänzlich neue Stellung der Parteien
herbeiführen zu müssen schien. Der Anschlag der Demokratie, der über
den Senat hinweg auf Pompeius zielte, legte eine Ausgleichung zwischen
diesen nahe. Die Demokratie aber, indem sie der Diktatur des Pompeius
die eines ihr genehmeren Mannes entgegenzustellen versuchte, erkannte
genau genommen auch ihrerseits das Militärregiment an und trieb in der
Tat den Teufel aus durch Beelzebub; unter den Händen ward ihr die
Prinzipien- zur Personenfrage.
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^1 Wer die Gesamtlage der politischen Verhältnisse dieser Zeit
übersieht, wird spezieller Beweise nicht bedürfen, um zu der Einsicht
zu gelangen, daß das letzte Ziel der demokratischen Machinationen 688f.
(66) nicht der Sturz des Senats war, sondern der des Pompeius. Doch
fehlt es auch an solchen Beweisen nicht. Daß die Gabinisch-Manilischen
Gesetze der Demokratie einen tödlichen Schlag versetzten, sagt Sallust
(Cat. 39); daß die Verschwörung 688-689 (66-65) und die Servilische
Rogation speziell gegen Pompeius gerichtet waren, ist gleichfalls
bezeugt (Sall. Cat. 19; Val. Max. 6, 2, 4; Cic. leg. agr. 2, 17, 46).
Überdies zeigt Crassus’ Stellung zu der Verschwörung allein schon
hinreichend, daß sie gegen Pompeius gerichtet war.
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Die Einleitung zu der von den Führern der Demokratie entworfenen
Revolution sollte also der Sturz der bestehenden Regierung durch eine
zunächst in Rom von demokratischen Verschworenen angestiftete
Insurrektion sein. Der sittliche Zustand der niedrigsten wie der
höchsten Schichten der hauptstädtischen Gesellschaft bot hierzu den
Stoff in beklagenswerter Fülle. Wie das freie und das
Sklavenproletariat der Hauptstadt beschaffen waren, braucht hier nicht
wiederholt zu werden. Es ward schon das bezeichnende Wort vernommen,
daß nur der Arme den Armen zu vertreten fähig sei - der Gedanke regte
sich also, daß die Masse der Armen so gut wie die Oligarchie der
Reichen sich als selbständige Macht konstituieren und, statt sich
tyrannisieren zu lassen, auch wohl ihrerseits den Tyrannen spielen
könne. Aber auch in den Kreisen der vornehmen Jugend fanden ähnliche
Gedanken einen Widerhall. Das hauptstädtische Modeleben zerrüttete
nicht bloß das Vermögen, sondern auch die Kraft des Leibes und des
Geistes. Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen
Stutzbärte und Manschetten, so lustig es auch darin bei Tanz und
Zitherspiel und früh und spät beim Becher herging, barg doch in sich
einen erschreckenden Abgrund sittlichen und ökonomischen Verfalls, gut
oder schlecht verhehlter Verzweiflung und wahnsinniger oder bübischer
Entschlüsse. In diesen Kreisen ward unverhohlen geseufzt nach der
Wiederkehr der cinnanischen Zeit mit ihren Ächtungen und Konfiskationen
und ihrer Vernichtung der Schuldbücher; es gab Leute genug, darunter
nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und ungewöhnlichen Anlagen,
die nur auf das Signal warteten, um wie eine Räuberschar über die
bürgerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermögen sich
wieder zu erplündern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es an Führern
nicht; auch hier fanden sich bald Männer, die zu Räuberhauptleuten sich
eigneten. Der gewesene Prätor Lucius Catilina, der Quästor Gnaeus Piso
zeichneten unter ihren Genossen nicht bloß durch ihre vornehme Geburt
und ihren höheren Rang sich aus. Sie hatten die Brücke vollständig
hinter sich abgebrochen und imponierten ihren Spießgesellen durch ihre
Ruchlosigkeit ebensosehr wie durch ihre Talente. Vor allem Catilina war
einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit. Seine Bubenstücke
gehören in die Kriminalakten, nicht in die Geschichte; aber schon sein
Äußeres, das bleiche Antlitz, der wilde Blick, der bald träge, bald
hastige Gang verrieten seine unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade
besaß er die Eigenschaften, die von dem Führer einer solchen Rotte
verlangt werden: die Fähigkeit, alles zu genießen und alles zu
entbehren, Mut, militärisches Talent, Menschenkenntnis,
Verbrecherenergie und jene entsetzliche Pädagogik des Lasters, die den
Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher zu
erziehen versteht.
Aus solchen Elementen eine Verschwörung zum Umsturz der bestehenden
Ordnung zu bilden, konnte Männern, die Geld und politischen Einfluß
besaßen, nicht schwerfallen. Catilina, Piso und ihresgleichen gingen
bereitwillig auf jeden Plan ein, der ihnen Ächtungen und Kassation der
Schuldbücher in Aussicht stellte; jener war überdies noch mit der
Aristokratie speziell verfeindet, weil sie sich der Bewerbung des
verworfenen und gefährlichen Menschen um das Konsulat widersetzt hatte.
Wie er einst als Scherge Sullas an der Spitze einer Keltenschar auf die
Geächteten Jagd gemacht und unter anderen seinen eigenen hochbejahrten
Schwager mit eigener Hand niedergestoßen hatte, so ließ er jetzt sich
bereitwillig dazu herbei, der Gegenpartei ähnliche Dienst zuzusagen.
Ein geheimer Bund ward gestiftet. Die Zahl der in denselben
aufgenommenen Individuen soll 400 überstiegen haben; er zählte
Affiliierte in allen Landschaften und Stadtgemeinden Italiens; überdies
verstand es sich von selbst, daß einer Insurrektion, die das zeitgemäße
Programm der Schuldentilgung auf ihre Fahne schrieb, aus den Reihen der
liederlichen Jugend zahlreiche Rekruten ungeheißen zuströmen würden.
Im Dezember 688 (66) - so wird erzählt - glaubten die Leiter des Bundes
den geeigneten Anlaß gefunden zu haben, um loszuschlagen. Die beiden
für 689 (65) erwählten Konsuln Publius Cornelius Sulla und Publius
Autronius Paetus waren vor kurzem der Wahlbestechung gerichtlich
überwiesen und deshalb nach gesetzlicher Vorschrift ihrer Anwartschaft
auf das höchste Amt verlustig erklärt worden. Beide traten hierauf dem
Bunde bei. Die Verschworenen beschlossen, ihnen das Konsulat mit Gewalt
zu verschaffen und dadurch sich selbst in den Besitz der höchsten
Gewalt im Staate zu setzen. An dem Tage, wo die neuen Konsuln ihr Amt
antreten würden, dem 1. Januar 689 (65) sollte die Kurie von
Bewaffneten gestürmt, die neuen Konsuln und die sonst bezeichneten
Opfer niedergemacht und Sulla und Paetus nach Kassierung des
gerichtlichen Urteils, das sie ausschloß, als Konsuln proklamiert
werden. Crassus sollte sodann die Diktatur, Caesar das Reiterführeramt
übernehmen, ohne Zweifel, um eine imposante Militärmacht auf die Beine
zu bringen, während Pompeius fern am Kaukasus beschäftigt war.
Hauptleute und Gemeine waren gedungen und angewiesen; Catilina wartete
an dem bestimmten Tage in der Nähe des Rathauses auf das verabredete
Zeichen, das auf Crassus’ Wink ihm von Caesar gegeben werden sollte.
Allein er wartete vergebens; Crassus fehlte in der entscheidenden
Senatssitzung, und daran scheiterte für diesmal die projektierte
Insurrektion. Ein ähnlicher noch umfassenderer Mordplan ward dann für
den 5. Februar verabredet; allein auch dieser ward vereitelt, da
Catilina das Zeichen zu früh gab, bevor noch die bestellten Banditen
sich alle eingefunden hatten. Darüber ward das Geheimnis ruchbar. Die
Regierung wagte zwar nicht, offen der Verschwörung entgegenzutreten,
aber sie gab doch den zunächst bedrohten Konsuln Wachen bei und stellte
der Bande der Verschworenen eine von der Regierung bezahlte entgegen.
Um Piso zu entfernen, wurde der Antrag gestellt, ihn als Quästor mit
prätorischen Befugnissen nach dem diesseitigen Spanien zu senden;
worauf Crassus einging, in der Hoffnung, durch denselben die
Hilfsquellen dieser wichtigen Provinz für die Insurrektion zu gewinnen.
Weitergehende Vorschläge wurden durch die Tribune verhindert.
Also lautet die Überlieferung, welche offenbar die in den
Regierungskreisen umlaufende Version wiedergibt und deren
Glaubwürdigkeit im einzelnen in Ermangelung jeder Kontrolle
dahingestellt bleiben muß. Was die Hauptsache anlangt, die Beteiligung
von Caesar und Crassus, so kann allerdings das Zeugnis ihrer
politischen Gegner nicht als ausreichender Beweis dafür angesehen
werden. Aber es paßt doch ihre offenkundige Tätigkeit in dieser Epoche
auffallend genau zu der geheimen, die dieser Bericht ihnen beimißt. Daß
Crassus, der in diesem Jahre Zensor war, als solcher den Versuch
machte, die Transpadaner in die Bürgerliste einzuschreiben, war schon
geradezu ein revolutionäres Beginnen. Noch bemerkenswerter ist es, daß
Crassus bei derselben Gelegenheit Anstalt machte, Ägypten und Kypros in
das Verzeichnis der römischen Domänen einzutragen ^2 und daß Caesar um
die gleiche Zeit (689 oder 690 65 oder 64) durch einige Tribune bei der
Bürgerschaft den Antrag stellen ließ, ihn nach Ägypten zu senden, um
den von den Alexandrinern vertriebenen König Ptolemaeos
wiedereinzusetzen. Diese Machinationen stimmen mit den von den Gegnern
erhobenen Anklagen in bedenklicher Weise zusammen. Gewisses läßt sich
hier nicht ermitteln; aber die große Wahrscheinlichkeit ist dafür, daß
Crassus und Caesar den Plan entworfen hatten, sich während Pompeius’
Abwesenheit der Militärdiktatur zu bemächtigen; daß Ägypten zur Basis
dieser demokratischen Militärmacht ausersehen war; daß endlich der
Insurrektionsversuch von 689 (65) angezettelt worden ist, um diese
Entwürfe zu realisieren und Catilina und Piso also Werkzeuge in den
Händen von Crassus und Caesar gewesen sind.
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^2 Plut. Crass. 13; Cic. leg. agr. 2, 17, 44. In dies Jahr (689 65)
gehört Ciceros Rede De rege Alexandrino, die man unrichtig in das Jahr
698 (56) gesetzt hat. Cicero widerlegt darin, wie die Fragmente
deutlich zeigen, Crassus’ Behauptung, daß durch das Testament des
Königs Alexandros Ägypten römisches Eigentum geworden sei. Diese
Rechtsfrage konnte und mußte im Jahre 689 (65) diskutiert werden; im
Jahre 698 (56) aber war sie durch das Julische Gesetz von 695 (59)
bedeutungslos geworden. Auch handelte es sich im Jahre 698 (56) gar
nicht um die Frage, wem Ägypten gehöre, sondern um die Zurückführung
des durch einen Aufstand vertriebenen Königs, und es hat bei dieser uns
genau bekannten Verhandlung Crassus keine Rolle gespielt. Endlich war
Cicero nach der Konferenz von Luca durchaus nicht in der Lage, gegen
einen der Triumvirn ernstlich zu opponieren.
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Einen Augenblick kam die Verschwörung ins Stocken. Die Wahlen für 690
(64) fanden statt, ohne daß Crassus und Caesar ihren Versuch sich des
Konsulats zu bemeistern, dabei erneuert hätten; wozu mit beigetragen
haben mag, daß ein Verwandter des Führers der Demokratie, Lucius
Caesar, ein schwacher und von seinem Geschlechtsfreund nicht selten als
Werkzeug benutzter Mann, diesmal um das Konsulat sich bewarb. Indes
drängten die Berichte aus Asien zur Eile. Die kleinasiatischen und
armenischen Angelegenheiten waren bereits vollständig geordnet. So klar
auch die demokratischen Strategen es bewiesen, daß der Mithradatische
Krieg erst mit der Gefangennahme des Königs als beendigt gelten könne
und daß es deshalb notwendig sei, die Hetzjagd um das Schwarze Meer
herum zu beginnen, vor allen Dingen aber von Syrien fernzubleiben -
Pompeius war, unbekümmert um solches Geschwätz, im Frühjahr 690 (64)
aus Armenien aufgebrochen und nach Syrien marschiert. Wenn Ägypten
wirklich zum Hauptquartier der Demokratie ausersehen war, so war keine
Zeit zu verlieren; leicht konnte sonst Pompeius eher als Caesar in
Ägypten stehen. Die Verschwörung von 688 (66) durch die schlaffen und
ängstlichen Repressivmaßregeln keineswegs gesprengt, regte sich wieder,
als die Konsulwahlen für 691 (63) herankamen. Die Personen waren
vermutlich wesentlich dieselben und auch der Plan nur wenig verändert.
Die Leiter der Bewegung hielten wieder sich im Hintergrund. Als
Bewerber um das Konsulat hatten sie diesmal aufgestellt: Catilina
selbst und Gaius Antonius, den jüngeren Sohn des Redners, einen Bruder
des von Kreta her übel berufenen Feldherrn. Catilinas war man sicher;
Antonius, ursprünglich Sullaner wie Catilina und wie dieser vor einigen
Jahren von der demokratischen Partei deshalb vor Gericht gestellt und
aus dem Senat ausgestoßen, übrigens ein schlaffer, unbedeutender, in
keiner Hinsicht zum Führer berufener, vollständig bankrotter Mann, gab
um den Preis des Konsulats und der daran geknüpften Vorteile sich den
Demokraten willig zum Werkzeug hin. Durch diese Konsuln beabsichtigten
die Häupter der Verschwörung, sich des Regiments zu bemächtigen, die in
der Hauptstadt zurückgebliebenen Kinder des Pompeius als Geiseln
festzunehmen und in Italien und den Provinzen gegen Pompeius zu rüsten.
Auf die erste Nachricht von dem in der Hauptstadt gefallenen Schlage
sollte der Statthalter Gnaeus Piso im diesseitigen Spanien die Fahne
der Insurrektion aufstecken. Die Kommunikation mit ihm konnte auf dem
Seeweg nicht stattfinden, da Pompeius das Meer beherrschte; man zählte
dafür auf die Transpadaner, die alten Klienten der Demokratie, unter
denen es gewaltig gärte und die natürlich sofort das Bürgerrecht
erhalten haben würden, ferner auf verschiedene keltische Stämme ^3. Bis
nach Mauretanien hin liefen die Fäden dieser Verbindung. Einer der
Mitverschworenen, der römische Großhändler Publius Sittius aus Nuceria,
durch finanzielle Verwicklungen gezwungen, Italien zu meiden, hatte
daselbst und in Spanien einen Trupp verzweifelter Leute bewaffnet und
zog mit diesen als Freischarenführer im westlichen Afrika herum, wo er
alte Handelsverbindungen hatte.
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^3 Die Ambrani (Suet. Caes. 9) sind wohl nicht die mit den Kimbern
zusammen genannten Ambronen (Plot. Mar. 19), sondern verschrieben für
Arverni.
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Die Partei strengte alle ihre Kräfte für den Wahlkampf an. Crassus und
Caesar setzten ihr Geld - eigenes oder geborgtes -und ihre Verbindungen
ein, um Catilina und Antonius das Konsulat zu verschaffen; Catilinas
Genossen spannten jeden Nerv an, um den Mann an das Ruder zu bringen,
der ihnen die Ämter und Priestertümer, die Paläste und Landgüter ihrer
Gegner und vor allen Dingen Befreiung von ihren Schulden verhieß und
von dem man wußte, daß er Wort halten werde. Die Aristokratie war in
großer Not, hauptsächlich weil sie nicht einmal Gegenkandidaten
aufzustellen vermochte. Daß ein solcher seinen Kopf wagte, war
offenbar; und die Zeiten waren nicht mehr, wo der Posten der Gefahr den
Bürger lockte - jetzt schwieg selbst der Ehrgeiz vor der Angst. So
begnügte sich die Nobilität, einen schwächlichen Versuch zu machen, den
Wahlumtrieben durch Erlassung eines neuen Gesetzes über den Stimmenkauf
zu steuern -was übrigens an der Interzession eines Volkstribunen
scheiterte - und ihre Stimmen auf einen Bewerber zu werfen, der ihr
zwar auch nicht genehm, aber doch wenigstens unschädlich war. Es war
dies Marcus Cicero, notorisch ein politischer Achselträger ^4, gewohnt
bald mit den Demokraten, bald mit Pompeius, bald aus etwas weiterer
Ferne mit der Aristokratie zu liebäugeln und jedem einflußreichen
Beklagten ohne Unterschied der Person oder Partei - auch Catilina
zählte er unter seinen Klienten - Advokatendienste zu leisten,
eigentlich von keiner Partei oder, was ziemlich dasselbe ist, von der
Partei der materiellen Interessen, die in den Griechen dominierte und
den beredten Sachwalter, den höflichen und witzigen Gesellschafter gern
hatte. Er hatte Verbindungen genug in der Hauptstadt und den
Landstädten, um neben den vor der Demokratie aufgestellten Kandidaten
eine Chance zu haben; und da auch die Nobilität, obwohl nicht gern, und
die Pompeianer für ihn stimmten, ward er mit großer Majorität gewählt.
Die beiden Kandidaten der Demokratie erhielten fast gleich viele
Stimmen, jedoch fielen auf Antonius, dessen Familie angesehener war als
die seines Konkurrenten, einige mehr. Dieser Zufall vereitelte die Wahl
Catilinas und rettete Rom vor einem zweiten Cinna. Schon etwas früher
war Piso, es hieß auf Anstiften seines politischen und persönlichen
Feindes Pompeius, in Spanien von seiner einheimischen Eskorte
niedergemacht worden ^5. Mit dem Konsul Antonius allein war nichts
anzufangen; Cicero sprengte das lockere Band, das ihn an die
Verschwörung knüpfte, noch ehe sie beide ihre Ämter antraten, indem er
auf die von Rechts wegen ihm zustehende Losung um die Konsularprovinzen
Verzicht leistete und dem tief verschuldeten Kollegen die einträgliche
Statthalterschaft Makedonien überließ. Die wesentlichen Vorbedingungen
auch dieses Anschlags waren also gefallen.
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^4 Naiver kann dies nicht ausgesprochen werden, als es in der seinem
Bruder untergeschobenen Denkschrift geschieht (pet. 1, 5; 13, 51 53 vom
Jahre 690 64); der Bruder selbst würde schwerlich sich so offenherzig
öffentlich geäußert haben. Als authentisches Belegstück dazu werden
unbefangene Leute nicht ohne Interesse die zweite Rede gegen Rullus
lesen, wo der “erste demokratische Konsul”, in sehr ergötzlicher Weise
das liebe Publikum nasführend, ihm die “richtige Demokratie”
entwickelt.
^5 Seine noch vorhandene Grabschrift lautet: Cn. Calpurnius Cn, f. Piso
quaestor pro pr. ex s. c. provinciam Hispaniam citeriorem optinuit.
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Inzwischen entwickelten die orientalischen Verhältnisse sich immer
bedrohlicher für die Demokratie. Die Ordnung Syriens schritt rasch
vorwärts; schon waren von Ägypten Aufforderungen an Pompeius ergangen,
daselbst einzurücken und das Land für Rom einzuziehen; man mußte
fürchten, demnächst zu vernehmen, daß Pompeius selbst das Niltal in
Besitz genommen habe. Eben hierdurch mag Caesars Versuch, sich geradezu
vom Volke nach Ägypten senden zu lassen, um dem Könige gegen seine
aufrührerischen Untertanen Beistand zu leisten, hervorgerufen worden
sein; er scheiterte, wie es scheint, an der Abneigung der Großen und
Kleinen, irgend etwas gegen Pompeius’ Interesse zu unternehmen.
Pompeius’ Heimkehr und damit die wahrscheinliche Katastrophe rückten
immer näher; wie oft auch die Sehne gerissen war, es mußte doch wieder
versucht werden, denselben Boten zu spannen. Die Stadt war in dumpfer
Gärung: häufige Konferenzen der Häupter der Bewegung deuteten an, daß
wieder etwas im Werke sei. Was das sei, ward offenbar, als die neuen
Volkstribune ihr Amt antraten (10. Dezember 690 64) und sogleich einer
von ihnen, Publius Servillius Rullus, ein Ackergesetz beantragte, das
den Führern der Demokraten eine ähnliche Stellung verschaffen sollte,
wie sie infolge der Gabinisch-Manilischen Anträge Pompeius einnahm. Der
nominelle Zweck war die Gründung von Kolonien in Italien, wozu der
Boden indes nicht durch Expropriation gewonnen werden sollte - vielmehr
wurden alle bestehenden Privatrechte garantiert, ja sogar die
widerrechtlichen Okkupationen der jüngsten Zeit in volles Eigentum
umgewandelt. Nur die verpachtete kampanische Domäne sollte parzelliert
und kolonisiert werden, im übrigen die Regierung das zur Assignation
bestimmte Land durch gewöhnlichen Kauf erwerben. Um die hierzu nötigen
Summen zu beschaffen, sollte das übrige italische und vor allem alles
außeritalische Domanialland sukzessiv zum Verkauf gebracht werden;
worunter namentlich die ehemaligen königlichen Tafelgüter in
Makedonien, dem Thrakischen Chersones, Bithynien, Pontus, Kyrene,
ferner die Gebiete der nach Kriegsrecht zu vollem Eigen gewonnenen
Städte in Spanien, Afrika, Sizilien, Hellas, Kilikien verstanden waren.
Verkauft werden sollte ingleichen alles, was der Staat an beweglichen
und unbeweglichem Gut seit dem Jahre 666 (88) erworben und worüber er
nicht früher verfügt hatte; was hauptsächlich auf Ägypten und Kypros
zielte. Zu dem gleichen Zweck wurden alle untertänigen Gemeinden mit
Ausnahme der Städte latinischen Rechts und der sonstigen Freistädte mit
sehr hoch gegriffenen Gefällen und Zehnten belastet. Ebenfalls ward
endlich für jene Ankäufe bestimmt der Ertrag der neuen
Provinzialgefälle, anzurechnen vom Jahre 692 (62) und der Erlös aus der
sämtlichen, noch nicht gesetzmäßig verwandten Beute; welche Anordnungen
auf die neuen, von Pompeius im Osten eröffneten Steuerquellen und auf
die in den Händen des Pompeius und der Erben Sullas befindlichen
öffentlichen Gelder sich bezog. Zur Ausführung dieser Maßregel sollten
Zehnmänner mit eigener Jurisdiktion und eigenem Imperium ernannt
werden, welche fünf Jahre im Amte zu bleiben und mit 200 Unterbeamten
aus dem Ritterstand sich zu umgeben hatten; bei der Wahl der Zehnmänner
aber sollten nur die Kandidaten, die persönlich sich melden würden,
berücksichtigt werden dürfen und, ähnlich wie bei den Priesterwahlen,
nur siebzehn durch Los aus den fünfunddreißig zu bestimmende Bezirke
wählen. Es war ohne großen Scharfsinn zu erkennen, daß man in diesem
Zehnmännerkollegium eine der des Pompeius nachgebildete, nur etwas
weniger militärisch und mehr demokratisch gefärbte Gewalt zu schaffen
beabsichtigte. Man bedurfte der Gerichtsbarkeit namentlich, um die
ägyptische Frage zu entscheiden, der Militärgewalt, um gegen Pompeius
zu rüsten; die Klausel, welche die Wahl eines Abwesenden untersagte,
schloß Pompeius aus, und die Verminderung der stimmberechtigten Bezirke
sowie die Manipulation des Auslosens sollten die Lenkung der Wahl im
Sinne der Demokratie erleichtern.
Indes dieser Versuch verfehlte gänzlich sein Ziel. Die Menge, die es
bequemer fand, das Getreide im Schatten der römischen Hallen aus den
öffentlichen Magazinen sich zumessen zu lassen, als es im Schweiße des
Angesichts selber zu bauen, nahm den Antrag an sich schon mit
vollkommener Gleichgültigkeit auf. Sie fühlte auch bald heraus, daß
Pompeius einen solchen, in jeder Hinsicht ihn verletzenden Beschluß
sich nimmermehr gefallen lassen werde und daß es nicht gut stehen könne
mit einer Partei, die in ihrer peinlichen Angst sich zu so
ausschweifenden Anerbietungen herbeilasse. Unter solchen Umständen fiel
es der Regierung nicht schwer, den Antrag zu vereiteln; der neue Konsul
Cicero nahm die Gelegenheit wahr, sein Talent, offene Türen
einzulaufen, auch hier geltend zu machen; noch ehe die bereitstehenden
Tribune interzedierten, zog der Urheber selbst den Vorschlag zurück (1.
Januar 691 62). Die Demokratie hatte nichts gewonnen als die
unerfreuliche Belehrung, daß die große Menge in Liebe oder in Furcht
fortwährend noch zu Pompeius hielt und daß jeder Antrag sicher fiel,
den das Publikum als gegen Pompeius gerichtet erkannte.
Ermüdet von all diesem vergeblichen Wühlen und resultatlosem Planen,
beschloß Catilina, die Sache zur Entscheidung zu treiben und ein für
allemal ein Ende zu machen. Er traf im Laufe des Sommers seine
Maßregeln, um den Bürgerkrieg zu eröffnen. Faesulae (Fiesole), eine
sehr feste Stadt in dem von Verarmten und Verschworenen wimmelnden
Etrurien und fünfzehn Jahre zuvor der Herd des Lepidianischen
Aufstandes, ward wiederum zum Hauptquartier der Insurrektion
ausersehen. Dorthin gingen die Geldsendungen, wozu namentlich die in
die Verschwörung verwickelten vornehmen Damen der Hauptstadt die Mittel
hergaben; dort wurden Waffen und Soldaten gesammelt; ein alter
sullanischer Hauptmann, Gaius Manlius, so tapfer und so frei von
Gewissensskrupeln wie nur je ein Lanzknecht, übernahm daselbst
vorläufig den Oberbefehl. Ähnliche wenn auch minder ausgedehnte
Zurüstungen wurden an andern Punkten Italiens gemacht. Die Transpadaner
waren so aufgeregt, daß sie nur auf das Zeichen zum Losschlagen zu
warten schienen. Im bruttischen Lande, an der Ostküste Italiens, in
Capua, wo überall große Sklavenmassen angehäuft waren, schien eine
zweite Sklaveninsurrektion, gleich der des Spartacus, im Entstehen.
Auch in der Hauptstadt bereitete etwas sich vor; wer die trotzige
Haltung sah, in der die vorgeforderten Schuldner vor dem Stadtprätor
erschienen, mußte der Szenen gedenken, die der Ermordung des Asellio
vorangegangen waren. Die Kapitalisten schwebten in namenloser Angst; es
zeigte sich nötig, das Verbot der Gold- und Silberausfuhr einzuschärfen
und die Haupthäfen überwachen zu lassen. Der Plan der Verschworenen
war, bei der Konsulwahl für 692 (62) zu der Catilina sich wieder
gemeldet hatte, den wahlleitenden Konsul sowie die unbequemen
Mitbewerber kurzweg niederzumachen und Catilinas Wahl um jeden Preis
durchzusetzen, nötigenfalls selbst bewaffnete Scharen von Faesulae und
den anderen Sammelpunkten gegen die Hauptstadt zu führen und mit ihnen
den Widerstand zu brechen.
Cicero, beständig durch seine Agenten und Agentinnen von den
Verhandlungen der Verschworenen rasch und vollständig unterrichtet,
denunzierte an dem anberaumten Wahltag (20. Oktober) die Verschwörung
in vollem Senat und im Beisein ihrer hauptsächlichsten Führer. Catilina
ließ sich nicht dazu herab zu leugnen; er antwortete trotzig, wenn die
Wahl zum Konsul auf ihn fallen sollte, so werde es allerdings der
großen hauptlosen Partei gegen die kleine, von elenden Häuptern
geleitete an einem Führer nicht länger fehlen. Indes da handgreifliche
Beweise des Komplotts nicht vorlagen, war von dem ängstlichen Senat
nichts weiter zu erreichen, als daß er in der üblichen Weise den von
den Beamten zweckmäßig befundenen Ausnahmemaßregeln im voraus seine
Sanktion erteilte (21. Oktober). So nahte die Wahlschlacht, diesmal
mehr eine Schlacht als eine Wahl; denn auch Cicero hatte aus den
jüngeren Männern namentlich des Kaufmannsstandes sich eine bewaffnete
Leibwache gebildet; und seine Bewaffneten waren es, die am 28. Oktober,
auf welchen Tag die Wahl vom Senat verschoben worden war, das Marsfeld
bedeckten und beherrschten. Den Verschworenen gelang es weder, den
wahlleitenden Konsul niederzumachen noch die Wahlen in ihrem Sinne zu
entscheiden.
Inzwischen aber hatte der Bürgerkrieg begonnen. Am 27. Oktober hatte
Gaius Manlius bei Faesulae den Adler aufgepflanzt, um den die Armee der
Insurrektion sich scharen sollte - es war einer der Marianischen aus
dem Kimbrischen Kriege -, und die Räuber aus den Bergen wie das
Landvolk aufgerufen, sich ihm anzuschließen. Seine Proklamationen
forderten, anknüpfend an die alten Traditionen der Volkspartei,
Befreiung von der erdrückendem Schuldenlast und Milderung des
Schuldprozesses, der, wenn der Schuldbestand in der Tat das Vermögen
überstieg, allerdings immer noch rechtlich den Verlust der Freiheit für
den Schuldner nach sich zog. Es schien, als wolle das hauptstädtische
Gesindel, indem es gleichsam als legitimer Nachfolger der alten
plebejischen Bauernschaft auftrat und unter den ruhmvollen Adlern des
Kimbrischen Krieges seine Schlachten schlug, nicht bloß die Gegenwart,
sondern auch die Vergangenheit Roms beschmutzen. Indes blieb diese
Schilderhebung vereinzelt; in den anderen Sammelpunkten kam die
Verschwörung nicht hinaus über Waffenaufhäufung und Veranstaltung
geheimer Zusammenkünfte, da es überall an entschlossenen Führern
gebrach. Es war ein Glück für die Regierung; denn wie offen auch seit
längerer Zeit der bevorstehende Bürgerkrieg angekündigt war, hatten
doch die eigene Unentschlossenheit und die Schwerfälligkeit der
verrosteten Verwaltungsmaschinerie ihr nicht gestattet, irgendwelche
militärische Vorbereitungen zu treffen. Erst jetzt ward der Landsturm
aufgerufen und wurden in die einzelnen Landschaften Italiens höhere
Offiziere kommandiert, um jeder in seinem Bezirk die Insurrektion zu
unterdrücken, zugleich aus der Hauptstadt die Fechtersklaven
ausgewiesen und wegen der befürchteten Brandstiftungen Patrouillen
angeordnet. Catilina war in einer peinlichen Lage. Nach seiner Absicht
hatte bei den Konsularwahlen gleichzeitig in der Hauptstadt und in
Etrurien Iosgeschlagen werden sollen; das Scheitern der ersteren und
das Ausbrechen der zweiten Bewegung gefährdete ihn persönlich wie den
ganzen Erfolg seines Unternehmens. Nachdem einmal die Seinigen bei
Faesulae die Waffen gegen die Regierung erhaben hatten, war in Rom
seines Bleibens nicht mehr; und dennoch lag ihm nicht bloß alles daran,
die hauptstädtische Verschwörung jetzt wenigstens zum raschen
Losschlagen zu bestimmen, sondern wußte dies auch geschehen sein, bevor
er Rom verließ - denn er kannte seine Gehilfen zu gut, um sich dafür
auf sie zu verlassen. Die angesehenen unter den Mitverschworenen,
Publius Lentulus Sura, Konsul 683 (71), später aus dem Senat gestoßen
und jetzt, um in den Senat zurückzugelangen, wieder Prätor, und die
beiden gewesenen Prätoren Publius Autronius und Lucius Cassius waren
unfähige Menschen, Lentulus ein gewöhnlicher Aristokrat von großen
Warten und großen Ansprüchen, aber langsam im Begreifen und
unentschlossen im Handeln, Autronius durch nichts ausgezeichnet als
durch seine gewaltige Kreischstimme; von Lucius Cassius gar begriff es
niemand, wie ein so dicker und so einfältiger Mensch unter die
Verschwörer geraten sei. Die fähigeren Teilnehmer aber, wie den jungen
Senator Gaius Cethegus und die Ritter Lucius Statilius und Publius
Gabinius Capito, durfte Catilina nicht wagen, an die Spitze zu stellen,
da selbst unter den Verschworenen noch die traditionelle
Standeshierarchie ihren Platz behauptete und auch die Anarchisten nicht
meinten, obsiegen zu können, wenn nicht ein Konsular oder mindestens
ein Prätorier an der Spitze stand. Wie dringend darum immer die
Insurrektionsarmee nach ihrem Feldherrn verlangte und wie mißlich es
für diesen war, nach dem Ausbruch des Aufstandes länger am Sitze der
Regierung zu verweilen, entschloß Catilina sich dennoch, vorläufig noch
in Rom zu bleiben. Gewohnt, durch seinen kecken Übermut den feigen
Gegnern zu imponieren, zeigte er sich öffentlich auf dem Markte wie im
Rathaus und antwortete auf die Drohungen, die dort gegen ihn fielen,
daß man sich hüten möge, ihn aufs äußerste zu treiben; wem man das Haus
anzünde, der werde genötigt, den Brand unter Trümmern zu löschen. In
der Tat wagten es weder Private noch Behörden, auf den gefährlichen
Menschen die Hand zulegen; es war ziemlich gleichgültig, daß ein junger
Adliger ihn wegen Vergewaltigung vor Gericht zog, denn bevor der Prozeß
zu Ende kommen konnte, mußte längst anderweitig entschieden sein. Aber
auch Catilinas Entwürfe scheiterten, hauptsächlich daran, daß die
Agenten der Regierung sich in den Kreis der Verschworenen gedrängt
hatten und dieselbe stets von allem Detail des Kornplatts genau
unterrichtet hielten. Als zum Beispiel die Verschworenen vor dem festen
Praeneste erschienen (1. November), das sie durch einen Handstreich zu
überrumpeln gehofft hatten, fanden sie die Bewohner gewarnt und
gerüstet; und in ähnlicher Weise schlug alles fehl. Catilina fand bei
all seiner Tollkühnheit es doch geraten, jetzt seine Abreise auf einen
der nächsten Tage festzusetzen; vorher aber wurde noch auf seine
dringende Mahnung in einer letzten Zusammenkunft der Verschworenen in
der Nacht vom 6. auf den 7. November beschlossen, den Konsul Cicero,
der die Kontermine hauptsächlich leitete, noch vor der Abreise des
Führers zu ermorden und, um jedem Verrat zuvorzukommen, diesen Beschluß
augenblicklich ins Werk zu setzen. Früh am Morgen des 7. November
pochten denn auch die erkorenen Mörder an dem Hause des Konsuls; aber
sie sahen die Wachen verstärkt und sich selber abgewiesen - auch
diesmal hatten die Spione der Regierung den Verschworenen den Rang
abgelaufen. Am Tage darauf (8. November) berief Cicero den Senat. Noch
jetzt wagte es Catilina zu erscheinen und gegen die zornigen Angriffe
des Konsuls, der ihm ins Gesicht die Vorgänge der letzten Tage
enthüllte, eine Verteidigung zu versuchen, aber man hörte nicht mehr
auf ihn und in der Nähe des Platzes, auf dem er saß, leerten sich die
Bänke. Er verließ die Sitzung und begab sich, wie er übrigens auch ohne
diesen Zwischenfall ohne Zweifel getan haben würde, der Verabredung
gemäß nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum Konsul aus und nahm
eine zuwartende Stellung, um auf die erste Meldung von dem Ausbruch
einer Insurrektion in der Hauptstadt die Truppen gegen dieselbe in
Bewegung zu setzen. Die Regierung erklärte die beiden Führer Catilina
und Manlius sowie diejenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem
bestimmten Tag die Waffen niedergelegt haben würden, in die Acht und
rief neue Milizen ein; aber an die Spitze des gegen Catilina Gestimmten
Heeres ward der Konsul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die
Verschwörung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus vom
Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm zuführen
werde. Man schien es geradezu darauf angelegt zu haben, aus diesem
Antonius einen zweiten Lepidus zu machen. Ebensowenig ward
eingeschritten gegen die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Leiter der
Verschwörung, obwohl jedermann mit Fingern auf sie wies und die
Insurrektion in der Hauptstadt von den Verschworenen nichts weniger als
aufgegeben, vielmehr der Plan derselben noch von Catilina selbst vor
seinem Abgang von Rom festgelegt worden war. Ein Tribun sollte durch
Berufung einer Volksversammlung das Zeichen geben, die Nacht darauf
Cethegus den Konsul Cicero aus dem Wege räumen, Gabinius und Statilius
die Stadt an zwölf Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem
inzwischen herangezogenen Heere Catilinas die Verbindung in möglichster
Geschwindigkeit hergestellt werden. Hätten Cethegus’ dringende
Vorstellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an
die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Losschlagen
entschlossen, so konnte die Verschwörung auch jetzt noch gelingen.
Allein die Konspiratoren waren gerade ebenso unfähig und ebenso feig
wie ihre Gegner; Wochen verflossen und es kam zu keiner Entscheidung.
Endlich führte die Kontermine sie herbei. In seiner weitläufigen und
gern die Säumigkeit in dem Nächsten und Notwendigen durch die
Entwerfung fernliegender und weitsichtiger Pläne bedeckenden Art hatte
Lentulus sich mit den eben in Rom anwesenden Deputierten eines
Keltengaus, der Allobrogen, eingelassen und diese, die Vertreter eines
gründlich zerrütteten Gemeinwesens und selber tief verschuldet,
versucht in die Verschwörung zu verwickeln, auch ihnen bei ihrer
Abreise Boten und Briefe an die Vertrauten mitgegeben. Die Allobrogen
verließen Rom, wurden aber in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember hart
an den Toren von den römischen Behörden angehalten und ihre Papiere
ihnen abgenommen. Es zeigte sich, daß die allobrogischen Abgeordneten
sich zu Spionen der römischen Regierung hergegeben und die
Verhandlungen nur deshalb geführt hatten, um dieser die gewünschten
Beweisstücke gegen die Hauptleiter der Verschwörung in die Hände zu
spielen. Am Morgen darauf wurden von Cicero in möglichster Stille
Verhaftsbefehle gegen die gefährlichsten Führer des Komplotts erlassen
und gegen Lentulus, Cethegus, Gabinius und Statilius auch vollzogen,
während einige andere durch die Flucht der Festnehmung entgingen. Die
Schuld der Ergriffenen wie der Flüchtigen war vollkommen evident.
Unmittelbar nach der Verhaftung wurden dem Senat die weggenommenen
Briefschaften vorgelegt, zu deren Siegel und Handschrift die
Verhafteten nicht umhin konnten, sich zu bekennen, und die Gefangenen
und Zeugen verhört; weitere bestätigende Tatsachen, Waffenniederlagen
in den Häusern der Verschworenen, drohende Äußerungen, die sie getan,
ergaben sich alsbald; der Tatbestand der Verschwörung war vollständig
und rechtskräftig festgestellt und die wichtigsten Aktenstücke sogleich
auf Ciceros Veranstaltung durch fliegende Blätter publiziert.
Die Erbitterung gegen die anarchistische Verschwörung war allgemein.
Gern hätte die oligarchische Partei die Enthüllungen benutzt, um mit
der Demokratie überhaupt und namentlich mit Caesar abzurechnen, allein
sie war viel zu gründlich gesprengt, um dies durchsetzen und ihm das
Ende bereiten zu können, das sie vor Zeiten den beiden Gracchen und dem
Saturninus bereitet hatte; in dieser Hinsicht blieb es bei dem guten
Willen. Die hauptstädtische Menge empörten namentlich die
Brandstiftungspläne der Verschworenen. Die Kaufmannschaft und die ganze
Partei der materiellen Interessen erkannte in diesem Krieg der
Schuldner gegen die. Gläubiger natürlich einen Kampf um ihre Existenz;
in stürmischer Aufregung drängte sich ihre Jugend, die Schwerter in den
Händen, um das Rathaus und zückte dieselben gegen die offenen und
heimlichen Parteigenossen Catilinas. In der Tat war für den Augenblick
die Verschwörung paralysiert; wenn auch vielleicht ihre letzten Urheber
noch auf freien Füßen waren, so war doch der ganze mit der Ausführung
beauftragte Stab der Verschwörung entweder gefangen oder auf der
Flucht; der bei Faesulae versammelte Haufen konnte ohne Unterstützung
durch eine Insurrektion in der Hauptstadt unmöglich viel ausrichten.
In einem leidlich geordneten Gemeinwesen wäre die Sache hiermit
politisch zu Ende gewesen und hätten das Militär und die Gerichte das
weitere übernommen. Allein in Rom war es so weit gekommen, daß die
Regierung nicht einmal ein paar angesehene Adlige in sicherem Gewahrsam
zu halten imstande war. Die Sklaven und Freigelassenen des Lentulus und
der übrigen Verhafteten regten sich; Pläne, hieß es, seien geschmiedet,
um sie mit Gewalt aus den Privathäusern, in denen sie gefangen saßen,
zu befreien; es fehlte, dank dem anarchischen Treiben der letzten
Jahre, in Rom nicht an Bandenführern, die nach einer gewissen Taxe
Aufläufe und Gewalttaten in Akkord nahmen; Catilina endlich war von dem
Ereignis benachrichtigt und nahe genug, um mit seinen Scharen einer.
dreisten Streich zu versuchen. Wieviel an diesen Reden Wahres war, läßt
sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren gegründet, da der
Verfassung gemäß in der Hauptstadt der Regierung weder Truppen noch
auch nur eine achtunggebietende Polizeimacht zu Gebote stand und sie in
der Tat jedem Banditenhaufen preisgegeben war. Der Gedanke ward laut,
eile etwaigen Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der
Gefangenen abzuschneiden. Verfassungmäßig war dies nicht möglich. Nach
dem altgeheiligten Provokationsrecht konnte über den Gemeindebürger ein
Todesurteil nur von der gesamten Bürgerschaft und sonst von keiner
andren Behörde verhängt werden; seit die Bürgerschaftsgerichte selbst
zur Antiquität geworden waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod
erkannt. Gern hätte Cicero das bedenkliche Ansinnen zurückgewiesen; so
gleichgültig auch an sich die Rechtsfrage dem Advokaten sein mochte, er
wußte wohl, wie nützlich es ebendiesem ist, liberal zu heißen, und
verspürte wenig Lust, durch dies vergossene Blut sich auf ewig von der
demokratischen Partei zu scheiden. Indes seine Umgebung, namentlich
seine vornehme Gemahlin drängten ihn, seine Verdienste um das Vaterland
durch diesen kühnen Schritt zu krönen; der Konsul, wie alle Feigen
ängstlich bemüht, den Schein der Feigheit zu vermeiden und doch auch
vor der furchtbaren Verantwortung zitternd, berief in seiner Not den
Senat und überließ es diesem, über Leben und Tod der vier Gefangenen zu
entscheiden. Freilich hatte dies keinen Sinn; denn da der Senat
verfassungmäßig noch viel weniger hierüber erkennen konnte als der
Konsul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den
letzteren zurück; aber wann ist je die Feigheit konsequent gewesen?
Caesar bot alles auf, um die Gefangenen zu retten, und seine Rede voll
versteckter Drohungen vor der künftigen unausbleiblichen Rache der
Demokratie machte den tiefsten Eindruck. Obwohl bereits sämtliche
Konsulare und die große Majorität des Senats sich für die Hinrichtung
ausgesprochen hatten, schienen doch nun wieder die meisten, Cicero
voran, sich zur Enthaltung der rechtlichen Schranken zu neigen. Allein
indem Cato nach Rabulistenart die Verfechter der milderen Meinung der
Mitwisserschaft an dem Komplott verdächtigte und auf die Vorbereitungen
zur Befreiung der Gefangenen durch einen Straßenaufstand hinwies, wußte
er die schwankenden Seelen wieder in eine andere Furcht zu werfen und
für die sofortige Hinrichtung der Verbrecher die Majorität zu gewinnen.
Die Vollziehung des Beschlusses lag natürlich dem Konsul ob, der ihn
hervorgerufen hatte. Spät am Abend des fünften Dezembers wurden die
Verhafteten aus ihren bisherigen Quartieren abgeholt und über den immer
noch dicht von Menschen vollgedrängten Marktplatz in das Gefängnis
gebracht, worin die zum Tode verurteilten Verbrecher aufbewahrt zu
werden pflegten. Es war ein unterirdisches, zwölf Fuß tiefes Gewölbe am
Fuß des Kapitols, das ehemals als Brunnenhaus gedient hatte. Der Konsul
selbst führte den Lentulus, Prätoren die übrigen, alle von starken
Wachen begleitet; doch fand der Befreiungsversuch, den man erwartete,
nicht statt. Niemand wußte, ob die Verhafteten in ein gesichertes
Gewahrsam oder zur Richtstätte geführt wurden. An der Türe des Kerkers
wurden sie den Dreimännern übergeben, die die Hinrichtungen leiteten,
und in dem unterirdischen Gewölbe bei Fackelschein erdrosselt. Vor der
Türe hatte, bis die Exekutionen vollzogen waren, der Konsul gewartet
und rief darauf über den Markt hin mit seiner lauten wohlbekannten
Stimme der stumm harrenden Menge die Worte zu: “Sie sind tot!” Bis tief
in die Nacht hinein wogten die Haufen durch die Straßen und begrüßten
jubelnd den Konsul, dem sie meinten, die Sicherung ihrer Häuser und
ihrer Habe schuldig geworden zu sein. Der Rat ordnete öffentliche
Dankfeste an und die ersten Männer der Nobilität, Marcus Cato und
Quintus Catulus, begrüßten den Urheber des Todesurteils mit dem - hier
zuerst vernommenen - Namen eines Vaters des Vaterlandes.
Aber es war eine grauenvolle Tat und nur um so grauenvoller, weil sie
einem ganzen Volke als groß und preisenswert erschien. Elender hat sich
wohl nie ein Gemeinwesen bankrott erklärt, als Rom durch diesen, mit
kaltem Blute von der Majorität der Regierung gefaßten, von der
öffentlichen Meinung gebilligten Beschluß, einige politische Gefangene,
die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das Leben nicht
verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der Sicherheit der
Gefängnisse nicht traute und es keine ausreichende Polizei gab! Es war
der humoristische Zug, der selten einer geschichtlichen Tragödie fehlt,
daß dieser Akt der brutalsten Tyrannei von dem haltungslosesten und
ängstlichsten aller römischen Staatsmänner vollzogen werden mußte und
daß der “erste demokratische Konsul” dazu ausersehen war, das Palladium
der alten römischen Gemeindefreiheit, das Provokationsrecht, zu
zerstören.
Nachdem in der Hauptstadt die Verschwörung erstickt worden war noch
bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch übrig, der Insurrektion in
Etrurien ein Ende zu machen. Der Heerbestand von etwa 2000 Mann, den
Catilina vorfand, hatte sich durch die zahlreich herbeiströmenden
Rekruten nahezu verfünffacht und bildete schon zwei ziemlich
vollzählige Legionen, worin freilich nur etwa der vierte Teil der
Mannschaft genügend bewaffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die
Berge geworfen und ein Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden,
um die Organisierung seiner Scharen zu vollenden und den Ausbruch des
Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern
desselben sprengte auch die Armee der Insurgenten: die Masse der minder
Kompromittierten ging daraufhin wieder nach Hause. Der zurückbleibende
Rest entschlossener oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen
Versuch, sich durch die Apenninenpässe nach Gallien durchzuschlagen;
aber als die kleine Schar an dem Fuß des Gebirges bei Pistoria
(Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die Mitte
genommen. Vor sich hatte sie das Korps des Quintus Metellus, das von
Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den nördlichen Abhang des
Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der dem
Drängen seiner Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem
Winterfeldzuge verstanden hatte. Catilina war nach beiden Seiten hin
eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu Ende; es blieb nichts übrig,
als sich auf den näherstehenden Feind, das heißt auf Antonius zu
werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Tale kam es
zum Kampfe zwischen den Insurgenten und den Truppen des Antonius,
welche derselbe, um die Exekution gegen seine ehemaligen Verbündeten
wenigstens nicht selbst vollstrecken zu müssen, für diesen Tag unter
einem Vorwand einem tapferen, unter den Waffen ergrauten Offizier, dem
Marcus Petreius, anvertraut hatte. Die Übermacht der Regierungsarmee
kam bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes wenig in Betracht.
Catilina wie Petreius stellten ihre zuverlässigsten Leute in die
vordersten Reihen; Quartier ward weder gegeben noch genommen. Lange
stand der Kampf und von beiden Seiten fielen viele tapfere Männer;
Catilina, der vor dem Anfange der Schlacht sein Pferd und die der
sämtlichen Offiziere zurückgeschickt hatte, bewies an diesem Tage, daß
ihn die Natur zu nicht gewöhnlichen Dingen bestimmt hatte und daß er es
verstand, zugleich als Feldherr zu kommandieren und als Soldat zu
fechten. Endlich sprengte Petreius mit seiner Garde das Zentrum des
Feindes und faßte, nachdem er dies geworfen hatte, die beiden Flügel
von innen; der Sieg war damit entschieden. Die Leichen der Catilinarier
- man zählte ihrer 3000 - deckten gleichsam in Reihe und Glied den
Boden, wo sie gefochten hatten; die Offiziere und der Feldherr selbst
hatten, da alles verloren war, sich in die Feinde gestürzt und dort den
Tod gesucht und gefunden (Anfang 692 62). Antonius ward wegen dieses
Sieges vom Senat mit dem Imperatorentitel gebrandmarkt und neue
Dankfeste bewiesen, daß Regierung und Regierte anfingen, sich an den
Bürgerkrieg zu gewöhnen.
Das anarchistische Komplott war also in der Hauptstadt wie in Italien
mit blutiger Gewalt niedergeschlagen worden; man ward nur noch an
dasselbe erinnert durch die Kriminalprozesse, die in den etruskischen
Landstädten und in der Hauptstadt unter den Affiliierten der
geschlagenen Partei aufräumten, und durch die anschwellenden italischen
Räuberbanden, wie deren zum Beispiel eine aus den Resten der Heere des
Spartacus und des Catilina erwachsene im Jahre 694 (60) im Gebiet von
Thurii durch Militärgewalt vernichtet ward. Aber es ist wichtig, es im
Auge zu behalten, daß der Schlag keineswegs bloß die eigentlichen
Anarchisten traf, die zur Anzündung der Hauptstadt sich verschworen und
bei Pistoria gefochten hatten, sondern die ganze demokratische Partei.
Daß diese, insbesondere Crassus und Caesar, hier so gut wie bei dem
Komplott von 688 (66) die Hand im Spiele hatten, darf als eine nicht
juristisch, aber historisch ausgemachte Tatsache angesehen werden. Zwar
daß Catulus und die übrigen Häupter der Senatspartei den Führer der
Demokraten der Mitwisserschaft um das anarchistische Komplott ziehen
und daß dieser als Senator gegen den von der Oligarchie beabsichtigten
brutalen Justizmord sprach und stimmte, konnte nur von der
Parteischikane als Beweis seiner Beteiligung an den Plänen Catilinas
geltend gemacht werden. Aber mehr ins Gewicht fällt eine Reihe anderer
Tatsachen. Nach ausdrücklichen und unabweisbaren Zeugnissen waren es
vor allen Crassus und Caesar, die Catilinas Bewerbung um das Konsulat
unterstützten. Als Caesar 690 (64) die Schergen Sullas vor das
Mordgericht zog, ließ er die übrigen verurteilen, den schuldigsten und
schädlichsten aber von ihnen allen, den Catilina, freisprechen. Bei den
Enthüllungen des dritten Dezember nannte Cicero zwar unter den Namen
der bei ihm angezeigten Verschworenen die der beiden einflußreichen
Männer nicht; allein es ist notorisch, daß die Denunzianten nicht bloß
auf diejenigen aussagten, gegen die nachher die Untersuchung gerichtet
ward, sondern außerdem noch auf “viele Unschuldige”, die der Konsul
Cicero aus dem Verzeichnis zu streichen für gut fand; und in späteren
Jahren, als er keine Ursache hatte, die Wahrheit zu entstellen, hat
eben er ausdrücklich Caesar unter den Mitwissern genannt. Eine
indirekte, aber sehr verständliche Bezichtigung liegt auch darin, daß
von den vier am dritten Dezember Verhafteten die beiden am wenigsten
gefährlichen, Statilius und Gabinius, den Senatoren Caesar und Crassus
zur Bewachung übergeben wurden; offenbar sollten sie entweder, wenn sie
sie entrinnen ließen, vor der öffentlichen Meinung als Mitschuldige
oder, wenn sie in der Tat sie festhielten, vor ihren Mitverschworenen
als Abtrünnige kompromittiert werden. Bezeichnend für die Situation ist
die folgende im Senat vorgefallene Szene. Unmittelbar nach der
Verhaftung des Lentulus und seiner Genossen wurde ein von den
Verschworenen in der Hauptstadt an Catilina abgesandter Bote von den
Agenten der Regierung aufgegriffen und derselbe, nachdem ihm
Straflosigkeit zugesichert war, in voller Senatssitzung ein umfassendes
Geständnis abzulegen veranlaßt. Wie er aber an die bedenklichen Teile
seiner Konfession kam und namentlich als seinen Auftraggeber den
Crassus nannte, ward er von den Senatoren unterbrochen und auf Ciceros
Vorschlag beschlossen, die ganze Angabe ohne weitere Untersuchung zu
kassieren, ihren Urheber aber ungeachtet der zugesicherten Amnestie so
lange einzusperren, bis er nicht bloß die Angabe zurückgenommen,
sondern auch bekannt haben werde, wer ihn zu solchem falschen Zeugnis
aufgestiftet habe! Hier liegt es deutlich zu Tage, nicht bloß daß jener
Mann die Verhältnisse recht genau kannte, der auf die Aufforderung,
einen Angriff auf Crassus zu machen, zur Antwort gab, er habe keine
Lust, den Stier der Herde zu reizen, sondern auch daß die
Senatsmajorität, Cicero an der Spitze, unter sich einig geworden war,
die Enthüllungen nicht über eine bestimmte Grenze vorschreiten zu
lassen. Das Publikum war so heikel nicht; die jungen Leute, die zur
Abwehr der Mordbrenner die Waffen ergriffen hatten, waren gegen keinen
so erbittert wie gegen Caesar; sie richteten am fünften Dezember, als
er die Kurie verließ, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte nicht
viel, daß er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben gelassen hätte,
wo siebzehn Jahre später ihn der Todesstreich traf; längere Zeit hat er
die Kurie nicht wieder betreten. Wer überall den Verlauf der
Verschwörung unbefangen erwägt, wird des Argwohns sich nicht zu
erwehren vermögen, daß während dieser ganzen Zeit hinter Catilina
mächtigere Männer standen, welche, gestützt auf den Mangel rechtlich
vollständiger Beweise und auf die Lauheit und Feigheit der nur halb
eingeweihten und nach jedem Vorwande zur Untätigkeit begierig
greifenden Senatsmehrheit, es verstanden, jedes ernstliche Einschreiten
der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem Chef der Insurgenten
freien Abzug zu verschaffen und selbst die Kriegserklärung und
Truppensendungen gegen die Insurrektion so zu lenken, daß sie beinahe
auf die Sendung einer Hilfsarmee hinauslief. Wenn also der Gang der
Ereignisse selbst dafür zeugt, daß die Fäden des Catilinarischen
Komplotts weit höher hinaufreichen als bis zu Lentulus und Catilina, so
wird auch das Beachtung verdienen, daß in viel späterer Zeit, als
Caesar an die Spitze des Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch
übrigen Catilinarier, dem mauretanischen Freischarenführer Publius
Sittius, im engsten Bündnis stand, und daß er das Schuldrecht ganz in
dem Sinne milderte, wie es die Proklamationen des Manlius begehrten.
All diese einzelnen Inzichten reden deutlich genug; wäre das aber auch
nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie gegenüber der seit den
Gabinisch-Manilischen Gesetzen drohender als je ihr zur Seite sich
erhebenden Militärgewalt macht es an sich schon fast zur Gewißheit, daß
sie, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, in den geheimen
Komplotten und dem Bündnis mit der Anarchie eine letzte Hilfe gesucht
hat. Die Verhältnisse waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich.
Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm ungefähr wie damals Sulla,
so suchten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt
aufzurichten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann
womöglich besser als diese zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch
Terrorismus und Anarchie, und diesen zu bahnen war Catilina allerdings
der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputierlicheren Führer der
Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund und überließen den
unsauberen Genossen die Ausführung der unsauberen Arbeit, deren
politisches Resultat sie späterhin sich zuzueignen hofften. Noch mehr
wandten, als das Unternehmen gescheitert war, die höhergestellten
Teilnehmer alles an, um ihre Beteiligung daran zu verhüllen. Und auch
in späterer Zeit, als der ehemalige Konspirator selbst die Zielscheibe
der politischen Komplotte geworden war, zog ebendarum über diese
düsteren Jahre in dem Leben des großen Mannes der Schleier nur um so
dichter sich zusammen und wurden in diesem Sinne sogar eigene Apologien
für ihn geschrieben ^6.
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^6 Eine solche ist der ‘Catilina’ des Sallustius, der von dem
Verfasser, einem notorischen Caesarianer, nach dem Jahre 708 (46)
entweder unter Caesars Alleinherrschaft oder wahrscheinlicher unter dem
Triumvirat seiner Erben veröffentlicht wurde; offenbar als politische
Tendenzschrift, welche sich bemüht, die demokratische Partei, auf
welcher ja die römische Monarchie beruht, zu Ehren zu bringen und
Caesars Andenken von dem schwärzesten Fleck, der darauf haftete, zu
reinigen, nebenher auch den Oheim des Trimvirn Marcus Antonius
möglichst weißzuwaschen (vgl. z. B. c. 59 mit Dio 37, 39). Ganz ähnlich
soll der ‘Jugurtha’ desselben Verfassers teils die Erbärmlichkeit des
oligarchischen Regiments aufdecken, teils den Koryphäen der Demokratie
Gaius Marius verherrlichen. Daß der gewandte Schriftsteller den
apologetischen und akkusatorischen Charakter dieser seiner Bücher
zurücktreten läßt, beweist nicht, daß sie keine, sondern daß sie gute
Parteischriften sind.
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Seit fünf Jahren stand Pompeius im Osten an der Spitze seiner Heere und
Flotten; seit fünf Jahren konspirierte die Demokratie daheim, um ihn zu
stürzen. Das Ergebnis war entmutigend. Mit unsäglichen Anstrengungen
hatte man nicht bloß nichts erreicht, sondern moralisch wie materiell
ungeheure Einbuße gemacht. Schon die Koalition vom Jahre 683 (71) mußte
den Demokraten vom reinen Wasser ein Ärgernis sein, obwohl die
Demokratie damals nur mit zwei angesehenen Männern der Gegenpartei sich
einließ und diese auf ihr Programm verpflichtete. Jetzt aber hatte die
demokratische Partei gemeinschaftliche Sache gemacht mit einer Bande
von Mördern und Bankerottierern, die fast alle gleichfalls Überläufer
aus dem Lager der Aristokratie waren, und hatte deren Programm, das
heißt den Cinnanischen Terrorismus, wenigstens vorläufig akzeptiert.
Die Partei der materiellen Interessen, eines der Hauptelemente der
Koalition von 683 (71) wurde hierdurch der Demokratie entfremdet und
zunächst den Optimaten, überhaupt aber jeder Macht, die Schutz vor der
Anarchie gewähren wollte und konnte, in die Arme getrieben. Selbst die
hauptstädtische Menge, die zwar gegen einen Straßenkrawall nichts
einzuwenden hatte, aber es doch unbequem fand, sich das Haus über dem
Kopfe anzünden zu lassen, ward einigermaßen scheu. Es ist merkwürdig,
daß eben in diesem Jahr (691 63) die volle Wiederherstellung der
Sempronischen Getreidespenden stattfand, und zwar von Seiten des Senats
auf den Antrag Catos. Offenbar hatte der Bund der Demokratenführer mit
der Anarchie zwischen jene und die Stadtbürgerschaft einen Keil
getrieben, und suchte die Oligarchie, nicht ohne wenigstens
augenblicklichen Erfolg, diesen Riß zu erweitern und die Massen auf
ihre Seite hinüberzuziehen. Endlich war Gnaeus Pompeius durch all diese
Kabalen teils gewarnt, teils erbittert worden; nach allem, was
vorgefallen war, und nachdem die Demokratie die Bande, die sie mit
Pompeius verknüpften, selber so gut wie zerrissen hatte, konnte sie
nicht mehr schicklicherweise von ihm begehren, was im Jahre 684 (70)
eine gewisse Billigkeit für sich gehabt hatte, daß er die demokratische
Macht, die er und die ihn emporgebracht, nicht selber mit dem Schwerte
zerstöre. So war die Demokratie entehrt und geschwächt; vor allen
Dingen aber war sie lächerlich geworden durch die unbarmherzige
Aufdeckung ihrer Ratlosigkeit und Schwäche. Wo es sich um die
Demütigung des gestürzten Regiments und ähnliche Nichtigkeiten
handelte, war sie groß und gewaltig; aber jeder ihrer Versuche, einen
wirklich politischen Erfolg zu erreichen, war platt zur Erde gefallen.
Ihr Verhältnis zu Pompeius war so falsch wie kläglich. Während sie ihn
mit Lobsprüchen und Huldigungen überschüttete, spann sie gegen ihn eine
Intrige nach der anderen, die eine nach der anderen, Seifenblasen
gleich, von selber zerplatzten. Der Feldherr des Ostens und der Meere,
weit entfernt, sich dagegen zur Wehr zu setzen, schien das ganze
geschäftige Treiben nicht einmal zu bemerken und seine Siege über sie
zu erfechten wie Herakles den über die Pygmäen, ohne selber darum
gewahr zu werden. Der Versuch, den Bürgerkrieg zu entflammen, war
jämmerlich gescheitert; hatte die anarchistische Fraktion wenigstens
einige Energie entwickelt, so hatte die reine Demokratie die Rotten
wohl zu dingen verstanden, aber weder sie zu führen, noch sie zu
retten, noch mit ihnen zu sterben. Selbst die alte todesmatte
Oligarchie hatte, gestärkt durch die aus den Reihen der Demokratie zu
ihr übertretenden Massen und vor allem durch die in dieser
Angelegenheit unverkennbare Gleichheit ihrer Interessen und derjenigen
des Pompeius, es vermocht, diesen Revolutionsversuch niederzuschlagen
und damit noch einen letzten Sieg über die Demokratie zu erfechten.
Inzwischen war König Mithradates gestorben, Kleinasien und Syrien
geordnet, Pompeius’ Heimkehr nach Italien jeden Augenblick zu erwarten.
Die Entscheidung war nicht fern; aber konnte in der Tat noch die Rede
sein von einer Entscheidung zwischen dem Feldherrn, der ruhmvoller und
gewaltiger als je zurückkam, und der beispiellos gedemütigten und
völlig machtlosen Demokratie? Crassus schickte sich an, seine Familie
und sein Gold zu Schiffe zu bringen und irgendwo im Osten eine
Freistatt aufzusuchen; und selbst eine so elastische und so energische
Natur wie Caesar schien im Begriff, das Spiel verloren zu geben. In
dieses Jahr (691 63) fällt seine Bewerbung um die Stelle des
Oberpontifex; als er am Morgen der Wahl seine Wohnung verließ, äußerte
er, wenn auch dieses ihm fehlschlage, werde er, die Schwelle seines
Hauses nicht wieder überschreiten.
KAPITEL VI.
Pompeius’ Rücktritt und die Koalition der Prätendenten
Als Pompeius nach Erledigung der ihm aufgetragenen Verrichtungen seine
Blicke wieder der Heimat zuwandte, fand er zum zweiten Male das Diadem
zu seinen Füßen. Längst neigte die Entwicklung des römischen
Gemeinwesens einer solchen Katastrophe sich zu; es war jedem
Unbefangenen offenbar und war tausendmal gesagt worden, daß, wenn der
Herrschaft der Aristokratie ein Ende gemacht sein werde, die Monarchie
unausbleiblich sei. Jetzt war der Senat gestürzt zugleich durch die
bürgerliche, liberale Opposition und die soldatische Gewalt; es konnte
sich nur noch darum handeln, für die neue Ordnung der Dinge die
Personen, die Namen und Formen festzustellen, die übrigens in den teils
demokratischen, teils militärischen Elementen der Umwälzung bereits
klar genug angedeutet waren. Die Ereignisse der letzten fünf Jahre
hatten auf diese bevorstehende Umwandlung des Gemeinwesens gleichsam
das letzte Siegel gedrückt. In den neu eingerichteten asiatischen
Provinzen, die in ihrem Ordner den Nachfolger des großen Alexander
königlich verehrten und schon seine begünstigten Freigelassenen wie
Prinzen empfingen, hatte Pompeius den Grund seiner Herrschaft gelegt
und zugleich die Schätze, das Heer und den Nimbus gefunden, deren der
künftige Fürst des römischen Staats bedurfte. Die anarchistische
Verschwörung aber in der Hauptstadt mit dem daran sich knüpfenden
Bürgerkrieg hatte es jedem, der politische oder auch nur materielle
Interessen hegte, mit empfindlicher Schärfe dargelegt, daß eine
Regierung ohne Autorität und ohne militärische Macht, wie die des
Senats war, den Staat der ebenso lächerlichen wie furchtbaren Tyrannei
der politischen Industrieritter aussetzte und daß eine
Verfassungsänderung, welche die Militärgewalt enger mit dem Regiment
verknüpfte, eine unabweisliche Notwendigkeit war, wenn die
gesellschaftliche Ordnung ferner Bestand haben sollte. So war im Osten
der Herrscher aufgestanden, in Italien der Thron errichtet; allem
Anschein nach war das Jahr 692 (62) das letzte der Republik, das erste
der Monarchie.
Zwar ohne Kampf war an dieses Ziel nicht zu gelangen. Die Verfassung,
die ein halbes Jahrtausend gedauert hatte und unter der die
unbedeutende Stadt am Tiber zu beispielloser Größe und Herrlichkeit
gediehen war, hatte ihre Wurzeln man wußte nicht wie tief in den Boden
gesenkt, und es ließ sich durchaus nicht berechnen, bis in welche
Schichten hinab der Versuch, sie umzustürzen, die bürgerliche
Gesellschaft aufwühlen werde. Mehrere Nebenbuhler waren in dem Wettlauf
nach dem großen Ziel von Pompeius überholt, aber nicht völlig beseitigt
worden. Es lag durchaus nicht außer der Berechnung, daß alle diese
Elemente sich verbanden, um den neuen Machthaber zu stürzen und
Pompeius sich gegenüber Quintus Catulus und Marcus Cato mit Marcus
Crassus, Gaius Caesar und Titus Labienus vereinigt fand. Aber nicht
leicht konnte der unvermeidliche und unzweifelhaft ernste Kampf unter
günstigeren Verhältnissen aufgenommen werden. Es war in hohem Grade
wahrscheinlich, daß unter dem frischen Eindrucke des Catilinarischen
Aufstandes einem Regimente, das Ordnung und Sicherheit, wenngleich um
den Preis der Freiheit, verhieß, die gesamte Mittelpartei sich fügen
werde, vor allem die einzig um ihre materiellen Interessen bekümmerte
Kaufmannschaft, aber nicht minder ein großer Teil der Aristokratie,
die, in sich zerrüttet und politisch hoffnungslos, zufrieden sein
mußte, durch zeitige Transaktion mit dem Fürsten sich Reichtum, Rang
und Einfluß zu sichern; vielleicht sogar mochte ein Teil der von den
letzten Schlägen schwer getroffenen Demokratie sich bescheiden, von
einem durch sie auf den Schild gehobenen Militärchef die Realisierung
eines Teils ihrer Forderungen zu erhoffen. Aber wie auch immer die
Parteiverhältnisse sich stellten, was kam, zunächst wenigstens, auf die
Parteien in Italien überhaupt noch an, Pompeius gegenüber und seinem
siegreichen Heer? Zwanzig Jahre zuvor hatte Sulla, nachdem er mit
Mithradates einen Notfrieden abgeschlossen hatte, gegen die gesamte,
seit Jahren massenhaft rüstende liberale Partei, von den gemäßigten
Aristokraten und der liberalen Kaufmannschaft an bis hinab zu den
Anarchisten, mit seinen fünf Legionen eine der natürlichen Entwicklung
der Dinge zuwiderlaufende Restauration durchzusetzen vermocht.
Pompeius’ Aufgabe war weit minder schwer. Er kam zurück, nachdem er zur
See und zu Lande seine verschiedenen Aufgaben vollständig und
gewissenhaft gelöst hatte. Er durfte erwarten, auf keine andere
ernstliche Opposition zu treffen als auf die der verschiedenen extremen
Parteien, von denen jede einzeln gar nichts vermochte und die, selbst
verbündet, immer nicht mehr waren als eine Koalition eben noch hitzig
sich befehdender und innerlich gründlich entzweiter Faktionen.
Vollkommen ungerüstet waren sie ohne Heer und Haupt, ohne Organisation
in Italien, ohne Rückhalt in den Provinzen, vor allen Dingen ohne einen
Feldherrn; es war in ihren Reihen kaum ein namhafter Militär,
geschweige denn ein Offizier, der es hätte wagen dürfen, die Bürger zum
Kampfe gegen Pompeius aufzurufen. Auch das durfte in Anschlag kommen,
daß der jetzt seit siebzig Jahren rastlos flammende und an seiner
eigenen Glut zehrende Vulkan der Revolution sichtlich ausbrannte und
anfing, in sich selber zu erlöschen. Es war sehr zweifelhaft, ob es
jetzt gelingen werde, die Italiker so für Parteiinteressen zu
bewaffnen, wie noch Cinna und Carbo dies vermocht hatten. Wenn Pompeius
zugriff, wie konnte es ihm fehlen, eine Staatsumwälzung durchzusetzen,
die in der organischen Entwicklung des römischen Gemeinwesens mit einer
gewissen Naturnotwendigkeit vorgezeichnet war?
Pompeius hatte den Moment erfaßt, indem er die Mission nach dem Orient
übernahm; er schien fortfahren zu wollen. Im Herbste des Jahres 691
(63) traf Quintus Metellus Nepos aus dem Lager des Pompeius in der
Hauptstadt ein und trat auf als Bewerber um das Tribunat, in der
ausgesprochenen Absicht, als Volkstribun Pompeius das Konsulat für das
Jahr 693 (61) und zunächst durch speziellen Volksbeschluß die Führung
des Krieges gegen Catilina zu verschaffen. Die Aufregung in Rom war
gewaltig. Es war nicht zu bezweifeln, daß Nepos im direkten oder
indirekten Auftrag des Pompeius handelte; Pompeius’ Begehren, in
Italien an der Spitze seiner asiatischen Legionen als Feldherr
aufzutreten und daselbst die höchste militärische und die höchste
bürgerliche Gewalt zugleich zu verwalten, ward aufgefaßt als ein
weiterer Schritt auf dem Wege zum Throne, Nepos’ Sendung als die
halboffizielle Ankündigung der Monarchie.
Es kam alles darauf an, wie die beiden großen politischen Parteien zu
diesen Eröffnungen sich verhielten; ihre künftige Stellung und die
Zukunft der Nation hingen davon ab. Die Aufnahme aber, die Nepos fand,
war selbst wieder bestimmt durch das damalige Verhältnis der Parteien
zu Pompeius, das sehr eigentümlicher Art war. Als Feldherr der
Demokratie war Pompeius nach dem Osten gegangen. Er hatte Ursache
genug, mit Caesar und seinem Anhang unzufrieden zu sein, aber ein
offener Bruch war nicht erfolgt. Es ist wahrscheinlich, daß Pompeius,
der weit entfernt und mit andern Dingen beschäftigt war, überdies der
Gabe, sich politisch zu orientieren, durchaus entbehrte, den Umfang und
den Zusammenhang der gegen ihn gesponnenen demokratischen Umtriebe
damals wenigstens keineswegs durchschaute, vielleicht sogar in seiner
hochmütigen und kurzsichtigen Weise einen gewissen Stolz darein setzte,
diese Maulwurfstätigkeit zu ignorieren. Dazu kam, was bei einem
Charakter von Pompeius’ Art sehr ins Gewicht fiel, daß die Demokratie
den äußeren Respekt gegen den großen Mann nie aus den Augen gesetzt, ja
eben jetzt (691 63), unaufgefordert wie er es liebte, ihm durch einen
besonderen Volksschluß unerhörte Ehren und Dekorationen gewährt hatte.
Indes wäre auch alles dies nicht gewesen, so lag es in Pompeius’
eigenem wohlverstandenen Interesse, sich wenigstens äußerlich
fortwährend zur Popularpartei zu halten; Demokratie und Monarchie
stehen in so enger Wahlverwandtschaft, daß Pompeius, indem er nach der
Krone griff, kaum anders konnte, als sich wie bisher den Vorfechter der
Volksrechte nennen. Wie also persönliche und politische Gründe,
zusammenwirkten, um trotz allem Vorgefallenen Pompeius und die Führer
der Demokratie bei ihrer bisherigen Verbindung festzuhalten, so geschah
auf der entgegengesetzten Seite nichts, um die Kluft auszufüllen, die
ihn seit seinem Übertritt in das Lager der Demokratie von seinen
sullanischen Parteigenossen trennte. Sein persönliches Zerwürfnis mit
Metellus und Lucullus übertrug sich auf deren ausgedehnte und
einflußreiche Koterien. Eine kleinliche, aber für einen so kleinlich
zugeschnittenen Charakter eben ihrer Kleinlichkeit wegen um so tiefer
erbitternde Opposition des Senats hatte ihn auf seiner ganzen
Feldherrnlaufbahn begleitet. Er empfand es schmerzlich, daß der Senat
nicht das geringste getan, um den außerordentlichen Mann nach
Verdienst, das heißt außerordentlich zu ehren. Endlich ist es nicht aus
der Acht zu lassen, daß die Aristokratie eben damals von ihrem frischen
Siege berauscht, die Demokratie tief gedemütigt war, und daß die
Aristokratie von dem bocksteifen und halb närrischen Cato, die
Demokratie von dem schmiegsamen Meister der Intrige Caesar geleitet
ward.
In diese Verhältnisse traf das Auftreten des von Pompeius gesandten
Emissärs. Die Aristokratie betrachtete nicht bloß die Anträge, die
derselbe zu Pompeius’ Gunsten ankündigte, als eine Kriegserklärung
gegen die bestehende Verfassung, sondern behandelte sie auch öffentlich
als solche und gab sich nicht die mindeste Mühe, ihre Besorgnis und
ihren Ingrimm zu verhehlen: in der ausgesprochenen Absicht, diese
Anträge zu bekämpfen, ließ sich Marcus Cato mit Nepos zugleich zum
Volkstribun wählen und wies Pompeius’ wiederholten Versuch, sich ihm
persönlich zu nähern, schroff zurück. Es ist begreiflich, daß Nepos
hiernach sich nicht veranlaßt fand, die Aristokratie zu schonen,
dagegen den Demokraten sich um so bereitwilliger anschloß, als diese,
geschmeidig wie immer, in das Unvermeidliche sich fügten und das
Feldherrnamt in Italien wie das Konsulat lieber freiwillig zugestanden
als es mit den Waffen sich abzwingen ließen. Das herzliche
Einverständnis offenbarte sich bald. Nepos bekannte sich (Dezember 691
63) öffentlich zu der demokratischen Auffassung der von der
Senatsmajorität kürzlich verfügten Exekutionen als verfassungswidriger
Justizmorde; und daß auch sein Herr und Meister sie nicht anders ansah,
bewies sein bedeutsames Stillschweigen auf die voluminöse
Rechtfertigungsschrift, die ihm Cicero übersandt hatte. Andererseits
war es der erste Akt, womit Caesar seine Prätur eröffnete, daß er den
Quintus Catulus wegen der bei dem Wiederaufbau des Kapitolinischen
Tempels angeblich von ihm unterschlagenen Gelder zur Rechenschaft zog
und die Vollendung des Tempels an Pompeius übertrug. Es war das ein
Meisterzug. Catulus baute an dem Tempel jetzt bereits im sechzehnten
Jahr und schien gute Lust zu haben, als Oberaufseher der
kapitolinischen Bauten wie zu leben so zu sterben; ein Angriff auf
diesen, nur durch das Ansehen des vornehmen Beauftragten zugedeckten
Mißbrauch eines öffentlichen Auftrags war der Sache nach vollkommen
begründet und in hohem Maße populär. Indem aber zugleich dadurch
Pompeius die Aussicht eröffnet ward, an dieser stolzesten Stelle der
ersten Stadt des Erdkreises den Namen des Catulus tilgen und den
seinigen eingraben zu dürfen, ward ihm ebendas geboten, was ihn vor
allem reizte und der Demokratie nicht schadete, überschwengliche, aber
leere Ehre, und ward zugleich die Aristokratie, die doch ihren besten
Mann unmöglich fallen lassen konnte, auf die ärgerlichste Weise mit
Pompeius verwickelt.
Inzwischen hatte Nepos seine Pompeius betreffenden Anträge bei der
Bürgerschaft eingebracht. Am Tage der Abstimmung interzedierten Cato
und sein Freund und Kollege Quintus Minucius. Als Nepos sich daran
nicht kehrte und mit der Verlesung fortfuhr, kam es zu einem förmlichen
Handgemenge: Cato und Minucius warfen sich über ihren Kollegen und
zwangen ihn innezuhalten; eine bewaffnete Schar befreite ihn zwar und
vertrieb die aristokratische Fraktion vom Markte; aber Cato und
Minucius kamen wieder, nun gleichfalls von bewaffneten Haufen
begleitet, und behaupteten schließlich das Schlachtfeld für die
Regierung. Durch diesen Sieg ihrer Bande über die des Gegners ermutigt,
suspendierte der Senat den Tribun Nepos sowie den Prätor Caesar, der
denselben bei der Einbringung des Gesetzes nach Kräften unterstützt
hatte, von ihren Ämtern; die Absetzung, die im Senat beantragt ward,
wurde, mehr wohl wegen ihrer Verfassungs- als wegen ihrer
Zweckwidrigkeit, von Cato verhindert. Caesar kehrte sich an den
Beschluß nicht und fuhr in seinen Amtshandlungen fort, bis der Senat
Gewalt gegen ihn brauchte. Sowie dies bekannt ward, erschien die Menge
vor seinem Hause und stellte sich ihm zur Verfügung; es hätte nur von
ihm abgehangen, den Straßenkampf zu beginnen oder wenigstens die von
Metellus gestellten Anträge jetzt wiederaufzunehmen und Pompeius das
von ihm gewünschte Militärkommando in Italien zu verschaffen; allein
dies lag nicht in seinem Interesse, und so bewog er die Haufen, sich
wieder zu zerstreuen, worauf der Senat die gegen ihn verhängte Strafe
zurücknahm. Nepos selbst hatte sogleich nach seiner Suspension die
Stadt verlassen und sich nach Asien eingeschifft, um Pompeius von dem
Erfolg seiner Sendung Bericht zu erstatten.
Pompeius hatte alle Ursache, mit der Wendung der Dinge zufrieden zu
sein. Der Weg zum Thron ging nun einmal notwendig durch den
Bürgerkrieg; und diesen mit gutem Fug beginnen zu können dankte er
Catos unverbesserlicher Verkehrtheit. Nach der rechtswidrigen
Verurteilung der Anhänger Catilinas, nach den unerhörten
Gewaltsamkeiten gegen den Volkstribun Metellus konnte Pompeius ihn
führen zugleich als Verfechter der beiden Palladien der römischen
Gemeindefreiheit, des Berufungsrechts und der Unverletzlichkeit des
Volkstribunats, gegen die Aristokratie und als Vorkämpfer der
Ordnungspartei gegen die Catilinarische Bande. Es schien fast
unmöglich, daß Pompeius dies unterlassen und mit sehenden Augen sich
zum zweitenmal in die peinliche Situation begeben werde, in die die
Entlassung seiner Armee im Jahre 684 (70) ihn versetzt und aus der erst
das Gabinische Gesetz ihn erlöst hatte. Indes, wie nahe es ihm auch
gelegt war, die weiße Binde um seine Stirn zu legen, wie sehr seine
eigene Seele danach gelüstete: als es galt, den Griff zu tun, versagten
ihm abermals Herz und Hand. Dieser in allem, nur in seinen Ansprüchen
nicht, ganz gewöhnliche Mensch hätte wohl gern außerhalb des Gesetzes
sich gestellt, wenn dies nur hätte geschehen können, ohne den
gesetzlichen Boden zu verlassen. Schon sein Zaudern in Asien ließ dies
ahnen. Er hätte, wenn er gewollt, sehr wohl im Januar 692 (62) mit
Flotte und Heer im Hafen von Brundisium eintreffen und Nepos hier
empfangen können. Daß er den ganzen Winter 691/92 (63/62) in Asien
säumte, hatte zunächst die nachteilige Folge, daß die Aristokratie, die
natürlich den Feldzug gegen Catilina nach Kräften beschleunigte,
inzwischen mit dessen Banden fertiggeworden war und damit der
schicklichste Vorwand, die asiatischen Legionen in Italien
zusammenzuhalten, hinwegfiel. Für einen Mann von Pompeius’ Art, der in
Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen Stern sich im
öffentlichen Leben ängstlich an das formale Recht anklammerte, und bei
dem der Vorwand ungefähr ebensoviel wog wie der Grund, fiel dieser
Umstand schwer ins Gewicht. Er mochte sich ferner sagen, daß, selbst
wenn er sein Heer entlasse, er dasselbe nicht völlig aus der Hand gebe
und im Notfall doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine
schlagfertige Armee aufzubringen vermöge; daß die Demokratie in
unterwürfiger Haltung seines Winkes gewärtig und mit dem
widerspenstigen Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was
weiter sich von solchen Erwägungen darbot, in denen gerade genug Wahres
war, um sie dem, der sich selber betrügen wollte, plausibel erscheinen
zu lassen. Den Anschlag gab natürlich wiederum Pompeius’ eigenstes
Naturell. Er gehörte zu den Menschen, die wohl eines Verbrechens fähig
sind, aber keiner Insurbordination; im guten wie im schlimmen Sinne war
er durch und durch Soldat. Bedeutende Individualitäten achten das
Gesetz als die sittliche Notwendigkeit, gemeine als die hergebrachte
alltägliche Regel; ebendarum fesselt die militärische Ordnung, in der
mehr als irgendwo sonst das Gesetz als Gewohnheit auftritt, jeden nicht
ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist oft
beobachtet worden, daß der Soldat, auch wenn er den Entschluß gefaßt
hat, seinen Vorgesetzten den Gehorsam zu versagen, dennoch, wenn dieser
Gehorsam gefordert wird, unwillkürlich wieder in Reihe und Glied tritt;
es war dies Gefühl, das Lafayette und Dumouriez im letzten Augenblick
vor dem Treuebruch schwanken und scheitern machte, und eben demselben
ist auch Pompeius unterlegen.
Im Herbst 692 (62) schiffte Pompeius nach Italien sich ein. Während in
der Hauptstadt alles sich bereitete, den neuen Monarchen zu empfangen,
kam der Bericht, daß Pompeius, kaum in Brundisium gelandet, seine
Legionen aufgelöst und mit geringem Gefolge die Reise nach der
Hauptstadt angetreten habe. Wenn es ein Glück ist, eine Krone mühelos
zu gewinnen, so hat das Glück nie mehr für einen Sterblichen getan, als
es für Pompeius tat; aber an den Mutlosen verschwenden die Götter alle
Gunst und alle Gabe umsonst.
Die Parteien atmeten auf. Zum zweiten Male hatte Pompeius abgedankt;
die schon überwundenen Mitbewerber konnten abermals den Wettlauf
beginnen, wobei wohl das wunderlichste war, daß in diesem Pompeius
wieder mitlief. Im Januar 693 (61) kam er nach Rom. Seine Stellung war
schief und schwankte so unklar zwischen den Parteien, daß man ihm den
Spottnamen Gnaeus Cicero verlieh. Er hatte es eben mit allen verdorben.
Die Anarchisten sahen in ihm einen Widersacher, die Demokraten einen
unbequemen Freund, Marcus Crassus einen Nebenbuhler, die vermögende
Klasse einen unzuverlässigen Beschützer, die Aristokratie einen
erklärten Feind ^1. Er war wohl immer noch der mächtigste Mann im
Staat; sein durch ganz Italien zerstreuter militärischer Anhang, sein
Einfluß in den Provinzen, namentlich den östlichen, sein militärischer
Ruf, sein ungeheurer Reichtum gaben ihm ein Gewicht wie es kein anderer
hatte; aber statt des begeisterten Empfanges, auf den er gezählt hatte,
war die Aufnahme, die er fand, mehr als kühl, und noch kühler
behandelte man die Forderungen, die er stellte. Er begehrte für sich,
wie er schon durch Nepos hatte ankündigen lassen, das zweite Konsulat,
außerdem natürlich die Bestätigung der vor. ihm im Osten getroffenen
Anordnungen und die Erfüllung des seinen Soldaten gegebenen
Versprechens, sie mit Ländereien auszustatten. Hiergegen erhob sich im
Senat eine systematische Opposition, zu der die persönliche Erbitterung
des Lucullus und des Metellus Creticus, der alte Groll des Crassus und
Catos gewissenhafte Torheit die hauptsächlichsten Elemente hergaben.
Das gewünschte zweite Konsulat ward sofort und unverblümt verweigert.
Gleich die erste Bitte, die der heimkehrende Feldherr an den Senat
richtete, die Wahl der Konsuln für 693 (61) bis nach seinem Eintreffen
in der Hauptstadt aufzuschieben, war ihm abgeschlagen worden; viel
weniger war daran zu denken, die erforderliche Dispensation von dem
Gesetze Sullas über die Wiederwahl vom Senat zu erlangen. Für die in
den östlichen Provinzen von ihm getroffenen Anordnungen begehrte
Pompeius die Bestätigung natürlich im ganzen; Lucullus setzte es durch,
daß über jede Verfügung besonders verhandelt und abgestimmt ward, womit
für endlose Trakasserien und eine Menge Niederlagen im einzelnen das
Feld eröffnet war. Das Versprechen einer Landschenkung an die Soldaten
der asiatischen Armee ward vom Senat wohl im allgemeinen ratifiziert,
jedoch zugleich ausgedehnt auf die kretischen Legionen des Metellus
und, was schlimmer war, es wurde nicht ausgeführt, da die Gemeindekasse
leer und der Senat nicht gemeint war, die Domänen für diesen Zweck
anzugreifen. Pompeius, daran verzweifelnd, der zähen und tückischen
Opposition des Rates Herr zu werden, wandte sich an die Bürgerschaft.
Allein auf diesem Gebiet verstand er noch weniger sich zu bewegen. Die
demokratischen Führer, obwohl sie ihm nicht offen entgegentraten,
hatten doch auch durchaus keine Ursache, seine Interessen zu den
ihrigen zu machen und hielten sich beiseite. Pompeius’ eigene
Werkzeuge, wie zum Beispiel die durch seinen Einfloß und zum Teil durch
sein Geld gewählten Konsuln Marcus Pupius Piso 693 (61) und Lucius
Afranius 694 (60), erwiesen sich als ungeschickt und unbrauchbar. Als
endlich durch den Volkstribun Lucius Flavius in Form eines allgemeinen
Ackergesetzes die Landanweisung für Pompeius’ alte Soldaten an die
Bürgerschaft gebracht :ward, blieb der von den Demokraten nicht
unterstützte, von den Aristokraten offen bekämpfte Antrag in der
Minorität (Anfang 694 60). Fast demütig buhlte der hochgestellte
Feldherr jetzt um die Gunst der Massen, wie denn auf seinem Antrieb
durch ein von dem Prätor Metellus Nepos eingebrachtes Gesetz die
italischen Zölle abgeschafft wanden (694 60). Aber er spielte den
Demagogen ohne Geschick und ohne Glück; sein Ansehen litt darunter, und
was er wollte, erreichte er nicht. Er hatte sich vollständig
festgezogen. Einer seiner Gegner fußt seine damalige politische
Stellung dahin zusammen, daß er bemüht sei, “seinen gestickten
Triumphalmantel schweigend zu konservieren”. Es blieb ihm in der Tat
nichts übrig, als sich zu ärgern.
———————————————————————-
^1 Der Eindruck der ersten Ansprache, die Pompeius nach seiner Rückkehr
an die Bürgerschaft richtete, wird von Cicero (Art. 1, 14) so
geschildert: prima contio Pornpei non iucunda miseris, inanis improbis,
beatis non grata, bonis non gravis;
———————————————————————-
Da bot sich eine neue Kombination dar. Der Führer der demokratischem
Partei hatte die politische Windstille, die zunächst auf den Rücktritt
des bisherigen Machthabers gefolgt war, in seinem Interesse tätig
benutzt. Als Pompeius aus Asien zurückkam, war Caesar wenig mehr
gewesen als was auch Catilina war: der Chef einer fast zu einem
Verschwörerklub eingeschwundenen politischen Partei und ein bankrotter
Mann. Seitdem aber hatte er nach verwalteter Prätur (692 62) die
Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien übernommen und dadurch Mittel
gefunden, teils seiner Schulden sich zu entledigen; teils zu seinem
militärischen Ruf den Grund zu legen. Sein alter Freund und
Bundesgenosse Crassus hatte durch die Hoffnung, den. Rückhalt gegen
Pompeius, den er an Piso verloren, jetzt an Caesar wiederzufinden, sich
bestimmen lassen, ihn noch vor seinem Abgang in die Provinz von dem
drückendsten Teil seiner Schuldenlast zu befreien. Er selbst hatte den
kurzen Aufenthalt daselbst energisch benutzt. Im Jahre 694 (60) mit
gefüllten Kassen und als Imperator mit wohlgegründeten Ansprüchen auf
den Triumph aus Spanien zurückgekehrt, trat er für das folgende Jahr
als Bewerber um das Konsulat auf, um dessentwillen er, da der Senat ihm
die Erlaubnis, abwesend sich zu der Konsulwahl zu melden, abschlug, die
Ehre des Triumphes unbedenklich darangab. Seit Jahren hatte die
Demokratie danach gerungen, einen der Ihrigen in den Besitz des
höchsten Amtes zu bringen, um auf dieser Brücke zu einer eigenen
militärischen Macht zu gelangen. Längst war es ja den Einsichtigen
aller Farben klar geworden, daß der Parteienstreit nicht durch
bürgerlichen Kampf, sondern nur noch durch Militärmacht entschieden
werden könne; der Verlauf aber der Koalition zwischen der Demokratie
und den mächtigen Militärchefs, durch die der Senatsherrschaft ein Ende
gemacht worden war, zeigte mit unerbittlicher Schärfe, daß jede solche
Allianz schließlich auf eine Unterordnung der bürgerlichen unter die
militärischen Elemente hinauslief und daß die Volkspartei, wenn sie
wirklich herrschen wollte, nicht mit ihr eigentlich fremden, ja
feindlichen Generalen sich verbünden, sondern ihre Führer selbst zu
Generalen machen müsse. Die dahin zielenden Versuche, Catilinas Wahl
zum Konsul durchzusetzen, in Spanien oder Ägypten einen militärischen
Rückhalt zu gewinnen, waren gescheitert; jetzt bot sich ihr die
Möglichkeit, ihrem bedeutendsten Manne das Konsulat und die
Konsularprovinz auf dem gewöhnlichen, verfassungsmäßigen Wege zu
verschaffen und durch Begründung, wenn man so sagen darf, einer
demokratischen Hausmacht sich von dem zweifelhaften und gefährlichen
Bundesgenossen Pompeius unabhängig zu machen.
Aber je mehr der Demokratie daran gelegen sein mußte, sich diese Bahn
zu eröffnen, die ihr nicht so sehr die günstigste als die einzige
Aussicht auf ernstliche Erfolge darbot, desto gewisser konnte sie dabei
auf den entschlossenen Widerstand ihrer politischen Gegner zählen. Es
kam darauf an, wen sie hierbei sich gegenüber fand. Die Aristokratie
vereinzelt war nicht furchtbar; aber es hatte doch soeben in der
Catilinarischen Angelegenheit sich herausgestellt, daß sie da
allerdings noch etwas vermochte, wo sie von den Männern der materiellen
Interessen und von den Anhängern des Pompeius mehr oder minder offen
unterstützt ward. Sie hatte Catilinas Bewerbung um das Konsulat
mehrmals vereitelt, und daß sie das gleiche gegen Caesar versuchen
werde, war gewiß genug. Aber wenn auch vielleicht Caesar ihr zum Trotze
gewählt ward, so reichte die Wahl allein nicht aus. Er bedurfte
mindestens einige Jahre ungestörter Wirksamkeit außerhalb Italiens, um
eine feste militärische Stellung zu gewinnen, und sicherlich ließ die
Nobilität kein Mittel unversucht, um während dieser Vorbereitungszeit
seine Pläne zu durchkreuzen. Der Gedanke lag nahe, ob es nicht gelingen
könne, die Aristokratie wieder, wie im Jahre 683/84 (71 /70) zu
isolieren und zwischen den Demokraten nebst ihrem Bundesgenossen
Crassus einer- und Pompeius und der hohen Finanz andererseits ein auf
gemeinschaftlichen Vorteil fest begründetes Bündnis aufzurichten. Für
Pompeius war ein solches allerdings ein politischer Selbstmord. Sein
bisheriges Gewicht im Staate beruhte darauf, daß er das einzige
Parteihaupt war, das zugleich über Legionen, wenn auch jetzt
aufgelöste, doch immer noch in einem gewissen Maße verfügte. Der Plan
der Demokratie war ebendarauf gerichtet, ihn dieses Übergewichtes zu
berauben und ihm in ihrem eigenen Haupt einen militärischen Nebenbuhler
zur Seite zu stellen. Nimmermehr durfte er hierauf eingehen, am
allerwenigsten aber einem Manne wie Caesar, der schon als bloßer
politischer Agitator ihm genug zu schaffen gemacht und soeben in
Spanien die glänzendsten Beweise auch militärischer Kapazität gegeben
hatte, selber zu einer Oberfeldherrnstelle verhelfen. Allein auf der
anderen Seite war, infolge der schikanösen Opposition des Senats und
der Gleichgültigkeit der Menge für Pompeius und Pompeius’ Wünsche,
seine Stellung, namentlich seinen alten Soldaten gegenüber, so peinlich
und so demütigend geworden, daß man bei seinem Charakter wohl erwarten
konnte, um den Preis der Erlösung aus dieser unbequemen Lage ihn für
eine solche Koalition zu gewinnen. Was aber die sogenannte Ritterpartei
anlangt, so fand diese überall da sich ein, wo die Macht war, und es
verstand sich von selbst, daß sie nicht lange auf sich werde warten
lassen, wenn sie Pompeius und die Demokratie aufs neue ernstlich sich
verbünden sah. Es kam hinzu, daß wegen Catos übrigens sehr löblicher
Strenge gegen die Steuerpächter die hohe Finanz eben jetzt wieder mit
dem Senat in heftigem Hader lag.
So ward im Sommer 694 (60) die zweite Koalition abgeschlossen. Caesar
ließ sich das Konsulat für das folgende Jahr und demnächst die
Statthalterschaft zusichern; Pompeius ward die Ratifikation seiner im
Osten getroffenen Verfügungen und Anweisung von Ländereien an die
Soldaten der asiatischen Armee zugesagt; der Ritterschaft versprach
Caesar gleichfalls das, was der Senat verweigert hatte, ihr durch die
Bürgerschaft zu verschaffen; Crassus endlich, der unvermeidliche,
durfte wenigstens dem Bunde sich anschließen, freilich ohne für den
Beitritt, den er nicht verweigern konnte, bestimmte Zusagen zu
erhalten. Es waren genau dieselben Elemente, ja dieselben Personen, die
im Herbst 683 (71) und die im Sommer 684 (70) den Bund miteinander
schlossen; aber wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die
Parteien! Damals war die Demokratie nichts als eine politische Partei,
ihre Verbündeten siegreiche, an der Spitze ihrer Armeen stehende
Feldherren; jetzt war der Führer der Demokraten selber ein
sieggekrönter, von großartigen militärischen Entwürfen erfüllter
Imperator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee. Damals
siegte die Demokratie in Prinzipienfragen und räumte um diesen Preis
die höchsten Staatsämter ihren beiden Verbündeten ein; jetzt war sie
praktischer geworden und nahm die höchste bürgerliche und militärische
Gewalt für sich selber, wogegen nur in untergeordneten Dingen den
Bundesgenossen Konzessionen gemacht und, bezeichnend genug, nicht
einmal Pompeius’ alte Forderung eines zweiten Konsulats berücksichtigt
wurde. Damals gab sich die Demokratie ihren Verbündeten hin; jetzt
mußten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhältnisse sind vollständig
verändert, am meisten jedoch der Charakter der Demokratie selbst. Wohl
hatte dieselbe, seit sie überhaupt war, im innersten Kern ein
monarchisches Element in sich getragen; allein das Verfassungsideal,
wie es ihren besten Köpfen in mehr oder minder deutlichen Umrissen
vorschwebte, blieb doch immer ein bürgerliches Gemeinwesen, eine
perikleische Staatsordnung, in der die Macht des Fürsten darauf
beruhte, daß er die Bürgerschaft in edelster und vollkommenster Weise
vertrat und der vollkommenste und edelste Teil der Bürgschaft ihren
rechten Vertrauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von solchen
Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale, die wohl auf
die Realitäten einwirken, aber nicht geradezu realisiert werden
konnten. Weder die einfache bürgerliche Gewalt, wie Gaius Gracchus sie
besessen, noch die Bewaffnung der demokratischen Partei, wie sie Cinna,
freilich in sehr unzulänglicher Art, versucht hatte, vermochten in dem
römischen Gemeinwesen als dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten;
die nicht für eine Partei, sondern für einen Feldherrn fechtende
Heeresmaschine, die rohe Macht der Condottieri zeigte sich, nachdem sie
zuerst im Dienste der Restauration auf den Schauplatz getreten war,
bald allen politischen Parteien unbedingt überlegen. Auch Caesar mußte
im praktischen Parteitreiben hiervon sich überzeugen und also reifte in
ihm der verhängnisvolle Entschluß, diese Heeresmaschine selbst seinen
Idealen dienstbar zu machen und das Gemeinwesen, wie er es im Sinne
trug, durch Condottiergewalt aufzurichten. In dieser Absicht schloß er
im Jahre 683 (71) den Bund mit den Generalen der Gegenpartei, welcher,
ungeachtet dieselben das demokratische Programm akzeptiert hatten, doch
die Demokratie und Caesar selbst an den Rand des Unterganges führte. In
der gleichen Absicht trat elf Jahre später er selber als Condottiere
auf. Es geschah in beiden Fällen mit einer gewissen Naivität, mit dem
guten Glauben an die Möglichkeit, ein freies Gemeinwesen wo nicht durch
fremde, doch durch den eigenen Säbel begründen zu können. Man sieht es
ohne Mühe ein, daß dieser Glaube trog und daß niemand den bösen Geist
zum Diener nimmt, ohne ihm selbst zum Knecht zu werden; aber die
größten Männer sind nicht die, welche am wenigsten irren. Wenn noch
nach Jahrtausenden wir ehrfurchtsvoll uns neigen vor denn, was Caesar
gewollt und getan hat, so liegt die Ursache nicht darin, daß er eine
Krone begehrt und gewonnen hat, was an sich so wenig etwas Großes ist
wie die Krone selbst, sondern darin, daß sein mächtiges Ideal: eines
freien Gemeinwesens unter einem Herrscher - ihn nie verlassen und auch
als Monarchen ihn davor bewahrt hat, in das gemeine Königtum zu
versinken.
Ohne Schwierigkeit ward von den vereinigten Parteien Caesars Wahl zum
Konsul für das Jahr 695 (59) durchgesetzt. Die Aristokratie mußte
zufrieden sein, durch einen selbst in dieser Zeit tiefster Korruption
Aufsehen erregenden Stimmenkauf, wofür der ganze Herrenstand die Mittel
zusammenschoß, ihm in der Person des Marcus Bibulus einen Kollegen
zuzugesellen, dessen bornierter Starrsinn in ihren Kreisen als
konservative Energie betrachtet ward und an dessen gutem Willen
wenigstens es nicht lag, wenn die vornehmen Herren ihre patriotischen
Auslagen nicht wieder herausbekamen.
Als Konsul brachte Caesar zunächst die Begehren seiner Verbündeten zur
Verhandlung, unter denen die Landanweisung an die Veteranen des
asiatischen Heeres bei weitem das wichtigste war. Das zu diesem Ende
von Caesar entworfene Ackergesetz hielt im allgemeinen fest an den
Grundzügen, wie sie der das Jahr zuvor in Pompeius’ Auftrag
eingebrachte, aber gescheiterte Gesetzesentwurf aufgestellt hatte. Zur
Verteilung ward nur das italische Domanialland bestimmt, das heißt
wesentlich das Gebiet von Capua, und, wenn dies nicht ausreichen
sollte, anderer italischer Grundbesitz, der aus dem Ertrage der neuen
östlichen Provinzen zu dem in den zensorischen Listen verzeichneten
Taxationswert angekauft werden sollte; alle bestehenden Eigentums- und
Erbbesitzrechte blieben also unangetastet. Die einzelnen Parzellen
waren klein. Die Landempfänger sollten arme Bürger, Väter von
wenigstens drei Kindern sein; der bedenkliche Grundsatz, daß der
geleistete Militärdienst Anspruch auf Grundbesitz gebe, ward nicht
aufgestellt, sondern es wurden nur, wie es billig und zu allen Zeiten
geschehen war, die alten Soldaten sowie nicht minder die auszuweisenden
Zeitpächter den Landausteilern vorzugsweise zur Berücksichtigung
empfohlen. Die Ausführung ward einer Kommission von zwanzig Männern
übertragen, in die Caesar bestimmt erklärte, sich selber nicht wählen
lassen zu wollen.
Die Opposition hatte gegen diesen Vorschlag einen schweren Stand. Es
ließ sich vernünftigerweise nicht leugnen, daß die Staatsfinanzen nach
Einrichtung der Provinzen Pontus und Syrien imstande sein mußten, auf
die kampanischen Pachtgelder zu verzichten; daß es unverantwortlich
war, einen der schönsten und eben zum Kleinbesitz vorzüglich geeigneten
Distrikt Italiens dem Privatverkehr zu entziehen; daß es endlich ebenso
ungerecht wie lächerlich war, noch jetzt nach der Erstreckung des
Bürgerrechts auf ganz Italien der Ortschaft Capua die Munizipalrechte
vorzuenthalten. Der ganze Vorschlag trug den Stempel der Mäßigung, der
Ehrlichkeit und der Solidarität, womit sehr geschickt der demokratische
Parteicharakter verbunden war; denn im wesentlichen lief derselbe doch
hinaus auf die Wiederherstellung der in der marianischen Zeit
gegründeten und von Sulla wiederaufgehobenen capuanischen Kolonie. Auch
in der Form beobachtete Caesar jede mögliche Rücksicht. Er legte den
Entwurf des Ackergesetzes, sowie zugleich den Antrag, die von Pompeius
im Osten erlassenen Verfügungen in Bausch und Bogen zu ratifizieren und
die Petition der Steuerpächter um Nachlaß eines Drittels der
Pachtsummen, zunächst dem Senat zur Begutachtung vor und erklärte sich
bereit, Abänderungsvorschläge entgegenzunehmen und zu diskutieren. Das
Kollegium hatte jetzt Gelegenheit, sich zu überzeugen, wie töricht es
gehandelt hatte, durch Verweigerung dieser Begehren Pompeius und die
Ritterpartei dem Gegner in die Arme zu treiben. Vielleicht war es das
stille Gefühl hiervon, das die hochgeborenen Herren zu dem lautesten
und mit dem gehaltenen Auftreten Caesars übel kontrastierenden
Widerbellen trieb. Das Ackergesetz ward von ihnen einfach und selbst
ohne Diskussion zurückgewiesen. Der Beschluß über Pompeius’
Einrichtungen in Asien fand ebensowenig Gnade vor ihren Augen. Den
Antrag hinsichtlich der Steuerpächter versuchte Cato nach der
unlöblichen Sitte des römischen Parlamentarismus totzusprechen, das
heißt bis zu der gesetzlichen Schlußstunde der Sitzung seine Rede
fortzuspinnen; als Caesar Miene machte, den störrigen Mann verhaften zu
lassen, ward schließlich auch dieser Antrag verworfen.
Natürlich gingen nun sämtliche Anträge an die Bürgerschaft. Ohne sich
weit von der Wahrheit zu entfernen, konnte Caesar der Menge sagen, daß
der Senat die vernünftigsten und notwendigsten, in der achtungsvollsten
Form an ihn gebrachten Vorschläge, bloß weil sie von dem demokratischen
Konsul kamen, schnöde zurückgewiesen habe. Wenn er hinzufügte, daß die
Aristokraten ein Komplott gesponnen hätten, um die Verwerfung der
Anträge zu bewirken, und die Bürgerschaft, namentlich Pompeius selbst
und dessen alte Soldaten, aufforderte, gegen List und Gewalt ihm
beizustehen, so war auch dies keineswegs aus der Luft gegriffen. Die
Aristokratie, voran der eigensinnige Schwachkopf Bibulus und der
standhafte Prinzipiennarr Cato, hatte in der Tat vor, die Sache bis zu
offenbarer Gewalt zu treiben. Pompeius, von Caesar veranlaßt, sich über
seine Stellung zu der obschwebenden Frage auszusprechen, erklärte
unumwunden, wie es sonst seine Art nicht war, daß, wenn jemand wagen
sollte, das Schwert zu zücken, auch er nach dem seinigen greifen und
dann den Schild nicht zu Hause lassen werde; ebenso sprach Crassus sich
aus. Pompeius’ alte Soldaten wurden angewiesen, am Tage der Abstimmung,
die ja zunächst sie anging, zahlreich mit Waffen unter den Kleidern auf
dem Stimmplatz zu erscheinen.
Die Nobilität ließ dennoch kein Mittel unversucht, um die Anträge
Caesars zu vereiteln. An jedem Tage, wo Caesar vor dem Volke auftrat,
stellte sein Kollege Bibulus die bekannten politischen
Wetterbeobachtungen an, die alle öffentlichen Geschäfte unterbrachen;
Caesar kümmerte sich um den Himmel nicht, sondern fuhr fort, seine
irdischen Geschäfte zu betreiben. Die tribunizische Interzession ward
eingelegt; Caesar begnügte sich, sie nicht zu beachten. Bibulus und
Cato sprangen auf die Rednertribüne, harangierten die Menge und
veranlaßten den gewöhnlichen Krawall; Caesar ließ sie durch
Gerichtsdiener vom Markte hinwegführen und übrigens dafür sorgen, daß
ihnen kein Leides geschah - es lag auch in seinem Interesse, daß die
politische Komödie das blieb, was sie war. Alles Schikanierens und
alles Folterns der Nobilität ungeachtet, wurden das Ackergesetz, die
Bestätigung der asiatischen Organisationen und der Nachlaß für die
Steuerpächter von der Bürgerschaft angenommen, die Zwanzigerkommission,
an ihrer Spitze Pompeius und Crassus, erwählt und in ihr Amt
eingesetzt; mit allen ihren Anstrengungen hatte die Aristokratie nichts
weiter erreicht, als daß ihre blinde und gehässige Widersetzlichkeit
die Bande der Koalition noch fester gezogen und ihre Energie, deren sie
bald bei. wichtigeren Dingen bedürfen sollte, an diesen im Grunde
gleichgültigen Angelegenheiten sich erschöpft hatte. Man
beglückwünschte sich untereinander über den bewiesenen Heldenmut; daß
Bibulus erklärt hatte, lieber sterben als weichen zu wollen, daß Cato
noch in den Händen der Büttel fortgefahren hatte zu perorieren, waren
große patriotische Taten; übrigens ergab man sich in sein Schicksal.
Der Konsul Bibulus schloß sich für den noch übrigen Teil des Jahres in
sein Haus ein, wobei er zugleich durch öffentlichen Anschlag bekannt
machte, daß er die fromme Absicht habe, an allen in diesem Jahr zu
Volksversammlungen geeigneten Tagen nach Himmelszeichen zu spähen.
Seine Kollegen bewunderten wieder den großen Mann, der, gleich wie
Ennius von dem alten Fabius gesagt, “den Staat durch Zaudern errette”,
und taten wie er; die meisten derselben, darunter Cato, erschienen
nicht mehr im Senat und halfen innerhalb ihrer vier Wände ihrem Konsul
sich ärgern, daß der politischen Astronomie zum Trotz die
Weltgeschichte weiterging. Dem Publikum erschien diese Passivität des
Konsuls sowie der Aristokratie überhaupt wie billig als politische
Abdikation; und die Koalition war natürlich sehr wohl damit zufrieden,
daß man sie die weiteren Schritte fast ungestört tun ließ. Der
wichtigste darunter war die Regulierung der künftigen Stellung Caesars.
Verfassungsmäßig lag es dem Senat ob, die Kompetenzen des zweiten
konsularischen Amtsjahrs nach vor der Wahl der Konsuln festzustellen;
demgemäß hatte er denn auch, in Voraussicht der Wahl Caesars, dazu für
696 (58) zwei Provinzen ausersehen, in denen der Statthalter nichts
anderes vorzunehmen fand als Straßenbauten und dergleichen nützliche
Dinge mehr. Natürlich konnte es nicht dabei bleiben; es war unter den
Verbündeten ausgemacht, daß Caesar ein außerordentliches nach dem
Muster der Gabinisch-Manilischen Gesetze zugeschnittenes Kommando durch
Volksschluß erhalten solle. Caesar indes hatte öffentlich erklärt,
keinen Antrag zu seinen eigenen Gunsten einbringen zu wollen; der
Volkstribun Publius Vatinius übernahm es also, den Antrag bei der
Bürgerschaft zu stellen, die natürlich unbedingt gehorchte. Caesar
erhielt dadurch die Statthalterschaft des cisalpinischen Galliens und
den Oberbefehl der drei daselbst stehenden, schon im Grenzkrieg unter
Lucius Afranius erprobten Legionen, ferner proprätorischen Rang für
seine Adjutanten, wie die Pompeianischen ihn gehabt hatten; auf fünf
Jahre hinaus, auf längere Zeit, als je früher ein überhaupt auf
bestimmte Zeit beschränkter Feldherr bestellt worden war, ward dies Amt
ihm gesichert. Den Kern seiner Statthalterschaft bildeten die
Transpadaner, seit Jahren schon, in Hoffnung auf das Bürgerrecht, die
Klienten der demokratischen Partei in Rom und insbesondere Caesars.
Sein Sprengel erstreckte sich südlich bis zum Arnus und zum Rubico und
schloß Luca und Ravenna ein. Nachträglich ward dann noch die Provinz
Narbo mit der einen daselbst befindlichen Legion zu Caesars Amtsbezirk
hinzugefügt, was auf Pompeius’ Antrag der Senat beschloß, um wenigstens
nicht auch dies Kommando durch außerordentlichen Bürgerschaftsbeschluß
auf Caesar übergehen zu sehen. Man hatte damit, was man wollte. Da
verfassungsmäßig in dem eigentlichen Italien keine Truppen stehen
durften, so beherrschte der Kommandant der norditalischen und
gallischen Legionen auf die nächsten fünf Jahre zugleich Italien und
Rom; und wer auf fünf Jahre, ist auch Herr auf Lebenszeit. Caesars
Konsulat hatte seinen Zweck erreicht. Es versteht sich, daß die neuen
Machthaber nebenbei nicht versäumten, die Menge durch Spiele und
Lustbarkeiten aller Art bei guter Laune zu erhalten, und daß sie jede
Gelegenheit ergriffen, ihre Kasse zu füllen; wie denn zum Beispiel dem
König von Ägypten der Volksschluß, der ihn als legitimen Herrscher
anerkannte, von der Koalition um hohen Preis verkauft ward, und ebenso
andere Dynasten und Gemeinden Freibriefe und Privilegien bei dieser
Gelegenheit erwarben.
Auch die Dauerhaftigkeit der getroffenen Einrichtungen schien
hinlänglich gesichert. Das Konsulat ward wenigstens für das nächste
Jahr sicheren Händen anvertraut. Das Publikum glaubte anfangs, daß es
Pompeius und Crassus selber bestimmt sei; die Machthaber zogen es indes
vor, zwei untergeordnete, aber zuverlässige Männer ihrer Partei, Aulus
Gabinius, den besten unter Pompeius’ Adjutanten, und Lucius Piso, der
minder bedeutend, aber Caesars Schwiegervater war, für 696 (58) zu
Konsuln wählen zu lassen. Pompeius übernahm es persönlich, Italien zu
bewachen, wo er an der Spitze der Zwanzigerkommission die Ausführung
des Ackergesetzes betrieb und gegen 20000 Bürger, großenteils alte
Soldaten aus seiner Armee, im Gebiete von Capua mit Grundbesitz
ausstattete; als Rückhalt gegen die hauptstädtische Opposition dienten
ihm Caesars norditalische Legionen. Auf einen Bruch unter den
Machthabern selbst war zunächst wenigstens keine Aussicht. Die von
Caesar als Konsul erlassenen Gesetze, an deren Aufrechterhaltung
Pompeius wenigstens ebensoviel gelegen war als Caesar, verbürgten die
Fortdauer der Spaltung zwischen Pompeius und der Aristokratie, deren
Spitzen, namentlich Cato, fortfuhren, die Gesetze als nichtig zu
behandeln, und damit den Fortbestand der Koalition. Es kam hinzu, daß
auch die persönlichen Bande zwischen ihren Häuptern sich enger
zusammenzogen. Caesar hatte seinen Verbündeten redlich und treulich
Wort gehalten, ohne sie in dem Versprochenen zu beknappen oder zu
schikanieren, und namentlich das in Pompeius’ Interesse beantragte
Ackergesetz völlig wie seine eigene Sache mit Gewandtheit und Energie
durchgefochten; Pompeius war nicht unempfänglich für rechtliches
Verhalten und gute Treue und wohlwollend gestimmt gegen denjenigen, der
ihm über die seit drei Jahren gespielte armselige Petentenrolle mit
einem Schlag hinweggeholfen hatte. Der häufige und vertraute Verkehr
mit einem Manne von der unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit Caesars tat
das übrige, um den Bund der Interessen in einen Freundschaftsbund
umzugestalten. Das Ergebnis und das Unterpfand dieser Freundschaft,
freilich zugleich auch eine öffentliche, schwer mißzuverstehende
Ankündigung der neubegründeten Gesamtherrschaft, war die Ehe, die
Pompeius mit Caesars einziger, dreiundzwanzigjähriger Tochter einging.
Julia, die die Anmut ihres Vaters geerbt hatte, lebte mit ihrem um das
doppelte älteren Gemahl in der glücklichsten Häuslichkeit, und die nach
so vielen Nöten und Krisen Ruhe und Ordnung herbeisehnende Bürgerschaft
sah in diesem Ehebündnis die Gewähr einer friedlichen und gedeihlichen
Zukunft.
Je fester und enger also das Bündnis zwischen Pompeius und Caesar sich
knüpfte, desto hoffnungsloser gestaltete sich die Sache der
Aristokratie. Sie fühlte das Schwert über ihrem Haupte schweben und
kannte Caesar hinlänglich, um nicht zu bezweifeln, daß er, wenn nötig,
es unbedenklich brauchen werde. “Von allen Seiten”, schrieb einer von
ihnen, “stehen wir im Schach; schon haben wir aus Furcht vor dem Tode
oder vor der Verbannung auf die ‘Freiheit’ verzichtet; jeder seufzt, zu
reden wagt keiner”. Mehr konnten die Verbündeten nicht verlangen. Aber
wenn auch die Majorität der Aristokratie in dieser wünschenswerten
Stimmung sich befand, so fehlte es doch natürlich in dieser Partei auch
nicht an Heißspornen. Kaum hatte Caesar das Konsulat niedergelegt, als
einige der hitzigsten Aristokraten, Lucius Domitius und Gaius Memmius,
im vollen Senat den Antrag stellten, die Julischen Gesetze zu
kassieren. Es war das freilich nichts als eine Torheit, die nur zum
Vorteil der Koalition ausschlug; denn da Caesar nun selbst darauf
bestand, daß der Senat die Gültigkeit der angefochtenen Gesetze
untersuchen möge, konnte dieser nicht anders, als deren Legalität
förmlich anerkennen. Allein begreiflicherweise fanden dennoch die
Machthaber hierin eine neue Aufforderung, an einigen der namhaftesten
und vorlautesten Opponenten ein Exempel zu statuieren, und dadurch sich
zu versichern, daß die übrige Masse bei jenem zweckmäßigen Seufzen und
Schweigen beharre. Anfangs hatte man gehofft, daß die Klausel des
Ackergesetzes, welche wie üblich den Eid auf das neue Gesetz von den
sämtlichen Senatoren bei Verlust ihrer politischen Rechte forderte, die
heftigsten Widersacher bestimmen werde, nach dem Vorgange des Metellus
Numidicus sich durch die Eidverweigerung selber zu verbannen. Allein so
gefällig erwiesen sich dieselben doch nicht; selbst der gestrenge Cato
bequemte sich zu schwören, und seine Sanchos folgten ihm nach. Ein
zweiter wenig ehrbarer Versuch, die Häupter der Aristokratie wegen
eines angeblich gegen Pompeius gesponnenen Mordanschlags mit
Kriminalanklagen zu bedrohen und dadurch sie in die Verbannung zu
treiben, ward durch die Unfähigkeit der Werkzeuge vereitelt; der
Denunziant, ein gewisser Vettius, übertrieb und widersprach sich so arg
und der Tribun Vatinius, der die unsaubere Maschine dirigierte, zeigte
sein Einverständnis mit jenem Vettius so deutlich, daß man es geraten
fand, den letzteren im Gefängnis zu erdrosseln und die ganze Sache
fallen zu lassen. Indes hatte man bei dieser Gelegenheit von der
vollständigen Auflösung der Aristokratie und der grenzenlosen Angst der
vornehmen Herren sich sattsam überzeugt; selbst ein Mann wie Lucius
Lucullus hatte sich persönlich Caesar zu Füßen geworfen und öffentlich
erklärt, daß er seines hohen Alters wegen sich genötigt sehe, vom
öffentlichen Leben zurückzutreten. Man ließ sich denn endlich an
einigen wenigen Opfern genügen. Hauptsächlich galt es Cato zu
entfernen, welcher seiner Überzeugung von der Nichtigkeit der
sämtlichen Julischen Gesetze keinen Hehl hatte, und der Mann war so,
wie er dachte zu handeln. Ein solcher Mann war freilich Marcus Cicero
nicht, und man gab sich nicht die Mühe, ihn zu fürchten. Allein die
demokratische Partei, die in der Koalition die erste Rolle spielte,
konnte den Justizmord des 5. Dezember 691 (63), den sie so laut und mit
so gutem Rechte getadelt hatte, unmöglich nach ihrem Siege ungeahndet
lassen. Hätte man die wirklichen Urheber des verhängnisvollen
Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wollen, so maßte man freilich sich
nicht an den schwachmütigen Konsul halten, sondern an die Fraktion der
strengen Aristokratie, die den ängstlichen Mann zu jener Exekution
gedrängt hatte. Aber nach formellem Recht waren für dieselbe allerdings
nicht die Ratgeber des Konsuls, sondern der Konsul selbst
verantwortlich, und vor allem war es der mildere Weg, nur den Konsul
zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatskollegium ganz aus dem Spiele
zu lassen, weshalb auch in den Motiven des gegen Cicero gerichteten
Antrags der Senatsbeschluß, kraft dessen derselbe die Hinrichtung
anordnete, geradezu als untergeschoben bezeichnet ward. Selbst gegen
Cicero hätten die Machthaber gern Aufsehen erregende Schritte
vermieden; allein derselbe konnte es nicht über sich gewinnen, weder
den Machthabern die verlangten Garantien zu geben, noch unter einem der
mehrfach ihm dargebotenen schicklichen Vorwände sich selbst von Rom zu
verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen, jeden
Anstoß zu vermeiden, und der aufrichtigsten Angst hatte er doch nicht
Haltung genug, um vorsichtig zu sein; das Wort maßte heraus, wenn ein
petulanter Witz ihn prickelte oder wenn sein durch das Lob so vieler
adliger Herren fast übergeschnapptes Selbstbewußtsein die
wohlkadenzierten Perioden des plebejischen Advokaten schwellte. Die
Ausführung der gegen Cato und Cicero beschlossenen Maßregeln ward dem
lockeren und wüsten, aber gescheiten und vor allen Dingen dreisten
Publius Clodius übertragen, der seit Jahren mit Cicero in der
bittersten Feindschaft lebte und, um diese befriedigen und als Demagog
eine Rolle spielen zu können, unter Caesars Konsulat sich durch eilige
Adoption aus einem Patrizier in einen Plebejer verwandelt und dann für
das Jahr 696 (58) zum Volkstribun hatte wählen lassen. Als Rückhalt für
Clodius verweilte der Prokonsul Caesar, bis der Schlag gegen die beiden
Opfer gefallen war, in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt. Den
erhaltenen Aufträgen gemäß schlug Clodius der Bürgerschaft vor, Cato
mit der Regulierung der verwickelten Gemeindeverhältnisse der Byzantier
und mit der Einziehung des Königreichs Kypros zu beauftragen, welches
ebenso wie Ägypten durch das Testament Alexanders II. den Römern
angefallen war und nicht, wie Ägypten, die römische Einziehung
abgekauft, dessen König überdies den Clodius vor Zeiten persönlich
beleidigt hatte. Hinsichtlich Ciceros brachte Clodius einen
Gesetzentwurf ein, welcher die Hinrichtung eines Bürgers ohne Urteil
und Recht als ein mit Landesverweisung zu bestrafendes Verbrechen
bezeichnete. Cato also ward durch eine ehrenvolle Sendung entfernt,
Cicero wenigstens mit der möglichst gelinden Strafe belegt, überdies in
dem Antrag doch nicht mit Namen genannt. Das Vergnügen aber versagte
man sich nicht, einerseits einen notorisch zaghaften und zu der Gattung
der politischen Wetterfahnen zählenden Mann wegen von ihm bewiesener
Energie zu bestrafen, andererseits den verbissenen Gegner aller
Eingriffe der Bürgerschaft in die Administration und aller
außerordentlichen Kommandos durch Bürgerschaftsbeschluß selbst mit
einem solchen auszustatten; und mit gleichem Humor ward der Cato
betreffende Antrag motiviert mit der abnormen Tugendhaftigkeit dieses
Mannes, welche ihn vor jedem andern geeignet erscheinen lasse, einen so
kitzlichen Auftrag, wie die Einziehung des ansehnlichen kyprischen
Kronschatzes war, auszuführen, ohne zu stehlen. Beide Anträge tragen
überhaupt den Charakter rücksichtsvoller Deferenz und kühler Ironie,
der Caesars Verhalten dem Senat gegenüber durchgängig bezeichnet. Auf
Widerstand stießen sie nicht. Es half natürlich nichts, daß die
Senatsmajorität, um doch auf irgendeine Art gegen die Verhöhnung und
Brandmarkung ihres Beschlusses in der Catilinarischen Sache zu
protestieren, öffentlich das Trauergewand anlegte und daß Cicero
selbst, nun da es zu spät war, bei Pompeius kniefällig um Gnade bat; er
mußte, noch bevor das Gesetz durchging, das ihm die Heimat verschloß,
sich selber verbannen (April 696 58). Cato ließ es gleichfalls nicht
darauf ankommen, durch Ablehnung des ihm gewordenen Auftrags schärfere
Maßregeln zu provozieren, sondern nahm denselben an und schiffte sich
ein nach dem Osten. Das Nächste war getan; auch Caesar konnte Italien
verlassen, um sich ernsteren Aufgaben zu widmen.
KAPITEL VII.
Die Unterwerfung des Westens
Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egoismus, der in der
Kurie und auf den Straßen der Hauptstadt seine Schlachten schlug, sich
der Gang der Geschichte wieder zu Dingen wendet, die wichtiger sind als
die Frage, ob der erste Monarch Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heißen
wird, so mag es wohl gestattet sein, an der Schwelle eines Ereignisses,
dessen Folgen noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen
Augenblick umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem
die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Römer und ihre ersten
Berührungen mit den Bewohnern Deutschlands und Großbritanniens
weltgeschichtlich aufzufassen sind.
Kraft des Gesetzes, daß das zum Staat entwickelte Volk die politisch
unmündigen, das zivilisierte die geistig unmündigen Nachbarn in sich
auflöst - kraft dieses Gesetzes, das so allgemeingültig und so sehr
Naturgesetz ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation,
die einzige des Altertums, welche die höhere politische Entwicklung und
die höhere Zivilisation, wenn auch letztere nur in unvollkommener und
äußerlicher Weise, miteinander zu verbinden vermocht hat, befugt, die
zum Untergang reifen griechischen Staaten des Ostens sich untertan zu
machen und die Völkerschaften niedrigerer Kulturgrade im Westen,
Libyer, Iberer, Kelten, Germanen, durch ihre Ansiedler zu verdrängen -
eben wie England mit gleichem Recht in Asien eine ebenbürtige, aber
politisch impotente Zivilisation sich unterworfen, in Amerika und
Australien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel seiner
Nationalität bezeichnet und geadelt hat und noch fortwährend bezeichnet
und adelt. Die Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens,
hatte die römische Aristokratie vollbracht; die Aufgabe selber hat sie
nicht gelöst, sondern die außeritalischen Eroberungen stets nur
entweder als notwendiges Übel oder auch als einen gleichsam außerhalb
des Staates stehenden Rentenbesitz betrachtet. Es ist der
unvergängliche Ruhm der römischen Demokratie oder Monarchie - denn
beides fällt zusammen -, daß sie jene höchste Bestimmung richtig
begriffen und kräftig verwirklicht hat. Was die unwiderstehliche Macht
der Verhältnisse durch den wider seinen Willen die Grundlagen der
künftigen römischen Herrschaft im Westen wie im Osten feststellenden
Senat vorbereitet hatte, was dann die römische Emigration in die
Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in die westlichen
Landschaften doch auch als Pionier einer höheren Kultur, instinktmäßig
betrieb, das hat der Schöpfer der römischen Demokratie Gaius Gracchus
mit staatsmännischer Klarheit und Sicherheit erfaßt und durchzuführen
begonnen. Die beiden Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet
Roms, soweit es hellenisch war, zu reunieren, soweit es nicht
hellenisch war, zu kolonisieren, waren mit der Einziehung des
Attalischen Reiches, mit den transalpinischen Eroberungen des Flaccus
bereits in der gracchischen Zeit praktisch anerkannt worden; aber die
obsiegende Reaktion ließ sie wieder verkümmern. Der römische Staat
blieb eine wüste Ländermasse ohne intensive Okkupation und ohne
gehörige Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen
waren durch weite, kaum in ihren Küstensäumen den Römern untertänige
Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der afrikanischen Nordküste
nur die Gebiete von Karthago und Kyrene inselartig okkupiert, selbst
von dem untertänigen Gebiet große Strecken, namentlich in Spanien, den
Römern nur dem Namen nach unterworfen: von Seiten der Regierung aber
geschah zur Konzentrierung und Arrondierung der Herrschaft
schlechterdings nichts, und der Verfall der Flotte schien endlich das
letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu lösen. Wohl
versuchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch die
äußere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn namentlich
Marius mit solchen Ideen sich trug; aber da sie nicht auf die Dauer ans
Ruder kam, blieb es bei Entwürfen. Erst als mit dem Sturz der
Sullanischen Verfassung im Jahre 684 (70) die Demokratie tatsächlich
das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser Hinsicht ein
Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herrschaft auf dem
Mittelländischen Meere wiederhergestellt, die erste Lebensfrage für
einen Staat wie der römische war. Gegen Osten wurde weiter durch die
Einziehung der pontischen und syrischen Landschaften die Euphratgrenze
gesichert. Aber noch war es übrig, jenseits der Alpen zugleich das
römische Gebiet gegen Norden und Westen abzuschließen und der
hellenischen Zivilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des
italischen Stammes hier einen neuen jungfräulichen Boden zu gewinnen.
Dieser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist mehr als ein
Irrtum, es ist ein Frevel gegen den in der Geschichte mächtigen
heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exerzierplatz
betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen für den
bevorstehenden Bürgerkrieg übte. Wenn auch die Unterwerfung des Westens
für Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als er in den
transalpinischen Kriegen seine spätere Machtstellung begründet hat, so
ist ebendies das Privilegium des staatsmännischen Genius, daß seine
Mittel selbst wieder Zwecke sind. Caesar bedurfte wohl für seine
Parteizwecke einer militärischen Macht; Gallien aber hat er nicht als
Parteimann erobert. Es war zunächst für Rom eine politische
Notwendigkeit, der ewig drohenden Invasion der Deutschen schon jenseits
der Alpen zu begegnen und dort einen Damm zu ziehen, der der römischen
Welt den Frieden sicherte. Aber auch dieser wichtige Zweck war noch
nicht der höchste und letzte, weshalb Gallien von Caesar erobert ward.
Als der römischen Bürgerschaft die alte Heimat zu eng geworden war und
sie in Gefahr stand zu verkümmern, rettete die italische
Eroberungspolitik des Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die
italische Heimat wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an
denselben in gleicher Art, nur in größeren Verhältnissen sich
wiederholenden sozialen Mißständen. Es war ein genialer Gedanke, eine
großartige Hoffnung, welche Caesar über die Alpen führte: der Gedanke
und die Zuversicht, dort seinen Mitbürgern eine neue, grenzenlose
Heimat zu gewinnen und den Staat zum zweitenmal dadurch zu
regenerieren, daß er auf eine breitere Basis gestellt ward.
Gewissermaßen läßt sich zu den auf die Unterwerfung des Westens
abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen, den Caesar im
Jahre 693 (61) im Jenseitigen Spanien unternahm. Wielange auch Spanien
schon den Römern gehorchte, immer noch war selbst nach der Expedition
des Decimus Brutus gegen die Callaeker das westliche Gestade von den
Römern wesentlich unabhängig geblieben und die Nordküste noch gar von
ihnen nicht betreten worden; und die Raubzüge, denen von dort aus die
untertänigen Landschaften fortwährend sich ausgesetzt sahen, taten der
Zivilisierung und Romanisierung Spaniens nicht geringen Eintrag.
Hiergegen richtete sich Caesars Zug an der Westküste hinauf. Er
überschritt die den Tajo nördlich begrenzende Kette der Herminischen
Berge (Sierra de Estrella), nachdem er die Bewohner derselben
überwunden und zum Teil in die Ebene übergesiedelt hatte, unterwarf die
Landschaft zu beiden Seiten des Duero und gelangte bis an die
nordwestliche Spitze der Halbinsel, wo er mit Hilfe einer von Gades
herbeigezogenen Flottille Brigantium (Coruña) einnahm. Dadurch wurden
die Anwohner des Atlantischen Ozeans, Lusitaner und Callaeker zur
Anerkennung der römischen Suprematie gezwungen, während der Überwinder
zugleich darauf bedacht war, durch Herabsetzung der nach Rom zu
entrichtenden Tribute und Regulierung der ökonomischen Verhältnisse der
Gemeinden die Lage der Untertanen überhaupt leidlicher zu gestalten.
Indes wenn auch schon in diesem militärischen und administrativen Debüt
des großen Feldherrn und Staatsmannes dieselben Talente und dieselben
leitenden Gedanken durchschimmern, die er später auf größeren
Schauplätzen bewährt hat, so war doch seine Wirksamkeit auf der
Iberischen Halbinsel viel zu vorübergehend, um tief einzugreifen, um so
mehr als bei deren eigentümlichen physischen und nationalen
Verhältnissen nur eine längere Zeit hindurch mit Stetigkeit
fortgesetzte Tätigkeit hier eine dauernde Wirkung äußern konnte.
Eine bedeutendere Rolle in der romanischen Entwicklung des Westens war
der Landschaft bestimmt, welche zwischen den Pyrenäen und dem Rheine,
dem Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean sich ausbreitet und an der
seit der augustinischen Zeit der Name des Keltenlandes, Gallien,
vorzugsweise haftet, obwohl genau genommen das Keltenland teils enger
ist, teils viel weiter sich erstreckt und jene Landschaft niemals eine
nationale und nicht vor Augustus eine politische Einheit gebildet hat.
Es ist eben darum nicht leicht, von den in sich sehr ungleichartigen
Zuständen, die Caesar bei seinem Eintreffen daselbst im Jahre 696 (58)
vorfand, ein anschauliches Bild zu entwerfen.
In der Landschaft am Mittelmeer, welche ungefähr, im Westen der Rhone
Languedoc, im Osten Dauphiné und Provence umfassend, seit sechzig
Jahren römische Provinz war, hatten seit dem kimbrischen Sturm, der
auch über sie hingebraust war, die römischen Waffen selten geruht. 664
(90) hatte Gaius Caelius mit den Salyern um Aquae Sextiae, 674 (80)
Gaius Flaccus auf dem Marsch nach Spanien mit anderen keltischen Gauen
gekämpft. Als im Sertorianischen Krieg der Statthalter Lucius Manlius,
genötigt, seinen Kollegen jenseits der Pyrenäen zu Hilfe zu eilen,
geschlagen von Ilerda (Lerida) zurückkam und auf dem Heimweg von den
westlichen Nachbarn der römischen Provinz, den Aquitanern, zum
zweitenmal besiegt ward (um 676 78), scheint dies einen allgemeinen
Aufstand der Provinzialen zwischen den Pyrenäen und der Rhone,
vielleicht selbst derer zwischen Rhone und Alpen hervorgerufen zu
haben. Pompeius mußte sich durch das empörte Gallien seinen Weg nach
Spanien mit dem Schwerte bahnen und gab zur Strafe für die Empörung die
Marken der Volker-Arekomiker und der Helvier (Departement Gard und
Ardèche) den Massalioten zu eigen; der Statthalter Manius Fonteius
(678-680 76-74) führte diese Anordnungen aus und stellte die Ruhe in
der Provinz wieder her, indem er die Vocontier (Departement Drôme)
niederwarf, Massalia vor den Aufständischen schützte und die römische
Hauptstadt Narbo, die sie berannten, wieder befreite. Die Verzweiflung
indes und die ökonomische Zerrüttung, welche die Mitleidenschaft unter
dem Spanischen Krieg und überhaupt die amtlichen und nichtamtlichen
Erpressungen der Römer über die gallischen Besitzungen brachten, ließ
dieselben nicht zur Ruhe kommen und namentlich der von Narbo am
weitesten entfernte Kanton der Allobrogen war in beständiger Gärung,
von der die “Friedensstiftung”, die Gaius Piso dort 688 (66) vornahm,
sowie das Verhalten der allobrogischen Gesandtschaft in Rom bei
Gelegenheit des Anarchistenkomplotts 691 (63) Zeugnis ablegen und die
bald darauf (693 61) in offene Empörung ausbrach. Catugnatus, der
Führer der Allobrogen in diesem Kriege der Verzweiflung, ward, nachdem
er anfangs nicht unglücklich gefochten, bei Solonium nach rühmlicher
Gegenwehr von dem Statthalter Gaius Pomptinus überwunden.
Trotz aller dieser Kämpfe wurden die Grenzer. des römischen Gebiets
nicht wesentlich vorgeschoben; Lugudunum Convenarum, wo Pompeius die
Trümmer der Sertorianischen Armee angesiedelt hatte, Tolosa, Vienna und
Genava waren immer noch die äußersten römischen Ortschaften gegen
Westen und Norden. Dabei aber war die Bedeutung dieser gallischen
Besitzungen für das Mutterland beständig im Steigen; das herrliche, dem
italischen verwandte Klima, die günstigen Bodenverhältnisse, das dem
Handel so förderliche große und reiche Hinterland mit seinen bis nach
Britannien reichenden Kaufstraßen, der bequeme Land- und Seeverkehr mit
der Heimat gaben rasch dem südlichen Kettenland eine ökonomische
Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie zum Beispiel
die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hatten; und wie die
politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia
eine Zufluchtsstätte suchten und dort italische Bildung wie italischen
Luxus wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer aus
Italien mehr und mehr an die Rhone und die Garonne. “Die Provinz
Gallien”, heißt es in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen
Schilderung, “ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen
Bürgern. Kein Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittlung eines Römers;
jeder Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt, geht
durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger”. Aus derselben
Schilderung ergibt sich, daß in Gallien auch außer den Kolonisten von
Narbo römische Landwirte und Viehzüchter in großer Anzahl sich
aufhielten; wobei übrigens nicht außer acht zu lassen ist, daß das
meiste von Römern besessene Provinzland, eben wie in frühester Zeit der
größte Teil der englischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen
des hohen, in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und
Viehzüchter zum größten Teil aus deren Verwaltern, Sklaven oder
Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, daß unter solchen
Verhältnissen die Zivilisierung und die Romanisierung unter den
Eingeborenen rasch um sich griff. Diese Kelten liebten den Ackerbau
nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie, das Schwert mit dem Pfluge
zu vertauschen, und es ist sehr glaublich, daß der erbitterte
Widerstand der Allobrogen zum Teil eben durch dergleichen Anordnungen
hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte der Hellenismus auch diese
Landschaften bis zu einem gewissen Grade beherrscht; die Elemente
höherer Gesittung, die Anregungen zu Wein- und Ölbau, zum Gebrauche der
Schrift ^1 und zur Münzprägung kamen ihnen von Massalia. Auch durch die
Römer ward die hellenische Kultur hier nichts weniger als verdrängt;
Massalia gewann durch sie mehr an Einfluß als es verlor, und noch in
der römischen Zeit wurden griechische Ärzte und Rhetoren in den
gallischen Kantons von Gemeinde wegen angestellt. Allein
begreiflicherweise erhielt doch der Hellenismus im südlichen Keltenland
durch die Römer denselben Charakter wie in Italien: die spezifisch
hellenische Zivilisation wich der lateinisch-griechischen Mischkultur,
die bald hier Proselyten in großer Anzahl machte. Die “Hosengallier”,
wie man im Gegensatz zu den norditalischen “Galliern in der Toga” die
Bewohner des südlichen Keltenlandes nannte, waren zwar nicht wie jene
bereits vollständig romanisiert, aber sie unterschieden sich doch schon
sehr merklich von den “langhaarigen Galliern” der noch unbezwungenen
nördlichen Landschaften. Die bei ihnen sich einbürgernde Halbkultur gab
zwar Stoff genug her zu Spöttereien über ihr barbarisches Latein, und
man unterließ es nicht, dem, der im Verdacht keltischer Abstammung
stand, seine “behoste Verwandtschaft” zu Gemüte zu führen; aber dies
schlechte Latein reichte doch dazu aus, daß selbst die entfernten
Allobrogen mit den römischen Behörden in Geschäftsverkehr treten und
sogar in römischen Gerichten ohne Dolmetsch Zeugnis ablegen konnten.
—————————————————————-
^1 So ward zum Beispiel in Vaison im Vocontischen Gau eine in
keltischer Sprache mit gewöhnlichem griechischen Alphabet geschriebene
Inschrift gefunden. Sie lautet: σεγομαρος ουιλλονεος τοουτιους
ναμαυσατις εωρουβηλησαμισοσιν νεμητον. Das letzte Wort heißt “heilig”.
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Wenn also die keltische und ligurische Bevölkerung dieser Gegenden auf
dem Wege war, ihre Nationalität einzubüßen und daneben siechte und
verkümmerte unter einem politischen und ökonomischen Druck, von dessen
Unerträglichkeit die hoffnungslosen Aufstände hinreichend Zeugnis
ablegen, so ging doch hier der Untergang der eingeborenen Bevölkerung
Hand in Hand mit der Einbürgerung derselben höheren Kultur, welche wir
in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr noch Narbo
waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Benevent und Capua
genannt werden mochten; und Massalia, die bestgeordnete, freieste,
wehrhafteste, mächtigste unter allen von Rom abhängigen griechischen
Städten, unter ihrem streng aristokratischen Regiment, auf das die
römischen Konservativen wohl als auf das Muster einer guten
Stadtverfassung hinwiesen, im Besitz eines bedeutenden und von den
Römern noch ansehnlich vergrößerten Gebiets und eines ausgebreiteten
Handels, stand neben jenen launischen Städten wie in Italien neben
Capua und Benevent Rhegion und Neapolis.
Anders sah es aus, wenn man die römische Grenze überschritt. Die große
keltische Nation, die in den südlichen Landschaften schon von der
italischen Einwanderung anfing unterdrückt zu werden, bewegte sich
nördlich der Cevennen noch in althergebrachter Freiheit. Es ist nicht
das erste Mal, daß wir ihr begegnen; mit den Ausläufern und Vorposten
des ungeheuren Stammes hatten die Italiker bereits am Tiber und am Po,
in den Bergen Kastiliens und Kärntens, ja tief im inneren Kleinasien
gefochten, erst hier aber ward der Hauptstock in seinem Kerne von ihren
Angriffen erfaßt. Der Keltenstamm hatte bei seiner Ansiedlung in
Mitteleuropa sich vornehmlich über die reichen Flußtäler und das
anmutige Hügelland des heutigen Frankreich mit Einschluß der westlichen
Striche Deutschlands und der Schweiz ergossen und von hier aus
wenigstens den südlichen Teil von England, vielleicht schon damals ganz
Großbritannien und Irland besetzt ^2; mehr als irgendwo sonst bildete
er hier eine breite, geographisch geschlossene Völkermasse. Trotz der
Unterschiede in Sprache und Sitte, die natürlich innerhalb dieses
weiten Gebietes nicht fehlten, scheint dennoch ein enger gegenseitiger
Verkehr, ein geistiges Gefühl der Gemeinschaft die Völkerschaften von
der Rhone und Garonne bis zum Rhein und der Themse zusammengeknüpft zu
haben; wogegen dieselben mit den Kelten in Spanien und im heutigen
Österreich wohl örtlich gewissermaßen zusammenhingen, aber doch teils
die gewaltigen Bergscheiden der Pyrenäen und der Alpen, teils die hier
ebenfalls einwirkenden Obergriffe der Römer und der Germanen den
Verkehr und den geistigen Zusammenhang der Stammverwandten ganz anders
unterbrachen als der schmale Meerarm den der kontinentalen und der
britischen Kelten. Leider ist es uns nicht vergönnt, die innere
Entwicklungsgeschichte des merkwürdigen Volkes in diesen seinen
Hauptsitzen von Stufe zu Stufe zu verfolgen; wir müssen uns begnügen,
dessen kulturhistorischen und politischen Zustand, wie er hier zu
Caesars Zeit uns entgegentritt, wenigstens in seinen Umrissen
darzustellen.
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^2 Auf eine längere Zeit hindurch fortgesetzte Einwanderung belgischer
Kelten nach Britannien deuten die von belgischen Gauen entlehnten Namen
englischer Völkerschaften an beiden Ufern der Themse, wie der
Atrebaten, der Belgen, ja der Britanner selbst, welcher von den an der
Somme unterhalb Amiens ansässigen Britonen zuerst auf einen englischen
Gau und sodann auf die ganze Insel übertragen zu sein scheint. Auch die
englische Goldmünzung ist aus der belgischen abgeleitet und
ursprünglich mit ihr identisch.
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Gallien war nach den Berichten der Alten verhältnismäßig wohl
bevölkert. Einzelne Angaben lassen schließen, daß in den belgischen
Distrikten etwa 900 Köpfe auf die Quadratmeile kamen - ein Verhältnis,
wie es heutzutage etwa für Wallis und für Livland gilt, - in dem
helvetischen Kanton etwa 1100 ^3; es ist wahrscheinlich, daß in den
Distrikten, die kultivierter waren als die belgischen und weniger
gebirgig als der helvetische, wie bei den Biturigen, Arvernern,
Häduern, sich die Ziffer noch höher stellte. Der Ackerbau ward in
Gallien wohl getrieben, wie denn schon Caesars Zeitgenossen in der
Rheinlandschaft die Sitte des Mergelns auffiel ^4 und die uralte
keltische Sitte, aus Gerste Bier (cervesia) zu bereiten, ebenfalls für
die frühe und weite Verbreitung der Getreidekultur spricht; allein er
ward nicht geachtet. Selbst in dem zivilisierteren Süden galt es noch
für den freien Kelten als nicht anständig, den Pflug zu führen. Weit
höher stand bei den Kelten die Viehzucht, für welche die römischen
Gutsbesitzer dieser Epoche sich sowohl des keltischen Viehschlags als
auch der tapferen, des Reitens kundigen und mit der Pflege der Tiere
vertrauten keltischen Sklaven vorzugsweise gern bedienten ^5.
Namentlich in den nördlichen keltischen Landschaften überwog die
Viehzucht durchaus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein kornarmes
Land. Im Nordosten reichten dichte Wälder, an den Kern der Ardennen
sich anschließend, fast ununterbrochen von der Nordsee bis zum Rheine,
und auf den heute so gesegneten Fluren Flanderns und Lothringens
weidete damals der menapische und treverische Hirte im
undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Säue. Ebenwie im Potal
durch die Römer an die Stelle der keltischen Eichelmast Wollproduktion
und Kornbau getreten sind, so gehen auch die Schafzucht und die
Ackerwirtschaft in den Ebenen der Schelde und der Maas auf sie zurück.
In Britannien gar war das Dreschen des Kornes noch nicht üblich, und in
den nördlicheren Strichen hörte hier der Ackerbau ganz auf und war die
Viehzucht die einzige bekannte Bodenbenutzung. Der Öl- und Weinbau, der
den Massalioten reichen Ertrag abwarf, ward jenseits der Cevennen zu
Caesars Zeiten noch nicht betrieben.
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^3 Das erste Aufgebot der belgischen Kantone ausschließlich der Remer,
also der Landschaft zwischen Seine und Schelde und östlich bis gegen
Reims und Andernach von 2000-2200 Quadratmeilen, wird auf etwa 300000
Mann berechnet; wonach, wenn man das für die Bellovaker angegebene
Verhältnis des ersten Aufgebots zu der gesamten waffenfähigen
Mannschaft als allgemein gültig betrachtet, die Zahl der waffenfähigen
Belgen auf 500000 und danach die Gesamtbevölkerung auf mindestens 2
Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvölkern zählten vor
ihrem Auszug 336000 Köpfe; wenn man annimmt, daß sie damals schon vom
rechten Rheinufer verdrängt waren, kann ihr Gebiet auf ungefähr 300
Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hierbei mitgezählt
sind, läßt sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen, welche
Form die Sklaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Caesar (Gall.
1, 4) von Orgetorix’ Sklaven, Hörigen und Schuldnern erzählt, spricht
eher für als gegen die Mitzählung.
Daß übrigens jeder solche Versuch, das, was der alten Geschichte vor
allen Dingen fehlt, die statistische Grundlage, durch Kombination zu
ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen werden muß, wird der
verständige Leser ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt
wegwerfen.
^4 “In Gallien, jenseits der Alpen im Binnenland am Rhein, habe ich,”
erzählt Scrofa bei Varro rust. 1, 7, 8, “als ich dort kommandierte,
einige Striche betreten, wo weder die Rebe noch die Olive noch der
Obstbaum fortkommt, wo man mit weißer Grubenkreide die Äcker düngt, wo
man weder Gruben- noch Seesalz hat, sondern die salzige Kohle gewisser
verbrannter Hölzer statt Salz benutzt.” Diese Schilderung bezieht sich
wahrscheinlich auf die vorcaesarische Zeit und auf die östlichen
Striche der alten Provinz, wie zum Beispiel die allobrogische
Landschaft; später beschreibt Plinius (nat. 17, 6, 42f.) ausführlich
das gallisch-britannische Mergeln.
^5 “Von gutem Schlag sind in Italien besonders die gallischen Ochsen,
zur Feldarbeit nämlich; wogegen die ligurischen nichts Rechtes
beschaffen” (Varr. rust. 2, 5, 9). Hier ist zwar das Cisalpinische
Gallien gemeint, allein die Viehwirtschaft daselbst geht doch
unzweifelhaft zurück auf die keltische Epoche. Der “gallischen Klepper”
(Gallici canterii) gedenkt schon Plautus (Aul. 3, 5, 21). “Nicht jede
Rasse schickt sich für das Hirtengeschäft; weder die Bastuler noch die
Turduler (beide in Andalusien) eignen sich dafür; am besten sind die
Kelten, besonders für Reit- und Lasttiere (iumenta)” (Varro rust. 2,
10, 4).
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Dem Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene
Dörfer gab es überall und allein der helvetische Kanton zählte deren im
Jahre 696 (58) vierhundert außer einer Menge einzelner Höfe. Aber es
fehlte auch nicht an ummauerten Städten, deren Mauern von Fachwerk
sowohl durch ihre Zweckmäßigkeit als durch die zierliche
Ineinanderfügung von Balken und Steinen den Römern auffielen, während
freilich selbst in den Städten der Allobrogen die Gebäude allein aus
Holz aufgeführt waren. Solcher Städte hatten die Helvetier zwölf und
ebensoviele die Suessionen; wogegen allerdings in den nördlicheren
Distrikten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Städte gab,
aber doch die Bevölkerung im Kriege mehr in den Sümpfen und Wäldern als
hinter den Mauern Schutz suchte und jenseits der Themse gar die
primitive Schutzwehr der Waldverhacke durchaus an die Stelle der Städte
trat und im Krieg die einzige Zufluchtsstätte für Menschen und Herden
war. Mit der verhältnismäßig bedeutenden Entwicklung des städtischen
Lebens steht in enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande
und zu Wasser. Überall gab es Straßen und Brücken. Die Flußschiffahrt,
wozu Ströme wie Rhone, Garonne, Loire und Seine von selber
aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit merkwürdiger noch
ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloß sind die Kelten allem
Anschein nach diejenige Nation, die zuerst den Atlantischen Ozean
regelmäßig befahren hat, sondern wir finden auch hier die Kunst,
Schiffe zu bauen und zu lenken, auf einer bemerkenswerten Höhe. Die
Schiffahrt der Völker des Mittelmeers ist, wie dies bei der
Beschaffenheit der von ihnen befahrenen Gewässer begreiflich ist,
verhältnismäßig lange bei dem Ruder stehengeblieben: die
Kriegsfahrzeuge der Phöniker, Hellenen und Römer waren zu allen Zeiten
Rudergaleeren, auf welchen das Segel nur als gelegentliche Verstärkung
des Ruders verwendet wurde; nur die Handelsschiffe sind in der Epoche
der entwickelten antiken Zivilisation eigentliche Segler gewesen ^6.
Die Gallier dagegen bedienten zwar auf dem Kanal sich zu Caesars Zeit
wie noch lange nachher einer Art tragbarer lederner Kähne, die im
wesentlichen gewöhnliche Ruderboote gewesen zu sein scheinen; aber an
der Westküste Galliens fuhren die Santonen, die Pictonen, vor allem die
Veneter mit großen, freilich plump gebauten Schiffen, die nicht mit
Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und eisernen Ankerketten
versehen waren, und verwandten diese nicht nur für ihren Handelsverkehr
mit Britannien, sondern auch im Seegefecht. Hier also begegnen wir
nicht bloß zuerst der Schiffahrt auf dem freien Ozean, sondern hier hat
auch zuerst das Segelschiff völlig den Platz des Ruderbootes
eingenommen - ein Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der
alten Welt nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unübersehliche
Resultate erst unsere verjüngte Kulturperiode beschäftigt ist,
allmählich zu ziehen.
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^6 Dahin führt die Benennung des Kauffahrtei- oder des “runden” im
Gegensatz zu dem “langen” oder dem Kriegsschiff und die ähnliche
Gegeneinanderstellung der “Ruderschiffe” (επίκωποι νήες) und der
“Kauffahrer” (ολκάδες" Dion. Hal. 3, 44); ferner die geringe Bemannung
der Kauffahrteischiffe, die auf den allergrößten nicht mehr betrug als
200 Mann (Rheinisches Museum N. F. 11, 1874, S. 625), während auf der
gewöhnlichen Galeere von drei Verdecken schon 170 Ruderer gebraucht
wurden. Vgl. F. K. Movers, Die Phönicier. Bonn-Berlin 1840-56, Bd. 2,
3, S. 167f.
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Bei diesem regelmäßigen Seeverkehr zwischen der britischen und der
gallischen Küste ist die überaus enge politische Verbindung zwischen
den beiderseitigen Anwohnern des Kanals ebenso erklärlich wie das
Aufblühen des überseeischen Handels und der Fischerei. Es waren die
Kelten, namentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis
aus England holten und es auf den Fluß- und Landstraßen des
Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe, daß zu
Caesars Zeit einzelne Völkerschaften an der Rheinmündung von Fischen
und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf beziehen, daß hier die
Seefischerei und das Einsammeln der Seevögeleier in ausgedehntem Umfang
betrieben ward. Faßt man die vereinzelten und spärlichen Angaben, die
über den keltischen Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken
ergänzend zusammen, so begreift man es, daß die Zölle der Fluß- und
Seehäfen in den Budgets einzelner Kantons, zum Beispiel in denen der
Häduer und der Veneter, eine große Rolle spielten und daß der Hauptgott
der Nation ihr galt als der Beschützer der Straßen und des Handels und
zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz nichtig kann danach auch die
keltische Industrie nicht gewesen sein; wie denn die ungemeine
Anstelligkeit der Kelten und ihr eigentümliches Geschick, jedes Muster
nachzuahmen und jede Anweisung auszuführen auch von Caesar
hervorgehoben wird. In den meisten Zweigen scheint aber doch das Gewerk
bei ihnen sich nicht über das Maß des Gewöhnlichen erhoben zu haben;
die später im mittleren und nördlichen Gallien blühende Fabrikation
leinener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Römer ins
Leben gerufen worden. Eine Ausnahme, und soviel wir wissen die einzige,
macht die Bearbeitung der Metalle. Das nicht selten technisch
vorzügliche und noch jetzt geschmeidige Kupfergerät, das in den Gräbern
des Keltenlandes zum Vorschein kommt, und die sorgfältig justierten
arvernischen Goldmünzen sind heute noch lebendige Zeugen der
Geschicklichkeit der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl
stimmen dazu die Berichte der Alten, daß die Römer von den Biturigen
das Verzinnen, von den Alesiern das Versilbern lernten - Erfindungen,
von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug gelegt war und die
doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit der keltischen Freiheit
gemacht worden sind. Hand in Hand mit der Gewandtheit in der
Bearbeitung der Metalle ging die Kunst, sie zu gewinnen, die zum Teil,
namentlich in den Eisengruben an der Loire, eine solche bergmännische
Höhe erreicht hatte, daß die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine
bedeutende Rolle spielten. Die den Römern dieser Zeit geläufige
Meinung, daß Gallien eines der goldreichsten Länder der Erde sei, wird
freilich widerlegt durch die wohlbekannten Bodenverhältnisse und durch
die Fundbestände der keltischen Gräber, in denen Gold nur sparsam und
bei weitem minder häufig erscheint als in den gleichartigen Funden der
wahren Heimatländer des Goldes; es ist auch diese Vorstellung wohl nur
hervorgerufen worden durch das, was griechische Reisende und römische
Soldaten, ohne Zweifel nicht ohne starke Übertreibung, ihren
Landsleuten von der Pracht der arvernischen Könige und den Schätzen der
tolosanischen Tempel zu erzählen wußten. Aber völlig aus der Luft
griffen die Erzähler doch nicht. Es ist sehr glaublich, daß in und an
den Flüssen, welche aus den Alpen und den Pyrenäen strömen,
Goldwäschereien und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Wert der
Arbeitskraft unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei
Sklavenwirtschaft mit Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben
wurden; überdies mögen die Handelsverhältnisse Galliens, wie nicht
selten die der halbzivilisierten Völker, das Aufhäufen eines toten
Kapitals edler Metalle begünstigt haben.
Bemerkenswert ist der niedrige Stand der bildenden Kunst, der bei der
mechanischen Geschicklichkeit in Behandlung der Metalle nur um so
greller hervortritt. Die Vorliebe für bunte und glänzende Zieraten
zeigt den Mangel an Schönheitssinn, und eine leidige Bestätigung
gewähren die gallischen Münzen mit ihren bald übereinfach, bald
abenteuerlich, immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme
mit unvergleichlicher Roheit ausgeführten Darstellungen. Es ist
vielleicht ohne Beispiel, daß eine Jahrhunderte hindurch mit einem
gewissen technischen Geschick geübte Münzprägung sich wesentlich darauf
beschränkt hat, zwei oder drei griechische Stempel immer wieder und
immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen wurde die Dichtkunst von den
Kelten hoch geschätzt und verwuchs eng mit den religiösen und selbst
mit den politischen Institutionen der Nation; wir finden die geistliche
wie die Hof- und Bettelpoesie in Blüte. Auch Naturwissenschaft und
Philosophie fanden, wenngleich in den Formen und den Banden der
Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der hellenische
Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie er an sie herantrat.
Die Kunde der Schrift war wenigstens bei den Priestern allgemein.
Meistenteils bediente man in dem freien Gallien zu Caesars Zeit sich
der griechischen, wie unter andern die Helvetier taten; nur in den
südlichsten Distrikten desselben war schon damals infolge des Verkehrs
mit den romanisierten Kelten die lateinische überwiegend, der wir zum
Beispiel auf den arvernischen Münzen dieser Zeit begegnen.
Auch die politische Entwicklung der keltischen Nation bietet sehr
bemerkenswerte Erscheinungen. Die staatliche Verfassung ruht bei ihr
wie überall auf dem Geschlechtsgau mit dem Fürsten, dem Rat der
Ältesten und der Gemeinde der freien waffenfähigen Männer; dies aber
ist ihr eigentümlich, daß sie über diese Gauverfassung niemals
hinausgelangt ist. Bei den Griechen und Römern trat sehr früh an die
Stelle des Gaues als die Grundlage der politischen Einheit der
Mauerring: wo zwei Gaue in denselben Mauern sich zusammenfanden,
verschmolzen sie zu einem Gemeinwesen; wo eine Bürgerschaft einem Teil
ihrer Mitbürger einen neuen Mauerring anwies, entstand regelmäßig damit
auch ein neuer, nur durch die Bande der Pietät und höchstens der
Klientel mit der Muttergemeinde, verknüpfter Staat. Bei den Kelten
dagegen bleibt die “Bürgerschaft” zu allen Zeiten der Clan; dem Gau und
nicht irgendeiner Stadt stehen Fürst und Rat vor, und der allgemeine
Gautag bildet die letzte Instanz im Staate. Die Stadt hat, wie im
Orient, nur merkantile und strategische, nicht politische Bedeutung;
weshalb denn auch die gallischen Ortschaften, selbst ummauerte und sehr
ansehnliche wie Vienna und Genava, den Griechen und Römern nichts sind
als Dörfer. Zu Caesars Zeit bestand die ursprüngliche Clanverfassung
noch wesentlich ungeändert bei den Inselkelten und in den nördlichen
Gauen des Festlandes: die Landesgemeinde behauptete die höchste
Autorität; der Fürst ward in wesentlichen Fragen durch ihre Beschlüsse
gebunden; der Gemeinderat war zahlreich - er zählte in einzelnen Clans
sechshundert Mitglieder -, scheint aber nicht mehr bedeutet zu haben
als der Senat unter den römischen Königen. Dagegen in dem regsameren
Süden des Landes war ein oder zwei Menschenalter vor Caesar - die
Kinder der letzten Könige lebten noch zu seiner Zeit - wenigstens bei
den größeren Clans, den Arvernern, Häduern, Sequanern, Helvetiern, eine
Umwälzung eingetreten, die die Königsherrschaft beseitigte und dem Adel
die Gewalt in die Hände gab. Es ist nur die Kehrseite des
ebenbezeichneten vollständigen Mangels städtischer Gemeinwesen bei den
Kelten, daß der entgegengesetzte Pol der politischen Entwicklung, das
Rittertum, in der keltischen Clanverfassung so völlig überwiegt. Die
keltische Aristokratie war allem Anschein nach ein hoher Adel,
größtenteils vielleicht die Glieder der königlichen oder ehemals
königlichen Familien, wie es denn bemerkenswert ist, daß die Häupter
der entgegengesetzten Parteien in demselben Clan sehr häufig dem
gleichen Geschlecht angehören. Diese großen Familien vereinigten in
ihrer Hand die ökonomische, kriegerische und politische Übermacht. Sie
monopolisierten die Pachtungen der nutzbaren Rechte des Staates. Sie
nötigen die Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte, bei ihnen zu
borgen und zuerst tatsächlich als Schuldner, dann rechtlich als Hörige
sich ihrer Freiheit zu begeben. Sie entwickelten bei sich das
Gefolgwesen, das heißt das Vorrecht des Adels, sich mit einer Anzahl
gelöhnter reisiger Knechte, sogenannter Ambakten ^7, zu umgeben und
damit einen Staat im Staate zu bilden; und gestützt auf diese ihre
eigenen Leute trotzten sie den gesetzlichen Behörden und dem
Gemeindeaufgebot und sprengten tatsächlich das Gemeinwesen. Wenn in
einem Clan, dar etwa 80000 Waffenfähige zählte, ein einzelner Adliger
mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hörigen und die Schuldner, auf dem
Landtage erscheinen konnte, so ist es einleuchtend, daß ein solcher
mehr ein unabhängiger Dynast war als ein Bürger seines Clans. Es kam
hinzu, daß die vornehmen Familien der verschiedenen Clans innig unter
sich zusammenhingen und durch Zwischenheiraten und Sonderverträge
gleichsam einen geschlossenen Bund bildeten, dem gegenüber der einzelne
Clan ohnmächtig war. Darum vermochten die Gemeinden nicht länger den
Landfrieden aufrecht zu halten und regierte durchgängig das Faustrecht.
Schutz fand nur noch der hörige Mann bei seinem Herrn, den Pflicht und
Interesse nötigten, die seinem Klienten zugefügte Unbill zu ahnden; die
Freien zu beschirmen hatte der Staat die Gewalt nicht mehr, weshalb
diese zahlreich sich als Hörige einem Mächtigen zu eigen gaben. Die
Gemeindeversammlung verlor ihre politische Bedeutung; und auch das
Fürstentum, das den Übergriffen des Adels hätte steuern sollen, erlag
demselben bei den Kelten so gut wie in Latium. An die Stelle des Königs
trat der “Rechtswirker” oder Vergobretus ^8, der wie der römische
Konsul nur auf ein Jahr ernannt ward. Soweit der Gau überhaupt noch
zusammenhielt, ward er durch den Gemeinderat geleitet, in dem natürlich
die Häupter der Aristokratie die Regierung an sich rissen. Es versteht
sich von selbst, daß unter solchen Verhältnissen es in den einzelnen
Clans in ganz ähnlicher Weise gärte, wie es in Latium nach der
Vertreibung der Könige Jahrhunderte lang gegärt hatte: während die
Adelschaften der verschiedenen Gemeinden sich zu einem der
Gemeindemacht feindlichen Sonderbündnis zusammentaten, hörte die Menge
nicht auf, die Wiederherstellung des Königtums zu begehren, und
versuchte nicht selten ein hervorragender Edelmann, wie Spurius Cassius
in Rom getan, gestützt auf die Masse der Gauangehörigen, die Macht
seiner Standesgenossen zu brechen und zu seinem Besten die Krone wieder
in ihre Rechte einzusetzen.
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^7 Dies merkwürdige Wort muß schon im sechsten Jahrhundert Roms bei den
Kelten im Potal gebräuchlich gewesen sein; denn bereits Ennius kennt
es, und es kann nur von da her in so früher Zeit den Italikern
zugekommen sein. Es ist dasselbe aber nicht bloß keltisch, sondern auch
deutsch, die Wurzel unseres “Amt”; wie ja auch das Gefolgwesen selbst
den Kelten und den Deutschen gemeinsam ist. Von großer geschichtlicher
Wichtigkeit wäre es, auszumachen ob das Wort und also auch die Sache zu
den Kelten von den Deutschen oder zu den Deutschen von den Kelten kam.
Wenn, wie man gewöhnlich annimmt, das Wort ursprünglich deutsch ist und
zunächst den in der Schlacht dem Herrn “gegen den Rücken” (and = gegen,
bak = Rücken) stehenden Knecht bezeichnet, so ist dies mit dem
auffallend frühen Vorkommen dieses Wortes bei den Kelten nicht gerade
unvereinbar. Nach allen Analogien kann das Recht Ambakten, das ist
δούλοι μισθωτοί, zu halten, dem keltischen Adel nicht von Haus aus
zugestanden, sondern erst allmählich im Gegensatz zu dem älteren
Königtum wie zu der Gleichheit der Gemeinfreien sich entwickelt haben.
Wenn also das Ambaktentum bei den Kelten keine altnationale, sondern
eine relativ junge Institution ist, so ist es auch, bei dem zwischen
den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin zu
erörternden Verhältnis, nicht bloß möglich, sondern sogar
wahrscheinlich, daß die Kelten, in Italien wie in Gallien, zu diesen
gedungenen Waffenknechten hauptsächlich Deutsche nahmen. Die
“Schweizer” würden also in diesem Falle um einige Jahrtausende älter
sein, als man meint.
Sollte die Benennung, womit, vielleicht nach dem Beispiel der Kelten,
die Römer die Deutschen als Nation bezeichnen, der Name Germani
wirklich keltischen Ursprungs sein, so steht dies damit, wie man sieht,
im besten Einklang.
Freilich werden diese Annahmen immer zurückstehen müssen, falls es
gelingt, das Wort ambactus in befriedigender Weise aus keltischer
Wurzel zu erklären; wie denn J. K. Zeuß (Grammatica celtica. Leipzig
1853, S. 796), wenngleich zweifelnd, dasselbe auf ambi = um und ag =
agere, = Herumbeweger oder Herumbewegter, also Begleiter, Diener
zurückführt. Daß das Wort auch als keltischer Eigenname vorkommt (Zeuß,
S. 77) und vielleicht noch in dem cambrischen amaeth = Bauer, Arbeiter
erhalten ist (Zeuß, S. 156), kann nach keiner Seite hin entscheiden.
^8 Von den keltischen Wörtern guerg = Wirker und breth = Gericht.
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Wenn also die einzelnen Gaue unheilbar hinsiechten, so regte sich wohl
daneben mächtig in der Nation das Gefühl der Einheit und suchte in
mancherlei Weise Form und Halt zu gewinnen. Jenes Zusammenschließen des
gesamten keltischen Adels im Gegensatz gegen die einzelnen Gauverbände
zerrüttete zwar die bestehende Ordnung der Dinge, aber weckte und
nährte doch auch die Vorstellung der Zusammengehörigkeit der Nation.
Ebendahin wirkten die von außen her gegen die Nation gerichteten
Angriffe und die fortwährende Schmälerung ihres Gebiets im Kriege mit
den Nachbarn. Wie die Hellenen in den Kriegen gegen die Perser, die
Italiker in denen gegen die cisalpinischen Kelten, so scheinen die
transalpinischen Gallier in den Kriegen gegen Rom des Bestehens und der
Macht der nationalen Einheit sich bewußt geworden zu sein. Unter dem
Hader der rivalisierenden Clans und all jenem feudalistischen Gezänk
machten doch auch die Stimmen derer sich bemerklich, die die
Unabhängigkeit der Nation um den Preis der Selbständigkeit der
einzelnen Gaue und selbst um den der ritterschaftlichen Herrenrechte zu
erkaufen bereit waren. Wie durchweg populär die Opposition gegen die
Fremdherrschaft war, bewiesen die Kriege Caesars, dem gegenüber die
keltische Patriotenpartei eine ganz ähnliche Stellung hatte wie die
deutschen Patrioten gegen Napoleon: für ihre Ausdehnung und ihre
Organisation zeugt unter anderem die Telegraphengeschwindigkeit, mit
der sie sich Nachrichten mitteilte.
Die Allgemeinheit und die Mächtigkeit des keltischen
Nationalbewußtseins würden unerklärlich sein, wenn nicht bei der
größten politischen Zersplitterung die keltische Nation seit langem
religiös und selbst theologisch zentralisiert gewesen wäre. Die
keltische Priesterschaft oder, mit dem einheimischen Namen, die
Korporation der Druiden umfaßte sicher die Britischen Inseln und ganz
Gallien, vielleicht noch andere Keltenländer mit einem gemeinsamen
religiös-nationalen Bande. Sie stand unter einem eigenen Haupte, das
die Priester selber sich wählten, mit eigenen Schulen, in denen die
sehr umfängliche Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien,
namentlich Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan
respektierte, mit jährlichen Konzilien, die bei Chartres im
“Mittelpunkt der keltischen Erde” abgehalten wurden, und vor allen
Dingen mit einer gläubigen Gemeinde, die an peinlicher Frömmigkeit und
an blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen Iren nichts
nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, daß eine solche
Priesterschaft auch das weltliche Regiment an sich zu reißen versuchte
und teilweise an sich riß: sie leitete, wo das Jahrkönigtum bestand, im
Fall eines Interregnums die Wahlen; sie nahm mit Erfolg das Recht in
Anspruch, einzelne Männer und ganze Gemeinden von der religiösen und
folgeweise auch der bürgerlichen Gemeinschaft auszuschließen; sie wußte
die wichtigsten Zivilsachen, namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse
an sich zu ziehen, sie entwickelte, gestützt wie es scheint auf ihr
Recht, aus der Gemeinde auszuschließen, und vielleicht auch auf die
Landesgewohnheit, daß zu den üblichen Menschenopfern vorzugsweise
Verbrecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche
Kriminalgerichtsbarkeit, die mit der der Könige und Vergobreten
konkurrierte; sie nahm sogar die Entscheidung über Krieg und Frieden in
Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchenstaat mit Papst und
Konzilien, mit Immunitäten, Interdikten und geistlichen Gerichten; nur
daß dieser Kirchenstaat nicht, wie der der Neuzeit, von den Nationen
abstrahierte, sondern vielmehr vor allen Dingen national war.
Aber wenn also das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den keltischen
Stämmen mit voller Lebendigkeit erwacht war, so blieb es dennoch der
Nation versagt, zu einem Haltpunkt politischer Zentralisation zu
gelangen, wie ihn Italien an der römischen Bürgerschaft, Hellenen und
Germanen an den makedonischen und fränkischen Königen fanden. Die
keltische Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl beide in gewissem
Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren doch einerseits ihrer
ständisch-partikularistischen Interessen wegen unfähig, sie zu einigen,
andererseits mächtig genug, um keinem König und keinem Gau das Werk der
Einigung zu gestatten. Ansätze zu demselben fehlen nicht; sie gingen,
wie die Gauverfassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems.
Der mächtige Kanton bestimmte den schwächeren, sich ihm in der Art
unterzuordnen, daß die führende Gemeinde nach außen die andere
mitvertrat und in Staatsverträgen für sie mitstipulierte, der
Klientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung eines
Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege entstanden eine Reihe von
Sonderbünden: einen führenden Gau für das ganze Keltenland, einen wenn
auch noch so losen Verband der gesamten Nation gab es nicht. Es ward
bereits erwähnt, daß die Römer bei dem Beginn ihrer transalpinischen
Eroberungen dort im Norden einen britisch-belgischen Bund unter Führung
der Suessionen, im mittleren und südlichen Gallien die
Arvernerkonföderation vorfanden, mit welcher letzteren die Häduer mit
ihrer schwächeren Klientel rivalisierten. In Caesars Zeit finden wir
die Belgen im nordöstlichen Gallien zwischen Seine und Rhein noch in
einer solchen Gemeinschaft, die sich indes wie es scheint auf
Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint in der heutigen
Normandie und Bretagne der Bund der aremorikanischen, das heißt der
Seegaue; im mittleren oder dem eigentlichen Gallien ringen wie ehemals
zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze einerseits die Häduer
stehen, andererseits, nachdem die Arverner, durch die Kriege mit Rom
geschwächt, zurückgetreten waren, die Sequaner. Diese verschiedenen
Eidgenossenschaften standen unabhängig nebeneinander; die führenden
Staaten des mittleren Gallien scheinen ihre Klientel nie auf das
nordöstliche und ernstlich wohl auch nicht auf den Nordwesten Galliens
erstreckt zu haben. Der Freiheitsdrang der Nation fand in diesen
Gauverbänden eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder
Hinsicht ungenügend. Die Verbindung war von der lockersten, beständig
zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art, die Repräsentation der
Gesamtheit im Frieden durch die Bundestage, im Kriege durch den Herzog
^9 im höchsten Grade schwächlich. Nur die belgische Eidgenossenschaft
scheint etwas fester zusammengehalten zu haben; der nationale
Aufschwung, aus dem die glückliche Abwehr der Kimbrer hervorging, mag
ihr zugute gekommen sein. Die Rivalitäten um die Hegemonie machten
einen Riß in jeden einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloß, sondern
erweiterte, weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die
politische Existenz ließ und demselben, auch wenn er in die Klientel
sich gefügt hatte, immer gestattet blieb, den Kampf späterhin zu
erneuern. Der Wettstreit der mächtigeren Gaue entzweite nicht bloß
diese, sondern in jedem abhängigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in
jedem Hause setzte er sich fort, indem jeder einzelne nach seinen
persönlichen Verhältnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich aufrieb
nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren
Zwist athenischer und lakedämonischer Faktionen in jeder abhängigen
Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalität der Arverner
und Häduer mit ihren Wiederholungen in kleinem und immer kleinerem
Maßstab das Kelterwolk vernichtet.
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^9 Welche Stellung ein solcher Bundesfeldherr seinen Leuten gegenüber
einnahm, zeigt die gegen Vercingetorix erhobene Anklage auf
Landesverrat (Caes. Gall. 7, 20).
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Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rückschlag dieser politischen
und sozialen Verhältnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende
Waffe, woneben bei den Belgen und mehr noch auf den Britischen Inseln
die altnationalen Streitwagen in bemerkenswerter Vervollkommnung
erscheinen. Diese ebenso zahlreichen wie tüchtigen Reiter- und
Wagenkämpferscharen wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen, der
denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust hatte und es
sich viel kosten ließ, edle Rosse ausländischer Rasse zu reiten. Für
den Geist und die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeichnend, daß,
wenn das Aufgebot erging, wer irgend von ihnen sich zu Pferde halten
konnte, selbst der hochbejahrte Greis mit aufsaß, und daß sie, im
Begriff mit einem gering geschätzten Feinde ein Gefecht zu beginnen,
Mann für Mann schwuren, Haus und Hof meiden zu wollen, wenn ihre Schar
nicht wenigstens zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Unter
den gedungenen Mannen herrschte das Lanzknechttum mit all seiner
entsittlichten und entgeistigten Gleichgültigkeit gegen fremdes und
eigenes Leben - das zeigen die Erzählungen, wie anekdotenhaft sie auch
gefärbt sind, von der keltischen Sitte, beim Gastmahl zum Scherz zu
rapieren und gelegentlich auf Leben und Tod zu fechten; von dem dort
herrschenden, selbst die römischen Fechterspiele noch überbietenden
Gebrauch, sich gegen eine bestimmte Geldsumme oder eine Anzahl Fässer
Wein zum Schlachten zu verkaufen und vor den Augen der ganzen Menge auf
dem Schilde hingestreckt den Todesstreich freiwillig hinzunehmen.
Neben diesen Reisigen trat das Fußvolk in den Hintergrund. In der
Hauptsache glich es wesentlich noch den Keltenscharen, mit denen die
Römer in Italien und Spanien gefochten hatten. Der große Schild war wie
damals die hauptsächlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen
statt des Schwertes jetzt die lange Stoßlanze die erste Rolle. Wo
mehrere Gaue verbündet Krieg führten, lagerte und stritt natürlich Clan
gegen Clan; es findet sich keine Spur, daß man das Aufgebot des
einzelnen Gaues militärisch gegliedert und kleinere und regelrechtere
taktische Abteilungen gebildet hätte. Noch immer schleppte ein langer
Wagentroß dem Keltenheer das Gepäck nach; anstatt des verschanzten
Lagers, wie es die Römer allabendlich schlugen, diente noch immer das
dürftige Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Beispiel
den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tüchtigkeit ihres Fußvolks
hervorgehoben; bemerkenswert ist es, daß eben diese keine Ritterschaft
hatten und vielleicht sogar kein keltischer, sondern ein eingewanderter
deutscher Stamm waren. Im allgemeinen aber erscheint das keltische
Fußvolk dieser Zeit als ein unkriegerischer und schwerfälliger
Landsturm; am meisten in den südlicheren Landschaften, wo mit der Rohen
auch die Tapferkeit geschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es
nicht, dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schärfer als
durch dieses Urteil kritisierte der römische Feldherr die keltische
Infanterie dadurch, daß, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug
kennengelernt hatte, er sie nie wieder in Verbindung mit der römischen
verwandt hat.
Überblicken wir den Gesamtzustand der Kelten, wie ihn Caesar in den
transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, verglichen mit der
Kulturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zuvor die Kelten im Potal
uns entgegentraten, ein Fortschritt in der Zivilisation unverkennbar.
Damals überwog in den Heeren durchaus die in ihrer Art vortreffliche
Landwehr (I, 340); jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein.
Damals wohnten die Kelten in offenen Flecken; jetzt umgaben ihre
Ortschaften wohlgefügte Mauern. Auch die lombardischen Gräberfunde
stehen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgerät, weit zurück hinter
denen des nördlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuverlässigste Messer
der steigenden Kultur ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit der
Nation; sowenig davon in den auf dem Boden der heutigen Lombardei
geschlagenen Keltenkämpfen zu Tage tritt, so lebendig erscheint es in
den Kämpfen gegen Caesar. Allem Anschein nach hatte die keltische
Nation, als Caesar ihr gegenübertrat, das Maximum der ihr beschiedenen
Kultur bereits erreicht und war schon wieder im Sinken. Die
Zivilisation der transalpinischen Kelten in der caesarischen Zeit
bietet selbst für uns, die wir nur sehr unvollkommen über sie berichtet
sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seite; in mehr als
einer Hinsicht schließt sie sich enger der modernen an als der
hellenisch-römischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Rittertum, ihrer
Kirchenverfassung, vor allen Dingen mit ihren, wenn auch unvollkommenen
Versuchen, den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in
höherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber ebendarum, weil wir hier
der keltischen Nation auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung begegnen,
tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche Begabung oder, was
dasselbe ist, ihre mindere Kulturfähigkeit hervor. Sie vermochte aus
sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen
und brachte es höchstens zu einer nationalen Theologie und einem
eigenen Adeltum. Die ursprüngliche naive Tapferkeit war nicht mehr; der
auf höhere Sittlichkeit und zweckmäßige Ordnungen gestützte
militärische Mut, wie er im Gefolge der gesteigerten Zivilisation
eintritt, hatte nur in sehr verkümmerter Gestalt sich eingestellt in
dem Rittertum. Wohl war die eigentliche Barbarei überwunden; die Zeiten
waren nicht mehr, wo im Keltenland das fette Hüftstück dem tapfersten
der Gäste zugeteilt ward, aber jedem der Mitgeladenen, der sich dadurch
verletzt erachtete, freistand, den Empfänger deswegen zum Kampfe zu
fordern, und wo man mit dem verstorbenen Häuptling seine treuesten
Gefolgsmänner verbrannte. Aber doch dauerten die Menschenopfer noch
fort, und der Rechtssatz, daß die Folterung des freien Mannes
unzulässig, aber die der freien Frau erlaubt sei so gut wie die
Folterung des Sklaven, wirft ein unerfreuliches Licht auf die Stellung,
die das weibliche Geschlecht bei den Kelten auch noch in ihrer
Kulturzeit einnahm. Die Vorzüge, die der primitiven Epoche der Nationen
eigen sind, hatten die Kelten eingebüßt, aber diejenigen nicht
erworben, die die Gesittung dann mit sich bringt, wenn sie ein Volk
innerlich und völlig durchdringt.
Also war die keltische Nation in ihren inneren Zuständen beschaffen. Es
bleibt noch übrig, ihre äußeren Beziehungen zu den Nachbarn
darzustellen und zu schildern, welche Rolle sie in diesem Augenblick
einnahmen in dem gewaltigen Wettlauf und Wettkampf der Nationen, in dem
das Behaupten sich überall noch schwieriger erweist als das Erringen.
An den Pyrenäen hatten die Verhältnisse der Völker längst sich
friedlich geordnet und waren die Zeiten längst vorbei, wo die Kelten
hier die iberische, das heißt baskische Urbevölkerung bedrängten und
zum Teil verdrängten. Die Täler der Pyrenäen wie die Gebirge Bearns und
der Gascogne und ebenso die Küstensteppen südlich von der Garonne
standen zu Caesars Zeit im unangefochtenen Besitz der Aquitaner, einer
großen Anzahl kleiner, wenig unter sich und noch weniger mit dem
Ausland sich berührender Völkerschaften iberischer Abstammung; hier war
nur die Garonnemündung selbst mit dem wichtigen Hafen Burdigala
(Bordeaux) in den Händen eines keltischen Stammes, der
Bituriger-Vivisker.
Von weit größerer Bedeutung waren die Berührungen der keltischen Nation
mit dem Römervolk und mit den Deutschen. Es soll hier nicht wiederholt
werden, was früher erzählt worden ist, wie die Römer in langsamem
Vordringen die Kelten allmählich zurückgedrückt, zuletzt auch den
Küstensaum zwischen den Alpen und den Pyrenäen besetzt und sie dadurch
von Italien, Spanien und dem Mittelländischen Meer gänzlich
abgeschnitten hatten, nachdem bereits Jahrhunderte zuvor durch die
Anlage der hellenischen Zwingburg an der Rhonemündung diese Katastrophe
vorbereitet worden war; daran aber müssen wir hier wieder erinnern, daß
nicht bloß die Überlegenheit der römischen Waffen die Kelten bedrängte,
sondern ebensosehr die der römischen Kultur, der die ansehnlichen
Anfänge der hellenischen Zivilisation im Keltenlande ebenfalls in
letzter Instanz zugute kamen. Auch hier bahnten Handel und Verkehr wie
so oft der Eroberung den Weg. Der Kelte liebte nach nordischer Weise
feurige Getränke; daß er den edlen Wein wie der Skythe unvermischt und
bis zum Rausche trank, erregte die Verwunderung und den Ekel des
mäßigen Südländers, aber der Händler verkehrt nicht ungern mit solchen
Kunden. Bald ward der Handel nach dem Keltenland eine Goldgrube für den
italischen Kaufmann; es war nichts Seltenes, daß daselbst ein Krug Wein
um einen Sklaven getauscht ward. Auch andere Luxusartikel, wie zum
Beispiel italische Pferde, fanden in dem Keltenland vorteilhaften
Absatz. Es kam sogar bereits vor, daß römische Bürger jenseits der
römischen Grenze Grundbesitz erwarben und denselben nach italischer Art
nutzten, wie denn zum Beispiel römische Landgüter im Kanton der
Segusiaver (bei Lyon) schon um 673 (81) erwähnt werden. Ohne Zweifel
ist es hiervon eine Folge, daß, wie schon gesagt ward, selbst in dem
freien Gallien, zum Beispiel bei den Arvernern, die römische Sprache
schon vor der Eroberung nicht unbekannt war; obwohl sich freilich diese
Kunde vermutlich noch auf wenige beschränkte und selbst mit den
Vornehmen des verbündeten Gaues der Häduer durch Dolmetscher verkehrt
werden mußte. So gut wie die Händler mit Feuerwasser und die Squatters
die Besetzung Nordamerikas einleiteten, so wiesen und winkten diese
römischen Weinhändler und Gutsbesitzer den künftigen Eroberer Galliens
heran. Wie lebhaft man auch auf der entgegengesetzten Seite dies
empfand, zeigt das Verbot, das einer der tüchtigsten Stämme des
Keltenlandes, der Gau der Nervier, gleich einzelnen deutschen
Völkerschaften, gegen den Handelsverkehr mit den Römern erließ.
Ungestümer noch als vom Mittelländischen Meere die Römer, drängten vom
Baltischen und der Nordsee herab die Deutschen, ein frischer Stamm aus
der großen Völkerwiege des Ostens, der sich Platz machte neben seinen
älteren Brüdern mit jugendlicher Kraft, freilich auch mit jugendlicher
Roheit. Wenn auch die nächst am Rhein wohnenden Völkerschaften dieses
Stammes, die Usipeten, Tencterer, Sugambrer, Ubier, sich einigermaßen
zu zivilisieren angefangen und wenigstens aufgehört hatten, freiwillig
ihre Sitze zu wechseln, so stimmen doch alle Nachrichten dahin
zusammen, daß weiter landeinwärts der Ackerbau wenig bedeutete und die
einzelnen Stämme kaum noch zu festen Sitzen gelangt waren. Es ist
bezeichnend dafür, daß die westlichen Nachbarn in dieser Zeit kaum
eines der Völker des inneren Deutschlands seinem Gaunamen nach zu
nennen wußten, sondern dieselben ihnen nur bekannt sind unter den
allgemeinen Bezeichnungen der Sueben, das ist der schweifenden Leute,
der Nomaden, und der Markomannen, das ist der Landwehr ^10 - Namen, die
in Caesars Zeit schwerlich schon Gaunamen waren, obwohl sie den Römern
als solche erschienen und später auch vielfach Gaunamen geworden sind.
Der gewaltigste Andrang dieser großen Nation traf die Kelten. Die
Kämpfe, die die Deutschen um den Besitz der Landschaften östlich vom
Rheine mit den Kelten geführt haben mögen, entziehen sich vollständig
unseren Blicken. Wir vermögen nur zu erkennen, daß um das Ende des
siebenten Jahrhunderts Roms schon alles Land bis zum Rhein den Kelten
verloren war, die Boier, die einst in Bayern und Böhmen gesessen haben
mochten, heimatlos herumirrten und selbst der ehemals von den
Helvetiern besessene Schwarzwald wenn auch noch nicht von den
nächstwohnenden deutschen Stämmen in Besitz genommen, doch wenigstens
wüstes Grenzstreitland war - vermutlich schon damals das, was es später
hieß: die helvetische Einöde. Die barbarische Strategik der Deutschen,
durch meilenweite Wüstlegung der Nachbarschaft sich vor feindlichen
Überfällen zu sichern, scheint hier im größten Maßstab Anwendung
gefunden zu haben.
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^10 So sind Caesars Sueben wahrscheinlich die Chatten; aber dieselbe
Benennung kam sicher zu Caesars Zeit und noch viel später auch jedem
anderen deutschen Stamme zu, der als ein regelmäßig wandernder
bezeichnet werden konnte. Wenn also auch, wie nicht zu bezweifeln, der
“König der Sueben” bei Mela (3, 1) und Plinius (nat. 2, 67, 170)
Ariovist ist, so folgt darum noch keineswegs, daß Ariovist ein Chatte
war. Die Markomannen als ein bestimmtes Volk lassen sich vor Marbod
nicht nachweisen; es ist sehr möglich, daß das Wort bis dahin nichts
bezeichnet als was es etymologisch bedeutet, die Land- oder Grenzwehr.
Wenn Caesar (Galt. 1, 51) unter den im Heere Ariovists fechtenden
Völkern Markomannen erwähnt, so kann er auch hier eine bloß appellative
Bezeichnung ebenso mißverstanden haben, wie dies bei den Sueben
entschieden der Fall ist.
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Aber die Deutschen waren nicht stehen geblieben am Rheine. Der seinem
Kern nach aus deutschen Stämmen zusammengesetzte Heereszug der Kimbrer
und Teutonen, der fünfzig Jahre zuvor über Pannonien, Gallien, Italien
und Spanien so gewaltig hingebraust war, schien nichts gewesen zu sein
als eine großartige Rekognoszierung. Schon hatten westlich vom Rhein,
namentlich dem untern Lauf desselben, verschiedene deutsche Stämme
bleibende Sitze gefunden: als Eroberer eingedrungen, fuhren diese
Ansiedler fort, von ihren gallischen Umwohnern gleich wie von
Untertanen Geiseln einzufordern und jährlichen Tribut zu erheben. Dahin
gehörten die Aduatuker, die aus einem Splitter der Kimbrermasse zu
einem ansehnlichen Gau geworden waren, und eine Anzahl anderer, später
unter dem Namen der Tungrer zusammengefaßter Völkerschaften an der Maas
in der Gegend von Lüttich; sogar die Treverer (um Trier) und die
Nervier (im Hennegau), zwei der größten und mächtigsten Völkerschaften
dieser Gegend, bezeichnen achtbare Autoritäten geradezu als Germanen.
Die vollständige Glaubwürdigkeit dieser Berichte muß allerdings
dahingestellt bleiben, da es, wie Tacitus in Beziehung auf die zuletzt
erwähnten beiden Völker bemerkt, späterhin wenigstens in diesen
Strichen für eine Ehre galt, von deutschem Blute abzustammen und nicht
zu der gering geachteten keltischen Nation zu gehören: doch scheint die
Bevölkerung in dem Gebiet der Schelde, Maas und Mosel allerdings in der
einen oder andern Weise sich stark mit deutschen Elementen gemischt
oder doch unter deutschen Einflüssen gestanden zu haben. Die deutschen
Ansiedlungen selbst waren vielleicht geringfügig; unbedeutend waren sie
nicht, denn in dem chaotischen Dunkel, in dem wir um diese Zeit die
Völkerschaften am rechten Rheinufer auf- und niederwogen sehen, läßt
sich doch wohl erkennen, daß größere deutsche Massen auf der Spur jener
Vorposten sich anschickten, den Rhein zu überschreiten. Von zwei Seiten
durch die Fremdherrschaft bedroht und in sich zerrissen, war es kaum zu
erwarten, daß die unglückliche keltische Nation sich jetzt noch
emporraffen und mit eigener Kraft sich erretten werde. Die
Zersplitterung und der Untergang in der Zersplitterung war bisher ihre
Geschichte; wie sollte eine Nation, die keinen Tag nannte gleich denen
von Marathon und Salamis, von Aricia und dem Raudischen Felde, eine
Nation, die selbst in ihrer frischen Zeit keinen Versuch gemacht hatte,
Massalia mit gesamter Hand zu vernichten, jetzt, da es Abend ward, so
furchtbarer Feinde sich erwehren?
Je weniger die Kelten, sich selbst überlassen, den Germanen gewachsen
waren, desto mehr Ursache hatten die Römer, die zwischen den beiden
Nationen obwaltenden Verwicklungen sorgsam zu überwachen. Wenn auch die
daraus entspringenden Bewegungen sie bis jetzt nicht unmittelbar
berührt hatten, so waren sie doch bei dem Ausgang derselben mit ihren
wichtigsten Interessen beteiligt. Begreiflicherweise hatte die innere
Haltung der keltischen Nation sich mit ihren auswärtigen Beziehungen
rasch und nachhaltig verflochten. Wie in Griechenland die
lakedämonische Partei sich gegen die Athener mit Persien verband, so
hatten die Römer von ihrem ersten Auftreten jenseits der Alpen an gegen
die Arverner, die damals unter den südlichen Kelten die führende Macht
waren, an deren Nebenbuhlern um die Hegemonie, den Häduern, eine Stütze
gefunden und mit Hilfe dieser neuen “Brüder der römischen Nation” nicht
bloß die Allobrogen und einen großen Teil des mittelbaren Gebiets der
Arverner sich untertänig gemacht, sondern auch in dem freigebliebenen
Gallien durch ihren Einfluß den Übergang der Hegemonie von den
Arvernern auf diese Häduer veranlaßt. Allein wenn den Griechen nur von
einer Seite her für ihre Nationalität Gefahr drohte, so sahen sich die
Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedrängt, und es war natürlich,
daß man bei dem einen vor dem anderen Schutz suchte und daß, wenn die
eine Keltenpartei sich den Römern anschloß, ihre Gegner dagegen mit den
Deutschen Bündnis machten. Am nächsten lag dies den Belgen, die durch
Nachbarschaft und vielfältige Mischung den überrheinischen Deutschen
genähert waren und überdies bei ihrer minder entwickelten Kultur sich
dem stammfremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fühlen mochten als
dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber auch
die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der
ansehnliche Gau der Sequaner (um Besançon) an der Spitze der den Römern
feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache, gegen die sie zunächst
bedrohenden Römer ebenjetzt die Deutschen herbeizurufen; das lässige
Regiment des Senats und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden
Revolution, die den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, ließen
gerade diesen Moment als geeignet erscheinen, um des römischen
Einflusses sich zu entledigen und zunächst deren Klienten, die Häduer,
zu demütigen. Über die Zölle auf der Saône, die das Gebiet der Häduer
von dem der Sequaner schied, war es zwischen den beiden Gauen zum Bruch
gekommen und um das Jahr 683 (71) hatte der deutsche Fürst Ariovist mit
etwa 15000 Bewaffneten als Condottiere der Sequaner den Rhein
überschritten. Der Krieg zog manches Jahr unter wechselnden Erfolgen
sich hin; im ganzen waren die Ergebnisse den Häduern ungünstig. Ihr
Führer Eporedorix bot endlich die ganze Klientel auf und zog mit
ungeheurer Übermacht aus gegen die Germanen. Diese verweigerten
beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in Sümpfen und Wäldern.
Als aber dann die Clans, des Harrens müde, anfingen aufzubrechen und
sich aufzulösen, erschienen die Deutschen in freiem Felde und nun
erzwang bei Admagetobriga Ariovist die Schlacht, in der die Blüte der
Ritterschaft der Häduer auf dem Kampfplatze blieb. Die Häduer, durch
diese Niederlage gezwungen, auf die Bedingungen, wie der Sieger sie
stellte, Frieden zu schließen, mußten auf die Hegemonie verzichten und
mit ihrem ganzen Anhang in die Klientel der Sequaner sich fügen, auch
sich anheischig machen, den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist Tribut
zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adligen als Geiseln zu
stellen, endlich eidlich versprechen, weder diese Geiseln je
zurückzufordern noch die Intervention der Römer anzurufen. Dieser
Friede ward, wie es scheint, um 693 (61) geschlossen ^11. Ehre und
Vorteil geboten den Römern, dagegen aufzutreten; der vornehme Häduer
Divitiacus, das Haupt der römischen Partei in seinem Clan und darum
jetzt von seinen Landsleuten verbannt, ging persönlich nach Rom, um
ihre Dazwischenkunft zu erbitten; eine noch ernstere Warnung war der
Aufstand der Allobrogen 693 (61), der Nachbarn der Sequaner, welcher
ohne Zweifel mit diesen Ereignissen zusammenhing. In der Tat ergingen
Befehle an die gallischen Statthalter, den Häduern beizustehen; man
sprach davon, Konsuln und konsularische Armeen über die Alpen zu
senden; allein der Senat, an den diese Angelegenheiten zunächst zur
Entscheidung kamen, krönte schließlich auch hier große Worte mit
kleinen Taten: die allobrogische Insurrektion ward mit den Waffen
unterdrückt, für die Häduer aber geschah nicht nur nichts, sondern es
ward sogar Ariovist im Jahre 695 (59) in das Verzeichnis der den Römern
befreundeten Könige eingeschrieben ^12. Der deutsche Kriegsfürst nahm
dies begreiflicherweise als Verzicht der Römer auf das nicht von ihnen
eingenommene Keltenland; er richtete demgemäß sich hier häuslich ein
und fing an, auf gallischem Boden ein deutsches Fürstentum zu
begründen. Die zahlreichen Haufen, die er mitgebracht hatte, die noch
zahlreicheren, die auf seinen Ruf später aus der Heimat nachkamen - man
rechnete, daß bis zum Jahre 696 (58) etwa 120000 Deutsche den Rhein
überschritten -, diese ganze gewaltige Einwanderung der deutschen
Nation, welche durch die einmal geöffneten Schleusen stromweise über
den schönen Westen sich ergoß, gedachte er daselbst ansässig zu machen
und auf dieser Grundlage seine Herrschaft über das Keltenland
aufzubauen. Der Umfang der von ihm am linken Rheinufer ins Leben
gerufenen deutschen Ansiedlungen läßt sich nicht bestimmen; ohne
Zweifel reichte er weit und noch viel weiter seine Entwürfe. Die Kelten
wurden von ihm als eine im ganzen unterworfene Nation behandelt und
zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied gemacht. Selbst die
Sequaner, als deren gedungener Feldhauptmann er den Rhein überschritten
hatte, mußten dennoch, als wären auch sie besiegte Feinde, ihm für
seine Leute ein Drittel ihrer Mark abtreten - vermutlich den später von
den Tribokern bewohnten oberen Elsaß, wo Ariovist sich mit den Seinigen
auf die Dauer einrichtete; ja als sei dies nicht genug, ward ihnen
nachher für die nachgekommenen Haruder noch ein zweites Drittel
abverlangt. Ariovist schien im Keltenland die Rolle des makedonischen
Philipp übernehmen und über die germanisch gesinnten Kelten nicht
minder wie über die den Römern anhängenden den Herrn spielen zu wollen.
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^11 Ariovists Ankunft in Gallien ist nach Caesar (Gall. 1, 36) auf 683
(71), die Schlacht von Admagetobriga (denn so heißt der einer falschen
Inschrift zuliebe jetzt gewöhnlich Magetobriga genannte Ort) nach
Caesar (Gall. 1, 35) und Cicero (Art. 1, 19) auf 693 (61) gesetzt
worden.
^12 Um diesen Hergang der Dinge nicht unglaublich zu finden oder
demselben gar tiefere Motive unterzulegen, als staatsmännische
Unwissenheit und Faulheit sind, wird man wohltun, den leichtfertigen
Ton sich zu vergegenwärtigen, in dem ein angesehener Senator wie Cicero
in seiner Korrespondenz sich über diese wichtigen transalpinischen
Angelegenheiten ausläßt.
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Das Auftreten des kräftigen deutschen Fürsten in einer so gefährlichen
Nähe, das schon an sich die ernstesten Besorgnisse der Römer erwecken
mußte, erschien noch bedrohlicher insofern, als dasselbe keineswegs
vereinzelt stand. Auch die am rechten Rheinufer ansässigen Usipeten und
Tencterer waren, der unaufhörlichen Verheerung ihres Gebiets durch die
übermütigen Suebenstämme müde, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf
(695 59) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen, um sich andere an
der Rheinmündung zu suchen. Schon hatten sie dort den Menapiern den auf
dem rechten Ufer belegenen Teil ihres Gebiets weggenommen, und es war
vorherzusehen, daß sie den Versuch machen würden, auch auf dem linken
sich festzusetzen. Zwischen Köln und Mainz sammelten ferner sich
suebische Haufen und drohten in dem gegenüberliegenden Keltengau der
Treverer als ungeladene Gäste zu erscheinen. Endlich ward auch das
Gebiet des östlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und
zahlreichen Helvetier, immer nachdrücklicher von den Germanen
heimgesucht, so daß die Helvetier, die vielleicht schon ohnehin durch
das Zurückströmen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nordwärts
vom Rheine an Überbevölkerung litten, überdies durch die Festsetzung
Ariovists im Gebiet der Sequaner, einer völligen Isolierung von ihren
Stammgenossen entgegengingen, den verzweifelten Entschluß faßten, ihr
bisheriges Gebiet freiwillig den Germanen zu räumen und westlich vom
Jura geräumigere und fruchtbarere Sitze und zugleich womöglich die
Hegemanie im inneren Gallien zu gewinnen - ein Plan, den schon während
der kimbrischen Invasion einige ihrer Distrikte gefaßt und auszuführen
versucht hatten. Die Rauraker, deren Gebiet (Basel und der südliche
Elsaß) in ähnlicher Weise bedroht war, ferner die Reste der Boier, die
bereits früher von den Germanen gezwungen waren, ihrer Heimat den
Rücken zu kehren, und nun unstet umherirrten, und andere kleinere
Stämme machten mit den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693
(61) kamen ihre Streiftrupps über den Jura und selbst bis in die
römische Provinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich
verzögern; unvermeidlich rückten alsdann germanische Ansiedler nach in
die von ihren Verteidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem
Boden- und dem Genfersee. Von den Rheinquellen bis zum Atlantischen
Ozean waren die deutschen Stämme in Bewegung, die ganze Rheinlinie von
ihnen bedroht; es war ein Moment wie da die Alamannen und Franken sich
über das sinkende Reich der Caesaren warfen, und jetzt gleich schien
gegen die Kelten ebendas ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein
halbes Jahrtausend später gegen die Römer gelang.
Unter diesen Verhältnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im
Frühling 696 (58) in dem Narbonensischen Gallien ein, das zu seiner
ursprünglichen, das Diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien
umfassenden Statthalterschaft durch Senatsbeschluß hinzugefügt worden
war. Sein Amt, das ihm zuerst auf fünf (bis Ende 700 54), dann im Jahre
699 (55) auf weitere fünf Jahre (bis Ende 705 49) übertragen ward, gab
ihm das Recht, zehn Unterbefehlshaber von proprätorischem Rang zu
ernennen, und - wenigstens nach seiner Auslegung - aus der besonders im
Diesseitigen Gallien zahlreichen Bürgerbevölkerung des ihm gehorchenden
Gebiets nach Gutdünken seine Legionen zu ergänzen oder auch neue zu
bilden. Das Heer, das er in den beiden Provinzen übernahm, bestand an
Linienfußvolk aus vier geschulten und kriegsgewohnten Legionen, der
siebenten, achten, neunten und zehnten, oder höchstens 24000 Mann, wozu
dann, wie üblich, die Untertanenkontingente hinzutraten. Reiterei und
Leichtbewaffnete waren außerdem vertreten durch Reiter aus Spanien und
numidische, kretische, balearische Schützen und Schleuderer. Caesars
Stab, die Elite der hauptstädtischen Demokratie, enthielt neben nicht
wenigen unbrauchbaren, vornehmen jungen Männern einzelne fähige
Offiziere, wie Publius Crassus, den jüngeren Sohn des alten politischen
Bundesgenossen Caesars, und Titus Labienus, der dem Haupt der
Demokratie als treuer Adjutant vom Forum auf das Schlachtfeld gefolgt
war. Bestimmte Aufträge hatte Caesar nicht erhalten; für den
Einsichtigen und Mutigen lagen sie in den Verhältnissen. Auch hier war
nachzuholen, was der Senat versäumt hatte, und vor allen Dingen der
Strom der deutschen Völkerwanderung zu hemmen. Ebenjetzt begann die mit
der deutschen eng verflochtene und seit langen Jahren vorbereitete
helvetische Invasion. Um die verlassenen Hütten nicht den Germanen zu
gönnen, und um sich selber die Rückkehr unmöglich zu machen, hatten die
Helvetier ihre Städte und Weiler niedergebrannt, und ihre langen
Wagenzüge, mit Weibern, Kindern und dem besten Teil der Fahrnis
beladen, trafen von allen Seiten her am Leman bei Genava (Genf) ein, wo
sie und ihre Genossen sich zum 28. März ^13 dieses Jahres Rendezvous
gegeben hatten. Nach ihrer eigenen Zählung bestand die gesamte Masse
aus 368000 Köpfen, wovon etwa der vierte Teil imstande war, die Waffen
zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich
erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast vollständig
abschloß und dessen schmale Defileen für den Durchzug einer solchen
Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut für die Verteidigung,
hatten darum die Führer beschlossen, in südlicher Richtung zu umgehen
und den Weg nach Westen sich da zu eröffnen, wo zwischen dem
südwestlichen und höchsten Teil des Jura und den savoyischen Bergen bei
dem heutigen Fort de l’Ecluse die Rhone die Gebirgsketten durchbrochen
hat. Allein am rechten Ufer treten hier die Felsen und Abgründe so hart
an den Fluß, daß nur ein schmaler, leicht zu sperrender Pfad übrig
bleibt und die Sequaner, denen dies Ufer gehörte, den Helvetiern mit
Leichtigkeit den Paß verlegen konnten. Sie zogen es darum vor, oberhalb
des Durchbruchs der Rhone auf das linke allobrogische Ufer überzugehen,
um weiter stromabwärts, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das
rechte zu gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu
ziehen; dort war der fruchtbare Kanton der Santonen (Saintonge, das Tal
der Charente) am Atlantischen Meer von den Wanderern zu ihrem neuen
Wohnsitz ausersehen. Dieser Marsch führte, wo er das linke Rhoneufer
betrat, durch römisches Gebiet; und Caesar, ohnehin nicht gemeint, sich
die Festsetzung der Helvetier im westlichen Gallien gefallen zu lassen,
war fest entschlossen, ihnen den Durchzug nicht zu gestatten. Allein
von seinen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia;
obwohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot,
schien es kaum möglich, mit einer so geringen Mannschaft dem zahllosen
Keltenschwarm den Übergang über die Rhone, von ihrem Austritt aus dem
Leman bei Genf bis zu ihrem Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als
drei deutschen Meilen, zu verwehren. Caesar gewann indes durch
Unterhandlungen mit den Helvetiern, die den Übergang über den Fluß und
den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher Weise
bewerkstelligt hätten, eine Frist von fünfzehn Tagen, welche dazu
benutzt ward, die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubrechen und das
südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deutsche Meilen lange
Verschanzung dem Feinde zu sperren - es war die erste Anwendung des von
den Römern später in so ungeheurem Umfang durchgeführten Systems,
mittels einer Kette einzelner, durch Wälle und Gräben miteinander in
Verbindung gesetzter Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu
schließen. Die Versuche der Helvetier, auf Kähnen oder mittels Furten
an verschiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen, wurden in diesen
Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier genötigt,
von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte die den Römern
feindlich gesinnte Partei in Gallien, die an den Helvetiern eine
mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, namentlich der Häduer
Dumnorix, des Divitiacus Bruder und in seinem Gau wie dieser an der
Spitze der römischen so seinerseits an der Spitze der nationalen
Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jurapässe und das Gebiet der
Sequaner. Dies zu verbieten hatten die Römer keinen Rechtsgrund; allein
es standen für sie bei dem helvetischen Heerzug andere und höhere
Interessen auf dem Spiel als die Frage der formellen Integrität des
römischen Gebiets - Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn
Caesar, statt, wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius
getan, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu
beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige
Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats, sondern
des Staates: er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus hatte er sich
in eigener Person nach Italien begeben und mit der ihm eigenen
Raschheit die drei dort kantonnierenden sowie zwei neugebildete
Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen vereinigte er mit dem bei
Genava stehenden Korps und überschritt mit der gesamten Macht die
Rhone. Sein unvermutetes Erscheinen im Gebiete der Häduer brachte
natürlich daselbst sofort wieder die römische Partei ans Regiment, was
der Verpflegung wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er
beschäftigt, die Saône zu passieren und aus dem Gebiet der Sequaner in
das der Häduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saôneufer
stand, namentlich das Korps der Tigoriner, ward von den rasch
vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das Gros des Zuges war
indes bereits auf das rechte Ufer des Flusses übergesetzt; Caesar
folgte ihnen und bewerkstelligte den Übergang, den der ungeschlachte
Zug der Helvetier in zwanzig Tagen nicht hatte vollenden können, in
vierundzwanzig Stunden. Die Helvetier, durch diesen Übergang der
römischen Armee über den Fluß gehindert, ihren Marsch in westlicher
Richtung fortzusetzen, schlugen die Richtung nach Norden ein, ohne
Zweifel in der Voraussetzung, daß Caesar nicht wagen werde, ihnen weit
in das innere Gallien hinein zu folgen, und in der Absicht, wenn er von
ihnen abgelassen habe, sich wieder ihrem eigentlichen Ziel zuzuwenden.
Fünfzehn Tage marschierte das römische Heer in dem Abstand etwa einer
deutschen Meile von dem feindlichen hinter demselben her, an seine
Fersen sich heftend und auf einen günstigen Augenblick hoffend, um den
feindlichen Heereszug unter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und
zu vernichten. Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfällig
auch die helvetische Karawane einherzog, die Führer wußten einen
Überfall zu verhüten und zeigten sich wie mit Vorräten reichlich
versehen, so durch ihre Spione von jedem Vorgang im römischen Lager
aufs genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Römer an, Mangel an dem
Notwendigsten zu leiden, namentlich als die Helvetier sich von der
Saône entfernten und der Flußtransport aufhörte. Das Ausbleiben der von
den Häduern versprochenen Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunächst
hervorging, erregte um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf
ihrem Gebiete sich herumbewegten. Ferner zeigte sich die ansehnliche,
fast 4000 Pferde zählende römische Reiterei völlig unzuverlässig - was
freilich erklärlich war, da dieselbe fast ganz aus keltischer
Ritterschaft, namentlich den Reitern der Häduer unter dem Befehl des
wohlbekannten Römerfeindes Dumnorix bestand und Caesar selbst sie mehr
noch als Geiseln denn als Soldaten übernommen hatte. Man hatte guten
Grund zu glauben, daß eine Niederlage, die sie von der weit schwächeren
helvetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigeführt worden
war, und daß durch sie der Feind von allen Vorfällen im römischen Lager
unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich; in leidiger
Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Häduern, trotz ihres
offiziellen Bündnisses mit Rom und der nach Rom sich neigenden
Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische Patriotenpartei vermochte;
was sollte daraus werden, wenn man in die gärende Landschaft tiefer und
tiefer sich hineinwagte und von den Verbindungen immer weiter sich
entfernte? Eben zogen die Heere an der Hauptstadt der Häduer, Bibracte
(Autun), in mäßiger Entfernung vorüber; Caesar beschloß, dieses
wichtigen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, bevor er den
Marsch in das Binnenland fortsetzte, und es ist wohl möglich, daß er
überhaupt beabsichtigte, von weiterer Verfolgung abzustehen und in
Bibracte sich festzusetzen. Allein da er, von der Verfolgung ablassend,
sich gegen Bibracte wendete, meinten die Helvetier, daß die Römer zur
Flucht Anstalt machten, und griffen nun ihrerseits an. Mehr hatte
Caesar nicht gewünscht. Auf zwei parallel laufenden Hügelreihen
stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Gefecht,
sprengten die in die Ebene vorgeschobene römische Reiterei auseinander
und liefen an gegen die am Abhang des Hügels postierten römischen
Legionen, mußten aber hier vor Caesars Veteranen weichen. Als darauf
die Römer, ihren Vorteil verfolgend, nun ihrerseits in die Ebene
hinabstiegen, gingen die Kelten wieder gegen sie vor und ein
zurückgehaltenes keltisches Korps nahm sie zugleich in die Flanke. Dem
letzteren ward die Reserve der römischen Angriffskolonne
entgegengeworfen; sie drängte dasselbe von der Hauptmasse ab auf das
Gepäck und die Wagenburg, wo es aufgerieben ward. Auch das Gros des
helvetischen Zuges ward endlich zum Weichen gebracht und genötigt, den
Rückzug in östlicher Richtung zu nehmen - der entgegengesetzten von
derjenigen, in die ihr Zug sie führte. Den Plan der Helvetier, am
Atlantischen Meer sich neue Wohnsitze zu gründen, hatte dieser Tag
vereitelt und die Helvetier der Willkür des Siegers überliefert; aber
es war ein heißer auch für die Sieger gewesen. Caesar, der Ursache
hatte, seinem Offizierkorps nicht durchgängig zu trauen, hatte gleich
zu Anfang alle Offizierspferde fortgeschickt, um die Notwendigkeit
standzuhalten den Seinigen gründlich klar zu machen; in der Tat würde
die Schlacht, hätten die Römer sie verloren, wahrscheinlich die
Vernichtung der römischen Armee herbeigeführt haben. Die römischen
Truppen waren zu erschöpft, um die Überwundenen kräftig zu verfolgen;
allein infolge der Bekanntmachung Caesars, daß er alle, die die
Helvetier unterstützen würden, wie diese selbst als Feinde der Römer
behandeln werde, ward, wohin die geschlagene Armee kam, zunächst in dem
Gau der Lingonen (um Langres), ihr jede Unterstützung verweigert und,
aller Zufuhr und ihres Gepäcks beraubt und belastet von der Masse des
nicht kampffähigen Trosses, mußten sie wohl dem römischen Feldherrn
sich unterwerfen. Das Los der Besiegten war ein verhältnismäßig mildes.
Den heimatlosen Boiern wurden die Häduer angewiesen, in ihrem Gebiet
Wohnsitze einzuräumen; und diese Ansiedlung der überwundenen Feinde
inmitten der mächtigsten Kettengaue tat fast die Dienste einer
römischen Kolonie. Die von den Helvetiern und Raurakern noch übrigen,
etwas mehr als ein Drittel der ausgezogenen Mannschaft, wurden
natürlich in ihr ehemaliges Gebiet zurückgesandt. Dasselbe wurde der
römischen Provinz einverleibt, aber die Bewohner zum Bündnis mit Rom
unter günstigen Bedingungen zugelassen, um unter römischer Hoheit am
oberen Rhein die Grenze gegen die Deutschen zu verteidigen. Nur die
südwestliche Spitze des helvetischen Gaus wurde von den Römern in
unmittelbaren Besitz genommen und späterhin hier, an dem anmutigen
Gestade des Leman, die alte Keltenstadt Noviodunum (jetzt Nyon) in eine
römische Grenzfestung, die Julische Reiterkolonie ^14, umgewandelt.
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^13 Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren Rektifikation,
die indes hier keineswegs auf hinreichend zuverlässigen Daten beruht,
entspricht dieser Tag dem 16. April des Julianischen Kalenders.
^14 Julia Equestris, wo der letzte Beiname zu fassen ist wie in anderen
Kolonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum, u. a. m. Es
waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natürlich unter
Erteilung des römischen oder doch des latinischen Bürgerrechts, hier
Landlose empfingen.
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Am Oberrhein also war der drohenden Invasion der Deutschen vorgebeugt
und zugleich die den Römern feindliche Partei unter den Kelten
gedemütigt. Auch am Mittelrhein, wo die Deutschen bereits vor Jahren
übergegangen waren und die in Gallien mit der römischen wetteifernde
Macht des Ariovist täglich weiter um sich griff, mußte in ähnlicher
Weise durchgegriffen werden, und leicht war die Veranlassung zum Bruche
gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist ihnen drohenden oder
bereits auferlegten Joch mochte hier dem größeren Teil der Kelten jetzt
die römische Suprematie das geringere Übel dünken; die Minorität, die
an ihrem Römerhaß festhielt, mußte wenigstens verstummen. Ein unter
römischem Einfluß abgehaltener Landtag der Keltenstämme des mittleren
Galliens ersuchte im Namen der keltischen Nation den römischen
Feldherrn um Beistand gegen die Deutschen. Caesar ging darauf ein. Auf
seine Veranlassung stellten die Häduer die Zahlung des vertragsmäßig an
Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und forderten die gestellten
Geiseln zurück, und da Ariovist wegen dieses Vertragsbruchs die
Klienten Roms angriff, nahm Caesar davon Veranlassung, mit ihm in
direkte Verhandlung zu treten und, außer der Rückgabe der Geiseln und
dem Versprechen, mit den Häduern Frieden zu halten, namentlich zu
fordern, daß Ariovist sich anheischig mache, keine Deutschen mehr über
den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr antwortete dem römischen
in dem Vollgefühl ebenbürtigen Rechtes. Ihm sei das nördliche Gallien
so gut nach Kriegsrecht untertänig geworden wie den Römern das
südliche; wie er die Römer nicht hindere, von den Allobrogen Tribut zu
nehmen, so dürften auch sie ihm nicht wehren, seine Untertanen zu
besteuern. In späteren geheimen Eröffnungen zeigte es sich, daß der
Fürst der römischen Verhältnisse wohl kundig war: er erwähnte der
Aufforderungen, die ihm von Rom aus zugekommen seien, Caesar aus dem
Wege zu räumen, und erbot sich, wenn Caesar ihm das nördliche Gallien
überlassen wolle, ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft über Italien
behilflich zu sein - wie ihm der Parteihader der keltischen Nation den
Eintritt in Gallien eröffnet hatte, so schien er von dem Parteihader
der italischen die Befestigung seiner Herrschaft daselbst zu erwarten.
Seit Jahrhunderten war den Römern gegenüber diese Sprache der
vollkommen ebenbürtigen und ihre Selbständigkeit schroff und
rücksichtslos äußernden Macht nicht geführt worden, wie man sie jetzt
von dem deutschen Heerkönig vernahm: kurzweg weigerte er sich zu
kommen, als der römische Feldherr nach der bei Klientelfürsten
hergebrachten Übung ihm ansann, vor ihm persönlich zu erscheinen. Um so
notwendiger war es, nicht zu zaudern: sogleich brach Caesar auf gegen
Ariovist. Ein panischer Schrecken ergriff seine Truppen, vor allem
seine Offiziere, als sie daran sollten, mit den seit vierzehn Jahren
nicht unter Dach und Fach gekommenen deutschen Kernscharen sich zu
messen - auch in Caesars Lager schien die tiefgesunkene römische
Sitten- und Kriegszucht sich geltend machen und Desertion und Meuterei
hervorrufen zu wollen. Allein der Feldherr, indem er erklärte,
nötigenfalls mit der zehnten Legion allein gegen den Feind zu ziehen,
wußte nicht bloß durch solche Ehrenmahnung diese, sondern durch den
kriegerischen Wetteifer auch die übrigen Regimenter an die Adler zu
fesseln und etwas von seiner eigenen Energie den Truppen einzuhauchen.
Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu besinnen, führte er in raschen
Märschen sie weiter und kam glücklich Ariovist in der Besetzung der
sequanischen Hauptstadt Vesontio (Besançon) zuvor. Eine persönliche
Zusammenkunft der beiden Feldherrn, die auf Ariovists Begehren
stattfand, schien einzig einen Versuch gegen Caesars Person bedecken zu
sollen; zwischen den beiden Zwingherren Galliens konnten nur die Waffen
entscheiden. Vorläufig kam der Krieg zum Stehen. Im unteren Elsaß, etwa
in der Gegend von Mülhausen, eine deutsche Meile vom Rhein ^15,
lagerten die beiden Heere in geringer Entfernung voneinander, bis es
Ariovist gelang, mit seiner sehr überlegenen Macht an dem römischen
Lager vorbeimarschierend, sich ihm in den Rücken zu legen und die Römer
von ihrer Basis und ihren Zufuhren abzuschneiden. Caesar versuchte sich
aus seiner peinlichen Lage durch eine Schlacht zu befreien; allein
Ariovist nahm sie nicht an. Dem römischen Feldherrn blieb nichts übrig,
als trotz seiner geringen Stärke, die Bewegung des Feindes nachzuahmen
und seine Verbindungen dadurch wieder zu gewinnen, daß er zwei Legionen
am Feinde vorbeiziehen und jenseits des Lagers der Deutschen eine
Stellung nehmen ließ, während vier in dem bisherigen Lager
zurückblieben. Ariovist, da er die Römer geteilt sah, versuchte einen
Sturm auf ihr kleineres Lager; allein die Römer schlugen ihn ab. Unter
dem Eindruck dieses Erfolges ward das gesamte römische Heer zum Angriff
vorgeführt; und auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich
auf, in langer Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht
zu erschweren, die Karren der Armee mit dem Gepäck und den Weibern. Der
rechte Flügel der Römer unter Caesars eigener Führung stürzte sich
rasch auf den Feind und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem
rechten Flügel der Deutschen. Noch stand die Waage gleich; allein die
Taktik der Reserven entschied, wie so manchen anderen Kampf gegen
Barbaren, so auch den gegen die Germanen zu Gunsten der Römer; ihre
dritte Linie, die Publius Crassus rechtzeitig zur Hilfe sandte, stellte
auf dem linken Flügel die Schlacht wieder her und damit war der Sieg
entschieden. Bis an den Rhein ward die Verfolgung fortgesetzt; nur
wenigen, darunter dem König, gelang es, auf das andere Ufer zu
entkommen (696 58).
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^15 F. W. A. Göler (Cäsars gallischer Krieg. Karlsruhe 1858, S. 45f.)
meint, das Schlachtfeld bei Cernay unweit Mühlhausen aufgefunden zu
haben, was im ganzen übereinkommt mit Napoleons (précis p. 35)
Ansetzung des Schlachtfeldes in der Gegend von Belfort. Diese Annahme
ist zwar nicht sicher, aber den Umständen angemessen; denn daß Caesar
für die kurze Strecke von Besançon bis dahin sieben Tagemärsche
brauchte, erklärt er selbst (Lall. 1, 41) durch die Bemerkung, daß er
einen Umweg von über zehn deutschen Meilen genommen, um die Bergwege zu
vermeiden, und dafür, daß die Schlacht 5, nicht 50 Milien vom Rhein
geschlagen ward, entscheidet bei gleicher Autorität der Überlieferung
die ganze Darstellung der bis zum Rhein fortgesetzten und offenbar
nicht mehrtägigen, sondern an dem Schlachttag selbst beendigten
Verfolgung. Der Vorschlag W. Rüstows (Einleitung zu Caesars Kommentar,
S. 117), das Schlachtfeld an die obere Saar zu verlegen, beruht auf
einem Mißverständnis. Das von den Sequanern, Denkern, Lingonen
erwartete Getreide soll dem römischen Heere nicht unterwegs auf dem
Marsche gegen Ariovist zukommen, sondern vor dem Aufbruch nach Besançon
geliefert und von den Truppen mitgenommen werden; wie dies sehr
deutlich daraus hervorgeht, daß Caesar, indem er seine Truppen auf jene
Lieferungen hinweist, daneben sie auf das unterwegs einzubringende Korn
vertröstet. Von Besançon aus beherrschte Caesar die Gegend von Langres
und Epinal und schrieb, wie begreiflich, seine Lieferungen lieber hier
aus als in den ausfouragierten Distrikten, aus denen er kam.
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So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die italischen
Soldaten zum erstenmal erblickten, das römische Regiment sich an; mit
einer einzigen glücklichen Schlacht war die Rheinlinie gewonnen. Das
Schicksal der deutschen Ansiedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars
Hand; der Sieger konnte sie vernichten, aber er tat es nicht. Die
benachbarten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker,
waren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übersiedelten Deutschen
versprachen nicht bloß tapfere Grenzhüter, sondern auch bessere
Untertanen Roms zu werden, da sie von den Kelten die Nationalität, von
ihren überrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewahrung
der neugewonnenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolierten
Stellung nicht umhin konnten, an der Zentralgewalt festzuhalten. Caesar
zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden
vor; er ließ den von Ariovist längs des linken Rheinufers angesiedelten
Germanen, den Tribokern um Straßburg, den Nemetern um Speyer, den
Vangionen um Worms, ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die Bewachung
der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an ^16.
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^16 Das scheint die einfachste Annahme über den Ursprung dieser
germanischen Ansiedlungen. Daß Ariovist jene Völker am Mittelrhein
ansiedelte, ist deshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten
(Caes. Gall. 1, 51) und früher nicht vorkommen; daß ihnen Caesar ihre
Sitze ließ, deshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte,
die in Gallien bereits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. Gall. 1,
35. 43), und weil wir sie später in diesen Sitzen finden. Caesar
gedenkt der nach der Schlacht hinsichtlich dieser germanischen
Ansiedlungen getroffenen Verfügungen nicht, weil er über alle in
Gallien von ihm vorgenommenen organischen Einrichtungen grundsätzlich
Stillschweigen beobachtet.
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Die Sueben aber, die am Mittelrhein das treverische Gebiet bedrohten,
zogen auf die Nachricht von Ariovists Niederlage wieder zurück in das
innere Deutschland, wobei sie unterwegs durch die nächstwohnenden
Völkerschaften ansehnliche Einbuße erlitten.
Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermeßlich; noch Jahrtausende
nachher wurden sie empfunden. Der Rhein war die Grenze des Römischen
Reiches gegen die Deutschen geworden. In Gallien, das nicht mehr
vermochte, sich selber zu gebieten, hatten bisher die Römer an der
Südküste geherrscht, seit kurzem die Deutschen versucht, weiter
oberwärts sich festzusetzen. Die letzten Ereignisse hatten es
entschieden, daß Gallien nicht nur zum Teil, sondern ganz der römischen
Oberhoheit zu verfallen und daß die Naturgrenze, die der mächtige Fluß
darbietet, auch die staatliche Grenze zu werden bestimmt war. In seiner
besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis Roms Herrschaft
Italiens natürliche Grenzen, die Alpen und das Mittelmeer und dessen
nächste Inseln, erreicht hatte. Einer ähnlichen militärischen Abrundung
bedurfte auch das erweiterte Reich; aber die gegenwärtige Regierung
überließ dieselbe dem Zufall und sah höchstens darauf, nicht daß die
Grenzen verteidigt werden konnten, sondern daß sie nicht unmittelbar
von ihr selbst verteidigt zu werden brauchten. Man fühlte es, daß jetzt
ein anderer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken
begannen.
Die Grundmauern des künftigen Gebäudes standen; um aber dasselbe
auszubauen und bei den Galliern die Anerkennung der römischen
Herrschaft und der Rheingrenze bei den Deutschen vollständig
durchzuführen, fehlte doch noch gar viel. Ganz Mittelgallien zwar von
der römischen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fügte sich ohne
Widerrede dem neuen Machthaber, und am oberen und mittleren Rhein war
auch von den Deutschen vorläufig kein Angriff zu besorgen. Allein die
nördlichen Landschaften, sowohl die aremorikanischen Gaue in der
Bretagne und der Normandie als auch die mächtigere Konföderation der
Belgen, waren von den gegen das mittlere Gallien geführten Schlägen
nicht mitgetroffen worden und fanden sich nicht veranlaßt, dem Besieger
Ariovists sich zu unterwerfen. Es kam hinzu, daß, wie bemerkt, zwischen
den Belgen und den überrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen
bestanden und auch an der Rheinmündung germanische Stämme sich fertig
machten, den Strom zu überschreiten. Infolgedessen brach Caesar mit
seinem jetzt auf acht Legionen vermehrten Heer im Frühjahr 697 (57) auf
gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des tapferen und glücklichen
Widerstandes, den sie fünfzig Jahre zuvor mit gesamter Hand an der
Landgrenze den Kimbrern geleistet hatte, und gespornt durch die
zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen geflüchteten Patrioten, sandte die
Eidgenossenschaft der Belgen ihr gesamtes erstes Aufgebot, 300000
Bewaffnete unter Anführung des Königs der Suessionen, Galba, an ihre
Südgrenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein einziger Gau, der
der mächtigen Remer (um Reims), ersah in dieser Invasion der Fremden
die Gelegenheit, das Regiment abzuschütteln, das ihre Nachbarn, die
Suessionen, über sie ausübten, und schickte sich an, die Rolle, die in
Mittelgallien die Häduer gespielt hatten, im nördlichen zu übernehmen.
In ihrem Gebiet trafen das römische und das belgische Heer fast
gleichzeitig ein. Caesar unternahm es nicht, dem tapferen, sechsfach
stärkeren Feinde eine Schlacht zu liefern; nordwärts der Aisne, unweit
des heutigen Pontavert, zwischen Reims und Laon, nahm er sein Lager auf
einem teils durch den Fluß und durch Sümpfe, teils durch Gräben und
Redouten von allen Seiten fast unangreifbar gemachten Plateau und
begnügte sich, die Versuche der Belgen, die Aisne zu überschreiten und
ihn damit von seinen Verbindungen abzuschneiden, durch defensive
Maßregeln zu vereiteln. Wenn er darauf zählte, daß die Koalition
demnächst unter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte
er richtig gerechnet. König Galba war ein redlicher, allgemein
geachteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf
feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht weiter und die
Vorräte gingen auf die Neige; Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an,
im Lager der Eidgenossen sich einzunisten. Die Bellovaker vor allem,
den Suessionen an Macht gleich und schon verstimmt darüber, daß die
Feldhauptmannschaft des eidgenössischen Heeres nicht an sie gekommen
war, waren nicht länger zu halten, seit die Meldung eingetroffen war,
daß die Häduer als Bundesgenossen der Römer Anstalt machten, in das
bellovakische Gebiet einzurücken. Man beschloß, sich aufzulösen und
nach Hause zu gehen; wenn Schande halber die sämtlichen Gaue zugleich
sich verpflichteten, dem zunächst angegriffenen mit gesamter Hand zu
Hilfe zu eilen, so ward durch solche unausführbare Stipulationen das
klägliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur kläglich
beschönigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft an diejenige
erinnert, die im Jahre 1792 fast auf demselben Boden eintrat; und
gleichwie in dem Feldzug in der Champagne war die Niederlage nur um so
schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der
abziehenden Armee gestattete dem römischen Feldherrn, dieselbe zu
verfolgen, als wäre sie eine geschlagene, und einen Teil der bis
zuletzt gebliebenen Kontingente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges
beschränkten sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Kantone
der Belgen einrückte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr
sich verloren: die mächtigen Suessionen (um Soissons), ebenso wie ihre
Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambianer (um Amiens).
Die Städte öffneten die Tore, als sie die fremdartigen
Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollenden Türme erblickten;
wer sich dem fremden Herrn nicht ergeben mochte, suchte eine Zuflucht
jenseits des Meeres in Britannien. Aber in den östlichen Kantonen regte
sich energischer das Nationalgefühl. Die Viromanduer (um Arras), die
Atrebaten (um Saint-Quentin), die deutschen Aduatuker (um Namur), vor
allem aber die Nervier (im Hennegau) mit ihrer nicht geringen Klientel,
an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachgebend, an Tapferkeit
und kräftigem Vaterlandssinn ihnen weit überlegen, schlossen einen
zweiten und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen
Samtire zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs genaueste
über die Bewegungen der römischen Armee; ihre eigene Ortskunde sowie
die hohen Verzäunungen, welche in diesen Landschaften überall angelegt
waren, um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Räuberscharen den
Weg zu versperren, gestatteten den Verbündeten, ihre eigenen
Operationen dem Blick der Römer größtenteils zu entziehen. Als diese an
der Sambre unweit Bavay anlangten und die Legionen eben beschäftigt
waren, auf dem Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, die
Reiterei und leichte Infanterie die jenseitigen Höhen zu erkunden,
wurden auf einmal die letzteren von der gesamten Masse des feindlichen
Landsturms überfallen und den Hügel hinab in den Fluß gesprengt. In
einem Augenblick hatte der Feind auch diesen überschritten und stürmte
mit todverachtender Entschlossenheit die Höhen des linken Ufers. Kaum
blieb den schanzenden Legionären die Zeit, um die Hacke mit dem Schwert
zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, mußten fechten, wo sie
eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigentliches
Kommando, denn bei der Plötzlichkeit des Überfalls und dem von hohen
Hecken durchschnittenen Terrain hatten die einzelnen Abteilungen die
Verbindung völlig verloren. Statt der Schlacht entspann sich eine
Anzahl zusammenhangloser Gefechte. Labienus mit dem linken Flügel warf
die Atrebaten und verfolgte sie bis über den Fluß. Das römische
Mitteltreffen drängte die Viromanduer den Abhang hinab. Der rechte
Flügel aber, bei dem der Feldherr selbst sich befand, wurde von den
weit zahlreicheren Nerviern um so leichter überflügelt, als das
Mitteltreffen, durch seinen Erfolg fortgerissen, den Platz neben ihm
geräumt hatte, und selbst das halbfertige Lager von den Nerviern
besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes Knäuel
zusammengeballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen, ihrer
meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schienen im
Begriff, gesprengt und zusammengehauen zu werden. Schon flohen der
römische Troß und die Bundestruppen nach allen Seiten; von der
keltischen Reiterei jagten ganze Abteilungen, wie das Kontingent der
Treverer, mit verhängten Zügeln davon, um vom Schlachtfelde selbst die
willkommene Kunde der erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand
alles auf dem Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht
unter den Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder
Zuruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon hatte
man einigermaßen sich Luft gemacht und wenigstens die Verbindung der
beiden Legionen dieses Flügels wiederhergestellt, als Succurs
herbeikam: teils von dem Uferkamm herab, wo währenddessen mit dem
Gepäck die römische Nachhut eingetroffen war, teils vom anderen
Flußufer her, wo Labienus inzwischen bis an das feindliche Lager
vorgedrungen war und sich dessen bemächtigt hatte und nun, endlich die
auf dem rechten Flügel drohende Gefahr gewahrend, die siegreiche zehnte
Legion seinem Feldherrn zu Hilfe sandte. Die Nervier, von ihren
Verbündeten getrennt und von allen Seiten zugleich angegriffen,
bewährten jetzt, wo das Glück sich wandte, denselben Heldenmut, wie da
sie sich Sieger glaubten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen
herunter fochten sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen
Angabe überlebten von ihren sechshundert Ratsherren nur drei diesen
Tag. Nach dieser vernichtenden Niederlage mußten die Nervier, Atrebaten
und Viromanduer wohl die römische Hoheit anerkennen. Die Aduatuker, zu
spät eingetroffen, um an dem Kampfe an der Sambre teilzunehmen,
versuchten zwar noch, in der festesten ihrer Städte (auf dem Berge
Falhize an der Maas unweit Huy) sich zu halten, allein bald unterwarfen
auch sie sich. Ein noch nach der Ergebung gewagter nächtlicher Überfall
des römischen Lagers vor der Stadt schlug fehl und der Treubruch ward
von den Römern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die Klientel der
Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und Rhein und anderen
kleinen, benachbarten Stämmen bestand, wurde von den Römern selbständig
erklärt, die gefangenen Aduatuker aber in Masse zu Gunsten des
römischen Schatzes unter dem Hammer verkauft. Es schien, als ob das
Verhängnis, das die Kimbrer betroffen hatte, auch diesen letzten
kimbrischen Splitter noch verfolge. Den übrigen unterworfenen Stämmen
begnügte sich Caesar eine allgemeine Entwaffnung und Geiselstellung
aufzuerlegen. Die Remer wurden natürlich der führende Gau im belgischen
wie die Häduer im mittleren Gallien; sogar in diesem begaben sich
manche mit den Häduern verfeindete Clans vielmehr in die Klientel der
Reiner. Nur die entlegenen Seekantone der Moriner (Artois) und der
Menapier (Flandern und Brabant) und die großenteils von Deutschen
bewohnte Landschaft zwischen Schelde und Rhein blieben für diesmal von
der römischen Invasion noch verschont und im Besitz ihrer angestammten
Freiheit.
Die Reihe kam an die aremorikanischen Gaue. Noch im Herbst 697 (57)
ward Publius Crassus mit einem römischen Korps dahin gesandt; er
bewirkte, daß die Veneter, die, als Herren der Häfen des heutigen
Morbihan und einer ansehnlichen Flotte, in Schiffahrt und Handel unter
allen keltischen Gauen den ersten Platz einnahmen, und überhaupt die
Küstendistrikte zwischen Loire und Seine sich den Römern unterwarfen
und ihnen Geiseln stellten. Allein es gereute sie bald. Als im
folgenden Winter (697/98 57/5 römische Offiziere in diese Gegenden
kamen, um Getreidelieferungen daselbst auszuschreiben, wurden sie von
den Venetern als Gegengeiseln festgehalten. Dem gegebenen Beispiel
folgten rasch nicht bloß die aremoricanischen, sondern auch die noch
freigebliebenen Seekantone der Belgen; wo, wie in einigen Gauen der
Normandie, der Gemeinderat sich weigerte, der Insurrektion beizutreten,
machte die Menge ihn nieder und schloß mit verdoppeltem Eifer der
Nationalsache sich an. Die ganze Küste von der Mündung der Loire bis zu
der des Rheins stand auf gegen Rom; die entschlossensten Patrioten aus
allen keltischen Gauen eilten dorthin, um mitzuwirken an dem großen
Werke der Befreiung; man rechnete schon auf den Aufstand der gesamten
belgischen Eidgenossenschaft, auf Beistand aus Britannien, auf das
Einrücken der überrheinischen Germanen.
Caesar sandte Labienus mit der ganzen Reiterei an den Rhein, um die
gärende belgische Landschaft niederzuhalten und nötigenfalls den
Deutschen den Übergang über den Fluß zu wehren; ein anderer seiner
Unterbefehlshaber, Quintus Titurius Sabinus, ging mit drei Legionen
nach der Normandie, wo die Hauptmasse der Insurgenten sich sammelte.
Allein der eigentliche Herd der Insurrektion waren die mächtigen und
intelligenten Veneter; gegen sie ward zu Lande und zur See der
Hauptangriff gerichtet. Die teils aus den Schiffen der untertänigen
Keltengaue, teils aus einer Anzahl römischer, eiligst auf der Loire
erbauter und mit Ruderern aus der Narbonensischen Provinz bemannter
Galeeren gebildete Flotte führte der Unterfeldherr Decimus Brutus
heran; Caesar selbst rückte mit dem Kern seiner Infanterie ein in das
Gebiet der Veneter. Aber man war dort vorbereitet und hatte ebenso
geschickt wie entschlossen die günstigen Verhältnisse benutzt, die das
bretagnische Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Seemacht darbot.
Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Städte
größtenteils auf Klippen und Landspitzen gelegen und vom Festlande her
nur auf schwer zu passierenden Watten zugänglich; die Verpflegung wie
die Belagerung waren für das zu Lande angreifende Heer gleich
schwierig, während die Kelten durch ihre Schiffe die Städte leicht mit
allem Nötigen versehen und im schlimmsten Fall die Räumung derselben
bewerkstelligen konnten. Die Legionen verschwendeten in den
Belagerungen der venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die
wesentlichen Früchte des Sieges auf den Schiffen der Feinde
verschwinden zu sehen. Als daher die römische Flotte, lange in der
Loiremündung von Stürmen zurückgehalten, endlich an der bretagnischen
Küste eintraf, überließ man es ihr, den Kampf durch eine Seeschlacht zu
entscheiden. Die Kelten, ihrer Überlegenheit auf diesem Elemente sich
bewußt, führten gegen die von Brutus befehligte römische Flotte die
ihrige vor. Nicht bloß zählte diese zweihundertzwanzig Segel, weit
mehr, als die Römer hatten aufbringen können; ihre hochbordigen,
festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei weitem
geeigneter für die hochgehenden Fluten des Atlantischen Meeres als die
niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Römer mit ihren scharfen
Kielen. Weder die Geschosse noch die Enterbrücken der Römer vermochten
das hohe Deck der feindlichen Schiffe zu erreichen und an den mächtigen
Eichenplanken derselben prallten die eisernen Schnäbel machtlos ab.
Allein die römischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche
die Rahen an den Masten befestigt waren, mittels an langen Stangen
befestigter Sicheln; Rahen und Segel stürzten herab und, da man den
Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff dadurch zum
Wrack, wie heutzutage durch Stürzen der Maste, und leicht gelang es den
römischen Booten, durch vereinigten Angriff des gelähmten feindlichen
Schiffes sich zu bemeistern. Als die Gallier dieses Manövers
innewurden, versuchten sie von der Küste, an der sie den Kampf mit den
Römern aufgenommen hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu
gewinnen, wohin die römischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten;
allein zum Unglück für sie trat plötzlich eine vollständige Windstille
ein und die ungeheure Flotte, an deren Ausrüstung die Seegaue alle ihre
Kräfte gesetzt hatten, ward von den Römern fast gänzlich vernichtet. So
ward diese Seeschlacht - soweit die geschichtliche Kunde reicht, die
älteste auf dem Atlantischen Ozean geschlagene - ebenwie zweihundert
Jahre zuvor das Treffen bei Mylae trotz der ungünstigsten Verhältnisse
durch eine von der Not eingegebene glückliche Erfindung zum Vorteil der
Römer entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war die
Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr, um der keltischen
Nation, nach so vielfältigen Beweisen von Milde gegen die
Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge gegen die
hartnäckig Widerstrebenden zu imponieren, als um den Vertragsbruch und
die Festnahme der römischen Offiziere zu ahnden, ließ Caesar den
gesamten Gemeinderat hinrichten und die Bürgerschaft des venetischen
Gaus bis auf den letzten Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies
entsetzliche Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus
haben die Veneter mehr als irgendein anderer Keltenclan sich ein
Anrecht erworben auf die Teilnahme der Nachwelt. Dem am Kanal
versammelten Aufgebot der Küstenstaaten setzte Sabinus inzwischen
dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr zuvor den
belgischen Landsturm an der Aisne überwunden hatte; er verhielt sich
verteidigend, bis Ungeduld und Mangel in den Reihen der Feinde
einrissen, und wußte sie dann durch Täuschung über die Stimmung und
Stärke seiner Truppen und vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem
unbesonnenen Sturm auf das römische Lager zu verlocken und dabei zu
schlagen, worauf die Milizen sich zerstreuten und die Landschaft bis
zur Seine sich unterwarf.
Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei, sich der Anerkennung der
römischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu zwingen, erschien Caesar
an ihren Grenzen: aber gewitzigt durch die von ihren Landsleuten
gemachten Erfahrungen, vermieden sie es, den Kampf an der Landesgrenze
aufzunehmen und wichen zurück in die damals von den Ardennen gegen die
Nordsee hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Wälder. Die Römer
versuchten, sich durch dieselben mit der Axt eine Straße zu bahnen, zu
deren beiden Seiten die gefällten Bäume als Verbacke gegen feindliche
Überfälle aufgeschichtet wurden; allein selbst Caesar, verwegen wie er
war, fand nach einigen Tagen mühseligsten Marschierens es ratsam, zumal
da es gegen den Winter ging, den Rückzug anzuordnen, obwohl von den
Morinern nur ein kleiner Teil unterworfen und die mächtigen Menapier
gar nicht erreicht worden waren. Das folgende Jahr (699 55) ward,
während Caesar selbst in Britannien beschäftigt war, der größte Teil
des Heeres aufs neue gegen diese Völkerschaften gesandt; allein auch
diese Expedition blieb in der Hauptsache erfolglos. Dennoch war das
Ergebnis der letzten Feldzüge die fast vollständige Unterwerfung
Galliens unter die Herrschaft der Römer. Wenn Mittelgallien ohne
Gegenwehr sich unter dieselbe gefügt hatte, so waren durch den Feldzug
des Jahres 697 (57) die belgischen, durch den des folgenden Jahres die
Seegaue mit den Waffen zur Anerkennung der römischen Herrschaft
gezwungen worden. Die hochfliegenden Hoffnungen aber, mit denen die
keltischen Patrioten den letzten Feldzug begonnen, hatten nirgends sich
erfüllt. Weder Deutsche noch Briten waren ihnen zu Hilfe gekommen, und
in Belgien hatte Labienus’ Anwesenheit genügt, die Erneuerung der
vorjährigen Kämpfe zu verhüten.
Während also Caesar das römische Gebiet im Westen mit den Waffen zu
einem geschlossenen Ganzen fortbildete, versäumte er nicht, der neu
unterworfenen Landschaft, welche ja bestimmt war, die zwischen Italien
und Spanien klaffende Gebietslücke auszufüllen, mit der italischen
Heimat wie mit den spanischen Provinzen Kommunikationen zu eröffnen.
Die Verbindung zwischen Gallien und Italien war allerdings durch die
von Pompeius im Jahre 677 (77) angelegte Heerstraße über den Mont
Genèvre wesentlich erleichtert worden; allein seit das ganze Gallien
den Römern unterworfen war, bedurfte man einer aus dem Potal nicht in
westlicher, sondern in nördlicher Richtung den Alpenkamm
überschreitenden und eine kürzere Verbindung zwischen Italien und dem
mittleren Gallien herstellenden Straße. Dem Kaufmann diente hierzu
längst der Weg, der über den Großen Bernhard in das Wallis und an den
Genfer See führt; um diese Straße in seine Gewalt zu bringen, ließ
Caesar schon im Herbst 697 (57) durch Servius Galba Octodurum
(Martigny) besetzen und die Bewohner des Wallis zur Botmäßigkeit
bringen, was durch die tapfere Gegenwehr dieser Bergvölker natürlich
nur verzögert, nicht verhindert ward.
Um ferner die Verbindung mit Spanien zu gewinnen, wurde im folgenden
Jahr (698 56) Publius Crassus nach Aquitanien gesandt mit dem Auftrag,
die daselbst wohnenden iberischen Stämme zur Anerkennung der römischen
Herrschaft zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die
Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es besser
als diese, von ihren Feinden zu lernen. Die Stämme jenseits der
Pyrenäen, namentlich die tüchtigen Kantabrer sandten ihren bedrohten
Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfahrene, unter Sertorius’ Führung
römisch geschulte Offiziere, die soweit möglich die Grundsätze der
römischen Kriegskunst, namentlich das Lagerschlagen, bei dem schon
durch seine Zahl und seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen
Aufgebot einführten. Allein der vorzügliche Offizier, der die Römer
führte, wußte alle Schwierigkeiten zu überwinden, und nach einigen hart
bestrittenen, aber glücklich gewonnenen Feldschlachten die
Völkerschaften von der Garonne bis nahe an die Pyrenäen zur Ergebung
unter den neuen Herrn zu bestimmen.
Das eine Ziel, das Caesar sich gesteckt hatte, die Unterwerfung
Galliens, war mit kaum nennenswerten Ausnahmen im wesentlichen soweit
erreicht, als es überhaupt mit dem Schwert sich erreichen ließ. Allein
die andere Hälfte des von Caesar begonnenen Werkes war noch bei weitem
nicht genügend erledigt und die Deutschen noch keineswegs überall
genötigt, den Rhein als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter
698/99 (56/55) hatte an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die
Römer noch nicht vorgedrungen waren, eine abermalige
Grenzüberschreitung stattgefunden. Die deutschen Stämme der Usipeten
und Tencterer, deren Versuche, in dem Gebiet der Menapier über den
Rhein zu setzen, bereits erwähnt wurden, waren endlich doch, die
Wachsamkeit ihrer Gegner durch einen verstellten Abzug täuschend, auf
den eigenen Schiffen der Menapier übergegangen - ein ungeheurer
Schwarm, der sich mit Einschluß der Weiber und Kinder auf 430000 Köpfe
belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend von
Nimwegen und Kleve; aber es hieß, daß sie, den Aufforderungen der
keltischen Patriotenpartei folgend, in das Innere Galliens einzurücken
beabsichtigten, und das Gerücht ward dadurch bestärkt, daß ihre
Reiterscharen bereits bis an die Grenzen der Treuerer streiften. Indes
als Caesar mit seinen Legionen ihnen gegenüber anlangte, schienen die
vielgeplagten Auswanderer nicht nach neuen Kämpfen begierig, sondern
gern bereit, von den Römern Land zu nehmen und es unter ihrer Hoheit in
Frieden zu bestellen. Während darüber verhandelt ward, stieg in dem
römischen Feldherrn der Argwohn auf, daß die Deutschen nur Zeit zu
gewinnen suchten, bis die von ihnen entsendeten Reiterscharen
wiedereingetroffen seien. Ob derselbe gegründet war oder nicht, läßt
sich nicht sagen; aber darin bestärkt durch einen Angriff, den trotz
des tatsächlichen Waffenstillstandes ein feindlicher Trupp auf seine
Vorhut unternahm, und erbittert durch den dabei erlittenen
empfindlichen Verlust, glaubte Caesar sich berechtigt, jede
völkerrechtliche Rücksicht aus den Augen zu setzen. Als am anderen
Morgen die Fürsten und Ältesten der Deutschen, den ohne ihr Vorwissen
unternommenen Angriff zu entschuldigen, im römischen Lager erschienen,
wurden sie festgehalten und die nichts ahnende, ihrer Führer beraubte
Menge von dem römischen Heer plötzlich überfallen. Es war mehr eine
Menschenjagd als eine Schlacht; was nicht unter den Schwertern der
Römer fiel, ertrank im Rheine; fast nur die zur Zeit des Überfalls
detachierten Abteilungen entkamen dem Blutbad und gelangten zurück über
den Rhein, wo ihnen die Sugambrer in ihrem Gebiet, es scheint an der
Lippe, eine Freistatt gewährten. Das Verfahren Caesars gegen diese
deutschen Einwanderer fand im Senat schweren und gerechten Tadel;
allein wie wenig auch dasselbe entschuldigt werden kann, den deutschen
Übergriffen war dadurch mit erschreckendem Nachdruck gesteuert. Doch
fand es Caesar ratsam, noch einen Schritt weiter zu gehen und die
Legionen über den Rhein zu führen. An Verbindungen jenseits desselben
mangelte es ihm nicht. Den Deutschen auf ihrer damaligen Bildungsstufe
fehlte noch jeder nationale Zusammenhang; an politischer Zerfahrenheit
gaben sie, wenn auch aus anderen Ursachen, den Kelten nichts nach. Die
Ubier (an der Sieg und Lahn), der zivilisierteste unter den deutschen
Stämmen, waren vor kurzem von einem mächtigen suebischen Gau des
Binnenlandes botmäßig und zinspflichtig gemacht worden und hatten schon
697 (57) Caesar durch ihre Boten ersucht, auch sie wie die Gallier von
der suebischen Herrschaft zu befreien. Es war Caesars Absicht nicht,
diesem Ansinnen, das ihn in endlose Unternehmungen verwickelt haben
würde, ernstlich zu entsprechen; aber wohl schien es zweckmäßig, um das
Erscheinen der germanischen Waffen diesseits des Rheines zu verhindern,
die römischen jenseits desselben wenigstens zu zeigen. Der Schutz, den
die entronnenen Usipeten und Tencterer bei den Sugambrern gefunden
hatten, bot eine geeignete Veranlassung dar. In der Gegend, wie es
scheint, zwischen Koblenz und Andernach schlug Caesar eine Pfahlbrücke
über den Rhein und führte seine Legionen hinüber aus dem treverischen
in das ubische Gebiet. Einige kleinere Gaue gaben ihre Unterwerfung
ein; allein die Sugambrer, gegen die der Zug zunächst gerichtet war,
zogen, wie das römische Heer herankam, mit ihren Schutzbefohlenen sich
in das innere Land zurück. In gleicher Weise ließ der mächtige
suebische Gau, der die Ubier bedrängte, vermutlich derjenige, der
später unter dem Namen der Chatten auftritt, die zunächst an das
ubische Gebiet angrenzenden Distrikte räumen und das nicht streitbare
Volk in Sicherheit bringen, während alle waffenfähige Mannschaft
angewiesen ward, im Mittelpunkt des Gaues sich zu versammeln. Diesen
Handschuh aufzuheben hatte der römische Feldherr weder Veranlassung
noch Lust; sein Zweck, teils zu rekognoszieren, teils durch einen Zug
über den Rhein womöglich den Deutschen, wenigstens aber den Kelten und
den Landsleuten daheim zu imponieren, war im wesentlichen erreicht;
nach achtzehntägigem Verweilen am rechten Rheinufer traf er wieder in
Gallien ein und brach die Rheinbrücke hinter sich ab (699 55).
Es blieben die Inselkelten. Bei dem engen Zusammenhang zwischen ihnen
und den Kelten des Festlandes, namentlich den Seegauen, ist es
begreiflich, daß sie an dem nationalen Widerstand wenigstens mit ihren
Sympathien sich beteiligt hatten und den Patrioten wenn auch nicht
bewaffneten Beistand, doch mindestens jedem von ihnen, für den die
Heimat nicht mehr sicher war, auf ihrer meerbeschützten Insel eine
ehrenvolle Freistatt gewährten. Eine Gefahr lag hierin allerdings, wenn
nicht für die Gegenwart, doch für die Zukunft; es schien zweckmäßig, wo
nicht die Eroberung der Insel selbst zu unternehmen, doch auch hier die
Defensive offensiv zu führen und durch eine Landung an der Küste den
Insulanern zu zeigen, daß der Arm der Römer auch über den Kanal reiche.
Schon der erste römische Offizier, der die Bretagne betrat, Publius
Crassus, war von dort nach den “Zinninseln” an der Westspitze Englands
(Scillyinseln) hinübergefahren (697 57); im Sommer 699 (55) ging Caesar
selbst mit nur zwei Legionen da, wo er am schmalsten ist ^17, über den
Kanal. Er fand die Küste mit feindlichen Truppenmassen bedeckt und fuhr
mit seinen Schiffen weiter; aber die britischen Streitwagen bewegten
sich ebenso schnell zu Lande fort wie die römischen Galeeren auf der
See, und nur mit größter Mühe gelang es den römischen Soldaten unter
dem Schutze der Kriegsschiffe, die durch Wurfmaschinen und
Handgeschütze den Strand fegten, im Angesicht der Feinde teils watend,
teils in Kähnen das Ufer zu gewinnen. Im ersten Schreck unterwarfen
sich die nächsten Dörfer; allein bald wurden die Insulaner gewahr, wie
schwach der Feind sei und wie er nicht wage, sich vom Ufer zu
entfernen. Die Eingeborenen verschwanden in das Binnenland und kamen
nur zurück, um das Lager zu bedrohen; die Flotte aber, die man auf der
offenen Reede gelassen hatte, erlitt durch den ersten über sie
hereinbrechenden Sturmwind sehr bedeutenden Schaden. Man mußte sich
glücklich schätzen, die Angriffe der Barbaren abzuschlagen, bis man die
Schiffe notdürftig repariert hatte, und mit denselben, noch ehe die
schlimme Jahreszeit hereinbrach, die gallische Küste wiederzuerreichen.
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^17 Daß Caesars Überfahrten nach Britannien aus den Häfen der Küste von
Calais bis Boulogne an die Küste von Kent gingen, ergibt die Natur der
Sache sowie Caesars ausdrückliche Angabe. Die genauere Bestimmung der
Örtlichkeit ist oft versucht worden, aber nicht gelungen. Überliefert
ist nur, daß bei der ersten Fahrt die Infanterie in dem einen, die
Reiterei in einem anderen, von jenem 8 Milien in östlicher Richtung
entfernten Hafen sich einschiffte (Gall. 4, 22, 23, 28) und daß die
zweite Fahrt aus demjenigen von diesen beiden Häfen, den Caesar am
bequemsten gefunden, dem (sonst nicht weiter genannten) Irischen, von
der britannischen Küste 30 (so nach Caesars Handschriften 5, 2) oder 40
(= 320 Stadien, nach Strab. 4, 5, 2, der unzweifelhaft aus Caesar
schöpfte) Milien entfernten abging. Aus Caesars Worten (Gall. 4, 21),
daß er “die kürzeste Überfahrt” gewählt habe, kann man
verständigerweise wohl folgern, daß er nicht durch den Kanal, sondern
durch den Pas de Calais, aber keineswegs, daß er durch diesen auf der
mathematisch kürzesten Linie fuhr. Es gehört der Inspirationsglaube der
Lokaltopographen dazu, um mit solchen Daten in der Hand, von denen das
an sich beste noch durch die schwankende Überlieferung der Zahl fast
unbrauchbar wird, an die Bestimmung der Örtlichkeit zu gehen; doch
möchte unter den vielen Möglichkeiten am meisten für sich zu haben, daß
der Irische Hafen (den schon Strab. a. a. O. wahrscheinlich richtig mit
demjenigen identifiziert, von dem bei der ersten Fahrt die Infanterie
überging) bei Ambleteuse, westlich vom Cap Gris Nez, der Reiterhaufen
bei Ecale (Wissant), östlich von demselben Vorgebirge, zu suchen ist,
die Landung aber östlich von Dover bei Walmercastle stattfand.
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Caesar selbst war mit den Ergebnissen dieser leichtsinnig und mit
unzulänglichen Mitteln unternommenen Expedition so unzufrieden, daß er
sogleich (Winter 699/700 55/54) eine Transportflotte von 800 Segeln
instand setzen ließ und im Frühling 700 (54), diesmal mit fünf Legionen
und 2000 Reitern, zum zweitenmal nach der kentischen Küste unter Segel
ging. Vor der gewaltigen Armada wich die auch diesmal am Ufer
versammelte Streitmacht der Briten, ohne einen Kampf zu wagen; Caesar
trat sofort den Marsch ins Binnenland an und überschritt nach einigen
glücklichen Gefechten den Fluß Stour; allein er mußte sehr wider seinen
Willen innehalten, weil die Flotte auf der offenen Reede wiederum von
den Stürmen des Kanals halb vernichtet worden war. Bis man die Schiffe
auf den Strand gezogen und für die Reparatur umfassende Vorkehrungen
getroffen, ging eine kostbare Zeit verloren, die die Kelten weislich
benutzten. Der tapfere und umsichtige Fürst Cassivellaunus, der in dem
heutigen Middlesex und der Umgegend gebot, sonst der Schreck der Kelten
südlich von der Themse, jetzt aber Hort und Vorfechter der ganzen
Nation, war an die Spitze der Landesverteidigung getreten. Er sah bald,
daß mit dem keltischen Fußvolk gegen das römische schlechterdings
nichts auszurichten und die schwer zu ernährende und schwer zu
regierende Masse des Landsturms der Verteidigung nur hinderlich war;
also entließ er diesen und behielt nur die Streitwagen, deren er 4000
zusammenbrachte und deren Kämpfer, geübt vom Wagen herabspringend zu
Fuß zu fechten, gleich der Bürgerreiterei des ältesten Rom in
zwiefacher Weise verwendet werden konnten. Als Caesar den Marsch wieder
fortzusetzen imstande war, fand er denselben nirgend sich verlegt; aber
die britischen Streitwagen zogen stets dem römischen Heer vorauf und
zur Seite, bewirkten die Räumung des Landes, die bei dem Mangel an
Städten keine große Schwierigkeit machte, hinderten jede Detachierung
und bedrohten die Kommunikationen. Die Themse ward - wie es scheint
zwischen Kingston und Brentford oberhalb London - von den Römern
überschritten; man kam vorwärts, aber nicht eigentlich weiter; der
Feldherr erfocht keinen Sieg, der Soldat machte keine Beute und das
einzige wirkliche Resultat, die Unterwerfung der Trinobanten im
heutigen Essex, war weniger die Folge der Furcht vor den Römern als der
tiefen Verfeindung dieses Gaus mit Cassivellaunus. Mit jedem Schritte
vorwärts stieg die Gefahr, und der Angriff, den die Fürsten von Kent
nach Cassivellaunus’ Anordnung auf das römische Schiffslager machten,
mahnte, obwohl er abgeschlagen ward, doch dringend zur Umkehr. Die
Erstürmung eines großen britischen Verhacks, in dem eine Menge Vieh den
Römern in die Hände fiel, gab für das ziellose Vordringen einen
leidlichen Abschluß und einen erträglichen Vorwand für die Umkehr. Auch
Cassivellaunus war einsichtig genug, den gefährlichen Feind nicht aufs
Äußerste zu treiben, und versprach, wie Caesar verlangte, die
Trinobanten nicht zu beunruhigen, Abgaben zu zahlen und Geiseln zu
stellen; von Auslieferung der Waffen oder Zurücklassung einer römischen
Besatzung war nicht die Rede, und selbst jene Versprechungen wurden
vermutlich, soweit sie die Zukunft betrafen, ernstlich weder gegeben
noch genommen. Nach Empfang der Geiseln kehrte Caesar in das
Schiffslager und von da nach Gallien zurück. Wenn er, wie es allerdings
scheint, gehofft hatte, Britannien diesmal zu erobern, so war dieser
Plan teils an dem klugen Verteidigungssystem des Cassivellaunus, teils
und vor allem an der Unbrauchbarkeit der italischen Ruderflotte auf den
Gewässern der Nordsee vollkommen gescheitert; denn daß der bedungene
Tribut niemals erlegt ward, ist gewiß. Der nächste Zweck aber: die
Inselkelten aus ihrer trotzigen Sicherheit aufzurütteln und sie zu
veranlassen, in ihrem eigenen Interesse ihre Inseln nicht länger zum
Herd der festländischen Emigration herzugeben, scheint allerdings
erreicht worden zu sein; wenigstens werden Beschwerden über dergleichen
Schutzverleihung späterhin nicht wieder vernommen.
Das Werk der Zurückweisung der germanischen Invasion und der
Unterwerfung der festländischen Kelten war vollendet. Aber oft ist es
leichter, eine freie Nation zu unterwerfen als eine unterworfene in
Botmäßigkeit zu erhalten. Die Rivalität um die Hegemonie, an der mehr
noch als an den Angriffen Roms die keltische Nation zugrunde gegangen
war, ward durch die Eroberung gewissermaßen aufgehoben, indem der
Eroberer die Hegemonie für sich selbst nahm. Die Sonderinteressen
schwiegen; in dem gemeinsamen Druck fühlte man doch sich wieder als ein
Volk, und was man, da man es besaß, gleichgültig verspielt hatte, die
Freiheit und die Nationalität, dessen unendlicher Wert ward nun, da es
zu spät war, von der unendlichen Sehnsucht vollständig ermessen. Aber
war es denn zu spät? Mit zorniger Scham gestand man es sich, daß eine
Nation, die mindestens eine Million waffenfähiger Männer zählte, eine
Nation von altem und wohlbegründetem kriegerischen Ruhm, von höchstens
50000 Römern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung der
Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne daß sie auch nur einen
Schlag getan, die der belgischen, ohne daß sie mehr getan als schlagen
wollen; dagegen wieder der heldenmütige Untergang der Nervier und
Veneter, der kluge und glückliche Widerstand der Moriner und der Briten
unter Cassivellaunus - alles, was im einzelnen versäumt und geleistet,
gescheitert und erreicht war, spornte die Gemüter aller Patrioten zu
neuen, womöglich einigeren und erfolgreicheren Versuchen. Namentlich
unter dem keltischen Adel herrschte eine Gärung, die jeden Augenblick
in einen allgemeinen Aufstand ausbrechen zu müssen schien. Schon vor
dem zweiten Zug nach Britannien im Frühjahr 700 (54) hatte Caesar es
notwendig gefunden, sich persönlich zu den Treverern zu begeben, die,
seit sie 697 (57) in der Nervierschlacht sich kompromittiert hatten,
auf den allgemeinen Landtagen nicht mehr erschienen waren und mit den
überrheinischen Deutschen mehr als verdächtige Verbindungen angeknüpft
hatten. Damals hatte Caesar sich begnügt, die namhaftesten Männer der
Patriotenpartei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen
Reiterkontingent mit sich nach Britannien zu führen; er tat sein
mögliches, die Verschwörung nicht zu sehen, um nicht durch strenge
Maßregeln sie zur Insurrektion zu zeitigen. Allein als der Häduer
Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffizier, in der Tat
aber als Geisel sich bei dem nach Britannien bestimmten Heere befand,
geradezu verweigerte sich einzuschiffen und statt dessen nach Hause
ritt, konnte Caesar nicht umhin, ihn als Ausreißer verfolgen zu lassen,
wobei er von der nachgeschickten Abteilung eingeholt und, da er gegen
dieselbe sich zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700 54). Daß der
angesehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhängigen
Keltengaus von den Römern getötet worden, war ein Donnerschlag für den
ganzen keltischen Adel; jeder, der sich ähnlicher Gesinnung bewußt war
- und es war dies die ungeheure Majorität -, sah in jener Katastrophe
das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn Patriotismus und
Verzweiflung die Häupter des keltischen Adels bestimmt hatte sich zu
verschwören, so trieb jetzt Furcht und Notwehr die Verschworenen zum
Losschlagen. Im Winter 700/01 (54/53) lagerte, mit Ausnahme einer in
die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen Gau der Carnuten
(bei Chartres) verlegten Legion, das gesamte römische Heer, sechs
Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorräte
hatte Caesar bewogen, seine Truppen weiter, als er sonst zu tun
pflegte, auseinander und in sechs verschiedene, in den Gauen der
Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Reiner und Eburonen, errichtete
Lager zu verlegen. Das am weitesten gegen Osten im eburonischen Gebiet,
wahrscheinlich unweit des späteren Aduatuca, des heutigen Tongern,
angelegte Standlager, das stärkste von allen, bestehend aus einer
Legion unter einem der angesehensten Caesarischen Divisionsführer, dem
Quintus Titurius Sabinus, und außerdem verschiedenen, von dem tapferen
Lucius Aurunculeius Cotta, geführten Detachements zusammen von der
Stärke einer halben Legion ^18, fand sich urplötzlich von dem Landsturm
der Eburonen unter den Königen Ambiorix und Catuvolcus umzingelt. Der
Angriff kam so unerwartet, daß die eben vom Lager abwesenden
Mannschaften nicht einberufen werden konnten und von den Feinden
aufgehoben wurden; übrigens war zunächst die Gefahr nicht groß, da es
an Vorräten nicht mangelte und der Sturm, den die Eburonen versuchten,
an den römischen Verschanzungen machtlos abprallte. Aber König Ambiorix
eröffnete dem römischen Befehlshaber, daß die sämtlichen römischen
Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen und
die Römer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen Korps nicht
rasch aufbrächen und miteinander sich vereinigten; daß Sabinus damit um
so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn auch die überrheinischen
Deutschen bereits im Anmarsch seien; daß er selbst aus Freundschaft für
die Römer ihnen freien Abzug bis zu dem nächsten, nur zwei Tagemärsche
entfernten römischen Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien
nicht erfunden; daß der kleine, von den Römern besonders begünstigte
Gau der Eburonen den Angriff auf eigene Hand unternommen habe, war in
der Tat unglaublich und bei der Schwierigkeit, mit den anderen, weit
entfernten Lagern sich in Verbindung zu setzen, die Gefahr von der
ganzen Masse der Insurgenten angegriffen und vereinzelt aufgerieben zu
werden, keineswegs gering zu achten; nichtsdestoweniger konnte es nicht
dem geringsten Zweifel unterliegen, daß sowohl die Ehre wie die
Klugheit gebot, die vom Feinde angebotene Kapitulation zurückzuweisen
und an dem anvertrauten Posten auszuharren. Auch im Kriegsrat vertraten
zahlreiche Stimmen, namentlich die gewichtige des Lucius Aurunculeius
Cotta diese Ansicht. Dennoch entschied sich der Kommandant dafür, den
Vorschlag des Ambiorix anzunehmen. Die römischen Truppen zogen also am
anderen Morgen ab; aber in einem schmalen Tal, kaum eine halbe Meile
vom Lager, angelangt, fanden sie sich von den Eburonen umzingelt und
jeden Ausweg gesperrt. Sie versuchten, mit den Waffen sich den Weg zu
öffnen; allein die Eburonen ließen sich auf kein Nahgefecht ein und
begnügten sich, aus ihren unangreifbaren Stellungen ihre Geschosse in
den Knäuel der Römer zu entsenden. Wie verwirrt, als ob er Rettung vor
dem Verrat bei dem Verräter suchte, begehrte Sabinus eine Zusammenkunft
mit Ambiorix; sie wurde gewährt und er und die ihn begleitenden
Offiziere erst entwaffnet, dann niedergemacht. Nach dem Fall des
Befehlshabers warfen sich die Eburonen von allen Seiten zugleich auf
die erschöpften und verzweifelnden Römer und brachen ihre Reihen: die
meisten, unter ihnen der schon früher verwundete Cotta, fanden bei
diesem Angriff ihren Tod; ein kleiner Teil, dem es gelungen war, das
verlassene Lager wiederzugewinnen, stürzte sich während der folgenden
Nacht in die eigenen Schwerter. Der ganze Heerhaufen ward vernichtet.
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^18 Daß Cotta, obwohl nicht Unterfeldherr des Sabinus, sondern gleich
ihm Legat, doch der jüngere und minder angesehene General und
wahrscheinlich im Fall einer Differenz sich zu fügen angewiesen war,
ergibt sich sowohl aus den früheren Leistungen des Sabinus, als daraus,
daß, wo beide zusammen genannt werden (Gall. 4, 22, 37; 5, 24, 26, 52;
6, 32; anders 6, 37), Sabinus regelmäßig voransteht, nicht minder aus
der Erzählung der Katastrophe selbst. überdies kann man doch unmöglich
annehmen, daß Caesar einem Lager zwei Offiziere mit gleicher Befugnis
vorgesetzt und für den Fall der Meinungsverschiedenheit gar keine
Anordnung getroffen haben soll. Auch zählen die fünf Kohorten nicht als
Legion mit (vgl. Gall. 6, 32, 33), so wenig wie die zwölf Kohorten an
der Rheinbrücke (Gall. 6, 29 vgl. 32, 33), und scheinen aus
Detachements anderer Heerteile bestanden zu haben, die diesem den
Germanen zunächst gelegenen Lager zur Verstärkung zugeteilt worden
waren.
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Dieser Erfolg, wie die Insurgenten ihn selber kaum gehofft haben
mochten, steigerte die Gärung unter den keltischen Patrioten so
gewaltig, daß die Römer, mit Ausnahme der Häduer und der Reiner, keines
einzigen Distrikts ferner sicher waren und an den verschiedensten
Punkten der Aufstand losbrach. Vor allen Dingen verfolgten die Eburonen
ihren Sieg. Verstärkt durch das Aufgebot der Aduatuker, die gern die
Gelegenheit ergriffen, das von Caesar ihnen zugefügte Leid zu
vergelten, und der mächtigen und noch unbezwungenen Menapier,
erschienen sie in dem Gebiet der Nervier, welche sogleich sich
anschlossen, und der ganze also auf 60000 Köpfe angeschwollene Schwarm
rückte vor das im nervischen Gau befindliche römische Lager. Quintus
Cicero, der hier kommandierte, hatte mit seinem schwachen Korps einen
schweren Stand, namentlich als die Belagerer, von dem Feinde lernend,
Wälle und Gräben, Schilddächer und bewegliche Türme in römischer Weise
aufführten und die strohgedeckten Lagerhütten mit Brandschleudern und
Brandspeeren überschütteten. Die einzige Hoffnung der Belagerten
beruhte auf Caesar, der nicht allzuweit entfernt in der Gegend von
Amiens mit drei Legionen im Winterlager stand. Allein - ein
charakteristischer Beweis für die im Keltenland herrschende Stimmung -
geraume Zeit hindurch kam dem Oberfeldherrn nicht die geringste
Andeutung zu weder von der Katastrophe des Sabinus, noch von der
gefährlichen Lage Ciceros. Endlich gelang es einem keltischen Reiter
aus Ciceros Lager, sich durch die Feinde bis zu Caesar
durchzuschleichen. Auf die erschütternde Kunde brach Caesar
augenblicklich auf, zwar nur mit zwei schwachen Legionen, zusammen etwa
7000 Mann stark, und 400 Reitern; aber nichtsdestoweniger genügte die
Meldung, daß Caesar anrückte, um die Insurgenten zur Aufhebung der
Belagerung zu bestimmen. Es war Zeit; nicht der zehnte Mann in Ciceros
Lager war unverwundet. Caesar, gegen den das Insurgentenheer sich
gewandt hatte, täuschte die Feinde in der schon mehrmals mit Erfolg
angewandten Weise über seine Stärke; unter den ungünstigsten
Verhältnissen wagten sie einen Sturm auf das Römerlager und erlitten
dabei eine Niederlage. Es ist seltsam, aber charakteristisch für die
keltische Nation, daß infolge dieser einen verlorenen Schlacht, oder
vielleicht mehr noch infolge von Caesars persönlichem Erscheinen auf
dem Kampfplatz die so siegreich aufgetretene, so weithin ausgedehnte
Insurrektion plötzlich und kläglich den Krieg abbrach. Nervier,
Menapier, Aduatuker, Eburonen begaben sich nach Hause. Das gleiche
taten die Mannschaften der Seegaue, die Anstalt gemacht hatten, die
Legion in der Bretagne zu überfallen. Die Treverer, durch deren Führer
Indutiomarus die Eburonen, die Klienten des mächtigen Nachbargaus, zu
jenem so erfolgreichen Angriff hauptsächlich bestimmt worden waren,
hatten auf die Kunde der Katastrophe von Aduatuca die Waffen ergriffen
und waren in das Gebiet der Remer eingerückt, um die unter Labienus’
Befehl dort kantonnierende Legion anzugreifen; auch sie stellten für
jetzt die Fortsetzung des Kampfes ein. Nicht ungern verschob Caesar die
weiteren Maßregeln gegen die aufgestandenen Distrikte auf das Frühjahr,
um seine hart mitgenommenen Truppen nicht der ganzen Strenge des
gallischen Winters auszusetzen und um erst dann wieder auf dem
Kampfplatze zu erscheinen, wenn durch die angeordnete Aushebung von
dreißig neuen Kohorten die vernichteten fünfzehn in imponierender Weise
ersetzt sein würden. Die Insurrektion spann inzwischen sich fort, wenn
auch zunächst die Waffen ruhten. Ihre Hauptsitze in Mittelgallien waren
teils die Distrikte der Carnuten und der benachbarten Senonen (um
Sens), welche letztere den von Caesar eingesetzten König aus dem Lande
jagten, teils die Landschaft der Treverer, welche die gesamte keltische
Emigration und die überrheinischen Deutschen zur Teilnahme an dem
bevorstehenden Nationalkrieg aufforderten und ihre ganze Mannschaft
aufboten, um mit dem Frühjahr zum zweitenmal in das Gebiet der Römer
einzurücken, das Korps des Labienus aufzuheben und die Verbindung mit
den Aufständischen an der Seine und Loire zu suchen. Die Abgeordneten
dieser drei Gaue blieben auf dem von Caesar im mittleren Gallien
ausgeschriebenen Landtag aus und erklärten damit ebenso offen den
Krieg, wie es ein Teil der belgischen Gaue durch die Angriffe auf das
Lager des Sabinus und Cicero getan hatte. Der Winter neigte sich zu
Ende, als Caesar mit seinem inzwischen ansehnlich verstärkten Heer
aufbrach gegen die Insurgenten. Die Versuche der Treverer, den Aufstand
zu konzentrieren, waren nicht geglückt; die gärenden Landschaften
wurden durch den Einmarsch römischer Truppen im Zaum gehalten, die in
offener Empörung stehenden vereinzelt angegriffen. Zuerst wurden die
Nervier von Caesar selbst zu Paaren getrieben. Das gleiche widerfuhr
den Senonen und Carnuten. Auch die Menapier, der einzige Gau, der sich
niemals noch den Römern unterworfen hatte, wurden durch einen von drei
Seiten zugleich gegen sie gerichteten Gesamtangriff genötigt, der lange
bewahrten Freiheit zu entsagen. Den Treverern bereitete inzwischen
Labienus dasselbe Schicksal. Ihr erster Angriff war gelähmt worden
teils durch die Weigerung der nächstwohnenden deutschen Stämme, ihnen
Söldner zu liefern, teils dadurch, daß Indutiomarus, die Seele der
ganzen Bewegung, in einem Scharmützel mit den Reitern des Labienus
geblieben war. Allein sie gaben ihre Entwürfe darum nicht auf. Mit
ihrem gesamten Aufgebot erschienen sie Labienus gegenüber und harrten
der nachfolgenden deutschen Scharen; denn bessere Aufnahme als bei den
Anwohnern des Rheines hatten ihre Werber bei den streitbaren
Völkerschaften des inneren Deutschlands, namentlich, wie es scheint,
den Chatten gefunden. Allein da Labienus Miene machte, diesen
ausweichen und Hals über Kopf abmarschieren zu wollen, griffen die
Treverer, noch ehe die Deutschen angelangt waren und in der
ungünstigsten Örtlichkeit, die Römer an und wurden vollständig
geschlagen. Den zu spät eintreffenden Deutschen blieb nichts übrig als
umzukehren, dem treverischen Gau nichts als sich zu unterwerfen; das
Regiment daselbst kam wieder an das Haupt der römischen Partei, an des
Indutiomarus Schwiegersohn Cingetorix. Nach diesen Expeditionen Caesars
gegen die Menapier und des Labienus gegen die Treverer traf in dem
Gebiet der letzteren die ganze römische Armee wieder zusammen. Um den
Deutschen das Wiederkommen zu verleiden, ging Caesar noch einmal über
den Rhein, um womöglich gegen die lästigen Nachbarn einen
nachdrücklichen Schlag zu führen; allein da die Chatten, ihrer
erprobten Taktik getreu, sich nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit
landeinwärts, es scheint am Harz, zur Landesverteidigung sammelten,
kehrte er sogleich wieder um und begnügte sich, an dem Rheinübergang
Besatzung zurückzulassen. Mit den sämtlichen an dem Aufstand
beteiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburonen waren
übergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die Katastrophe von
Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauergewand und hatte geschworen,
erst dann es abzulegen, wenn er seine nicht im ehrlichen Kriege
gefallenen, sondern heimtückisch ermordeten Soldaten gerächt haben
würde. Rat- und tatlos saßen die Eburonen in ihren Hütten und sahen zu,
wie einer nach dem andern die Nachbargaue den Römern sich unterwarfen,
bis die römische Reiterei vom treverischen Gebiet aus durch die
Ardennen in ihr Land einrückte. Man war so wenig auf den Angriff
gefaßt, daß sie beinahe den König Ambiorix in seinem Hause ergriffen
hätte; mit genauer Not, während sein Gefolge für ihn sich aufopferte,
entkam er in das nahe Gehölz. Bald folgten den Reitern zehn römische
Legionen. Zugleich erging an die umwohnenden Völkerschaften die
Aufforderung, mit den römischen Soldaten in Gemeinschaft die
vogelfreien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu plündern; nicht wenige
folgten dem Ruf, sogar von jenseits des Rheines eine kecke Schar
sugambrischer Reiter, die übrigens es den Römern nicht besser machte
wie den Eburonen und fast durch einen kecken Handstreich das römische
Lager bei Aduatuca überrumpelt hätte. Das Schicksal der Eburonen war
entsetzlich. Wie sie auch in Wäldern und Sümpfen sich bargen, der Jäger
waren mehr als des Wildes. Mancher gab sich selbst den Tod wie der
greise Fürst Catuvolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit,
unter diesen wenigen aber der Mann, auf den die Römer vor allem
fahndeten, der Fürst Ambiorix: mit nur vier Reitern entrann er über den
Rhein. Auf diese Exekution gegen den Gau, der vor allen andern
gefrevelt, folgten in den anderen Landschaften die Hochverratsprozesse
gegen die einzelnen. Die Zeit der Milde war vorbei. Nach dem Spruche
des römischen Prokonsuls ward der angesehene carnutische Ritter Acco
von römischen Liktoren enthauptet (701 53) und die Herrschaft der Ruten
und Beile damit förmlich eingeweiht. Die Opposition verstummte: überall
herrschte Ruhe. Caesar ging, wie er pflegte, im Spätjahr 701 (53) über
die Alpen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickelnden
Verhältnisse in der Hauptstadt aus der Nähe zu beobachten.
Der kluge Rechner hatte diesmal sich verrechnet. Das Feuer war
gedämpft, aber nicht gelöscht. Den Streich, unter dem Accos Haupt fiel,
fühlte der ganze keltische Adel. Eben jetzt bot die Lage der Dinge mehr
Aussicht als je. Die Insurrektion des letzten Winters war offenbar nur
daran gescheitert, daß Caesar selbst auf dem Kampfplatz erschienen war;
jetzt war er fern, durch den nahe bevorstehenden Bürgerkrieg
festgehalten am Po, und das gallische Heer, das an der oberen Seine
zusammengezogen stand, weit getrennt von dem gefürchteten Feldherrn.
Wenn jetzt ein allgemeiner Aufstand in Mittelgallien ausbrach, so
konnte das römische Heer umzingelt, die fast unverteidigte altrömische
Provinz überschwemmt sein, bevor Caesar wieder jenseits der Alpen
stand, selbst wenn die italischen Verwicklungen nicht überhaupt ihn
abhielten, sich ferner um Gallien zu kümmern. Verschworene aus allen
mittelgallischen Gauen traten zusammen; die Carnuten, als durch Accos
Hinrichtung zunächst betroffen, erboten sich voranzugehen. An dem
festgesetzten Tage im Winter 701/02 (53/52) gaben die carnutischen
Ritter Gutruatus und Conconnetodumnus in Cenabum (Orleans) das Zeichen
zur Erhebung und machten die daselbst anwesenden Römer insgesamt
nieder. Die gewaltigste Bewegung ergriff das ganze Keltenland; überall
regten sich die Patrioten. Nichts aber ergriff so tief die Nation wie
die Schilderhebung der Arverner. Die Regierung dieser Gemeinde, die
einst unter ihren Königen die erste im südlichen Gallien gewesen und
noch nach dem durch die unglücklichen Kriege gegen Rom herbeigeführten
Zusammensturz ihres Prinzipats eine der reichsten, gebildetsten und
mächtigsten in ganz Gallien geblieben war, hatte bisher unverbrüchlich
zu Rom gehalten. Auch jetzt war die Patriotenpartei in dem regierenden
Gemeinderat in der Minorität; ein Versuch, von demselben den Beitritt
zu der Insurrektion zu erlangen, war vergeblich. Die Angriffe der
Patrioten richteten sich also gegen den Gemeinderat und die bestehende
Verfassung selbst, und um so mehr, als die Verfassungsänderung, die bei
den Arvernern den Gemeinderat an die Stelle des Fürsten gesetzt hatte,
nach den Siegen der Römer und wahrscheinlich unter dem Einfluß
derselben erfolgt war. Der Führer der arvernischen Patrioten,
Vercingetorix, einer jener Adligen, wie sie wohl bei den Kelten
begegnen, von fast königlichem Ansehen in und außer seinem Gau, dazu
ein stattlicher, tapferer, kluger Mann, verließ die Hauptstadt und rief
das Landvolk, das der herrschenden Oligarchie ebenso feind war wie den
Römern, zugleich zur Wiederherstellung des arvernischen Königtums und
zum Krieg gegen Rom auf. Rasch fiel die Menge ihm zu; die
Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuhus war zugleich die
Erklärung des Nationalkriegs gegen Rom. Den einheitlichen Halt, an
dessen Mangel alle bisherigen Versuche der Nation, das fremdländische
Joch von sich abzuschütteln, gescheitert waren, fand sie jetzt in dem
neuen selbsternannten König der Arverner. Vercingetorix ward für die
Kelten des Festlandes, was für die Inselkelten Cassivellaunus; gewaltig
durchdrang die Massen das Gefühl, daß er oder keiner der Mann sei, die
Nation zu erretten. Rasch war der Westen von der Mündung der Garonne
bis zu der der Seine von der Insurrektion erfaßt und Vercingetorix hier
von allen Gauen als Oberfeldherr anerkannt; wo der Gemeinderat
Schwierigkeit machte, nötigte ihn die Menge zum Anschluß an die
Bewegung; nur wenige Gaue, wie der der Biturigen, ließen zum Beitritt
sich zwingen, und vielleicht auch diese nur zum Schein. Weniger
günstigen Boden fand der Aufstand in den Landschaften östlich von der
oberen Loire. Alles kam hier auf die Häduer an; und diese schwankten.
Die Patriotenpartei war in diesem Gau sehr mächtig; aber der alte
Antagonismus gegen die führenden Arverner hielt ihrem Einfluß die Waage
- zum empfindlichsten Nachteil der Insurrektion, da der Anschluß der
östlichen Kantone, namentlich der Sequaner und der Helvetier, durch den
Beitritt der Häduer bedingt war und überhaupt in diesem Teile Galliens
die Entscheidung bei ihnen stand. Während also die Aufständischen daran
arbeiteten, teils die noch schwankenden Kantone, vor allen die Häduer,
zum Beitritt zu bewegen, teils sich Narbos zu bemächtigen - einer ihrer
Führer, der verwegene Lucterius, hatte bereits innerhalb der Grenzen
der alten Provinz am Tarn sich gezeigt -, erschien plötzlich im tiefen
Winter, Freunden und Feinden gleich unerwartet, der römische
Oberfeldherr diesseits der Alpen. Rasch traf er nicht bloß die nötigen
Anstalten, um die alte Provinz zu decken, sondern sandte auch über die
schneebedeckten Cevennen einen Haufen in das arvernische Gebiet; aber
seines Bleibens war nicht hier, wo ihn jeden Augenblick der Zutritt der
Häduer zu dem gallischen Bündnis von seiner um Sens und Langres
lagernden Armee abschneiden konnte. In aller Stille ging er nach Vienna
und von da, nur von wenigen Reitern begleitet, durch das Gebiet der
Häduer zu seinen Truppen. Die Hoffnungen schwanden, welche die
Verschworenen zum Losschlagen bestimmt hatten; in Italien blieb es
Friede und Caesar stand abermals an der Spitze seiner Armee.
Was aber sollten sie beginnen? Es war eine Torheit, unter solchen
Umständen auf die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen; denn
diese hatten bereits unwiderruflich entschieden. Man konnte ebensogut
versuchen, mit Steinwürfen die Alpen zu erschüttern, wie die Legionen
mit den keltischen Haufen, mochten dieselben nun in ungeheuren Massen
zusammengeballt oder vereinzelt ein Gau nach dem andern preisgegeben
werden. Vercingetorix verzichtete darauf, die Römer zu schlagen. Er
nahm ein ähnliches Kriegssystem an, wie dasjenige war, durch das
Cassivellaunus die Inselkelten gerettet hatte. Das römische Fußvolk war
nicht zu besiegen; aber Caesars Reiterei bestand fast ausschließlich
aus dem Zuzug des keltischen Adels und war durch den allgemeinen Abfall
tatsächlich aufgelöst. Es war der Insurrektion, die ja eben wesentlich
aus dem keltischen Adel bestand, möglich, in dieser Waffe eine solche
Überlegenheit zu entwickeln, daß sie weit und breit das Land öde legen,
Städte und Dörfer niederbrennen, die Vorräte vernichten, die
Verpflegung und die Verbindungen des Feindes gefährden konnte, ohne daß
derselbe es ernstlich zu hindern vermochte. Vercingetorix richtete
demzufolge all seine Anstrengung auf die Vermehrung der Reiterei und
der nach damaliger Fechtweise regelmäßig damit verbundenen
Bogenschützen zu Fuß. Die ungeheuren und sich selber lähmenden Massen
der Linienmiliz schickte er zwar nicht nach Hause, ließ sie aber doch
nicht vor den Feind und versuchte, ihnen allmählich einige Schanz-,
Marschier- und Manövrierfähigkeit und die Erkenntnis beizubringen, daß
der Soldat nicht bloß bestimmt ist, sich zu raufen. Von den Feinden
lernend, adoptierte er namentlich das römische Lagersystem, auf dem das
ganze Geheimnis der taktischen Überlegenheit der Römer beruhte; denn
infolgedessen vereinigte jedes römische Korps alle Vorteile der
Festungsbesatzung mit allen Vorteilen der Offensivarmee ^19. Freilich
war jenes dem städtearmen Britannien und seinen rauhen, entschlossenen
und im ganzen einigen Bewohnern vollkommen angemessene System auf die
reichen Landschaften an der Loire und deren schlaffe, in vollständiger
politischer Auflösung begriffene Bewohner nicht unbedingt übertragbar.
Vercingetorix setzte wenigstens durch, daß man nicht wie bisher jede
Stadt zu halten versuchte und darum keine hielt; man ward sich einig,
die der Verteidigung nicht fähigen Ortschaften, bevor der Angriff sie
erreichte, zu vernichten, die starken Festungen aber mit gesamter Hand
zu verteidigen. Daneben tat der Arvernerkönig, was er vermochte, um
durch unnachsichtliche Strenge die Feigen und Säumigen, durch Bitten
und Vorstellungen die Schwankenden, die Habsüchtigen durch Gold, die
entschiedenen Gegner durch Zwang an die Sache des Vaterlandes zu
fesseln und selbst dem vornehmen oder niedrigen Gesindel einigen
Patriotismus aufzunötigen oder abzulisten.
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^19 Freilich war dies nur möglich, solange die Offensivwaffen
hauptsächlich auf Hieb und Stich gerichtet waren. In der heutigen
Kriegführung ist, wie dies Napoleon I. vortrefflich auseinandergesetzt
hat, dies System deshalb unanwendbar geworden, weil bei unseren, aus
der Ferne wirkenden Offensivwaffen die deployierte Stellung
vorteilhafter ist als die konzentrische. In Caesars Zeit verhielt es
sich umgekehrt.
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Noch bevor der Winter zu Ende war, warf er sich auf die im Gebiet der
Häduer von Caesar angesiedelten Boier, um diese fast einzigen
zuverlässigen Bundesgenossen Roms zu vernichten, bevor Caesar herankam.
Die Nachricht von diesem Angriff bestimmte auch Caesar, mit
Zurücklassung des Gepäcks und zweier Legionen in den Winterquartieren
von Agedincum (Sens), sogleich und früher, als er sonst wohl getan
haben würde, gegen die Insurgenten zu marschieren. Dem empfindlichen
Mangel an Reiterei und leichtem Fußvolk half er einigermaßen ab durch
nach und nach herbeigezogene deutsche Söldner, die statt ihrer eigenen
kleinen und schwachen Klepper mit italischen und spanischen, teils
gekauften, teils von den Offizieren requirierten Pferden ausgerüstet
wurden. Caesar, nachdem er unterwegs die Hauptstadt der Carnuten,
Cenabum, die das Zeichen zum Abfall gegeben, hatte plündern und in
Asche legen lassen, rückte über die Loire in die Landschaft der
Biturigen. Er erreichte damit, daß Vercingetorix die Belagerung der
Stadt der Boier aufgab und gleichfalls sich zu den Biturigen begab.
Hier zuerst sollte die neue Kriegführung sich erproben. Auf
Vercingetorix’ Geheiß gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften
der Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwüstung verhängte
der Feldherr über die benachbarten Gaue, soweit sie von römischen
Streifparteien erreicht werden konnten. Nach seiner Absicht sollte auch
die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avaricum (Bourges)
dasselbe Schicksal treffen; allein die Majorität des Kriegsrats gab den
kniefälligen Bitten der biturigischen Behörden nach und beschloß, diese
Stadt vielmehr mit allem Nachdruck zu verteidigen. So konzentrierte
sich der Krieg zunächst um Avaricum. Vercingetorix stellte sein Fußvolk
inmitten der der Stadt benachbarten Sümpfe in einer so unnahbaren.
Stellung auf, daß es, auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein, den
Angriff der Legionen nicht zu fürchten brauchte. Die keltische Reiterei
bedeckte alle Straßen und hemmte die Kommunikation. Die Stadt wurde
stark besetzt und zwischen ihr und der Armee vor den Mauern die
Verbindung offen gehalten. Caesars Lage war sehr schwierig. Der
Versuch, das keltische Fußvolk zum Schlagen zu bringen, mißlang; es
rührte sich nicht aus seinen unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der
Stadt auch seine Soldaten schanzten und fochten, die Belagerten
wetteiferten mit ihnen an Erfindsamkeit und Mut, und fast wäre es ihnen
gelungen, das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei
ward die Aufgabe, ein Heer von beiläufig 60000 Mann in einer weithin
öde gelegten und von weit überlegenen Reitermassen durchstreiften
Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen, täglich schwieriger. Die
geringen Vorräte der Boier waren bald verbraucht; die von den Häduern
versprochene Zufuhr blieb aus; schon war das Getreide aufgezehrt und
der Soldat ausschließlich auf Fleischrationen gesetzt. Indes rückte der
Augenblick heran, wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung
kämpfte, nicht länger zu halten war. Noch war es nicht unmöglich, die
Truppen bei nächtlicher Weile in der Stille herauszuziehen und die
Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte. Vercingetorix traf
die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei, das im Augenblick des
Abmarsches die zurückbleibenden Weiber und Kinder erhoben, machte die
Römer aufmerksam; der Abzug mißlang. An dem folgenden trüben und
regnichten Tage überstiegen die Römer die Mauern und schonten,
erbittert durch die hartnäckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder
Geschlecht noch Alter. Die reichen Vorräte, die die Kelten in derselben
aufgehäuft hatten, kamen den ausgehungerten Soldaten Caesars zugute.
Mit der Einnahme von Avaricum (Frühling 702 52) war über die
Insurrektion ein erster Erfolg erfochten und nach früheren Erfahrungen
mochte Caesar wohl erwarten, daß damit dieselbe sich auflösen und es
nur noch erforderlich sein werde, einzelne Gaue zu Paaren zu treiben.
Nachdem er also mit seiner gesamten Armee sich in dem Gau der Häduer
gezeigt und durch diese imposante Demonstration die gärende
Patriotenpartei daselbst genötigt hatte, für den Augenblick wenigstens,
sich ruhig zu verhalten, teilte er sein Heer und sandte Labienus zurück
nach Agedincum, um in Verbindung mit den dort zurückgelassenen Truppen
an der Spitze von vier Legionen die Bewegung zunächst in dem Gebiet der
Carnuten und Senonen, die auch diesmal wieder voranstanden, zu
unterdrücken, während er selber mit den sechs übrigen Legionen sich
südwärts wandte und sich anschickte, den Krieg in die arvernischen
Berge, das eigene Gebiet des Vercingetorix, zu tragen.
Labienus rückte von Agedincum aus das linke Seineufer hinauf, um der
auf einer Insel in der Seine gelegenen Stadt der Parisier, Lutetia
(Paris), sich zu bemächtigen und von dieser gesicherten und im Herzen
der aufständischen Landschaft befindlichen Stellung aus diese wieder zu
unterwerfen. Allein hinter Melodunum (Melun) fand er sich den Weg
verlegt durch das gesamte Insurgentenheer, das unter der Führung des
greisen Camulogenus zwischen unangreifbaren Sümpfen hier sich
aufgestellt hatte. Labienus ging eine Strecke zurück, überschritt bei
Melodunum die Seine und rückte auf dem rechten Ufer derselben
ungehindert gegen Lutetia; Camulogenus ließ diese Stadt abbrennen und
die auf das linke Ufer führenden Brücken abbrechen und nahm Labienus
gegenüber eine Stellung ein, in welcher dieser weder ihn zum Schlagen
zu bringen, noch unter den Augen der feindlichen Armee den Übergang zu
bewirken imstande war.
Die römische Hauptarmee ihrerseits rückte am Allier hinab in den
Arvernergau. Vercingetorix versuchte, ihr den Übergang auf das linke
Ufer des Allier zu verwehren, allein Caesar überlistete ihn und stand
nach einigen Tagen vor der arvernischen Hauptstadt Gergovia ^20. Indes
hatte Vercingetorix, ohne Zweifel schon, während er Caesar am Allier
gegenüberstand, in Gergovia hinreichende Vorräte zusammenbringen und
vor den Mauern der auf der Spitze eines ziemlich steil sich erhebenden
Hügels gelegenen Stadt ein mit starken Steinwällen versehenes
Standlager für seine Truppen anlegen lassen; und da er hinreichenden
Vorsprung hatte, langte er vor Caesar bei Gergovia an und erwartete in
dem befestigten Lager unter der Festungsmauer den Angriff. Caesar mit
seiner verhältnismäßig schwachen Armee konnte den Platz weder
regelrecht belagern, noch auch nur hinreichend blockieren; er schlug
sein Lager unterhalb der von Vercingetorix besetzten Anhöhe und
verhielt sich notgedrungen ebenso untätig wie sein Gegner. Für die
Insurgenten war es fast ein Sieg, daß Caesars von Triumph zu Triumph
fortschreitender Lauf an der Seine wie am Allier plötzlich gestockt
war. In der Tat kamen die Folgen dieser Stockung für Caesar beinahe
denen einer Niederlage gleich. Die Häduer, die bisher immer noch
geschwankt hatten, machten jetzt ernstlich Anstalt, der Patriotenpartei
sich anzuschließen; schon war die Mannschaft, die Caesar nach Gergovia
entboten hatte, auf dem Marsche durch die Offiziere bestimmt worden,
sich für die Insurgenten zu erklären; schon hatte man gleichzeitig im
Kanton selbst angefangen, die daselbst ansässigen Römer zu plündern und
zu erschlagen. Noch hatte Caesar, indem er jenem auf Gergovia
zurückenden Korps der Häduer mit zwei Dritteln des Blockadeheeres
entgegengegangen war, dasselbe durch sein plötzliches Erscheinen wieder
zum nominellen Gehorsam zurückgebracht; allein es war mehr als je ein
hohles und brüchiges Verhältnis, dessen Fortbestand fast zu teuer
erkauft worden war durch die große Gefahr der vor Gergovia
zurückgelassenen beiden Legionen. Denn auf diese hatte Vercingetorix,
Caesars Abmarsch rasch und entschlossen benutzend, während dessen
Abwesenheit einen Angriff gemacht, der um ein Haar mit der
Überwältigung derselben und der Erstürmung des römischen Lagers
geendigt hätte. Nur Caesars unvergleichliche Raschheit wandte eine
zweite Katastrophe wie die von Aduatuca hier ab. Wenn auch die Häduer
jetzt wieder gute Worte gaben, war es doch vorherzusehen, daß sie, wenn
die Blockade sich noch länger ohne Erfolg hinspann, sich offen auf die
Seite der Aufständischen schlagen und dadurch Caesar nötigen würden,
dieselbe aufzuheben; denn ihr Beitritt würde die Verbindung zwischen
ihm und Labienus unterbrochen und namentlich den letzteren in seiner
Vereinzelung der größten Gefahr ausgesetzt haben. Caesar war
entschlossen, es hierzu nicht kommen zu lassen, sondern, wie peinlich
und selbst gefährlich es auch war, unverrichteter Sache von Gergovia
abzuziehen, dennoch, wenn es einmal geschehen mußte, lieber sogleich
aufzubrechen und, in den Gau der Häduer einrückend, deren förmlichen
Übertritt um jeden Preis zu verhindern. Ehe er indes diesen, seinem
raschen und sicheren Naturell wenig zusagenden Rückzug antrat, machte
er noch einen letzten Versuch, sich aus seiner peinlichen Verlegenheit
durch einen glänzenden Erfolg zu befreien. Während die Masse der
Besatzung von Gergovia beschäftigt war, die Seite, auf der der Sturm
erwartet ward, zu verschanzen, ersah der römische Feldherr sich die
Gelegenheit, einen anderen, weniger bequem gelegenen, aber
augenblicklich entblößten Aufgang zu überrumpeln. In der Tat
überstiegen die römischen Sturmkolonnen die Lagermauer und besetzten
die nächstliegenden Quartiere des Lagers; allein schon war auch die
ganze Besatzung alarmiert und bei den geringen Entfernungen fand es
Caesar nicht rätlich, den zweiten Sturm auf die Stadtmauer zu wagen. Er
gab das Zeichen zum Rückzug; indes die vordersten Legionen, vom
Ungestüm des Sieges hingerissen, hörten nicht oder wollten nicht hören,
und drangen unaufhaltsam vor bis an die Stadtmauer, einzelne sogar bis
in die Stadt. Aber immer dichtere Massen warfen den Eingedrungenen sich
entgegen; die vordersten fielen, die Kolonnen stockten; vergeblich
stritten Centurionen und Legionäre mit dem aufopferndsten Heldenmut;
die Stürmenden wurden mit sehr beträchtlichem Verlust aus der Stadt
hinaus und den Berg hinuntergejagt, wo die von Caesar in der Ebene
aufgestellten Truppen sie aufnahmen und größeres Unglück verhüteten.
Die gehoffte Einnahme von Gergovia hatte sich in eine Niederlage
verwandelt, und der beträchtliche Verlust an Verwundeten und Toten -
man zählte 700 gefallene Soldaten, darunter 46 Centurionen - war der
kleinste Teil des erlittenen Unfalls. Caesars imponierende Stellung in
Gallien beruhte wesentlich auf seinem Siegernimbus; und dieser fing an
zu erblassen. Schon die Kämpfe um Avaricum, Caesars vergebliche
Versuche, den Feind zum Schlagen zu zwingen, die entschlossene
Verteidigung der Stadt und ihre fast zufällige Erstürmung, trugen einen
anderen Stempel als die früheren Keltenkriege und hatten den Kelten
Vertrauen auf sich und ihren Führer eher gegeben als genommen. Weiter
hatte das neue System der Kriegführung: unter dem Schutze der Festungen
in verschanzten Lagern dem Feind die Stirne zu bieten - bei Lutetia
sowohl wie bei Gergovia sich vollkommen bewährt. Diese Niederlage
endlich, die erste, die Caesar selbst von den Kelten erlitten hatte,
krönte den Erfolg, und sie gab denn auch gleichsam das Signal für einen
zweiten Ausbruch der Insurrektion. Die Häduer brachen jetzt förmlich
mit Caesar und traten mit Vercingetorix in Verbindung. Ihr Kontingent,
das noch bei Caesars Armee sich befand, machte nicht bloß von dieser
sich los, sondern nahm auch bei der Gelegenheit in Noviodunum an der
Loire die Depots der Armee Caesars weg, wodurch die Kassen und
Magazine, eine Menge Remontepferde und sämtliche Caesar gestellte
Geiseln den Insurgenten in die Hände fielen. Wenigstens ebensowichtig
war es, daß auf diese Nachrichten hin auch die Belgen, die bisher der
ganzen Bewegung sich ferngehalten hatten, anfingen sich zu rühren. Der
mächtige Gau der Bellovaker machte sich auf, um das Korps des Labienus,
während es bei Lutetia dem Aufgebot der umliegenden mittelgallischen
Gaue gegenüberstand, im Rücken anzugreifen. Auch sonst ward überall
gerüstet; die Gewalt des patriotischen Aufschwungs riß selbst die
entschiedensten und begünstigtsten Parteigänger Roms mit sich fort, wie
zum Beispiel den König der Atrebaten, Commius, der seiner treuen
Dienste wegen von den Römern wichtige Privilegien für seine Gemeinde
und die Hegemonie über die Moriner empfangen hatte. Bis in die
altrömische Provinz gingen die Fäden der Insurrektion: sie machte,
vielleicht nicht ohne Grund, sich Hoffnung, selbst die Allobrogen gegen
die Römer unter die Waffen zu bringen. Mit einziger Ausnahme der Reiner
und der von den Remern zunächst abhängigen Distrikte der Suessionen,
Leuker und Lingonen, deren Partikularismus selbst unter diesem
allgemeinen Enthusiasmus nicht mürbe ward, stand jetzt in der Tat, zum
ersten und zum letzten Male, die ganze keltische Nation von den
Pyrenäen bis zum Rhein für ihre Freiheit und Nationalität unter den
Waffen; wogegen, merkwürdig genug, die sämtlichen deutschen Gemeinden,
die bei den bisherigen Kämpfen in erster Reihe gestanden hatten, sich
ausschlossen, ja sogar die Treuerer und, wie es scheint, auch die
Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert wurden, an dem
Nationalkrieg tätigen Anteil zu nehmen.
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^20 Man sucht diesen Ort auf einer Anhöhe eine Stunde südlich von der
arvernischen Hauptstadt Nemetum, dem heutigen Clermont welche noch
jetzt Gergoie genannt wird; und sowohl die bei den Ausgrabungen
daselbst zu Tage gekommenen Überreste von rohen Festungsmauern, wie die
urkundlich bis ins zehnte Jahrhundert hinauf verfolgte Überlieferung
des Namens lassen an der Richtigkeit dieser Ortsbestimmung keinen
Zweifel. Auch paßt dieselbe wie zu den übrigen Angaben Caesars, so
namentlich dazu daß er Gergovia ziemlich deutlich als Hauptort der
Arverner bezeichnet (Gall. 7, 4). Man wird demnach anzunehmen haben,
daß die Arverner nach der Niederlage genötigt wurden, sich von Gergovia
nach dem nahen, weniger festen Nemetum überzusiedeln.
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Es war ein schwerer, entscheidungsvoller Augenblick, als nach dem Abzug
von Gergovia und dem Verlust von Noviodunum in Caesars Hauptquartier
über die nun zu ergreifenden Maßregeln Kriegsrat gehalten ward. Manche
Stimmen sprachen sich für den Rückzug über die Cevennen in die
altrömische Provinz aus, welche jetzt der Insurrektion von allen Seiten
her offenstand und allerdings der zunächst doch zu ihrem Schutze von
Rom gesandten Legionen dringend bedurfte. Allein Caesar verwarf diese
ängstliche, nicht durch die Lage der Dinge, sondern durch
Regierungsinstruktionen und Verantwortungsfurcht bestimmte Strategie.
Er begnügte sich, in der Provinz den Landsturm der dort ansässigen
Römer unter die Waffen zu rufen und durch ihn, so gut es eben ging, die
Grenzen besetzen zu lassen. Dagegen brach er selbst in
entgegengesetzter Richtung auf und rückte in Gewaltmärschen auf
Agedincum zu, auf das er Labienus sich in möglichster Eile
zurückzuziehen befahl. Die Kelten versuchten natürlich, die Vereinigung
der beiden römischen Heere zu verhindern. Labienus hätte wohl, über die
Marne setzend und am rechten Seineufer flußabwärts marschierend,
Agedincum erreichen können, wo er seine Reserve und sein Gepäck
zurückgelassen hatte; aber er zog es vor, den Kelten nicht abermals das
Schauspiel des Rückzugs römischer Truppen zu gewähren. Er ging daher,
statt über die Marne, vielmehr unter den Augen des getäuschten Feindes
über die Seine und lieferte am linken Ufer derselben den feindlichen
Massen eine Schlacht, in welcher er siegte und unter vielen andern auch
der keltische Feldherr selbst, der alte Camulogenus, auf der Walstatt
blieb. Ebensowenig gelang es den Insurgenten, Caesar an der Loire
aufzuhalten; Caesar gab ihnen keine Zeit, dort größere Massen zu
versammeln, und sprengte die Milizen der Häduer, die er allein dort
vorfand, ohne Mühe auseinander. So ward die Vereinigung der beiden
Heerhaufen glücklich bewerkstelligt. Die Aufständischen inzwischen
hatten über die weitere Kriegführung in Bibracte (Autun), der
Hauptstadt der Häduer, geratschlagt; die Seele dieser Beratungen war
wieder Vercingetorix, dem nach dem Siege von Gergovia die Nation
begeistert anhing. Zwar schwieg der Partikularismus auch jetzt nicht;
die Häduer machten noch in diesem Todeskampf der Nation ihre Ansprüche
auf die Hegemonie geltend und stellten auf der Landesversammlung den
Antrag, an die Stelle des Vercingetorix einen der Ihrigen zu setzen.
Allein die Landesvertreter hatten dies nicht bloß abgelehnt und
Vercingetorix im Oberbefehl bestätigt, sondern auch seinen Kriegsplan
unverändert angenommen. Es war im wesentlichen derselbe, nach dem er
bei Avaricum und bei Gergovia operiert hatte. Zum Angelpunkt der neuen
Stellung ward die feste Stadt der Mandubier, Alesia (Alise Sainte-Reine
bei Semur im Departement Côte d’Or ^21), ausersehen und unter deren
Mauern abermals ein verschanztes Lager angelegt. Ungeheure Vorräte
wurden hier aufgehäuft und die Armee von Gergovia dorthin beordert,
deren Reiterei nach Beschluß der Landesversammlung bis auf 15000 Pferde
gebracht ward. Caesar schlug mit seiner gesamten Heeresmacht, nachdem
er sie bei Agedincum wiedervereinigt hatte, die Richtung auf Vesontio
ein, um sich nun der geängsteten Provinz zu nähern und sie vor einem
Einfall zu beschützen, wie denn in der Tat sich Insurgentenscharen
schon in dem Gebiet der Helvier am Südabhang der Cevennen gezeigt
hatten. Alesia lag fast auf seinem Wege; die Reiterei der Kelten, die
einzige Waffe, mit der Vercingetorix operieren mochte, griff unterwegs
ihn an, zog aber zu aller Erstaunen den kürzeren gegen Caesars neue
deutsche Schwadronen und die zu deren Rückhalt aufgestellte römische
Infanterie. Vercingetorix eilte um so mehr, sich in Alesia
einzuschließen; und wenn Caesar nicht überhaupt auf die Offensive
verzichten wollte, blieb ihm nichts übrig, als zum drittenmal in diesem
Feldzug gegen eine, unter einer wohlbesetzten und verproviantierten
Festung gelagerte und mit ungeheuren Reitermassen versehene Armee mit
einer weit schwächeren Angriffsweise vorzugehen. Allein, wenn den
Kelten bisher nur ein Teil der römischen Legionen gegenübergestanden,
so war in den Linien um Alesia Caesars ganze Streitmacht vereinigt und
es gelang Vercingetorix nicht, wie es ihm bei Avaricum und Gergovia
gelungen war, sein Fußvolk unter dem Schutz der Festungsmauern
aufzustellen und durch seine Reiterei seine Verbindungen nach außen hin
sich offen zu halten, während er die des Feindes unterbrach. Die
keltische Reiterei, schon entmutigt durch jene von den
geringgeschätzten Gegnern ihnen beigebrachte Niederlage, wurde von
Caesars deutschen Berittenen in jedem Zusammentreffen geschlagen. Die
Umwallungslinie der Belagerer erhob sich in der Ausdehnung von zwei
deutschen Meilen um die ganze Stadt mit Einschluß des an sie
angelehnten Lagers. Auf einen Kampf unter den Mauern war Vercingetorix
gefaßt gewesen, aber nicht darauf, in Alesia belagert zu werden - dazu
genügten für seine angeblich 80000 Mann Infanterie und 15000 Reiter
zählende Armee und die zahlreiche Stadtbewohnerschaft die
aufgespeicherten Vorräte, wie ansehnlich sie waren, doch bei weitem
nicht. Vercingetorix mußte sich überzeugen, daß sein Kriegsplan diesmal
zu seinem eigenen Verderben ausgeschlagen und er verloren war, wofern
nicht die gesamte Nation herbeieilte und ihren eingeschlossenen
Feldherrn befreite. Noch reichten, als die römische Umwallung sich
schloß, die vorhandenen Lebensmittel aus auf einen Monat und vielleicht
etwas darüber; im letzten Augenblick, wo der Weg wenigstens für
Berittene noch frei war, entließ Vercingetorix seine gesamte Reiterei
und entsandte zugleich an die Häupter der Nation die Weisung, alle
Mannschaft aufzubieten und sie zum Entsatz von Alesia heranzuführen. Er
selbst, entschlossen, die Verantwortung für den von ihm entworfenen und
fehlgeschlagenen Kriegsplan auch persönlich zu tragen, blieb in der
Festung, um im Guten und Bösen das Schicksal der Seinigen zu teilen.
Caesar aber machte sich gefaßt, zugleich zu belagern und belagert zu
werden. Er richtete seine Umwallungslinie auch an der Außenseite zur
Verteidigung ein und versah sich auf längere Zeit mit Lebensmitteln.
Die Tage verflossen; schon hatte man in der Festung keinen Malter
Getreide mehr, schon die unglücklichen Stadtbewohner austreiben müssen,
um zwischen den Verschanzungen der Kelten und der Römer, an beiden
unbarmherzig zurückgewiesen, elend umzukommen. Da, in der letzten
Stunde, zeigten hinter Caesars Linien sich die unabsehbaren Züge des
keltisch-belgischen Entsatzheeres, angeblich 250000 Mann zu Fuß und
8000 Reiter. Vom Kanal bis zu den Cevennen hatten die insurgierten Gaue
jeden Nerv angestrengt, um den Kern ihrer Patrioten, den Feldherrn
ihrer Wahl zu retten - einzig die Bellovaker hatten geantwortet, daß
sie wohl gegen die Römer, aber nicht außerhalb der eigenen Grenzen zu
fechten gesonnen seien. Der erste Sturm, der die Belagerten von Alesia
und die Entsatztruppen draußen auf die römische Doppellinie
unternahmen, ward abgeschlagen; aber als nach eintägiger Rast derselbe
wiederholt ward, gelang es an einer Stelle, wo die Umwallungslinie über
den Abhang eines Berges hinlief und von dessen Höhe herab angegriffen
werden konnte, die Gräben zuzuschütten und die Verteidiger von dem Wall
herunterzuwerfen. Da nahm Labienus, von Caesar hierher gesandt, die
nächsten Kohorten zusammen und warf sich mit vier Legionen auf den
Feind. Unter den Augen des Feldherrn, der selbst in dem gefährlichsten
Augenblick erschien, wurden im verzweifelten Nahgefecht die Stürmenden
zurückgejagt und die mit Caesar gekommenen, die Flüchtenden in den
Rücken fassenden Reiterscharen vollendeten die Niederlage. Es war mehr
als ein großer Sieg; über Alesia, ja über die keltische Nation war
damit unwiderruflich entschieden. Das Keltenheer, völlig entmutigt,
verlief unmittelbar vom Schlachtfeld sich nach Hause. Vercingetorix
hätte vielleicht noch jetzt fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel
des freien Mannes sich erretten können; er tat es nicht, sondern
erklärte im Kriegsrat, daß, da es ihm nicht gelungen sei, die
Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei, sich als Opfer hinzugeben
und soweit möglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt
abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere lieferten ihren von
der ganzen Nation feierlich erwählten Feldherrn dem Landesfeind zu
geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Roß und im vollen Waffenschmucke
erschien der König der Arverner vor dem römischen Prokonsul und umritt
dessen Tribunal; darauf gab er Roß und Waffen ab und ließ schweigend
auf den Stufen zu Caesars Füßen sich nieder (702 52). Fünf Jahre später
ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt geführt
und als Hochverräter an der römischen Nation, während sein Überwinder
den Göttern derselben den Feierdank auf der Höhe des Kapitols
darbrachte, an dessen Fuß enthauptet. Wie nach trübe verlaufenem Tage
wohl die Sonne im Sinken durchbricht, so verleiht das Geschick noch
untergehenden Völkern wohl einen letzten großartigen Mann. Also steht
am Ausgang der phönikischen Geschichte Hannibal, also an dem der
keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Nation von
der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die letzte noch
übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Auch Vercingetorix
hat ebenwie der Karthager nicht bloß gegen den Landesfeind kämpfen
müssen, sondern vor allem gegen die antinationale Opposition verletzter
Egoisten und aufgestörter Feiglinge, wie sie die entartete Zivilisation
regelmäßig begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte
nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern daß er es vermocht
hat, einer zerfahrenen und im Partikularismus verkommenen Nation in
seiner Person einen Mittel- und Haltpunkt zu geben. Und doch gibt es
wieder kaum einen schärferen Gegensatz als der ist zwischen dem
nüchternen Bürgersmann der phönikischen Kaufstadt mit seinen, auf das
eine große Ziel hin fünfzig Jahre hindurch mit unwandelbarer Energie
gerichteten Plänen, und dem kühnen Fürsten des Keltenlandes, dessen
gewaltige Taten zugleich mit seiner hochherzigen Aufopferung, ein
kurzer Sommer einschließt. Das ganze Altertum kennt keinen
ritterlicheren Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner äußeren
Erscheinung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der
Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es verschmähte, sich
aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein der Nation mehr
gelegen war als an hunderttausend gewöhnlichen tapferen Männern. Es war
der Ritter, nicht der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch
dieses Opfer nichts weiter erreicht ward, als daß die Nation sich
öffentlich entehrte und ebenso feig wie widersinnig mit ihrem letzten
Atemzug ihren weltgeschichtlichen Todeskampf ein Verbrechen gegen ihren
Zwingherrn nannte. Wie so ganz anders hat in den gleichen Lagen
Hannibal gehandelt! Es ist nicht möglich, ohne geschichtliche und
menschliche Teilnahme von dem edlen Arvernerkönig zu scheiden; aber es
gehört zur Signatur der keltischen Nation, daß ihr größter Mann doch
nur ein Ritter war.
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^21 Die kürzlich viel erörterte Frage, ob Alesia nicht vielmehr in
Alaise (25 Kilometer südlich von Besançon, Dep. Doubs) zu erkennen sei,
ist von allen besonnenen Forschern mit Recht verneint worden.
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Der Fall von Alesia und die Kapitulation der daselbst eingeschlossenen
Armee war für die keltische Insurrektion ein furchtbarer Schlag; indes
es hatten schon ebensoschwere die Nation betroffen und doch war der
Kampf wieder erneuert worden. Aber Vercingetorix’ Verlust war
unersetzlich. Mit ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm
schien sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, daß die
Insurrektion einen Versuch machte, die Gesamtverteidigung fortzusetzen
und einen anderen Oberfeldherrn zu bestellen; der Patriotenbund fiel
von selbst auseinander und jedem Clan blieb es überlassen, wie es ihm
beliebte, mit den Römern zu streiten oder auch sich zu vertragen.
Natürlich überwog durchgängig das Verlangen nach Ruhe. Auch Caesar
hatte ein Interesse daran, rasch zu Ende zu kommen. Von den zehn Jahren
seiner Statthalterschaft waren sieben verstrichen. Das letzte aber
durch seine politischen Gegner in der Hauptstadt ihm in Frage gestellt;
nur auf zwei Sommer noch konnte er mit einiger Sicherheit rechnen und
wenn sein Interesse wie seine Ehre verlangte, daß er die neu gewonnenen
Landschaften seinem Nachfolger in einem leidlichen und einigermaßen
beruhigten Friedensstand übergab, so war, um einen solchen
herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu üben war in
diesem Falle noch mehr als für die Besiegten Bedürfnis für den Sieger;
und er durfte seinen Stern preisen, daß die innere Zerfahrenheit und
das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf halbem Wege entgegenkam.
Wo, wie in den beiden angesehensten mittelgallischen Kantons, dem der
Häduer und dem der Arverner, eine starke römisch gesinnte Partei
bestand, wurde den Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die
vollständige Wiederherstellung ihres früheren Verhältnisses zu Rom
gewährt und selbst ihre Gefangenen, 20000 an der Zahl, ohne Lösegeld
entlassen, während die der übrigen Clans in die harte Knechtschaft der
siegreichen Legionäre kamen. Wie die Häduer und die Arverner ergab sich
überhaupt der größere Teil der gallischen Distrikte in sein Schicksal
und ließ ohne weitere Gegenwehr die unvermeidlichen Strafgerichte über
sich ergehen. Aber nicht wenige harrten auch in törichtem Leichtsinn
oder dumpfer Verzweiflung bei der verlorenen Sache aus, bis die
römischen Exekutionstruppen innerhalb ihrer Grenzen erschienen. Solche
Expeditionen wurden noch im Winter 702/03 (52/51) gegen die Biturigen
und die Carnuten unternommen. Ernsteren Widerstand leisteten die
Bellovaker, die das Jahr zuvor von dem Entsatz Alesias sich
ausgeschlossen hatten; sie schienen beweisen zu wollen, daß sie an
jenem entscheidenden Tage wenigstens nicht aus Mangel an Mut und an
Freiheitsliebe gefehlt hatten. Es beteiligten sich an diesem Kampfe die
Atrebaten, Ambianer, Caleten und andere belgische Gaue; der tapfere
König der Atrebaten, Commius, dem die Römer seinen Beitritt zur
Insurrektion am wenigsten verziehen und gegen den kürzlich Labienus
sogar einen widerwärtig tückischen Mordversuch gerichtet hatte, führte
den Bellovakern 500 deutsche Reiter zu, deren Wert der vorjährige
Feldzug hatte kennen lehren. Der entschlossene und talentvolle
Bellovaker Correus, dem die oberste Leitung des Krieges zugefallen war,
führte den Krieg, wie Vercingetorix ihn geführt hatte, und mit nicht
geringem Erfolg; Caesar, obwohl er nach und nach den größten Teil
seines Heeres heranzog, konnte das Fußvolk der Bellovaker weder zum
Schlagen bringen noch auch nur dasselbe verhindern, andere, gegen
Caesars verstärkte Streitmacht besseren Schutz gewährende Stellungen
einzunehmen; die römischen Reiter aber, namentlich die keltischen
Kontingente, erlitten in verschiedenen Gefechten durch die feindliche
Reiterei, besonders die deutsche des Commius, die empfindlichsten
Verluste. Allein nachdem in einem Scharmützel mit den römischen
Fouragierern Correus den Tod gefunden, war der Widerstand auch hier
gebrochen; der Sieger stellte erträgliche Bedingungen, auf die hin die
Bellovaker nebst ihren Verbündeten sich unterwarfen. Die Treuerer
wurden durch Labienus zum Gehorsam zurückgebracht und beiläufig das
Gebiet der verfemten Eburonen noch einmal durchzogen und verwüstet.
Also ward der letzte Widerstand der belgischen Eidgenossenschaft
gebrochen. Noch einen Versuch, der Römerherrschaft sich zu erwehren,
machten die Seegaue in Verbindung mit ihren Nachbarn an der Loire.
Insurgentenscharen aus dem andischen, dem carnutischen und anderen
umliegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und belagerten in
Lemonum (Poitiers) den römisch gesinnten Fürsten der Pictonen. Allein
bald trat auch hier eine ansehnliche römische Macht ihnen entgegen; die
Insurgenten gaben die Belagerung auf und zogen ab, um die Loire
zwischen sich und den Feind zu bringen, wurden aber auf dem Marsche
dahin eingeholt und geschlagen, worauf die Carnuten und die übrigen
aufständischen Kantons, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung
einsandten. Der Widerstand war zu Ende; kaum daß ein einzelner
Freischarenführer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt.
Der kühne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefährte Lucterius
sammelten nach der Auflösung der an der Loire vereinigten Armee die
Entschlossensten und warfen sich mit diesen in die feste Bergstadt
Uxellodunum am Lot ^22, die ihnen unter schweren und verlustvollen
Gefechten ausreichend zu verproviantieren gelang. Trotz des Verlustes
ihrer Führer, von denen Drappes gefangen, Lucterius von der Stadt
abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich auf das äußerste; erst als
Caesar selbst erschien und auf seine Anordnung die Quelle, aus der die
Belagerten ihr Wasser holten, mittels unterirdischer Stollen abgeleitet
ward, fiel die Festung, die letzte Burg der keltischen Nation. Um die
letzten Verfechter der Sache der Freiheit zu kennzeichnen, befahl
Caesar, der gesamten Besatzung die Hände abzuhauen und sie also, einen
jeden in seine Heimat, zu entlassen. Dem König Commius, der noch in der
Gegend von Arras sich hielt und daselbst bis in den Winter 703/04
(51/50) mit den römischen Truppen sich herumschlug, gestattete Caesar,
dem alles daran lag, in ganz Gallien wenigstens dem offenen Widerstand
ein Ziel zu setzen, seinen Frieden zu machen und ließ es sogar
hingehen, daß der erbitterte und mit Recht mißtrauische Mann trotzig
sich weigerte, persönlich im römischen Lager zu erscheinen. Es ist sehr
wahrscheinlich, daß Caesar in ähnlicher Weise bei den schwer
zugänglichen Distrikten im Nordwesten wie im Nordosten Galliens mit
einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar schon mit der
faktischen Waffenruhe sich genügen ließ ^23.
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^22 Man sucht dies gewöhnlich bei Capdenac unweit Figeac; F. W. A.
Göler hat sich neuerlich für das auch früher schon in Vorschlag
gebrachte Luzech westlich von Cahors erklärt.
^23 Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicherweise nicht
geschrieben; aber eine verständliche Andeutung in dieser Beziehung
macht Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer
schrieb. Weitere Beweise ergeben die Münzen.
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Also ward Gallien, das heißt das Land westlich vom Rhein und nördlich
von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen (696 bis 703 58-51) den
Römern untertänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Beruhigung des
Landes, zu Anfang des Jahres 705 (49), mußten die römischen Truppen
infolge des nun endlich in Italien ausgebrochenen Bürgerkrieges über
die Alpen zurückgezogen werden und es blieben nichts als höchstens
einige schwache Rekrutenabteilungen im Keltenland zurück. Dennoch
standen die Kelten nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und
während in allen alten Provinzen des Reichs gegen Caesar gestritten
ward, blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger
fortwährend botmäßig. Auch die Deutschen haben ihre Versuche, auf dem
linken Rheinufer sich erobernd festzusetzen, während dieser
entscheidenden Jahre nicht wiederholt. Ebensowenig kam es in Gallien
während der nachfolgenden Krisen zu einer neuen nationalen Insurrektion
oder deutschen Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten
darboten. Wenn ja irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708
(46) die Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese
Bewegungen so vereinzelt und so außer Zusammenhang mit den
Verwicklungen in Italien, daß sie ohne wesentliche Schwierigkeit von
den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings ward dieser
Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie Jahrhunderte lang
der spanische, damit erkauft, daß man den entlegensten und am
lebendigsten von dem Nationalgefühl durchdrungenen Landschaften, der
Bretagne, den Scheldedistrikten, der Pyrenäengegend, vorläufig
gestattete, sich in mehr oder minder bestimmter Weise der römischen
Botmäßigkeit tatsächlich zu entziehen. Aber darum nicht weniger erwies
sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen anderen, zunächst
noch dringenderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur
notdürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, sowohl
hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Unterwerfung der
Kelten, in dieser Feuerprobe im wesentlichen als haltbar.
In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des
Narbonensischen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig mit der
Provinz Narbo vereinigt; erst als Caesar dieses Amt abgab (710 44),
wurden aus dem von ihm eroberten Gebiet zwei neue Statthalterschaften,
das eigentliche Gallien und Belgica, gebildet. Daß die einzelnen Gaue
ihre politische Selbständigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung.
Sie wurden durchgängig der römischen Gemeinde steuerpflichtig. Ihr
Steuersystem indes war natürlich nicht dasjenige, mittels dessen die
adlige und finanzielle Aristokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde,
wie in Spanien geschah, einer jeden einzelnen Gemeinde eine ein für
allemal bestimmte Abgabe auferlegt und deren Erhebung ihr selbst
überlassen. Auf diesem Wege flossen jährlich 40 Mill. Sesterzen (3
Mill. Taler) aus Gallien in die Kassen der römischen Regierung, die
dafür freilich die Kosten der Verteidigung der Rheingrenze übernahm.
Daß außerdem die in den Tempeln der Götter und den Schatzkammern der
Großen aufgehäuften Goldmassen infolge des Krieges ihren Weg nach Rom
fanden, versteht sich von selbst; wenn Caesar im ganzen Römischen Reich
sein gallisches Gold ausbot und davon auf einmal solche Massen auf den
Geldmarkt brachte, daß das Gold gegen Silber um 25 Prozent fiel, so
läßt dies ahnen, welche Summen Gallien durch den Krieg eingebüßt hat.
Die bisherigen Gauverfassungen mit ihren Erbkönigen oder ihren
feudal-oligarchischen Vorstandschaften blieben auch nach der Eroberung
im wesentlichen bestehen, und selbst das Klientelsystem, das einzelne
Kantons von anderen, mächtigeren abhängig machte, ward nicht
abgeschafft, obwohl freilich mit dem Verlust der staatlichen
Selbständigkeit ihm die Spitze abgebrochen war; Caesar war nur darauf
bedacht, unter Benutzung der bestehenden dynastischen, feudalistischen
und hegemonischen Spaltungen die Verhältnisse im Interesse Roms zu
ordnen und überall die der Fremdherrschaft genehmen Männer an die
Spitze zu bringen. Überhaupt sparte Caesar keine Mühe, um in Gallien
eine römische Partei zu bilden; seinen Anhängern wurden ausgedehnte
Belohnungen an Geld und besonders an konfiszierten Landgütern bewilligt
und ihnen durch seinen Einfluß Plätze im Gemeinderat und die ersten
Gemeindeämter in ihren Gauen verschafft. Diejenigen Gaue, in denen eine
hinreichend starke und zuverlässige römische Partei bestand, wie die
der Remer, der Lingonen, der Häduer, wurden durch Erteilung einer
freieren Kommunalverfassung - des sogenannten Bündnisrechts - und durch
Bevorzugungen bei der Ordnung des Hegemoniewesens gefördert. Den
Nationalkult und dessen Priester scheint Caesar von Anfang an soweit
irgend möglich geschont zu haben; von Maßregeln, wie sie in späterer
Zeit von den römischen Machthabern gegen das Druidenwesen ergriffen
wurden, findet bei ihm sich keine Spur, und wahrscheinlich damit hängt
es zusammen, daß seine gallischen Kriege, soviel wir sehen, den
Charakter des Religionskrieges durchaus nicht in der Art tragen, wie er
bei den britannischen später so bestimmt hervortritt.
Wenn Caesar also der besiegten Nation jede zulässige Rücksicht bewies
und ihre nationalen, politischen und religiösen Institutionen soweit
schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich vertrug, so
geschah dies nicht, um auf den Grundgedanken seiner Eroberung, die
Romanisierung Galliens, zu verzichten, sondern um denselben in
möglichst schonender Weise zu verwirklichen. Auch begnügte er sich
nicht, dieselben Verhältnisse, die die Südprovinz bereits großenteils
romanisiert hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls tun zu lassen,
sondern er förderte, als echter Staatsmann, von oben herab die
naturgemäße Entwicklung und tat dazu, die immer peinliche Übergangszeit
möglichst zu verkürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl
vornehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner
vielleicht schon in den römischen Senat, so ist wahrscheinlich Caesar
es gewesen, der in Gallien auch innerhalb der einzelnen Gaue als
offizielle Sprache anstatt der einheimischen die lateinische, wenn auch
noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des nationalen das
römische Münzsystem in der Art einführte, daß die Gold- und die
Denarprägung den römischen Behörden vorbehalten blieb, dagegen die
Scheidemünze von den einzelnen Gauen und nur zur Zirkulation innerhalb
der Gaugrenzen, aber doch auch nach römischem Fuß geschlagen werden
sollte. Man mag lächeln über das kauderwelsche Latein, dessen die
Anwohner der Loire und Seine fortan verordnungsmäßig sich beflissen
^24; es lag doch in diesen Sprachfehlern eine größere Zukunft als in
dem korrekten, hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf
Caesar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der
italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte des
Gaues sowie die Gemeinderäte in ihr schärfer hervortreten, als dies in
der ursprünglichen keltischen Ordnung wahrscheinlich der Fall war. Wie
wünschenswert in militärischer wie in politischer Hinsicht es gewesen
wäre, als Stützpunkte der neuen Herrschaft und Ausgangspunkte der neuen
Zivilisation eine Reihe transalpinischer Kolonien zu begründen, mochte
niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und
des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansiedlung seiner
keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum und auf die der Boier im
Häduergau, welche letztere Niederlassung in dem Krieg gegen
Vercingetorix schon völlig die Dienste einer römischen Kolonie tat, so
war die Ursache nur die, daß seine weiteren Pläne ihm noch nicht
gestatteten, seinen Legionen statt des Schwertes den Pflug in die Hand
zu geben. Was er in späteren Jahren für die altrömische Provinz in
dieser Beziehung getan, wird seines Orts dargelegt werden; es ist
wahrscheinlich, daß nur die Zeit ihm gemangelt hat, um das gleiche auch
auf die von ihm neu unterworfenen Landschaften zu erstrecken.
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^24 So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier
(Lisieux, Dep. Calvados) schlagen ließ, folgende Aufschrift: Cisiambos
Cattos vercobreto; simissos (so) publicos Lixovio. Die oft kaum
leserliche Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser
Münzen stehen mit ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.
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Mit der keltischen Nation war es zu Ende. Ihre politische Auflösung war
durch Caesar eine vollendete Tatsache geworden, ihre nationale
eingeleitet und im regelmäßigen Fortschreiten begriffen. Es war dies
kein zufälliges Verderben, wie das Verhängnis es auch
entwicklungsfähigen Völkern wohl zuweilen bereitet, sondern eine
selbstverschuldete und gewissermaßen geschichtlich notwendige
Katastrophe. Schon der Verlauf des letzten Krieges beweist dies, mag
man ihn nun im ganzen oder im einzelnen betrachten. Als die
Fremdherrschaft gegründet werden sollte, leisteten ihr nur einzelne,
noch dazu meistens deutsche oder halbdeutsche Landschaften energischen
Widerstand. Als die Fremdherrschaft gegründet war, wurden die Versuche,
sie abzuschütteln, entweder ganz kopflos unternommen, oder sie waren
mehr als billig das Werk einzelner hervorragender Adliger und darum mit
dem Tod oder der Gefangennahme eines Indutiomarus, Camulogenus,
Vercingetorix, Correus sogleich und völlig zu Ende. Der Belagerungs-
und der kleine Krieg, in denen sich sonst die ganze sittliche Tiefe der
Volkskriege entfaltet, waren und blieben in diesem keltischen von
charakteristischer Erbärmlichkeit. Jedes Blatt der keltischen
Geschichte bestätigt das strenge Wort eines der wenigen Römer, die es
verstanden, die sogenannten Barbaren nicht zu verachten, daß die Kelten
dreist die künftige Gefahr herausfordern, vor der gegenwärtigen aber
der Mut ihnen entsinkt. In dem gewaltigen Wirbel der Weltgeschichte,
der alle nicht gleich dem Stahl harten und gleich dem Stahl
geschmeidigen Völker unerbittlich zermalmt, konnte eine solche Nation
auf die Länge sich nicht behaupten; billig erlitten die Kelten des
Festlandes dasselbe Schicksal von den Römern, das ihre Stammgenossen
auf der irischen Insel bis in unsere Tage hinein von den Sachsen
erleiden: das Schicksal, als Gärungsstoff künftiger Entwicklung
aufzugehen in eine staatlich überlegene Nationalität. Im Begriff, von
der merkwürdigen Nation zu scheiden, mag es gestattet sein, noch daran
zu erinnern, daß in den Berichten der Alten über die Kelten an der
Loire und Seine kaum einer der charakteristischen Züge vermißt wird, an
denen wir gewohnt sind, Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder:
die Lässigkeit in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und
Raufen; die Prahlhansigkeit - wir erinnern an jenes in dem heiligen
Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene Schwert des
Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an der geweihten
Stätte lächelnd betrachtete und das heilige Gut sorgfältig zu schonen
befahl; die Rede voll von Vergleichen und Hyperbeln, von Anspielungen
und barocken Wendungen; der drollige Humor - ein vorzügliches Beispiel
davon ist die Satzung, daß, wenn jemand einem öffentlich Redenden ins
Wort fällt, dem Störenfried von Polizei wegen ein derbes und wohl
sichtbares Loch in den Rock geschnitten wird; die innige Freude am
Singen und Sagen von den Taten der Vorzeit und die entschiedenste
Redner- und Dichtergabe; die Neugier - kein Kaufmann wird
durchgelassen, bevor er auf offener Straße erzählt hat, was er an
Neuigkeiten weiß oder nicht weiß - und die tolle Leichtgläubigkeit, die
auf solche Nachrichten hin handelt, weshalb in den besser geordneten
Kantons den Wandersleuten bei strenger Strafe verboten war,
unbeglaubigte Berichte andern als Gemeindebeamten mitzuteilen; die
kindliche Frömmigkeit, die in dem Priester den Vater sieht und ihn in
allen Dingen um Rat fragt; die unübertroffene Innigkeit des
Nationalgefühls und das fast familienartige Zusammenhalten der
Landsleute gegen den Fremden; die Geneigtheit, unter dem ersten besten
Führer sich aufzulehnen und Banden zu bilden, daneben aber die völlige
Unfähigkeit, den sicheren, von Übermut wie von Kleinmut entfernten Mut
sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwarten und zum Losschlagen
wahrzunehmen, zu irgendeiner Organisation, zu irgend fester
militärischer oder politischer Disziplin zu gelangen oder auch nur sie
zu ertragen. Es ist und bleibt zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe
faule und poetische, schwachmütige und innige, neugierige,
leichtgläubige, liebenswürdige, gescheite, aber politisch durch und
durch unbrauchbare Nation, und darum ist denn auch ihr Schicksal immer
und überall dasselbe gewesen.
Aber daß dieses große Volk durch Caesars transalpinische Kriege
zugrunde ging, ist noch nicht das bedeutendste Ergebnis dieses
großartigen Unternehmens; weit folgenreicher als das negative war das
positive Resultat. Es leidet kaum einen Zweifel, daß, wenn das
Senatsregiment sein Scheinleben noch einige Menschenalter länger
gefristet hätte, die sogenannte Völkerwanderung vierhundert Jahre
früher eingetreten sein würde, als sie eingetreten ist, und eingetreten
sein würde zu einer Zeit, wo die italische Zivilisation sich weder in
Gallien noch an der Donau noch in Afrika und Spanien häuslich
niedergelassen hatte. Indem der große Feldherr und Staatsmann Roms mit
sicherem Blick in den deutschen Stämmen den ebenbürtigen Feind der
römisch-griechischen Welt erkannte; indem er das neue System offensiver
Verteidigung mit fester Hand selbst bis ins einzelne hinein begründete
und die Reichsgrenzen durch Flüsse oder künstliche Wälle verteidigen,
längs der Grenze die nächsten Barbarenstämme zur Abwehr der
entfernteren kolonisieren, das römische Heer durch geworbene Leute aus
den feindlichen Ländern rekrutieren lehrte, gewann er der
hellenisch-italischen Kultur die nötige Frist, um den Westen ebenso zu
zivilisieren, wie der Osten bereits von ihr zivilisiert war.
Gewöhnliche Menschen schauen die Früchte ihres Tuns; der Same, den
geniale Naturen streuen, geht langsam auf. Es dauerte Jahrhunderte, bis
man begriff, daß Alexander nicht bloß ein ephemeres Königreich im Osten
errichtet, sondern den Hellenismus nach Asien getragen habe; wieder
Jahrhunderte, bis man begriff, daß Caesar nicht bloß den Römern eine
neue Provinz erobert, sondern die Romanisierung der westlichen
Landschaften begründet habe. Auch von jenen militärisch leichtsinnigen
und zunächst erfolglosen Zügen nach England und Deutschland haben erst
die späten Nachfahren den Sinn erkannt. Ein ungeheurer Völkerkreis, von
dessen Dasein und Zuständen bis dahin kaum der Schiffer und der
Kaufmann einige Wahrheit und viele Dichtung berichtet hatten, ward
durch sie der römisch-griechischen Welt aufgeschlossen. “Täglich”,
heißt es in einer römischen Schrift vom Mai 698 (56), “melden die
gallischen Briefe und Botschaften uns bisher unbekannte Namen von
Völkern, Gauen und Landschaften”. Diese Erweiterung des geschichtlichen
Horizonts durch Caesars Züge jenseits der Alpen war ein
weltgeschichtliches Ereignis, so gut wie die Erkundung Amerikas durch
europäische Scharen. Zu dem engen Kreis der Mittelmeerstaaten traten
die mittel- und nordeuropäischen Völker, die Anwohner der Ost- und der
Nordsee hinzu, zu der alten Welt eine neue, die fortan durch jene
mitbestimmt ward und sie mitbestimmte. Es hat nicht viel gefehlt, daß
bereits von Ariovist das durchgeführt ward, was später dem gotischen
Theoderich gelang. Wäre dies geschehen, so würde unsere Zivilisation zu
der römisch-griechischen schwerlich in einem innerlicheren Verhältnis
stehen als zu der indischen und assyrischen Kultur. Daß von Hellas und
Italien vergangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren
Weltgeschichte eine Brücke hinüberführt, daß Westeuropa romanisch, das
germanische Europa klassisch ist, daß die Namen Themistokles und Scipio
für uns einen anderen Klang haben, als Asoka und Salmanassar, daß Homer
und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den literarischen
Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns blühen, das ist
Caesars Werk; und wenn die Schöpfung seines großen Vorgängers im Osten
von den Sturmfluten des Mittelalters fast ganz zertrümmert worden ist,
so hat Caesars Bau die Jahrtausende überdauert, die dem
Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwerpunkt der
Zivilisation selbst ihm verschoben haben, und für das, was wir Ewigkeit
nennen, steht er aufrecht.
Um das Bild der Verhältnisse Roms zu den Völkern des Nordens in dieser
Zeit zu vollenden, bleibt es noch übrig, einen Blick auf die
Landschaften zu werfen, die nördlich der italischen und der
griechischen Halbinsel, von den Rheinquellen bis zum Schwarzen Meer
sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Völkergetümmel, das auch dort
damals gewogt haben mag, reicht die Fackel der Geschichte nicht und die
einzelnen Streiflichter, die in dieses Gebiet fallen, sind, wie der
schwache Schimmer in tiefer Finsternis, mehr geeignet zu verwirren als
aufzuklären. Indes es ist die Pflicht des Geschichtschreibers, auch die
Lücken in dem Buche der Völkergeschichte zu bezeichnen; er darf es
nicht verschmähen, neben Caesars großartigem Verteidigungssystem der
dürftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Senats
nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schützen vermeinten.
Das nordöstliche Italien blieb nach wie vor den Angriffen der
alpinischen Völkerschaften preisgegeben. Das im Jahre 695 (59) bei
Aquileia lagernde starke römische Heer und der Triumph des Statthalters
des Cisalpinischen Galliens, Lucius Afranius, lassen schließen, daß um
diese Zeit eine Expedition in die Alpen stattgefunden; wovon es eine
Folge sein mag, daß wir bald darauf die Römer in näherer Verbindung mit
einem König der Noriker finden. Daß aber auch nachher Italien durchaus
von dieser Seite nicht gesichert war, bewies der Überfall der blühenden
Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im Jahre 702 (52), als
die transalpinische Insurrektion Caesar genötigt hatte, Oberitalien
ganz von Truppen zu entblößen.
Auch die unruhigen Völker, die den illyrischen Küstenstrich innehatten,
machten ihren römischen Herren beständig zu schaffen. Die Dalmater,
schon früher das ansehnlichste Volk dieser Gegend, vergrößerten durch
Aufnahme der Nachbarn in ihren Verband sich so ansehnlich, daß die Zahl
ihrer Ortschaften von zwanzig auf achtzig stieg. Als sie die Stadt
Promona (nicht weit vom Kerkafluß), die sie den Liburniern entrissen
hatten, diesen wiederherauszugeben sich weigerten, ließ Caesar nach der
Pharsalischen Schlacht gegen sie marschieren; aber die Römer zogen
hierbei zunächst den kürzeren, und infolgedessen ward Dalmatien für
einige Zeit ein Herd der Caesar feindlichen Partei und wurde hier den
Feldherren Caesars von den Einwohnern, in Verbindung mit den
Pompeianern und mit den Seeräubern, zu Lande und zu Wasser energischer
Widerstand geleistet.
Makedonien endlich nebst Epirus und Hellas war so verödet und
heruntergekommen wie kaum ein anderer Teil des Römischen Reiches.
Dyrrhachion, Thessalonike, Byzantion hatten noch einigen Handel und
Verkehr; Athen zog durch seinen Namen und seine Philosophenschule die
Reisenden und die Studenten an; im ganzen aber lag über Hellas’ einst
volkreichen Städten und menschenwimmelnden Häfen die Ruhe des Grabes.
Aber wenn die Griechen sich nicht regten, so setzten dagegen die
Bewohner der schwer zugänglichen makedonischen Gebirge nach alter Weise
ihre Raubzüge und Fehden fort, wie denn zum Beispiel um 697/98 (57/56)
Agräer und Doloper die ätolischen Städte, im Jahre 700 (54) die in den
Drintälern wohnenden Pirusten das südliche Illyrien überrannten. Ebenso
hielten es die Anwohner. Die Dardaner an der Nordgrenze wie die Thraker
im Osten waren zwar in den achtjährigen Kämpfen 676 bis 683 (78-71) von
den Römern gedemütigt worden; der mächtigste unter den thrakischen
Fürsten, der Herr des alten Odrysenreichs Kotys, ward seitdem den
römischen Klientelkönigen beigezählt. Allein nichtsdestoweniger hatte
das befriedete Land nach wie vor von Norden und Osten her Einfälle zu
leiden. Der Statthalter Gaius Antonius ward übel heimgeschickt, sowohl
von den Dardanern, als auch von den in der heutigen Dobrudscha
ansässigen Stämmen, welche mit Hilfe der vom linken Donauufer
herbeigezogenen, gefürchteten Bastarner ihm bei Istropolis (Istere
unweit Kustendsche) eine bedeutende Niederlage beibrachten (692-693
62-61). Glücklicher focht Gaius Octavius gegen Besser und Thraker (694
60). Dagegen machte Marcus Piso (697-698 57-56) wiederum als
Oberfeldherr sehr schlechte Geschäfte, was auch kein Wunder war, da er
um Geld Freunden und Feinden gewährte, was sie wünschten. Die
thrakischen Dentheleten (am Strymon) plünderten unter seiner
Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten auf der
großen, von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden römischen
Heerstraße selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich
darauf gefaßt, von ihnen eine Belagerung auszuhalten, während die
starke römische Armee in der Provinz nur da zu sein schien, um
zuzusehen, wie die Bergbewohner und die Nachbarvölker die friedlichen
Untertanen Roms brandschatzten.
Dergleichen Angriffe konnten freilich Roms Macht nicht gefährden, und
auf eine Schande mehr kam es längst nicht mehr an. Aber eben um diese
Zeit begann jenseits der Donau, in den weiten dakischen Steppen, ein
Volk sich staatlich zu konsolidieren, das eine andere Rolle in der
Geschichte zu spielen bestimmt schien als die Besser und die
Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem König
des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zalmoxis genannt, der,
nachdem er der Götter Wege und Wunder auf weiten Reisen in der Fremde
erkundet und namentlich die Weisheit der ägyptischen Priester und der
griechischen Pythagoreer ergründet hatte, in seine Heimat
zurückgekommen war, um in einer Höhle des ‘Heiligen Berges’ als frommer
Einsiedler sein Leben zu beschließen. Nur dem König und dessen Dienern
blieb er zugänglich und spendete ihm und durch ihn dem Volke seine
Orakel für jedes wichtige Beginnen. Seinen Landsleuten galt er anfangs
als Priester des höchsten Gottes und zuletzt selber als Gott, ähnlich
wie es von Moses und Aaron heißt, daß der Herr den Aaron zum Propheten
und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine
bleibende Institution geworden: von Rechts wegen stand dem König der
Geten ein solcher Gott zur Seite, aus dessen Munde alles kam oder zu
kommen schien, was der König befahl. Diese eigentümliche Verfassung, in
der die theokratische Idee der, wie es scheint, absoluten Königsgewalt
dienstbar geworden war, mag den getischen Königen eine Stellung ihren
Untertanen gegenüber gegeben haben, wie etwa die Kalifen sie gegenüber
den Arabern haben; und eine Folge davon war die wunderbare
religiös-politische Reform der Nation, welche um diese Zeit der König
der Geten, Burebistas, und der Gott, Dekäneos, durchsetzten. Das
namentlich durch beispiellose Völlerei sittlich und staatlich gänzlich
heruntergekommene Volk ward durch das neue Mäßigkeits- und
Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen sozusagen puritanisch
disziplinierten und begeisterten Scharen gründete König Burebistas
binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der
Donau sich ausbreitete und südwärts bis tief in Thrakien, Illyrien und
das nordische Land hinein reichte. Eine unmittelbare Berührung mit den
Römern hatte noch nicht stattgefunden, und es konnte niemand sagen, was
aus diesem sonderbaren, an die Anfänge des Islam erinnernden Staat
werden möge; das aber mochte man, auch ohne Prophet zu sein,
vorherzusagen, daß Prokonsuln wie Antonius und Piso nicht berufen
waren, mit Göttern zu streiten.
KAPITEL VIII.
Pompeius’ und Caesars Gesamtherrschaft
Unter den Demokratenchefs, die seit Caesars Konsulat sozusagen
offiziell als die gemeinschaftlichen Beherrscher des Gemeinwesens, als
die regierenden “Dreimänner” anerkannt waren, nahm der öffentlichen
Meinung zufolge durchaus die erste Stelle Pompeius ein. Er war es, der
den Optimaten der “Privatdiktator” hieß; vor ihm tat Cicero seinen
vergeblichen Fußfall; ihm galten die schärfsten Sarkasmen in den
Mauerplakaten des Bibulus, die giftigsten Pfeile in den Salonreden der
Opposition. Es war dies nur in der Ordnung. Nach den vorliegenden
Tatsachen war Pompeius unbestritten der erste Feldherr seiner Zeit,
Caesar ein gewandter Parteiführer und Parteiredner, von unleugbaren
Talenten, aber ebenso notorisch von unkriegerischem, ja weibischem
Naturell. Diese Urteile waren seit langem geläufig; man konnte es von
dem vornehmen Pöbel nicht erwarten, daß er um das Wesen der Dinge sich
kümmere und einmal festgestellte Plattheiten wegen obskurer Heldentaten
am Tajo aufgebe. Offenbar spielte Caesar in dem Bunde nur die Rolle des
Adjutanten, der das für seinen Chef ausführte, was Flavius, Afranius
und andere, weniger fähige Werkzeuge versucht und nicht geleistet
hatten. Selbst seine Statthalterschaft schien dies Verhältnis nicht zu
ändern. Eine sehr ähnliche Stellung hatte erst kürzlich Afranius
eingenommen, ohne darum etwas Besonderes zu bedeuten; mehrere Provinzen
zugleich waren in den letzten Jahren wiederholentlich einem Statthalter
untergeben und schon oft weit mehr als vier Legionen in einer Hand
vereinigt gewesen; da es jenseits der Alpen wieder ruhig und Fürst
Ariovist von den Römern als Freund und Nachbar anerkannt war, so war
auch keine Aussicht zur Führung eines irgend ins Gewicht fallenden
Krieges. Die Vergleichung der Stellungen, wie sie Pompeius durch das
Gabinisch-Manilische, Caesar durch das Vatinische Gesetz erhalten
hatten, lag nahe; allein sie fiel nicht zu Caesars Vorteil aus.
Pompeius gebot fast über das gesamte Römische Reich, Caesar über zwei
Provinzen. Pompeius standen die Soldaten und die Kassen des Staats
beinahe unbeschränkt zur Verfügung, Caesar nur die ihm angewiesenen
Summen und ein Heer von 24000 Mann. Pompeius war es anheimgegeben, den
Zeitpunkt seines Rücktritts selber zu bestimmen; Caesars Kommando war
ihm zwar auf lange hinaus, aber doch nur auf eine begrenzte Frist
gesichert. Pompeius endlich war mit den wichtigsten Unternehmungen zur
See und zu Lande betraut worden; Caesar ward nach Norden gesandt, um
von Oberitalien aus die Hauptstadt zu überwachen und dafür zu sorgen,
daß Pompeius ungestört sie beherrsche.
Aber als Pompeius von der Koalition zum Beherrscher der Hauptstadt
bestellt ward, übernahm er, was über seine Kräfte weit hinausging.
Pompeius verstand vom Herrschen nichts weiter, als was sich
zusammenfassen läßt in Parole und Kommando. Die Wellen des
hauptstädtischen Treibens gingen hohl, zugleich von vergangenen und von
zukünftigen Revolutionen; die Aufgabe, diese in jeder Hinsicht dem
Paris des neunzehnten Jahrhunderts vergleichbare Stadt ohne bewaffnete
Macht zu regieren, war unendlich schwer, für jenen eckigen vornehmen
Mustersoldaten aber geradezu unlösbar. Sehr bald war er so weit, daß
Feinde und Freunde, beide ihm gleich unbequem, seinetwegen machen
konnten, was ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von Rom beherrschte
die Koalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber nicht die Straßen
der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch eine Art nominellen
Regiments zustand, ließ die Dinge in der Hauptstadt gehen, wie sie
gehen konnten und mochten; zum Teil, weil der von der Koalition
beherrschten Fraktion dieser Körperschaft die Instruktionen der
Machthaber fehlten, zum Teil, weil die grollende Opposition aus
Gleichgültigkeit oder Pessimismus beiseite trat, hauptsächlich aber,
weil die gesamte hochadlige Körperschaft ihre vollständige Ohnmacht wo
nicht zu begreifen, doch zu fühlen begann. Augenblicklich also gab es
in Rom nirgends eine Widerstandskraft irgendwelcher Regierung, nirgends
eine wirkliche Autorität. Man lebte im Interregnum zwischen dem
zertrümmerten aristokratischen und dem werdenden militärischen
Regiment; und wenn das römische Gemeinwesen wie kein anderes alter oder
neuer Zeit alle verschiedensten politischen Funktionen und
Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint in ihm
auch die politische Desorganisation, die Anarchie, in einer nicht
beneidenswerten Schärfe. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in
denselben Jahren, in welchen Caesar jenseits der Alpen ein Werk für die
Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten politischen Grotesken
aufgeführt ward, die jemals über die Bretter der Weltgeschichte
gegangen ist. Der neue Regent des Gemeinwesens regierte nicht, sondern
schloß sich in sein Haus ein und maulte im stillen. Die ehemalige, halb
abgesetzte Regierung regierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald
einzeln in den traulichen Zirkeln der Villen, bald in der Kurie im
Chor. Der Teil der Bürgerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am
Herzen lagen, war des wüsten Treibens übersatt; aber völlig führer- und
ratlos verharrte er in nichtiger Passivität und mied nicht bloß jede
politische Tätigkeit, sondern, soweit es anging, das politische Sodom
selbst. Dagegen: das Gesindel aller Art hatte nie bessere Tage, nie
lustigere Tummelplätze gehabt. Die Zahl der kleinen großen Männer war
Legion. Die Demagogie ward völlig zum Handwerk, dem denn auch das
Handwerkszeug nicht fehlte: der verschabte Mantel, der verwilderte
Bart, das langflatternde Haar, die tiefe Baßstimme; und nicht selten
war es ein Handwerk mit goldenem Boden. Für die stehenden Brüllaktionen
waren die geprüften Gurgeln des Theaterpersonals ein begehrter Artikel
^1; Griechen und Juden, Freigelassene und Sklaven waren in den
öffentlichen Versammlungen die regelmäßigsten Besucher und die
lautesten Schreier; selbst wenn es zum Stimmen ging, bestand häufig nur
der kleinere Teil der Stimmenden aus verfassungsmäßig stimmberechtigten
Bürgern. “Nächstens”, heißt es in einem Briefe aus dieser Zeit, “können
wir erwarten, daß unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotieren.”
Die eigentlichen Mächte des Tages waren die geschlossenen und
bewaffneten Banden, die von vornehmen Abenteurern aus fechtgewohnten
Sklaven und Lumpen aufgestellten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber
hatten von Haus aus meistenteils zur Popularpartei gezählt; aber seit
Caesars Entfernung, der der Demokratie allein zu imponieren und allein
sie zu lenken verstanden hatte, war aus derselben alle Disziplin
entwichen und jeder Parteigänger machte Politik auf seine eigene Hand.
Am liebsten fochten diese Leute freilich auch jetzt noch unter dem
Panier der Freiheit; aber genau genommen waren sie weder demokratisch
noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben auf die einmal
unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald den Volksnamen, bald den Namen
des Senats oder den eines Parteichefs; wie denn zum Beispiel Clodius
nacheinander für die herrschende Demokratie, für den Senat und für
Crassus gefochten oder zu fechten vorgegeben hat. Farbe hielten die
Bandenführer nur insofern, als sie ihre persönlichen Feinde, wie
Clodius den Cicero, Milo den Clodius, unerbittlich verfolgten, wogegen
die Parteistellung ihnen nur als Schachzug in diesen Personenfehden
diente. Man könnte ebensogut ein Charivari auf Noten setzen als die
Geschichte dieses politischen Hexensabbaths schreiben wollen; es liegt
auch nichts daran, all die Mordtaten, Häuserbelagerungen,
Brandstiftungen und sonstigen Räuberszenen inmitten einer Weltstadt
aufzuzählen und nachzurechnen, wie oft die Skala vom Zischen und
Schreien zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen und
Schwerterzücken durchgemacht ward. Der Protagonist auf diesem
politischen Lumpentheater war jener Publius Clodius, dessen, wie schon
erwähnt ward, die Machthaber sich gegen Cato und Cicero bedienten. Sich
selbst überlassen, trieb dieser einflußreiche, talentvolle, energische
und in seinem Metier in der Tat musterhafte Parteigänger während seines
Volkstribunats (696 58) ultrademokratische Politik, gab den Städtern
das Getreide umsonst, beschränkte das Recht der Zensoren, sittenlose
Bürger zu bemäkeln, untersagte den Beamten, durch religiöse
Formalitäten den Gang der Komitialmaschine zu hemmen, beseitigte die
Schranken, die kurz zuvor (690 64), um dem Bandenwesen zu steuern, dem
Assoziationsrecht der niederen Klassen gesetzt worden waren, und
stellte die damals aufgehobenen “Straßenklubs” (collegia compitalicia)
wieder her, welche nichts anderes waren als eine förmliche, nach den
Gassen abgeteilte und fast militärisch gegliederte Organisation des
gesamten hauptstädtischen Freien- oder Sklavenproletariats. Wenn dazu
noch das weitere Gesetz, das Clodius ebenfalls bereits entworfen hatte
und als Prätor 702 (52) einzubringen gedachte, den Freigelassenen und
den im tatsächlichen Besitz der Freiheit lebenden Sklaven die gleichen
politischen Rechte mit den Freigeborenen gab, so konnte der Urheber all
dieser tapferen Verfassungsbesserungen sein Werk für vollendet erklären
und als neuer Numa der Freiheit und Gleichheit den süßen Pöbel der
Hauptstadt einladen, in dem auf einer seiner Brandstätten am Palatin
von ihm errichteten Tempel der Freiheit ihn zur Feier des eingetretenen
demokratischen Millenniums das Hochamt zelebrieren zu sehen. Natürlich
schlossen diese Freiheitsbestrebungen den Schacher mit
Bürgerschaftsbeschlüssen nicht aus; wie Caesar hielt auch Caesars Affe
für seine Mitbürger Statthalterschaften und andere Posten und Pöstchen,
für die untertänigen Könige und Städte die Herrlichkeitsrechte des
Staates feil.
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^1 Das heißt cantorum convicio contiones celebrare (Cic. Sest. 55,
118).
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All diesen Dingen sah Pompeius zu, ohne sich zu regen. Wenn er es nicht
empfand, wie arg er damit sich kompromittierte, so empfand es sein
Gegner. Clodius ward so dreist, daß er über eine ganz gleichgültige
Frage, die Rücksendung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem
Regenten von Rom geradezu anband; und bald ward der Zwist zur
förmlichen Fehde, in der Pompeius’ völlige Hilflosigkeit zu Tage kam.
Das Haupt des Staates wußte dem Parteigänger nichts anders zu begegnen
als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter geführten Waffen. War er
von Clodius wegen des armenischen Prinzen schikaniert worden, so
ärgerte er ihn wieder, indem er den von Clodius über alles gehaßten
Cicero aus dem Exil erlöste, in das ihn Clodius gesandt hatte, und
erreichte denn auch so gründlich seinen Zweck, daß er den Gegner in
einen unversöhnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden
die Straßen unsicher machte, so ließ der siegreiche Feldherr
gleichfalls Sklaven und Fechter marschieren, in welchen Balgereien
natürlich der General gegen den Demagogen den kürzeren zog, auf der
Straße geschlagen, und von Clodius und dessen Spießgesellen Gaius Cato
in seinem Garten fast beständig in Belagerung gehalten ward. Es ist
nicht der am wenigsten merkwürdige Zug in diesem merkwürdigen
Schauspiel, daß in ihrem Hader der Regent und der Schwindler beide
wetteifernd um die Gunst der gestürzten Regierung buhlten, Pompeius,
zum Teil auch, um dem Senat gefällig zu sein, Ciceros Zurückberufung
zuließ, Clodius dagegen die Julischen Gesetze für nichtig erklärte und
Marcus Bibulus aufrief, deren verfassungswidrige Durchbringung
öffentlich zu bezeugen!
Ein positives Resultat konnte natürlicherweise aus diesem Brodel trüber
Leidenschaften nicht hervorgehen; der eigentlichste Charakter desselben
war eben seine bis zum Gräßlichen lächerliche Zwecklosigkeit. Selbst
ein Mann von Caesars Genialität hatte es erfahren müssen, daß das
demokratische Treiben vollständig abgenutzt war und sogar der Weg zum
Thron nicht mehr durch die Demagogie ging. Es war nichts weiter als ein
geschichtlicher Lückenbüßer, wenn jetzt, in dem Interregnum zwischen
Republik und Monarchie, irgendein toller Geselle mit des Propheten
Mantel und Stab, die Caesar selbst abgelegt hatte, sich noch einmal
staffierte und noch einmal Gaius Gracchus’ große Ideale parodisch
verzerrt über die Szene gingen; die sogenannte Partei, von der diese
demokratische Agitation ausging, war so wenig eine, daß ihr später in
dem Entscheidungskampf nicht einmal eine Rolle zufiel. Selbst das läßt
sich nicht behaupten, daß durch diesen anarchistischen Zustand das
Verlangen nach einer starken, auf Militärmacht gegründeten Regierung in
den Gemütern der politisch indifferent Gesinnten lebendig angefacht
worden sei. Auch abgesehen davon, daß diese neutrale Bürgerschaft
hauptsächlich außerhalb Roms zu suchen war und also von dem
hauptstädtischen Krawallieren nicht unmittelbar berührt ward, so waren
diejenigen Gemüter, die überhaupt durch solche Motive sich bestimmen
ließen, schon durch frühere Erfahrungen, namentlich die Catilinarische
Verschwörung, gründlich zum Autoritätsprinzip bekehrt worden; auf die
eigentlichen Ängsterlinge aber wirkte die Furcht vor der von dem
Verfassungsumsturz unzertrennlichen, ungeheuren Krise bei weitem
nachdrücklicher als die Furcht vor der bloßen Fortdauer der im Grunde
doch sehr oberflächlichen hauptstädtischen Anarchie. Das einzige
Ergebnis derselben, das geschichtlich in Anschlag kommt, ist die
peinliche Stellung, in die Pompeius durch die Angriffe der Clodianer
geriet und durch die seine weiteren Schritte wesentlich mitbedingt
wurden.
Wie wenig Pompeius auch die Initiative liebte und verstand, so ward er
doch diesmal durch die Veränderung seiner Stellung sowohl Clodius als
Caesar gegenüber gezwungen, aus seiner bisherigen Passivität
herauszutreten. Die verdrießliche und schimpfliche Lage, in die ihn
Clodius versetzt hatte, mußte auf die Länge selbst seine träge Natur zu
Haß und Zorn entflammen. Aber weit wichtiger war die Verwandlung, die
in seinem Verhältnis zu Caesar stattgefunden hatte. Wenn von den beiden
verbündeten Machthabern Pompeius in der übernommenen Tätigkeit
vollkommen bankrott geworden war, so hatte Caesar aus seiner Kompetenz
etwas zu machen gewußt, was jede Berechnung wie jede Befürchtung weit
hinter sich ließ. Ohne wegen der Erlaubnis viel anzufragen, hatte
Caesar durch Aushebungen in seiner großenteils von römischen Bürgern
bewohnten südlichen Provinz sein Heer verdoppelt, hatte mit diesem,
statt von Norditalien aus über Rom Wache zu halten, die Alpen
überschritten, eine neue kimbrische Invasion im Beginn erstickt und
binnen zwei Jahren (696, 697 58, 57) die römischen Waffen bis an den
Rhein und den Kanal getragen. Solchen Tatsachen gegenüber ging selbst
der aristokratischen Taktik des Ignorierens und Verkleinerns der Atem
aus. Der oft als Zärtling Verhöhnte war jetzt der Abgott der Armee, der
gefeierte sieggekrönte Held, dessen junge Lorbeeren die welken des
Pompeius überglänzten und dem sogar der Senat die nach glücklichen
Feldzügen üblichen Ehrenbezeigungen schon 697 (57) in reicherem Maße
zuerkannte, als sie je Pompeius zuteil geworden waren. Pompeius stand
zu seinem ehemaligen Adjutanten, genau wie nach den
Gabinisch-Manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden hatte. Jetzt
war Caesar der Held des Tages und der Herr der mächtigsten römischen
Armee, Pompeius ein ehemals berühmter Exgeneral. Zwar war es zwischen
Schwiegervater und Schwiegersohn noch zu keiner Kollision gekommen und
das Verhältnis äußerlich ungetrübt; aber jedes politische Bündnis ist
innerlich aufgelöst, wenn das Machtverhältnis der Beteiligten sich
wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clodius nur ärgerlich war, so
lag in der veränderten Stellung Caesars für Pompeius eine sehr ernste
Gefahr: ebenwie einst Caesar und dessen Verbündete gegen ihn, so sah
jetzt er sich genötigt, gegen Caesar einen militärischen Rückhalt zu
suchen und, seine stolze Amtlosigkeit beiseitelegend, aufzutreten als
Bewerber um irgendein außerordentliches Amt, das ihn in den Stand
setzte, dem Statthalter der beiden Gallien mit gleicher und womöglich
mit überlegener Macht zur Seite zu bleiben. Wie seine Lage, war auch
seine Taktik genau die Caesars während des Mithradatischen Krieges. Um
die Militärmacht des überlegenen, aber noch entfernten Gegners durch
die Erlangung eines ähnlichen Kommandos aufzuwiegen, bedurfte Pompeius
zunächst der offiziellen Regierungsmaschine. Anderthalb Jahre zuvor
hatte diese unbedingt ihm zur Verfügung gestanden. Die Machthaber
beherrschten den Senat damals sowohl durch die Komitien, die ihnen als
den Herren der Straße unbedingt gehorchten, wie durch den von Caesar
energisch terrorisierten Senat; als Vertreter der Koalition in Rom und
als deren anerkanntes Haupt hätte Pompeius vom Senat wie von der
Bürgerschaft ohne Zweifel jeden Beschluß erlangt, den er wünschte,
selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein durch den
ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die Straßenherrschaft
eingebüßt und konnte nicht daran denken, einen Antrag zu seinen Gunsten
bei der Volksgemeinde durchzusetzen. Nicht ganz so ungünstig standen
die Dinge für ihn im Senat; doch war es auch hier zweifelhaft, ob
Pompeius nach dieser langen und verhängnisvollen Passivität die Zügel
der Majorität noch fest genug in der Hand habe, um einen Beschluß, wie
er ihn brauchte, zu bewirken.
Auch die Stellung des Senats, oder vielmehr der Nobilität überhaupt,
war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer vollständigen
Erniedrigung schöpfte sie frische Kräfte. Es war bei der Koalition von
694 (60) verschiedenes an den Tag gekommen, was für das Sonnenlicht
noch keineswegs reif war. Die Entfernung Catos und Ciceros, welche die
öffentliche Meinung, wie sehr auch die Machthaber dabei sich
zurückhielten und sogar sich die Miene gaben, sie zu beklagen, mit
ungeirrtem Takt auf ihre wahren Urheber zurückführte, und die
Verschwägerung zwischen Caesar und Pompeius erinnerten mit
unerfreulicher Deutlichkeit an monarchische Ausweisungsdekrete und
Familienallianzen. Auch das größere Publikum, das den politischen
Ereignissen ferner stand, ward aufmerksam auf die immer bestimmter
hervortretenden Grundlagen der künftigen Monarchie. Von dem Augenblick
an, wo dieses begriff, daß es Caesar nicht um eine Modifikation der
republikanischen Verfassung zu tun sei, sondern daß es sich handle um
Sein oder Nichtsein der Republik, werden unfehlbar eine Menge der
besten Männer, die bisher sich zur Popularpartei gerechnet und in
Caesar ihr Haupt verehrt hatten, auf die entgegengesetzte Seite
übergetreten sein. Nicht mehr in den Salons und den Landhäusern des
regierenden Adels allein wurden die Reden von den “drei Dynasten”, dem
“dreiköpfigen Ungeheuer” vernommen. Caesars konsularischen Reden
horchte die Menge dichtgedrängt, ohne daß Zuruf oder Beifall aus ihr
erscholl; keine Hand regte sich zum Klatschen, wenn der demokratische
Konsul in das Theater trat. Wohl aber pfiff man, wo eines der Werkzeuge
der Machthaber öffentlich sich sehen ließ, und selbst gesetzte Männer
klatschten, wenn ein Schauspieler eine antimonarchische Sentenz oder
eine Anspielung gegen Pompeius vorbrachte. Ja als Cicero ausgewiesen
werden sollte, legten eine große Zahl - angeblich zwanzigtausend -
Bürger, größtenteils aus den Mittelklassen, nach dem Beispiel des
Senats das Trauergewand an. “Nichts ist jetzt populärer”, heißt es in
einem Briefe aus dieser Zeit, “als der Haß der Popularpartei.” Die
Machthaber ließen Andeutungen fallen, daß durch solche Opposition
leicht die Ritter ihre neuen Sonderplätze im Theater, der gemeine Mann
sein Brotkorn einbüßen könne; man nahm darauf mit den Äußerungen des
Unwillens sich vielleicht etwas mehr in acht, aber die Stimmung blieb
die gleiche. Mit besserem Erfolg ward der Hebel der materiellen
Interessen angesetzt. Caesars Gold floß in Strömen. Scheinreiche mit
zerrütteten Finanzen, einflußreiche, in Geldverlegenheiten befangene
Damen, verschuldete junge Adlige, bedrängte Kaufleute und Bankiers
gingen entweder selbst nach Gallien, um an der Quelle zu schöpfen, oder
wandten sich an Caesars hauptstädtische Agenten; und nicht leicht ward
ein äußerlich anständiger Mann - mit ganz verlorenem Gesindel mied
Caesar sich einzulassen - dort oder hier zurückgewiesen. Dazu kamen die
ungeheuren Bauten, die Caesar für seine Rechnung in der Hauptstadt
ausführen ließ und bei denen eine Unzahl von Menschen aller Stände vom
Konsular bis zum Lastträger hinab Gelegenheit fand zu verdienen, sowie
die unermeßlichen, für öffentliche Lustbarkeiten aufgewandten Summen.
In beschränkterem Maße tat Pompeius das gleiche; ihm verdankte die
Hauptstadt das erste steinerne Theater, und er feierte dessen
Einweihung mit einer nie zuvor gesehenen Pracht. Daß solche Spenden
eine Menge oppositionell Gesinnter, namentlich in der Hauptstadt, mit
der neuen Ordnung der Dinge bis zu einem gewissen Grade aussöhnten,
versteht sich ebenso von selbst, wie daß der Kern der Opposition diesem
Korruptionssystem nicht erreichbar war. Immer deutlicher kam es zu
Tage, wie tief die bestehende Verfassung im Volke Wurzel geschlagen
hatte und wie wenig namentlich die dem unmittelbaren Parteitreiben
ferner stehenden Kreise, vor allem die Landstädte, der Monarchie
geneigt oder auch nur bereit waren, sie über sich ergehen zu lassen.
Hätte Rom eine Repräsentativverfassung gehabt, so würde die
Unzufriedenheit der Bürgerschaft ihren natürlichen Ausdruck in den
Wahlen gefunden und, indem sie sich aussprach, sich gesteigert haben;
unter den bestehenden Verhältnissen blieb den Verfassungstreuen nichts
übrig als dem Senat, der, herabgekommen wie er war, doch immer noch als
Vertreter und Verfechter der legitimen Republik erschien, sich
unterzuordnen. So kam es, daß der Senat, jetzt da er gestürzt worden
war, plötzlich eine weit ansehnlichere und weit ernstlicher getreue
Armee zu seiner Verfügung fand, als da er in Macht und Glanz die
Gracchen stürzte und, geschirmt durch Sullas Säbel, den Staat
restaurierte. Die Aristokratie empfand es; sie fing wieder an sich zu
regen. Eben jetzt hatte Marcus Cicero, nachdem er sich verpflichtet
hatte, den Gehorsam im Senat sich anzuschließen und nicht bloß keine
Opposition zu machen, sondern nach Kräften für die Machthaber zu
wirken, von denselben die Erlaubnis zur Rückkehr erhalten. Obwohl
Pompeius der Oligarchie hiermit nur beiläufig eine Konzession machte
und vor allem dem Clodius einen Possen zu spielen, demnächst ein durch
hinreichende Schläge geschmeidigtes Werkzeug in dem redefertigen
Konsular zu erwerben bedacht war, so nahm man doch die Gelegenheit
wahr, wie Ciceros Verbannung eine Demonstration gegen den Senat gewesen
war, so seine Rückkehr zu republikanischen Demonstrationen zu benutzen.
In möglichst feierlicher Weise, übrigens gegen die Clodianer durch die
Bande des Titus Annius Milo geschützt, brachten beide Konsuln nach
vorgängigem Senatsbeschluß einen Antrag an die Bürgerschaft, dem
Konsular Cicero die Rückkehr zu gestatten, und der Senat rief sämtliche
verfassungstreue Bürger auf, bei der Abstimmung nicht zu fehlen.
Wirklich versammelte sich am Tage der Abstimmung (4. August 697 57) in
Rom namentlich aus den Landstädten eine ungewöhnliche Anzahl achtbarer
Männer. Die Reise des Konsulars von Brundisium nach der Hauptstadt gab
Gelegenheit zu einer Reihe ähnlicher, nicht minder glänzender
Manifestationen der öffentlichen Meinung. Das neue Bündnis zwischen dem
Senat und der verfassungstreuen Bürgerschaft ward bei dieser
Gelegenheit gleichsam öffentlich bekannt gemacht und eine Art Revue
über die letztere gehalten, deren überraschend günstiges Ergebnis nicht
wenig dazu beitrug, den gesunkenen Mut der Aristokratie
wiederaufzurichten. Pompeius’ Hilflosigkeit gegenüber diesen trotzigen
Demonstrationen sowie die unwürdige und beinahe lächerliche Stellung,
in die er Clodius gegenüber geraten war, brachten ihn und die Koalition
um ihren Kredit; und die Fraktion des Senats, welche derselben anhing,
durch Pompeius’ seltene Ungeschicklichkeit demoralisiert und ratlos
sich selber überlassen, konnte nicht verhindern, daß in dem Kollegium
die republikanisch-aristokratische Partei wieder völlig die Oberhand
gewann. Das Spiel dieser stand in der Tat damals - 697 (57) - für einen
mutigen und geschickten Spieler noch keineswegs verzweifelt. Sie hatte
jetzt, was sie seit einem Jahrhundert nicht gehabt, festen Rückhalt in
dem Volke; vertraute sie diesem und sich selber, so konnte sie auf dem
kürzesten und ehrenvollsten Wege zum Ziel gelangen. Warum nicht die
Machthaber mit offenem Visier angreifen? Warum kassierte nicht ein
entschlossener und namhafter Mann an der Spitze des Senats die
außerordentlichen Gewalten als verfassungswidrig und rief die
sämtlichen Republikaner Italiens gegen die Tyrannen und deren Anhang
unter die Waffen? Möglich war es wohl, auf diesem Wege die
Senatsherrschaft noch einmal zu restaurieren. Allerdings spielten die
Republikaner damit hohes Spiel; aber vielleicht wäre auch hier, wie so
oft, der mutigste Entschluß zugleich der klügste gewesen. Nur freilich
war die schlaffe Aristokratie dieser Zeit eines solchen einfachen und
mutigen Entschlusses kaum noch fähig. Aber es gab einen anderen,
vielleicht sichereren, auf jeden Fall der Art und Natur dieser
Verfassungsgetreuen angemesseneren Weg: sie konnten darauf hinarbeiten,
die beiden Machthaber zu entzweien und durch diese Entzweiung
schließlich selber ans Ruder zu gelangen. Das Verhältnis der den Staat
beherrschenden Männer hatte sich verschoben und gelockert, seit Caesar
übermächtig neben Pompeius sich gestellt und diesen genötigt hatte, um
eine neue Machtstellung zu werben; es war wahrscheinlich, daß, wenn er
dieselbe erlangte, es damit auf die eine oder die andere Weise zwischen
ihnen zum Bruch und zum Kampfe kam. Blieb in diesem Pompeius allein, so
war seine Niederlage kaum zweifelhaft, und die Verfassungspartei fand
in diesem Fall nach beendigtem Kampfe nur statt unter der Zwei-, sich
unter der Einherrschaft. Allein, wenn die Nobilität gegen Caesar
dasselbe Mittel wandte, durch das dieser seine bisherigen Siege
erfochten hatte, und mit dem schwächeren Nebenbuhler in Bündnis trat,
so blieb mit einem Feldherrn wie Pompeius, mit einem Heere wie das der
Verfassungstreuen war, der Sieg wahrscheinlich diesen; nach dem Siege
aber mit Pompeius fertig zu werden, konnte, nach den Beweisen von
politischer Unfähigkeit, die derselbe zeither gegeben, nicht als eine
besonders schwierige Aufgabe erscheinen.
Die Dinge hatten sich dahin gewandt, eine Verständigung zwischen
Pompeius und der republikanischen Partei beiden nahezulegen; ob es zu
einer solchen Annäherung kommen und wie überhaupt das völlig unklar
gewordene Verhältnis der beiden Machthaber und der Aristokratie
gegeneinander zunächst sich stellen werde, mußte sich entscheiden, als
im Herbst 697 (57) Pompeius mit dem Antrag an den Senat ging, ihn mit
einer außerordentlichen Amtsgewalt zu betrauen. Er knüpfte wieder an an
das, wodurch er elf Jahre zuvor seine Macht begründet hatte: an die
Brotpreise in der Hauptstadt, die ebendamals wie vor dem Gabinischen
Gesetz eine drückende Höhe erreicht hatten. Ob sie durch besondere
Machinationen hinaufgetrieben worden waren, wie deren Clodius bald dem
Pompeius, bald dem Cicero und diese wieder jenem Schuld gaben, läßt
sich nicht entscheiden; die fortdauernde Piraterie, die Leere des
öffentlichen Schatzes und die lässige und unordentliche Überwachung der
Kornzufuhr durch die Regierung reichten übrigens auch ohne politischen
Kornwucher an sich schon vollkommen aus, um in einer fast lediglich auf
überseeische Zufuhr angewiesenen Großstadt Brotteuerungen
herbeizuführen. Pompeius’ Plan war, sich vom Senat die Oberaufsicht
über das Getreidewesen im ganzen Umfang des Römischen Reiches und zu
diesem Endzwecke teils das unbeschränkte Verfügungsrecht über die
römische Staatskasse, teils Heer und Flotte übertragen zu lassen, sowie
ein Kommando, welches nicht bloß über das ganze Römische Reich sich
erstreckte, sondern dem auch in jeder Provinz das des Statthalters wich
- kurz, er beabsichtigte, eine verbesserte Auflage des Gabinischen
Gesetzes zu veranstalten, woran sich sodann die Führung des eben damals
schwebenden Ägyptischen Krieges ebenso von selbst angeschlossen haben
würde wie die des Mithradatischen an die Razzia gegen die Piraten. Wie
sehr auch die Opposition gegen die neuen Dynasten in den letzten Jahren
Boden gewonnen hatte, es stand dennoch, als diese Angelegenheit im
September 697 (57) im Senat zur Verhandlung kam, die Majorität
desselben noch unter dem Bann des von Caesar erregten Schreckens.
Gehorsam nahm sie den Vorschlag im Prinzip an, und zwar auf Antrag des
Marcus Cicero, der hier den ersten Beweis der in der Verbannung
gelernten Fügsamkeit geben sollte und gab. Allein bei der Feststellung
der Modalitäten wurden von dem ursprünglichen Plane, den der
Volkstribun Gaius Messius vorlegte, doch sehr wesentliche Stücke
abgedungen. Pompeius erhielt weder freie Verfügung über das Ärar, noch
eigene Legionen und Schiffe, noch auch eine der der Statthalter
übergeordnete Gewalt, sondern man begnügte sich, ihm zum Behuf der
Ordnung des hauptstädtischen Verpflegungswesens ansehnliche Summen,
fünfzehn Adjutanten und in allen Verpflegungsangelegenheiten volle
prokonsularische Gewalt im ganzen römischen Gebiet auf die nächsten
fünf Jahre zu bewilligen und dies Dekret von der Bürgerschaft
bestätigen zu lassen. Es waren sehr mannigfaltige Ursachen, welche
diese, fast einer Ablehnung gleichkommende Abänderung des
ursprünglichen Planes herbeiführten: die Rücksicht auf Caesar, dem in
Gallien selbst seinen Kollegen nicht bloß neben-, sondern überzuordnen
eben die Furchtsamsten am meisten Bedenken tragen mußten; die
versteckte Opposition von Pompeius’ Erbfeind und widerwilligem
Bundesgenossen Crassus, dem Pompeius selber zunächst das Scheitern
seines Planes beimaß oder beizumessen vorgab; die Antipathien der
republikanischen Opposition im Senat gegen jeden die Gewalt der
Machthaber der Sache oder auch nur dem Namen nach erweiternden
Beschluß; endlich und zunächst die eigene Unfähigkeit des Pompeius,
der, selbst nachdem er hatte handeln müssen, es nicht über sich
gewinnen konnte, zum Handeln sich zu bekennen, sondern wie immer seine
wahre Absicht gleichsam im Inkognito durch seine Freunde vorführen
ließ, selber aber in bekannter Bescheidenheit erklärte, auch mit
Geringerem sich begnügen zu wollen. Kein Wunder, daß man ihn beim Worte
nahm und ihm das Geringere gab. Pompeius war nichtsdestoweniger froh,
wenigstens eine ernstliche Tätigkeit und vor allen Dingen einen
schicklichen Vorwand gefunden zu haben, um die Hauptstadt zu verlassen;
es gelang ihm auch, freilich nicht ohne daß die Provinzen den
Rückschlag schwer empfanden, dieselbe mit reichlicher und billiger
Zufuhr zu versehen. Aber seinen eigentlichen Zweck hatte er verfehlt;
der Prokonsulartitel, den er berechtigt war in allen Provinzen zu
führen, blieb ein leerer Name, solange er nicht über eigene Truppen
verfügte. Darum ließ er bald darauf den zweiten Antrag an den Senat
gelangen, daß derselbe ihm den Auftrag erteilen möge, den vertriebenen
König von Ägypten, wenn nötig mit Waffengewalt, in seine Heimat
zurückzuführen. Allein je mehr es offenbar ward, wie dringend er des
Senats bedurfte, desto weniger nachgiebig und weniger rücksichtsvoll
nahmen die Senatoren sein Anliegen auf. Zunächst ward in den
Sibyllinischen Orakeln entdeckt, daß es gottlos sei, ein römisches Heer
nach Ägypten zu senden; worauf der fromme Senat fast einstimmig
beschloß, von der bewaffneten Intervention abzustehen. Pompeius war
bereits so gedemütigt, daß er auch ohne Heer die Sendung angenommen
haben würde; allein in seiner unverbesserlichen Hinterhältigkeit ließ
er auch dies nur durch seine Freunde erklären und sprach und stimmte
für die Absendung eines anderen Senators. Natürlich wies der Senat
jenen Vorschlag zurück, der ein dem Vaterlande so kostbares Leben
freventlich preisgab, und das schließliche Ergebnis der endlosen
Verhandlungen war der Beschluß, überhaupt in Ägypten nicht zu
intervenieren (Januar 698 56).
Diese wiederholten Zurückweisungen, die Pompeius im Senat erfuhr und,
was schlimmer war, hingehen lassen mußte, ohne sie wettzumachen, galten
natürlich, mochten sie kommen von welcher Seite sie wollten, dem großen
Publikum als ebensoviele Siege der Republikaner und Niederlagen der
Machthaber überhaupt; die Flut der republikanischen Opposition war
demgemäß im stetigen Steigen. Schon die Wahlen für 698 (56) waren nur
zum Teil im Sinne der Dynasten ausgefallen: Caesars Kandidaten für die
Prätur, Publius Vatinius und Gaius Alfius, waren durchgegangen, dagegen
zwei entschiedene Anhänger der gestürzten Regierung, Gnaeus Lentulus
Marcellinus und Gnaeus Domitius Calvinus, jener zum Konsul, dieser zum
Prätor gewählt worden. Für 699 (55) aber war als Bewerber um das
Konsulat gar Lucius Domitius Ahenobarbus aufgetreten, dessen Wahl bei
seinem Einfluß in der Hauptstadt und seinem kolossalen Vermögen schwer
zu verhindern und von dem es hinreichend bekannt war, daß er sich nicht
an verdeckter Opposition werde genügen lassen. Die Komitien also
rebellierten; und der Senat stimmte ein. Es ward feierlich von ihm
geratschlagt über ein Gutachten, das etruskische Wahrsager von
anerkannter Weisheit über gewisse Zeichen und Wunder auf Verlangen des
Senats abgegeben hatten. Die himmlische Offenbarung verkündete, daß
durch den Zwist der höheren Stände die ganze Gewalt über Heer und
Schatz auf einen Gebieter überzugehen und der Staat in Unfreiheit zu
geraten drohe - es schien, daß die Götter zunächst auf den Antrag des
Gaius Messius zielten. Bald stiegen die Republikaner vom Himmel auf die
Erde herab. Das Gesetz über das Gebiet von Capua und die übrigen von
Caesar als Konsul erlassenen Gesetze waren von ihnen stets als nichtig
bezeichnet, und schon im Dezember 697 (57) im Senat geäußert worden,
daß es erforderlich sei, sie wegen ihrer Formfehler zu kassieren. Am 6.
April 698 (56) stellte der Konsular Cicero im vollen Senat den Antrag,
die Beratung über die kampanische Ackerverteilung für den 15. Mai auf
die Tagesordnung zu setzen. Es war die förmliche Kriegserklärung; und
sie war um so bezeichnender, als sie aus dem Munde eines jener Männer
kam, die nur dann ihre Farbe zeigen, wenn sie meinen, es mit Sicherheit
tun zu können. Offenbar hielt die Aristokratie den Augenblick gekommen,
um den Kampf nicht mit Pompeius gegen Caesar, sondern gegen die
Tyrannis überhaupt zu beginnen. Was weiter folgen werde, war leicht zu
sehen. Domitius hatte es kein Hehl, daß er als Konsul Caesars sofortige
Abberufung aus Gallien bei der Bürgerschaft zu beantragen beabsichtige.
Eine aristokratische Restauration war im Werke; und mit dem Angriff auf
die Kolonie Capua warf die Nobilität den Machthabern den Handschuh hin.
Caesar, obwohl er über die hauptstädtischen Ereignisse von Tag zu Tag
detaillierte Berichte empfing und, wenn die militärischen Rücksichten
es irgend erlaubten, sie von seiner Südprovinz aus in möglichster Nähe
verfolgte, hatte doch bisher sichtbar wenigstens nicht in dieselben
eingegriffen. Aber jetzt hatte man ihm so gut wie seinen Kollegen, ja
ihm vornehmlich, den Krieg erklärt, er mußte handeln und handelte
rasch. Eben befand er sich in der Nähe; die Aristokratie hatte nicht
einmal für gut befunden, mit dem Bruche zu warten, bis er wieder über
die Alpen zurückgegangen sein würde. Anfang April 698 (56) verließ
Crassus die Hauptstadt, um mit seinem mächtigeren Kollegen das
Erforderliche zu verabreden; er fand Caesar in Ravenna. Von da aus
begaben beide sich nach Luca und hier traf auch Pompeius mit ihnen
zusammen, der bald nach Crassus (11. April), angeblich um die
Getreidesendungen aus Sardinien und Afrika zu betreiben, sich von Rom
entfernt hatte. Die namhaftesten Anhänger der Machthaber, wie der
Prokonsul des diesseitigen Spaniens, Metellus Nepos, der Proprätor von
Sardinien, Appius Claudius, und viele andere, folgten ihnen nach;
hundertundzwanzig Liktoren, über zweihundert Senatoren zählte man auf
dieser Konferenz, wo bereits, im Gegensatz zu dem republikanischen, der
neue monarchische Senat repräsentiert war. In jeder Hinsicht stand das
entscheidende Wort bei Caesar. Er benutzte es, um die bestehende
Gesamtherrschaft auf einer neuen Basis gleichmäßigerer Machtverteilung
wiederherzustellen und fester zu gründen. Die militärisch bedeutendsten
Statthalterschaften, die es neben der der beiden Gallien gab, wurden
den zwei Kollegen zugestanden: Pompeius die beider Spanien, Crassus die
von Syrien, welche Ämter ihnen durch Volksschluß auf fünf Jahre
(700-704 54-50) gesichert und militärisch wie finanziell angemessen
ausgestattet werden sollten. Dagegen bedang Caesar sich die
Verlängerung seines Kommandos, das mit dem Jahre 700 (54) zu Ende lief,
bis zum Schluß des Jahres 705 (49) aus, sowie die Befugnis, seine
Legionen auf zehn zu vermehren und die Übernahme des Soldes für die
eigenmächtig von ihm ausgehobenen Truppen auf die Staatskasse. Pompeius
und Crassus ward ferner für das nächste Jahr (699 55), bevor sie in
ihre Statthalterschaften abgingen, das zweite Konsulat zugesagt,
während Caesar es sich offen hielt, gleich nach Beendigung seiner
Statthalterschaft im Jahre 706 (48), wo das gesetzlich zwischen zwei
Konsulaten erforderliche zehnjährige Intervall für ihn verstrichen war,
zum zweitenmal das höchste Amt zu verwalten. Den militärischen
Rückhalt, dessen Pompeius und Crassus zur Regulierung der
hauptstädtischen Verhältnisse um so mehr bedurften, als die
ursprünglich hierzu bestimmten Legionen Caesars jetzt aus dem
Transalpinischen Gallien nicht weggezogen werden konnten, fanden sie in
den Legionen, die sie für die spanischen und syrischen Armeen neu
ausheben und erst, wenn es ihnen selber angemessen schiene, von Italien
aus an ihre verschiedenen Bestimmungsplätze abgehen lassen sollten. Die
Hauptfragen waren damit erledigt; die untergeordneten Dinge, wie die
Festsetzung der gegen die hauptstädtische Opposition zu befolgenden
Taktik, die Regulierung der Kandidaturen für die nächsten Jahre und
dergleichen mehr, hielten nicht lange auf. Die persönlichen
Zwistigkeiten, die dem Verträgnis im Wege standen, schlichtete der
große Meister der Vermittlung mit gewohnter Leichtigkeit und zwang die
widerstrebenden Elemente, sich miteinander zu behaben. Zwischen
Pompeius und Crassus ward äußerlich wenigstens ein kollegialisches
Einvernehmen wiederhergestellt. Sogar Publius Clodius ward bestimmt,
sich und seine Meute ruhig zu halten und Pompeius nicht ferner zu
belästigen - keine der geringsten Wundertaten des mächtigen Zauberers.
Daß diese ganze Schlichtung der schwebenden Fragen nicht aus einem
Kompromiß selbständiger und ebenbürtig rivalisierender Machthaber,
sondern lediglich aus dem guten Willen Caesars hervorging, zeigen die
Verhältnisse. Pompeius befand sich in Luca in der peinlichen Lage eines
machtlosen Flüchtlings, welcher kommt, bei seinem Gegner Hilfe zu
erbitten. Mochte Caesar ihn zurückweisen und die Koalition als gelöst
erklären oder auch ihn aufnehmen und den Bund fortbestehen lassen, wie
er eben war - Pompeius war sowieso politisch vernichtet. Wenn er in
diesem Fall mit Caesar nicht brach, so war er der machtlose
Schutzbefohlene seines Verbündeten. Wenn er dagegen mit Caesar brach
und, was nicht gerade wahrscheinlich war, noch jetzt eine Koalition mit
der Aristokratie zustande brachte, so war doch auch dieses notgedrungen
und im letzten Augenblick abgeschlossene Bündnis der Gegner so wenig
furchtbar, daß Caesar schwerlich, um dies abzuwenden, sich zu jenen
Konzessionen verstanden hat. Eine ernstliche Rivalität des Crassus
Caesar gegenüber war vollends unmöglich. Es ist schwer zu sage., welche
Motive Caesar bestimmten, seine überlegene Stellung ohne Not aufzugeben
und, was er seinem Nebenbuhler selbst bei dem Abschluß des Bundes 694
(60) versagt und dieser seitdem, in der offenbaren Absicht gegen Caesar
gerüstet zu sein, auf verschiedenen Wegen ohne, ja gegen Caesars Willen
vergeblich angestrebt hatte, das zweite Konsulat und die militärische
Macht, jetzt freiwillig ihm einzuräumen. Allerdings ward nicht Pompeius
allein an die Spitze eines Heeres gestellt, sondern auch sein alter
Feind und Caesars langjähriger Verbündeter Crassus; und unzweifelhaft
erhielt Crassus seine ansehnliche militärische Stellung nur als
Gegengewicht gegen Pompeius’ neue Macht. Allein nichtsdestoweniger
verlor Caesar unendlich, indem sein Rival für seine bisherige
Machtlosigkeit ein bedeutendes Kommando eintauschte. Es ist möglich,
daß Caesar sich seiner Soldaten noch nicht hinreichend Herr fühlte, um
sie mit Zuversicht in den Krieg gegen die formellen Autoritäten des
Landes zu führen, und darum ihm daran gelegen war, nicht jetzt durch
die Abberufung aus Gallien zum Bürgerkrieg gedrängt zu werden; allein
ob es zum Bürgerkriege kam oder nicht, stand augenblicklich weit mehr
bei der hauptstädtischen Aristokratie als bei Pompeius, und es wäre
dies höchstens ein Grund für Caesar gewesen, nicht offen mit Pompeius
zu brechen, um nicht durch diesen Bruch die Opposition zu ermutigen,
nicht aber ihm das zuzugestehen, was er ihm zugestand. Rein persönliche
Motive mochten mitwirken; es kann sein, daß Caesar sich erinnerte,
einstmals in gleicher Machtlosigkeit Pompeius gegenübergestanden zu
haben und nur durch dessen freilich mehr schwach- als großmütiges
Zurücktreten vom Untergang gerettet worden zu sein; es ist
wahrscheinlich, daß Caesar sich scheute, das Herz seiner geliebten und
ihren Gemahl aufrichtig liebenden Tochter zu zerreißen - in seiner
Seele war für vieles Raum noch neben dem Staatsmann. Allein die
entscheidende Ursache war unzweifelhaft die Rücksicht auf Gallien.
Caesar betrachtete - anders als seine Biographen - die Unterwerfung
Galliens nicht als eine zur Gewinnung der Krone ihm nützliche
beiläufige Unternehmung, sondern es hing ihm die äußerliche Sicherheit
und die innere Reorganisation, mit einem Worte, die Zukunft des
Vaterlandes daran. Um diese Eroberung ungestört vollenden zu können und
nicht gleich jetzt die Entwirrung der italischen Verhältnisse in die
Hand nehmen zu müssen, gab er unbedenklich seine Überlegenheit über
seinen Rivalen daran und gewährte Pompeius hinreichende Macht, um mit
dem Senat und dessen Anhang fertigzuwerden. Es war das ein arger
politischer Fehler, wenn Caesar nichts wollte, als möglichst rasch
König von Rom werden; allein der Ehrgeiz des seltenen Mannes
beschränkte sich nicht auf das niedrige Ziel einer Krone. Er traute es
sich zu, die beiden ungeheuren Arbeiten: die Ordnung der inneren
Verhältnisse Italiens und die Gewinnung und Sicherung eines neuen und
frischen Bodens für die italische Zivilisation, nebeneinander zu
betreiben und zu vollenden. Natürlich kreuzten sich diese Aufgaben;
seine gallischen Eroberungen haben ihn auf seinem Wege zum Thron viel
mehr noch gehemmt als gefördert. Es trug ihm bittere Früchte, daß er
die italische Revolution, statt sie im Jahre 698 (56) zu erledigen, auf
das Jahr 706 (48) hinausschob. Allein als Staatsmann wie als Feldherr
war Caesar ein überverwegener Spieler, der, sich selber vertrauend wie
seine Gegner verachtend, ihnen immer viel und mitunter über alles Maß
hinaus vorgab.
Es war nun also an der Aristokratie, ihren hohen Einsatz gutzumachen
und den Krieg so kühn zu führen, wie sie kühn ihn erklärt hatte. Allein
es gibt kein kläglicheres Schauspiel, als wenn feige Menschen das
Unglück haben, einen mutigen Entschluß zu fassen. Man hatte sich eben
auf gar nichts vorgesehen. Keinem schien es beigefallen zu sein, daß
Caesar möglicherweise sich zur Wehr setzen, daß nun gar Pompeius und
Crassus sich mit ihm aufs neue und enger als je vereinigen würden. Das
scheint unglaublich; man begreift es, wenn man die Persönlichkeiten ins
Auge faßt, die damals die verfassungstreue Opposition im Senate
führten. Cato war noch abwesend ^2; der einflußreichste Mann im Senat
war in dieser Zeit Marcus Bibulus, der Held des passiven Widerstandes,
der eigensinnigste und stumpfsinnigste aller Konsulare. Man hatte die
Waffen lediglich ergriffen, um sie zu strecken, sowie der Gegner nur an
die Scheide schlug; die bloße Kunde von den Konferenzen in Luca
genügte, um jeden Gedanken einer ernstlichen Opposition
niederzuschlagen und die Masse der Ängstlichen, das heißt die ungeheure
Majorität des Senats, wieder zu ihrer in unglücklicher Stunde
verlassenen Untertanenpflicht zurückzubringen. Von der anberaumten
Verhandlung zur Prüfung der Gültigkeit der Julischen Gesetze war nicht
weiter die Rede; die von Caesar auf eigene Hand errichteten Legionen
wurden durch Beschluß des Senats auf die Staatskasse übernommen; die
Versuche, bei der Regulierung der nächsten Konsularprovinzen Caesar
beide Gallien oder doch das eine derselben hinwegzudekretieren, wurden
von der Majorität abgewiesen (Ende Mai 698 56). So tat die Körperschaft
öffentlich Buße. Im geheimen kamen die einzelnen Herren, einer nach dem
andern, tödlich erschrocken über ihre eigene Verwegenheit, um ihren
Frieden zu machen und unbedingten Gehorsam zu geloben - keiner
schneller als Marcus Cicero, der seine Wortbrüchigkeit zu spät bereute
und hinsichtlich seiner jüngsten Vergangenheit sich mit Ehrentiteln
belegte, die durchaus mehr treffend als schmeichelhaft waren ^3.
Natürlich ließen die Machthaber sich beschwichtigen; man versagte
keinem den Pardon, da keiner die Mühe lohnte, mit ihm eine Ausnahme zu
machen. Um zu erkennen, wie plötzlich nach dem Bekanntwerden der
Beschlüsse von Luca der Ton in den aristokratischen Kreisen umschlug,
ist es der Mühe wert, die kurz zuvor von Cicero ausgegangenen
Broschüren mit der Palinodie zu vergleichen, die er ausgehen ließ, um
seine Reue und seine guten Vorsätze öffentlich zu konstatieren ^4.
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^2 Cato war noch nicht in Rom, als Cicero am 11. März 698 (56) für
Sestius sprach (Sest. 28, 60) und als im Senat infolge der Beschlüsse
von Luca über Caesars Legionen verhandelt ward (Plut. Caes. 21); erst
bei den Verhandlungen im Anfang 699 (55) finden wir ihn wieder tätig;
und da er im Winter reiste (Plus. Cato min 38), kehrte er also Ende 698
(56) nach Rom zurück. Er kann daher auch nicht, wie man mißverständlich
aus Asconius (p. 35, 53) gefolgert hat, im Februar 698 (56) verteidigt
haben.
^3 Me asinum germanum fuisse (Art. 4, 5, 3).
^4 Diese Palinodie ist die noch vorhandene Rede über die den Konsuln
des Jahres 699 (55) anzuweisenden Provinzen. Sie ist Ausgang Mai 698
(56) gehalten; die Gegenstücke dazu sind die Reden für Sestius und
gegen Vatinius und die über das Gutachten der etruskischen Wahrsager
aus den Monaten März und April, in denen das aristokratische Regime
nach Kräften verherrlicht und namentlich in sehr kavalierem Ton
behandelt wird. Man kann es nur billigen, daß Cicero, wie er selbst
gesteht (Att. 4, 5, 1), sogar vertrauten Freunden jenes Dokument seines
wiedergekehrten Gehorsams zu übersenden sich schämte.
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Wie es ihnen gefiel und gründlicher als zuvor konnten also die
Machthaber die italischen Verhältnisse ordnen. Italien und die
Hauptstadt erhielten tatsächlich eine, wenn auch nicht unter den Waffen
versammelte Besatzung und einen der Machthaber zum Kommandanten. Von
den für Syrien und Spanien durch Crassus und Pompeius ausgehobenen
Truppen gingen zwar die ersteren nach dem Osten ab; allein Pompeius
ließ die beiden spanischen Provinzen durch seine Unterbefehlshaber mit
der bisher dort stehenden Besatzung verwalten, während er die Offiziere
und Soldaten der neu, dem Namen nach zum Abgang nach Spanien
ausgehobenen Legionen auf Urlaub entließ und selbst mit ihnen in
Italien blieb. Wohl steigerte sich der stille Widerstand der
öffentlichen Meinung, je deutlicher und allgemeineres begriffen ward,
daß die Machthaber daran arbeiteten, mit der alten Verfassung ein Ende
zu machen und in möglichst schonender Weise die bestehenden
Verhältnisse der Regierung und Verwaltung in die Formen der Monarchie
zu fügen; allein man gehorchte, weil man mußte. Vor allen Dingen wurden
alle wichtigeren Angelegenheiten und namentlich alle das Militärwesen
und die äußeren Verhältnisse betreffenden, ohne den Senat deswegen zu
fragen, bald durch Volksbeschluß, bald durch das bloße Gutfinden der
Herrscher erledigt. Die in Luca vereinbarten Bestimmungen hinsichtlich
des Militärkommandos von Gallien wurden durch Crassus und Pompeius, die
Spanien und Syrien betreffenden durch den Volkstribun Gaius Trebonius
unmittelbar an die Bürgerschaft gebracht, auch sonst wichtigere
Statthalterschaften häufig durch Volksschluß besetzt. Daß für die
Machthaber es der Einwilligung der Behörden nicht bedürfe, um ihre
Truppen beliebig zu vermehren, hatte Caesar bereits hinreichend
dargetan; ebensowenig trugen sie Bedenken, ihre Truppen sich
untereinander zu borgen, wie zum Beispiel Caesar von Pompeius für den
Gallischen, Crassus von Caesar für den Parthischen Krieg solche
kollegialische Unterstützung empfing. Die Transpadaner, denen nach der
bestehenden Verfassung nur das latinische Recht zustand, wurden von
Caesar während seiner Verwaltung tatsächlich als römische Vollbürger
behandelt ^5. Wenn sonst die Einrichtung neu erworbener Gebiete durch
eine Senatskommission beschafft worden war, so organisierte Caesar
seine ausgedehnten gallischen Eroberungen durchaus nach eigenem
Ermessen und gründete zum Beispiel ohne jede weitere Vollmacht
Bürgerkolonien, namentlich Novum Comum (Como) mit fünftausend
Kolonisten. Piso führte den Thrakischen, Gabinius den Ägyptischen,
Crassus den Parthischen Krieg, ohne den Senat zu fragen, ja ohne auch
nur, wie es herkömmlich war, an den Senat zu berichten; in ähnlicher
Weise wurden Triumphe und andere Ehrenbezeigungen bewilligt und
vollzogen, ohne daß der Senat darum begrüßt ward. Offenbar liegt hierin
nicht eine bloße Vernachlässigung der Formen, die um so weniger
erklärlich wäre, als in den bei weitem meisten Fällen eine Opposition
des Senats durchaus nicht zu erwarten war. Vielmehr war es die
wohlberechnete Absicht, den Senat von dem militärischen und dem Gebiet
der höheren Politik zu verdrängen und seine Teilnahme an der Verwaltung
auf die finanziellen Fragen und die inneren Angelegenheiten zu
beschränken; und auch die Gegner erkannten dies wohl und protestierten,
soweit sie konnten, gegen dies Verfahren der Machthaber durch
Senatsbeschlüsse und Kriminalklagen. Während die Machthaber also den
Senat in der Hauptsache beiseite schoben, bedienten sie sich der minder
gefährlichen Volksversammlungen auch ferner noch - es war dafür
gesorgt, daß die Herren der Straße denen des Staats dabei keine
Schwierigkeit mehr in den Weg legten; indes in vielen Fällen entledigte
man sich auch dieses leeren Schemens und gebrauchte unverhohlen
autokratische Formen.
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^5 Überliefert ist dies nicht. Allein daß Caesar auf den latinischen
Gemeinden, das heißt aus dem bei weitem größeren Teil seiner Provinz
überhaupt keine Soldaten ausgehoben hat, ist an sich schon völlig
unglaublich und wird geradezu widerlegt dadurch, daß die Gegenpartei
die von Caesar ausgehobene Mannschaft geringschätzig bezeichnet als
“größtenteils aus den transpadanischen Kolonie* gebürtig” (Caes. civ.
3, 87); denn hier sind offenbar die launischen Kolonien Strabos (Ascon.
Pis. p. 3; Suet. Caes. 8) gemeint. Von launischen Kohorten aber findet
sich in Caesars gallischer Armee keine Spur; vielmehr sind nach seinen
ausdrücklichen Angaben alle von ihm im Cisalpinischen Gallien
ausgehobenen Rekruten den Legionen zu- oder in Legionen eingeteilt
worden. Es ist möglich, daß Caesar mit der Aushebung die Schenkung des
Bürgerrechts verband; aber wahrscheinlicher hielt er vielmehr in dieser
Angelegenheit den Standpunkt seiner Partei fest, welche den
Transpadanern das römische Bürgerrecht nicht so sehr zu verschaffen
suchte, als vielmehr es ansah, als ihnen schon gesetzlich zustehend.
Nur so konnte sich das Gerücht verbreiten, daß Caesar von sich aus bei
den transpadanischen Gemeinden römische Munizipalverfassung eingeführt
habe (Cic. Att. 5, 3, 2; ad fam. 8, 1 2). So erklärt es sich auch,
warum Hirtius die transpadanischen Städte als “Kolonien römischer
Bürger” bezeichnet (Gall. 8, 24) und warum Caesar die von ihm
gegründete Kolonie Comum als Bürgerkolonie behandelte (Suet. Caes. 28;
Strab. 5, 1 p. 213; Plut. Caes. 29), während die gemäßigte Partei der
Aristokratie ihr nur dasselbe Recht wie den übrigen transpadanischen
Gemeinden, also das launische, zugestand, die Ultras sogar das den
Ansiedlern erteilte Stadtrecht überhaupt für nichtig erklärten, also
auch die an die Bekleidung eines launischen Munizipalamtes geknüpften
Privilegien den Comensern nicht zugestanden (Cic. Att. 5, 11, 2; App.
civ. 2, 26). Vgl. Hermes 16, 1880, S. 30.
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Der gedemütigte Senat mußte wohl oder übel in seine Lage sich schicken.
Der Führer der gehorsamen Majorität blieb Marcus Cicero. Er war
brauchbar wegen seines Advokatentalents, für alles Gründe oder doch
Worte zu finden, und es lag eine echt Caesarische Ironie darin, den
Mann, mittels dessen vorzugsweise die Aristokratie ihre Demonstrationen
gegen die Machthaber aufgeführt hatte, als Mundstück des Servilismus zu
verwenden. Darum erteilte man ihm Verzeihung für sein kurzes Gelüsten,
wider den Stachel zu löcken, jedoch nicht ohne sich vorher seiner
Unterwürfigkeit in jeder Weise versichert zu haben. Gewissermaßen um
als Geisel für ihn zu haften, hatte sein Bruder einen Offizierposten im
gallischen Heere übernehmen müssen; ihn selbst hatte Pompeius genötigt,
eine Unterbefehlshaberstelle unter ihm anzunehmen, welche eine Handhabe
hergab, um ihn jeden Augenblick mit Manier zu verbannen. Clodius war
zwar angewiesen worden, ihn bis weiter in Ruhe zu lassen, aber Caesar
ließ ebensowenig um Ciceros willen den Clodius fallen wie den Cicero um
des Clodius willen, und der große Vaterlandserretter wie der nicht
minder große Freiheitsmann machten im Hauptquartier von Samarobriva
sich eine Antichambrekonkurrenz, die gehörig zu illustrieren es leider
an einem römischen Aristophanes gebrach. Aber nicht bloß ward dieselbe
Rute über Ciceros Haupte schwebend erhalten, die ihn bereits einmal so
schmerzlich getroffen hatte; auch goldene Fesseln wurden ihm angelegt.
Bei seinen bedenklich verwickelten Finanzen waren ihm die zinsfreien
Darlehen Caesars und die Mitaufseherschaft über die ungeheure Summen in
Umlauf setzenden Bauten desselben in hohem Grade willkommen und manche
unsterbliche Senatsrede erstickte in dem Gedanken an den
Geschäftsträger Caesars, der nach dem Schluß der Sitzung ihm den
Wechsel präsentieren möchte. Also gelobte er sich, “künftig nicht mehr
nach Recht und Ehre zu fragen, sondern um die Gunst der Machthaber sich
zu bemühen” und “geschmeidig zu sein wie ein Ohrläppchen”. Man brauchte
ihn denn, wozu er gut war: als Advokaten, wo es vielfach sein Los war,
eben seine bittersten Feinde auf höheren Befehl verteidigen zu müssen,
und vor allem im Senat, wo er fast regelmäßig den Dynasten als Organ
diente und die Anträge stellte, “denen andere wohl zustimmten, er aber
selbst nicht”; ja als anerkannter Führer der Majorität der Gehorsamen
erlangte er sogar eine gewisse politische Bedeutung. In ähnlicher Weise
wie mit Cicero verfuhr man mit den übrigen der Furcht, der Schmeichelei
oder dem Golde zugänglichen Mitgliedern des regierenden Kollegiums, und
es gelang, dasselbe im ganzen botmäßig zu erhalten.
Allerdings blieb eine Fraktion von Gegnern, die wenigstens Farbe
hielten und weder zu schrecken noch zu gewinnen waren. Die Machthaber
hatten sich überzeugt, daß Ausnahmemaßregeln, wie die gegen Cato und
Cicero, der Sache mehr schadeten als nützten und daß es ein minderes
Übel sei, die unbequeme republikanische Opposition zu ertragen, als aus
den Opponenten Märtyrer der Republik zu machen. Darum ließ man es
geschehen, daß Cato zurückkam (Ende 698 56) und von da an wieder im
Senat und auf dem Markte, oft unter Lebensgefahr, den Machthabern eine
Opposition machte, die wohl ehrenwert, aber leider doch auch zugleich
lächerlich war. Man ließ es geschehen, daß er es bei Gelegenheit der
Anträge des Trebonius auf dein Marktplatz wieder einmal bis zum
Handgemenge trieb und daß er im Senat den Antrag stellte, den Prokonsul
Caesar wegen seines treulosen Benehmens gegen die Usipeten und
Tencterer diesen Barbaren auszuliefern. Man nahm es hin, daß Marcus
Favonius, Catos Sancho, nachdem der Senat den Beschluß gefaßt hatte,
die Legionen Caesars auf die Staatskasse zu übernehmen, zur Tür der
Kurie sprang und die Gefahr des Vaterlandes auf die Gasse hinausrief;
daß derselbe in seiner skurrilen Art die weiße Binde, die Pompeius um
sein krankes Bein trug, ein deplaziertes Diadem hieß; daß der Konsular
Lentulus Marcellinus, da man ihm Beifall klatschte, der Versammlung
zurief, sich dieses Rechts, ihre Meinung zu äußern, jetzt ja fleißig zu
bedienen, da es ihnen noch gestattet sei; daß der Volkstribun Gaius
Ateius Capito den Crassus bei seinem Abzug nach Syrien in allen Formen
damaliger Theologie öffentlich den bösen Geistern überantwortete. Im
ganzen waren dies eitle Demonstrationen einer verbissenen Minorität:
doch war die kleine Partei, von der sie ausgingen, insofern von
Bedeutung, als sie teils der im stillen gärenden republikanischen
Opposition Nahrung und Losung gab, teils ab und zu doch die
Senatsmajorität, die ja im Grunde ganz dieselben Gesinnungen gegen die
Machthaber hegte, zu einem gegen diese gerichteten Beschluß fortriß.
Denn auch die Majorität fühlte das Bedürfnis, wenigstens zuweilen und
in untergeordneten Dingen ihrem verhaltenen Groll Luft zu machen und
namentlich, nach der Weise der widerwillig Servilen, ihren Groll gegen
die großen Feinde wenigstens an den kleinen auszulassen. Wo es nur
anging, ward den Werkzeugen der Machthaber ein leiser Fußtritt
versetzt: so wurde Gabinius das erbetene Dankfest verweigert (698 56),
so Piso aus der Provinz abberufen, so vom Senat Trauer angelegt, als
der Volkstribun Gaius Cato die Wahlen für 699 (55) so lange hinderte,
bis der der Verfassungspartei angehörige Konsul Marcellinus vom Amt
abgetreten war. Sogar Cicero, wie demütig er immer vor den Machthabern
sich neigte, ließ doch auch eine ebenso giftige wie geschmacklose
Broschüre gegen Caesars Schwiegervater ausgehen. Aber sowohl diese
oppositionellen Velleitäten der Senatsmajorität wie der resultatlose
Widerstand der Minorität zeigen nur um so deutlicher, daß das Regiment,
wie einst von der Bürgerschaft auf den Senat, so jetzt von diesem auf
die Machthaber übergegangen und der Senat schon nicht viel mehr war als
ein monarchischer, aber auch zur Absorbierung der antimonarchischen
Elemente benutzter Staatsrat. “Kein Mensch”, klagten die Anhänger der
gestürzten Regierung, “gilt das mindeste außer den dreien; die
Herrscher sind allmächtig und sie sorgen dafür, daß keiner darüber im
unklaren bleibe; der ganze Senat ist wie umgewandelt und gehorcht den
Gebietern; unsere Generation wird einen Umschwung der Dinge nicht
erleben.” Man lebte eben nicht in der Republik, sondern in der
Monarchie.
Aber wenn über die Lenkung des Staats von den Machthabern unumschränkt
verfügt ward, so blieb noch ein von dem eigentlichen Regiment
gewissermaßen abgesondertes politisches Gebiet, das leichter zu
verteidigen und schwerer zu erobern war: das der ordentlichen
Beamtenwahlen und das der Geschworenengerichte. Daß die letzteren nicht
unmittelbar unter die Politik fallen, aber überall und vor allem in Rom
von dem das Staatswesen beherrschenden Geiste mitbeherrscht werden, ist
von selber klar. Die Wahlen der Beamten gehörten allerdings von Rechts
wegen zu dem eigentlichen Regiment des Staates; allein da in dieser
Zeit derselbe wesentlich durch außerordentliche Beamte oder auch ganz
titellose Männer verwaltet ward und selbst die höchsten ordentlichen
Beamten, wenn sie zu der antimonarchischen Partei gehörten, auf die
Staatsmaschine in irgend fühlbarer Weise einzuwirken nicht vermochten,
so sanken die ordentlichen Beamten mehr und mehr herab zu Figuranten,
wie sich denn auch eben die oppositionellsten von ihnen geradezu und
mit vollem Recht als machtlose Nullen bezeichneten, ihre Wahlen also zu
Demonstrationen. So konnte, nachdem die Opposition von dem eigentlichen
Schlachtfeld bereits gänzlich verdrängt war, dennoch die Fehde noch in
den Wahlen und den Prozessen fortgeführt werden. Die Machthaber sparten
keine Mühe, um auch hier Sieger zu bleiben. Hinsichtlich der Wahlen
hatten sie bereits in Luca für die nächsten Jahre die Kandidatenlisten
untereinander festgestellt und ließen kein Mittel unversucht, um die
dort vereinbarten Kandidaten durchzubringen. Zunächst zum Zweck der
Wahlagitation spendeten sie ihr Gold aus. Jährlich wurden aus Caesars
und Pompeius’ Heeren eine große Anzahl Soldaten auf Urlaub entlassen,
um an den Abstimmungen in Rom teilzunehmen. Caesar pflegte selbst von
Oberitalien aus in möglichster Nähe die Wahlbewegungen zu leiten und zu
überwachen. Dennoch ward der Zweck nur sehr unvollkommen erreicht. Für
699 (55) wurden zwar, dem Vertrag von Luca entsprechend, Pompeius und
Crassus zu Konsuln gewählt und der einzige ausharrende Kandidat der
Opposition, Lucius Domitius, beseitigt; allein schon dies war nur durch
offenbare Gewalt durchgesetzt worden, wobei Cato verwundet ward und
andere höchst ärgerliche Auftritte vorfielen. In den nächsten
Konsularwahlen für 700 (54) ward gar, allen Anstrengungen der
Machthaber zum Trotz, Domitius wirklich gewählt, und auch Cato siegte
jetzt ob in der Bewerbung um die Prätur, in der ihn das Jahr zuvor zum
Ärgernis der ganzen Bürgerschaft Caesars Klient Vatinius aus dem Felde
geschlagen hatte. Bei den Wahlen für 701 (53) gelang es der Opposition,
unter andern Kandidaten auch die der Machthaber so unwidersprechlich
der ärgerlichsten Wahlumtriebe zu überweisen, daß diese, auf die der
Skandal zurückfiel, nicht anders konnten als sie fallen lassen. Diese
wiederholten und argen Niederlagen der Dynasten auf dem
Wahlschlachtfeld mögen zum Teil zurückzuführen sein auf die
Unregierlichkeit der eingerosteten Maschinerie, die unberechenbaren
Zufälligkeiten des Wahlgeschäfts, die Gesinnungsopposition der
Mittelklassen, die mancherlei hier eingreifenden und die Parteistellung
oft seltsam durchkreuzenden Privatrücksichten; die Hauptursache aber
liegt anderswo. Die Wahlen waren in dieser Zeit wesentlich in der
Gewalt der verschiedenen Klubs, in die die Aristokratie sich
gruppierte; das Bestechungswesen war von denselben im umfassendsten
Maßstab und mit größter Ordnung organisiert. Dieselbe Aristokratie
also, die im Senat vertreten war, beherrschte auch die Wahlen; aber
wenn sie im Senat grollend nachgab, wirkte und stimmte sie hier im
geheimen und vor jeder Rechenschaft sicher den Machthabern unbedingt
entgegen. Daß durch das strenge Strafgesetz gegen die klubbistischen
Wahlumtriebe, das Crassus als Konsul 699 (55) durch die Bürgerschaft
bestätigen ließ, der Einfluß der Nobilität auf diesem Felde keineswegs
gebrochen ward, versteht sich von selbst und zeigen die Wahlen der
nächsten Jahre.
Ebensogroße Schwierigkeiten machten den Machthabern die
Geschworenengerichte. Bei ihrer dermaligen Zusammensetzung entschied in
denselben, neben dem auch hier einflußreichen Senatsadel, vorwiegend
die Mittelklasse. Die Festsetzung eines hochgegriffenen
Geschworenenzensus durch ein von Pompeius 699 (55) beantragtes Gesetz
ist ein bemerkenswerter Beweis dafür, daß die Opposition gegen die
Machthaber ihren Hauptsitz in dem eigentlichen Mittelstand hatte und
die hohe Finanz hier wie überall sich gefügiger erwies als dieser.
Nichtsdestoweniger war der republikanischen Partei hier noch nicht
aller Boden entzogen und sie ward nicht müde, mit politischen
Kriminalanklagen, zwar nicht die Machthaber selbst, aber wohl deren
hervorragende Werkzeuge zu verfolgen. Dieser Prozeßkrieg ward um so
lebhafter geführt, als dem Herkommen gemäß das Anklagegeschäft der
senatorischen Jugend zukam und begreiflicherweise unter diesen
Jünglingen mehr als unter den älteren Standesgenossen noch
republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke Angriffslust zu
finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei; wenn die
Machthaber Ernst machten, wagten sie so wenig wie der Senat den
Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern wurde von der Opposition
mit so grimmigem, fast sprichwörtlich gewordenem Hasse verfolgt wie
Vatinius, bei weitem der verwegenste und unbedenklichste unter den
engeren Anhängern Caesars; aber sein Herr befahl, und er ward in allen
gegen ihn erhobenen Prozessen freigesprochen. Indes Anklagen von
Männern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Gaius Asinius Pollio das
Schwert der Dialektik und die Geißel des Spottes zu schwingen
verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann nicht, wenn sie
scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus. Meistens
freilich wurden sie über untergeordnete Individuen davongetragen,
allein auch einer der höchstgestellten und verhaßtesten Anhänger der
Dynasten, der Konsulat Gabinius, ward auf diesem Wege gestürzt.
Allerdings vereinigte mit dem unversöhnlichen Haß der Aristokratie, die
ihm das Gesetz über die Führung des Seeräuberkrieges so wenig vergab
wie die wegwerfende Behandlung des Senats während seiner syrischen
Statthalterschaft, sich gegen Gabinius die Wut der hohen Finanz, der
gegenüber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte, die Interessen
der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus, dem er
bei Übergabe der Provinz Weitläufigkeiten gemacht hatte. Sein einziger
Schutz gegen alle diese Feinde war Pompeius, und dieser hatte alle
Ursache, seinen fähigsten, kecksten und treuesten Adjutanten um jeden
Preis zu verteidigen; aber hier wie überall verstand er es nicht, seine
Macht zu gebrauchen und seine Klienten so zu vertreten, wie Caesar die
seinigen vertrat: Ende 700 (54) fanden die Geschworenen den Gabinius
der Erpressungen schuldig und schickten ihn in die Verbannung.
Im ganzen waren also auf dem Gebiete der Volkswahlen und der
Geschworenengerichte es die Machthaber, welche den kürzeren zogen. Die
Faktoren, die darin herrschten, waren minder greifbar und darum
schwerer zu terrorisieren oder zu korrumpieren als die unmittelbaren
Organe der Regierung und Verwaltung. Die Gewalthaber stießen hier,
namentlich in den Volkswahlen, auf die zähe Kraft der geschlossenen und
in Koterien gruppierten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht
fertig ist, wenn man ihr Regiment gestürzt hat, und die um so schwerer
zu brechen ist, je verdeckter sie auftritt. Sie stießen hier ferner,
namentlich in den Geschworenengerichten, auf den Widerwillen der
Mittelklassen gegen das neue, monarchische Regiment, den mit allen
daraus entspringenden Verlegenheiten sie ebensowenig zu beseitigen
vermochten. Sie erlitten auf beiden Gebieten eine Reihe von
Niederlagen, von denen die Wahlsiege der Opposition zwar nur den Wert
von Demonstrationen hatten, da die Machthaber die Mittel besaßen und
gebrauchten, um jeden mißliebigen Beamten tatsächlich zu annullieren,
die oppositionellen Kriminalverurteilungen aber in empfindlicher Weise
sie brauchbarer Gehilfen beraubten. Wie die Dinge standen, vermochten
die Machthaber die Volkswahlen und die Geschworenengerichte weder zu
beseitigen noch ausreichend zu beherrschen, und die Opposition, wie
sehr sie auch hier sich eingeengt fand, behauptete bis zu einem
gewissen Grade doch den Kampfplatz.
Noch schwieriger aber erwies es sich, der Opposition auf einem Felde zu
begegnen, dem sie immer eifriger sich zuwandte, je mehr sie aus der
unmittelbaren politischen Tätigkeit herausgedrängt ward. Es war dies
die Literatur. Schon die gerichtliche Opposition war zugleich, ja, vor
allem eine literarische, da die Reden regelmäßig veröffentlicht wurden
und als politische Flugschriften dienten. Rascher und schärfer noch
trafen die Pfeile der Poesie. Die lebhafte hocharistokratische Jugend,
noch energischer vielleicht der gebildete Mittelstand in den italischen
Landstädten, führten den Pamphleten- und Epigrammenkrieg mit Eifer und
Erfolg. Nebeneinander fochten auf diesem Felde der vornehme
Senatorensohn Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48), der als Redner und
Pamphletist ebenso wie als gewandter Dichter gefürchtet war, und die
Munizipalen von Cremona und Verona, Marcus Furius Bibaculus (652-691
102-63) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54), deren
elegante und beißende Epigramme pfeilschnell durch Italien flogen und
sicher ihr Ziel trafen. Durchaus herrscht in der Literatur dieser Jahre
der oppositionelle Ton. Sie ist voll von grimmigem Hohn gegen den
“großen Caesar”, “den einzigen Feldherrn”, gegen den liebevollen
Schwiegervater und Schwiegersohn, welche den ganzen Erdkreis zugrunde
richten, um ihren verlotterten Günstlingen Gelegenheit zu geben, die
Spolien der langhaarigen Kelten durch die Straßen Roms zu paradieren,
mit der Beute der fernsten Insel des Westens königliche Schmäuse
auszurichten und als goldregnende Konkurrenten die ehrlichen Jungen
daheim bei ihren Mädchen auszustechen. Es ist in den Catullischen
Gedichten ^6 und den sonstigen Trümmern der Literatur dieser Zeit etwas
von jener Genialität des persönlich-politischen Hasses, von jener in
rasender Lust oder ernster Verzweiflung überschäumenden
republikanischen Agonie, wie sie in mächtigerer Weise hervortreten in
Aristophanes und Demosthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei
Herrscher erkannte es wohl, daß es ebenso unmöglich war, diese
Opposition zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken.
Soweit er konnte, versuchte Caesar vielmehr die namhaftesten
Schriftsteller persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die
rücksichtsvolle Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum
guten Teil seinem literarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter
Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch
Vermittlung seines in Verona ihm persönlich bekannt gewordenen Vaters
einen Spezialfrieden zu schließen; der junge Dichter, der den mächtigen
General eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen
überschüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten
Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug, um seinen
literarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und als
indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen
Gesamtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, welcher
die Notwendigkeit und Verfassungsmäßigkeit seiner Kriegführung mit
glücklich angenommener Naivität vor dem Publikum entwickelte. Allein
poetisch und schöpferisch ist nun einmal unbedingt und ausschließlich
die Freiheit; sie, und sie allein, vermag es, noch in der elendesten
Karikatur, noch mit ihrem letzten Atemzug frische Naturen zu
begeistern. Alle tüchtigen Elemente der Literatur waren und blieben
antimonarchisch, und wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen
durfte ohne zu scheitern, so war der Grund doch nur, daß er selbst
sogar jetzt noch den großartigen Traum eines freien Gemeinwesens im
Sinne trug, den er freilich weder auf seine Gegner noch auf seine
Anhänger zu übertragen vermochte. Die praktische Politik ward nicht
unbedingter von den Machthabern beherrscht als die Literatur von den
Republikanern ^7.
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^6 Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die
Ereignisse der Jahre 699 (55) und 700 (54) und ward ohne Zweifel in dem
letzteren bekannt gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist
der Prozeß des Vatinius (August 700 54). Hieronymus’ Angabe, daß
Catullus 697/98 (57/56) gestorben, braucht also nur um wenige Jahre
verschoben zu sein. Daraus, daß Vatinius bei “seinem Konsulat sich
verschwört”, hat man mit Unrecht geschlossen, daß die Sammlung erst
nach Vatinius’ Konsulat (707 47) erschienen ist; es folgt daraus nur,
daß Vatinius, als sie erschien, schon darauf rechnen durfte, in einem
bestimmten Jahre Konsul zu werden, wozu er bereits 700 (54) alle
Ursache hatte; denn sicher stand sein Name mit auf der in Luca
vereinbarten Kandidatenliste (Cic. Art. 4, 8 b, 2).
^7 Das folgende Gedicht Catulls (29) ist im Jahre 699 (53) oder 700
(54), nach Caesars britannischer Expedition und vor dem Tode der Julia,
geschrieben.
Wer kann es ansehn, wer vermag es auszustehn,
Wer nicht ein Bock, ein Spieler oder Schlemmer ist,
Daß jetzt Mamurra sein nennt das, was einst besaß
Der Langhaarkelten und der fernen Briten Land?
Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?
Der also soll in Übermut und salbenschwer ,
Als süßer Schnabelierer, als Adonis nun
Hier ziehn in aller unsrer Mädchen Zimmer ein?
Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?
Ein Schlemmer bist du, bist ein Spieler, bist ein Bock!
Drum also übersetztest, einziger General,
Zum fernstentlegnen Eiland du des Okzidents,
Damit hier euer ausgedienter Zeitvertreib
Zwei Millionen könne oder drei vertun?
Was heißt verkehrt freigebig sein, wenn dieses nicht?
Hat nicht genug schon er verdorben und verpraßt?
Zuerst verlottert ward das väterliche Gut,
Sodann des Pontus Beute, dann Iberiens,
Davon des Tajo goldbeschwerte Welle weiß.
Den fürchtet, ihr Britanner; Kelten, fürchtet den!
Was heget ihr den Lumpen, welcher gar nichts als
Ein fettes Erbe durch die Gurgel jagen kann?
Drum also ruiniertet ihr der Erde Kreis,
Ihr liebevollen Schwiegervater-Schwiegersohn?
Mamurra aus Formiae, Caesars Günstling und eine Zeitlang während der
gallischen Kriege Offizier in dessen Heer, war, vermutlich kurz vor
Abfassung dieses Gedichts, nach der Hauptstadt zurückgekehrt und
wahrscheinlich damals beschäftigt mit dem Bau seines vielbesprochenen,
mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Marmorpalastes auf dem
Caelischen Berge. Die iberische Beute wird sich auf Caesars
Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien beziehen und Mamurra schon
damals, wie sicher später in Gallien, in seinem Hauptquartier sich
befunden haben; das pontische geht vermutlich auf Pompeius’ Krieg gegen
Mithradates, da zumal. nach der Andeutung des Dichters nicht bloß
Caesar den Mamurra bereichert hat.
Unschuldiger als diese giftige, von Caesar bitter empfundene Invektive
(Suet. Caes. 73) ist ein anderes, ungefähr gleichzeitiges Gedicht
desselben Poeten (11), das hier auch stehen mag, weil es mit seiner
pathetischen Einleitung zu einer nichts weniger als pathetischen
Kommission den Generalstab der neuen Machthaber, die aus der Spelunke
plötzlich ins Hauptquartier avancierten Gabinius, Antonius und wie sie
weiter heißen, sehr artig persifliert. Man erinnere sich, daß es in
einer Zeit geschrieben ward, wo Caesar am Rhein und an der Themse
kämpfte und wo die Expeditionen des Crassus nach Parthien, des Gabinius
nach Ägypten vorbereitet wurden. Der Dichter, gleichsam auch von einem
der Machthaber einen der vakanten Posten erhoffend, gibt zweien seiner
Klienten die letzten Aufträge vor der Abreise:
Furius und Aurelius, Adjutanten
Ihr Catulls, mag ziehn er an Indiens Ende,
Wo des Ostmeers brandende Welle weithin
Hallend den Strand schlägt,
Oder nach Hyrkanien und Arabien,
In der pfeilfroh’n Parther Gebiet und Saker
Oder wo den Spiegel des Meers der siebenfältige Nil färbt;
Oder führt sein Weg ihn die Alpen über,
Wo den Malstein setzte der große Caesar,
Wo der Rhein fließt und an dem Erdrand hausen
Wilde Britanner -
Ihr, bereit, all das mit Catullus, was ihm
Götterratsschluß davon bestimmt, zu teilen,
Meinem Schatz noch bringet zuvor die kurze
Leidige Botschaft!
Mag sie stehn und gehen mit ihren Männern,
Welche sie dreihundert zugleich umarmt hält,
Keinem treulieb, aber zu jeder Stunde
Jedem zu Willen.
Nicht wie sonst nachblickte sie meiner Liebe,
Die geknickt mutwillig sie, gleich dem Veilchen,
Das entlang am Saume des Ackers wandelnd
Streifte die Pflugschar.
—————————————————————-
Es ward nötig, gegen diese zwar machtlose, aber immer lästiger und
dreister werdende Opposition mit Ernst einzuschreiten. Den Ausschlag
gab, wie es scheint, die Verurteilung des Gabinius (Ende 700 54). Die
Herrscher kamen überein, eine wenn auch nur zeitweilige Diktatur
eintreten zu lassen und mittels dieser neue Zwangsmaßregeln namentlich
hinsichtlich der Wahlen und der Geschworenengerichte durchzusetzen. Als
derjenige, dem zunächst die Regierung Roms und Italiens oblag, übernahm
die Ausführung dieses Beschlusses Pompeius; sie trug denn auch den
Stempel der ihm eigenen Schwerfälligkeit im Entschließen und im Handeln
und seiner wunderlichen Unfähigkeit, selbst da, wo er befehlen wollte
und konnte, mit der Sprache herauszugehen. Bereits Ausgang 700 (54)
ward in Andeutungen und nicht durch Pompeius selbst die Forderung der
Diktatur im Senat vorgebracht. Als ostensibler Grund diente die
fortwährende Klub- und Bandenwirtschaft in der Hauptstadt, die durch
Bestechungen und Gewalttätigkeiten allerdings auf die Wahlen wie auf
die Geschworenengerichte den verderblichsten Druck ausübte und den
Krawall daselbst in Permanenz hielt; man muß es zugeben, daß sie es den
Machthabern leichtmachte, ihre Ausnahmemaßregeln zu rechtfertigen.
Allein begreiflicherweise scheute sogar die servile Majorität davor
zurück, das zu bewilligen, was der künftige Diktator selbst sich zu
scheuen schien offen zu begehren. Als dann die beispiellose Agitation
für die Wahlen zum Konsulat für 701 (53) die ärgerlichsten Auftritte
herbeiführte, die Wahlen ein volles Jahr über die festgesetzte Zeit
sich verschleppten und erst nach siebenmonatlichem Interregnum im Juli
701 (53) stattfanden, fand Pompeius darin den erwünschten Anlaß als das
einzige Mittel, den Knoten wo nicht zu lösen, doch zu zerhauen, dem
Senat jetzt bestimmt die Diktatur zu bezeichnen; allein das
entscheidende Befehlswort ward immer noch nicht gesprochen. Vielleicht
wäre es noch lange ungesprochen geblieben, wenn nicht bei den
Konsularwahlen für 702 (52) gegen die Kandidaten der Machthaber Quintus
Metellus Scipio und Publius Plautius Hypsaeus, beide dem Pompeius
persönlich nahestehende und durchaus ergebene Männer, der verwegenste
Parteigänger der republikanischen Opposition, Titus Annius Milo, als
Gegenkandidat in die Schranken getreten wäre. Milo, ausgestattet mit
physischem Mut, mit einem gewissen Talent zur Intrige und zum
Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angeborener und sorgfältig
ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den politischen
Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und war in seinem
Handwerk nächst Clodius der renommierteste Mann, natürlich also auch
mit diesem in tödlichster Konkurrenzfeindschaft. Da dieser Achill der
Straße von den Machthabern acquiriert worden war und mit ihrer
Zulassung wieder den Ultrademokraten spielte, so ward der Hektor der
Straße selbstverständlich Aristokrat, und die republikanische
Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Bündnis geschlossen haben
würde, wenn er sich ihr angetragen hätte, erkannte Milo bereitwillig an
als ihren rechtmäßigen Vorfechter in allen Krawallen. In der Tat waren
die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon trug, das
Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande. So unterstützten
denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos Bewerbung um das Konsulat;
selbst Cicero konnte nicht umhin, seines Feindes Feind, seinen
langjährigen Beschützer, zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld
noch Gewalt sparte, um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe
gesichert. Für die Machthaber wäre sie nicht bloß eine neue
empfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine wirkliche Gefahr;
denn es war vorauszusehen, daß der verwegene Parteigänger sich nicht so
leicht wie Domitius und andere Männer der anständigen Opposition als
Konsul werde annullieren lassen. Da begab es sich, daß zufällig unweit
der Hauptstadt, auf der Appischen Straße, Achill und Hektor
aufeinandertrafen und zwischen den beiderseitigen Banden eine Rauferei
entstand, in welcher Clodius selbst einen Säbelhieb in die Schulter
erhielt und genötigt ward, in ein benachbartes Haus sich zu flüchten.
Es war dies ohne Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit
gekommen war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden mußte, so
schien das ganze Verbrechen Milo wünschenswerter und selbst minder
gefährlich als das halbe: er befahl seinen Leuten, den Clodius aus
seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzumachen (13. Januar 702
52). Die Straßenführer von der Partei der Machthaber, die Volkstribune
Titus Munatius Plancus, Quintus Pompeius Rufus und Gaius Sallustius
Crispus, sahen in diesem Vorfall einen passenden Anlaß, um im Interesse
ihrer Herren Milos Kandidatur zu vereiteln und Pompeius’ Diktatur
durchzusetzen. Die Hefe des Pöbels, namentlich die Freigelassenen und
Sklaven, hatten mit Clodius ihren Patron und künftigen Befreier
eingebüßt: die erforderliche Aufregung war also leicht bewirkt. Nachdem
der blutige Leichnam auf der Rednerbühne des Marktes in Parade
ausgestellt und die dazu gehörigen Reden gehalten worden waren, ging
der Krawall los. Zum Scheiterhaufen für den großen Befreier ward der
Sitz der perfiden Aristokratie bestimmt: die Rotte trug den Körper in
das Rathaus und zündete das Gebäude an. Hierauf zog der Schwarm vor
Milos Haus und hielt dasselbe belagert, bis dessen Bande die Angreifer
mit Pfeilschüssen vertrieb. Weiter ging es vor das Haus des Pompeius
und seiner Konsularkandidaten, von denen jener als Diktator, diese als
Konsuln begrüßt wurden, und von da vor das des Zwischenkönigs Marcus
Lepidus, dem die Leitung der Konsulwahlen oblag. Da dieser pflichtmäßig
sich weigerte, dieselben, wie die brüllenden Haufen es forderten,
sofort zu veranstalten, so ward auch er fünf Tage lang in seiner
Wohnung belagert gehalten.
Aber die Unternehmer dieser skandalösen Auftritte hatten ihre Rolle
überspielt. Allerdings war auch ihr Herr und Meister entschlossen,
diesen günstigen Zwischenfall zu benutzen, um nicht bloß Milo zu
beseitigen, sondern auch die Diktatur zu ergreifen; allein er wollte
sie nicht von einem Haufen Knüttelmänner empfangen, sondern vom Senat.
Pompeius zog Truppen heran, um die in der Hauptstadt herrschende und in
der Tat aller Welt unerträglich gewordene Anarchie niederzuschlagen;
zugleich befahl er jetzt, was er bisher erbeten, und der Senat gab
nach. Es war nur ein nichtiger Winkelzug, daß auf Vorschlag von Cato
und Bibulus der Prokonsul Pompeius unter Belassung seiner bisherigen
Ämter statt zum Diktator zum “Konsul ohne Kollegen” ernannt ward (25.
des Schaltmonats ^8 702 52) - ein Winkelzug, welcher eine mit
zwiefachem inneren Widerspruch behaftete ^9 Benennung zuließ, um nur
die einfach sachbezeichnende zu vermeiden, und der lebhaft erinnert an
den weisen Beschluß des verschollenen Junkertums, den Plebejern nicht
das Konsulat, sondern nur die konsularische Gewalt einzuräumen.
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^8 In diesem Jahr folgte auf den Januar mit 29 und den Februar mit 23
Tagen der Schaltmonat mit 28 und sodann der März.
^9 Consul heißt Kollege (I, 260) und ein Konsul, der zugleich Prokonsul
ist, ist zugleich wirklicher und stellvertretender Konsul.
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Also im legalen Besitz der Vollmacht, ging Pompeius an das Werk und
schritt nachdrücklich vor gegen die in den Klubs und den
Geschworenengerichten mächtige republikanische Partei. Die bestehenden
Wahlvorschriften wurden durch ein besonderes Gesetz wiederholt
eingeschärft und durch ein anderes gegen die Wahlumtriebe, das für alle
seit 684 (70) begangenen Vergehen dieser Art rückwirkende Kraft
erhielt, die bisher darauf gesetzten Strafen gesteigert. Wichtiger noch
war die Verfügung, daß die Statthalterschaften, also die bei weitem
bedeutendere und besonders die weit einträglichere Hälfte der
Amtstätigkeit, an die Konsuln und Prätoren nicht sofort bei dem
Rücktritt vom Konsulat oder der Prätur, sondern erst nach Ablauf von
weiteren fünf Jahren vergeben werden sollten, welche Ordnung
selbstverständlich erst nach vier Jahren ins Leben treten konnte und
daher für die nächste Zeit die Besetzung der Statthalterschaften
wesentlich von den zur Regulierung dieses Interim zu erlassenden
Senatsbeschlüssen, also tatsächlich von der augenblicklich den Senat
beherrschenden Person oder Fraktion abhängig machte. Die
Geschworenenkommissionen blieben zwar bestehen, aber dem
Rekusationsrecht wurden Grenzen gesetzt und, was vielleicht noch
wichtiger war, die Redefreiheit in den Gerichten aufgehoben, indem
sowohl die Zahl der Advokaten als die jedem zugemessene Sprechzeit
durch Maximalsätze beschränkt und die eingerissene Unsitte: neben den
Tat- auch noch Charakterzeugen oder sogenannte “Lobredner” zugunsten
des Angeklagten beizubringen, untersagt ward. Der gehorsame Senat
dekretierte ferner auf Pompeius’ Wink, daß durch den Raufhandel auf der
Appischen Straße das Vaterland in Gefahr geraten sei; demnach wurde für
alle mit demselben zusammenhängenden Verbrechen durch ein
Ausnahmegesetz eine Spezialkommission bestellt und deren Mitglieder
geradezu von Pompeius ernannt. Es ward auch ein Versuch gemacht, dem
zensorischen Amt wieder eine ernstliche Bedeutung zu verschaffen und
durch dasselbe die tief zerrüttete Bürgerschaft von dem schlimmsten
Gesindel zu säubern.
Alle diese Maßregeln erfolgten unter dem Drucke des Säbels. Infolge der
Erklärung des Senats, daß das Vaterland gefährdet sei, rief Pompeius in
ganz Italien die dienstpflichtige Mannschaft unter die Waffen und nahm
sie für alle Fälle in Eid und Pflicht; vorläufig ward eine ausreichende
und zuverlässige Truppe auf das Kapitol gelegt; bei jeder
oppositionellen Regung drohte Pompeius mit bewaffnetem Einschreiten und
stellte während der Prozeßverhandlungen über die Ermordung des Clodius
allem Herkommen zuwider auf der Gerichtsstätte selbst Wache auf.
Der Plan zur Wiederbelebung der Zensur scheiterte daran, daß unter der
servilen Senatsmajorität niemand sittlichen Mut und Autorität genug
besaß, um sich um ein solches Amt auch nur zu bewerben. Dagegen ward
Milo von den Geschworenen verurteilt (8. April 702 52), Catos Bewerbung
um das Konsulat für 703 (51) vereitelt. Die Reden- und
Pamphletenopposition erhielt durch die neue Prozeßordnung einen Schlag,
von dem sie sich nicht wieder erholt hat; die gefürchtete gerichtliche
Beredsamkeit ward damit von dem politischen Gebiet verdrängt und trug
fortan die Zügel der Monarchie. Verschwunden war die Opposition
natürlich weder aus den Gemütern der großen Majorität der Nation noch
auch nur völlig aus dem öffentlichen Leben - dazu hätte man die
Volkswahlen, die Geschworenengerichte und die Literatur nicht bloß
beschränken, sondern vernichten müssen. Ja eben bei diesen Vorgängen
selbst tat Pompeius durch seine Ungeschicklichkeit und Verkehrtheit
wieder dazu, daß den Republikanern selbst unter seiner Diktatur
einzelne, für ihn empfindliche Triumphe zuteil wurden. Die
Tendenzmaßregeln, die die Herrscher zur Befestigung ihrer Macht
ergriffen, wurden natürlicherweise offiziell als im Interesse der
öffentlichen Ruhe und Ordnung getroffene Verfügungen charakterisiert
und jeder Bürger, der die Anarchie nicht wollte, als mit denselben
wesentlich einverstanden bezeichnet. Mit dieser durchsichtigen Fiktion
trieb es Pompeius aber so weit, daß er in die Spezialkommission zur
Untersuchung des letzten Auflaufs statt sicherer Werkzeuge die
achtbarsten Männer aller Parteien, sogar Cato einwählte und seinen
Einfluß auf das Gericht wesentlich dazu anwandte, um die Ordnung zu
handhaben und das in den Gerichten dieser Zeit hergebrachte Spektakeln
seinen Anhängern so gut wie den Gegnern unmöglich zu machen. Diese
Neutralität des Regenten sah man den Urteilen des Spezialhofes an. Die
Geschworenen wagten zwar nicht, Milo selbst freizusprechen; aber die
meisten untergeordneten Angeklagten von der Partei der republikanischen
Opposition gingen frei aus, während die Verurteilung unnachsichtlich
diejenigen traf, die in dem letzten Krawall für Clodius, das heißt für
die Machthaber Partei genommen hatten, unter ihnen nicht wenige von
Caesars und selbst von Pompeius’ vertrautesten Freunden, sogar seinen
Kandidaten zum Konsulat, Hypsaeus, und die Volkstribune Plancus und
Rufus, die in seinem Interesse die Erneute dirigiert hatten. Wenn
Pompeius deren Verurteilung nicht hinderte, um unparteiisch zu
erscheinen, so war dies eine Albernheit, und eine zweite, daß er denn
doch wieder in ganz gleichgültigen Dingen zu Gunsten seiner Freunde
seine eigenen Gesetze verletzte, zum Beispiel im Prozeß des Plancus als
Charakterzeuge auftrat, und einzelne ihm besonders nahestehende
Angeklagte, wie den Metellus Scipio, in der Tat vor der Verurteilung
schützte. Wie gewöhnlich wollte er auch hier entgegengesetzte Dinge:
indem er versuchte, zugleich den Pflichten des unparteiischen Regenten
und des Parteihauptes Genüge zu tun, erfüllte er weder diese noch jene
und erschien der öffentlichen Meinung mit Recht als ein despotischer
Regent, seinen Anhängern mit gleichem Recht als ein Führer, der die
Seinigen entweder nicht schützen konnte oder nicht schützen wollte.
Indes wenn auch die Republikaner noch sich regten und sogar,
hauptsächlich durch Pompeius’ Fehlgriffe, hie und da ein einzelner
Erfolg sie anfrischte, so war doch der Zweck, den die Machthaber bei
jener Diktatur sich gesteckt hatten, im ganzen erreicht, der Zügel
straffer angezogen, die republikanische Partei gedemütigt und die neue
Monarchie befestigt. Das Publikum fing an sich in diese zu finden. Als
Pompeius nicht lange nachher von einer ernsthaften Krankheit genas,
ward seine Wiederherstellung durch ganz Italien mit den obligaten
Freudenbezeigungen gefeiert, die bei solchen Gelegenheiten in
Monarchien üblich sind. Die Machthaber zeigten sich befriedigt: schon
am 1. August 702 (52) legte Pompeius die Diktatur nieder und teilte das
Konsulat mit seinem Klienten Metellus Scipio.
KAPITEL IX.
Crassus’ Tod. Der Bruch der Gesamtherrscher.
Unter den Häuptern des “dreiköpfigen Ungeheuers” war Marcus Crassus
jahrelang mitgerechnet worden, ohne eigentlich mitzuzählen. Er diente
den wirklichen Machthabern Pompeius und Caesar als Gleichgewichtstein,
oder genauer gesagt, er fiel in Caesars Waagschale gegen Pompeius.
Diese Rolle ist nicht allzu ehrenvoll; aber Crassus ward nie durch
leidenschaftliches Ehrgefühl gehindert, seinen Vorteil zu verfolgen. Er
war Kaufmann und ließ mit sich handeln. Was ihm geboten ward, war nicht
viel; da indes mehr nicht zu erhalten war, nahm er es an und suchte den
nagenden Ehrgeiz und den Verdruß über seine der Macht so nahe und doch
machtlose Stellung über den immer höher sich ihm häufenden Goldbergen
zu vergessen. Aber die Konferenz zu Luca wandelte auch für ihn die
Verhältnisse um: um gegen Pompeius nach den so ausgedehnten
Zugeständnissen auch ferner im Übergewicht zu bleiben, gab Caesar
seinem alten Verbündeten Crassus Gelegenheit, durch den Parthischen
Krieg ebendahin in Syrien zu gelangen, wohin Caesar durch den
keltischen in Gallien gelangt war. Es war schwer zu sagen, ob diese
neuen Aussichten mehr den Heißhunger nach Gold reizten, der dem jetzt
sechzigjährigen Manne zur anderen Natur geworden war und mit jeder neu
erworbenen Million nur um so zehrender ward, oder mehr den in der Brust
des Graukopfs lange mühsam niedergekämpften und jetzt mit unheimlichem
Feuer in ihr glühenden Ehrgeiz. Bereits Anfang 700 (54) traf er in
Syrien ein: nicht einmal den Ablauf seines Konsulats hatte er
abgewartet um aufzubrechen. Voll hastiger Leidenschaft schien er jede
Minute auskaufen zu wollen, um das Versäumte nachzuholen, zu den
Schätzen des Westens noch die des Ostens einzutun, Feldherrnmacht und
Feldherrnruhm rasch wie Caesar und mühelos wie Pompeius zu erjagen.
Er fand den Parthischen Krieg bereits eingeleitet. Pompeius’ illoyales
Verhalten gegen die Parther ist früher erzählt worden; er hatte die
vertragsmäßige Euphratgrenze nicht respektiert und zu Gunsten
Armeniens, das jetzt römischer Klientelstaat war, mehrere Landschaften
vom Parthischen Reich abgerissen. König Phraates hatte sich das
gefallen lassen: nachdem er aber von seinen beiden Söhnen Mithradates
und Orodes ermordet worden war, erklärte der neue König Mithradates dem
König von Armenien, des kürzlich verstorbenen Tigranes Sohn Artavasdes,
sofort den Krieg (um 698 ^1 56). Es war dies zugleich eine
Kriegserklärung gegen Rom; sowie daher der Aufstand der Juden
unterdrückt war, führte der tüchtige und mutige Statthalter Syriens,
Gabinius, die Legionen über den Euphrat. Im Partherreich indes war
inzwischen eine Umwälzung eingetreten; die Großen des Reiches, an ihrer
Spitze der junge, kühne und talentvolle Großwesir, hatten den König
Mithradates gestürzt und dessen Bruder Orodes auf den Thron gesetzt.
Mithradates machte deshalb gemeinschaftliche Sache mit den Römern und
begab sich in Gabinius’ Lager. Alles versprach dem Unternehmen des
römischen Statthalters den besten Erfolg, als er unvermutet Befehl
bekam, den König von Ägypten mit Waffengewalt nach Alexandreia
zurückzuführen. Er wußte gehorchen; aber in der Erwartung, bald wieder
zurück zu sein, veranlaßte er den bei ihm um Hilfe bittenden
entthronten Partherfürsten, den Krieg inzwischen auf eigene Faust zu
eröffnen. Mithradates tat es und Seleukeia und Babylon erklärten sich
für ihn; aber Seleukeia nahm der Wesir, er persönlich der erste auf der
Zinne, mit stürmender Hand ein, und in Babylon wußte Mithradates
selbst, durch Hunger bezwungen, sich ergeben, worauf er auf Befehl des
Bruders hingerichtet ward. Sein Tod war ein fühlbarer Verlust für die
Römer; aber die Gärung im Parthischen Reich war doch keineswegs damit
zu Ende und auch der armenische Krieg währte noch fort. Eben war
Gabinius im Begriff, nach Beendigung des ägyptischen Feldzuges die
immer noch günstige Gelegenheit zu nutzen und den unterbrochenen
Parthischen Krieg wiederaufzunehmen, als Crassus in Syrien eintraf und
mit dem Kommando zugleich die Pläne seines Vorgängers übernahm. Voll
hochfliegender Hoffnungen schlug er die Schwierigkeiten des Marsches
gering, die Widerstandskraft der feindlichen Heere noch geringer an;
zuversichtlich sprach er nicht bloß von der Unterwerfung der Panther,
sondern eroberte schon in Gedanken die Reiche von Baktrien und Indien.
—————————————————————————-
^1 Tigranes lebte noch im Februar 698 (56) (Cic. Sest. 27, 59); dagegen
herrschte Artavasdes schon vor 700 (54) (Iust. 42, 2, 4; Plut. Crass.
49).
—————————————————————————-
Eile indes hatte der neue Alexander nicht. Erfand, bevor er so große
Pläne ins Werk setzte, noch Muße zu sehr weitläufigen und sehr
einträglichen Nebengeschäften. Der Tempel der Derketo in Hierapolis
Bambyke, des Jehova in Jerusalem und andere reiche Heiligtümer der
syrischen Provinz wurden auf Crassus’ Befehl ihrer Schätze beraubt und
von allen Untertanen Zuzug oder lieber noch statt desselben Geldsummen
beigetrieben. Die militärischen Operationen des ersten Sommers
beschränkten sich auf eine umfassende Rekognoszierung in Mesopotamien:
der Euphrat ward überschritten, bei Ichnä (am Belik, nördlich von
Rakkah) der parthische Satrap geschlagen und die nächstliegenden
Städte, darunter das ansehnliche Nikephorion (Rakkah), besetzt, worauf
man mit Zurücklassung von Besatzungen in denselben wieder nach Syrien
zurückging. Man hatte bisher geschwankt, ob es ratsamer sei, auf dem
Umweg über Armenien oder auf der geraden Straße durch die
mesopotamische Wüste nach Parthien zu marschieren. Der erste Weg durch
gebirgige und von zuverlässigen Verbündeten beherrschte Landschaften
empfahl sich durch die größere Sicherheit; König Artavasdes kam selbst
in das römische Hauptquartier, um diesen Feldzugsplan zu befürworten.
Allein jene Rekognoszierung entschied für den Marsch durch
Mesopotamien. Die zahlreichen und blühenden griechischen und
halbgriechischen Städte in den Landschaften am Euphrat und Tigris, vor
allen die Weltstadt Seleukeia, waren der parthischen Herrschaft
durchaus abgeneigt; wie früher die Bürger von Karrhä, so hatten jetzt
alle von den Römern berührten griechischen Ortschaften es mit der Tat
bewiesen, wie bereit sie waren, die unerträgliche Fremdherrschaft
abzuschütteln und die Römer als Befreier, beinahe als Landsleute zu
empfangen. Der Araberfürst Abgaros, der die Wüste von Edessa und Karrhä
und damit die gewöhnliche Straße vom Euphrat an den Tigris beherrschte,
hatte im Lager der Römer sich eingefunden, um dieselben seiner
Ergebenheit persönlich zu versichern. Durchaus hatten die Parther sich
unvorbereitet gezeigt. So ward denn der Euphrat (bei Biradjik)
überschritten (701 53). Um von da an den Tigris zu gelangen, konnte man
einen zwiefachen Weg wählen: entweder rückte das Heer am Euphrat hinab
bis auf die Höhe von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch
wenige Meilen voneinander entfernt sind; oder man schlug sogleich nach
dem Übergang auf der kürzesten Linie, quer durch die große
mesopotamische Wüste, den Weg zum Tigris ein. Der erste Weg führte
unmittelbar auf die parthische Hauptstadt Ktesiphon zu, die Seleukeia
gegenüber am andern Ufer des Tigris lag; es erhoben sich für diesen im
römischen Kriegsrat mehrere gewichtige Stimmen; namentlich der Quästor
Gaius Cassius wies auf die Schwierigkeiten des Wüstenmarsches und auf
die bedenklichen, von den römischen Besatzungen am linken Euphratufer
über die parthischen Kriegsvorbereitungen einlaufender. Berichte hin.
Allein damit im Widerspruch meldete der arabische Fürst Abgaros, daß
die Parther beschäftigt seien, ihre westlichen Landschaften zu räumen.
Bereits hätten sie ihre Schätze eingepackt und sich in Bewegung
gesetzt, um zu den Hyrkanern und Skythen zu flüchten; nur durch einen
Gewaltmarsch auf dem kürzesten Wege sei es überhaupt noch möglich, sie
zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahrscheinlich
gelingen, wenigstens den Nachtrab der großen Armee unter Sillakes und
dem Wesir einzuholen und aufzureiben und die ungeheure Beute zu
gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten Beduinen entschieden über die
Marschrichtung; das römische Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000
Reitern und 4000 Schleuderern und Schützen, wandte vom Euphrat sich ab
und hinein in die unwirtlichen Ebenen des nördlichen Mesopotamiens.
Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und die
endlose Sandwüste schienen Wache zu halten an den Pforten des Ostens.
Endlich, nach vieltägigem mühseligen Marsch, unweit des ersten Flusses,
den das römische Heer zu überschreiten hatte, des Balissos (Belik),
zeigten sich die ersten feindlichen Reiter. Abgaros mit seinen Arabern
ward ausgesandt, um zu kundschaften; die parthischen Reiterscharen
wichen zurück bis an und über den Fluß und verschwanden in der Ferne,
verfolgt von Abgaros und den Seinen. Ungeduldig harrte man auf die
Rückkehr desselben und auf genauere Kundschaft. Der Feldherr hoffte,
hier endlich an den ewig zurückweichenden Feind zu kommen; sein junger
tapferer Sohn Publius, der mit der größten Auszeichnung in Gallien
unter Caesar gefochten hatte und von diesem an der Spitze einer
keltischen Reiterschar zur Teilnahme an dem Parthischen Kriege entsandt
worden war, brannte vor stürmischer Kampflust. Da keine Botschaft kam,
entschloß man sich, auf gut Glück vorwärts zu gehen: das Zeichen zum
Aufbruch ward gegeben, der Balissos überschritten, das Heer nach
kurzer, ungenügender Mittagsrast ohne Aufenthalt im Sturmschritt
weitergeführt. Da erschollen plötzlich rings umher die Kesselpauken der
Parther; auf allen Seiten sah man ihre seidenen, goldgestickten Fahnen
flattern, ihre Eisenhelme und Panzer im Strahl der heißen Mittagssonne
glänzen; und neben dem Wesir hielt Fürst Abgaros mit seinen Beduinen.
Man begriff zu spät, in welches Netz man sich hatte verstricken lassen.
Mit sicherem Blick hatte der Wesir sowohl die Gefahr durchschaut wie
die Mittel, ihr zu begegnen. Mit orientalischem Fußvolk war gegen die
römische Linieninfanterie nichts auszurichten: er hatte sich desselben
entledigt und, indem er diese auf dem Hauptschlachtfeld unbrauchbare
Masse unter König Orodes’ eigener Führung gegen Armenien sandte, den
König Artavasdes gehindert, die versprochenen 10000 schweren Reiter zu
Crassus’ Heer stoßen zu lassen, die dieser jetzt schmerzlich vermißte.
Dagegen trat der römischen, in ihrer Art unübertrefflichen Taktik der
Wesir mit einer vollkommen verschiedenen gegenüber. Sein Heer bestand
ausschließlich aus Reiterei; die Linie bildeten die schweren Reiter,
mit langen Stoßlanzen bewaffnet und Mann und Roß durch metallene
Schuppenpanzer oder Lederkoller und durch ähnliche Schienen geschirmt;
die Masse der Truppen bestand aus berittenen Bogenschützen. Diesen
gegenüber waren die Römer in den gleichen Waffen sowohl der Zahl wie
der Tüchtigkeit nach durchaus im Nachteil. Ihre Linieninfanterie, wie
vorzüglich sie auch im Nahkampf, sowohl auf kurze Distanz mit dem
schweren Wurfspeer als im Handgemenge mit dem Schwert, war, konnte doch
eine bloß aus Reiterei bestehende Armee nicht zwingen, sich mit ihr
einzulassen, und fand, wenn es zum Handgemenge kam, auch hier in den
eisenstarrenden Scharen der Lanzenreiter einen ihr gewachsenen, wo
nicht überlegenen Gegner. Einem Heer gegenüber, wie dies parthische
war, stand das römische strategisch im Nachteil, weil die Reiterei die
Kommunikationen beherrschte; taktisch, weil jede Nahwaffe der Fernwaffe
unterliegen muß, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen Mann gelangt.
Die konzentrierte Stellung, auf der die ganze römische Kriegsweise
beruhte, steigerte einem solchen Angriff gegenüber die Gefahr; je
dichter die römische Kolonne sich scharte, desto unwiderstehlicher ward
allerdings ihr Stoß, aber desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr
Ziel. Unter gewöhnlichen Verhältnissen, wo Städte zu verteidigen und
Bodenschwierigkeiten zu berücksichtigen sind, hätte jene bloß mit
Reiterei gegen Fußvolk operierende Taktik sich niemals vollständig
durchführen lassen; in der mesopotamischen Wüste aber, wo das Heer,
fast wie das Schiff auf der hohen See, viele Tagemärsche hindurch weder
auf ein Hindernis noch auf einen strategischen Anhaltspunkt traf, war
diese Kriegführung eben darum so unwiderstehlich, weil die Verhältnisse
hier gestatteten, sie in ihrer ganzen Reinheit und also in ihrer ganzen
Gewalt zu entwickeln. Hier vereinigte sich alles, um die fremden
Fußgänger gegen die einheimischen Reiter in Nachteil zu setzen. Wo der
schwerbeladene römische Infanterist mühsam durch den Sand oder die
Steppe sich hinschleppte und auf dem pfadlosen, durch weit
auseinandergelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten Wege
vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische
Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt, auf seinem geschwinden Roß
oder Kamel zu sitzen, ja fast auf demselben zu leben, leicht durch die
Wüste, deren Ungemach er seit langem gelernt hatte sich zu erleichtern
und im Notfall zu ertragen. Hier fiel kein Regen, der die unerträgliche
Hitze gemildert und die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen
Schützen und Schleuderer erschlafft hätte; hier waren in dem tiefen
Sande an vielen Stellen kaum ordentliche Gräben und Wälle für das Lager
zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage zu erdenken, in der die
militärischen Vorteile alle mehr auf der einen, die Nachteile alle mehr
auf der andern Seite waren.
Auf die Frage, unter welchen Verhältnissen bei den Parthern diese neue
Taktik entstand, die erste nationale, die auf ihrem rechten Terrain
sich der römischen überlegen erwies, können wir leider nur mit
Mutmaßungen antworten. Die Lanzenreiter und berittenen Bogenschützen
sind im Orient uralt und bildeten bereits die Kerntruppen in den Heeren
des Kyros und Dareios; bisher aber waren diese Waffen nur in zweiter
Reihe und wesentlich zur Deckung der durchaus unbrauchbaren
orientalischen Infanterie verwendet worden. Auch die parthischen Heere
wichen hierin von den übrigen orientalischen keineswegs ab; es werden
dergleichen erwähnt, die zu fünf Sechsteln aus Fußvolk bestanden. In
dem Feldzug des Crassus dagegen trat die Reiterei zum ersten Male
selbständig auf, und es erhielt diese Waffe dadurch eine ganz neue
Verwendung und einen ganz anderen Wert. Die unwiderstehliche
Überlegenheit des römischen Fußvolks im Nahkampf scheint unabhängig
voneinander die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu
gleicher Zeit und mit ähnlichem Erfolg darauf geführt zu haben, ihm mit
der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cassivellaunus in
Britannien vollständig, Vercingetorix in Gallien zum Teil gelang, was
bis zu einem gewissen Grade schon Mithradates Eupator versuchte, das
hat der Wesir des Orodes nur in größerem Maßstab und vollständiger
durchgeführt: wobei es ihm namentlich zustatten kam, daß er in der
schweren Kavallerie das Mittel, eine Linie zu bilden, in dem im Orient
nationalen und vornehmlich in den persischen Landschaften mit
meisterlicher Schützenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame Fernwaffe,
endlich in den Eigentümlichkeiten des Landes und des Volkes die
Möglichkeit fand, seinen genialen Gedanken rein zu realisieren. Hier,
wo die römische Nahwaffe und das römische Konzentrierungssystem zum
ersten Male der Fernwaffe und dem Deployierungssystem unterlagen,
bereitete diejenige militärische Revolution sich vor, die erst mit der
Einführung des Feuergewehrs ihren vollständigen Abschluß erhalten hat.
Unter diesen Verhältnissen ward sechs Meilen südlich von Karrhä
(Harran), wo römische Besatzung stand, in nördlicher Richtung etwas
näher an Ichnä, inmitten der Sandwüste die erste Schlacht zwischen
Römern und Parthern geschlagen. Die römischen Schützen wurden
vorgesandt, wichen aber augenblicklich zurück vor der ungeheuren
Überzahl und der weit größeren Spannkraft und Tragweite der parthischen
Bogen. Die Legionen, die trotz der Mahnung der einsichtigeren
Offiziere, sie möglichst entfaltet gegen den Feind zu führen, in ein
dichtes Viereck von zwölf Kohorten an jeder Seite gestellt worden
waren, waren bald überflügelt und von den furchtbaren Pfeilen
überschüttet, die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die
Soldaten mit nichts auch nur zu erwidern vermochten. Die Hoffnung, daß
der Feind sich verschießen möge, verschwand bei einem Blick auf die
endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kamele. Immer weiter dehnten
die Parther sich aus. Damit die Überflügelung nicht zur Umzingelung
werde, rückte Publius Crassus mit einem auserlesenen Korps von Reitern,
Schützen und Linieninfanterie zum Angriff vor. In der Tat gab der Feind
es auf, den Kreis zu schließen, und wich zurück, hitzig verfolgt von
dem ungestümen Führer der Römer. Als aber darüber das Korps des Publius
die Hauptarmee ganz aus dem Gesicht verloren hatte, hielten die
schweren Reiter ihm gegenüber stand, und wie ein Netz zogen die von
allen Seiten herbeieilenden parthischen Haufen sich um dasselbe
zusammen. Publius, der die Seinigen unter den Pfeilen der berittenen
Schützen dicht und nutzlos um sich fallen sah, stürzte verzweifelt mit
seiner unbepanzerten keltischen Reiterei sich auf die eisenstarrenden
Lanzenreiter der Feinde; allein die todesverachtende Tapferkeit seiner
Kelten, die die Lanzen mit den Händen packten oder von den Pferden
sprangen, um die Feinde niederzustechen, tat ihre Wunder umsonst. Die
Trümmer des Korps, unter ihnen der am Schwertarm verwundete Führer,
wurden auf eine kleine Anhöhe gedrängt, wo sie den feindlichen Schützen
erst recht zur bequemen Zielscheibe dienten. Mesopotamische Griechen,
die der Gegend genau kundig waren, beschworen den Crassus, mit ihnen
abzureiten und einen Versuch zu machen, sich zu retten; aber er
weigerte sich, sein Schicksal von dem der tapferen Männer zu trennen,
die sein verwegener Mut in den Tod geführt hatte, und ließ von der Hand
seines Schildträgers sich durchbohren. Gleich ihm gaben die meisten
noch übrigen Offiziere sich selbst den Tod. Von der ganzen gegen 6000
Mann starken Abteilung wurden nicht mehr als 500 gefangen; zu retten
vermochte sich keiner. Gegen das Hauptheer hatte inzwischen der Angriff
nachgelassen und man rastete nur zu gern. Als endlich das Ausbleiben
jeder Meldung von dem entsandten Korps es aus der trügerischen Ruhe
aufschreckte und es, um dasselbe aufzusuchen, der Walstatt sich
näherte, ward dem Vater das Haupt des Sohnes auf einer Stange
entgegengetragen; und abermals begann nun gegen das Hauptheer die
schreckliche Schlacht, mit demselben Ungestüm und derselben
hoffnungslosen Gleichförmigkeit. Man vermochte weder die Lanzenreiter
zu sprengen noch die Schützen zu erreichen; erst die Nacht machte dem
Morden ein Ende. Hätten die Parther auf dem Schlachtfeld biwakiert, es
wäre schwerlich vom römischen Heer ein Mann entkommen. Allein nicht
geübt, anders als beritten zu fechten, und darum besorgt vor einem
Überfall, hatten sie die Gewohnheit, niemals hart am Feinde zu lagern;
höhnisch riefen sie den Römern zu, daß sie dem Feldherrn eine Nacht
schenkten, um seinen Sohn zu beweinen, und jagten davon, um am anderen
Morgen wiederzukehren und das blutend am Boden liegende Wild
abzufangen. Natürlich warteten die Römer den Morgen nicht ab. Die
Unterfeldherren Cassius und Octavius - Crassus selbst hatte gänzlich
den Kopf verloren - ließen sofort und in möglichster Stille, mit
Zurücklassung der sämtlichen - angeblich 4000 - Verwundeten und
Versprengten, die noch marschfähigen Leute aufbrechen, um in den Mauern
von Karrhä Schutz zu suchen. Daß die Parther, als sie den folgenden Tag
wiederkamen, zunächst sich daran machten, die zerstreut
Zurückgelassenen aufzusuchen und niederzumetzeln, und daß die Besatzung
und die Einwohnerschaft von Karrhä, durch Ausreißer frühzeitig von der
Katastrophe in Kenntnis gesetzt, schleunigst der geschlagenen Armee
entgegengerückt waren, rettete die Trümmer derselben vor der, wie es
schien, unausbleiblichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhä
konnten die parthischen Reiterscharen nicht denken. Allein bald brachen
die Römer freiwillig auf, sei es durch Mangel an Lebensmitteln
genötigt, sei es infolge der mutlosen Übereilung des Oberfeldherrn, den
die Soldaten vergeblich versucht hatten vom Kommando zu entfernen und
durch Cassius zu ersetzen. Man schlug die Richtung nach den armenischen
Bergen ein; die Nacht marschierend und am Tage rastend, erreichte
Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung Sinnaka, die nur
noch einen Tagesmarsch von den sicheren Höhen entfernt war, und
befreite sogar mit eigener Lebensgefahr den Oberfeldherrn, den der
Führer irregeleitet und dem Feinde preisgegeben hatte. Da ritt der
Wesir vor das römische Lager, um im Namen seines Königs den Römern
Frieden und Freundschaft zu bieten und auf eine persönliche
Zusammenkunft der beiden Feldherren anzutragen. Das römische Heer,
demoralisiert wie es war, beschwor, ja zwang seinen Führer, das
Anerbieten anzunehmen. Der Wesir empfing den Konsular und dessen Stab
mit den üblichen Ehren und erbot sich aufs neue, einen
Freundschaftspakt abzuschließen; nur forderte er, mit gerechter
Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pompeius hinsichtlich
der Euphratgrenze abgeschlossenen Verträge erinnernd, daß derselbe
sogleich schriftlich abgefaßt werde. Ein reichgeschmückter Zelter ward
vorgeführt: es war ein Geschenk des Königs für den römischen
Oberfeldherrn; die Diener des Wesirs drängten sich um Crassus,
beeifert, ihn aufs Pferd zu heben. Es schien den römischen Offizieren,
als beabsichtige man, sich der Person des Oberfeldherrn zu bemächtigen;
Octavius, unbewaffnet wie er war, riß einem Parther das Schwert aus der
Scheide und stieß den Pferdeknecht nieder. In dem Anlauf, der sich
hieraus entspann, wurden die römischen Offiziere alle getötet; auch der
greise Oberfeldherr wollte, wie sein Großohm, dem Feinde nicht lebend
als Trophäe dienen und suchte und fand den Tod. Die im Lager
zurückgebliebene führerlose Menge ward zum Teil gefangen, zum Teil
versprengt. Was der Tag von Karrhä begonnen hatte, vollendete der von
Sinnaka (9. Juni 701 53); beide nahmen ihren Platz neben den Daten von
der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphratarmee war nicht mehr.
Nur der Reiterschar des Gaius Cassius, welche bei dem Abmarsch von
Karrhä von dem Hauptheer abgesprengt worden war, und einigen anderen
zerstreuten Haufen und vereinzelten Flüchtlingen gelang es, sich den
Parthern und den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rückweg nach
Syrien zu finden. Von über 40000 römischen Legionären, die den Euphrat
überschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurück; die Hälfte war
umgekommen; gegen 10000 römische Gefangene wurden von den Siegern im
äußersten Osten ihres Reiches, in der Oase von Merv, nach parthischer
Art als heerpflichtige Leibeigene angesiedelt. Zum ersten Male, seit
die Adler die Legionen führten, waren dieselben in diesem Jahre zu
Siegeszeichen in den Händen fremder Nationen, fast gleichzeitig eines
deutschen Stammes im Westen und im Osten der Parther geworden. Von dem
Eindruck, den die Niederlage der Römer im Osten machte, ist uns leider
keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und bleibend muß er
gewesen sein. König Orodes richtete eben die Hochzeit seines Sohnes
Pakoros mit der Schwester seines neuen Verbündeten, des Königs
Artavasdes von Armenien, aus, als die Siegesbotschaft seines Wesirs bei
ihm einlief und, nach orientalischer Sitte, zugleich mit ihr der
abgehauene Kopf des Crassus. Schon war die Tafel aufgehoben; eine der
wandernden kleinasiatischen Schauspielertruppen, wie sie in jener Zeit
zahlreich bestanden und die hellenische Poesie und die hellenische
Bühnenkunst bis tief in den Osten hineintrugen, führten eben vor dem
versammelten Hofe Euripides’ ‘Bakchen’ auf. Der Schauspieler, der die
Rolle der Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung
ihren Sohn zerrissen hat und nun das Haupt desselben auf dem Thyrsus
tragend, vom Kithäron zurückkehrt, vertauschte dieses mit dem blutigen
Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Jubel seines Publikums von
halbhellenisierten Barbaren begann er aufs neue das wohlbekannte Lied:
Wir bringen vom Berge
Nach Hause getragen
Die herrliche Beute,
Das blutende Wild.
Es war seit den Zeiten der Achämeniden der erste ernsthafte Sieg, den
die Orientalen über den Okzident erfochten; und wohl lag auch darin ein
tiefer Sinn, daß zur Feier dieses Sieges das schönste Erzeugnis der
okzidentalischen Welt, die griechische Tragödie, durch ihre
herabgekommenen Vertreter in jener grausigen Groteske sich selber
parodierte. Das römische Bürgertum und der Genius von Hellas fingen
gleichzeitig an, sich auf die Ketten des Sultanismus zu schicken.
Die Katastrophe, entsetzlich an sich, schien auch in ihren Folgen
furchtbar zu werden und die Grundfesten der römischen Macht im Osten
erschüttern zu sollen. Es war das wenigste, daß jetzt die Parther.
jenseits des Euphrat unbeschränkt schalteten, daß Armenien, nachdem es
schon vor der Katastrophe des Crassus vom römischen Bündnis abgefallen
war, durch dieselbe ganz in parthische Klientel geriet, daß den treuen
Bürgern von Karrhä durch den von den Parthern ihnen gesetzten neuen
Herrn, einen der verräterischen Wegweiser der Römer namens Andromachos,
ihre Anhänglichkeit an die Okzidentalen bitter vergolten ward. Allen
Ernstes schickten die Parther sich an, nun ihrerseits die Euphratgrenze
zu überschreiten und im Verein mit den Armeniern und den Arabern die
Römer aus Syrien zu vertreiben. Die Juden und andere Orientalen mehr
harrten hier der Erlösung von der römischen Herrschaft nicht minder
ungeduldig, wie die Hellenen jenseits des Euphrat der Erlösung von der
parthischen; in Rom stand der Bürgerkrieg vor der Tür; der Angriff
ebenhier und ebenjetzt war eine schwere Gefahr. Allein zum Glücke Roms
hatten auf beiden Seiten die Führer gewechselt. Sultan Orodes verdankte
dem heldenmütigen Fürsten, der ihm erst die Krone aufgesetzt und dann
das Land von den Feinden gesäubert hatte, zu viel, um sich seiner nicht
baldmöglichst durch den Henker zu entledigen. Seinen Platz als
Oberfeldherr der nach Syrien bestimmten Invasionsarmee füllte ein Prinz
aus, des Königs Sohn Pakoros, dem seiner Jugend und Unerfahrenheit
wegen der Fürst Osakes als militärischer Ratgeber beigegeben werden
mußte. Andererseits übernahm an Crassus’ Stelle das Kommando in Syrien
interimistisch der besonnene und entschlossene Quästor Gaius Cassius.
Da die Parther, ebenwie früher Crassus, den Angriff nicht beeilten,
sondern in den Jahren 701 (53) und 702 (52) nur schwache, leicht
zurückgeworfene Streifscharen über den Euphrat sandten, so behielt
Cassius Zeit, das Heer einigermaßen zu reorganisieren und die Juden,
die die Erbitterung über die von Crassus verübte Spoliation des Tempels
schon jetzt unter die Waffen getrieben hatte, mit Hilfe des treuen
Anhängers der Römer, Herodos Antipatros, zum Gehorsam zurückzubringen.
Die römische Regierung hätte also volle Zeit gehabt, zur Verteidigung
dar bedrohten Grenze frische Truppen zu senden; allein es unterblieb
über den Konvulsionen der beginnenden Revolution, und als endlich im
Jahre 703 (51) die große parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien,
hatte Cassius immer noch nur die zwei schwachen, aus den Trümmern der
Armee des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natürlich
konnte er damit weder den Übergang wehren noch die Provinz verteidigen.
Syrien ward von den Parthern überrannt und ganz Vorderasien zitterte.
Allein die Parther verstanden es nicht, Städte zu belagern. Von
Antiocheia, in das Cassius mit seinen Truppen sich geworfen hatte,
zogen sie nicht bloß unverrichteter Sache ab, sondern wurden auf dem
Rückzug am Orontes noch durch Cassius’ Reiterei in einen Hinterhalt
gelockt und hier durch die römische Infanterie übel zugerichtet; Fürst
Osakes selbst war unter den Toten. Freund und Feind ward hier inne, daß
die parthische Armee unter einem gewöhnlichen Feldherrn und auf einem
gewöhnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede andere
orientalische. Indes aufgegeben war der Angriff nicht. Noch im Winter
703/04 (51/50) lagerte Pakoros in Kyrrhestike diesseits des Euphrat;
und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bibulus, ein ebenso elender
Feldherr wie unfähiger Staatsmann, wußte nichts Besseres zu tun, als
sich in seine Festungen einzuschließen. Allgemein ward erwartet, daß
der Krieg im Jahre 704 (50) mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde.
Allein statt gegen die Römer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen
eigenen Vater und trat deshalb sogar mit dem römischen Statthalter in
Einverständnis. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde der
römischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im Orient
wiederhergestellt, allein mit der parthischen Invasion in Vorderasien
war es vorbei, und es blieb, vorläufig wenigstens, die Euphratgrenze
erhalten.
In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Revolution seine
Rauchwolken sinnbetäubend empor. Man fing an, keinen Soldaten und
keinen Denar mehr gegen den Landesfeind, keinen Gedanken mehr übrig zu
haben für die Geschichte der Völker. Es ist eines der entsetzlichsten
Zeichen der Zeit, daß das ungeheure Nationalunglück von Karrhä und
Sinnaka den derzeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden
gab als jener elende Krawall auf der Appischen Straße, in dem ein paar
Monate nach Crassus der Bandenführer Clodius umkam; aber es ist
begreiflich und beinahe verzeihlich. Der Bruch zwischen den beiden
Machthabern, lange als unvermeidlich gefühlt und oft so nahe
verkündigt, rückte jetzt unaufhaltsam heran. Wie in der alten
griechischen Schiffersage befand sich das Fahrzeug der römischen
Gemeinde gleichsam zwischen zwei aufeinander zuschwimmenden Felsen; von
Augenblick zu Augenblick den krachenden Zusammenstoß erwartend,
starrten die, welche es trug, von namenloser Angst gebannt, in die hoch
und höher strudelnde Brandung, und während jedes kleinste Rücken hier
tausend Augen auf sich zog, wagte nicht eines, den Blick nach rechts
oder links zu verwenden.
Nachdem auf der Zusammenkunft von Luca im April 698 (36) Caesar sich
Pompeius gegenüber zu ansehnlichen Konzessionen verstanden und die
Machthaber damit sich wesentlich ins Gleichgewicht gesetzt hatten,
fehlte es ihrem Verhältnis nicht an den äußeren Bedingungen der
Haltbarkeit, insoweit eine Teilung der an sich unteilbaren
monarchischen Gewalt überhaupt haltbar sein kann. Eine andere Frage war
es, ob die Machthaber, wenigstens für jetzt, entschlossen waren,
zusammenzuhalten und gegenseitig sich ohne Hinterhalt als
gleichberechtigt anzuerkennen. Daß dies bei Caesar insofern der Fall
war, als er um den Preis der Gleichstellung mit Pompeius sich die zur
Unterwerfung Galliens notwendige Frist erkauft hatte, ist früher
dargelegt worden. Aber Pompeius war es schwerlich jemals auch nur
vorläufig Ernst mit der Kollegialität. Er war eine von den kleinlichen
und gemeinen Naturen, gegen die es gefährlich ist, Großmut zu üben:
seinem kleinlichen Sinn erschien es sicher als Gebot der Klugheit, dem
unwillig anerkannten Nebenbuhler bei erster Gelegenheit ein Bein zu
stellen, und seine gemeine Seele dürstete nach der Möglichkeit, die
durch Caesars Nachsicht erlittene Demütigung ihm umgekehrt zu
vergelten. Wenn aber Pompeius wahrscheinlich nach seiner dumpfen und
trägen Natur niemals recht sich dazu verstanden hatte, Caesar neben
sich gelten zu lassen, so ist doch die Absicht, das Bündnis zu
sprengen, ihm wohl erst allmählich zum klaren Bewußtsein gelangt. Auf
keinen Fall wird das Publikum, das überhaupt Pompeius’ An- und
Absichten gewöhnlich besser durchschaute als er selbst, darin sich
getäuscht haben, daß wenigstens mit dem Tode der schönen Julia, welche
in der Blüte ihrer Jahre im Herbst 700 (54) starb und der ihr einziges
Kind bald in das Grab nachfolgte, das persönliche Verhältnis zwischen
ihrem Vater und ihrem Gemahl gelöst war. Caesar versuchte, die vom
Schicksal getrennten verwandtschaftlichen Bande wiederherzustellen; er
warb für sich um die Hand der einzigen Tochter des Pompeius und trug
diesem seine jetzt nächste Verwandte, seiner Schwester Enkelin Octavia,
als Gemahlin an; allein Pompeius ließ seine Tochter ihrem bisherigen
Gatten Faustus Sulla, dem Sohn des Regenten, und vermählte sich selber
mit der Tochter des Quintus Metellus Scipio. Der persönliche Bruch war
unverkennbar eingetreten, und Pompeius war es, der die Hand zurückzog.
Man erwartete, daß der politische ihm auf dem Fuße folgen werde; allein
hierin hatte man sich getäuscht: in öffentlichen Angelegenheiten blieb
vorläufig noch ein kollegialisches Einvernehmen bestehen. Die Ursache
war, daß Caesar nicht geradezu das Verhältnis lösen wollte, bevor
Galliens Unterwerfung eine vollendete Tatsache war, Pompeius nicht,
bevor durch die Übernahme der Diktatur die Regierungsbehörden und
Italien vollständig in seine Gewalt gebracht sein würden. Es ist
sonderbar, aber wohl erklärlich, daß die Machthaber hierbei sich
gegenseitig unterstützten; Pompeius überließ nach der Katastrophe von
Aduatuca im Winter 700 (54) eine seiner auf Urlaub entlassenen
italienischen Legionen leihweise an Caesar; andererseits gewährte
Caesar Pompeius seine Einwilligung und seine moralische Unterstützung
bei den Repressivmaßregeln, die dieser gegen die störrige
republikanische Opposition ergriff. Erst nachdem Pompeius auf diesem
Wege im Anfang des Jahres 702 (52) sich das ungeteilte Konsulat und
einen durchaus den Caesars überwiegenden Einfluß in der Hauptstadt
verschafft und die sämtliche waffenfähige Mannschaft in Italien den
Soldateneid in seine Hände und auf seinen Namen abgeleistet hatte,
faßte er den Entschluß, baldmöglichst mit Caesar förmlich zu brechen;
und die Absicht trat auch klar genug hervor. Daß die nach dem Auflauf
auf der Appischen Straße stattfindende gerichtliche Verfolgung eben
Caesars alte demokratische Parteigenossen mit schonungsloser Härte
traf, konnte vielleicht noch als bloße Ungeschicklichkeit hingehen. Daß
das neue Gesetz gegen die Wahlumtriebe, indem es bis 684 (70)
zurückgriff, auch die bedenklichen Vorgänge bei Caesars Bewerbung um
das Konsulat miteinschloß, mochte gleichfalls nicht mehr sein, obgleich
nicht wenige Caesarianer darin eine bestimmte Absicht zu erkennen
meinten. Aber auch bei dem besten Willen konnte man nicht mehr die
Augen verschließen, als Pompeius sich zum Kollegen im Konsulat nicht
seinen früheren Schwiegervater Caesar erkor, wie es der Lage des Sache
entsprach und vielfach gefordert ward, sondern in seinem neuen
Schwiegervater Scipio sich einen von ihm völlig abhängigen Figuranten
an die Seite setzte; noch weniger, als Pompeius sich gleichzeitig die
Statthalterschaft beider Spanien auf weitere fünf Jahre, also bis 709
(45) verlängern und für die Besoldung seiner Truppen sich aus der
Staatskasse eine ansehnliche feste Summe auswerfen ließ, nicht nur,
ohne für Caesar die gleiche Verlängerung des Kommandos und die gleiche
Geldbewilligung zu bedingen, sondern sogar durch die gleichzeitig
ergangenen neuen Regulative über die Besetzung der Statthalterschaften
von weitem hinarbeitend auf eine Abberufung Caesars vor dem früher
verabredeten Termin. Unverkennbar waren diese Übergriffe darauf
berechnet, Caesars Stellung zu untergraben und demnächst ihn zu
stürzen. Der Augenblick konnte nicht günstiger sein. Nur darum hatte
Caesar in Luca Pompeius so viel eingeräumt, weil Crassus und dessen
syrische Armee bei einem etwaigen Bruch mit Pompeius notwendig in
Caesars Waagschale fielen; denn auf Crassus, der seit der sullanischen
Zeit mit Pompeius aufs tiefste verfeindet und fast ebensolange mit
Caesar politisch und persönlich verbündet war, und der nach seiner
Eigentümlichkeit allenfalls, wenn er nicht selbst König von Rom werden
konnte, auch damit sich begnügt haben würde, des neuen Königs von Rom
Bankier zu sein, durfte Caesar überhaupt zählen und auf keinen Fall
besorgen, ihn sich gegenüber als Verbündeten seiner Feinde zu
erblicken. Die Katastrophe von Juni 791 (53), in der Heer und Feldherr
in Syrien zu Grunde gingen, war darum auch für Caesar ein furchtbar
schwerer Schlag. Wenige Monate später loderte in Gallien, ebenda es
vollständig unterworfen schien, die nationale Insurrektion gewaltiger
empor als je und trat zum erstenmal hier gegen Caesar ein ebenbürtiger
Gegner in dem Arvernerkönig Vercingetorix auf. Wieder einmal hatte das
Geschick für Pompeius gearbeitet: Crassus war tot, ganz Gallien im
Aufstand, Pompeius faktisch Diktator von Rom und Herr des Senats - was
hätte kommen mögen, wenn er jetzt, statt in weite Ferne hinein gegen
Caesar zu intrigieren, kurzweg die Bürgerschaft oder den Senat zwang,
Caesar sofort aus Gallien abzurufen!
Aber Pompeius hat es nie verstanden, das Glück bei der Locke zu fassen.
Er kündigte den Bruch deutlich genug an; bereits 702 (52) ließen seine
Handlungen darüber keinen Zweifel und schon im Frühjahr 703 (51) sprach
er seine Absicht, mit Caesar zu brechen, unverhohlen aus; aber er brach
nicht und ließ ungenutzt die Monate verstreichen.
Indes wie auch Pompeius zögerte, die Krise rückte doch durch das
Schwergewicht der Dinge selbst unaufhaltsam heran. Der bevorstehende
Krieg war nicht etwa ein Kampf zwischen Republik und Monarchie - die
Entscheidung darüber war bereits vor Jahren gefallen -, sondern ein
Kampf um den Besitz der Krone Roms zwischen Pompeius und Caesar. Aber
keiner der Prätendenten fand seine Rechnung dabei, die rechte Parole
auszusprechen; er hätte damit den ganzen sehr ansehnlichen Teil der
Bürgerschaft, der den Fortbestand der Republik wünschte und an dessen
Möglichkeit glaubte, dem Gegner geradezu ins Lager getrieben. Die alten
Schlachtrufe, wie sie Gracchus und Drusus, Cinna und Sulla angestimmt
hatten, wie verbraucht und inhaltlos sie waren, blieben immer noch gut
genug zum Feldgeschrei für den Kampf der beiden um die Alleinherrschaft
ringenden Generale; und wenn auch für den Augenblick sowohl Pompeius
wie Caesar offiziell sich zu der sogenannten Popularpartei rechneten,
so konnte es doch keinen Augenblick zweifelhaft sein, daß Caesar das
Volk und den demokratischen Fortschritt, Pompeius die Aristokratie und
die legitime Verfassung auf sein Panier schreiben werde. Caesar hatte
keine Wahl. Er war von Haus aus und sehr ernstlich Demokrat, die
Monarchie, wie er sie verstand, mehr äußerlich als im Wesen selbst von
dem gracchischen Volksregiment verschieden; und er war ein zu
hochsinniger und zu tiefer Staatsmann, um seine Farbe zu decken und
unter einem anderen als seinem eigenen Wappen zu fechten. Der
unmittelbare Nutzen freilich, den dies Feldgeschrei ihm brachte, war
gering; er beschränkte in der Hauptsache sich darauf, daß er dadurch
der Unbequemlichkeit überhoben ward, das Königtum beim Namen zu nennen
und mit dem verfemten Worte die Masse der Lauen und die eigenen
Anhänger zu konsternieren. Positiven Gewinn trug die demokratische
Fahne kaum noch ein, seit die gracchischen Ideale durch Clodius
schändlich und lächerlich geworden waren; denn wo gab es jetzt,
abgesehen etwa von den Transpadanern, einen Kreis von irgendwelcher
Bedeutung, der durch die Schlachtrufe der Demokratie zur Teilnahme an
dem Kampfe sich hätte bestimmen lassen?
Damit wäre auch Pompeius’ Rolle in dem bevorstehenden Kampf entschieden
gewesen, wenn nicht ohnehin schon es sich von selbst verstanden hätte,
daß er in denselben eintreten wußte als der Feldherr der legitimen
Republik. Ihn hatte, wenn je einen, die Natur zum Glied einer
Aristokratie bestimmt, und nur sehr zufällige und sehr egoistische
Motive hatten ihn als Überläufer aus dem aristokratischen in das
demokratische Lager geführt. Daß er jetzt wieder auf seine sullanischen
Traditionen zurückkam, war nicht bloß sachgemäß, sondern in jeder
Beziehung von wesentlichem Nutzen. So verbraucht das demokratische
Feldgeschrei war, von so gewaltiger Wirkung wußte das konservative
sein, wenn es von dem rechten Mann ausging. Vielleicht die Majorität,
auf jeden Fall der Kern der Bürgerschaft, gehörte der verfassungstreuen
Partei an, und ihrer numerischen und moralischen Stärke nach war
dieselbe wohl berufen, in dem bevorstehenden Prätendentenkampf in
mächtiger, vielleicht in entscheidender Weise zu intervenieren. Es
fehlte ihr nichts als ein Führer. Marcus Cato, ihr gegenwärtiges Haupt,
tat als Vormann seine Schuldigkeit, wie er sie verstand, unter
täglicher Lebensgefahr und vielleicht ohne Hoffnung auf Erfolg; seine
Pflichttreue ist achtbar, aber der letzte auf einem verlorenen Posten
zu sein, ist Soldaten-, nicht Feldherrnlob. Die gewaltige Reserve, die
der Partei der gestürzten Regierung wie von selber in Italien erwachsen
war, wußte er weder zu organisieren noch rechtzeitig in den Kampf zu
ziehen; und, worauf am Ende alles ankam, die militärische Führung hat
er aus guten Gründen niemals in Anspruch genommen. Wenn anstatt dieses
Mannes, der weder Parteihaupt noch General zu sein verstand, ein Mann
von Pompeius’ politischer und militärischer Bedeutung das Banner der
bestehenden Verfassung erhob, so strömten notwendig die Munizipalen
Italiens haufenweise demselben zu, um darunter, zwar nicht für den
König Pompeius, aber doch gegen den König Caesar fechten zu helfen.
Hierzu kam ein anderes, wenigstens ebenso wichtiges Moment. Es war
Pompeius’ Art, selbst wenn er sich entschlossen hatte, nicht den Weg
zur Ausführung seines Entschlusses finden zu können. Wenn er den Krieg
vielleicht zu führen, aber gewiß nicht zu erklären verstand, so war die
catonische Partei sicher unfähig, ihn zu führen, aber sehr fähig und
vor allem sehr bereit gegen die in der Gründung begriffene Monarchie
den Krieg zu motivieren. Nach Pompeius’ Absicht sollte, während er
selbst sich beiseite hielt und in seiner Art bald davon redete
demnächst in seine spanischen Provinzen abgehen zu wollen, bald zur
Übernahme des Kommandos am Euphrat sich reisefertig machte, die
legitime Regierungsbehörde, das heißt der Senat, mit Caesar brechen,
ihm den Krieg erklären und mit dessen Führung Pompeius beauftragen, der
dann, dem allgemeinen Verlangen nachgebend, als Beschützer der
Verfassung gegen demagogisch-monarchische Wühlereien, als rechtlicher
Mann und Soldat der bestehenden Ordnung gegen die Wüstlinge und
Anarchisten, als wohlbestallter Feldherr der Kurie gegen den Imperator
von der Gasse aufzutreten und wieder einmal das Vaterland zu retten
gedachte. Also gewann Pompeius durch die Allianz mit den Konservativen,
teils zu seinen persönlichen Anhängern eine zweite Armee, teils ein
angemessenes Kriegsmanifest - Vorteile, die allerdings erkauft wurden
um den hohen Preis des Zusammengehens mit prinzipiellen Gegnern. Von
den unzähligen Übelständen, die in dieser Koalition lagen, entwickelte
sich vorläufig nur erst der eine, aber bereits sehr ernste, daß
Pompeius es aus der Hand gab, wann und wie es ihm gefiel, gegen Caesar
loszuschlagen, und in diesem entscheidenden Punkte sich abhängig machte
von allen Zufälligkeiten und Launen einer aristokratischen Korporation.
So ward also die republikanische Opposition, nachdem sie sich Jahre
lang mit der Zuschauerrolle hatte begnügen müssen und kaum hatte wagen
dürfen zu pfeifen, jetzt durch den bevorstehenden Bruch der Machthaber
wieder auf die politische Schaubühne zurückgeführt. Es war dies
zunächst der Kreis, der in Cato seinen Mittelpunkt fand, diejenigen
Republikaner, die den Kampf für die Republik und gegen die Monarchie
unter allen Umständen und je eher desto lieber zu wagen entschlossen
waren. Der klägliche Ausgang des im Jahre 698 (56) gemachten Versuchs
hatte sie belehrt, daß sie für sich allein den Krieg weder zu führen
noch auch nur hervorzurufen imstande waren; männiglich war es bekannt,
daß selbst in dem Senat zwar die ganze Körperschaft mit wenigen
vereinzelten Ausnahmen der Monarchie abgeneigt war, allein die
Majorität doch das oligarchische Regiment nur dann restaurieren wollte,
wenn es ohne Gefahr sich restaurieren ließ, womit es denn freilich gute
Weile hatte. Gegenüber einesteils den Machthabern, andernteils dieser
schlaffen Majorität, die vor allen Dingen und um jeden Preis Frieden
verlangte und jedem entschiedenen Handeln, am meisten einem
entschiedenen Bruch mit dem einen oder dem anderen der Machthaber
abgeneigt war, lag für die Catonische Partei die einzige Möglichkeit,
zu einer Restauration des alten Regiments zu gelangen, in der Koalition
mit dem minder gefährlichen der Herrscher. Wenn Pompeius sich zu der
oligarchischen Verfassung bekannte und für sie gegen Caesar zu streiten
sich erbot, so konnte und mußte die republikanische Opposition ihn als
ihren Feldherrn anerkennen und mit ihm im Bunde die furchtsame
Majorität zur Kriegserklärung zwingen. Daß es Pompeius mit seiner
Verfassungstreue nicht voller Ernst war, konnte zwar niemand entgehen;
aber halb, wie er in allem war, war es ihm doch auch keineswegs so wie
Caesar zum deutlichen und sicheren Bewußtsein gekommen, daß es das
erste Geschäft des neuen Monarchen sein müsse, mit dem oligarchischen
Gerümpel gründlich und abschließend aufzuräumen. Auf alle Fälle bildete
der Krieg ein wirklich republikanisches Heer und wirklich
republikanische Feldherren heran, und es konnte dann, nach dem Siege
über Caesar, unter günstigeren Aussichten dazu geschritten werden,
nicht bloß einen der Monarchen, sondern die im Werden begriffene
Monarchie selbst zu beseitigen. Verzweifelt wie die Sache der
Oligarchie stand, war das Anerbieten des Pompeius, mit ihr sich zu
verbünden, für sie die möglichst günstige Fügung.
Der Abschluß der Allianz zwischen Pompeius und der catonischen Partei
erfolgte verhältnismäßig rasch. Schon während Pompeius’ Diktatur hatte
beiderseits eine bemerkenswerte Annäherung stattgefunden. Pompeius
ganzes Verhalten in der Milonischen Krise, seine schroffe Zurückweisung
des die Diktatur ihm antragenden Pöbels, seine bestimmte Erklärung, nur
vom Senat dies Amt annehmen zu wollen, seine unnachsichtige Strenge
gegen die Ruhestörer jeder Art und namentlich gegen die
Ultrademokraten, die auffallende Zuvorkommenheit, womit er Cato und
dessen Gesinnungsgenossen behandelte, schienen ebenso darauf berechnet,
die Männer der Ordnung zu gewinnen, wie sie für den Demokraten Caesar
beleidigend waren. Andererseits hatten auch Cato und seine Getreuen den
Antrag, Pompeius die Diktatur zu übertragen, statt ihn mit gewohntem
Rigorismus zu bekämpfen, unter unwesentlichen Formänderungen zu dem
ihrigen gemacht; zunächst aus den Händen des Bibulus und Cato hatte
Pompeius das ungeteilte Konsulat empfangen. Wenn so schon zu Anfang des
Jahres 702 (52) die Catonische Partei und Pompeius wenigstens
stillschweigend sich verstanden, so durfte das Bündnis als förmlich
abgeschlossen gelten, als bei den Konsulwahlen für 703 (51) zwar nicht
Cato selbst gewählt ward, aber doch neben einem unbedeutenden Manne der
Senatsmajorität einer der entschiedensten Anhänger Catos, Marcus
Claudius Marcellus. Marcellus war kein stürmischer Eiferer und noch
weniger ein Genie, aber ein charakterfester und strenger Aristokrat,
eben der rechte Mann, um, wenn mit Caesar der Krieg begonnen werden
sollte, denselben zu erklären. Wie die Verhältnisse lagen, kann diese
nach den unmittelbar vorher gegen die republikanische Opposition
ergriffenen Repressivmaßregeln so auffallende Wahl kaum anders erfolgt
sein als mit Einwilligung oder wenigstens unter stillschweigender
Zulassung des derzeitigen Machthabers von Rom. Langsam und
schwerfällig, wie er pflegte, aber unverwandt schritt Pompeius auf den
Bruch zu.
In Caesars Absicht lag es dagegen nicht, in diesem Augenblicke mit
Pompeius sich zu überwerfen. Zwar ernstlich und auf die Dauer konnte er
die Herrschergewalt mit keinem Kollegen teilen wollen, am wenigsten mit
einem so untergeordneter Art, wie Pompeius war, und ohne Zweifel war er
längst entschlossen, nach Beendigung der gallischen Eroberung die
Alleinherrschaft für sich zu nehmen und nötigenfalls mit den Waffen zu
erzwingen. Allein ein Mann wie Caesar, in dem der Offizier durchaus dem
Staatsmann untergeordnet war, konnte nicht verkennen, daß die
Regulierung des staatlichen Organismus durch Waffengewalt denselben in
ihren Folgen tief und oft für immer zerrüttet, und mußte darum, wenn
irgend möglich, die Verwicklung durch friedliche Mittel oder wenigstens
ohne offenbaren Bürgerkrieg zu lösen suchen. War aber dennoch der
Bürgerkrieg nicht zu vermeiden, so konnte er doch nicht wünschen, jetzt
dazu gedrängt zu werden, wo in Gallien der Aufstand des Vercingetorix
eben alles Erreichte aufs neue in Frage stellte und ihn vom Winter
701/02 (53/52) bis zum Winter 702/03 (52/51) unausgesetzt beschäftigte,
wo Pompeius und die grundsätzlich ihm feindliche Verfassungspartei in
Italien geboten. Darum suchte er das Verhältnis mit Pompeius und damit
den Frieden aufrecht zu halten und, wenn irgend möglich, in friedlicher
Weise zu dem bereits in Luca ihm zugesicherten Konsulat für 706 (48) zu
gelangen. Ward er alsdann nach abschließender Erledigung der keltischen
Angelegenheiten in ordnungsgemäßer Weise an die Spitze des Staates
gestellt, so konnte er, der dem Staatsmann Pompeius noch weit
entschiedener überlegen war als dem Feldherrn, wohl darauf rechnen,
ohne besondere Schwierigkeit diesen in der Kurie und auf dem Forum
auszumanövrieren. Vielleicht war es möglich, für seinen schwerfälligen,
unklaren und hoffärtigen Nebenbuhler irgendeine ehrenvolle und
einflußreiche Stellung zu ermitteln, in der dieser sich zu annullieren
zufrieden war; die wiederholten Versuche Caesars, sich mit Pompeius
verschwägert zu halten, mochten darauf abzielen, eine solche Lösung
anzubahnen und in der Sukzession der aus beider Nebenbuhler Blut
herstammenden Sprößlinge die letzte Schlichtung des alten Haders
herbeizuführen. Die republikanische Opposition blieb dann führerlos,
also wahrscheinlich ebenfalls ruhig und der Friede ward erhalten.
Gelang dies nicht und mußten, wie es allerdings wahrscheinlich war,
schließlich die Waffen entscheiden, so verfügte dann Caesar als Konsul
in Rom über die gehorsame Senatsmajorität und konnte die Koalition der
Pompeianer und der Republikaner erschweren, ja vielleicht vereiteln und
den Krieg weit schicklicher und vorteilhafter führen, als wenn er jetzt
als Prokonsul von Gallien gegen den Senat und dessen Feldherrn
marschieren ließ. Allerdings hing das Gelingen dieses Planes davon ab,
daß Pompeius gutmütig genug war, jetzt noch Caesar zu dem ihm in Luca
zugesicherten Konsulat für 706 (48) gelangen zu lassen; aber selbst
wenn er fehlschlug, war es für Caesar immer noch nützlich, die größte
Nachgiebigkeit tatsächlich und wiederholt zu dokumentieren. Teils ward
dadurch Zeit gewonnen, um inzwischen im Keltenland zum Ziele zu kommen,
teils blieb den Gegnern die gehässige Initiative des Bruches und also
des Bürgerkriegs, was sowohl der Senatsmajorität und der Partei der
materiellen Interessen, also auch namentlich den eigenen Soldaten
gegenüber für Caesar vom größten Belang war.
Hiernach handelte er. Er rüstete freilich: durch neue Aushebungen im
Winter 702/03 (52/51) stieg die Zahl seiner Legionen, einschließlich
der von Pompeius entlehnten, auf elf. Aber zugleich billigte er
ausdrücklich und öffentlich Pompeius’ Verhalten während der Diktatur
und die durch ihn bewirkte Wiederherstellung der Ordnung in der
Hauptstadt, wies die Warnungen geschäftiger Freunde als Verleumdungen
zurück, rechnete jeden Tag, um den es gelang, die Katastrophe zu
verzögern, sich zum Gewinn, übersah, was sich übersehen ließ, und
ertrug, was ertragen werden konnte, unerschütterlich festhaltend nur an
der einen und entscheidenden Forderung, daß, wenn mit dem Jahre 705
(49) seine Statthalterschaft zu Ende ging, das nach republikanischem
Staatsrecht zulässige, von seinem Kollegen vertragsmäßig zugestandene
zweite Konsulat für das Jahr 706 (48) ihm zuteil werde.
Ebendies wurde das Schlachtfeld des jetzt beginnenden diplomatischen
Krieges. Wenn Caesar genötigt wurde, entweder sein Statthalteramt vor
dem letzten Dezember 705 (49) niederzulegen oder die Übernahme des
hauptstädtischen Amtes über den 1. Januar 706 (48) hinauszuschieben, er
also eine Zeitlang zwischen Statthalterschaft und Konsulat ohne Amt,
folglich der - nach römischem Recht nur gegen den amtlosen Mann
zulässigen - Kriminalanklage ausgesetzt blieb, so hatte, da Cato längst
bereit stand, ihn peinlich zu belangen, und da Pompeius ein mehr als
zweifelhafter Beschützer war, das Publikum guten Grund, ihm in diesem
Fall das Schicksal Milos zu prophezeien. Um aber jenes zu erreichen,
gab es für Caesars Gegner ein sehr einfaches Mittel. Nach der
bestehenden Wahlordnung war jeder Bewerber um das Konsulat
verpflichtet, vor der Wahl, also ein halbes Jahr vor dem Amtsantritt,
sich persönlich bei dem wahlleitenden Beamten zu melden und die
Einzeichnung seines Namens in die offizielle Kandidatenliste zu
bewirken. Es mag bei den Verträgen von Luca als selbstverständlich
angesehen worden sein, daß Caesar von dieser rein formellen und sehr
oft den Kandidaten erlassenen Verpflichtung dispensiert werde; allein
das desfällige Dekret war noch nicht ergangen, und da Pompeius jetzt im
Besitz der Dekretiermaschine war, hing Caesar in dieser Hinsicht von
dem guten Willen seines Nebenbuhlers ab. Unbegreiflicherweise gab
Pompeius diese vollkommen sichere Stellung freiwillig auf; mit seiner
Einwilligung und während seiner Diktatur 702 (52) ward durch ein
tribunizisches Gesetz Caesar die persönliche Meldung erlassen. Als
indes bald darauf die neue Wahlordnung erging, war darin die
Verpflichtung der Kandidaten, persönlich sich einschreiben zu lassen,
allgemein wiederholt und keinerlei Ausnahme zu Gunsten der durch ältere
Volksschlüsse davon Entbundenen hinzugefügt; nach formellem Recht war
das zu Gunsten Caesars ergangene Privileg durch das jüngere allgemeine
Gesetz aufgehoben. Caesar beschwerte sich, und die Klausel wurde auch
nachgetragen, aber nicht durch besonderen Volksschluß bestätigt, so daß
diese durch reine Interpolation dem schon promulgierten Gesetz
eingefügte Bestimmung rechtlich nur als eine Nullität angesehen werden
konnte. Was also Pompeius einfach hätte festhalten können, hatte er
vorgezogen erst zu verschenken, sodann zurückzunehmen und diese
Zurücknahme schließlich in illoyalster Weise zu bemänteln.
Wenn hiermit nur mittelbar auf Verkürzung der Statthalterschaft Caesars
hingearbeitet ward, so verfolgte dagegen das gleichzeitig ergangene
Regulativ über die Statthalterschaften dasselbe Ziel geradezu. Die zehn
Jahre, auf welche, zuletzt durch das von Pompeius selbst in
Gemeinschaft mit Crassus beantragte Gesetz, Caesar die
Statthalterschaft gesichert worden war, liefen nach der hierfür
üblichen Rechnung vom 1. März 695 (59) bis zum letzten Februar 705
(49). Da ferner nach der früheren Übung dem Prokonsul oder Proprätor
das Recht zustand, unmittelbar nach Beendigung seines Konsulats oder
seiner Prätur in sein Provinzialamt einzutreten, so war Caesars
Nachfolger nicht aus den städtischen Beamten des Jahres 704 (50),
sondern aus denen des Jahres 705 (49) zu ernennen und konnte also nicht
vor dem 1. Januar 706 (48) eintreten. Insofern hatte Caesar auch noch
während der letzten zehn Monate des Jahres 705 (49) ein Anrecht auf das
Kommando, nicht auf Grund des Pompeisch-Licinischen Gesetzes, aber auf
Grund der alten Regel, daß das befristete Kommando auch nach Ablauf der
Frist bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert. Seitdem nun aber
das neue Regulativ des Jahres 702 (52) nicht die abgehenden, sondern
die vor fünf Jahren oder länger abgegangenen Konsuln und Prätoren zu
den Statthalterschaften berief und also zwischen dem bürgerlichen Amt
und dem Kommando, statt der bisherigen unmittelbaren Aufeinanderfolge,
ein Intervall vorschrieb, war nichts mehr im Wege, jede gesetzlich
erledigte Statthalterschaft sofort anderweitig zu besetzen, also in dem
gegebenen Falle für die gallischen Provinzen den Kommandowechsel statt
am 1. Januar 706 (48) vielmehr am 1. März 705 (49) herbeizuführen.
Pompeius’ kümmerliche Hinterhältigkeit und zögernde Tücke sind in
diesen Veranstaltungen in merkwürdiger Weise gemischt mit dem
knifflichen Formalismus und der konstitutionellen Gelehrsamkeit der
Verfassungspartei. Jahre zuvor, ehe diese staatsrechtlichen Waffen
gebraucht werden konnten, legte man sie sich zurecht und setzte sich in
die Verfassung, teils Caesar vor dem Tage, wo die durch Pompeius’
eigenes Gesetz ihm zugesicherte Frist zu Ende lief, also vom 1. März
705 (49) an, durch Sendung der Nachfolger zur Niederlegung des
Kommandos nötigen, teils die bei den Wahlen für 706 (48) auf ihn
lautenden Stimmtafeln als nichtige behandeln zu können. Caesar, nicht
in der Lage, diese Schachzüge zu hindern, schwieg dazu und ließ die
Dinge an sich kommen.
Allgemach rückte denn der verfassungsmäßige Schneckengang weiter. Nach
der Observanz hatte der Senat über die Statthalterschaften des Jahres
705 (49), insofern sie an gewesene Konsuln kamen, zu Anfang des Jahres
703 (51), insofern sie an gewesene Prätoren kamen, zu Anfang des Jahres
704 (50) zu beraten; jene erstere Beratung gab den ersten Anlaß, die
Ernennung von neuen Statthaltern für beide Gallien im Senat zur Sprache
zu bringen und damit den ersten Anlaß zu offener Kollision zwischen der
von Pompeius vorgeschobenen Verfassungspartei und den Vertretern
Caesars im Senat. Der Konsul Marcus Marcellus brachte den Antrag ein,
den beiden für 705 (49) mit Statthalterschaften auszustattenden
Konsularen die beiden bisher von dem Prokonsul Gaius Caesar verwalteten
vom 1. März jenes Jahres an zu überweisen. Die lange zurückgehaltene
Erbitterung brach im Strom durch die einmal aufgezogene Schleuse; es
kam bei diesen Unterhandlungen alles zur Sprache, was die Catonianer
gegen Caesar im Sinn trugen. Für sie stand es fest, daß das durch
Ausnahmegesetz dem Prokonsul Caesar gestattete Recht, sich abwesend zur
Konsulwahl zu melden, durch späteren Volksschluß wieder aufgehoben,
auch in diesem nicht in gültiger Weise vorbehalten sei. Der Senat
sollte ihrer Meinung nach diesen Beamten veranlassen, da die
Unterwerfung Galliens beendigt sei, die ausgedienten Soldaten sofort zu
verabschieden. Die von Caesar in Oberitalien vorgenommenen
Bürgerrechtsverleihungen und Koloniegründungen wurden von ihnen als
verfassungswidrig und nichtig bezeichnet; davon zu weiterer
Verdeutlichung verhängte Marcellus über einen angesehenen Ratsherrn der
Caesarischen Kolonie Comum, der, selbst wenn diesem Ort nicht Bürger-,
sondern nur latinisches Recht zukam, befugt war, das römische
Bürgerrecht in Anspruch zu nehmen, die nur gegen Nichtbürger zulässige
Strafe des Auspeitschens.
Caesars derzeitige Vertreter, unter denen Gaius Vibius Pansa, der Sohn
eines von Sulla geächteten Mannes, aber dennoch in die politische
Laufbahn gelangt, früher Offizier in Caesars Heer und in diesem Jahre
Volkstribun, der namhafteste war, machten im Senat geltend, daß sowohl
der Stand der Dinge in Gallien als auch die Billigkeit erfordere, nicht
nur Caesar nicht vor der Zeit abzurufen, sondern vielmehr ihm das
Kommando neben dem Konsulat zu lassen; sie wiesen ohne Zweifel darauf
hin, daß vor wenigen Jahren Pompeius ganz ebenso die spanischen
Statthalterschaften mit dem Konsulat vereinigt habe und noch
gegenwärtig, außer dem wichtigen Oberaufsichtsamt über das
hauptstädtische Verpflegungswesen, mit dem spanischen Oberkommando das
von Italien kumuliere, ja dessen sämtliche waffenfähige Mannschaft von
ihm eingeschworen und ihres Eides noch nicht entbunden sei.
Der Prozeß fing an sich zu formulieren, aber er kam darum nicht in
rascheren Gang. Die Majorität des Senats, den Bruch kommen sehend, ließ
es Monate lang zu keiner beschlußfähigen Sitzung kommen; und wieder
andere Monate gingen über Pompeius’ feierlichem Zaudern verloren.
Endlich brach dieser das Schweigen und stellte sich zwar wie immer in
rückhaltiger und unsicherer Weise, doch deutlich genug, gegen seinen
bisherigen Verbündeten auf die Seite der Verfassungspartei. Die
Forderung der Caesarianer, ihrem Herrn die Kumulierung des Konsulats
mit dem Prokonsulat zu gestatten, wies er kurz und schroff von der
Hand; dies Verlangen, fügte er mit plumper Grobheit hinzu, komme ihm
nicht besser vor, als wenn der Sohn dem Vater Stockschläge anbiete. Dem
Antrag des Marcellus stimmte er im Prinzip insofern bei, als auch er
erklärte, Caesar den unmittelbaren Anschluß des Konsulats an das
Prokonsulat nicht erlauben zu wollen. Indes ließ er durchblicken, ohne
doch hierüber sich bindend zu erklären, daß man die Zulassung zu den
Wahlen für 706 (48) unter Beseitigung der persönlichen Meldung sowie
die Fortführung der Statthalterschaft bis zum 13. November 705 (49)
äußersten Falls Caesar vielleicht gestatten werde. Zunächst aber
willigte der unverbesserliche Zauderer in die Vertagung der
Nachfolgerernennung bis nach dem letzten Februar 704 (50), was von
Caesars Wortführern verlangt ward, wahrscheinlich auf Grund einer
Klausel des Pompeisch-Licinischen Gesetzes, welche vor dem Anfang von
Caesars letztem Statthalterjahr jede Verhandlung des Senats über die
Nachfolgerernennung untersagte.
In diesem Sinne fielen denn die Beschlüsse des Senats aus (29.
September 703 51). Die Besetzung der gallischen Statthalterschaften
ward für den 1. März 704 (50) auf die Tagesordnung gebracht, schon
jetzt aber die Sprengung der Armee Caesars, ähnlich wie es einst durch
Volksschluß mit dem Heere des Lucullus geschehen war, in der Art in die
Hand genommen, daß die Veteranen desselben veranlaßt wurden, sich wegen
ihrer Verabschiedung an den Senat zu wenden. Caesars Vertreter
bewirkten zwar, soweit sie verfassungsmäßig es konnten, die Kassation
dieser Beschlüsse durch ihr tribunizisches Veto; allein Pompeius sprach
sehr bestimmt aus, daß die Beamten verpflichtet seien, dem Staat
unbedingt zu gehorchen und Interzessionen und ähnliche antiquierte
Formalitäten hierin nichts ändern würden. Die oligarchische Partei, zu
deren Organ Pompeius jetzt sich machte, verriet nicht undeutlich die
Absicht, nach einem allfälligen Siege die Verfassung in ihrem Sinn zu
revidieren und alles zu beseitigen, was wie Volksfreiheit auch nur
aussah; wie sie denn auch, ohne Zweifel aus diesem Grunde, es
unterließ, bei ihren gegen Caesar gerichteten Angriffen sich irgendwie
der Komitien zu bedienen. Die Koalition zwischen Pompeius und der
Verfassungspartei war also förmlich erklärt, auch über Caesar das
Urteil offenbar bereits gefällt und nur der Termin der Eröffnung
verschoben. Die Wahlen für das folgende Jahr fielen durchgängig gegen
ihn aus.
Während dieser kriegsvorbereitenden Parteimanöver der Gegner war es
Caesar gelungen, mit der gallischen Insurrektion fertigzuwerden und in
dem ganzen unterworfenen Gebiet den Friedensstand herzustellen. Schon
im Sommer 703 (51) zog er, unter dem schicklichen Vorwand der
Grenzverteidigung, aber offenbar zum Zeichen dessen, daß die Legionen
in Gallien jetzt anfingen entbehrt werden zu können, eine derselben
nach Norditalien. Er mußte, wenn nicht früher, jedenfalls wohl jetzt
erkennen, daß es ihm nicht erspart bleiben werde, das Schwert gegen
seine Mitbürger zu ziehen; allein nichtsdestoweniger suchte er, da es
höchst wünschenswert war, die Legionen noch eine Zeitlang in dem kaum
beschwichtigten Gallien zu lassen, auch jetzt noch zu zögern und gab,
wohl bekannt mit der extremen Friedensliebe der Senatsmajorität, die
Hoffnung nicht auf, sie ungeachtet des von Pompeius auf sie ausgeübten
Druckes von der Kriegserklärung noch zurückzuhalten. Selbst große Opfer
scheute er nicht, um nur für jetzt nicht mit der obersten
Regierungsbehörde in offenen Widerspruch zu geraten. Als der Senat
(Frühling 704 50) auf Betrieb des Pompeius sowohl an diesen wie an
Caesar das Ansuchen stellte, je eine Legion für den bevorstehenden
Parthischen Krieg abzugeben, und als in Gemäßheit dieses Beschlusses
Pompeius die vor mehreren Jahren an Caesar überlassene Legion von
diesem zurückverlangte, um sie nach Syrien einzuschiffen, kam Caesar
der zwiefachen Aufforderung nach, da an sich weder die Opportunität
dieses Senatsbeschlusses noch die Berechtigung der Forderung des
Pompeius sich bestreiten ließ und Caesar an der Einhaltung der
Schranken des Gesetzes und der formalen Loyalität mehr gelegen war als
an einigen tausend Soldaten mehr. Die beiden Legionen kamen ohne Verzug
und stellten sich der Regierung zur Verfügung, aber statt sie an den
Euphrat zu senden, hielt diese sie in Capua für Pompeius in
Bereitschaft, und das Publikum hatte wieder einmal Gelegenheit, Caesars
offenkundige Bemühungen, den Bruch abzuwenden, mit der perfiden
Kriegsvorbereitung der Gegner zu vergleichen.
Für die Verhandlungen mit dem Senat war es Caesar gelungen, nicht nur
den einen der beiden Konsuln des Jahres, Lucius Aemilius Paullus, zu
erkaufen, sondern vor allem den Volkstribun Gaius Curio, wahrscheinlich
das eminenteste unter den vielen liederlichen Genies dieser Epoche ^2:
unübertroffen an vornehmer Eleganz, an fließender und geistreicher
Rede, an Intrigengeschick und an jener Tatkraft, welche bei energisch
angelegten, aber verlotterten Charakteren in den Pausen des Müßiggangs
nur um so mächtiger sich regt; aber auch unübertroffen in wüster
Wirtschaft, im Borgtalent - man schlug seine Schulden auf 60 Mill.
Sesterzen (4½ Mill. Taler) an - und in sittlicher wie politischer
Grundsatzlosigkeit. Schon früher hatte er Caesar sich zu Kauf
angetragen und war abgewiesen worden: das Talent, das er seitdem in
seinen Angriffen auf Caesar entwickelt hatte, bestimmte diesen, ihn
nachträglich zu erstehen - der Preis war hoch, aber die Ware war es
wert. Curio hatte in den ersten Monaten seines Volkstribunats den
unabhängigen Republikaner gespielt und als solcher sowohl gegen Caesar
wie gegen Pompeius gedonnert. Die anscheinend unparteiische Stellung,
die dies ihm gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im März
704 (50) der Antrag über die Besetzung der gallischen
Statthalterschaften für das nächste Jahr aufs neue im Senat zur
Verhandlung kam, diesem Beschlusse vollständig beizupflichten, aber die
gleichzeitige Ausdehnung desselben auch auf Pompeius und dessen
außerordentliche Kommandos zu verlangen. Seine Auseinandersetzung, daß
ein verfassungsmäßiger Zustand sich nur durch Beseitigung sämtlicher
Ausnahmestellungen herbeiführen lasse, daß Pompeius, als nur vom Senat
mit dem Prokonsulat betraut, noch viel weniger als Caesar demselben den
Gehorsam verweigern könne, daß die einseitige Beseitigung des einen der
beiden Generäle die Gefahr für die Verfassung nur steigere, leuchtete
den politischen Halbweisen wie dem großen Publikum vollkommen ein, und
Curios Erklärung, daß er jedes einseitige Vorschreiten gegen Caesar
durch das verfassungsmäßig ihm zustehende Veto zu verhindern gedenke,
fand in und außer dem Senat vielfach Billigung. Caesar erklärte sich
mit Curios Vorschlag sofort einverstanden und erbot sich,
Statthalterschaft und Kommando jeden Augenblick auf Anforderndes Senats
niederzulegen, wofern Pompeius das gleiche tue; er durfte es, denn ohne
sein italisch-spanisches Kommando war Pompeius nicht länger furchtbar.
Dagegen konnte Pompeius eben deswegen nicht umhin sich zu weigern;
seine Erwiderung, daß Caesar zuerst niederlegen müsse und er dem
gegebenen Beispiel bald zu folgen gedenke, befriedigte um so weniger,
als er nicht einmal einen bestimmten Termin für seinen Rücktritt
ansetzte. Wieder stockte Monate lang die Entscheidung; Pompeius und die
Catonianer, die bedenkliche Stimmung der Senatsmajorität erkennend,
wagten es nicht, Curios Antrag zur Abstimmung zu bringen. Caesar
benutzte den Sommer, um den Friedensstand in den von ihm eroberten
Landschaften zu konstatieren, an der Schelde eine große Heerschau über
seine Truppen und durch die ihm völlig ergebene norditalische
Statthalterschaft einen Triumphzug zu halten; der Herbst fand ihn in
der südlichen Grenzstadt seiner Provinz, in Ravenna. Die nicht länger
zu verzögernde Abstimmung über Curios Antrag fand endlich statt und
konstatierte die Niederlage der Partei des Pompeius und Cato in ihrem
ganzen Umfang. Mit 370 gegen 30 Stimmen beschloß der Senat, daß die
Prokonsuln von Spanien und Gallien beide aufzufordern seien, ihre Ämter
zugleich niederzulegen; und mit grenzenlosem Jubel vernahmen die guten
Bürger von Rom die frohe Botschaft von Curios rettender Tat. Pompeius
ward also vom Senat nicht minder abberufen als Caesar, und während
Caesar bereit stand, dem Befehl nachzukommen, verweigerte Pompeius
geradezu den Gehorsam. Der vorsitzende Konsul Gaius Marcellus, des
Marcus Marcellus Vetter und gleich diesem zur Catonischen Partei
gehörig, hielt der servilen Majorität eine bittere Strafpredigt; und
ärgerlich war es freilich, so im eigenen Lager geschlagen zu werden und
geschlagen mittels der Phalanx der Memmen. Aber wo sollte der Sieg auch
herkommen unter einem Führer, der, statt kurz und bestimmt den
Senatoren seine Befehle zu diktieren, sich auf seine alten Tage bei
einem Professor der Redekunst zum zweitenmal in die Lehre begab, um dem
jugendfrischen glänzenden Talente Curios mit neu aufpolierter Eloquenz
zu begegnen?
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^2 homo ingeniosissime nequam (Vell, 2, 48).
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Die im Senat geschlagene Koalition war in der peinlichsten Lage. Die
Catonische Fraktion hatte es übernommen, die Dinge zum Bruche zu
treiben und den Senat mit sich fortzureißen und sah nun in der
ärgerlichsten Weise ihr Fahrzeug auf den Sandbänken der schlaffen
Majorität stranden. Von Pompeius mußten ihre Führer in den Konferenzen
die bittersten Vorwürfe hören; er wies mit Nachdruck und mit vollem
Recht auf die Gefahren des Scheinfriedens hin, und wenn es auch nur an
ihm selber lag den Knoten durch eine rasche Tat zu durchhauen, so
wußten seine Verbündeten doch sehr wohl, daß sie diese von ihm
nimmermehr erwarten durften und daß es an ihnen war, wie sie es
zugesagt, ein Ende zu machen. Nachdem die Vorfechter der Verfassung und
des Senatsregiments bereits früher die verfassungsmäßigen Rechte der
Bürgerschaft und der Volkstribune für inhaltlose Formalitäten erklärt
hatten, sahen sie sich jetzt in die Notwendigkeit versetzt, die
verfassungsmäßigen Entscheidungen des Senats selbst in ähnlicher Weise
zu behandeln und, da die legitime Regierung nicht mit ihrem Willen sich
wollte retten lassen, sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das
weder neu noch zufällig; in ganz ähnlicher Weise wie jetzt Cato und die
Seinen hatten auch Sulla und Lucullus jeden im rechten Interesse der
Regierung gefaßten energischen Entschluß derselben über den Kopf nehmen
zu müssen: die Verfassungsmaschine war eben vollständig abgenutzt, und
wie seit Jahrhunderten die Komitien, so jetzt auch der Senat nichts als
ein lahmes, aus dem Geleise weichendes Rad.
Es ging die Rede (Oktober 704 50), daß Caesar vier Legionen aus dem
Jenseitigen in das Diesseitige Gallien gezogen und bei Placentia
aufgestellt habe. Obwohl diese Truppenverlegung an sich in den
Befugnissen des Statthalters lag, Curio überdies die vollständige
Grundlosigkeit des Gerüchts im Senat handgreiflich dartat und die Kurie
den Antrag des Konsuls Gaius Marcellus, daraufhin Pompeius Marschbefehl
gegen Caesar zu erteilen, mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch
der genannte Konsul in Verbindung mit den beiden für 705 (49) erwählten
gleichfalls zur Catonischen Partei gehörigen Konsuln zu Pompeius, und
diese drei Männer ersuchten kraft eigener Machtvollkommenheit den
General, sich an die Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu
stellen und nach Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen
zu rufen. Eine formwidrigere Vollmacht zur Eröffnung des Bürgerkrieges
ließ schwer sich denken; allein man hatte keine Zeit mehr, auf solche
Nebensachen Rücksicht zu nehmen: Pompeius nahm sie an. Die
Kriegsvorbereitungen, die Aushebungen begannen; um sie persönlich zu
fördern, verließ Pompeius im Dezember 704 (50) die Hauptstadt.
Caesar hatte es vollständig erreicht, den Gegnern die Initiative des
Bürgerkrieges zuzuschieben. Er hatte, während er selber den Rechtsboden
festhielt, Pompeius gezwungen, den Krieg zu erklären, und ihn zu
erklären nicht als Vertreter der legitimen Gewalt, sondern als Feldherr
einer offenbar revolutionären und die Mehrheit terrorisierenden
Senatsminorität. Es war dieser Erfolg nicht gering anzuschlagen,
wenngleich der Instinkt der Massen sich keinen Augenblick darüber
täuschen konnte und täuschte, daß es in diesem Krieg sich um andere
Dinge handelte als um formale Rechtsfragen. Nun, wo der Krieg erklärt
war, lag es in Caesars Interesse, baldmöglichst zum Schlagen zu kommen.
Die Rüstungen der Gegner waren erst im Beginnen und selbst die
Hauptstadt unbesetzt. In zehn bis zwölf Tagen konnte daselbst eine den
in Oberitalien stehenden Truppen Caesars dreifach überlegene Armee
beisammen sein; aber noch war es nicht unmöglich, Rom unverteidigt zu
überrumpeln, ja vielleicht durch einen raschen Winterfeldzug ganz
Italien einzunehmen und den Gegnern ihre besten Hilfsquellen zu
verschließen, bevor sie noch dieselben nutzbar zu machen vermochten.
Der kluge und energische Curio, der nach Niederlegung seines Tribunats
(9. Dezember 704 50) sofort zu Caesar nach Ravenna gegangen war,
stellte seinem Meister die Lage der Dinge lebhaft vor, und es bedurfte
dessen schwerlich, um Caesar zu überzeugen, daß jetzt längeres Zaudern
nur schaden könne. Allein da er, um nicht den Gegnern Veranlassung zu
Beschwerden zu geben, nach Ravenna selbst bisher keine Truppen gezogen
hatte, konnte er für jetzt nichts tun, als seinen sämtlichen Korps den
Befehl zum schleunigsten Aufbruch zufertigen und mußte warten, bis
wenigstens die eine in Oberitalien stehende Legion in Ravenna eintraf.
Inzwischen sandte er ein Ultimatum nach Rom, das, wenn zu nichts
anderem, doch dazu nützlich war, daß es durch Nachgiebigkeit bis aufs
äußerste seine Gegner noch weiter in der öffentlichen Meinung
kompromittierte und vielleicht sogar, indem er selber zu zaudern
schien, sie bestimmte, die Rüstungen gegen ihn lässiger zu betreiben.
In diesem Ultimatum ließ Caesar alle früheren an Pompeius gestellten
Gegenforderungen fallen und erbot sich seinerseits, bis zu der von dem
Senate festgesetzten Frist sowohl die Statthalterschaft des Jenseitigen
Galliens niederzulegen als auch von den zehn ihm eigenen Legionen acht
aufzulösen; er erklärte sich befriedigt, wenn der Senat ihm entweder
die Statthalterschaft des Diesseitigen Galliens und Illyriens mit einer
oder auch die des Diesseitigen Galliens allein mit zwei Legionen, nicht
etwa bis zur Übernahme des Konsulats, sondern bis nach Beendigung der
Konsulwahlen für 706 (48) belasse. Er ging also auf diejenigen
Vergleichsvorschläge ein, mit denen zu Anfang der Verhandlungen die
Senatspartei, ja Pompeius selbst erklärt hatten, sich befriedigen zu
wollen, und zeigte sich bereit, von der Wahl zum Konsulat bis zum
Antritt desselben im Privatstand zu verharren. Ob es Caesar mit diesen
erstaunlichen Zugeständnissen Ernst war und er sein Spiel gegen
Pompeius selbst bei solchem Vorgeben durchführen zu können sich
getraute oder ob er darauf rechnete, daß man auf der andern Seite
bereits zu weit gegangen sei, um in diesen Vergleichsvorschlägen mehr
zu finden als den Beweis dafür, daß Caesar seine Sache selbst als
verloren betrachte, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit entscheiden.
Die Wahrscheinlichkeit ist dafür, daß Caesar weit eher den Fehler
allzukecken Spielens als den schlimmeren beging, etwas zu versprechen,
was er nicht zu halten gesonnen war, und daß, wenn wunderbarerweise
seine Vorschläge angenommen worden wären, er sein Wort gutgemacht haben
würde. Curio übernahm es, seinen Herrn noch einmal in der Höhle des
Löwen zu vertreten. In drei Tagen durchflog er die Straße von Ravenna
nach Rom; als die neuen Konsuln Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der
jüngere ^3 zum erstenmal am 1. Januar 705 (49) den Senat versammelten,
übergab er in voller Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat
gerichtete Schreiben. Die Volkstribune Marcus Antonius, in der
Skandalchronik der Stadt bekannt als Curios vertrauter Freund und aller
seiner Torheiten Genosse, aber zugleich auch aus den ägyptischen und
gallischen Feldzügen als glänzender Reiteroffizier, und Quintus
Cassius, Pompeius’ ehemaliger Quästor, welche beide jetzt an Curios
Stelle Caesars Sache in Rom führten, erzwangen die sofortige Verlesung
der Depesche. Die ernsten und klaren Warte, in denen Caesar den
drohenden Bürgerkrieg, den allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius’
Übermut, seine eigene Nachgiebigkeit mit der ganzen unwiderstehlichen
Macht der Wahrheit darlegte, die Vergleichsvorschläge von einer ohne
Zweifel seine eigenen Anhänger überraschenden Mäßigung, die bestimmte
Erklärung, daß hiermit die Hand zum Frieden zum letztenmal geboten sei,
machten den tiefsten Eindruck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in
die Hauptstadt geströmten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der
Majorität nicht zweifelhaft; man durfte nicht wagen, sie sich
aussprechen zu lassen. Über den von Caesar erneuerten Vorschlag, daß
beiden Statthaltern zugleich die Niederlegung ihres Kommandos
aufgegeben werden möge, über alle durch sein Schreiben nahegelegten
Vergleichsvorschläge und über den von Marcus Caelius Rufus und Marcus
Calidius gestellten Antrag, Pompeius zur sofortigen Abreise nach
Spanien zu veranlassen, weigerten sich die Konsuln, wie sie als
Vorsitzende es durften, die Abstimmung zu eröffnen. Selbst der Antrag
eines der entschiedensten Gesinnungsgenossen, der nur nicht gegen die
militärische Lage der Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus
Marcellus: die Beschlußfassung auszusetzen, bis der italische Landsturm
unter Waffen stehe und den Senat zu schützen vermöge, durfte nicht zur
Abstimmung gebracht werden. Pompeius ließ durch sein gewöhnliches Organ
Quintus Scipio erklären, daß er jetzt oder nie die Sache des Senats
aufzunehmen entschlossen sei und sie fallen lasse, wenn man noch länger
zaudere. Der Konsul Lentulus sprach es unumwunden aus, daß es gar auf
den Beschluß des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn derselbe bei
seiner Servilität verharren sollte, er von sich aus handeln und mit
seinen mächtigen Freunden das weitere veranlassen werde. So
terrorisiert, beschloß die Majorität, was ihr befohlen ward: daß Caesar
bis zu einem bestimmten, nicht fernen Tage das Jenseitige Gallien an
Lucius Domitius Ahenobarbus, das Diesseitige an Marcus Servilius
Nonianus abzugeben und das Heer zu entlassen habe, widrigenfalls er als
Hochverräter erachtet werde. Als die Tribune von Caesars Partei gegen
diesen Beschluß ihres Interzessionsrechts sich bedienten, wurden sie
nicht bloß, wie sie wenigstens behaupteten, in der Kurie selbst von
Pompeianischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben zu
retten, in Sklavenkleidern aus der Hauptstadt zu flüchten gezwungen,
sondern es behandelte auch der nun hinreichend eingeschüchterte Senat
ihr formell durchaus verfassungsmäßiges Einschreiten wie einen
Revolutionsversuch, erklärte das Vaterland in Gefahr und rief in den
üblichen Formen die gesamte Bürgerschaft unter die Waffen und an die
Spitze der Bewaffneten die sämtlichen verfassungstreuen Beamten (7.
Januar 705 49).
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^3 Zu unterscheiden von dem gleichnamigen Konsul des Jahres 704 (SO);
dieser war ein Vetter, der Konsul des Jahres 705 (49) ein Bruder des
Marcus Marcellus, Konsul 703 (51).
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Nun war es genug. Wie Caesar durch die schutzflehend zu ihm ins Lager
flüchtenden Tribune von der Aufnahme in Kenntnis gesetzt ward, welche
seine Vorschläge in der Hauptstadt gefunden hatten, rief er die
Soldaten der dreizehnten Legion, die inzwischen aus ihren
Kantonierungen bei Tergeste (Triest) in Ravenna eingetroffen war,
zusammen und entwickelte vor ihnen den Stand der Dinge. Es war nicht
bloß der geniale Herzenskündiger und Geisterbeherrscher, dessen
glänzende Rede in diesem erschütternden Wendepunkt seines und des
Weltgeschicks hoch emporleuchtete und flammte; nicht bloß der
freigebige Heermeister und der sieghafte Feldherr, welcher zu den
Soldaten sprach, die von ihm selbst unter die Waffen gerufen und seit
acht Jahren mit immer steigender Begeisterung seinen Fahnen gefolgt
waren; es sprach vor allem der energische und konsequente Staatsmann,
der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache der Freiheit in guter und
böser Zeit vertreten, für sie den Dolchen der Mörder und den Henkern
der Aristokratie, den Schwertern der Deutschen und den Fluten des
unbekannten Ozeans Trotz geboten hatte, ohne je zu weichen und zu
wanken, der die Sullanische Verfassung zerrissen, das Regiment des
Senats gestürzt, die wehr- und waffenlose Demokratie in dem Kampfe
jenseits der Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu
dem clodianischen Publikum, dessen republikanischer Enthusiasmus längst
zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu den jungen
Mannschaften aus den Städten und Dörfern Norditaliens, die den
mächtigen Gedanken der bürgerlichen Freiheit noch frisch und rein
empfanden, die noch fähig waren, für Ideale zu fechten und zu sterben,
die selbst für ihre Landschaft das von der Regierung ihnen versagte
Bürgerrecht in revolutionärer Weise von Caesar empfangen hatten, die
Caesars Sturz den Ruten und Beilen abermals preisgab und die die
tatsächlichen Beweise bereits davon besaßen, wie unerbittlichen
Gebrauch die Oligarchie davon gegen die Transpadaner zu machen
gedachte. Vor solchen Zuhörern legte ein solcher Redner die Tatsachen
dar: den Dank für die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn
und dem Heer bereitete, die geringschätzige Beseitigung der Komitien,
die Terrorisierung des Senats, die heilige Pflicht, das vor einem
halben Jahrtausend von den Vätern mit den Waffen in der Hand dem Adel
abgezwungene Volkstribunat mit gewaffneter Hand zu schirmen, den alten
Schwur zu halten, den jene für sich wie für die Enkel ihrer Enkel
geleistet, für die Tribune der Gemeinde Mann für Mann einzustehen bis
in den Tod. Als dann er, der Führer und Feldherr der Popularpartei, die
Soldaten des Volkes aufrief, jetzt, nachdem der Güteversuch erschöpft,
die Nachgiebigkeit an den äußersten Grenzen angelangt war, jetzt ihm zu
folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden Kampf
gegen den ebenso verhaßten wie verachteten, ebenso perfiden wie
unfähigen und bis zur Lächerlichkeit unverbesserlichen Adel - da war
kein Offizier und kein Soldat, der sich zurückgehalten hätte. Der
Aufbruch war befohlen; an der Spitze seines Vortrabs überschritt Caesar
den schmalen Bach, der seine Provinz von Italien schied und jenseits
dessen die Verfassung den Prokonsul von Gallien bannte. Indem er nach
neunjähriger Abwesenheit den Boden des Vaterlandes wieder betrat,
betrat er zugleich die Bahn der Revolution. “Die Würfel waren
geworfen.”
KAPITEL X.
Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus
Zwischen den beiden bisherigen Gesamtherrschern von Rom sollten also
die Waffen entscheiden, wer von ihnen berufen sei, Roms erster
Alleinherrscher zu sein. Sehen wir, wie für die bevorstehende
Kriegführung zwischen Caesar und Pompeius sich das Machtverhältnis
gestellt hatte.
Caesars Macht ruhte zunächst auf der völlig unumschränkten Gewalt,
deren er innerhalb seiner Partei genoß. Wenn die Ideen der Demokratie
und der Monarchie in ihr zusammenflossen, so war dies nicht die Folge
einer zufällig eingegangenen und zufällig lösbaren Koalition, sondern
es war im tiefsten Wesen der Demokratie ohne Repräsentativverfassung
begründet, daß Demokratie wie Monarchie zugleich ihren höchsten und
letzten Ausdruck in Caesar fanden. Politisch wie militärisch entschied
Caesar durchaus in erster und letzter Instanz. In wie hohen Ehren er
auch jedes brauchbare Werkzeug hielt, so blieb es doch immer Werkzeug:
Caesar stand innerhalb seiner Partei ohne Genossen, nur umgeben von
militärisch-politischen Adjutanten, die in der Regel aus der Armee
hervorgegangen und als Soldaten geschult waren, nirgends nach Grund und
Zweck zu fragen, sondern unbedingt zu gehorchen. Darum vor allem hat in
dem entscheidenden Augenblick, als der Bürgerkrieg begann, von allen
Soldaten und Offizieren Caesars nur ein einziger ihm den Gehorsam
verweigert; und es bestätigt nur diese Auffassung des Verhältnisses
Caesars zu seinen Anhängern, daß dieser eine eben von allen der Erste
war. Titus Labienus hatte mit Caesar alle Drangsale der düsteren
catilinarischen Zeit wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn
geteilt, hatte regelmäßig selbständig befehligt und häufig die halbe
Armee geführt; er war ohne Frage wie der älteste, tüchtigste und
treueste unter Caesars Adjutanten, so auch der höchstgestellte und am
höchsten geehrte. Noch im Jahre 704 (50) hatte Caesar ihm den
Oberbefehl im Diesseitigen Gallien übertragen, um teils diesen
Vertrauensposten in sichere Hand zu geben, teils zugleich Labienus in
seiner Bewerbung um das Konsulat damit zu fördern. Allein ebenhier trat
Labienus mit der Gegenpartei in Verbindung, begab sich beim Beginn der
Feindseligkeiten im Jahre 705 (49), statt in Caesars in Pompeius’
Hauptquartier und kämpfte während des ganzen Bürgerkrieges mit
beispielloser Erbitterung gegen seinen alten Freund und Kriegsherrn.
Wir sind weder über Labienus’ Charakter noch über die einzelnen
Umstände seines Parteiwechsels genügend unterrichtet; im wesentlichen
aber liegt hier sicher nichts vor als ein weiterer Beleg dafür, daß der
Kriegsfürst weit sicherer auf seine Hauptleute als auf seine Marschälle
zählen kann. Allem Anschein nach war Labienus eine jener
Persönlichkeiten, die mit militärischer Brauchbarkeit vollständige
staatsmännische Unfähigkeit vereinigen und die dann, wenn sie
unglücklicherweise Politik machen wollen oder müssen, jenen tollen
Schwindelanfällen ausgesetzt sind, wovon die Geschichte der
Napoleonischen Marschälle so manches tragikomische Beispiel aufzeigt.
Er mochte wohl sich berechtigt halten, als das zweite Haupt der
Demokratie neben Caesar zu gelten; und daß er mit diesem Anspruch
zurückgewiesen ward, wird ihn in das Lager der Gegner geführt haben. Es
zeigte hier zum ersten Male sich die ganze Schwere des Übelstandes, daß
Caesars Behandlung seiner Offiziere als unselbständiger Adjutanten
keine zur Übernahme eines abgesonderten Kommandos geeigneten Männer in
seinem Lager emporkommen ließ, während er doch bei der leicht
vorherzusehenden Zersplitterung der bevorstehenden Kriegführung durch
alle Provinzen des weiten Reiches ebensolcher Männer dringend bedurfte.
Allein dieser Nachteil wurde dennoch weit aufgewogen durch die erste
und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines jeden Erfolgs,
die Einheit der obersten Leitung.
Die einheitliche Leitung erhielt ihre volle Gewalt durch die
Brauchbarkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster Linie in Betracht die
Armee. Sie zählte noch neun Legionen Infanterie oder höchstens 50000
Mann, welche aber alle vor dem Feinde gestanden und von denen zwei
Drittel sämtliche Feldzüge gegen die Kelten mitgemacht hatten. Die
Reiterei bestand aus deutschen und norischen Söldnern, deren
Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit in dem Kriege gegen Vercingetorix
erprobt worden war. Der achtjährige Krieg voll mannigfacher
Wechselfälle gegen die tapfere, wenn auch militärisch der italischen
entschieden nachstehende keltische Nation hatte Caesar die Gelegenheit
gegeben, seine Armee zu organisieren, wie nur er zu organisieren
verstand. Alle Brauchbarkeit des Soldaten setzt physische Tüchtigkeit
voraus: bei Caesars Aushebungen wurde auf Stärke und Gewandtheit der
Rekruten mehr als auf Vermögen und Moralität gesehen. Aber die
Leistungsfähigkeit der Armee beruht, wie die einer jeden Maschine, vor
allen Dingen auf der Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bewegung: in
der Bereitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und in der
Schnelligkeit des Marschierens erlangten Caesars Soldaten eine selten
erreichte und wohl nie übertroffene Vollkommenheit. Mut galt natürlich
über alles: die Kunst, den kriegerischen Wetteifer und den Korpsgeist
anzufachen, so daß die Bevorzugung einzelner Soldaten und Abteilungen
selbst den Zurückstehenden als die notwendige Hierarchie der Tapferkeit
erschien, übte Caesar mit unerreichter Meisterschaft. Er gewöhnte den
Leuten das Fürchten ab, indem er, wo es ohne ernste Gefahr geschehen
konnte, die Soldaten nicht selten von einem bevorstehenden Kampf nicht
in Kenntnis setzte, sondern sie unvermutet auf den Feind treffen ließ.
Aber der Tapferkeit gleich stand der Gehorsam. Der Soldat wurde
angehalten, das Befohlene zu tun, ohne nach Ursache und Absicht zu
fragen; manche zwecklose Strapaze wurde einzig als Übung in der
schweren Kunst der blinden Folgsamkeit ihm auferlegt. Die Disziplin war
streng, aber nicht peinlich: unnachsichtlich ward sie gehandhabt, wenn
der Soldat vor dem Feinde stand; zu anderen Zeiten, vor allem nach dem
Siege, wurden die Zügel nachgelassen, und wenn es dem sonst brauchbaren
Soldaten dann beliebte, sich zu parfümieren oder mit eleganten Waffen
und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar, wenn er Brutalitäten oder
Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher Art sich zu Schulden kommen
ließ und nur nicht zunächst die militärischen Verhältnisse dadurch
berührt wurden, so ging die Narrenteidung wie das Verbrechen ihm hin
und die desfälligen Klagen der Provinzialen fanden bei dem Feldherrn
ein taubes Ohr. Meuterei dagegen ward, nicht bloß den Anstiftern,
sondern selbst dem Korps, niemals verziehen. Aber der rechte Soldat
soll nicht bloß überhaupt tüchtig, tapfer und gehorsam, sondern er soll
dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen Naturen ist es
gegeben, durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem durch das
Bewußtsein, zweckmäßig gebraucht zu werden, die beseelte Maschine, die
sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen. Wenn der Offizier, um
von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen, selbst mit ihnen der Gefahr
ins Auge gesehen haben muß, so hatte Caesar auch als Feldherr
Gelegenheit gehabt, den Degen zu ziehen und dann gleich dem Besten ihn
gebraucht; an Tätigkeit aber und Strapazen mutete er stets sich selbst
weit mehr zu als seinen Soldaten. Caesar sorgte dafür, daß an den Sieg,
der zunächst freilich dem Feldherrn Gewinn bringt, doch auch für den
Soldaten sich persönliche Hoffnungen knüpften. Daß er es verstand, die
Soldaten für die Sache der Demokratie zu begeistern, soweit die
prosaisch gewordene Zeit noch Begeisterung gestattet, und daß die
politische Gleichstellung der transpadanischen Landschaft, der Heimat
seiner meisten Soldaten, mit dem eigentlichen Italien als eines der
Kampfziele hingestellt ward, wurde schon erwähnt. Es versteht sich, daß
daneben auch materielle Prämien nicht fehlten, sowohl besondere für
hervorragende Waffentaten, wie allgemeine für jeden tüchtigen Soldaten;
daß die Offiziere dotiert, die Soldaten beschenkt und für den Triumph
die verschwenderischsten Gaben in Aussicht gestellt wurden. Aber vor
allen Dingen verstand es Caesar als wahrer Heermeister, in jedem
einzelnen großen oder kleinen Triebrad des mächtigen Instruments das
Gefühl zweckmäßiger Verwendung zu erwecken. Der gewöhnliche Mensch ist
zum Dienen bestimmt und er sträubt sich nicht, Werkzeug zu sein, wenn
er fühlt, daß ein Meister ihn lenkt. Allgegenwärtig und jederzeit ruhte
der Adlerblick des Feldherrn auf dem ganzen Heer, mit unparteiischer
Gerechtigkeit belohnend und bestrafend und der Tätigkeit eines jeden
die zum Besten aller dienenden Wege weisend, so daß auch mit des
Geringsten Schweiß und Blut nicht experimentiert oder gespielt, darum
aber auch, wo es nötig war, unbedingte Hingebung bis in den Tod
gefordert ward. Ohne dem einzelnen in das gesamte Triebwerk den
Einblick zu gestatten, ließ Caesar ihn doch genug von dem politischen
und militärischen Zusammenhang der Dinge ahnen, um als Staatsmann und
Feldherr von dem Soldaten erkannt, auch wohl idealisiert zu werden.
Durchaus behandelte er die Soldaten nicht als seinesgleichen, aber als
Männer, welche Wahrheit zu fordern berechtigt und zu ertragen fähig
waren, und die den Versprechungen und Versicherungen des Feldherrn
Glauben zu schenken hatten, ohne Prellerei zu vermuten oder auf
Gerüchte zu horchen; als langjährige Kameraden in Krieg und Sieg, unter
denen kaum einer war, den er nicht mit Namen kannte und bei dem sich
nicht in all den Feldzügen ein mehr oder minder persönliches Verhältnis
zu dem Feldherrn gebildet hätte; als gute Genossen, mit denen er
zutraulich und mit der ihm eigenen heiteren Elastizität schwatzte und
verkehrte; als Schutzbefohlene, deren Dienste zu vergelten, deren
Unbill und Tod zu rächen ihm heilige Pflicht war. Vielleicht nie hat es
eine Armee gegeben, die so vollkommen war, was die Armee sein soll:
eine für ihre Zwecke fähige und für ihre Zwecke willige Maschine in der
Hand eines Meisters, der auf sie seine eigene Spannkraft überträgt.
Caesars Soldaten waren und fühlten sich zehnfacher Übermacht gewachsen:
wobei nicht übersehen werden darf, daß bei der durchaus auf das
Handgemenge und vornehmlich den Schwertkampf berechneten römischen
Taktik der geübte römische Soldat dem Neuling in noch weit höherem
Grade überlegen war, als dies unter den heutigen Verhältnissen der Fall
ist ^1. Aber noch mehr als durch die überlegene Tapferkeit fühlten die
Gegner sich gedemütigt durch die unwandelbare und rührende Treue, mit
der Caesars Soldaten an ihrem Feldherrn hingen. Es ist wohl ohne
Beispiel in der Geschichte, daß, als der Feldherr seine Soldaten
aufrief, ihm in den Bürgerkrieg zu folgen, mit der einzigen, schon
erwähnten Ausnahme des Labienus kein römischer Offizier und kein
römischer Soldat ihn im Stich ließ. Die Hoffnungen der Gegner auf eine
ausgedehnte Desertion scheiterten ebenso schmählich wie der frühere
Versuch, sein Heer wie das des Lucullus auseinander zu sprengen; selbst
Labienus erschien in Pompeius’ Lager wohl mit einem Haufen keltischer
und deutscher Reiter, aber ohne einen einzigen Legionär. Ja die
Soldaten, als wollten sie zeigen, daß der Krieg ganz ebenso ihre Sache
sei wie die des Feldherrn, machten unter sich aus, daß sie den Sold,
den ihnen Caesar beim Ausbruch des Bürgerkrieges zu verdoppeln
versprochen hatte, bis zu dessen Beendigung dem Feldherrn kreditieren
und inzwischen die ärmeren Kameraden aus allgemeinen Mitteln
unterstützen wollten; überdies rüstete und besoldete jeder
Unteroffizier einen Reiter aus seiner Tasche.
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^1 Ein gefangener Centurio von der zehnten Legion Caesars erklärte dem
feindlichen Oberfeldherrn daß er bereit sei, es mit zehn von seinen
Leuten gegen die beste feindliche Kohorte (500 Mann) aufzunehmen (Bell.
Afr. 45). “In der Fechtweise der Alten”, urteilt Napoleon I., “bestand
die Schlacht aus lauter Zweikämpfen; in dem Munde des heutigen Soldaten
würde es Prahlerei sein, was in dem jenes Centurionen nur richtig war.”
Von dem Soldatengeist, der Caesars Armee durchdrang, legen die seinen
Memoiren angehängten Berichte über den Afrikanischen und den Zweiten
Spanischen Krieg, von denen jener einen Offizier zweiten Ranges zum
Verfasser zu haben scheint, dieser ein in jeder Beziehung subalternes
Lagerjournal ist, lebendigen Beweis ab.
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Wenn also Caesar das eine hatte, was not tat: unbeschränkte politische
und militärische Gewalt und eine schlagfertige zuverlässige Armee, so
dehnte seine Macht verhältnismäßig sich nur über einen sehr
beschränkten Raum aus. Sie ruhte wesentlich auf der oberitalischen
Provinz. Diese Landschaft war nicht bloß die am besten bevölkerte unter
allen italischen, sondern auch der Sache der Demokratie als ihrer
eigenen ergeben. Von der daselbst herrschenden Stimmung zeugt das
Verhalten einer Abteilung Rekruten von Opitergium (Oderzo in der
Delegation Treviso), die nicht lange nach dem Ausbruch des Krieges in
den illyrischen Gewässern, auf einem elenden Floß von den feindlichen
Kriegsschiffen umzingelt, den ganzen Tag bis zur sinkenden Sonne sich
zusammenschießen ließen, ohne sich zu ergeben, und, soweit sie den
Geschossen entgangen waren, in der folgenden Nacht mit eigener Hand
sich den Tod gaben. Man begreift, was einer solchen Bevölkerung
zugemutet werden konnte. Wie sie Caesar bereits die Mittel gewährt
hatte, seine ursprüngliche Armee mehr als zu verdoppeln, so stellten
auch nach Ausbruch des Bürgerkrieges zu den sofort angeordneten
umfassenden Aushebungen die Rekruten zahlreich sich ein. In dem
eigentlichen Italien dagegen war Caesars Einfluß dem der Gegner nicht
entfernt zu vergleichen. Wenn er auch durch geschickte Manöver die
Catonische Partei ins Unrecht zu setzen gewußt und alle, die einen
Vorwand wünschten, um mit gutem Gewissen entweder neutral zu bleiben,
wie die Senatsmajorität, oder seine Partei zu ergreifen, wie seine
Soldaten und die Transpadaner, von seinem guten Recht hinreichend
überzeugt hatte, so ließ sich doch die Masse der Bürgerschaft natürlich
dadurch nicht irren und sah, als der Kommandant von Gallien seine
Legionen gegen Rom in Bewegung setzte, allen formalen
Rechtserörterungen zum Trotz, in Cato und Pompeius die Verteidiger der
legitimen Republik, in Caesar den demokratischen Usurpator. Allgemein
erwartete man ferner von dem Neffen des Marius, dem Schwiegersöhne des
Cinna, dem Verbündeten des Catilina die Wiederholung der
Marianisch-Cinnanischen Greuel, die Realisierung der von Catilina
entworfenen Saturnalien der Anarchie; und wenn auch Caesar hierdurch
allerdings Verbündete gewann, die politischen Flüchtlinge sofort in
Masse sich ihm zur Verfügung stellten, die verlorenen Leute ihren
Erlöser in ihm sahen, die niedrigsten Schichten des haupt- und
landstädtischen Pöbels auf die Kunde von seinem Anmarsch in Gärung
gerieten, so waren dies doch von den Freunden, die gefährlicher als die
Feinde sind. Noch weniger als in Italien hatte Caesar in den Provinzen
und den Klientelstaaten Einfluß. Das Transalpinische Gallien bis zum
Rhein und zum Kanal gehorchte ihm zwar, und die Kolonisten von Narbo
sowie die sonst daselbst ansässigen römischen Bürger waren ihm ergeben;
allein selbst in der Narbonensischen Provinz hatte die
Verfassungspartei zahlreiche Anhänger, und nun gar die neueroberten
Landschaften waren für Caesar in dem bevorstehenden Bürgerkrieg weit
mehr eine Last als ein Vorteil, wie er denn aus guten Gründen in
demselben von dem keltischen Fußvolk gar keinen, von der Reiterei nur
sparsamen Gebrauch machte. In den übrigen Provinzen und den
benachbarten, halb oder ganz unabhängigen Staaten hatte Caesar wohl
auch versucht, sich Rückhalt zu verschaffen, hatte den Fürsten reiche
Geschenke gespendet, in manchen Städten große Bauten ausführen lassen
und in Notfällen ihnen finanziellen und militärischen Beistand gewährt;
allein im ganzen war natürlich damit nicht viel erreicht worden, und
die Beziehungen zu den deutschen und keltischen Fürsten in den Rhein-
und Donaulandschaften, namentlich die der Reiterwerbung wegen wichtige
zu dem norischen König Voccio waren wohl die einzigen derartigen
Verhältnisse, die für ihn etwas bedeuten mochten.
Wenn Caesar also in den Kampf eintrat nur als Kommandant von Gallien,
ohne andere wesentliche Hilfsmittel als brauchbare Adjutanten, ein
treues Heer und eine ergebene Provinz, so begann ihn Pompeius als
tatsächliches Oberhaupt des römischen Gemeinwesens und im Vollbesitz
aller der legitimen Regierung des großen römischen Reiches zur
Verfügung stehenden Hilfsquellen. Allein wenn seine Stellung politisch
und militärisch weit ansehnlicher war, so war sie dagegen auch weit
minder klar und fest. Die Einheit der Oberleitung, die aus Caesars
Stellung sich von selbst und mit Notwendigkeit ergab, war dem Wesen der
Koalition zuwider; und obwohl Pompeius, zu sehr Soldat, um sich über
die Unentbehrlichkeit derselben zu täuschen, sie der Koalition
aufzuzwingen versuchte und sich vom Senat zum alleinigen und
unumschränkten Oberfeldherrn zu Lande und zur See ernennen ließ, so
konnte doch der Senat selbst nicht beseitigt und ein überwiegender
Einfluß auf die politische, ein gelegentliches und darum doppelt
schädliches Eingreifen in die militärische Oberleitung ihm nicht
verwehrt werden. Die Erinnerung an den zwanzigjährigen, auf beiden
Seiten mit vergifteten Waffen geführten Krieg zwischen Pompeius und der
Verfassungspartei, das auf beiden Seiten lebhaft vorhandene und mühsam
verhehlte Bewußtsein, daß die nächste Folge des erfochtenen Sieges der
Bruch zwischen den Siegern sein werde, die Verachtung, die man
gegenseitig und von beiden Seiten mit nur zu gutem Grund sich zollte,
die unbequeme Anzahl angesehener und einflußreicher Männer in den
Reihen der Aristokratie und die geistige und sittliche Inferiorität
fast aller Beteiligten erzeugten überhaupt bei den Gegnern Caesars ein
widerwilliges und widersetzliches Zusammenwirken, das mit dem
einträchtigen und geschlossenen Handeln auf der anderen Seite den
übelsten Kontrast bildet.
Wenn also alle Nachteile der Koalition unter sich feindlicher Mächte
von Caesars Gegnern in ungewöhnlichem Maße empfunden wurden, so war
doch allerdings auch diese Koalition eine sehr ansehnliche Macht. Die
See beherrschte sie ausschließlich: alle Häfen, alle Kriegsschiffe,
alles Flottenmaterial standen zu ihrer Verfügung. Die beiden Spanien,
gleichsam Pompeius’ Hausmacht so gut wie die beiden Gallien Caesars,
waren ihrem Herrn treu anhänglich und in den Händen tüchtiger und
zuverlässiger Verwalter. Auch in den übrigen Provinzen, natürlich mit
Ausnahme der beiden Gallien, waren die Statthalter- und
Kommandantenstellen während der letzten Jahre unter dem Einfluß von
Pompeius und der Senatsminorität mit sicheren Männern besetzt worden.
Durchaus und mit großer Entschiedenheit ergriffen die Klientelstaaten
Partei gegen Caesar und für Pompeius. Die bedeutendsten Fürsten und
Städte waren in den verschiedenen Abschnitten seiner mannigfaltigen
Wirksamkeit zu Pompeius in die engsten persönlichen Beziehungen
getreten - wie er denn in dem Kriege gegen die Marianer der
Waffengenosse der Könige von Numidien und Mauretanien gewesen war und
das Reich des ersteren wiederaufgerichtet hatte; wie er im
Mithradatischen Kriege außer einer Menge anderer kleinerer geistlicher
und weltlicher Fürstentümer die Königreiche Bosporus, Armenien und
Kappadokien wiederhergestellt, das galatische des Deiotarus geschaffen
hatte; wie zunächst auf seine Veranlassung der Ägyptische Krieg
unternommen und durch seinen Adjutanten die Lagidenherrschaft neu
befestigt worden war. Selbst die Stadt Massalia in Caesars eigener
Provinz verdankte wohl auch diesem manche Vergünstigungen, aber
Pompeius vom Sertorianischen Kriege her eine sehr ansehnliche
Gebietserweiterung, und es stand außerdem die hier regierende
Oligarchie mit der römischen in einem natürlichen und durch vielfache
Zwischenbeziehungen befestigten Bunde. Diese persönlichen Rücksichten
und Verhältnisse sowie die Glorie des Siegers in drei Weltteilen,
welche in diesen abgelegeneren Teilen des Reiches die des Eroberers von
Gallien noch weit überstrahlte, schadeten indes hier Caesar vielleicht
weniger noch als die daselbst nicht unbekannt gebliebenen An- und
Absichten des Erben des Gaius Gracchus über die Notwendigkeit der
Reunion der abhängigen Staaten und die Nützlichkeit der
Provinzialkolonisationen. Keiner unter den abhängigen Dynasten sah von
dieser Gefahr sich näher bedroht als König Juba von Numidien. Nicht
bloß war er vor Jahren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit
Caesar persönlich aufs heftigste zusammengeraten, sondern es hatte auch
kürzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast den
ersten Platz einnahm, bei der römischen Bürgerschaft den Antrag auf
Einziehung des Numidischen Reiches gestellt. Sollte endlich es so weit
kommen, daß die unabhängigen Nachbarstaaten in den römischen
Bürgerkrieg eingriffen, so war der einzige wirklich mächtige, der der
Parther, durch die zwischen Pakoros und Bibulus angeknüpfte Verbindung
tatsächlich bereits mit der aristokratischen Partei alliiert, während
Caesar viel zu sehr Römer war, um aus Parteiinteressen sich mit den
Überwindern seines Freundes Crassus zu verkuppeln.
Was Italien anlangt, so war, wie schon gesagt, die große Majorität der
Bürgerschaft Caesar abgeneigt; vor allem natürlich die gesamte
Aristokratie mit ihrem sehr beträchtlichen Anhang, nicht viel minder
aber auch die hohe Finanz, die nicht hoffen durfte, bei einer
durchgreifenden Reform des Gemeinwesens ihre parteiischen
Geschworenengerichte und ihr Erpressungsmonopol zu konservieren. Ebenso
antidemokratisch gesinnt waren die kleinen Kapitalisten, die
Landgutsbesitzer und überhaupt alle Klassen, die etwas zu verlieren
hatten; nur daß freilich in diesen Schichten die Sorge um die nächsten
Zinstermine und um Saaten und Ernten in der Regel jede andere Rücksicht
überwog.
Die Armee, über die Pompeius verfügte, bestand hauptsächlich in den
spanischen Truppen, sieben krieggewohnten und in jeder Hinsicht
zuverlässigen Legionen, wozu die weiter in Syrien, Asia, Makedonien,
Afrika, Sizilien und sonst befindlichen, freilich schwachen und sehr
zerstreuten Truppenabteilungen kamen. In Italien standen unter den
Waffen zunächst nur die zwei von Caesar kürzlich abgegebenen Legionen,
deren Effektivbestand sich nicht über 7000 Mann belief und deren
Zuverlässigkeit mehr als zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im
Diesseitigen Gallien und alte Waffengefährten Caesars, über die unfeine
Intrige, durch die man sie das Lager hatte wechseln machen, in hohem
Grade mißvergnügt waren und ihres Feldherrn, der die für den Triumph
jedem Soldaten versprochenen Geschenke ihnen vor ihrem Abmarsch
großmütig vorausgezahlt hatte, sehnsüchtig gedachten. Allein abgesehen
davon, daß die spanischen Truppen mit dem Frühjahr entweder auf dem
Landweg durch Gallien oder zur See in Italien eintreffen konnten,
konnten in Italien die Mannschaften der von den Aushebungen von 699
(55) noch übrigen drei Legionen sowie das im Jahre 702 (52) in Pflicht
genommene italische Aufgebot aus dem Urlaub einberufen werden. Mit
Einrechnung dieser stellte sich die Zahl der Pompeius im ganzen zur
Verfügung stehenden Truppen, ohne die sieben Legionen in Spanien und
die in den andern Provinzen zerstreuten zu rechnen, bloß in Italien auf
zehn Legionen ^2 oder gegen 60000 Mann, so daß es eben keine
Übertreibung war, wenn Pompeius behauptete, nur mit dem Fuße stampfen
zu dürfen, um den Boden mit Bewaffneten zu bedecken. Freilich bedurfte
es wenn auch kurzer, doch einiger Frist, um diese Truppen zu
mobilisieren; die Anstalten dazu sowie zur Effektuierung der neuen,
infolge des Ausbruchs des Bürgerkrieges vom Senat angeordneten
Aushebungen waren aber auch bereits überall im Gange. Unmittelbar nach
dem entscheidenden Senatsbeschluß (7. Januar 705 49), mitten im tiefen
Winter, waren die angesehensten Männer der Aristokratie in die
verschiedenen Landschaften abgegangen, um die Einberufung der Rekruten
und die Anfertigung von Waffen zu beschleunigen. Sehr empfindlich war
der Mangel an Reiterei, da man für diese gewohnt war, sich gänzlich auf
die Provinzen und namentlich die keltischen Kontingente zu verlassen;
um wenigstens einen Anfang zu machen, wurden dreihundert Caesar
gehörende Gladiatoren aus den Fechtschulen von Capua entnommen und
beritten gemacht, was indes so allgemeine Mißbilligung fand, daß
Pompeius diese Truppe wieder auflöste und dafür aus den berittenen
Hirtensklaven Apuliens 300 Reiter aushob.
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^2 Diese Ziffer gab Pompeius selbst an (Caes. civ. 1, 6) und es stimmt
damit, daß er in Italien etwa 60 Kohorten oder 30000 Mann einbüßte und
25000 nach Griechenland überführte (Caes, civ. 3, 10).
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In der Staatskasse war Ebbe wie gewöhnlich; man war beschäftigt, aus
den Gemeindekassen und selbst den Tempelschätzen der Munizipien den
unzureichenden Barbestand zu ergänzen.
Unter diesen Umständen ward zu Anfang Januar 705 (49) der Krieg
eröffnet. Von marschfähigen Truppen hatte Caesar nicht mehr als eine
Legion, 5000 Mann Infanterie und 300 Reiter, bei Ravenna, das auf der
Chaussee etwa 50 deutsche Meilen von Rom entfernt war; Pompeius zwei
schwache Legionen, 7000 Mann Infanterie und eine geringe Reiterschar,
unter Appius Claudius’ Befehlen bei Luceria, von wo man, ebenfalls auf
der Chaussee, ungefähr ebensoweit nach der Hauptstadt hatte. Die
anderen Truppen Caesars, abgesehen von den rohen, noch in der Bildung
begriffenen Rekrutenabteilungen, standen zur Hälfte an der Saône und
Loire, zur Hälfte in Belgien, während Pompeius’ italische Reserven
bereits von allen Seiten in den Sammelplätzen eintrafen; lange bevor
auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars in Italien
einrücken konnte, wußte hier ein weit überlegenes Heer bereit stehen,
sie zu empfangen. Es schien eine Torheit, mit einem Haufen von der
Stärke des Catilinarischen und augenblicklich ohne wirksame Reserve
angreifend vorzugehen gegen eine überlegene und stündlich anwachsende
Armee unter einem fähigen Feldherrn; allein es war eine Torheit im
Geiste Hannibals. Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Frühjahr sich
hinauszog, so ergriffen Pompeius’ spanische Truppen im
Transalpinischen, seine italischen im Cisalpinischen Gallien die
Offensive, und Pompeius, als Taktiker Caesar gewachsen, an Erfahrung
ihm überlegen, war in einem solchen regelmäßig verlaufenden Feldzug ein
furchtbarer Gegner. Jetzt ließ er vielleicht, gewohnt, mit überlegenen
Massen langsam und sicher zu operieren, durch einen durchaus
improvisierten Angriff sich deroutieren; und was Caesars dreizehnte
Legion nach der ernsten Probe des gallischen Überfalls und der
Januarkampagne im Bellovakerland nicht aus der Fassung bringen konnte,
die Plötzlichkeit des Krieges und die Mühsal des Winterfeldzuges, maßte
die Pompeianischen aus alten Caesarischen Soldaten oder auch schlecht
geübten Rekruten bestehenden und noch in der Bildung begriffenen
Heerhaufen desorganisieren.
So rückte denn Caesar in Italien ein ^3. Zwei Chausseen führten damals
aus der Romagna nach Süden: die Aemilisch-Cassische, die von Bononia
über den Apennin nach Arretium und Rom, und die Popillisch-Flaminische,
die von Ravenna an der Küste des Adriatischen Meeres nach Fanum und,
dort sich teilend, in westlicher Richtung durch den Furlopaß nach Rom,
in südlicher nach Ancona und weiter nach Apulien lief. Auf der ersteren
gelangte Marcus Antonius bis Arretium; auf der zweiten drang Caesar
selbst vor. Widerstand ward nirgends geleistet: die vornehmen
Werbeoffiziere waren keine Militärs, die Rekrutenmassen keine Soldaten,
die Landstädter nur besorgt, nicht in eine Belagerung verwickelt zu
werden. Als Curio mit 1500 Mann auf Iguvium anrückte, wo ein paar
tausend umbrische Rekruten unter dem Prätor Quintus Minucius Thermus
sich gesammelt hatten, suchten, auf die bloße Meldung seines
Anmarsches, General und Soldaten das Weite; und ähnlich ging es im
kleinen überall. Caesar hatte die Wahl, entweder gegen Rom, dem seine
Reiter in Arretium bereits auf 28 deutsche Meilen sich genähert hatten,
oder gegen die bei Luceria lagernden Legionen zu marschieren. Er wählte
das letztere. Die Konsternation der Gegenpartei war grenzenlos.
Pompeius erhielt die Meldung von Caesars Anmarsch in Rom; er schien
anfangs die Hauptstadt verteidigen zu wollen, aber als die Nachricht
von Caesars Einrücken in das Picenische und von seinen ersten Erfolgen
daselbst einlief, gab er sie auf und befahl die Räumung. Ein panischer
Schreck, vermehrt durch das falsche Gerücht, daß vor den Toren sich
Caesars Reiter gezeigt hätten, kam über die vornehme Welt. Die
Senatoren, denen angezeigt worden war, daß man jeden in der Hauptstadt
Zurückbleibenden als Mitschuldigen des Rebellen Caesar behandeln werde,
strömten scharenweise aus den Toren. Die Konsuln selbst hatten so
vollständig den Kopf verloren, daß sie nicht einmal die Kassen in
Sicherheit brachten; als Pompeius sie aufforderte, dies nachzuholen,
wozu ausreichend Zeit war, ließen sie ihm zurücksagen, daß sie es für
sicherer hielten, wenn er zuvor Picenum besetze! Man war ratlos; also
ward großer Kriegsrat in Teanum Sidicinum gehalten (23. Januar), dem
Pompeius, Labienus und beide Konsuln beiwohnten. Zunächst lagen wieder
Vergleichsvorschläge Caesars vor: selbst jetzt noch erklärte dieser
sich bereit, sein Heer sofort zu entlassen, seine Provinzen den
ernannten Nachfolgern zu übergeben und sich in regelrechter Weise um
das Konsulat zu bewerben, wofern Pompeius nach Spanien abgehe und
Italien entwaffnet werde. Die Antwort war, daß man, wenn Caesar
sogleich in seine Provinz zurückkehre, sich anheischig mache, die
Entwaffnung Italiens und die Abreise des Pompeius durch einen
ordnungsmäßig in der Hauptstadt zu fassenden Senatsbeschluß
herbeizuführen; was vielleicht nicht eine plumpe Prellerei, sondern
eine Annahme des Vergleichsvorschlags sein sollte, jedenfalls aber der
Sache nach das Gegenteil war. Die von Caesar gewünschte persönliche
Zusammenkunft mit Pompeius lehnte dieser ab und mußte sie ablehnen, um
nicht durch den Anschein einer neuen Koalition mit Caesar das schon
rege Mißtrauen der Verfassungspartei noch mehr zu reizen. Die
Kriegführung anlangend einigte man in Teanum sich dahin, daß Pompeius
das Kommando der bei Luceria stehenden Truppen, auf denen trotz ihrer
Unzuverlässigkeit doch alle Hoffnung beruhte, übernehmen, mit diesen in
seine und Labienus’ Heimat, in Picenum, einrücken, dort wie einst vor
fünfunddreißig Jahren den Landsturm persönlich zu den Waffen rufen und
an der Spitze der treuen picenischen und der kriegsgewohnten, ehemals
Caesarischen Kohorten versuchen solle, dem Vordringen des Feindes eine
Schranke zu setzen. Es kam nur darauf an, ob die picenische Landschaft
sich so lange hielt, bis Pompeius zu ihrer Verteidigung herankam.
Bereits war Caesar mit seiner wiedervereinigten Armee auf der
Küstenstraße über Ancona in dieselbe eingedrungen. Auch hier waren die
Rüstungen in vollem Gange; gleich in der nördlichsten picenischen Stadt
Auximum stand ein ansehnlicher Haufe von Rekruten unter Publius Attius
Varus beisammen; allein auf Ersuchen der Munizipalität räumte Varus die
Stadt, noch ehe Caesar erschien, und eine Handvoll von dessen Soldaten,
die den Trupp unweit Auximum einholten, zerstreuten ihn vollständig
nach kurzem Gefecht - es war das erste in diesem Kriege. Ebenso räumten
bald darauf Gaius Lucilius Hirrus mit 3000 Mann Camerinum, Publius
Lentulus Spinther mit 5000 Asculum. Die Pompeius ganz ergebenen
Mannschaften ließen zum größten Teil Haus und Hof willig im Stich und
folgten den Führern über die Grenze: die Landschaft selbst aber war
schon verloren, als der zur vorläufigen Leitung der Verteidigung von
Pompeius gesandte Offizier Lucius Vibullius Rufus, kein vornehmer
Senator, aber ein kriegskundiger Militär, daselbst eintraf; er mußte
sich begnügen, die geretteten etwa 6000 bis 7000 Rekruten den unfähigen
Werbeoffizieren abzunehmen und sie vorläufig nach dem nächsten
Sammelplatz zu führen. Dies war Corfinium, der Mittelpunkt der
Aushebungen im albensischen, marsischen und pälignischen Gebiet; die
hier versammelte Rekrutenmasse von beiläufig 15000 Mann war das
Kontingent der streitbarsten und der zuverlässigsten Landschaften
Italiens und der Kern des in der Bildung begriffenen Heeres der
Verfassungspartei. Als Vibullius hier eintraf, war Caesar noch mehrere
Tagemärsche zurück; es war nichts im Wege, Pompeius’ Instruktionen
gemäß sofort aufzubrechen und die geretteten picenischen nebst den in
Corfinium gesammelten Rekruten dem Hauptheer in Apulien zuzuführen.
Allein in Corfinium kommandierte der designierte Nachfolger Caesars in
der Statthalterschaft des Jenseitigen Gallien, Lucius Domitius, einer
der borniertesten Starrköpfe der römischen Aristokratie; und dieser
weigerte sich nicht bloß, Pompeius’ Befehlen Folge zu leisten, sondern
verhinderte auch den Vibullius, wenigstens mit der picenischen
Mannschaft nach Apulien abzurücken. So fest hielt er sich überzeugt,
daß Pompeius nur aus Eigensinn zaudere und notwendig zum Entsatz
herbeikommen müsse, daß er kaum sich ernstlich auf die Belagerung
gefußt machte und nicht einmal die in die umliegenden Städte verlegten
Rekrutenhaufen in Corfinium zusammenzog. Pompeius aber erschien nicht
und aus guten Gründen; denn seine beiden unzuverlässigen Legionen
konnte er wohl als Rückhalt für den picenischen Landsturm verwenden,
aber nicht mit ihnen allein Caesar die Schlacht anbieten. Dafür kam
nach wenigen Tagen Caesar (14. Februar). Zu den Truppen desselben war
in Picenum die zwölfte und vor Corfinium die achte von den
transalpinischen Legionen gestoßen, und außerdem wurden teils aus den
gefangenen oder freiwillig sich stellenden Pompeianischen Mannschaften,
teils aus den überall sofort ausgehobenen Rekruten drei neue Legionen
gebildet, so daß Caesar vor Corfinium bereits an der Spitze einer Armee
von 40000 Mann, zur Hälfte gedienter Leute, stand. Solange Domitius auf
Pompeius’ Eintreffen hoffte, ließ er die Stadt verteidigen; als dessen
Briefe ihn endlich enttäuscht hatten, beschloß er nicht etwa, auf dem
verlorenen Posten auszuharren, womit er seiner Partei den größten
Dienst geleistet haben würde, auch nicht einmal zu kapitulieren,
sondern, während dem gemeinen Soldaten der Entsatz als nahe
bevorstehend angekündigt ward, selber mit den vornehmen Offizieren in
der nächsten Nacht auszureißen. Indes selbst diesen sauberen Plan ins
Werk zu setzen verstand er nicht. Sein verwirrtes Benehmen verriet ihn.
Ein Teil der Mannschaften fing an zu meutern: die marsischen Rekruten,
die eine solche Schändlichkeit ihres Feldherrn nicht für möglich
hielten, wollten gegen die Meuterer kämpfen; aber auch sie mußten sich
widerwillig von der Wahrheit der Anschuldigung überzeugen, worauf denn
die gesamte Besatzung ihren Stab festnahm und ihn, sich und die Stadt
an Caesar übergab (20. Februar). Das 3000 Mann starke Korps in Alba und
1500 in Tarracina gesammelte Rekruten streckten hierauf die Waffen,
sowie Caesars Reiterpatrouillen sich zeigten; eine dritte Abteilung in
Sulmo von 3500 Mann war bereits früher genötigt worden zu kapitulieren.
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^3 Der Senatsbeschluß war vom 7. Januar; am 18. wußte man schon in Rom
seit mehreren Tagen, daß Caesar die Grenze überschritten habe (Cic.
Att. 7, 10; 9, 10, 4); der Bote brauchte von Rom nach Ravenna
allermindestens drei Tage. Danach fällt der Aufbruch um den 12. Januar,
welcher nach der gangbaren Reduktion dem julianischen 24. November 704
(50) entspricht.
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Pompeius hatte Italien verloren gegeben, sowie Caesar Picenum
eingenommen hatte; nur wollte er die Einschiffung so lange wie möglich
verzögern, um von den Mannschaften zu retten, was noch zu retten war.
Langsam hatte er demnach sich nach dem nächsten Hafenplatz Brundisium
in Bewegung gesetzt. Hier fanden die beiden Legionen von Luceria und
was Pompeius in dem menschenleeren Apulien an Rekruten in der Eile
hatte zusammenraffen können, sowie die von den Konsuln und sonstigen
Beauftragten in Kompanien ausgehobenen und eiligst nach Brundisium
geführten Leute sich ein; ebendahin begab sich eine Menge politischer
Flüchtlinge, unter ihnen die angesehensten Senatoren in Begleitung
ihrer Familien. Die Einschiffung begann; allein die vorrätigen
Fahrzeuge genügten nicht, um die ganze Masse, die sich doch noch auf
25000 Köpfe belief, auf einmal zu transportieren. Es blieb nichts
übrig, als das Heer zu teilen. Die größere Hälfte ging vorauf (4.
März), mit der kleineren von etwa 10000 Mann erwartete Pompeius in
Brundisium die Rückkehr der Flotte; denn wie wünschenswert für einen
etwaigen Versuch, Italien wieder einzunehmen, auch der Besitz von
Brundisium war, so getraute man sich doch nicht, den Platz auf die
Dauer gegen Caesar zu halten. Inzwischen traf Caesar vor Brundisium
ein; die Belagerung begann. Caesar versuchte vor allem, die
Hafenmündung durch Dämme und schwimmende Brücken zu schließen, um die
rückkehrende Flotte auszusperren; allein Pompeius ließ die im Hafen
liegenden Handelsfahrzeuge armieren und wußte die völlige Schließung
des Hafens so lange zu verhindern, bis die Flotte erschien und die von
Pompeius, trotz der Wachsamkeit der Belagerer und der feindlichen
Gesinnung der Stadtbewohner, mit großer Geschicklichkeit bis auf den
letzten Mann unbeschädigt aus der Stadt herausgezogenen Truppen aus
Caesars Bereich nach Griechenland entführte (17. März). An dem Mangel
einer Flotte scheiterte wie die Belagerung selbst, so auch die weitere
Verfolgung.
In einem zweimonatlichen Feldzug, ohne ein einziges ernstliches
Gefecht, hatte Caesar eine Armee von zehn Legionen so aufgelöst, daß
mit genauer Not die kleinere Hälfte derselben in verwirrter Flucht über
das Meer entkommen, die ganze italische Halbinsel aber mit Einschluß
der Hauptstadt nebst der Staatskasse und allen daselbst aufgehäuften
Vorräten in die Gewalt des Siegers geraten war. Nicht ohne Grund klagte
die geschlagene Partei über die schauerliche Raschheit, Einsicht und
Energie des “Ungeheuers”.
Indes es ließ sich fragen, ob Caesar durch die Eroberung Italiens mehr
gewann oder mehr verlor. In militärischer Hinsicht wurden zwar jetzt
sehr ansehnliche Hilfsquellen nicht bloß den Gegnern entzogen, sondern
auch für Caesar flüssig gemacht; schon im Frühjahr 705 (49) zählte
seine Armee infolge der überall angeordneten massenhaften Aushebungen
außer den neun alten eine bedeutende Anzahl von Rekrutenlegionen.
Andererseits aber wurde es jetzt nicht bloß nötig, in Italien eine
ansehnliche Besatzung zurückzulassen, sondern auch Maßregeln zu treffen
gegen die von den seemächtigen Gegnern beabsichtigte Sperrung des
überseeischen Verkehrs und die infolgedessen namentlich der Hauptstadt
drohende Hungersnot, wodurch Caesars bereits hinreichend verwickelte
militärische Aufgabe noch weiter sich komplizierte. Finanziell war es
allerdings von Belang, daß es Caesar geglückt war, der hauptstädtischen
Kassenbestände sich zu bemächtigen; aber die hauptsächlichsten
Einnahmequellen, namentlich die Abgaben aus dem Orient, waren doch in
den Händen des Feindes und bei den so sehr vermehrten Bedürfnissen für
das Heer sowie der neuen Verpflichtung, für die darbende
hauptstädtische Bevölkerung zu sorgen, zerrannen die vorgefundenen
ansehnlichen Summen so schnell, daß Caesar sich bald genötigt sah, den
Privatkredit anzusprechen, und, da er unmöglich damit lange sich
fristen zu können schien, allgemein als die einzig übrig bleibende
Aushilfe umfassende Konfiskationen erwartet wurden.
Ernstere Schwierigkeiten noch bereiteten die politischen Verhältnisse,
in welche Caesar mit der Eroberung Italiens eintrat. Die Besorgnis der
besitzenden Klassen vor einer anarchischen Umwälzung war allgemein.
Feinde und Freunde sahen in Caesar einen zweiten Catilina; Pompeius
glaubte oder behauptete zu glauben, daß Caesar nur durch die
Unmöglichkeit, seine Schulden zu bezahlen, zum Bürgerkrieg getrieben
worden sei. Das war allerdings absurd; aber in der Tat waren Caesars
Antezedentien nichts weniger als beruhigend und noch weniger beruhigend
der Hinblick auf das Gefolge, das jetzt ihn umgab. Individuen des
anbrüchigsten Rufes, stadtkundige Gesellen wie Quintus Hortensius,
Gaius Curio, Marcus Antonius - dieser der Stiefsohn des auf Ciceros
Befehl hingerichteten Catilinariers Lentulus - spielten darin die
ersten Rollen; die höchsten Vertrauensposten wurden an Männer vergeben,
die es längst aufgegeben hatten, ihre Schulden auch nur zu summieren;
man sah Caesarische Beamte Tänzerinnen nicht bloß unterhalten - das
taten andere auch -, sondern öffentlich in Begleitung solcher Dirnen
erscheinen. War es ein Wunder, daß auch ernsthafte und politisch
parteilose Männer Amnestie für alle landflüchtigen Verbrecher,
Vernichtung der Schuldbücher, umfassende Konfiskations-, Acht- und
Mordbefehle erwarteten, ja eine Plünderung Roms durch die gallische
Soldateska?
Indes hierin täuschte das “Ungeheuer” die Erwartungen seiner Feinde wie
seiner Freunde. Schon wie Caesar die erste italische Stadt Ariminum
besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten, sich bewaffnet
innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne Unterschied, ob
sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten, wurden die
Landstädte vor jeder Unbill geschützt. Als die meuterische Garnison am
späten Abend Corfinium übergab, verschob er, gegen jede militärische
Rücksicht, die Besetzung der Stadt bis zum anderen Morgen, einzig, um
die Bürgerschaft nicht einem nächtlichen Einmarsch seiner erbitterten
Soldaten preiszugeben. Von den Gefangenen wurden die Gemeinen, als
voraussetzlich politisch indifferent, in die eigene Armee eingereiht,
die Offiziere aber nicht bloß verschont, sondern auch ohne Unterschied
der Person und ohne Annahme irgendwelcher Zusagen frei entlassen, und
was sie als Privateigentum in Anspruch nahmen, ohne auch nur die
Berechtigung der Reklamationen mit Strenge zu untersuchen, ihnen ohne
Weiterungen verabfolgt. So ward selbst Lucius Domitius behandelt, ja
sogar dem Labienus das zurückgelassene Geld und Gepäck ins feindliche
Lager nachgesandt. In der peinlichsten Finanznot wurden dennoch die
ungeheuren Güter der anwesenden wie der abwesenden Gegner nicht
angegriffen; ja Caesar borgte lieber bei den Freunden, als daß er auch
nur durch Ausschreibung der formell zulässigen, aber tatsächlich
antiquierten Grundsteuer die Besitzenden gegen sich aufgeregt hätte.
Nur die Hälfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe betrachtete der
Sieger als mit dem Siege gelöst; die Bürgschaft der Dauer sah er nach
seiner eigenen Äußerung allein in der unbedingten Begnadigung der
Besiegten und hatte darum auch auf dem ganzen Marsche von Ravenna bis
Brundisium unablässig die Versuche erneuert, eine persönliche
Zusammenkunft mit Pompeius und einen erträglichen Vergleich
einzuleiten. Aber wenn die Aristokratie schon früher von keiner
Aussöhnung hatte wissen wollen, so hatte die unerwartete und so
schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum Wahnsinn gesteigert, und das
wilde Racheschnauben der Geschlagenen kontrastierte seltsam mit der
Versöhnlichkeit des Siegers. Die aus dem Emigrantenlager den in Italien
zurückgebliebenen Freunden regelmäßig zukommenden Mitteilungen flossen
über von Entwürfen zu Konfiskationen und Proskriptionen, von
Epurationsplänen des Senats und des Staats, gegen die Sullas
Restaurationen Kinderspiel waren und die selbst die gemäßigten
Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft der
Ohnmacht, die weise Mäßigung der Macht taten ihre Wirkung. Die ganze
Masse, der die materiellen Interessen über die politischen gingen, warf
sich Caesar in die Arme. Die Landstädte vergötterten “die
Rechtschaffenheit, die Mäßigung, die Klugheit” des Siegers; und selbst
die Gegner räumten ein, daß es mit diesen Huldigungen Ernst war. Die
hohe Finanz, Steuerpächter und Geschworene verspürten nach dem argen
Schiffbruch, der die Verfassungspartei in Italien betroffen hatte,
keine besondere Lust, sich weiter denselben Steuermännern
anzuvertrauen; die Kapitalien kamen wieder zum Vorschein und “die
reichen Herren begaben sich wieder an ihr Tagewerk, die Zinsbücher zu
schreiben”. Selbst die große Majorität des Senats, wenigstens der Zahl
nach - denn allerdings befanden sich von den vornehmeren und
einflußreichen Senatsmitgliedern nur wenige darunter - war, trotz der
Befehle des Pompeius und der Konsuln, in Italien, zum Teil sogar in der
Hauptstadt selbst zurückgeblieben und ließ Caesars Regiment sich
gefallen. Caesars eben in ihrer scheinbaren Überschwenglichkeit
wohlberechnete Milde erreichte ihren Zweck: die zappelnde Angst der
besitzenden Klassen vor der drohenden Anarchie wurde einigermaßen
beschwichtigt. Wohl war dies für die Folgezeit ein unberechenbarer
Gewinn; die Abwendung der Anarchie und der fast nicht minder
gefährlichen Angst vor der Anarchie war die Vorbedingung der künftigen
Reorganisation des Gemeinwesens. Aber für den Augenblick war diese
Milde für Caesar gefährlicher als die Erneuerung der cinnanischen und
catilinarischen Raserei gewesen sein würde; sie verwandelte Feinde
nicht in Freunde und Freunde in Feinde. Caesars catilinarischer Anhang
grollte, daß das Morden und Plündern unterblieb; von diesen verwegenen,
verzweifelten und zum Teil talentvollen Gesellen waren die
bedenklichsten Quersprünge zu erwarten. Die Republikaner aller
Schattierungen dagegen wurden durch die Gnade des Überwinders weder
bekehrt noch versöhnt. Nach dem Credo der Catonischen Partei entband
die Pflicht gegen das, was sie Vaterland nannte, von jeder anderen
Rücksicht; selbst wer Caesar Freiheit und Leben verdankte, blieb befugt
und verpflichtet, gegen ihn die Waffen zu ergreifen oder doch
mindestens gegen ihn zu komplottieren. Die minder entschiedenen
Fraktionen der Verfassungspartei ließen zwar allenfalls sich willig
finden, von dem neuen Monarchen Frieden und Schutz anzunehmen; aber sie
hörten doch darum nicht auf, die Monarchie wie den Monarchen von Herzen
zu verwünschen. Je offenbarer die Verfassungsänderung hervortrat, desto
bestimmter kam der großen Majorität der Bürgerschaft, sowohl in der
politisch lebhaften, aufgeregten Hauptstadt wie in der energischen
ländlichen und landstädtischen Bevölkerung, ihre republikanische
Besinnung zum Bewußtsein; insofern berichteten die Verfassungsfreunde
in Rom mit Recht an ihre Gesinnungsgenossen im Exil, daß daheim alle
Klassen und alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige
Stimmung all dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den moralischen
Druck, den die entschiedeneren und vornehmeren Gesinnungsgenossen eben
als Emigranten auf die Menge der Geringeren und Lauen ausübten. Dem
ehrlichen Mann schlug über sein Verbleiben in Italien das Gewissen; der
Halbaristokrat glaubte sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht
mit den Domitiern und den Metellern ins Exil ging und gar, wenn er in
dem Caesarischen Senat der Nullitäten mitsaß. Die eigene Milde des
Siegers gab dieser stillen Opposition erhöhte politische Bedeutung: da
Caesar nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen die
heimlichen Gegner ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne viele Gefahr
betätigen zu können. Sehr bald machte er in dieser Beziehung
merkwürdige Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte den Kampf begonnen,
um den terrorisierten Senat von seinen Unterdrückern zu befreien. Dies
war geschehen; er wünschte also von dem Senat die Billigung des
Geschehenen, die Vollmacht zu weiterer Fortsetzung des Krieges zu
erlangen. Zu diesem Zwecke beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt
erschien (Ende März), die Volkstribune seiner Partei ihm den Senat (1.
April). Die Versammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in
Italien verbliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten
ausgeblieben, sogar der ehemalige Führer der servilen Majorität, Marcus
Cicero, und Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was
schlimmer war, auch die Erschienenen waren nicht geneigt, auf Caesars
Vorschläge einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fortsetzung
des Krieges sprach, meinte der eine der zwei einzigen anwesenden
Konsulare, Servius Sulpicius Rufus, ein urfurchtsamer Mann, der nichts
wünschte als einen ruhigen Tod in seinem Bette, daß Caesar sich mehr um
das Vaterland verdient machen werde, wenn er es aufgebe, den Krieg nach
Griechenland und Spanien zu tragen. Als dann Caesar den Senat ersuchte,
wenigstens seine Friedensvorschläge an Pompeius zu übermitteln, war man
dem an sich zwar nicht entgegen, aber die Drohungen der Emigranten
gegen die Neutralen hatten diese so in Furcht gesetzt, daß niemand sich
fand, um die Friedensbotschaft zu übernehmen. An der Abneigung der
Aristokratie, den Thron des Monarchen errichten zu helfen, und an
derselben Schlaffheit des hohen Kollegiums, durch die kurz zuvor Caesar
Pompeius’ legale Ernennung zum Oberfeldherrn in dem Bürgerkrieg
vereitelt hatte, scheiterte jetzt auch er mit dem gleichen Verlangen.
Andere Hemmungen kamen hinzu. Caesar wünschte, um seine Stellung doch
irgendwie zu regulieren, zum Diktator ernannt zu werden; es geschah
nicht, weil ein solcher verfassungsmäßig nur von einem der Konsuln
bestellt werden konnte und der Versuch, den Konsul Lentulus zu kaufen,
wozu bei dessen zerrütteten Vermögensverhältnissen wohl Aussicht war,
dennoch fehlschlug. Der Volkstribun Lucius Metellus ferner legte gegen
sämtliche Schritte des Prokonsuls Protest ein und machte Miene, die
Staatskasse, als Caesars Leute kamen, um sie zu leeren, mit seinem
Leibe zu decken. Caesar konnte in diesem Falle nicht umhin, den
Unverletzlichen so sänftiglich wie möglich beiseiteschieben zu lassen;
übrigens blieb er dabei, sich aller Gewaltschritte zu enthalten. Dem
Senat erklärte er, ebenwie es kurz zuvor die Verfassungspartei getan,
daß er zwar gewünscht habe, auf gesetzlichem Wege und mit Beihilfe der
höchsten Behörde die Verhältnisse zu ordnen; allein da diese verweigert
werde, könne er ihrer auch entraten. Ohne weiter um den Senat und die
staatsrechtlichen Formalien sich zu kümmern, übergab er die
einstweilige Verwaltung der Hauptstadt dem Prätor Marcus Aemilius
Lepidus als Stadtpräfekten und ordnete für die Verwaltung der ihm
gehorchenden Landschaften und die Fortsetzung des Krieges das
Erforderliche an. Selbst unter dem Getöse des Riesenkampfes und neben
dem lockenden Klang der verschwenderischen Versprechungen Caesars
machte es noch tiefen Eindruck auf die hauptstädtische Menge, als sie
in ihrem freien Rom zum erstenmal den Monarchen als Monarchen schalten
und die Tür der Staatskasse durch seine Soldaten aufsprengen sah.
Allein die Zeiten waren nicht mehr, wo Eindrücke und Stimmungen der
Masse den Gang der Ereignisse bestimmten; die Legionen entschieden und
auf einige schmerzliche Empfindungen mehr oder weniger kam eben nichts
weiter an.
Caesar eilte, den Krieg wiederaufzunehmen. Seine bisherigen Erfolge
verdankte er der Offensive, und er gedachte auch ferner, dieselbe
festzuhalten. Die Lage seines Gegners war seltsam. Nachdem der
ursprüngliche Plan, den Feldzug zugleich von Italien und Spanien aus in
den beiden Gallien offensiv zu führen, durch Caesars Angriff vereitelt
war, hatte Pompeius nach Spanien zu gehen beabsichtigt. Hier hatte er
eine sehr starke Stellung. Das Heer zählte sieben Legionen; es dienten
darin eine große Anzahl von Pompeius’ Veteranen, und die mehrjährigen
Kämpfe in den lusitanischen Bergen hatten Soldaten und Offiziere
gestählt. Unter den Anführern war Marcus Varro zwar nichts als ein
berühmter Gelehrter und ein getreuer Anhänger; aber Lucius Afranius
hatte mit Auszeichnung im Orient und in den Alpen gefochten, und Marcus
Petreius, der Überwinder Catilinas, war ein ebenso unerschrockener wie
fähiger Offizier. Wenn in der jenseitigen Provinz Caesar noch von
seiner Statthalterschaft her mancherlei Anhang hatte, so war dagegen
die wichtigere Ebroprovinz mit allen Banden der Verehrung und der
Dankbarkeit an den berühmten General gefesselt, der zwanzig Jahre zuvor
im Sertorianischen Kriege in ihr das Kommando geführt und nach dessen
Beendigung sie neu eingerichtet hatte. Pompeius konnte nach der
italischen Katastrophe offenbar nichts Besseres tun als mit den
geretteten Heerestrümmern sich dorthin begeben und an der Spitze seiner
gesamten Macht Caesar entgegentreten. Unglücklicherweise aber hatte er,
in der Hoffnung, die in Corfinium stehenden Truppen noch retten zu
können, so lange in Apulien sich verweilt, daß er statt der
kampanischen Häfen das nähere Brundisium zum Einschiffungsort zu wählen
genötigt war. Warum er, Herr der See und Siziliens, nicht späterhin auf
den ursprünglichen Plan wieder zurück kam, läßt sich nicht entscheiden;
ob vielleicht die Aristokratie in ihrer kurzsichtigen und mißtrauischen
Art keine Lust bezeigte, sich den spanischen Truppen und der spanischen
Bevölkerung anzuvertrauen - genug, Pompeius blieb im Osten und Caesar
hatte die Wahl, den nächsten Angriff entweder gegen die Armee zu
richten, die in Griechenland unter Pompeius’ eigenem Befehl sich
organisierte, oder gegen die schlagfertige seiner Unterfeldherren in
Spanien. Er hatte für das letztere sich entschieden und, sowie der
italische Feldzug zu Ende ging, Maßregeln getroffen, um neun seiner
besten Legionen, ferner 6000 Reiter, teils in den Keltengauen von
Caesar einzeln ausgesuchte Leute, teils deutsche Söldner, und eine
Anzahl iberischer und ligurischer Schützen an der unteren Rhone
zusammenzuziehen.
Aber ebenhier waren auch seine Gegner tätig gewesen. Der vom Senat an
Caesars Stelle zum Statthalter des Jenseitigen Galliens ernannte Lucius
Domitius hatte von Corfinium aus, sowie Caesar ihn freigegeben, sich
mit seinem Gesinde und mit Pompeius’ Vertrauensmann Lucius Vibullius
Rufus nach Massalia auf den Weg gemacht und in der Tat die Stadt
bestimmt, sich für Pompeius zu erklären, ja Caesars Truppen den
Durchmarsch zu weigern. Von den spanischen Truppen blieben die zwei am
wenigsten zuverlässigen Legionen unter Varros Oberbefehl in der
jenseitigen Provinz stehen; dagegen hatten die fünf besten, verstärkt
durch 40000 Mann spanischen Fußvolks, teils keltiberischer
Linieninfanterie, teils lusitanischer und anderer Leichten, und durch
5000 spanische Reiter, unter Afranius und Petreius, den durch Vibullius
überbrachten Befehlen des Pompeius gemäß sich aufgemacht, um die
Pyrenäen dem Feinde zu sperren.
Hierüber traf Caesar selbst in Gallien ein und entsandte sogleich, da
die Einleitung der Belagerung von Massalia ihn selber noch zurückhielt,
den größten Teil seiner an der Rhone versammelten Truppen, sechs
Legionen und die Reiterei, auf der großen, über Narbo (Narbonne) nach
Rhode (Rosas) führenden Chaussee, um an den Pyrenäen dem Feinde
zuvorzukommen. Es gelang; als Afranius und Petreius an den Pässen
anlangten, fanden sie dieselben bereits besetzt von den Caesarianern
und die Linie der Pyrenäen verloren. Sie nahmen darauf zwischen diesen
und dem Ebro eine Stellung bei Ilerda (Lerida). Diese Stadt liegt vier
Meilen nördlich vom Ebro an dem rechten Ufer eines Nebenflusses
desselben, des Sicoris (Segre), über den nur eine einzige solide Brücke
unmittelbar bei Ilerda führte. Südlich von Ilerda treten die das linke
Ufer des Ebro begleitenden Gebirge ziemlich nahe an die Stadt hinan;
nordwärts erstreckt sich zu beiden Seiten des Sicoris ebenes Land, das
von dem Hügel, auf welchem die Stadt gebaut ist, beherrscht wird. Für
eine Armee, die sich mußte belagern lassen, war es eine vortreffliche
Stellung; aber die Verteidigung Spaniens konnte, nachdem die Besetzung
der Pyrenäenlinie versäumt war, doch nur hinter dem Ebro ernstlich
aufgenommen werden, und da weder eine feste Verbindung zwischen Ilerda
und dem Ebro hergestellt, noch dieser Fluß überbrückt war, so war der
Rückzug aus der vorläufigen in die wahre Verteidigungsstellung nicht
hinreichend gesichert. Die Caesarianer setzten sich oberhalb Ilerda in
dem Delta fest, das der Fluß Sicoris mit dem unterhalb Ilerda mit ihm
sich vereinigenden Cinga (Cinca) bildet; indes ward es mit dem Angriff
erst Ernst, nachdem Caesar im Lager eingetroffen war (23. Juni). Unter
den Mauern der Stadt ward von beiden Teilen gleich erbittert und gleich
tapfer mit vielfach wechselndem Erfolg gekämpft; ihren Zweck aber:
zwischen dem Pompeianischen Lager und der Stadt sich festzusetzen und
dadurch der Steinbrücke sich zu bemächtigen., erreichten die
Caesarianer nicht und blieben also für ihre Kommunikation mit Gallien
lediglich angewiesen auf zwei Brücken, welche sie über den Sicoris und
zwar, da der Fluß bei Ilerda selbst zu solcher Überbrückung schon zu
ansehnlich war, vier bis fünf deutsche Meilen weiter oberwärts in der
Eile geschlagen hatten. Als dann mit der Schneeschmelze die Hochwasser
kamen, wurden diese Notbrücken weggerissen; und da es an Schiffen
fehlte, um die hochangeschwollenen Flüsse zu passieren, und unter
diesen Umständen an Wiederherstellung der Brücken zunächst nicht
gedacht werden konnte, so war die Caesarische Armee beschränkt auf den
schmalen Raum zwischen der Cinca und dem Sicoris, das linke Ufer des
Sicoris aber und damit die Straße, auf der die Armee mit Gallien und
Italien kommunizierte, fast unverteidigt den Pompeianern preisgegeben,
die den Fluß teils auf der Stadtbrücke, teils nach lusitanischer Art
auf Schläuchen schwimmend passierten. Es war die Zeit kurz vor der
Ernte; die alte Frucht war fast aufgebraucht, die neue noch nicht
eingebracht und der enge Landstreif zwischen den beiden Bächen bald
ausgezehrt. Im Lager herrschte förmliche Hungersnot - der preußische
Scheffel Weizen kostete 300 Denare (90 Taler) - und brachen bedenkliche
Krankheiten aus; dagegen häufte am linken Ufer Proviant und die
mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nachschub
aus Gallien von Reiterei und Schützen, beurlaubte Offiziere und
Soldaten, heimkehrende Streifscharen, im ganzen eine Masse von 6000
Köpfen, welche von den Pompeianern mit überlegener Macht angegriffen
und mit großem Verlust in die Berge gedrängt wurden, während die
Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht untätig zusehen
mußten. Die Verbindungen der Armee waren in den Händen der Pompeianer;
in Italien blieben die Nachrichten aus Spanien plötzlich aus, und die
bedenklichen Gerüchte, die dort umzulaufen begannen, waren von der
Wahrheit nicht allzuweit entfernt. Hätten die Pompeianer ihren Vorteil
mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen nicht fehlen, die
auf dem linken Ufer des Sicoris zusammengedrängte, kaum
widerstandsfähige Masse entweder in ihre Gewalt zu bringen oder
wenigstens nach Gallien zurückzuwerfen und dies Ufer so vollständig zu
besetzen, daß ohne ihr Wissen kein Mann den Fluß überschritt. Allein
beides war versäumt worden; jene Haufen waren wohl mit Verlust beiseite
gedrängt, aber doch weder vernichtet noch völlig zurückgeworfen worden,
und die Überschreitung des Flusses zu wehren, überließ man wesentlich
dem Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er ließ tragbare
Kähne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit lederner
Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Briten und später den
Sachsen üblichen, im Lager anfertigen und sie auf Wagen an den Punkt,
wo die Brücken gestanden hatten, transportieren. Auf diesen
gebrechlichen Nachen wurde das andere Ufer erreicht und, da man es
unbesetzt fand, ohne große Schwierigkeit die Brücke wiederhergestellt;
rasch war dann auch die Verbindungsstraße freigemacht und die sehnlich
erwartete Zufuhr in das Lager geschafft. Caesars glücklicher Einfall
riß also das Heer aus der ungeheuren Gefahr, in der es schwebte. Sofort
begann dann Caesars an Tüchtigkeit der feindlichen weit überlegene
Reiterei, die Landschaft am linken Ufer des Sicoris zu durchstreifen;
schon traten die ansehnlichsten spanischen Gemeinden zwischen den
Pyrenäen und dem Ebro, Osca, Tarraco, Dertosa und andere, ja selbst
einzelne südlich vom Ebro auf Caesars Seite. Durch die Streiftrupps
Caesars und die Übertritte der benachbarten Gemeinden wurde nun den
Pompeianern die Zufuhr knapp; sie entschlossen sich endlich zum Rückzug
hinter die Ebrolinie und gingen eiligst daran, unterhalb der
Sicorismündung eine Schiffbrücke über den Ebro zu schlagen. Caesar
suchte den Gegnern den Rückweg über den Ebro abzuschneiden und sie in
Ilerda festzuhalten; allein solange die Feinde im Besitz der Brücke bei
Ilerda blieben und er dort weder Furt noch Brücken in seiner Gewalt
hatte, durfte er seine Armee nicht auf die beiden Flußufer verteilen
und konnte Ilerda nicht einschließen. Seine Soldaten schanzten also Tag
und Nacht, um durch Abzugsgräben den Fluß so viel tiefer zu legen, daß
die Infanterie ihn durchwaten könne. Aber die Vorbereitungen der
Pompeianer, den Ebro zu passieren, kamen früher zu Ende als die
Anstalten der Caesarianer zur Einschließung von Ilerda; als jene nach
Vollendung der Schiffbrücke den Marsch nach dem Ebro zu am linken Ufer
des Sicoris antraten, schienen die Ableitungsgräben der Caesarianer dem
Feldherrn doch nicht weit genug vorgerückt, um die Furt für die
Infanterie zu benutzen; nur seine Reiter ließ er den Strom passieren
und, dem Feinde an die Fersen sich heftend, wenigstens ihn aufhalten
und schädigen. Allein als Caesars Legionen am grauenden Morgen die seit
Mitternacht abziehenden feindlichen Kolonnen erblickten, begriffen sie
mit der instinktmäßigen Sicherheit krieggewohnter Veteranen die
strategische Bedeutung dieses Rückzugs, der sie nötigte, dem Gegner in
ferne, unwegsame und von feindlichen Scharen erfüllte Landschaften zu
folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr, auch das Fußvolk
in den Fluß zu führen, und obwohl den Leuten das Wasser bis an die
Schultern ging, ward er doch ohne Unfall durchschritten. Es war die
höchste Zeit. Wenn die schmale Ebene, welche die Stadt Ilerda von den
den Ebro einfassenden Gebirgen trennt, einmal durchschritten und das
Heer der Pompeianer in die Berge eingetreten war, so konnte der Rückzug
an den Ebro ihnen nicht mehr verwehrt werden. Schon hatten dieselben,
trotz der beständigen, den Marsch ungemein verzögernden Angriffe der
feindlichen Reiterei, den Bergen sich bis auf eine Meile genähert, als
sie, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsäglich erschöpft, ihren
ursprünglichen Plan, die Ebene noch an diesem Tage ganz zu
durchschreiten, aufgaben und Lager schlugen. Hier holte Caesars
Infanterie sie ein und lagerte am Abend und in der Nacht ihnen
gegenüber, indem der anfänglich beabsichtigte nächtliche Weitermarsch
von den Pompeianern aus Furcht vor den nächtlichen Angriffen der
Reiterei wieder aufgegeben ward. Auch am folgenden Tage standen beide
Heere unbeweglich, nur beschäftigt, die Gegend zu rekognoszieren. Am
frühen Morgen des dritten brach Caesars Fußvolk auf, um, durch die
pfadlosen Berge zur Seite der Straße die Stellung der Feinde umgehend,
ihnen den Weg zum Ebro zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Marsches,
der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurückzuwenden schien, ward
von den Pompeianischen Offizieren nicht sogleich erkannt. Als sie ihn
faßten, opferten sie Lager und Gepäck und rückten im Gewaltmarsch auf
der Hauptstraße vor, um den Uferkamm vor den Caesarianern zu gewinnen.
Indes es war bereits zu spät; schon hielten, als sie herankamen, auf
der großen Straße selbst die geschlossenen Massen des Feindes. Ein
verzweifelter Versuch der Pompeianer, über die Bergsteile andere Wege
zum Ebro ausfindig zu machen, ward von Caesars Reiterei vereitelt,
welche die dazu vorgesandten lusitanischen Truppen umzingelte und
zusammenhieb. Wäre es zwischen der Pompeianischen Armee, die die
feindlichen Reiter im Rücken, das Fußvolk von vorne sich gegenüber
hatte und gänzlich demoralisiert war, und den Caesarianern zu einer
Schlacht gekommen, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft, und die
Gelegenheit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte
keinen Gebrauch davon und zügelte nicht ohne Mühe die ungeduldige
Kampfeslust seiner siegesgewissen Soldaten. Die Pompeianische Armee war
ohnehin strategisch verloren; Caesar vermied es, durch nutzloses
Blutvergießen sein Heer zu schwächen und die arge Fehde noch weiter zu
vergiften. Schon am Tage, nachdem es gelungen war, die Pompeianer vom
Ebro abzuschneiden, hatten die Soldaten der beiden Heere miteinander
angefangen zu fraternisieren und wegen der Übergabe zu unterhandeln, ja
es waren bereits die von den Pompeianern geforderten Bedingungen,
namentlich Schonung der Offiziere, von Caesar zugestanden worden, als
Petreius mit seiner aus Sklaven und Spaniern bestehenden Eskorte über
die Unterhändler zukam und die Caesarianer, deren er habhaft ward,
niedermachen ließ. Caesar sandte dennoch die zu ihm in das Lager
gekommenen Pompeianer ungeschädigt zurück und beharrte dabei, eine
friedliche Lösung zu suchen. Ilerda, wo die Pompeianer noch Besatzung
und ansehnliche Magazine hatten, ward jetzt das Ziel ihres Marsches;
allein vor sich das feindliche Heer und zwischen sich und der Festung
den Sicoris, marschierten sie, ohne ihrem Ziele näher zu kommen. Ihre
Reiterei ward allmählich so eingeschüchtert, daß das Fußvolk sie in die
Mitte nehmen und Legionen in die Nachhut gestellt werden mußten; die
Beschaffung von Wasser und Fourage ward immer schwieriger; schon mußte
man die Lasttiere niederstoßen, da man sie nicht ernähren konnte.
Endlich fand die umherirrende Armee sich förmlich eingeschlossen, den
Sicoris im Rücken, vor sich das feindliche Heer, das Wall und Graben um
sie herumzog. Sie versuchte den Fluß zu überschreiten, aber Caesars
deutsche Reiter und leichte Infanterie kamen in der Besetzung des
entgegenstehenden Ufers ihr zuvor. Alle Tapferkeit und alle Treue
konnten die unvermeidliche Kapitulation nicht länger abwenden (2.
August 705 49). Caesar gewährte nicht bloß Offizieren und Soldaten
Leben und Freiheit und sowohl den Besitz der ihnen noch gebliebenen
Habe wie auch die Zurückgabe der bereits ihnen abgenommenen, deren
vollen Wert er selber seinen Soldaten zu erstatten übernahm, sondern
während er die in Italien gefangenen Rekruten zwangsweise in seine
Armee eingereiht hatte, ehrte er diese alten Legionäre des Pompeius
durch die Zusage, daß keiner wider seinen Willen genötigt werden solle,
in sein Heer einzutreten. Er forderte nur, daß ein jeder die Waffen
abgebe und sich in seine Heimat verfüge. Demgemäß wurden die aus
Spanien gebürtigen Soldaten, etwa der dritte Teil der Armee, sogleich,
die italischen an der Grenze des Jen- und Diesseitigen Galliens
verabschiedet.
Das Diesseitige Spanien fiel mit der Auflösung dieser Armee von selbst
in die Gewalt des Siegers. Im Jenseitigen, wo Marcus Varro für Pompeius
den Oberbefehl führte, schien es diesem, als er die Katastrophe von
Ilerda erfuhr, das rätlichste, sich in die Inselstadt Gades zu werfen
und die beträchtlichen Summen, die er durch Einziehung der
Tempelschätze und der Vermögen angesehener Caesarianer zusammengebracht
hatte, die nicht unbedeutende von ihm aufgestellte Flotte und die ihm
anvertrauten zwei Legionen dorthin in Sicherheit zu bringen. Allein auf
das bloße Gerücht von Caesars Ankunft erklärten die namhaftesten Städte
der Caesar seit langem anhänglichen Provinz sich für diesen und
verjagten die Pompeianischen Besatzungen oder bestimmten sie zu
gleichem Abfall: so Corduba, Carmo und Gades selbst. Auch eine der
Legionen brach auf eigene Hand nach Hispalis auf und trat mit dieser
Stadt zugleich auf Caesars Seite. Als endlich selbst Italica dem Varro
die Tore sperrte, entschloß dieser sich zu kapitulieren.
Ungefähr gleichzeitig unterwarf sich auch Massalia. Mit seltener
Energie hatten die Massalioten nicht bloß die Belagerung ertragen,
sondern auch die See gegen Caesar behauptet; es war ihr heimisches
Element und sie durften hoffen, auf diesem kräftige Unterstützung von
Pompeius zu empfangen, welcher ja das Meer ausschließlich beherrschte.
Indes Caesars Unterfeldherr, der tüchtige Decimus Brutus, derselbe, der
über die Veneter den ersten Seesieg im Ozean erfochten hatte, wußte
rasch eine Flotte herzustellen und, trotz der wackeren Gegenwehr der
feindlichen, teils aus albiökischen Soldknechten der Massalioten, teils
aus Hirtensklaven des Domitius bestehenden Flottenmannschaft, durch
seine tapferen, aus den Legionen auserlesenen Schiffssoldaten die
stärkere massaliotische Flotte zu überwinden und die größere Hälfte der
Schiffe zu versenken oder zu erobern. Als dann ein kleines
Pompeianisches Geschwader unter Lucius Nasidius aus dem Osten über
Sizilien und Sardinien im Hafen von Massalia eintraf, erneuerten die
Massalioten noch einmal ihre Seerüstung und liefen zugleich mit den
Schiffendes Nasidius gegen Brutus aus. Hätten in dem Treffen, das auf
der Höhe von Tauroeis (La Ciotat, östlich von Marseille) geschlagen
ward, die Schiffe des Nasidius mit demselben verzweifelten Mut
gestritten, den die massaliotischen an diesem Tage bewiesen, so möchte
das Ergebnis desselben wohl ein verschiedenes gewesen sein; allein die
Flucht der Nasidianer entschied den Sieg für Brutus und die Trümmer der
Pompeianischen Flotte flüchteten nach Spanien. Die Belagerten waren von
der See vollständig verdrängt. Auf der Landseite, wo Gaius Trebonius
die Belagerung leitete, ward auch nachher noch die entschlossenste
Gegenwehr fortgesetzt; allein trotz der häufigen Ausfälle der
albiökischen Söldner und der geschickten Verwendung der ungeheuren, in
der Stadt aufgehäuften Geschützvorräte rückten endlich doch die
Arbeiten der Belagerer bis an die Mauer vor und einer der Türme stürzte
zusammen. Die Massalioten erklärten, daß sie die Verteidigung aufgäben,
aber mit Caesar selbst die Kapitulation abzuschließen wünschten, und
ersuchten den römischen Befehlshaber, bis zu Caesars Ankunft die
Belagerungsarbeiten einzustellen. Trebonius hatte von Caesar gemessenen
Befehl, die Stadt so weit irgend möglich zu schonen; er gewährte den
erbetenen Waffenstillstand. Allein da die Massalioten ihn zu einem
tückischen Ausfall benutzten, in dem sie die eine Hälfte der fast
unbewachten römischen Werke vollständig niederbrannten, begann von
neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf. Der
tüchtige Befehlshaber der Römer stellte mit überraschender
Schnelligkeit die vernichteten Türme und den Damm wieder her; bald
waren die Massalioten abermals vollständig eingeschlossen. Als Caesar,
von der Unterwerfung Spaniens zurückkehrend, vor ihrer Stadt ankam,
fand er dieselbe teils durch die feindlichen Angriffe, teils durch
Hunger und Seuchen aufs Äußerste gebracht und zum zweitenmal, und
diesmal ernstlich, bereit, auf jede Bedingung zu kapitulieren. Nur
Domitius, der schmählich mißbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk,
bestieg einen Nachen und schlich sich durch die römische Flotte, um für
seinen unversöhnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen.
Caesars Soldaten hatten geschworen, die ganze männliche Bevölkerung der
treubrüchigen Stadt über die Klinge springen zu lassen und forderten
mit Ungestüm von dem Feldherrn das Zeichen zur Plünderung. Allein
Caesar, seiner großen Aufgabe, die hellenisch-italische Zivilisation im
Westen zu begründen auch hier eingedenk, ließ sich nicht zwingen, zu
der Zerstörung Korinths die Fortsetzung zu liefern. Massalia, von jenen
einst so zahlreichen freien und seemächtigen Städten der alten
ionischen Schiffernation die von der Heimat am weitesten entfernte und
fast die letzte, in der das hellenische Seefahrerleben noch rein und
frisch sich erhalten hatte, wie denn auch die letzte griechische Stadt,
die zur See geschlagen hat - Massalia mußte zwar seine Waffen- und
Flottenvorräte an den Sieger abliefern und verlor einen Teil seines
Gebietes und seiner Privilegien, aber behielt seine Freiheit und seine
Nationalität und blieb, wenn auch materiell in geschmälerten
Verhältnissen, doch geistig nach wie vor der Mittelpunkt der
hellenischen Kultur in der fernen, eben jetzt zu neuer geschichtlicher
Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft.
Während also in den westlichen Landschaften der Krieg nach manchen
bedenklichen Wechselfällen schließlich sich durchaus zu Caesars Gunsten
entschied und Spanien und Massalia unterworfen, die feindliche
Hauptarmee bis auf den letzten Mann gefangengenommen wurde, hatte auch
auf dem zweiten Kriegsschauplatze, auf welchem Caesar es notwendig
gefunden, sofort nach der Eroberung Italiens die Offensive zu
ergreifen, die Waffenentscheidung stattgefunden.
Es ward schon gesagt, daß die Pompeianer die Absicht hatten, Italien
auszuhungern. Die Mittel dazu hatten sie in Händen. Sie beherrschten
die See durchaus und arbeiteten allerorts, in Gades, Utica, Messana,
vor allem im Osten, mit großem Eifer an der Vermehrung ihrer Flotte;
sie hatten ferner die sämtlichen Provinzen inne, aus denen die
Hauptstadt ihre Subsistenzmittel zog: Sardinien und Korsika durch
Marcus Cotta, Sizilien durch Marcus Cato, Afrika durch den selbst
ernannten Oberfeldherrn Titus Attius Varus und ihren Verbündeten, den
König Juba von Numidien. Es war für Caesar unumgänglich nötig, diese
Pläne des Feindes zu durchkreuzen und demselben die Getreideprovinzen
zu entreißen. Quintus Valerius ward mit einer Legion nach Sardinien
gesandt und zwang den Pompeianischen Statthalter, die Insel zu räumen.
Die wichtigere Unternehmung, Sizilien und Afrika dem Feinde abzunehmen,
wurde unter Beistand des tüchtigen und kriegserfahrenen Gaius Caninius
Rebilus dem jungen Gaius Curio anvertraut. Sizilien ward von ihm ohne
Schwertstreich besetzt; Cato, ohne rechte Armee und kein Mann des
Degens, räumte die Insel, nachdem er in seiner rechtschaffenen Art die
Sikelioten vorher gewarnt hatte, sich nicht durch unzulänglichen
Widerstand nutzlos zu kompromittieren. Curio ließ zur Deckung dieser
für die Hauptstadt so wichtigen Insel die Hälfte seiner Truppen zurück
und schiffte sich mit der anderen, zwei Legionen und 500 Reitern, nach
Afrika ein. Hier durfte er erwarten, ernsteren Widerstand zu finden:
außer der ansehnlichen und in ihrer Art tüchtigen Armee Jubas hatte der
Statthalter Varus aus den in Afrika ansässigen Römern zwei Legionen
gebildet und auch ein kleines Geschwader von zehn Segeln aufgestellt.
Mit Hilfe seiner überlegenen Flotte bewerkstelligte indes Curio ohne
Schwierigkeit die Landung zwischen Hadrumetum, wo die eine Legion der
Feinde nebst ihren Kriegsschiffen, und Utica, vor welcher Stadt die
zweite Legion unter Varus selbst stand. Curio wandte sich gegen die
letztere und schlug sein Lager unweit Utica, ebenda, wo anderthalb
Jahrhunderte zuvor der ältere Scipio sein erstes Winterlager in Afrika
genommen hatte. Caesar, genötigt, seine Kerntruppen für den Spanischen
Krieg zusammenzuhalten, hatte die sizilisch-afrikanische Armee
größtenteils aus den vom Feind übernommenen Legionen, namentlich den
Kriegsgefangenen von Corfinium, zusammensetzen müssen; die Offiziere
der Pompeianischen Armee in Afrika, die zum Teil bei denselben in
Corfinium überwundenen Legionen gestanden hatten, ließen jetzt kein
Mittel unversucht, ihre alten, nun gegen sie fechtenden Soldaten zu
ihrem ersten Eidschwur wieder zurückzubringen. Indes Caesar hatte in
seinem Stellvertreter sich nicht vergriffen. Curio verstand es,
ebensowohl die Bewegung des Heeres und der Flotte zu lenken, als auch
persönlichen Einfluß auf die Soldaten zu gewinnen; die Verpflegung war
reichlich, die Gefechte ohne Ausnahme glücklich. Als Varus, in der
Voraussetzung, daß es den Truppen Curios an Gelegenheit fehlte, auf
seine Seite überzugehen, hauptsächlich, um ihnen diese zu verschaffen,
sich entschloß, eine Schlacht zu liefern, rechtfertigte der Erfolg
seine Erwartungen nicht. Begeistert durch die feurige Ansprache ihres
jugendlichen Führers schlugen Curios Reiter die feindlichen in die
Flucht und säbelten im Angesichte beider Heere die mit den Reitern
ausgerückte leichte Infanterie der Feinde nieder; und ermutigt durch
diesen Erfolg und durch Curios persönliches Beispiel, gingen auch seine
Legionen durch die schwierige, die beiden Linien trennende Talschlucht
vor zum Angriff, den die Pompeianer aber nicht erwarteten, sondern
schimpflich in ihr Lager zurückflohen und auch dies die Nacht darauf
räumten. Der Sieg war so vollständig, daß Curio sofort dazu schritt,
Utica zu belagern. Als indes die Meldung eintraf, daß König Juba mit
seiner gesamten Heeresmacht zum Entsatz heranrückte, entschloß sich
Curio, ebenwie bei Syphax’ Eintreffen Scipio getan, die Belagerung
aufzuheben und in Scipios ehemaliges Lager zurückzugehen, bis aus
Sizilien Verstärkung nachkommen werde. Bald darauf lief ein zweiter
Bericht ein, daß König Juba durch Angriffe seiner Nachbarfürsten
veranlaßt worden sei, mit seiner Hauptmacht wieder umzukehren, und den
Belagerten nur ein mäßiges Korps unter Saburra zur Hilfe sende. Curio,
der bei seinem lebhaften Naturell nur sehr ungern sich entschlossen
hatte zu rasten, brach nun sofort wieder auf, um mit Saburra zu
schlagen, bevor derselbe mit der Besatzung von Utica in Verbindung
treten könne. Seiner Reiterei, die am Abend voraufgegangen war, gelang
es in der Tat, das Korps des Saburra am Bagradas bei nächtlicher Weile
zu überraschen und übel zuzurichten; und auf diese Siegesbotschaft
beschleunigte Curio den Marsch der Infanterie, um durch sie die
Niederlage zu vollenden. Bald erblickte man auf den letzten Abhängen
der gegen den Bagradas sich senkenden Anhöhen das Korps des Saburra,
das mit den römischen Reitern sich herumschlug; die heranrückenden
Legionen halfen, dasselbe völlig in die Ebene hinabdrängen. Allein hier
wendete sich das Gefecht. Saburra stand nicht, wie man meinte, ohne
Rückhalt, sondern nicht viel mehr als eine deutsche Meile entfernt von
der numidischen Hauptmacht. Bereits trafen der Kern des numidischen
Fußvolks und 2000 gallische und spanische Reiter auf dem Schlachtfeld
ein, um Saburra zu unterstützen, und der König selbst mit dem Gros der
Armee und sechzehn Elefanten war im Anmarsch. Nach dem Nachtmarsch und
dem hitzigen Gefecht waren von den römischen Reitern augenblicklich
nicht viel über 200 beisammen, und diese sowie die Infanterie von den
Strapazen und dem Fechten aufs äußerste erschöpft, alle in der weiten
Ebene, in die man sich hatte verlocken lassen, rings eingeschlossen von
den beständig sich mehrenden feindlichen Scharen. Vergeblich suchte
Curio, handgemein zu werden; die libyschen Reiter wichen, wie sie
pflegten, sowie eine römische Abteilung vorging, um, wenn sie umkehrte,
sie zu verfolgen. Vergeblich versuchte er, die Höhen wiederzugewinnen;
sie wurden von den feindlichen Reitern besetzt und versperrt. Es war
alles verloren. Das Fußvolk ward niedergehauen bis auf den letzten
Mann. Von der Reiterei gelang es einzelnen sich durchzuschlagen; und
Curio hätte wohl sich zu retten vermocht, aber er ertrug es nicht, ohne
das ihm anvertraute Heer allein vor seinem Herrn zu erscheinen, und
starb mit dem Degen in der Hand. Selbst die Mannschaft, die im Lager
vor Utica sich zusammenfand, und die Flottenbesatzung, die sich so
leicht nach Sizilien hätte retten können, ergaben sich unter dem
Eindruck der fürchterlich raschen Katastrophe den Tag darauf an Varus
(August oder September 705 49).
So endigte die von Caesar angeordnete sizilisch-afrikanische
Expedition. Sie erreichte insofern ihren Zweck, als durch die Besetzung
Siziliens in Verbindung mit der von Sardinien wenigstens dem
dringendsten Bedürfnis der Hauptstadt abgeholfen ward; die vereitelte
Eroberung Afrikas, aus welcher die siegende Partei keinen weiteren
wesentlichen Gewinn zog, und der Verlust zweier unzuverlässiger
Legionen ließen sich verschmerzen. Aber ein unersetzlicher Verlust für
Caesar, ja für Rom, war Curios früher Tod. Nicht ohne Ursache hatte
Caesar dem militärisch unerfahrenen und wegen seines Lotterlebens
berufenen jungen Mann das wichtigste selbständige Kommando anvertraut;
es war ein Funken von Caesars eigenem Geist in dem feurigen Jüngling.
Auch er hatte wie Caesar den Becher der Lust bis auf die Hefen geleert;
auch er ward nicht darum Staatsmann, weil er Offizier war, sondern es
gab seine politische Tätigkeit ihm das Schwert in die Hand; auch seine
Beredsamkeit war nicht die der gerundeten Perioden, sondern die
Beredsamkeit des tief empfundenen Gedankens; auch seine Kriegführung
ruhte auf dem raschen Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war
Leichtigkeit und oft Leichtfertigkeit, anmutige Offenherzigkeit und
volles Leben im Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von ihm sagt,
Jugendfeuer und hoher Mut ihn zu Unvorsichtigkeiten hinrissen und wenn
er, um nicht einen verzeihlichen Fehler sich verzeihen zu lassen, allzu
stolz den Tod nahm, so fehlen Momente gleicher Unvorsichtigkeit und
gleichen Stolzes auch in Caesars Geschichte nicht. Man darf es
beklagen, daß es dieser übersprudelnden Natur nicht vergönnt war,
auszuschäumen und sich aufzubewahren für die folgende, an Talenten so
bettelarme, dem schrecklichen Regiment der Mittelmäßigkeiten so rasch
verfallende Generation.
Inwiefern diese Kriegsvorgänge des Jahres 705 (49) in Pompeius’
allgemeinen Feldzugsplan eingriffen, namentlich welche Rolle in diesem
nach dem Verlust Italiens den wichtigen Heereskörpern im Westen
zugeteilt war, läßt sich nur vermutungsweise bestimmen. Daß Pompeius
die Absicht gehabt, seinem in Spanien fechtenden Heer zu Lande über
Afrika und Mauretanien zu Hilfe zu kommen, war nichts als ein im Lager
von Ilerda umherlaufendes abenteuerliches und ohne Zweifel durchaus
grundloses Gerücht. Viel wahrscheinlicher ist es, daß er bei seinem
früheren Plan, Caesar im Dies- und Jenseitigen Gallien von zwei Seiten
anzugreifen, selbst nach dem Verlust von Italien noch beharrte und
einen kombinierten Angriff zugleich von Spanien und Makedonien aus
beabsichtigte. Vermutlich sollte die spanische Armee so lange an den
Pyrenäen sich defensiv verhalten, bis die in der Organisation
begriffene makedonische gleichfalls marschfähig war; worauf dann beide
zugleich aufgebrochen sein und, je nach den Umständen, entweder an der
Rhone oder am Po sich die Hand gereicht, auch die Flotte vermutlich
gleichzeitig versucht haben würde, das eigentliche Italien
zurückzuerobern. In dieser Voraussetzung, wie es scheint, hatte Caesar
zunächst sich darauf gefaßt gemacht, einem Angriff auf Italien zu
begegnen. Einer der tüchtigsten seiner Offiziere, der Volkstribun
Marcus Antonius, befehligte hier mit proprätorischer Gewalt. Die
südöstlichen Häfen Sipus, Brundisium, Tarent, wo am ersten ein
Landungsversuch zu erwarten war, hatten eine Besatzung von drei
Legionen erhalten. Außerdem zog Quintus Hortensius, des bekannten
Redners ungeratener Sohn, eine Flotte im Tyrrhenischen, Publius
Dolabella eine zweite im Adriatischen Meere zusammen, welche teils die
Verteidigung unterstützten, teils für die bevorstehende Überfahrt nach
Griechenland mitverwandt werden sollten. Falls Pompeius versuchen
würde, zu Lande in Italien einzudringen, hatten Marcus Licinius
Crassus, der älteste Sohn des alten Kollegen Caesars, die Verteidigung
des Diesseitigen Galliens, des Marcus Antonius jüngerer Bruder Gaius
die von Illyricum zu leiten. Indes der vermutete Angriff ließ lange auf
sich warten. Erst im Hochsommer des Jahres ward man in Illyrien
handgemein. Hier stand Caesars Statthalter Gaius Antonius mit seinen
zwei Legionen auf der Insel Curicta (Veglia, im Golf von Quarnero),
Caesars Admiral Publius Dolabella mit 40 Schiffen in dem schmalen
Meerarm zwischen dieser Insel und dem Festland. Das letztere Geschwader
griffen Pompeius’ Flottenführer im Adriatischen Meer, Marcus Octavius
mit der griechischen, Lucius Scribonius Libo mit der illyrischen
Flottenabteilung an, vernichteten sämtliche Schiffe Dolabellas und
schnitten Antonius auf seiner Insel ab. Ihn zu retten, kamen aus
Italien ein Korps unter Basilus und Sallustius und das Geschwader des
Hortensius aus dem Tyrrhenischen Meer; allein weder jenes noch dieses
vermochten der weit überlegenen feindlichen Flotte etwas anzuhaben. Die
Legionen des Antonius mußten ihrem Schicksal überlassen werden. Die
Vorräte gingen zu Ende, die Truppen wurden schwierig und meuterisch;
mit Ausnahme weniger Abteilungen, denen es gelang, auf Flößen das
Festland zu erreichen, streckte das Korps, immer noch fünfzehn Kohorten
stark, die Waffen und ward auf den Schiffen Libos nach Makedonien
geführt, um dort in die Pompeianische Armee eingereiht zu werden,
während Octavius zurückblieb, um die Unterwerfung der von Truppen
entblößten illyrischen Küste zu vollenden. Die Delmater, jetzt in
diesen Gegenden die bei weitem mächtigste Völkerschaft, die wichtige
Inselstadt Issa (Lissa) und andere Ortschaften ergriffen die Partei des
Pompeius; allein die Anhänger Caesars behaupteten sich in Salome
(Spalato) und Lissos (Alessio) und hielten in der ersteren Stadt nicht
bloß die Belagerung mutig aus, sondern machten, als sie aufs Äußerste
gebracht waren, einen Ausfall mit solchem Erfolg, daß Octavius die
Belagerung aufhob und nach Dyrrhachion abfuhr, um dort zu überwintern.
Dieser in Illyricum von der Pompeianischen Flotte erfochtene Erfolg,
obwohl an sich nicht unbedeutend, wirkte doch auf den Gesamtgang des
Feldzuges wenig ein; und zwerghaft gering erscheint er, wenn man
erwägt, daß die Verrichtungen der unter Pompeius’ Oberbefehl stehenden
Land- und Seemacht während des ganzen ereignisreichen Jahres 705 (49)
sich auf diese einzige Waffentat beschränkten und daß vom Osten her, wo
der Feldherr, der Senat, die zweite große Armee, die Hauptflotte,
ungeheure militärische und noch ausgedehntere finanzielle Hilfsmittel
der Gegner Caesars vereinigt waren, da, wo es not tat, in jenen
allentscheidenden Kampf im Westen gar nicht eingegriffen ward. Der
aufgelöste Zustand der in der östlichen Hälfte des Reiches befindlichen
Streitkräfte, die Methode des Feldherrn, nie anders als mit überlegenen
Massen zu operieren, seine Schwerfälligkeit und Weitschichtigkeit und
die Zerfahrenheit der Koalition mag vielleicht die Untätigkeit der
Landmacht zwar nicht entschuldigen, aber doch einigermaßen erklären;
aber daß die Flotte, die doch ohne Nebenbuhler das Mittelmeer
beherrschte, so gar nichts tat, um den Gang der Dinge bestimmen zu
helfen, nichts für Spanien, so gut wie nichts für die treuen
Massalioten, nichts, um Sardinien, Sizilien, Afrika zu verteidigen und
Italien wo nicht wieder zu besetzen, doch wenigstens ihm die Zufuhr
abzusperren - das macht an unsere Vorstellungen von der im
Pompeianischen Lager herrschenden Verwirrung und Verkehrtheit
Ansprüche, denen wir nur mit Mühe zu genügen vermögen.
Das Gesamtresultat dieses Feldzugs war entsprechend. Caesars doppelte
Offensive gegen Spanien und gegen Sizilien und Afrika war dort
vollständig, hier wenigstens teilweise gelungen; dagegen ward Pompeius’
Plan, Italien auszuhungern, durch die Wegnahme Siziliens in der
Hauptsache, sein allgemeiner Feldzugsplan durch die Vernichtung der
spanischen Armee vollständig vereitelt; und in Italien waren Caesars
Verteidigungsanstalten nur zum kleinsten Teil zur Verwendung gekommen.
Trotz der empfindlichen Verluste in Afrika und Illyrien ging doch
Caesar in der entschiedensten und entscheidendsten Weise aus diesem
ersten Kriegsjahr als Sieger hervor.
Wenn indes vom Osten aus nichts Wesentliches geschah, um Caesar an der
Unterwerfung des Westens zu hindern, so arbeitete man doch wenigstens
dort in der so schmählich gewonnenen Frist daran, sich politisch und
militärisch zu konsolidieren. Der große Sammelplatz der Gegner Caesars
ward Makedonien. Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der
brundisinischen Emigranten; dorthin die übrigen Flüchtlinge aus dem
Westen: Marcus Cato aus Sizilien, Lucius Domitius von Massalia;
namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und
Soldaten der aufgelösten Armee, an der Spitze ihre Feldherrn Afranius
und Varro. In Italien ward die Emigration unter den Aristokraten
allmählich nicht bloß Ehren-, sondern fast Modesache, und neuen Schwung
erhielt sie durch die ungünstigen Nachrichten, die über Caesars Lage
vor Ilerda eintrafen; auch von den laueren Parteigenossen und den
politischen Achselträgern kamen nach und nach nicht wenige an, und
selbst Marcus Cicero überzeugte sich endlich, daß er seiner
Bürgerpflicht nicht ausreichend damit genüge, wenn er eine Abhandlung
über die Eintracht schreibe. Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo
das offizielle Rom seinen interimistischen Sitz aufschlug, zählte gegen
200 Mitglieder, darunter manche hochbejahrte Greise und fast sämtliche
Konsulare. Aber freilich waren es Emigranten. Auch dieses römische
Koblenz stellte die hohen Ansprüche und dürftigen Leistungen der
vornehmen Welt Roms, ihre unzeitigen Reminiszenzen und unzeitigeren
Rekriminationen, ihre politischen Verkehrtheiten und finanziellen
Verlegenheiten in kläglicher Weise zur Schau. Es war das wenigste, daß
man, während der alte Bau zusammensank, mit der peinlichsten
Wichtigkeit jeden alten Schnörkel und Rostfleck der Verfassung in
Obacht nahm: am Ende war es bloß lächerlich, wenn es den vornehmen
Herren Gewissensskrupel machte, außerhalb des geheiligten städtischen
Bodens ihre Ratversammlung Senat zu heißen und sie vorsichtig sich die
“Dreihundert” titulierten ^4; oder wenn man weitläufige
staatsrechtliche Untersuchungen anstellte, ob und wie ein Kuriatgesetz
von Rechts wegen sich anderswo zustande bringen lasse als im römischen
Mauerring. Weit schlimmer war die Gleichgültigkeit der Lauen und die
bornierte Verbissenheit der Ultras. Jene waren weder zum Handeln zu
bringen noch auch nur zum Schweigen. Wurden sie aufgefordert, in einer
bestimmten Weise für das gemeine Beste tätig zu sein, so betrachteten
sie, mit der schwachen Leuten eigenen Inkonsequenz, jedes solche
Ansinnen als einen böswilligen Versuch, sie noch weiter zu
kompromittieren und taten das Befohlene gar nicht oder mit halbem
Herzen. Dabei aber fielen sie natürlich mit ihrem verspäteten
Besserwissen und ihren superklugen Unausführbarkeiten den Handelnden
beständig zur Last; ihr Tagewerk bestand darin, jeden kleinen und
großen Vorgang zu bekritteln, zu bespötteln und zu beseufzen und durch
ihre eigene Lässigkeit und Hoffnungslosigkeit die Menge abzuspannen und
zu entmutigen. Wenn hier die Atome der Schwäche zu schauen war, so
stand dagegen deren Hypertonie bei den Ultras in voller Blüte. Hier
hatte man es kein Hehl, daß die Vorbedingung für jede
Friedensverhandlung die Überbringung von Caesars Kopf sei: jeder der
Friedensversuche, die Caesar auch jetzt noch wiederholentlich machte,
ward unbesehen von der Hand gewiesen oder nur benutzt, um auf
heimtückische Weise den Beauftragten des Gegners nach dem Leben zu
stellen. Daß die erklärten Caesarianer samt und sonders Leben und Gut
verwirkt hatten, verstand sich von selbst; aber auch den mehr oder
minder Neutralen ging es wenig besser. Lucius Domitius, der Held von
Corfinium, machte im Kriegsrat alles Ernstes den Vorschlag, diejenigen
Senatoren, die im Heer des Pompeius gefochten hätten, über alle, die
entweder neutral geblieben oder zwar emigriert, aber nicht in das Heer
eingetreten seien, abstimmen zu lassen und diese einzeln je nach
Befinden freizusprechen oder mit Geldbuße oder auch mit dem Verlust des
Lebens und des Vermögens zu bestrafen. Ein anderer dieser Ultras erhob
bei Pompeius gegen Lucius Afranius wegen seiner mangelhaften
Verteidigung Spaniens eine förmliche Anklage auf Bestechung und Verrat.
Diesen in der Wolle gefärbten Republikanern nahm ihre politische
Theorie fast den Charakter eines religiösen Glaubensbekenntnisses an;
sie haßten denn auch die laueren Parteigenossen und den Pompeius mit
seinem persönlichen Anhang womöglich noch mehr als die offenbaren
Gegner, und durchaus mit jener Stupidität des Hasses, wie sie
orthodoxen Theologen eigen zu sein pflegt; sie wesentlich verschuldeten
die zahllosen und erbitterten Sonderfehden, welche die Emigrantenarmee
und den Emigrantensenat zerrissen. Aber sie ließen es nicht bei Worten.
Marcus Bibulus, Titus Labienus und andere dieser Koterie führten ihre
Theorie praktisch durch und ließen, was ihnen von Caesars Armee an
Offizieren oder Soldaten in die Hände fiel, in Masse hinrichten; was
begreiflicherweise Caesars Truppen nicht gerade bewog, mit minderer
Energie zu fechten. Wenn während Caesars Abwesenheit von Italien die
Konterrevolution zu Gunsten der Verfassungsfreunde, zu der alle
Elemente vorhanden waren, dennoch daselbst nicht ausbrach, so lag, nach
der Versicherung einsichtiger Gegner Caesars, die Ursache hauptsächlich
in der allgemeinen Besorgnis vor dem unbezähmbaren Wüten der
republikanischen Ultras nach erfolgter Restauration. Die Besseren im
Pompeianischen Lager waren in Verzweiflung über dies rasende Treiben.
Pompeius, selbst ein tapferer Soldat, schonte, soweit er durfte und
konnte, der Gefangenen; aber er war zu schwachmütig und in einer zu
schiefen Stellung, um, wie es ihm als Oberfeldherrn zukam, alle Greuel
dieser Art zu hemmen oder gar zu ahnden. Energischer versuchte der
einzige Mann, der wenigstens mit sittlicher Haltung in den Kampf
eintrat, Marcus Cato, diesem Treiben zu steuern, er erwirkte, daß der
Emigrantensenat durch ein eigenes Dekret es untersagte, untertänige
Städte zu plündern und einen Bürger anders als in der Schlacht zu
töten. Ebenso dachte der tüchtige Marcus Marcellus. Freilich wußte es
niemand besser als Cato und Marcellus, daß die extreme Partei ihre
rettenden Taten wenn nötig allen Senatsbeschlüssen zum Trotze vollzog.
Wenn aber bereits jetzt, wo man noch Klugheitsrücksichten zu beobachten
hatte, die Wut der Ultras sich nicht bändigen ließ, so mochte man nach
dem Siege auf eine Schreckensherrschaft sich gefaßt machen, von der
Marius und Sulla selbst sich schaudernd abgewandt haben würden; und man
begreift es, daß Cato, seinem eigenen Geständnis zufolge, mehr noch als
vor der Niederlage, graute vor dem Siege seiner eigenen Partei.
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^4 Da nach formellem Recht die “gesetzliche Ratversammlung”
unzweifelhaft ebenso wie das “gesetzliche Gericht” nur in der Stadt
selbst oder innerhalb der Bannmeile stattfinden konnte, so nannte die
bei dem afrikanischen Heer den Senat vertretende Versammlung sich die
“Dreihundert” (Bell. Afr. 88, 90; App. hist. 2, 95), nicht weil er aus
300 Mitgliedern bestand, sondern weil dies die uralte Normzahl der
Senatoren war. Es ist sehr glaublich, daß diese Versammlung sich durch
angesehene Ritter verstärkte; aber wenn Plutarch (Cato min. 59, 61) die
Dreihundert zu italischen Großhändlern macht, so hat er seine Quelle
(Bell. Afr. 90) mißverstanden. Ähnlich wird der Quasisenat schon in
Thessalonike geordnet gewesen sein.
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Die Leitung der militärischen Vorbereitungen im makedonischen Lager lag
in der Hand des Oberfeldherrn Pompeius. Die stets schwierige und
gedrückte Stellung desselben hatte durch die unglücklichen Ereignisse
des Jahres 705 (49) sich noch verschlimmert. In den Augen seiner
Parteigenossen trug wesentlich er davon die Schuld. Es war das in
vieler Hinsicht nicht gerecht. Ein guter Teil der erlittenen Unfälle
kam auf Rechnung der Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit der
Unterfeldherren, namentlich des Konsuls Lentulus und des Lucius
Domitius; von dem Augenblick an, wo Pompeius an die Spitze der Armee
getreten war, hatte er sie geschickt und mutig geführt und wenigstens
sehr ansehnliche Streitkräfte aus dem Schiffbruch gerettet; daß er
Caesars jetzt von allen anerkanntem, durchaus überlegenem Genie nicht
gewachsen war, konnte billigerweise ihm nicht vorgeworfen werden. Indes
es entschied allein der Erfolg. Im Vertrauen auf den Feldherrn Pompeius
hatte die Verfassungspartei mit Caesar gebrochen; die verderblichen
Folgen dieses Bruches fielen auf den Feldherrn Pompeius zurück, und
wenn auch bei der notorischen militärischen Unfähigkeit aller übrigen
Chefs kein Versuch gemacht ward, das Oberkommando zu wechseln, so war
doch wenigstens das Vertrauen zu dem Oberfeldherrn paralysiert. Zu
diesen Nachwehen der erlittenen Niederlagen kamen die nachteiligen
Einflüsse der Emigration. Unter den eintreffenden Flüchtlingen war
allerdings eine Anzahl tüchtiger Soldaten und fähiger Offiziere
namentlich der ehemaligen spanischen Armee; allein die Zahl derer, die
kamen, um zu dienen und zu fechten, war ebenso gering, wie zum
Erschrecken groß die der vornehmen Generale, die mit ebenso gutem Fug
wie Pompeius sich Prokonsuln und Imperatoren nannten, und der vornehmen
Herren, die mehr oder weniger unfreiwillig am aktiven Kriegsdienst sich
beteiligten. Durch diese ward die hauptstädtische Lebensweise in das
Feldlager eingebürgert, keineswegs zum Vorteil des Heeres: die Zelte
solcher Herren waren anmutige Lauben, der Boden mit frischem Rasen
zierlich bedeckt, die Wände mit Efeu bekleidet; auf dem Tisch stand
silbernes Tafelgeschirr und oft kreiste dort schon am hellen Tage der
Becher. Diese eleganten Krieger machten einen seltsamen Kontrast mit
Caesars Grasteufeln, vor deren grobem Brot jene erschraken und die in
Ermangelung dessen auch Wurzeln aßen und schwuren, eher Baumrinde zu
kauen als vom Feinde abzulassen. Wenn ferner die unvermeidliche
Rücksicht auf eine kollegialische und ihm persönlich abgeneigte Behörde
Pompeius schon an sich in seiner Tätigkeit hemmte, so steigerte diese
Verlegenheit sich ungemein, als der Emigrantensenat beinahe im
Hauptquartier selbst seinen Sitz aufschlug und nun alles Gift der
Emigration in diesen Senatssitzungen sich entleerte. Eine bedeutende
Persönlichkeit endlich, die gegen all diese Verkehrtheiten ihr eigenes
Gewicht hätte einsetzen können, war nirgends vorhanden. Pompeius selbst
war dazu geistig viel zu untergeordnet und viel zu zögernd,
schwerfällig und versteckt. Marcus Cato würde wenigstens die
erforderliche moralische Autorität gehabt und auch des guten Willens,
Pompeius damit zu unterstützen, nicht ermangelt haben; allein Pompeius,
statt ihn zum Beistand aufzufordern, setzte ihn mit mißtrauischer
Eifersucht zurück und übertrug zum Beispiel das so wichtige
Oberkommando der Flotte lieber an den in jeder Beziehung unfähigen
Bibulus als an Cato. Wenn somit Pompeius die politische Seite seiner
Stellung mit der ihm eigenen Verkehrtheit behandelte und was an sich
schon verdorben war, nach Kräften weiter verdarb, so widmete er dagegen
mit anerkennenswertem Eifer sich seiner Pflicht, die bedeutenden, aber
aufgelösten Streitkräfte der Partei militärisch zu organisieren. Den
Kern derselben bildeten die aus Italien mitgebrachten Truppen, aus
denen mit den Ergänzungen aus den illyrischen Kriegsgefangenen und den
in Griechenland domizilierten Römern zusammen fünf Legionen gebildet
wurden. Drei andere kamen aus dem Osten: die beiden aus den Trümmern
der Armee des Crassus gebildeten syrischen und eine aus den zwei
schwachen, bisher in Kilikien stehenden kombinierte. Der Wegziehung
dieser Besatzungstruppen stellte sich nichts in den Weg, da teils die
Pompeianer mit den Parthern im Einvernehmen standen und selbst ein
Bündnis mit ihnen hätten haben können, wenn Pompeius nicht unwillig
sich geweigert hätte, den geforderten Preis: die Abtretung der von ihm
selbst zum Reiche gebrachten syrischen Landschaft, dafür zu zahlen;
teils Caesars Plan, zwei Legionen nach Syrien zu entsenden und durch
den in Rom gefangengehaltenen Prinzen Aristobulos die Juden abermals
unter die Waffen zu bringen, zum Teil durch andere Ursachen, zum Teil
durch Aristobulos’ Tod vereitelt ward. Weiter wurden aus den in Kreta
und Makedonien angesiedelten gedienten Soldaten eine, aus den
kleinasiatischen Römern zwei neue Legionen ausgehoben. Zu allem dem
kamen 2000 Freiwillige, die aus den Trümmern der spanischen Kernscharen
und anderen ähnlichen Zuzügen hervorgingen, und endlich die Kontingente
der Untertanen. Wie Caesar hatte Pompeius es verschmäht, von denselben
Infanterie zu requirieren; nur zur Küstenbesatzung waren die
epirotischen, ätolischen und thrakischen Milizen aufgeboten und
außerdem an leichten Truppen 3000 griechische und kleinasiatische
Schützen und 1200 Schleuderer angenommen worden. Die Reiterei dagegen
bestand, außer einer aus dem jungen Adel Roms gebildeten, mehr
ansehnlichen als militärisch bedeutenden Nobelgarde und den von
Pompeius beritten gemachten apulischen Hirtensklaven, ausschließlich
aus den Zuzügen der Untertanen und Klienten Roms. Den Kern bildeten die
Kelten, teils von der Besatzung von Alexandreia, teils die Kontingente
des Königs Deiotarus, der trotz seines hohen Alters an der Spitze
seiner Reiterei in Person erschienen war, und der übrigen galatischen
Dynasten. Mit ihnen wurden vereinigt die vortrefflichen thrakischen
Reiter, die teils von ihren Fürsten Sadala und Rhaskuporis
herangeführt, teils von Pompeius in der makedonischen Provinz
angeworben waren; die kappadokische Reiterei; die von König Antiochos
von Kommagene gesendeten, berittenen Schützen; die Zuzüge der Armenier
von diesseits des Euphrat unter Taxiles, von jenseits desselben unter
Megabares und die von König Juba gesandten numidischen Scharen - die
gesamte Masse stieg auf 7000 Pferde.
Sehr ansehnlich endlich war die Pompeianische Flotte. Sie ward gebildet
teils aus den von Brundisium mitgeführten oder später erbauten
römischen Fahrzeugen, teils aus den Kriegsschiffen des Königs von
Ägypten, der kolchischen Fürsten, des kilikischen Dynasten
Tarkondimotos, der Städte Tyros, Rhodos, Athen, Kerkyra und überhaupt
der sämtlichen asiatischen und griechischen Seestaaten und zählte gegen
500 Segel, wovon die römischen den fünften Teil ausmachten. An Getreide
und Kriegsmaterial waren in Dyrrhachion ungeheure Vorräte aufgehäuft.
Die Kriegskasse war wohlgefüllt, da die Pompeianer sich im Besitz der
hauptsächlichen Einnahmequellen des Staats befanden und die Geldmittel
der Klientelfürsten, der angesehenen Senatoren, der Steuerpächter und
überhaupt der gesamten römischen und nichtrömischen Bevölkerung in
ihrem Bereich für sich nutzbar machten. Was in Afrika, Ägypten,
Makedonien, Griechenland, Vorderasien und Syrien das Ansehen der
legitimen Regierung und Pompeius’ oftgefeierte Königs- und
Völkerklientel vermochte, war zum Schutz der römischen Republik in
Bewegung gesetzt worden; wenn in Italien die Rede ging, daß Pompeius
die Geten, Kolcher und Armenier gegen Rom bewaffne, wenn im Lager er
der “König der Könige” hieß, so waren dies kaum Übertreibungen zu
nennen. Im ganzen gebot derselbe über eine Armee von 7000 Reitern und
elf Legionen, von denen freilich höchstens fünf als kriegsgewohnt
bezeichnet werden durften, und über eine Flotte von 500 Segeln. Die
Stimmung der Soldaten, für deren Verpflegung und Sold Pompeius genügend
sorgte und denen für den Fall des Sieges die überschwenglichsten
Belohnungen zugesichert waren, war durchgängig gut, in manchen und eben
den tüchtigsten Abteilungen sogar vortrefflich; indes bestand doch ein
großer Teil der Armee aus neu ausgehobenen Truppen, deren Formierung
und Exerzierung, wie eifrig sie auch betrieben ward, notwendigerweise
Zeit erforderte. Die Kriegsmacht überhaupt war imposant, aber zugleich
einigermaßen buntscheckig.
Nach der Absicht des Oberfeldherrn sollten bis zum Winter 705/06
(49/48) Heer und Flotte wesentlich vollständig an der Küste und in den
Gewässern von Epirus vereinigt sein. Der Admiral Bibulus war auch
bereits mit 110 Schiffen in seinem neuen Hauptquartier Kerkyra
eingetroffen. Dagegen war das Landheer, dessen Hauptquartier während
des Sommers zu Berrhöa am Haliakmon gewesen war, noch zurück; die Masse
bewegte sich langsam auf der großen Kunststraße von Thessalonike nach
der Westküste auf das künftige Hauptquartier Dyrrhachion zu; die beiden
Legionen, die Metellus Scipio aus Syrien heranführte, standen gar noch
bei Pergamon in Kleinasien im Winterquartier und wurden erst zum
Frühjahr in Europa erwartet. Man nahm sich eben Zeit. Vorläufig waren
die epirotischen Häfen außer durch die Flotte nur noch durch die
Bürgerwehren und die Aufgebote der Umgegend verteidigt.
So war es Caesar möglich geblieben, trotz des dazwischenfallenden
Spanischen Krieges auch in Makedonien die Offensive für sich zu nehmen,
und er wenigstens säumte nicht. Längst hatte er die Zusammenziehung von
Kriegs- und Transportschiffen in Brundisium angeordnet und nach der
Kapitulation der spanischen Armee und dem Fall von Massalia die dort
verwendeten Kerntruppen zum größten Teil ebendahin dirigiert. Die
unerhörten Anstrengungen zwar, die also von Caesar den Soldaten
zugemutet wurden, lichteten mehr als die Gefechte die Reihen, und die
Meuterei einer der vier ältesten Legionen, der neunten, auf ihrem
Durchmarsch durch Placentia war ein gefährliches Zeichen der bei der
Armee einreißenden Stimmung; doch wurden Caesars Geistesgegenwart und
persönliche Autorität derselben Herr, und von dieser Seite stand der
Einschiffung nichts im Wege. Allein woran schon im März 705 (49) die
Verfolgung des Pompeius gescheitert war, der Mangel an Schiffen, drohte
auch diese Expedition zu vereiteln. Die Kriegsschiffe, die Caesar in
den gallischen, sizilischen und italischen Häfen zu erbauen befohlen
hatte, waren noch nicht fertig oder doch nicht zur Stelle; sein
Geschwader im Adriatischen Meer war das Jahr zuvor bei Curicta
vernichtet worden; er fand bei Brundisium nicht mehr als zwölf
Kriegsschiffe und kaum Transportfahrzeuge genug, um den dritten Teil
seiner nach Griechenland bestimmten Armee von zwölf Legionen und 10000
Reitern auf einmal überzuführen. Die ansehnliche feindliche Flotte
beherrschte ausschließlich das Adriatische Meer und namentlich die
sämtlichen festländischen und Inselhäfen der Ostküste. Unter solchen
Umständen drängt die Frage sich auf, warum Caesar nicht statt des
Seeweges den zu Lande durch Illyrien einschlug, welcher aller von der
Flotte drohenden Gefahren ihn überhob und überdies für seine
größtenteils aus Gallien kommenden Truppen kürzer war als der über
Brundisium. Zwar waren die illyrischen Landschaften unbeschreiblich
rauh und arm; aber sie sind doch von anderen Armeen nicht lange nachher
durchschritten worden, und dieses Hindernis ist dem Eroberer Galliens
schwerlich unübersteiglich erschienen. Vielleicht besorgte er, daß
während des schwierigen illyrischen Marsches Pompeius seine gesamte
Streitmacht über das Adriatische Meer führen möchte, wodurch die Rollen
auf einmal sich umkehren, Caesar in Makedonien, Pompeius in Italien zu
stehen kommen konnte; obwohl ein solcher rascher Wechsel dem
schwerfälligen Gegner doch kaum zuzutrauen war. Vielleicht hatte Caesar
auch in der Voraussetzung, daß seine Flotte inzwischen auf einen
achtunggebietenden Stand gebracht sein würde, sich für den Seeweg
entschieden, und als er nach seiner Rückkehr aus Spanien des wahren
Standes der Dinge im Adriatischen Meere inne ward, mochte es zu spät
sein, den Feldzugsplan zu ändern. Vielleicht, ja nach Caesars raschem,
stets zur Entscheidung drängenden Naturell darf man sagen
wahrscheinlich, fand er durch die augenblicklich noch unbesetzte, aber
sicher in wenigen Tagen mit Feinden sich bedeckende epirotische Küste
sich unwiderstehlich gelockt, den ganzen Plan des Gegners wieder einmal
durch einen verwegenen Zug zu durchkreuzen. Wie dem auch sei, am 4.
Januar 706 ^5 (48) ging Caesar mit sechs, durch die Strapazen und
Krankheiten sehr gelichteten Legionen und 600 Reitern von Brundisium
nach der epirotischen Küste unter Segel. Es war ein Seitenstück zu der
tollkühnen britannischen Expedition; indes wenigstens der erste Wurf
war glücklich. Inmitten der akrokeraunischen (Chimara-) Klippen, auf
der wenig besuchten Reede von Paleassa (Paljassa) ward die Küste
erreicht. Man sah die Transportschiffe sowohl aus dem Hafen von Orikon
(Bucht von Avlona), wo ein Pompeianisches Geschwader von achtzehn
Schiffen lag, als auch aus dem Hauptquartier der feindlichen Flotte bei
Kerkyra; aber dort hielt man sich zu schwach, hier war man nicht
segelfertig, und ungehindert ward der erste Transport ans Land gesetzt.
Während die Schiffe sogleich zurückgingen, um den zweiten nachzuholen,
überstieg Caesar noch denselben Abend die akrokeraunischen Berge. Seine
ersten Erfolge waren so groß wie die Überraschung der Feinde. Der
epirotische Landsturm setzte nirgends sich zur Wehr; die wichtigen
Hafenstädte Orikon und Apollonia nebst einer Menge kleinerer
Ortschaften wurden weggenommen; Dyrrhachion, von den Pompeianern zum
Hauptwaffenplatz ausersehen und mit Vorräten aller Art angefüllt, aber
nur schwach besetzt, schwebte in der größten Gefahr.
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^5 Nach dem berichtigten Kalender am 5. November 705 (49).
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Indes der weitere Verlauf des Feldzuges entsprach diesem glänzenden
Anfange nicht. Bibulus machte die Nachlässigkeit, die er sich hatte zu
Schulden kommen lassen, nachträglich durch verdoppelte Anstrengungen
zum Teil wieder gut. Nicht bloß brachte er von den heimkehrenden
Transportschiffen gegen dreißig auf, die er sämtlich mit Mann und Maus
verbrennen ließ, sondern er richtete auch längs des ganzen von Caesar
besetzten Küstenstrichs, von der Insel Sason (Saseno) bis zu den Häfen
von Kerkyra, den sorgfältigsten Wachtdienst ein, so beschwerlich auch
die rauhe Jahreszeit und die Notwendigkeit, den Wachtschiffen alle
Bedürfnisse, selbst Holz und Wasser, von Kerkyra zuzuführen, denselben
machten; ja sein Nachfolger Libo - er selbst unterlag bald den
ungewohnten Strapazen - sperrte sogar eine Zeitlang den Hafen von
Brundisium, bis ihn von der kleinen Insel vor demselben, auf der er
sich festgesetzt hatte, der Wassermangel wieder vertrieb. Es war
Caesars Offizieren nicht möglich, ihrem Feldherrn den zweiten Transport
der Armee nachzuführen. Ebensowenig gelang ihm selbst die Wegnahme von
Dyrrhachion. Pompeius erfuhr durch einen der Friedensboten Caesars von
dessen Vorbereitungen zur Fahrt nach der epirotischen Küste und darauf
den Marsch beschleunigend warf er sich noch eben zu rechter Zeit in
diesen wichtigen Waffenplatz. Caesars Lage war kritisch. Obwohl er in
Epirus so weit sich ausbreitete, als es bei seiner geringen Stärke nur
irgend möglich war, so blieb die Subsistenz seiner Armee doch schwierig
und unsicher, während die Feinde, im Besitz der Magazine von
Dyrrhachion und Herren der See, Überfluß an allem hatten. Mit seinem
vermutlich wenig über 20000 Mann starken Heer konnte er dem wenigstens
doppelt so zahlreichen Pompeianischen keine Schlacht anbieten, sondern
mußte sich glücklich schätzen, daß Pompeius methodisch zu Werke ging
und, statt sofort die Schlacht zu erzwingen, zwischen Dyrrhachion und
Apollonia am rechten Ufer des Apsos, Caesar auf dem linken gegenüber,
das Winterlager bezog, um mit dem Frühjahr, nach dem Eintreffen der
Legionen von Pergamon, mit unwiderstehlicher Übermacht den Feind zu
vernichten. So verflossen Monate. Wenn der Eintritt der besseren
Jahreszeit, die dem Feinde starken Zuzug und den freien Gebrauch seiner
Flotte brachte, Caesar noch in derselben Lage fand, so war er, mit
seiner schwachen Schar zwischen der ungeheuren Flotte und dem dreifach
überlegenen Landheer der Feinde in den epirotischen Felsen eingekeilt,
allem Anscheine nach verloren; und schon neigte der Winter sich zu
Ende. Alle Hoffnung beruhte immer noch auf der Transportflotte: daß
diese durch die Blockade sich durchschlich oder durchschlug, war kaum
zu hoffen; aber nach der ersten freiwilligen Tollkühnheit war diese
zweite durch die Notwendigkeit geboten. Wie verzweifelt Caesar selbst
seine Lage erschien, beweist sein Entschluß, da die Flotte immer nicht
kam, allein auf einer Fischerbarke durch das Adriatische Meer nach
Brundisium zu fahren, um sie zu holen; was in der Tat nur darum
unterblieb, weil sich kein Schiffer fand, die verwegene Fahrt zu
unternehmen. Indes es bedurfte seines persönlichen Erscheinens nicht,
um den treuen Offizier, der in Italien kommandierte, Marcus Antonius,
zu bestimmen, diesen letzten Versuch zur Rettung seines Herrn zu
machen. Abermals lief die Transportflotte, mit vier Legionen und 800
Reitern an Bord, aus dem Hafen von Brundisium aus und glücklich führte
ein starker Südwind sie an Libos Galeeren vorüber. Allein derselbe
Wind, der hier die Flotte rettete, machte es ihr unmöglich, wie ihr
befohlen war, an der apolloniatischen Küste zu landen, und zwang sie,
an Caesars und Pompeius’ Lager vorbeizufahren und nördlich von
Dyrrhachion nach Lissos zu steuern, welche Stadt zu gutem Glück noch zu
Caesar hielt. Als sie an dem Hafen von Dyrrhachion vorüberfuhr, brachen
die rhodischen Galeeren auf, um sie zu verfolgen, und kaum waren
Antonius’ Schiffe in den Hafen von Lissos eingefahren, als auch das
feindliche Geschwader vor demselben erschien. Aber eben in diesem
Augenblick schlug plötzlich der Wind um und warf die verfolgenden
Galeeren wieder zurück in die offene See und zum Teil an die felsige
Küste. Durch die wunderbarsten Glückszufälle war die Landung auch des
zweiten Transportes gelungen. Noch standen zwar Antonius und Caesar
etwa vier Tagemärsche voneinander, getrennt durch Dyrrhachion und die
gesamte feindliche Armee; indes Antonius bewerkstelligte glücklich den
gefährlichen Marsch um Dyrrhachion herum durch die Pässe des Graba
Balkan und ward von Caesar, der ihm entgegengegangen war, am rechten
Ufer des Apsos aufgenommen. Pompeius, nachdem er vergeblich versucht
hatte, die Vereinigung der beiden feindlichen Armeen zu verhindern und
das Korps des Antonius einzeln zum Schlagen zu zwingen, nahm eine neue
Stellung bei Asparagion an dem Flusse Genusas (Uschkomobin), der dem
Apsos parallel zwischen diesem und der Stadt Dyrrhachion fließt, und
hielt hier sich wieder unbeweglich. Caesar fühlte jetzt sich stark
genug, eine Schlacht zu liefern; aber Pompeius ging nicht darauf ein.
Dagegen gelang es Caesar, den Gegner zu täuschen und unversehens mit
seinen besser marschierenden Truppen sich, ähnlich wie bei Ilerda,
zwischen das feindliche Lager und die Festung Dyrrhachion zu werfen,
auf die dieses sich stützte. Die Kette des Graba Balkan, die in der
Richtung von Osten nach Westen streichend am Adriatischen Meere in der
schmalen dyrrhachinischen Landzunge endigt, entsendet drei Meilen
östlich von Dyrrhachion in südwestlicher Richtung einen Seitenarm, der
in bogenförmiger Richtung ebenfalls zum Meere sich wendet, und der
Haupt- und der Seitenarm des Gebirges schließen zwischen sich eine
kleine, um eine Klippe am Meeresstrand sich ausbreitende Ebene ein.
Hier nahm Pompeius jetzt sein Lager, und obwohl die Caesarische Armee
ihm den Landweg nach Dyrrhachion verlegt hielt, blieb er doch mit Hilfe
seiner Flotte fortwährend mit dieser Stadt in Verbindung und ward von
dort mit allem Nötigen reichlich und bequem versehen, während bei den
Caesarianern, trotz starker Detachierungen in das Hinterland und trotz
aller Anstrengungen des Feldherrn, ein geordnetes Fahrwesen und damit
eine regelmäßige Verpflegung in Gang zu bringen, es doch mehr als knapp
herging und Fleisch, Gerste, ja Wurzeln sehr häufig die Stelle des
gewohnten Weizens vertreten maßten. Da der phlegmatische Gegner
beharrlich bei seiner Passivität blieb, unternahm Caesar, den
Höhenkreis zu besetzen, der die von Pompeius eingenommene Strandebene
umschloß, um wenigstens die überlegene feindliche Reiterei
festzustellen und ungestörter gegen Dyrrhachion operieren zu können,
womöglich aber den Gegner entweder zur Schlacht oder zur Einschiffung
zu nötigen. Von Caesars Truppen war beinahe die Hälfte ins Binnenland
detachiert; es schien fast abenteuerlich, mit dem Rest eine vielleicht
doppelt so zahlreiche, konzentriert aufgestellte, auf die See und die
Flotte gestützte Armee gewissermaßen belagern zu wollen. Dennoch
schlossen Caesars Veteranen unter unsäglichen Anstrengungen das
Pompeianische Lager mit einer drei und eine halbe deutsche Meile langen
Postenkette ein und fügten später, ebenwie vor Alesia, zu dieser
inneren Linie noch eine zweite äußere hinzu, um sich vor Angriffen von
Dyrrhachion aus und vor den mit Hilfe der Flotte so leicht ausführbaren
Umgehungen zu schützen. Pompeius griff mehrmals einzelne dieser
Verschanzungen an, um womöglich die feindliche Linie zu sprengen,
allein durch eine Schlacht die Einschließung zu hindern versuchte er
nicht, sondern zog es vor, auch seinerseits um sein Lager herum eine
Anzahl Schanzen anzulegen und dieselben durch Linien miteinander zu
verbinden. Beiderseits war man bemüht, die Schanzen möglichst weit
vorzuschieben und die Erdarbeiten rückten unter beständigen Gefechten
nur langsam vor. Zugleich schlug man auf der entgegengesetzten Seite
des Caesarischen Lagers sich herum mit der Besatzung vor Dyrrhachion;
durch Einverständnisse innerhalb der Festung hoffte Caesar sie in seine
Gewalt zu bringen, ward aber durch die feindliche Flotte daran
verhindert. Unaufhörlich ward an den verschiedensten Punkten - an einem
der heißesten Tage an sechs Stellen zugleich - gefochten und in der
Regel behielt in diesen Scharmützeln die erprobte Tapferkeit der
Caesarianer die Oberhand; wie denn zum Beispiel einmal eine einzige
Kohorte sich gegen vier Legionen mehrere Stunden lang in ihrer Schanze
hielt, bis Unterstützung herbeikam. Ein Haupterfolg ward auf keiner
Seite erreicht; doch machten sich die Folgen der Einschließung den
Pompeianern allmählich in drückender Weise fühlbar. Die Stauung der von
den Höhen in die Ebene sich ergießenden Bäche nötigte sie, sich mit
sparsamem und schlechtem Brunnenwasser zu begnügen. Noch empfindlicher
war der Mangel an Futter für die Lasttiere und die Pferde, dem auch die
Flotte nicht genügend abzuhelfen vermochte; sie fielen zahlreich und es
half nur wenig, daß die Pferde durch die Flotte nach Dyrrhachion
geschafft wurden, da sie auch hier nicht ausreichend Futter fanden.
Lange konnte Pompeius nicht mehr zögern, sich durch einen gegen den
Feind geführten Schlag aus seiner unbequemen Lage zu befreien. Da ward
er durch keltische Überläufer davon in Kenntnis gesetzt, daß der Feind
es versäumt habe, den Strand zwischen seinen beiden 600 Fuß voneinander
entfernten Schanzenketten durch einen Querwall zu sichern, und baute
hierauf seinen Plan. Während er die innere Linie der Verschanzungen
Caesars vom Lager aus durch die Legionen, die äußere durch die auf
Schiffe gesetzten und jenseits der feindlichen Verschanzungen
gelandeten leichten Truppen angreifen ließ, landete eine dritte
Abteilung in dem Zwischenraum zwischen beiden Linien und griff die
schon hinreichend beschäftigten Verteidiger derselben im Rücken an. Die
zunächst am Meer befindliche Schanze wurde genommen und die Besatzung
floh in wilder Verwirrung; mit Mühe gelang es dem Befehlshaber der
nächsten Schanze, Marcus Antonius, diese zu behaupten und für den
Augenblick dem Vordringen der Pompeianer ein Ziel zu setzen; aber,
abgesehen von dem ansehnlichen Verlust, blieb die äußerste Schanze am
Meer in den Händen der Pompeianer und die Linie durchbrochen. Um so
eifriger ergriff Caesar die Gelegenheit, die bald darauf sich ihm
darbot, eine unvorsichtig sich vereinzelnde Pompeianische Legion mit
dem Gros seiner Infanterie anzugreifen. Allein die Angegriffenen
leisteten tapferen Widerstand, und in dem mehrmals zum Lager größerer
und kleinerer Abteilungen benutzten und kreuz und quer von Wällen und
Gräben durchzogenen Terrain, auf dem gefochten ward, kam Caesars
rechter Flügel nebst der Reiterei ganz vom Wege ab statt den linken im
Angriff auf die Pompeianische Legion zu unterstützen, geriet er in
einen engen, aus einem der alten Lager zum Fluß hingeführten
Laufgraben. So fand Pompeius, der den Seinigen zu Hilfe mit fünf
Legionen eiligst herbeikam, die beiden Flügel der Feinde voneinander
getrennt und den einen in einer gänzlich preisgegebenen Stellung. Wie
die Caesarianer ihn anrücken sahen, ergriff sie ein panischer Schreck;
alles stürzte in wilder Flucht zurück, und wenn es bei dem Verlust von
1000 der besten Soldaten blieb und Caesars Armee nicht eine
vollständige Niederlage erlitt, so hatte sie dies nur dem Umstand zu
danken, daß auch Pompeius sich auf dem durchschnittenen Boden nicht
frei entwickeln konnte und überdies, eine Kriegslist besorgend, seine
Truppen anfangs zurückhielt. Aber auch so waren es unheilvolle Tage.
Nicht bloß hatte Caesar die empfindlichsten Verluste erlitten und seine
Verschanzungen, das Resultat einer viermonatlichen Riesenarbeit, auf
einen Schlag eingebüßt: er war durch die letzten Gefechte wieder genau
auf den Punkt zurückgeworfen, von welchem er ausgegangen war. Von der
See war er vollständiger verdrängt als je, seit des Pompeius ältester
Sohn Gnaeus Caesars wenige, im Hafen von Orikon lagernde Kriegsschiffe
durch einen kühnen Angriff teils verbrannt, teils weggeführt und bald
nachher die in Lissos zurückgebliebene Truppenflotte gleichfalls in
Brand gesteckt hatte; jede Möglichkeit, von Brundisium noch weitere
Verstärkungen zur See heranzuziehen, war damit für Caesar verloren. Die
zahlreiche Pompeianische Reiterei, jetzt ihrer Fesseln entledigt, ergoß
sich in die Umgegend und drohte Caesar die stets schwierige Verpflegung
der Armee völlig unmöglich zu machen. Caesars verwegenes Unternehmen,
gegen einen seemächtigen, auf die Flotte gestützten Feind ohne Schiffe
offensiv zu operieren, war vollständig gescheitert. Auf dem bisherigen
Kriegsschauplatz fand er sich einer unbezwinglichen
Verteidigungsstellung gegenüber und weder gegen Dyrrhachion noch gegen
das feindliche Heer einen ernstlichen Schlag auszuführen imstande;
dagegen hing es jetzt nur von Pompeius ab, gegen den bereits in seinen
Subsistenzmitteln sehr gefährdeten Gegner unter den günstigsten
Verhältnissen zum Angriff überzugehen. Der Krieg war an einem
Wendepunkt angelangt. Bisher hatte Pompeius, allem Anscheine nach, das
Kriegsspiel ohne eigenen Plan gespielt und nur nach dem jedesmaligen
Angriff seine Verteidigung bemessen; und es war dies nicht zu tadeln,
da das Hinziehen des Krieges ihm Gelegenheit gab, seine Rekruten
schlagfähig zu machen, seine Reserven heranzuziehen und das Übergewicht
seiner Flotte im Adriatischen Meer immer vollständiger zu entwickeln.
Caesar war nicht bloß taktisch, sondern auch strategisch geschlagen.
Diese Niederlage hatte zwar nicht diejenige Folge, die Pompeius nicht
ohne Ursache erhoffte: zu einer sofortigen völligen Auflösung der Armee
durch Hunger und Meuterei ließ die eminente soldatische Energie der
Veteranen Caesars es nicht kommen. Allein es schien doch nur von dem
Gegner abzuhängen, durch zweckmäßige Verfolgung seines Sieges die volle
Frucht desselben zu ernten.
An Pompeius war es, die Offensive zu ergreifen, und er war dazu
entschlossen. Es boten sich ihm drei verschiedene Wege dar, um seinen
Sieg fruchtbar zu machen. Der erste und einfachste war, von der
überwundenen Armee nicht abzulassen und, wenn sie aufbrach, sie zu
verfolgen. Ferner konnte Pompeius Caesar selbst und dessen Kerntruppen
in Griechenland stehen lassen und selber, wie er längst vorbereitet
hatte, mit der Hauptarmee nach Italien überfahren, wo die Stimmung
entschieden antimonarchisch war und die Streitmacht Caesars, nach
Entsendung der besten Truppen und des tapfern und zuverlässigen
Kommandanten zu der griechischen Armee, nicht gar viel bedeuten wollte.
Endlich konnte der Sieger sich auch in das Binnenland wenden, die
Legionen des Metellus Scipio an sich liehen und versuchen, die im
Binnenlande stehenden Truppen Caesars aufzuheben. Es hatte nämlich
dieser, unmittelbar nachdem der zweite Transport bei ihm eingetroffen
war, teils, um die Subsistenzmittel für seine Armee herbeizuschaffen,
starke Detachements nach Ätolien und Thessalien entsandt, teils ein
Korps von zwei Legionen unter Gnaeus Domitius Calvinus auf der
Egnatischen Chaussee gegen Makedonien vorgehen lassen, das dem auf
derselben Straße von Thessalonike her anrückenden Korps des Scipio den
Weg verlegen und womöglich es einzeln schlagen sollte. Schon hatten
Calvinus und Scipio sich bis auf wenige Meilen einander genähert, als
Scipio sich plötzlich rückwärts wandte und, rasch den Haliakmon
(Jadsche Karasu) überschreitend und dort sein Gepäck unter Marcus
Favonius zurücklassend, in Thessalien eindrang, um die mit der
Unterwerfung des Landes beschäftigte Rekrutenlegion Caesars unter
Lucius Cassius Longinus mit Übermacht anzugreifen. Longinus aber zog
sich über die Berge nach Ambrakia auf das von Caesar nach Ätolien
gesandte Detachement unter Gnaeus Calvisius Sabinus zurück, und Scipio
konnte ihn nur durch seine thrakischen Reiter verfolgen lassen, da
Calvinus seine unter Favonius am Haliakmon zurückgelassene Reserve mit
dem gleichen Schicksale bedrohte, welches er selbst dem Longinus zu
bereiten gedachte. So trafen Calvinus und Scipio am Haliakmon wieder
zusammen und lagerten hier längere Zeit einander gegenüber.
Pompeius konnte zwischen diesen Plänen wählen; Caesar blieb keine Wahl.
Er trat nach jenem unglücklichen Gefechte den Rückzug auf Apollonia an.
Pompeius folgte. Der Marsch von Dyrrhachion nach Apollonia auf einer
schwierigen, von mehreren Flüssen durchschnittenen Straße war keine
leichte Aufgabe für eine geschlagene und vom Feinde verfolgte Armee;
indes die geschickte Leitung ihres Feldherrn und die unverwüstliche
Marschfähigkeit der Soldaten nötigten Pompeius nach viertägiger
Verfolgung, dieselbe als nutzlos einzustellen. Er hatte jetzt sich zu
entscheiden zwischen der italischen Expedition und dem Marsch in das
Binnenland; und so rätlich und lockend auch jene schien, so manche
Stimmen auch dafür sich erhoben, er zog es doch vor, das Korps des
Scipio nicht preiszugeben, um so mehr, als er durch diesen Marsch das
des Calvinus in die Hände zu bekommen hoffte. Calvinus stand
augenblicklich auf der Egnatischen Straße bei Herakleia Lynkestis,
zwischen Pompeius und Scipio und, nachdem Caesar sich auf Apollonia
zurückgezogen, von diesem weiter entfernt als von der großen Armee des
Pompeius, zu allem dem ohne Kenntnis von den Vorgängen bei Dyrrhachion
und von seiner bedenklichen Lage, da nach den bei Dyrrhachion erlangten
Erfolgen die ganze Landschaft sich zu Pompeius neigte und die Boten
Caesars überall aufgegriffen wurden. Erst als die feindliche Hauptmacht
bis auf wenige Stunden sich ihm genähert hatte, erfuhr Calvinus aus den
Erzählungen der feindlichen Vorposten selbst den Stand der Dinge. Ein
rascher Aufbruch in südlicher Richtung gegen Thessalien zu entzog ihn
im letzten Augenblick der drohenden Vernichtung; Pompeius mußte sich
damit begnügen, Scipio aus seiner gefährdeten Stellung befreit zu
haben. Caesar war inzwischen unangefochten nach Apollonia gelangt.
Sogleich nach der Katastrophe von Dyrrhachion hatte er sich
entschlossen, wenn möglich den Kampf von der Küste weg in das
Binnenland zu verlegen, um die letzte Ursache des Fehlschlagens seiner
bisherigen Anstrengungen, die feindliche Flotte, aus dem Spiel zu
bringen. Der Marsch nach Apollonia hatte nur den Zweck gehabt, dort, wo
seine Depots sich befanden, seine Verwundeten in Sicherheit zu bringen
und seinen Soldaten die Löhnung zu zahlen; sowie dies geschehen war,
brach er, mit Hinterlassung von Besatzungen in Apollonia, Orikon und
Lissos, nach Thessalien auf. Nach Thessalien hatte auch das Korps des
Calvinus sich in Bewegung gesetzt; und die aus Italien, jetzt auf dem
Landwege durch Illyrien, anrückenden Verstärkungen, zwei Legionen unter
Quintus Cornificius, konnte er gleichfalls hier leichter noch als in
Epirus an sich ziehen. Auf schwierigen Pfaden im Tale des Aoos
aufwärtssteigend und die Bergkette überschreitend, die Epirus von
Thessalien scheidet, gelangte er an den Peneios; ebendorthin ward
Calvinus dirigiert und die Vereinigung der beiden Armeen also auf dem
kürzesten und dem Feinde am wenigsten ausgesetzten Wege bewerkstelligt.
Sie erfolgte bei Aeginion unweit der Quelle des Peneios. Die erste
thessalische Stadt, vor der die jetzt vereinigte Armee erschien,
Gomphoi, schloß ihr die Tore; sie ward rasch erstürmt und der
Plünderung preisgegeben, und dadurch geschreckt unterwarfen sich die
übrigen Städte Thessaliens, sowie nur Caesars Legionen vor den Mauern
sich zeigten. Über diesen Märschen und Gefechten und mit Hilfe der,
wenn auch nicht allzureichlichen, Vorräte, die die Landschaft am
Peneios darbot, schwanden allmählich die Spuren und die Erinnerungen
der überstandenen unheilvollen Tage.
Unmittelbare Früchte also hatten die Siege von Dyrrhachion für die
Sieger nicht viele getragen. Pompeius, mit seiner schwerfälligen Armee
und seiner zahlreichen Reiterei, hatte dem beweglichen Feind in die
Gebirge zu folgen nicht vermocht; Caesar wie Calvinus hatten der
Verfolgung sich entzogen und beide standen vereinigt und in voller
Sicherheit in Thessalien. Vielleicht wäre es das richtigste gewesen,
wenn Pompeius jetzt ohne weiteres mit seiner Hauptmacht zu Schiff nach
Italien gegangen wäre, wo der Erfolg kaum zweifelhaft war. Indes
vorläufig ging nur eine Abteilung der Flotte nach Sizilien und Italien
ab. Man betrachtete im Lager der Koalition durch die Schlachten von
Dyrrhachion die Sache mit Caesar als so vollständig entschieden, daß es
nur galt, die Früchte der Siege zu ernten, das heißt, die geschlagene
Armee aufzusuchen und abzufangen. An die Stelle der bisherigen
übervorsichtigen Zurückhaltung trat ein durch die Umstände noch weniger
gerechtfertigter Übermut; man achtete es nicht, daß man in der
Verfolgung doch eigentlich gescheitert war, daß man sich gefaßt halten
mußte, in Thessalien auf eine völlig erfrischte und reorganisierte
Armee zu treffen und daß es nicht geringe Bedenken hatte, vom Meere
sich entfernend und auf die Unterstützung der Flotte verzichtend, dem
Gegner auf das von ihm gewählte Schlachtfeld zu folgen. Man war eben
entschlossen, um jeden Preis mit Caesar zu schlagen und darum
baldmöglichst und auf dem möglichst bequemen Wege an ihn zu kommen.
Cato übernahm das Kommando in Dyrrhachion, wo eine Besatzung von
achtzehn Kohorten, und in Kerkyra, wo 300 Kriegsschiffe zurückblieben:
Pompeius und Scipio begaben sich, jener wie es scheint die Egnatische
Chaussee bis Pella verfolgend und dann die große Straße nach Süden
einschlagend, dieser vom Haliakmon aus durch die Pässe des Olymp, an
den unteren Peneios und trafen bei Larisa zusammen. Caesar stand
südlich davon in der Ebene, die zwischen dem Hügelland von Kynoskephalä
und dem Othrysgebirge sich ausbreitet und von dem Nebenfluß des
Peneios, dem Enipeus, durchschnitten wird, am linken Ufer desselben bei
der Stadt Pharsalos; ihm gegenüber, am rechten Ufer des Enipeus am
Abhang der Höhen von Kynoskephalä, schlug Pompeius sein Lager ^6.
Pompeius’ Armee war vollständig beisammen; Caesar dagegen erwartete
noch das früher nach Ätolien und Thessalien detachierte, jetzt unter
Quintus Fufius Calenus in Griechenland stehende Korps von fast zwei
Legionen und die auf dem Landweg von Italien ihm nachgesandten und
bereits in Illyrien angelangten zwei Legionen des Cornificius.
Pompeius’ Heer, elf Legionen oder 47000 Mann und 7000 Pferde stark, war
dem Caesar an Fußvolk um mehr als das Doppelte, an Reiterei um das
Siebenfache überlegen; Strapazen und Gefechte hatten Caesars Truppen so
dezimiert, daß seine acht Legionen nicht über 22000 Mann unter den
Waffen, also bei weitem nicht die Hälfte des Normalbestandes zählten.
Pompeius’ siegreiche, mit einer zahllosen Reiterei und guten Magazinen
versehene Armee hatte Lebensmittel in Fülle, während Caesars Truppen
notdürftig sich hinhielten und erst von der nicht fernen Getreideernte
bessere Verpflegung erhofften. Die Stimmung der Pompeianischen
Soldaten, die in der letzten Kampagne den Krieg kennen und ihrem Führer
vertrauen gelernt hatten, war die beste. Alle militärischen Gründe
sprachen auf Pompeius’ Seite dafür, da man nun einmal in Thessalien
Caesar gegenüberstand, mit der Entscheidungsschlacht nicht lange zu
zögern; und mehr wohl noch als diese wog im Kriegsrat die
Emigrantenungeduld der vielen vornehmen Offiziere und Heerbegleiter.
Seit den Ereignissen von Dyrrhachion betrachteten diese Herren den
Triumph ihrer Partei als eine ausgemachte Tatsache; bereits wurde
eifrig gehadert über die Besetzung von Caesars Oberpontifikat und
Aufträge nach Rom gesandt, um für die nächsten Wahlen Häuser am Markt
zu mieten. Als Pompeius Bedenken zeigte, den Bach, der beide Heere
schied und den Caesar mit seinem viel schwächeren Heer zu passieren
sich nicht getraute, seinerseits zu überschreiten, erregte dies großen
Unwillen; Pompeius, hieß es, zaudere nur mit der Schlacht, um noch
etwas länger über so viele Konsulare und Prätorier zu gebieten und
seine Agamemnonrolle zu verewigen. Pompeius gab nach; und Caesar, der
in der Meinung, daß es nicht zum Kampf kommen werde, eben eine Umgehung
der feindlichen Armee entworfen hatte und dazu gegen Skotussa
aufzubrechen im Begriff war, ordnete ebenfalls seine Legionen zur
Schlacht, als er die Pompeianer sich anschicken sah, sie auf seinem
Ufer ihm anzubieten. Also ward, fast auf derselben Walstatt, wo
hundertfünfzig Jahre zuvor die Römer ihre Herrschaft im Osten begründet
hatten, am 9. August 706 (48) die Schlacht von Pharsalos geschlagen.
Pompeius lehnte den rechten Flügel an den Enipeus, Caesar ihm gegenüber
den linken an das vor dem Enipeus sich ausbreitende durchschnittene
Terrain; die beiden anderen Flügel standen in die Ebene hinaus,
beiderseits gedeckt durch die Reiterei und die leichten Truppen.
Pompeius’ Absicht war, sein Fußvolk in der Verteidigung zu halten,
dagegen mit seiner Reiterei die schwache Reiterschar, die, nach
deutscher Art mit leichter Infanterie gemischt, ihr gegenüberstand, zu
zersprengen und sodann Caesars rechten Flügel in den Rücken zu nehmen.
Sein Fußvolk hielt den ersten Stoß der feindlichen Infanterie mutig aus
und es kam das Gefecht hier zum Stehen. Labienus sprengte ebenfalls die
feindliche Reiterei nach tapferem, aber kurzem Widerstand auseinander
und entwickelte sich linkshin, um das Fußvolk zu umgehen. Aber Caesar,
die Niederlage seiner Reiterei voraussehend, hatte hinter ihr auf der
bedrohten Flanke seines rechten Flügels etwa 2000 seiner besten
Legionäre aufgestellt. Wie die feindlichen Reiter, die Caesarischen vor
sich hertreibend, heran und um die Linie herum jagten, prallten sie
plötzlich auf diese unerschrocken gegen sie anrückende Kernschar und,
durch den unerwarteten und ungewohnten Infanterieangriff ^7 rasch in
Verwirrung gebracht, sprengten sie mit verhängten Zügeln vom
Schlachtfeld. Die siegreichen Legionäre hieben die preisgegebenen
feindlichen Schützen zusammen, rückten dann auf den linken Flügel des
Feindes los und begannen nun ihrerseits dessen Umgehung. Zugleich ging
Caesars bisher zurückgehaltenes drittes Treffen auf der ganzen Linie
zum Angriff vor. Die unverhoffte Niederlage der besten Waffe des
Pompeianischen Heeres, wie sie den Mut der Gegner hob, brach den der
Armee und vor allem den des Feldherrn. Als Pompeius, der seinem Fußvolk
von Haus aus nicht traute, die Reiter zurückjagen sah, ritt er sofort
von dem Schlachtfeld zurück in das Lager, ohne auch nur den Ausgang des
von Caesar befohlenen Gesamtangriffs abzuwarten. Seine Legionen fingen
an zu schwanken und bald über den Bach in das Lager zurückzuweichen,
was nicht ohne schweren Verlust bewerkstelligt ward. Der Tag war also
verloren und mancher tüchtige Soldat gefallen, die Armee indes noch im
wesentlichen intakt und Pompeius’ Lage weit minder bedenklich als die
Caesars nach der Niederlage von Dyrrhachion. Aber wenn Caesar in den
Wechselfällen seiner Geschicke es gelernt hatte, daß das Glück auch
seinen Günstlingen wohl auf Augenblicke sich zu entziehen liebt, um
durch Beharrlichkeit von ihnen abermals bezwungen zu werden, so kannte
Pompeius das Glück bis dahin nur als die beständige Göttin und
verzweifelte an sich und an ihr, als sie ihm entwich; und wenn in
Caesars großartiger Natur die Verzweiflung nur immer mächtigere Kräfte
entwickelte, so versank Pompeius’ dürftige Seele unter dem gleichen
Druck in den bodenlosen Abgrund der Kümmerlichkeit. Wie er einst im
Kriege mit Sertorius im Begriff gewesen war, das anvertraute Amt im
Stiche lassend vor dem überlegenen Gegner auf und davon zu gehen, so
warf er jetzt, da er die Legionen über den Bach zurückweichen sah, die
verhängnisvolle Feldherrnschärpe von sich und ritt auf dem nächsten Weg
dem Meere zu, um dort ein Schiff sich zu suchen. Seine Armee, entmutigt
und führerlos - denn Scipio, obwohl von Pompeius als Kollege im
Oberkommando anerkannt, war doch nur dem Namen nach Oberfeldherr -,
hoffte hinter den Lagerwällen Schutz zu finden; aber Caesar gestattete
ihr keine Rast: rasch wurde die hartnäckige Gegenwehr der römischen und
thrakischen Lagerwachen überwältigt und die Masse genötigt, sich in
Unordnung die Anhöhen von Krannon und Skotussa hinaufzuziehen, an deren
Fuße das Lager geschlagen war. Sie versuchte, auf diesen Hügeln sich
fortbewegend Larisa wiederzuerreichen; allein Caesars Truppen, weder
der Beute noch der Müdigkeit achtend und auf besseren Wegen in die
Ebene vorrückend, verlegten den Flüchtigen den Weg; ja, als am späten
Abend die Pompeianer ihren Marsch einstellten, vermochten ihre
Verfolger es noch, eine Schanzlinie zu ziehen, die den Flüchtigen den
Zugang zu dem einzigen in der Nähe befindlichen Bach verschloß. So
endigte der Tag von Pharsalos. Die feindliche Armee war nicht bloß
geschlagen, sondern vernichtet. 15000 der Feinde lagen tot oder
verwundet auf dem Schlachtfeld, während die Caesarianer nur 200 Mann
vermißten; die noch zusammengebliebene Masse, immer noch gegen 20000
Mann, streckte am Morgen nach der Schlacht die Waffen; nur einzelne
Trupps, darunter freilich die namhaftesten Offiziere, suchten eine
Zuflucht in den Bergen; von den elf feindlichen Adlern wurden neun
Caesar überbracht. Caesar, der schon am Tage der Schlacht die Soldaten
erinnert hatte, im Feinde nicht den Mitbürger zu vergessen, behandelte
die Gefangenen nicht wie Bibulus und Labienus es taten; indes auch er
fand doch nötig, jetzt die Strenge walten zu lassen. Die gemeinen
Soldaten wurden in das Heer eingereiht, gegen die Leute besseren
Standes Geldbußen oder Vermögenskonfiskationen erkannt; die gefangenen
Senatoren und namhaften Ritter erlitten, mit wenigen Ausnahmen, den
Tod. Die Zeiten der Gnade waren vorbei; je länger er währte, desto
rücksichtsloser und unversöhnlicher waltete der Bürgerkrieg.
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^6 Die genaue Bestimmung des Schlachtfeldes ist schwierig. Appian
(bist. 2, 75) setzt dasselbe ausdrücklich zwischen (Neu-) Pharsalos
(jetzt Fersala) und den Enipeus. Von den beiden Gewässern, die hier
allein von einiger Bedeutung und unzweifelhaft der Apidanos und Enipeus
der Alten sind, dem Sofadhitiko und dem Fersaliti, hat jener seine
Quellen auf den Bergen von Thaumakoi (Dhomoko) und den Dolopischen
Höhen, dieser auf dem Othrys, und fließt nur der Fersaliti bei
Pharsalos vorbei; da nun aber der Enipeus nach Strabon (9 p. 432) auf
dem Othrys entspringt und bei Pharsalos vorbeifließt, so ist der
Fersaliti mit vollem Recht von W. M. Leake (Travels in Northern Greece.
Bd. 4. London 1835, S. 320) für den Enipeus erklärt worden und die von
Göler befolgte Annahme, daß der Fersaliti der Apidanos sei, unhaltbar.
Damit stimmen auch alle sonstigen Angaben der Alten über beide Flüsse.
Nur muß freilich mit Leake angenommen werden, daß der durch die
Vereinigung des Fersaliti und des Sofadhitiko gebildete, zum Peneios
gehende Fluß von Vlokho bei den Alten, wie der Sofadhitiko, Apidanos
hieß: was aber auch um so natürlicher ist als wohl der Sofadhitiko,
nicht aber der Fersaliti beständig Wasser hat (Leake, Bd. 4, S. 321).
Zwischen Fersala also und dem Fersaliti muß Altpharsalos gelegen haben,
wovon die Schlacht den Namen trägt. Demnach ward die Schlacht am linken
Ufer des Fersaliti gefochten, und zwar so, daß die Pompeianer, mit dem
Gesicht nach Pharsalos stehend, ihren rechten Flügel an den Fluß
lehnten (Caes. civ. 3, 83. Frontin. strat. 2, 3, 22). Aber das Lager
der Pompeianer kann hier nicht gestanden haben, sondern nur am Abhang
der Höhen von Kynoskephalae am rechten Ufer des Enipeus, teils weil sie
Caesar den Weg nach Skotussa verlegten, teils weil ihre Rückzugslinie
offenbar über die oberhalb des Lagers befindlichen Berge nach Larisa
ging; hätten sie, nach Leakes (Bd. 4, S. 482) Annahme, östlich von
Pharsalos am linken Ufer des Enipeus gelagert, so konnten sie
nimmermehr durch diesen gerade hier tief eingeschnittenen Bach (Leake,
Bd. 4, S. 469) nordwärts gelangen und Pompeius hätte statt nach Larisa,
nach Lamia flüchten müssen. Wahrscheinlich schlugen also die Pompeianer
am rechten Ufer des Fersaliti ihr Lager und passierten den Fluß, sowohl
um zu schlagen, als um nach der Schlacht wieder in ihr Lager zu
gelangen von wo sie sodann sich die Abhänge von Krannon und Skotussa
hinaufzogen, die über dem letzteren Orte zu den Höhen von Kynoskephalae
sich gipfeln. Unmöglich war dies nicht. Der Enipeus ist ein schmaler,
langsam fließender Bach, den Leake im November zwei Fuß tief fand und
der in der heißen Jahreszeit oft ganz trocken liegt (Leake, Bd. 1, S.
448 und Bd. 4, S. 472; vgl. Lucan. 6, 373), und die Schlacht ward im
Hochsommer geschlagen. Ferner standen die Heere vor der Schlacht drei
Viertelmeilen auseinander (App. civ. 2, 65), so daß die Pompeianer alle
Vorbereitungen treffen und auch die Verbindung mit ihrem Lager durch
Brücken gehörig sichern konnten. Wäre die Schlacht in eine völlige
Deroute ausgegangen, so hätte freilich der Rückzug an und über den Fluß
nicht ausgeführt werden können, und ohne Zweifel aus diesem Grunde
verstand Pompeius nur ungern sich dazu, hier zu schlagen. Der am
weitesten von der Rückzugsbasis entfernte linke Flügel der Pompeianer
hat dies auch empfunden; aber der Rückzug wenigstens ihres Zentrums und
ihres rechten Flügels ward nicht in solcher Hast bewerkstelligt, daß er
unter den gegebenen Bedingungen unausführbar wäre. Caesar und seine
Ausschreiber verschweigen die Überschreitung des Flusses, weil dieselbe
die übrigens aus der ganzen Erzählung hervorgehende Kampfbegierde der
Pompeianer zu deutlich ins Licht stellen würde, und ebenso die für
diese günstigen Momente des Rückzugs.
^7 In diesen Zusammenhang gehört die bekannte Anweisung Caesars an
seine Soldaten, nach den Gesichtern der feindlichen Reiter zu stoßen.
Die Infanterie, welche hier in ganz irregulärer Weise offensiv gegen
die Kavallerie auftrat, der mit den Säbeln nicht beizukommen war,
sollte ihre Pila nicht abwerfen, sondern sie als Handspeere gegen die
Reiter brauchen und, um dieser sich besser zu erwehren, damit nach oben
zu stoßen (Plut. Pomp. 69. 71; Plut. Caes. 45; App, civ. 2, 76, 78;
Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15; irrig Frontin strat. 4, 7, 32).
Die anekdotenhafte Umwandlung dieser Instruktion, daß die
Pompeianischen Reiter durch die Furcht vor Schmarren im Gesicht zum
Weglaufen sollten gebracht werden und auch wirklich “die Hände vor die
Augen haltend” (Plutarch) davongaloppiert seien, fällt in sich selbst
zusammen: denn sie hat nur dann eine Pointe, wenn die Pompeianische
Reiterei hauptsächlich aus dem jungen Adel Roms, den “artigen Tänzern”,
bestand; und dies ist falsch. Höchstens kann es sein, daß der Lagerwitz
jener einfachen und zweckmäßigen militärischen Ordre diese sehr
unsinnige, aber allerdings lustige Wendung gab.
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Es dauerte einige Zeit, bevor die Folgen des 9. August 706 (48)
vollständig sich übersehen ließen. Was am wenigsten Zweifel litt, war
der Übertritt aller derer, die zu der bei Pharsalos überwundenen Partei
nur als zu der mächtigeren sich geschlagen hatten, auf die Seite
Caesars; die Niederlage war eine so völlig entscheidende, daß dem
Sieger alles zufiel, was nicht für eine verlorene Sache streiten wollte
oder mußte. Alle die Könige, Völker und Städte, die bisher Pompeius’
Klientel gebildet hatten, riefen jetzt ihre Flotten- und
Heereskontingente zurück und verweigerten den Flüchtlingen der
geschlagenen Partei die Aufnahme - so Ägypten, Kyrene, die Gemeinden
Syriens, Phönikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und
überhaupt der ganze Osten. Ja, König Pharnakes vom Bosporus trieb den
Diensteifer so weit, daß er auf die Nachricht von der Pharsalischen
Schlacht nicht bloß die manches Jahr zuvor vom Pompeius frei erklärte
Stadt Phanagoria und die Gebiete der von ihm bestätigten kolchischen
Fürsten, sondern selbst das von demselben dem König Deiotarus
verliehene Königreich Klein-Armenien in Besitz nahm. Fast die einzigen
Ausnahmen von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt
Megara, die von den Caesarianern sich belagern und erstürmen ließ, und
König Juba von Numidien, der von Caesar die Einziehung seines Reiches
schon längst und nach dem Siege über Curio nur um so sicherer zu
gewärtigen hatte und also freilich, wohl oder übel, bei der
geschlagenen Partei ausharren mußte. Ebenso wie die Klientelgemeinden
sich dem Sieger von Pharsalos unterwarfen, kam auch der Schweif der
Verfassungspartei, alle, die mit halbem Herzen mitgemacht hatten oder
gar, wie Marcus Cicero und seinesgleichen, nur um die Aristokratie
herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei, um mit dem
neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen, den denn auch dessen
geringschätzige Nachsicht den Bittstellern bereitwillig und höflich
gewährte. Aber der Kern der geschlagenen Partei transigierte nicht. Mit
der Aristokratie war es vorbei; aber die Aristokraten konnten doch sich
nimmermehr zur Monarchie bekehren. Auch die höchsten Offenbarungen der
Menschheit sind vergänglich; die einmal wahre Religion kann zur Lüge,
die einst segenhafte Staatsordnung zum Fluche werden; aber selbst das
vergangene Evangelium noch findet Bekenner, und wenn solcher Glaube
nicht Berge versetzen kann wie der Glaube an die lebendige Wahrheit, so
bleibt er doch sich selber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus
dem Reiche der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und
seine letzten Bürger sich nachgezogen hat und ein neues Geschlecht, von
jenen Schemen des Gewesenen und Verwesenden befreit, über die verjüngte
Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Entartung auch
jetzt das aristokratische Regiment versunken war, es war einst ein
großartiges politisches System gewesen; das heilige Feuer, durch das
Italien erobert und Hannibal besiegt worden war, glühte, wie getrübt
und verdumpft, dennoch fort in dem römischen Adel, solange es einen
solchen gab, und machte eine innerliche Verständigung zwischen den
Männern des alten Regiments und dem neuen Monarchen unmöglich. Ein
großer Teil der Verfassungspartei fügte sich wenigstens äußerlich und
erkannte die Monarchie insofern an, als sie von Caesar Gnade annahmen
und soweit möglich, sich ins Privatleben zurückzogen; was freilich
regelmäßig nicht ohne den Hintergedanken geschah, sich damit auf einen
künftigen Umschwung der Dinge aufzusparen. Vorzugsweise taten dies die
minder namhaften Parteigenossen; doch zählte auch der tüchtige Marcus
Marcellus, derselbe, der den Bruch mit Caesar herbeigeführt hatte, zu
diesen Verständigen und verbannte sich freiwillig nach Lesbos. Aber in
der Majorität der echten Aristokratie war die Leidenschaft mächtiger
als die kühle Überlegung; wobei freilich auch Selbsttäuschungen über
den noch möglichen Erfolg und Besorgnisse vor der unvermeidlichen Rache
des Siegers mannigfaltig mitwirkten. Keiner wohl beurteilte mit so
schmerzlicher Klarheit und so frei von Furcht wie von Hoffnung für sich
die Lage der Dinge wie Marcus Cato. Vollkommen überzeugt, daß nach den
Tagen von Ilerda und Pharsalos die Monarchie unvermeidlich sei, und
sittlich fest genug, um auch diese bittere Wahrheit sich einzugestehen
und danach zu handeln, schwankte er einen Augenblick, ob die
Verfassungspartei den Krieg überhaupt noch fortsetzen dürfe, der
notwendig für eine verlorene Sache vielen Opfer zumutete, die nicht
wußten, wofür sie sie brachten. Aber wenn er sich entschloß, weiter
gegen die Monarchie zu kämpfen, nicht um den Sieg, sondern um rascheren
und ehrenvolleren Untergang, so suchte er doch soweit möglich in diesen
Krieg keinen hineinzuziehen, der den Untergang der Republik überleben
und mit der Monarchie sich abfinden mochte. Solange die Republik nur
bedroht gewesen, meinte er, habe man das Recht und die Pflicht gehabt,
auch den lauen und schlechten Bürger zur Teilnahme an dem Kampfe zu
zwingen; aber jetzt sei es sinnlos und grausam, den einzelnen zu
nötigen, daß er mit der verlorenen Republik sich zugrunde richte. Nicht
bloß entließ er selbst jeden, der nach Italien heimzukehren begehrte;
als der wildeste unter den wilden Parteimännern, Gnaeus Pompeius der
Sohn, auf die Hinrichtung dieser Leute, namentlich des Cicero drang,
war es einzig Cato, der sie durch seine sittliche Autorität
verhinderte.
Auch Pompeius begehrte keinen Frieden. Wäre er ein Mann gewesen, der es
verdiente, an dem Platze zu stehen, wo er stand, so möchte man meinen,
er habe es begriffen, daß, wer nach der Krone greift, nicht wieder
zurück kann in das Geleise der gewöhnlichen Existenz und darum für den,
der fehlgegriffen, kein Platz mehr auf der Erde ist. Allein schwerlich
dachte Pompeius zu groß, um eine Gnade zu erbitten, die der Sieger
vielleicht hochherzig genug gewesen wäre, ihm nicht zu versagen,
sondern vielmehr wahrscheinlich dazu zu gering. Sei es, daß er es nicht
über sich gewann, Caesar sich anzuvertrauen, sei es, daß er in seiner
gewöhnlichen unklaren und unentschiedenen Weise, nachdem der erste
unmittelbare Eindruck der Katastrophe von Pharsalos geschwunden war,
wieder anfing, Hoffnung zu schöpfen, Pompeius war entschlossen, den
Kampf gegen Caesar fortzusetzen und nach dem Pharsalischen noch ein
anderes Schlachtfeld sich zu suchen.
So ging also, wie Caesar immer durch Klugheit und Mäßigung den Groll
seiner Gegner zu beschwichtigen und ihre Zahl zu mindern bemüht war,
der Kampf nichtsdestoweniger unabänderlich weiter. Allein die führenden
Männer hatten fast alle bei Pharsalos mitgefochten, und obwohl sie, mit
Ausnahme von Lucius Domitius Ahenobarbus, der auf der Flucht
niedergemacht ward, sämtlich sich retteten, wurden sie doch nach allen
Seiten hin versprengt, weshalb sie nicht dazu kamen, einen
gemeinschaftlichen Plan für die Fortsetzung des Feldzuges zu
verabreden. Die meisten von ihnen gelangten, teils durch die öden
makedonischen und illyrischen Gebirge, teils mit Hilfe der Flotte, nach
Kerkyra, wo Marcus Cato die zurückgelassene Reserve kommandierte. Hier
fand unter Catos Vorsitz eine Art Kriegsrat statt, dem Metellus Scipio,
Titus Labienus, Lucius Afranius, Gnaeus Pompeius der Sohn und andere
beiwohnten; allein teils die Abwesenheit des Oberfeldherrn und die
peinliche Ungewißheit über sein Schicksal, teils die innere
Zerfahrenheit der Partei verhinderte eine gemeinsame Beschlußfassung,
und es schlug schließlich jeder den Weg ein, der ihm für sich oder für
die gemeine Sache der zweckmäßigste zu sein schien. Es war in der Tat
in hohem Grade schwierig, unter den vielen Strohhalmen, an die man etwa
sich anklammern konnte, denjenigen zu bezeichnen, der am längsten über
Wasser halten würde. Makedonien und Griechenland waren durch die
Schlacht von Pharsalos verloren. Zwar hielt Cato, nachdem er auf die
Nachricht von der Niederlage Dyrrhachion sogleich geräumt hatte, nach
Kerkyra, Rutilius Lupus noch den Peloponnes eine Zeitlang für die
Verfassungspartei. Einen Augenblick schien es auch, als wollten die
Pompeianer sich in Paträ auf dem Peloponnes verteidigen; allein die
Nachricht von Calenus’ Anrücken genügte, um sie von hier zu
verscheuchen. Kerkyra zu behaupten wurde ebensowenig versucht. An der
italischen und sizilischen Küste hatten die nach den Siegen von
Dyrrhachion dorthin entsandten Pompeianischen Geschwader gegen die
Häfen von Brundisium, Messana und Vibo nicht unbedeutende Erfolge
errungen und in Messana namentlich die ganze in der Ausrüstung
begriffene Flotte Caesars niedergebrannt; allein die hier tätigen
Schiffe, größtenteils kleinasiatische und syrische, wurden infolge der
Pharsalischen Schlacht von ihren Gemeinden abberufen, so daß die
Expedition damit von selber ein Ende nahm. In Kleinasien und Syrien
standen augenblicklich gar keine Truppen, weder der einen noch der
anderen Partei, mit Ausnahme der bosporanischen Armee des Pharnakes,
die, angeblich für Rechnung Caesars, verschiedene Landschaften der
Gegner desselben eingenommen hatte. In Ägypten stand zwar noch ein
ansehnliches römisches Heer, gebildet aus den dort von Gabinius
zurückgelassenen und seitdem aus italischen Landstreichern und
syrischem oder kilikischem Räubergesindel rekrutierten Truppen; allein
es verstand sich von selbst und ward durch die Rückberufung der
ägyptischen Schiffe bald offiziell bestätigt, daß der Hof von
Alexandreia keineswegs die Absicht hatte, bei der geschlagenen Partei
auszuhalten oder gar ihr seine Truppenmacht zur Verfügung zu stellen.
Etwas günstigere Aussichten boten sich den Besiegten im Westen dar. In
Spanien waren unter der Bevölkerung die Pompeianischen Sympathien so
mächtig, daß die Caesarianer den von dort aus gegen Afrika
beabsichtigten Angriff deswegen unterlassen mußten und eine
Insurrektion unausbleiblich schien, sowie ein namhafter Führer auf der
Halbinsel sich zeigen würde. In Afrika aber hatte die Koalition oder
vielmehr der eigentliche Machthaber daselbst, König Juba von Numidien,
seit dem Herbst 705 (49) ungestört gerüstet. Wenn also der ganze Osten
durch die Schlacht von Pharsalos der Koalition verloren war, so konnte
sie dagegen in Spanien wahrscheinlich und sicher in Afrika den Krieg in
ehrenhafter Weise weiterführen; denn die Hilfe des längst der römischen
Gemeinde untertänigen Königs von Numidien gegen revolutionäre Mitbürger
in Anspruch zu nehmen, war für den Römer wohl eine peinliche
Demütigung, aber keineswegs ein Landesverrat. Wem freilich in diesem
Kampfe der Verzweiflung weder Recht noch Ehre etwas weiter galt, der
mochte auch, sich selber außerhalb des Gesetzes erklärend, die
Räuberfehde eröffnen oder, mit unabhängigen Nachbarstaaten in Bündnis
tretend, den Landesfeind in den inneren Streit hineinziehen oder
endlich, die Monarchie mit den Lippen bekennend, die Restauration der
legitimen Republik mit dem Dolch des Meuchelmörders betreiben. Daß die
Überwundenen austraten und der neuen Monarchie absagten, war wenigstens
der natürliche und insofern richtigste Ausdruck ihrer verzweifelten
Lage. Das Gebirge und vor allem das Meer waren in jener Zeit seit
Menschengedenken wie die Freistatt allen Frevels, so auch die des
unerträglichen Elends und des unterdrückten Rechtes; Pompeianern und
Republikanern lag es nahe, der Monarchie Caesars, die sie ausstieß, in
den Bergen und auf den Meeren trotzig den Krieg zu machen, und
namentlich nahe, die Piraterie in größerem Maßstab, in festerer
Geschlossenheit, mit bestimmteren Zielen aufzunehmen. Selbst nach der
Abberufung der aus dem Osten gekommenen Geschwader besaßen sie noch
eine sehr ansehnliche eigene Flotte, während Caesar immer noch so gut
wie ohne Kriegsschiffe war; und ihre Verbindung mit den Delmatern, die
im eigenen Interesse gegen Caesar aufgestanden waren, ihre Herrschaft
über die wichtigsten Meere und Hafenplätze, gaben für den Seekrieg,
namentlich im kleinen, die vorteilhaftesten Aussichten. Wie einst
Sullas Demokratenhetze geendigt hatte mit dem Sertorianischen Aufstand,
der anfangs Piraten-, dann Räuberfehde war und schließlich doch ein
sehr ernstlicher Krieg ward, so konnte, wenn in der catonischen
Aristokratie oder unter den Anhängern des Pompeius so viel Geist und
Feuer war wie in der marianischen Demokratie, und wenn in ihr der
rechte Seekönig sich fand, auf dem noch unbezwungenen Meere wohl ein
von Caesars Monarchie unabhängiges und vielleicht dieser gewachsenes
Gemeinwesen entstehen.
In jeder Hinsicht weit schärfere Mißbilligung verdient der Gedanke,
einen unabhängigen Nachbarstaat in den römischen Bürgerkrieg
hineinzuziehen und durch ihn eine Konterrevolution herbeizuführen:
Gesetz und Gewissen verurteilen den Überläufer strenger als den Räuber,
und leichter findet die siegreiche Räuberschar den Rückweg zu einem
freien und geordneten Gemeinwesen, als die vom Landesfeind
zurückgeführte Emigration. Übrigens war es auch kaum wahrscheinlich,
daß die geschlagene Partei auf diesem Wege eine Restauration würde
bewirken können. Der einzige Staat, auf den sie versuchen konnte sich
zu stützen, war der der Parther; und von diesem war es wenigstens
zweifelhaft, ob er ihre Sache zu der seinigen machen, und sehr
unwahrscheinlich, daß er gegen Caesar sie durchfechten werde. Die Zeit
der republikanischen Verschwörungen aber war noch nicht gekommen.
Während also die Trümmer der geschlagenen Partei ratlos vom Schicksal
sich treiben ließen und auch die den Kampf fortzusetzen entschieden
waren nicht wußten, wie noch wo, hatte Caesar, wie immer rasch
entschlossen und rasch handelnd, alles beiseite gelassen, um Pompeius
zu verfolgen, den einzigen seiner Gegner, den er als Offizier achtete,
und denjenigen, dessen persönliche Gefangennahme die eine und
vielleicht die gefährlichere Hälfte seiner Gegner wahrscheinlich
paralysiert haben würde. Mit weniger Mannschaft fuhr er über den
Hellespont - seine einzelne Barke traf in demselben auf eine
feindliche, nach dem Schwarzen Meere bestimmte Flotte und nahm die
ganze, durch die Kunde von der Pharsalischen Schlacht wie mit Betäubung
geschlagene Mannschaft derselben gefangen - und eilte, sowie die
notwendigsten Anordnungen getroffen waren, Pompeius in den Osten nach.
Dieser war vom Pharsalischen Schlachtfeld nach Lesbos gegangen, wo er
seine Gemahlin und seinen zweiten Sohn Sextus abholte, und weiter um
Kleinasien herum nach Kilikien und von da nach Kypros gesegelt. Er
hätte zu seinen Parteigenossen nach Kerkyra oder Afrika gelangen
können; allein der Widerwille gegen seine aristokratischen Verbündeten
und der Gedanke an die Aufnahme, die nach dem Tage von Pharsalos und
vor allem nach seiner schimpflichen Flucht ihn dort erwartete, scheinen
ihn bewogen zu haben, seinen Weg für sich zu gehen und lieber in den
Schutz des Partherkönigs als in den Catos sich zu begeben. Während er
beschäftigt war, von den römischen Steuerpächtern und Kaufleuten auf
Kypros Geld und Sklaven beizutreiben und einen Haufen von 2000 Sklaven
zu bewaffnen, erhielt er die Nachricht, daß Antiocheia sich für Caesar
erklärt habe und der Weg zu den Parthern nicht mehr offen sei. So
änderte er seinen Plan und ging unter Segel nach Ägypten, wo in dem
Heere eine Menge seiner alten Soldaten dienten und die Lage und die
reichen Hilfsmittel des Landes Zeit und Gelegenheit gewährten, den
Krieg zu reorganisieren.
In Ägypten hatten nach Ptolemaeos Auletes’ Tode (Mai 703 51) dessen
Kinder, die etwa sechzehnjährige Kleopatra und der zehnjährige
Ptolemaeos Dionysos, nach dem Willen ihres Vaters gemeinschaftlich und
als Gatten, den Thron bestiegen; allein bald hatte der Bruder oder
vielmehr dessen Vormund Potheinos die Schwester aus dem Reiche
getrieben und sie genötigt, eine Zuflucht in Syrien zu suchen, von wo
aus sie Anstalten traf, um in ihr väterliches Reich zurückzugelangen.
Ptolemaeos und Potheinos standen eben, um gegen sie die Ostgrenze zu
decken, mit der ganzen ägyptischen Armee bei Pelusion, als Pompeius bei
dem Kasischen Vorgebirge vor Anker ging und den König ersuchen ließ,
ihm die Landung zu gestatten. Der ägyptische Hof, längst von der
Katastrophe bei Pharsalos unterrichtet, war im Begriffe, Pompeius
zurückzuweisen; allein der Hofmeister des Königs, Theodotos, wies
darauf hin, daß in diesem Falle Pompeius wahrscheinlich seine
Verbindungen in der ägyptischen Armee benutzen werde, um dieselbe
aufzuwiegeln; es sei sicherer und auch mit Rücksicht auf Caesar
vorzuziehen, wenn man die Gelegenheit wahrnehme, um Pompeius aus der
Welt zu schaffen. Dergleichen politische Räsonnements verfehlten bei
den Staatsmännern der hellenischen Welt nicht leicht ihre Wirkung. Der
General der königlichen Truppen, Achillas, und einige von Pompeius’
ehemaligen Soldaten fuhren mit einem Kahn an Pompeius’ Schiff heran und
luden ihn ein, zum König zu kommen und, da das Fahrwasser seicht sei,
ihre Barke zu besteigen. Im Aussteigen stach der Kriegstribun Lucius
Septimius ihn hinterrücks nieder, unter den Augen seiner Gattin und
seines Sohnes, welche von dem Verdeck ihres Schiffes aus dem Morde
zusehen mußten, ohne retten oder rächen zu können (28. September 706
48). An demselben Tage, an dem er dreizehn Jahre zuvor, über
Mithradates triumphierend, in die Hauptstadt eingezogen war, endigte
auf einer öden Düne des unwirtlichen kasischen Strandes durch die Hand
eines seiner alten Soldaten der Mann, der ein Menschenalter hindurch
der Große geheißen und Jahre lang Rom beherrscht hatte. Ein guter
Offizier, übrigens aber von mittelmäßigen Gaben des Geistes und des
Herzens, hatte das Schicksal mit dreißigjähriger dämonischer
Beständigkeit alle glänzenden mühelosen Aufgaben nur darum ihm zu lösen
gewährt, alle von anderen gepflanzten und gepflegten Lorbeeren nur
darum ihm zu brechen gestattet, nur darum alle Bedingungen zur
Erlangung der höchsten Gewalt ihm entgegengetragen, um an ihm ein
Beispiel falscher Größe aufzustellen, wie die Geschichte kein zweites
kennt. Unter allen kläglichen Rollen gibt es keine kläglichere als die,
mehr zu gelten als zu sein; und es ist das Verhängnis der Monarchie, da
doch kaum alle tausend Jahre in dem Volke ein Mann aufsteht, welcher
König nicht bloß heißt, sondern auch ist, daß diese Kläglichkeit
unvermeidlich an ihr haftet. Wenn dies Mißverhältnis zwischen Scheinen
und Sein vielleicht nie so schroff hervorgetreten ist wie in Pompeius,
so mag der ernste Gedanke wohl dabei verweilen, daß er eben in gewissem
Sinn die Reihe der römischen Monarchen eröffnet.
Als Caesar, Pompeius’ Spuren folgend, auf der Reede von Alexandreia
eintraf, war bereits alles vorüber. Mit tiefer Erschütterung wandte er
sich ab, als ihm der Mörder das Haupt des Mannes auf das Schiff
entgegentrug, der sein Schwiegersohn und lange Jahre sein Genosse in
der Herrschaft gewesen und den lebend in seine Gewalt zu bringen er
nach Ägypten gekommen war. Die Antwort auf die Frage, wie Caesar mit
dem gefangenen Pompeius verfahren sein würde, hat der Dolch des
voreiligen Mörders abgeschnitten; aber wenn die menschliche Teilnahme,
die in Caesars großer Seele noch neben dem Ehrgeiz Raum fand, ihm die
Schonung des ehemaligen Freundes gebot, so forderte auch sein
Interesse, denselben auf andere Art zu annullieren als durch den
Henker. Pompeius war zwanzig Jahre lang der anerkannte Gebieter von Rom
gewesen; eine so tief gewurzelte Herrschaft geht nicht unter mit dem
Tode des Herrn. Pompeius’ Tod löste die Pompeianer nicht auf, sondern
gab ihnen statt eines bejahrten, unfähigen und vernutzten Hauptes an
dessen beiden Söhnen Gnaeus und Sextus zwei Führer, welche beide jung
und rührig und von denen der zweite eine entschiedene Kapazität war.
Der neugegründeten Erbmonarchie heftete sogleich parasitisch sich das
erbliche Prätendententum an, und es war sehr zweifelhaft, ob bei diesem
Wechsel der Personen Caesar nicht mehr verlor, als er gewann.
Indes in Ägypten hatte Caesar jetzt nichts weiter zu tun, und Römer und
Ägypter erwarteten, daß er sofort wieder unter Segel gehen und sich an
die Unterwerfung Afrikas und an das unermeßliche Organisationswerk
machen werde, das ihm nach dem Siege bevorstand. Allein Caesar, seiner
Gewohnheit getreu, wo er einmal in dem weiten Reiche sich befand, die
Verhältnisse sogleich und persönlich endgültig zu regeln, und fest
überzeugt, daß weder von der römischen Besatzung noch von dem Hofe
irgendein Widerstand zu erwarten sei, überdies in dringender
Geldverlegenheit, landete in Alexandreia mit den zwei ihn begleitenden,
auf 3200 Mann zusammengeschmolzenen Legionen und 800 keltischen und
deutschen Reitern, nahm Quartier in der königlichen Burg und ging
daran, die nötigen Summen beizutreiben und die ägyptische Erbfolge zu
ordnen, ohne sich stören zu lassen durch Potheinos’ naseweise
Bemerkung, daß Caesar doch über diese Kleinigkeiten nicht seine so
wichtigen eigenen Angelegenheiten versäumen möge. Gegen die Ägypter
verfuhr er dabei gerecht und selbst nachsichtig. Obwohl der Beistand,
den sie Pompeius geleistet hatten, zur Auflegung einer
Kriegskontribution berechtigte, ward doch das erschöpfte Land damit
verschont und unter Erlaß dessen, was auf die im Jahre 695 (59)
stipulierte und seitdem erst etwa zur Hälfte abbezahlte Summe weiter
rückständig war, lediglich eine Schlußzahlung von 10 Mill. Denaren (3
Mill. Taler) gefordert. Den beiden kriegführenden Geschwistern ward die
sofortige Einstellung der Feindseligkeiten anbefohlen und beide zur
Untersuchung und Entscheidung des Streites vor den Schiedsherrn
geladen. Man fügte sich; der königliche Knabe befand sich bereits in
der Burg und auch Kleopatra stellte dort sich ein. Caesar sprach das
Reich Ägypten, dem Testament des Auletes gemäß, den beiden
geschwisterlichen Gatten Kleopatra und Ptolemaeos Dionysos zu und gab
ferner unaufgefordert, unter Kassierung der früher verfügten Einziehung
des Kyprischen Reiches, dieses als ägyptische Sekundogenitur an die
jüngeren Kinder des Auletes Arsinoe und Ptolemaeos den Jüngeren.
Allein im stillen bereitete ein Ungewitter sich vor. Alexandreia war
eine Weltstadt so gut wie Rom, an Einwohnerzahl der italischen
Hauptstadt schwerlich nachstehend, an rührigem Handelsgeist, an
Handwerkergeschick, an Sinn für Wissenschaft und Kunst ihr weit
überlegen; in der Bürgerschaft war ein reges nationales Selbstgefühl
und wenn kein politischer Sinn, doch ein unruhiger Geist, der sie ihre
Straßenkrawalle so regelmäßig und so herzhaft abhalten ließ wie
heutzutage die Pariser; man kann sich ihre Empfindungen denken, als sie
in der Residenz der Lagiden den römischen Feldherrn schalten und ihre
Könige vor seinem Tribunal Recht nehmen sah. Potheinos und der
königliche Knabe, beide begreiflicherweise sehr unzufrieden sowohl mit
der peremtorischen Einmahnung alter Schulden wie mit der Intervention
in dem Thronstreit, welche nur zu Gunsten der Kleopatra ausfallen
konnte und ausfiel, schickten zur Befriedigung der römischen
Forderungen die Schätze der Tempel und das goldene Tischgerät des
Königs mit absichtlicher Ostentation zum Einschmelzen in die Münze; mit
tiefer Erbitterung schauten die abergläubisch frommen und der
weltberühmten Pracht ihres Hofes wie eines eigenen Besitzes sich
erfreuenden Ägypter die nackten Wände ihrer Tempel und die hölzernen
Becher auf der Tafel ihres Königs. Auch die römische Okkupationsarmee,
welche durch den langen Aufenthalt in Ägypten und die vielen
Zwischenheiraten zwischen den Soldaten und ägyptischen Mädchen
wesentlich denationalisiert war und überdies eine Menge alter Soldaten
des Pompeius und verlaufener italischer Verbrecher und Sklaven in ihren
Reihen zählte, grollte Caesar, auf dessen Befehl sie ihre Aktion an der
syrischen Grenze hatte einstellen müssen, und seiner Handvoll
hochmütiger Legionäre. Schon der Auflauf bei der Landung, als die Menge
die römischen Beile in die alte Königsburg tragen sah, und die
zahlreichen Meuchelmorde, welche gegen seine Soldaten in der Stadt
verübt wurden, hatten Caesar darüber belehrt, in welcher ungeheuren
Gefahr er mit seinen wenigen Leuten dieser erbitterten Menge gegenüber
schwebte. Allein die Umkehr war wegen der in dieser Jahreszeit
herrschenden Nordwestwinde schwierig, und der Versuch der Einschiffung
konnte leicht das Signal zum Ausbruch der Insurrektion werden;
überhaupt lag es nicht in Caesars Art, unverrichteter Sache sich
davonzumachen. Er beorderte also zwar sogleich Verstärkungen aus Asien
herbei, trug aber, bis diese eintrafen, zunächst die größte Sicherheit
zur Schau. Nie war es lustiger in seinem Lager hergegangen als während
dieser alexandrinischen Rast; und wenn die schöne und geistreiche
Kleopatra mit ihren Reizen überhaupt nicht, und am wenigsten gegen
ihren Richter, sparsam war, so schien auch Caesar unter all seinen
Siegen die über schöne Frauen am höchsten zu schätzen. Es war ein
lustiges Vorspiel zu sehr ernsten Auftritten. Unter Führung des
Achillas und, wie später sich auswies, auf geheimen Befehl des Königs
und seines Vormundes, erschien die in Ägypten stehende römische
Okkupationsarmee unvermutet in Alexandreia; und sowie die Bürgerschaft
sah, daß sie kam, um Caesar anzugreifen, machte sie mit den Soldaten
gemeinschaftliche Sache. Mit einer Geistesgegenwart, die seine frühere
Tolldreistigkeit gewissermaßen rechtfertigt, raffte Caesar schleunigst
seine zerstreuten Mannschaften zusammen, bemächtigte sich der Person
des Königs und seiner Minister, verschanzte sich in der königlichen
Burg und dem benachbarten Theater, ließ, da es an Zeit gebrach, die in
dem Haupthafen unmittelbar vor dem Theater stationierte Kriegsflotte in
Sicherheit zu bringen, dieselbe anzünden und die den Hafen
beherrschende Leuchtturminsel Pharos durch Boote besetzen. So war
wenigstens eine beschränkte Verteidigungsstellung gewonnen und der Weg
offen gehalten, um Zufuhr und Verstärkungen herbeizuschaffen. Zugleich
ging dem Kornmandanten von Kleinasien sowie den nächsten untertänigen
Landschaften, den Syrern und Nabatäern, den Kretensern und den
Rhodiern, der Befehl zu, schleunigst Truppen und Schiffe nach Ägypten
zu senden. Die Insurrektion, an deren Spitze die Prinzessin Arsinoe und
deren Vertreter, der Eunuch Ganymedes, sich gestellt hatten, schaltete
indes frei in ganz Ägypten und in dem größten Teil der Hauptstadt, in
deren Straßen täglich gefochten ward, ohne daß es weder Caesar gelang,
sich freier zu entwickeln und bis zu dem hinter der Stadt befindlichen
Süßwassersee von Marea durchzubrechen, wo er sich mit Wasser und mit
Fourage hätte versorgen können, noch den Alexandrinern, der Belagerten
Herr zu werden und sie alles Trinkwassers zu berauben; denn als die
Nilkanäle in Caesars Stadtteil durch hineingeleitetes Seewasser
verdorben waren, fand sich unerwartet trinkbares Wasser in den am
Strande gegrabenen Brunnen. Da Caesar von der Landseite nicht zu
überwältigen war, richteten sich die Anstrengungen der Belagerer
darauf, seine Flotte zu vernichten und ihn von der See abzuschneiden,
auf der die Zufuhr ihm zukam. Die Leuchtturminsel und der Damm, durch
den diese mit dem Festland zusammenhing, teilte den Hafen in eine
westliche und eine östliche Hälfte, die durch zwei Bogenöffnungen des
Dammes miteinander in Verbindung standen. Caesar beherrschte die Insel
und den Osthafen, während der Damm und der Westhafen im Besitz der
Bürgerschaft war, und seine Schiffe fuhren, da die alexandrinische
Flotte verbrannt war, ungehindert ab und zu. Die Alexandriner, nachdem
sie vergeblich versucht hatten, aus dem Westhafen in den östlichen
Brander einzuführen, stellten darauf mit den Resten ihres Arsenals ein
kleines Geschwader her und verlegten damit Caesars Schiffen den Weg,
als dieselben eine Transportflotte mit einer aus Kleinasien
nachgekommenen Legion hereinbugsierten; indes wurden Caesars
vortreffliche rhodische Seeleute des Feindes Herr. Nicht lange darauf
nahmen indes die Bürger die Leuchtturminsel weg ^8 und sperrten von da
aus die schmale und klippige Mündung des Osthafens für größere Schiffe
gänzlich; so daß Caesars Flotte genötigt war, auf der offenen Reede vor
dem Osthafen zu stationieren und seine Verbindung mit der See nur noch
an einem schwachen Faden hing. Caesars Flotte, auf jener Reede zu
wiederholten Malen von der überlegenen feindlichen Seemacht
angegriffen, konnte weder dem ungleichen Kampf ausweichen, da der
Verlust der Leuchtturminsel ihr den inneren Hafen verschloß, noch auch
das Weite suchen, da der Verlust der Reede Caesar ganz von der See
abgesperrt haben würde. Wenn auch die tapfern Legionäre, unterstützt
durch die Gewandtheit der rhodischen Matrosen, bisher noch immer diese
Gefechte zu Gunsten der Römer entschieden hatten, so erneuerten und
steigerten doch die Alexandriner mit unermüdeter Beharrlichkeit ihre
Flottenrüstungen; die Belagerten mußten schlagen, so oft es den
Belagerern beliebte, und wurden jene ein einziges Mal überwunden, so
war Caesar vollständig eingeschlossen und wahrscheinlich verloren. Es
ward schlechterdings nötig, einen Versuch zur Wiedergewinnung der
Leuchtturminsel zu machen. Der zwiefache Angriff, der durch Boote von
der Hafen-, durch die Kriegsschiffe von der Seeseite her gemacht ward,
brachte in der Tat nicht bloß die Insel, sondern auch den unteren Teil
des Dammes in Caesars Gewalt; erst bei der zweiten Bogenöffnung des
Dammes befahl Caesar anzuhalten und den Damm hier gegen die Stadt zu
durch einen Querwall zu sperren. Allein während hier um die Schanzenden
ein hitziges Gefecht sich entspann, entblößten die römischen Truppen
den unteren, an die Insel anstoßenden Teil des Dammes; unversehens
landete hier eine Abteilung Ägypter, griff die auf dem Damm am Querwall
zusammengedrängten römischen Soldaten und Matrosen von hinten an und
sprengte die ganze Masse in wilder Verwirrung in das Meer. Ein Teil
ward von den römischen Schiffen aufgenommen; die meisten ertranken.
Etwa 400 Soldaten und eine noch größere Zahl von der Flottenmannschaft
wurden das Opfer dieses Tages; der Feldherr selbst, der das Schicksal
der Seinigen geteilt, hatte sich auf sein Schiff und, als dieses von
Menschen überschwert sank, schwimmend auf ein anderes retten müssen.
Indes so empfindlich auch der erlittene Verlust war, er ward durch den
Wiedergewinn der Leuchtturminsel, die samt dem Damm bis zur ersten
Bogenöffnung in Caesars Händen blieb, reichlich aufgewogen. Endlich kam
der ersehnte Entsatz. Mithradates von Pergamon, ein tüchtiger
Kriegsmann aus der Schule des Mithradates Eupator, dessen natürlicher
Sohn er zu sein behauptete, führte zu Lande von Syrien her eine
buntscheckige Armee heran: die Ityräer des Fürsten von Libanos, die
Beduinen des Jamblichos, Sampsikeramos’ Sohn, die Juden unter dem
Minister Antipatros, überhaupt die Kontingente der kleinen Häuptlinge
und Gemeinden Kilikiens und Syriens. Von Pelusion, das Mithradates am
Tage seiner Ankunft zu besetzen geglückt war, schlug er, um das
durchschnittene Terrain des Delta zu vermeiden und den Nil vor seiner
Teilung zu überschreiten, die große Straße nach Memphis ein, wobei
seine Truppen von den besonders in diesem Teil Ägyptens zahlreich
ansässigen Juden vielfache landsmannschaftliche Unterstützung
empfingen. Die Ägypter, jetzt den jungen König Ptolemaeos an der
Spitze, welchen Caesar in der vergeblichen Hoffnung, die Insurrektion
durch ihn zu beschwichtigen, zu den Seinigen entlassen hatte,
entsandten ein Heer auf dem Nil, um Mithradates auf dessen jenseitigem
Ufer festzuhalten. Dasselbe traf auch, noch jenseits Memphis bei dem
sogenannten Judenlager, zwischen Omion und Heliopolis, auf den Feind;
allein Mithradates, geübt, in römischer Weise zu manövrieren und zu
lagern, gewann dennoch unter glücklichen Gefechten das andere Ufer bei
Memphis. Caesar andererseits, sowie er von dem Eintreffen der
Entsatzarmee Kunde erhielt, führte einen Teil seiner Truppen auf
Schiffen an die Spitze des Sees von Marea westlich von Alexandreia und
marschierte um diesen herum und den Nil hinab dem flußaufwärts
herankommenden Mithradates entgegen. Die Vereinigung erfolgte, ohne daß
der Feind sie zu hindern versucht hätte. Caesar rückte dann in das
Delta, wohin der König sich zurückgezogen hatte, warf, trotz des
tiefeingeschnittenen Kanals vor ihrer Front, die ägyptische Vorhut im
ersten Anlauf und stürmte sofort das ägyptische Lager selbst. Es befand
sich am Fuß einer Anhöhe zwischen dem Nil, von dem nur ein schmaler Weg
es trennte, und schwer zugänglichen Sümpfen. Caesar ließ zugleich von
vorn und seitwärts auf dem Weg am Nil das Lager berennen und während
dieses Sturmes ein drittes Detachement die Anhöhen hinter dem Lager
ungesehen ersteigen. Der Sieg war vollständig; das Lager ward genommen
und was von den Ägyptern nicht unter den feindlichen Schwertern fiel,
ertrank bei dem Versuch, zu der Nilflotte zu entkommen. Mit einem der
Boote, die mit Menschen überladen sanken, verschwand auch der junge
König in den Wellen seines heimischen Stromes. Unmittelbar vom
Schlachtfeld rückte Caesar von der Landseite her geradeswegs an der
Spitze seiner Reiterei in den von den Ägyptern besetzten Teil der
Hauptstadt. Im Trauergewande, ihre Götterbilder in den Händen,
empfingen ihn um Friede bittend die Feinde, die Seinigen aber, da sie
ihn von der anderen Seite, als von der er ausgezogen als Sieger
wiederkehren sahen, mit grenzenlosem Jubel. Das Schicksal der Stadt,
die den Herrn der Welt in seinen Plänen zu kreuzen gewagt und um ein
Haar seinen Untergang herbeigeführt hatte, lag in Caesars Hand; allein
er war zu sehr Regent, um empfindlich zu sein, und verfuhr mit den
Alexandrinern wie mit den Massalioten. Caesar, hinweisend auf die arg
verwüstete und bei Gelegenheit des Flottenbrandes ihrer Kornmagazine,
ihrer weltberühmten Bibliothek und anderer bedeutender öffentlicher
Gebäude beraubte Stadt, ermahnte die Einwohnerschaft, sich künftig
allein der Künste des Friedens ernstlich zu befleißigen und die Wunden
zu heilen, die sie sich selber geschlagen; übrigens begnügte er sich,
den in Alexandreia angesessenen Juden dieselben Rechte zu gewähren,
deren die griechische Stadtbevölkerung genoß, und anstatt der
bisherigen, wenigstens dem Namen nach den Königen von Ägypten
gehorchenden römischen Okkupationsarmee eine förmliche römische
Besatzung, zwei der daselbst belagerten und eine dritte später aus
Syrien nachgekommene Legion, unter einem von ihm selbst ernannten
Befehlshaber nach Alexandreia zu legen. Zu diesem Vertrauensposten ward
absichtlich ein Mann ausersehen, dessen Geburt es ihm unmöglich machte,
denselben zu mißbrauchen, Rufio, ein tüchtiger Soldat, aber eines
Freigelassenen Sohn. Das Regiment Ägyptens unter Roms Oberhoheit
erhielten Kleopatra und deren jüngerer Bruder Ptolemaeos; die
Prinzessin Arsinoe ward, um nicht den nach orientalischer Art der
Dynastie ebenso ergebenen wie gegen den einzelnen Dynasten
gleichgültigen Ägyptern abermals als Vorwand für Insurrektionen zu
dienen, nach Italien abgeführt; Kypros wurde wieder ein Teil der
römischen Provinz Kilikien.
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^8 Der Verlust der Leuchtturminsel muß in der Lücke Bell. Alex. 12
ausgefallen sein, da die Insel anfänglich ja in Caesars Gewalt war
(civ. 3,112; Bell. Alex. 8). Der Damm muß beständig in der Gewalt der
Feinde gewesen sein, da Caesar mit der Insel nur durch Schiffe
verkehrte.
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Dieser alexandrinische Aufstand, so geringfügig er an sich war und so
wenig er innerlich zusammenhing mit den weltgeschichtlichen
Ereignissen, die zugleich im römischen Staate sich vollzogen, griff
dennoch insofern in dieselben folgenreich ein, als er den Mann, der
alles in allem war und ohne den nichts gefördert und nichts gelöst
werden konnte, vom Oktober 706 (48) bis zum März 707 (47) nötigte,
seine eigentlichen Aufgaben liegen zu lassen, um mit Juden und Beduinen
gegen einen Stadtpöbel zu kämpfen. Die Folgen des persönlichen
Regiments fingen an, sich fühlbar zu machen. Man hatte die Monarchie;
aber überall herrschte die entsetzlichste Verwirrung und der Monarch
war nicht da. Ebenwie die Pompeianer waren augenblicklich auch die
Caesarianer ohne obere Leitung; es entschied überall die Fähigkeit der
einzelnen Offiziere und vor allen Dingen der Zufall.
In Kleinasien stand bei Caesars Abreise nach Ägypten kein Feind. Indes
hatte Caesars Statthalter daselbst, der tüchtige Gnaeus Domitius
Calvinus, Befehl erhalten, dem König Pharnakes wiederabzunehmen, was
derselbe den Verbündeten des Pompeius ohne Auftrag entrissen hatte; und
da dieser, ein starrköpfiger und übermütiger Despot wie sein Vater, die
Räumung Klein-Armeniens beharrlich verweigerte, so blieb nichts übrig,
als gegen ihn marschieren zu lassen. Calvinus hatte von den drei ihm
zurückgelassenen, aus pharsalischen Kriegsgefangenen gebildeten
Legionen zwei nach Ägypten absenden müssen; er ergänzte die Lücke durch
eine eiligst aus den im Pontus domizilierten Römern zusammengeraffte
und zwei nach römischer Art exerzierte Legionen des Deiotarus und
rückte in Klein-Armenien ein. Allein das bosporanische, in zahlreichen
Kämpfen mit den Anwohnern des Schwarzen Meeres erprobte Heer erwies
sich tüchtiger als das seinige. In dem Treffen bei Nikopolis ward
Calvinus’ pontisches Aufgebot zusammengehauen und liefen die
galatischen Legionen davon; nur die eine alte Legion der Römer schlug
mit mäßigem Verlust sich durch. Statt Klein-Armenien zu erobern, konnte
Calvinus nicht einmal verhindern, daß Pharnakes sich seiner pontischen
“Erbstaaten” wieder bemächtigte und über deren Bewohner, namentlich die
unglücklichen Amisener, die ganze Schale seiner scheußlichen
Sultanslaunen ausgoß (Winter 706/07 48/47). Als dann Caesar selbst in
Kleinasien eintraf und ihm sagen ließ, daß der Dienst, den Pharnakes
ihm persönlich geleistet, indem er Pompeius keine Hilfe gewährt habe,
nicht in Betracht kommen dürfe gegen den dem Reiche zugefügten Schaden
und daß vor jeder Unterhandlung er die Provinz Pontus räumen und das
geraubte Gut zurückstellen müsse, erklärte er sich zwar bereit zu
gehorchen; aber wohl wissend, wie guten Grund Caesar hatte, nach dem
Westen zu eilen, machte er dennoch keine ernstlichen Anstalten zur
Räumung. Er wußte nicht, daß Caesar abtat, was er angriff. Ohne weiter
zu verhandeln, nahm Caesar die eine von Alexandreia mitgebrachte Legion
und die Truppen des Calvinus und Deiotarus zusammen und rückte gegen
Pharnakes’ Lager bei Ziela. Wie die Bosporaner ihn kommen sahen,
durchschritten sie keck den tiefen Bergspalt, der ihre Front deckte,
und griffen den Hügel hinauf die Römer an. Caesars Soldaten waren noch
mit dem Lagerschlagen beschäftigt und einen Augenblick schwankten die
Reihen; allein die kriegsgewohnten Veteranen sammelten sich rasch und
gaben das Beispiel zum allgemeinen Angriff und zum vollkommenen Siege
(2. August 707 47). In fünf Tagen war der Feldzug beendigt - zu dieser
Zeit, wo jede Stunde kostbar war, ein unschätzbarer Glücksfall. Mit der
Verfolgung des Königs, der über Sinope heimgegangen war, beauftragte
Caesar des Pharnakes illegitimen Bruder, den tapferen Mithradates von
Pergamon, welcher zum Lohn für die in Ägypten geleisteten Dienste an
Pharnakes’ Stelle die bosporanische Königskrone empfing. Im übrigen
wurden die syrischen und kleinasiatischen Angelegenheiten friedlich
geschlichtet, die eigenen Bundesgenossen reich belohnt, die des
Pompeius im ganzen mit Geldbußen oder Verweisen entlassen. Nur der
mächtigste unter den Klienten des Pompeius, Deiotarus, wurde wieder auf
sein angestammtes enges Gebiet, den tolistobogischen Gau, beschränkt.
An seiner Stelle ward mit Klein-Armenien König Ariobarzanes von
Kappadokien belehnt, mit dem von Deiotarus usurpierten Vierfürstentum
der Trokmer aber der neue König des Bosporus, welcher wie von
väterlicher Seite dem pontischen, so von mütterlicher einem der
galatischen Fürstengeschlechter entstammte.
Auch in Illyrien hatten, während Caesar in Ägypten war, sehr ernsthafte
Auftritte sich zugetragen. Die delmatische Küste war seit Jahrhunderten
ein wunder Fleck der römischen Herrschaft und die Bewohner mit Caesar
seit den Kämpfen um Dyrrhachion in offener Fehde; im Binnenland aber
wimmelte es noch von dem thessalischen Kriege her von versprengten
Pompeianern. Indes hatte Quintus Cornificius mit den aus Italien
nachrückenden Legionen sowohl die Eingeborenen wie die Flüchtlinge im
Zaum gehalten und zugleich der in diesen rauben Gegenden so schwierigen
Verpflegung der Truppen genügt. Selbst als der tüchtige Marcus
Octavius, der Sieger von Curicta, mit einem Teil der Pompeianischen
Flotte in diesen Gewässern erschien, um hier zur See und zu Lande den
Krieg gegen Caesar zu leiten, wußte Cornificius, gestützt auf die
Schiffe und den Hafen der Iadestiner (Zara), nicht bloß sich zu
behaupten, sondern bestand auch selbst zur See gegen die Flotte des
Gegners manches glückliche Gefecht. Aber als der neue Statthalter von
Illyrien, der von Caesar aus dem Exil zurückberufene Aulus Gabinius,
mit fünfzehn Kohorten und 3000 Reitern im Winter 706/07 (48/47) auf dem
Landweg in Illyrien eintraf, wechselte das System der Kriegführung.
Statt wie sein Vorgänger sich auf den kleinen Krieg zu beschränken,
unternahm der kühne tätige Mann sogleich, trotz der rauben Jahreszeit,
mit seiner gesamten Streitmacht eine Expedition in die Gebirge. Aber
die ungünstige Witterung, die Schwierigkeit der Verpflegung und der
tapfere Widerstand der Delmater rieben das Heer auf; Gabinius mußte den
Rückzug antreten, ward auf diesem von den Delmatern angegriffen und
schmählich geschlagen, und erreichte mit den schwachen Überresten
seiner stattlichen Armee mühsam Salome, wo er bald darauf starb. Die
meisten illyrischen Küstenstädte ergaben sich hierauf der Flotte des
Octavius; die an Caesar festhielten, wie Salome und Epidauros (Ragusa
vecchia), wurden von der Flotte zur See, zu Lande von den Barbaren so
heftig bedrängt, daß die Übergabe und die Kapitulation der in Salome
eingeschlossenen Heerestrümmer nicht mehr fern schien. Da ließ der
Kommandant des brundisischen Depots, der energische Publius Vatinius,
in Ermangelung von Kriegsschiffen gewöhnliche Boote mit Schnäbeln
versehen und sie mit den aus den Hospitälern entlassenen Soldaten
bemannen und lieferte mit dieser improvisierten Kriegsflotte der weit
überlegenen Octavianischen bei der Insel Tauris (Torcola zwischen
Lelina und Curzola) ein Treffen, in dem die Tapferkeit des Anführers
und der Schiffssoldaten wie so oft ersetzte, was den Schiffen abging,
und die Caesarianer einen glänzenden Sieg erfochten. Marcus Octavius
verließ diese Gewässer und begab sich nach Afrika (Frühjahr 707 47);
die Delmater setzten zwar noch Jahre lang mit großer Hartnäckigkeit
sich zur Wehr, allein es war dies nichts als ein örtlicher
Gebirgskrieg. Als Caesar aus Ägypten zurückkam, hatte sein
entschlossener Adjutant die in Illyrien drohende Gefahr bereits
beseitigt.
Um so ernster stand es in Afrika, wo die Verfassungspartei vom Anfang
des Bürgerkrieges an unumschränkt geherrscht und ihre Macht fortwährend
gesteigert hatte. Bis zur Pharsalischen Schlacht hatte hier eigentlich
König Juba das Regiment geführt; er hatte Curio überwunden, und die
Kraft des Heeres waren seine flüchtigen Reiter und seine zahllosen
Schützen; der Pompeianische Statthalter Varus spielte neben ihm eine so
subalterne Rolle, daß er sogar diejenigen Soldaten Curios, die sich ihm
ergeben hatten, dem König hatte ausliefern und deren Hinrichtung oder
Abführung in das innere Numidien hatte mitansehen müssen. Dies änderte
sich nach der Pharsalischen Schlacht. An eine Flucht zu den Parthern
dachte, mit Ausnahme des Pompeius selbst, kein namhafter Mann der
geschlagenen Partei. Ebensowenig versuchte man, die See mit vereinten
Kräften zu behaupten; Marcus Octavius’ Kriegführung in den illyrischen
Gewässern stand vereinzelt und war ohne dauernden Erfolg. Die große
Majorität der Republikaner wie der Pompeianer wandte sich nach Afrika,
wo allein noch ein ehrenhafter und verfassungsmäßiger Kampf gegen den
Usurpator möglich schien. Dort fanden die Trümmer der bei Pharsalos
zersprengten Armee, die Besatzungstruppen von Dyrrhachion, Kerkyra und
dem Peloponnes, die Reste der illyrischen Flotte sich allmählich
zusammen; es trafen dort ein der zweite Oberfeldherr Metellus Scipio,
die beiden Söhne des Pompeius, Gnaeus und Sextus, der politische Führer
der Republikaner Marcus Cato, die tüchtigen Offiziere Labienus,
Afranius, Petreius, Octavius und andere. Wenn die Kräfte der Emigration
verringert waren, so hatte dagegen ihr Fanatismus sich womöglich noch
gesteigert. Man fuhr nicht bloß fort, die Gefangenen und selbst die
Parlamentäre Caesars zu ermorden, sondern König Juba, in dem die
Erbitterung des Parteimannes mit der Wut des halbbarbarischen
Afrikaners zusammenfloß, stellte die Maxime auf, daß in jeder der
Sympathien mit dem Feinde verdächtigen Gemeinde die Bürgerschaft
ausgerottet und die Stadt niedergebrannt werden müsse, und führte auch
gegen einige Ortschaften, zum Beispiel das unglückliche Vaga bei
Hadrumetum, diese Theorie in der Tat praktisch durch. Ja daß nicht die
Hauptstadt der Provinz selber, das blühende, ebenwie einst Karthago von
den numidischen Königen längst mit scheelem Auge angesehene Utica, von
König Juba dieselbe Behandlung erfuhr und daß man gegen die, allerdings
nicht mit Unrecht, der Hinneigung zu Caesar beschuldigte Bürgerschaft
mit Vorsichtsmaßregeln sich begnügte, hatte sie nur Catos energischem
Auftreten zu danken.
Da weder Caesar selbst noch einer seiner Statthalter das geringste
gegen Afrika unternahm, so hatte die Koalition vollkommen Zeit, sich
dort politisch und militärisch zu reorganisieren. Vor allem war es
notwendig, die durch Pompeius’ Tod erledigte Oberfeldherrnstelle aufs
neue zu besetzen. König Juba hatte nicht übel Lust, die Stellung, die
er bis auf die Pharsalische Schlacht in Afrika gehabt, auch ferner zu
behaupten; wie er denn überhaupt nicht mehr als Klient der Römer,
sondern als gleichberechtigter Verbündeter oder gar als Schutzherr
auftrat und zum Beispiel es sich herausnahm, römisches Silbergeld mit
seinem Namen und Wappen zu schlagen, ja sogar den Anspruch erhob,
allein im Lager den Purpur zu führen und den römischen Heerführern
ansann, den purpurnen Feldherrnmantel abzulegen. Metellus Scipio ferner
forderte den Oberbefehl für sich, weil Pompeius ihn, mehr aus
schwiegersöhnlichen als aus militärischen Rücksichten, im thessalischen
Feldzug als sich gleichberechtigt anerkannt hatte. Die gleiche
Forderung erhob Varus als - freilich selbsternannter - Statthalter von
Afrika, da der Krieg in seiner Provinz geführt werden sollte. Endlich
die Armee begehrte zum Führer den Proprätor Marcus Cato. Offenbar hatte
sie recht. Cato war der einzige Mann, der für das schwere Amt die
erforderliche Hingebung, Energie und Autorität besaß; wenn er kein
Militär war, so war es doch unendlich besser, einen Nichtmilitär, der
sich zu bescheiden und seine Unterfeldherrn handeln zu lassen verstand,
als einen Offizier von unerprobter Fähigkeit, wie Varus, oder gar einen
von erprobter Unfähigkeit, wie Metellus Scipio, zum Oberfeldherrn zu
bestellen. Indes die Entscheidung fiel schließlich auf ebendiesen
Scipio, und Cato selbst war es, der sie im wesentlichen bestimmte. Es
geschah dies nicht, weil er jener Aufgabe sich nicht gewachsen fühlte
oder weil seine Eitelkeit bei dem Ausschlagen mehr ihre Rechnung fand
als bei dem Annehmen; noch weniger, weil er Scipio liebte oder achtete,
mit dem er vielmehr persönlich verfeindet war und der überall bei
seiner notorischen Untüchtigkeit einzig durch seine
Schwiegervaterschaft zu einer gewissen Bedeutung gelangt war; sondern
einzig und allein, weil sein verbissener Rechtsformalismus lieber die
Republik von Rechts wegen zugrunde gehen ließ, als sie auf irreguläre
Weise rettete. Als er nach der Pharsalischen Schlacht auf Kerkyra mit
Marcus Cicero zusammentraf, hatte er sich erboten, diesem, der noch von
seiner kilikischen Statthalterschaft her mit der Generalschaft behaftet
war, als dem höherstehenden Offizier, wie es Rechtens war, das Kommando
in Kerkyra zu übertragen und den unglücklichen Advokaten, der seine
Lorbeeren vom Amanos jetzt tausendmal verwünschte, durch diese
Bereitwilligkeit fast zur Verzweiflung, aber auch alle halbwegs
einsichtigen Männer zum Erstaunen gebracht. Die gleichen Prinzipien
wurden hier geritten, wo etwas mehr darauf ankam; Cato erwog die Frage,
wem die Oberfeldherrnstelle gebühre, als handelte es sich um ein
Ackerfeld bei Tusculum, und sprach sie dem Scipio zu. Durch diesen
Ausspruch wurde seine eigene und die Kandidatur des Varus beseitigt. Er
war es aber auch, und er allein, der mit Energie den Ansprüchen des
Königs Juba entgegentrat und es ihn fühlen ließ, daß der römische Adel
zu ihm nicht bittend komme wie zu dem Großfürsten der Parther, um bei
dem Schutzherrn Beistand zu suchen, sondern befehlend und von dem
Untertan Beistand fordernd. Bei dem gegenwärtigen Stande der römischen
Streitkräfte in Afrika konnte Juba nicht umhin, etwas gelindere Saiten
aufzuziehen, obgleich er freilich bei dem schwachen Scipio es dennoch
durchsetzte, daß die Besoldung seiner Truppen der römischen Kasse
aufgebürdet und für den Fall des Sieges ihm die Abtretung der Provinz
Afrika zugesichert ward.
Dem neuen Oberfeldherrn zur Seite trat wiederum der Senat der
“Dreihundert”, der in Utica seinen Sitz aufschlug und seine gelichteten
Reihen durch Aufnahme der angesehensten und vermögendsten Männer des
Ritterstandes ergänzte.
Die Rüstungen wurden, hauptsächlich durch Catos Eifer, mit der größten
Energie gefördert und jeder waffenfähige Mann, selbst Freigelassene und
Libyer, in die Legionen eingestellt; wodurch dem Ackerbau die Hände so
sehr entzogen wurden, daß ein großer Teil der Felder unbestellt blieb,
aber allerdings auch ein imposantes Resultat erzielt ward. Das schwere
Fußvolk zählte vierzehn Legionen, wovon zwei bereits durch Varus
aufgestellt, acht andere teils aus den Flüchtigen, teils aus den in der
Provinz Konskribierten gebildet und vier römisch bewaffnete Legionen
des Königs Juba waren. Die schwere Reiterei, bestehend aus den mit
Labienus eingetroffenen Kelten und Deutschen und allerlei darunter
eingereihten Leuten, war ohne Jubas römisch gerüstete Reiterschar 1600
Mann stark. Die leichten Truppen bestanden aus zahllosen Massen ohne
Zaum und Zügel reitender und bloß mit Wurfspeeren bewaffneter Numidier,
aus einer Anzahl berittener Bogenschützen und großen Schwärmen von
Schützen zu Fuß. Dazu kamen endlich Jubas 120 Elefanten und die von
Publius Varus und Marcus Octavius befehligte 55 Segel starke Flotte.
Dem drückenden Geldmangel wurde einigermaßen durch eine
Selbstbesteuerung des Senats abgeholfen, die um so ergiebiger war, als
die reichsten afrikanischen Kapitalisten in denselben einzutreten
veranlaßt worden waren. Getreide und andere Vorräte hatte man in den
verteidigungsfähigen Festungen in ungeheuren Massen aufgehäuft,
zugleich aus den offenen Ortschaften die Vorräte möglichst entfernt.
Die Abwesenheit Caesars, die schwierige Stimmung seiner Legionen, die
Gärung in Spanien und Italien hoben allmählich die Stimmung, und die
Erinnerung an die Pharsalische Schlacht fing an, neuen Siegeshoffnungen
zu weichen.
Die von Caesar in Ägypten verlorene Zeit rächte nirgend sich schwerer
als hier. Hätte er unmittelbar nach Pompeius’ Tode sich nach Afrika
gewendet, so würde er daselbst ein schwaches, desorganisiertes und
konsterniertes Heer und vollständige Anarchie unter den Führern
vorgefunden haben; wogegen jetzt, namentlich durch Catos Energie, eine
der bei Pharsalos geschlagenen an Zahl gleiche Armee unter namhaften
Führern und unter einer geregelten Oberleitung in Afrika stand.
Es schien überhaupt über dieser afrikanischen Expedition Caesars ein
eigener Unstern zu walten. Noch vor seiner Einschiffung nach Ägypten
hatte Caesar in Spanien und Italien verschiedene Maßregeln zur
Einleitung und Vorbereitung des afrikanischen Krieges angeordnet; aus
allen war aber nichts als Unheil entsprungen. Von Spanien aus sollte,
Caesars Anordnung zufolge, der Statthalter der südlichen Provinz,
Quintus Cassius Longinus, mit vier Legionen nach Afrika übersetzen,
dort den König Bogud von Westmauretanien ^9 an sich ziehen und mit ihm
gegen Numidien und Afrika vorgehen. Aber jenes nach Afrika bestimmte
Heer schloß eine Menge geborener Spanier und zwei ganze ehemals
Pompeianische Legionen in sich; Pompeianische Sympathien herrschten in
der Armee wie in der Provinz, und das ungeschickte und tyrannische
Auftreten des Caesarischen Statthalters war nicht geeignet, sie zu
beschwichtigen. Es kam förmlich zum Aufstande; Truppen und Städte
ergriffen Partei für oder gegen den Statthalter; schon war es darauf
oder daran, daß die, welche gegen den Statthalter Caesars sich erhoben
hatten, offen die Fahne des Pompeius aufsteckten; schon hatte Pompeius’
ältester Sohn Gnaeus, um diese günstige Wendung zu benutzen, sich von
Afrika nach Spanien eingeschifft, als die Desavouierung des
Statthalters durch die angesehensten Caesarianer selbst und das
Einschreiten des Befehlshabers der nördlichen Provinz den Aufstand eben
noch rechtzeitig unterdrückten. Gnaeus Pompeius, der unterwegs mit
einem vergeblichen Versuch, sich in Mauretanien festzusetzen, Zeit
verloren hatte, kam zu spät; Gaius Trebonius, den Caesar nach seiner
Heimkehr aus dem Osten zur Ablösung des Cassius nach Spanien sandte
(Herbst 707 47), fand überall unweigerlichen Gehorsam. Aber natürlich
war über diesen Irrungen von Spanien aus nichts geschehen, um die
Organisation der Republikaner in Afrika zu stören; ja es war sogar,
infolge der Verwicklungen mit Longinus, König Bogud von
Westmauretanien, der auf Caesars Seite stand und wenigstens König Juba
einige Hindernisse hätte in den Weg legen können, mit seinen Truppen
nach Spanien abgerufen worden.
———————————————————————————————————
^9 Die Staatengestaltung im nordwestlichen Afrika während dieser Zeit
liegt sehr im Dunkel. Nach dem Jugurthinischen Kriege herrschte König
Bocchus von Mauretanien wahrscheinlich vom westlichen Meere bis zum
Hafen von Saldae, in dem heutigen Marokko und Algier; die von den
mauretanischen Oberkönigen wohl von Haus aus verschiedenen Fürsten von
Tingis (Tanger), die schon früher vorkommen (Plut. Sert. 9) und zu
denen vermutlich Sallusts (hist. 3, 31 Kritz) Leptasta und Ciceros
(Vat. 5, 12) Mastanesosus gehören, mögen in beschränkten Grenzen
selbständig gewesen oder auch bei ihm zu Lehen gegangen sein; ähnlich
wie schon Syphax über viele Stammfürsten gebot (App. Pun. 10) und um
diese Zeit in dem benachbarten Numidien Cirta, wahrscheinlich doch
unter Jubas Oberherrlichkeit, von dem Fürsten Massinissa besessen ward
(App. civ. 4, 54). Um 672 (82) finden wir an Bocchus’ Stelle einen
König Bocud oder Bogud (Oros. hist. 5, 21, 14), des Bocchus Sohn. Von
705 (49) an erscheint das Reich geteilt zwischen dem König Bogud, der
die westliche, und dem König Bocchus, der die östliche Hälfte besitzt
und auf welche die spätere Scheidung Mauretaniens in Boguds Reich oder
den Staat von Tingis und Bocchus’ Reich oder den Staat von Jol
(Caesarea) zurückgeht (Plin. nat. 5, 2, 19, vergl. Bell. Afr. 23).
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Bedenklicher noch waren die Vorgänge unter den Truppen, die Caesar im
südlichen Italien hatte zusammenziehen lassen, um mit ihnen nach Afrika
überzuschiffen. Es waren größtenteils die alten Legionen, die in
Gallien, Spanien, Thessalien Caesars Thron begründet hatten. Den Geist
dieser Truppen hatten die Siege nicht gebessert, die lange Rast in
Unteritalien vollständig zerrüttet. Die fast übermenschlichen
Zumutungen, die der Feldherr an sie machte und deren Folgen in den
schrecklich gelichteten Reihen nur zu grell hervortraten, ließen selbst
in diesen Eisenmännern einen Sauerteig des Grolls zurück, der nur der
Zeit und Ruhe bedurfte, um die Gemüter in Gärung zu bringen. Der
einzige Mann, der ihnen imponierte, war seit einem Jahre fern und fast
verschollen, ihre vorgesetzten Offiziere aber scheuten weit mehr sich
vor den Soldaten als diese vor ihnen und sahen den Weltbesiegern jede
Brutalität gegen ihre Quartiergeber und jede Indisziplin nach. Als nun
der Befehl, sich nach Sizilien einzuschiffen, kam und der Soldat das
üppige Wohlleben in Kampanien wieder mit einer dritten, der spanischen
und thessalischen an Drangsalen sicher nicht nachstehenden Kampagne
vertauschen sollte, rissen die allzulange gelockerten und
allzuplötzlich wiederangezogenen Zügel. Die Legionen weigerten sich zu
gehorchen, bevor die versprochenen Geschenke ihnen gezahlt seien, und
wiesen die von Caesar gesandten Offiziere mit Hohnreden, ja mit
Steinwürfen zurück. Ein Versuch, den beginnenden Aufstand durch
Steigerung der versprochenen Summen zu dämpfen, hatte nicht bloß keinen
Erfolg, sondern die Soldaten brachen massenweise auf, um die Erfüllung
der Versprechungen in der Hauptstadt von dem Feldherrn zu erpressen.
Einzelne Offiziere, die die meuterischen Rotten unterwegs
zurückzuhalten versuchten, wurden erschlagen. Es war eine furchtbare
Gefahr. Caesar ließ die wenigen in der Stadt befindlichen Soldaten die
Tore besetzen, um die mit Recht befürchtete Plünderung wenigstens für
den ersten Anlauf abzuwehren, und erschien plötzlich unter dem tobenden
Haufen mit der Frage, was sie begehrten. Man rief: den Abschied.
Augenblicklich ward er, wie gebeten, erteilt. Wegen der Geschenke,
fügte Caesar hinzu, welche er für den Triumph seinen Soldaten zugesagt
habe, sowie wegen der Äcker, die er ihnen nicht versprochen, aber
bestimmt gehabt, möchten sie an dem Tage, wo er mit den anderen
Soldaten triumphieren werde, sich bei ihm melden; an dem Triumphe
selbst freilich könnten sie, als vorher entlassen, natürlich nicht
teilnehmen. Auf diese Wendung waren die Massen nicht gefaßt; überzeugt,
daß Caesar ihrer für den afrikanischen Feldzug nicht entraten könne,
hatten sie den Abschied nur gefordert, um, wenn er ihnen verweigert
werde, daran ihre Bedingungen zu knüpfen. Halb irre geworden in dem
Glauben an ihre eigene Unentbehrlichkeit; zu unbehilflich um wieder
einzulenken und die verfahrene Unterhandlung in das rechte Geleise
zurückzubringen; als Menschen beschämt durch die Treue, mit der der
Imperator auch seinen treuvergessenen Soldaten Wort hielt, und durch
die Hochherzigkeit desselben, welche ebenjetzt weit mehr gewährte, als
er je zugesagt hatte; als Soldaten tief ergriffen, da der Feldherr
ihnen in Aussicht stellte, dem Triumph ihrer Kameraden als Bürgersleute
zuschauen zu müssen und da er sie nicht mehr “Kameraden” hieß, sondern
“Bürger” und mit dieser aus seinem Munde so fremdartig klingenden
Anrede gleichsam mit einem Schlage ihre ganze stolze
Soldatenvergangenheit zerstörte, und zu alledem unter dem Zauber des
unwiderstehlich gewaltigen Menschen - standen die Soldaten eine Weile
stumm und zaudernd, bis von allen Seiten der Ruf erscholl, daß der
Feldherr sie wieder zu Gnaden annehmen und es ihnen wieder gestatten
möge, Caesars Soldaten zu heißen. Caesar gestattete es, nachdem er
hinreichend sich hatte bitten lassen; den Rädelsführern bei dieser
Meuterei aber wurde an ihren Triumphalgeschenken ein Dritteil gekürzt.
Ein größeres psychologisches Meisterstück kennt die Geschichte nicht,
und keines, das vollständiger gelungen wäre.
Auf den afrikanischen Feldzug wirkte diese Meuterei immerhin wenigstens
insofern nachteilig ein, als sie die Eröffnung desselben beträchtlich
verzögerte. Als Caesar in dem zur Einschiffung bestimmten Hafen von
Lilybäon eintraf, waren die zehn nach Afrika bestimmten Legionen dort
bei weitem noch nicht vollständig versammelt und eben die erprobten
Truppen noch am weitesten zurück. Indes kaum waren sechs Legionen,
darunter fünf neu gebildete, daselbst angelangt und die nötigen Kriegs-
und Transportschiffe angekommen, als Caesar mit denselben in See stach
(25. Dezember 707 47 des unberichtigten, etwa 8. Oktober des
Julianischen Kalenders). Die feindliche Flotte, die der herrschenden
Äquinoktialstürme wegen bei der Insel Ägimuros vor der Karthagischen
Bucht auf den Strand gezogen war, hinderte die Überfahrt nicht; allein
dieselben Stürme zerstreuten die Flotte Caesars nach allen Richtungen,
und als Caesar unweit Hadrumetum (Susa) die Gelegenheit zu landen
ersah, konnte er nicht mehr als etwa 3000 Mann, größtenteils Rekruten,
und 150 Reiter ausschiffen. Der Versuch, das vom Feinde stark besetzte
Hadrumetum wegzunehmen, mißlang; dagegen bemächtigte Caesar sich der
beiden nicht weit voneinander entfernten Hafenplätze Ruspina (Monastir
bei Susa) und Klein-Leptis. Hier verschanzte er sich; aber seine
Stellung war so unsicher, daß er seine Reiter auf den Schiffen und
diese segelfertig und mit Wasservorrat versehen hielt, um jeden
Augenblick, wenn er mit Übermacht sollte angegriffen werden, wieder
sich einschiffen zu können. Indes war dies nicht nötig, da eben noch zu
rechter Zeit die verschlagenen Schiffe anlangten (3. Januar 708 46).
Gleich am folgenden Tage unternahm Caesar, dessen Heer infolge der von
den Pompeianern getroffenen Anstalten Mangel an Getreide litt, mit drei
Legionen einen Zug in das innere Land, ward aber nicht weit von Ruspina
auf dem Marsche von den Heerhaufen angegriffen, die Labienus
heranführte, um Caesar von der Küste zu vertreiben. Da Labienus
ausschließlich Reiterei und Schützen, Caesar fast nichts als
Linieninfanterie hatte, so wurden die Legionen rasch umzingelt und den
Geschossen der Feinde preisgegeben, ohne sie erwidern oder mit Erfolg
angreifen zu können. Zwar machte die Deployierung der ganzen Linie die
Flügel wieder frei und mutige Angriffe retteten die Ehre der Waffen;
allein der Rückzug war unvermeidlich, und wäre Ruspina nicht so nahe
gewesen, so hätte der maurische Wurfspeer vielleicht hier dasselbe
ausgerichtet, was bei Karrhä der parthische Bogen. Caesar, den dieser
Tag von der ganzen Schwierigkeit des bevorstehenden Krieges überzeugt
hatte, wollte seine unerprobten und durch die neue Gefechtsweise
entmutigten Soldaten keinem solchen Angriff wieder aussetzen, sondern
wartete das Eintreffen seiner Veteranenlegionen ab. Die Zwischenzeit
wurde benutzt, um die drückende Überlegenheit des Feindes in den
Fernwaffen einigermaßen auszugleichen. Daß die geeigneten Leute von der
Flotte als leichte Reiter oder Schützen in die Landarmee eingereiht
wurden, konnte nicht viel helfen. Etwas mehr wirkten die von Caesar
veranlaßten Diversionen. Es gelang, die am südlichen Abhang des Großen
Atlas gegen die Sahara zu schweifenden gaetulischen Hirtenstämme gegen
Juba in Waffen zu bringen; denn selbst bis zu ihnen hatten die Schläge
der marianisch-sullanischen Zeit sich erstreckt, und ihr Groll gegen
den Pompeius, der sie damals den numidischen Königen untergeordnet
hatte, machte sie den Erben des mächtigen, bei ihnen noch vom
Jugurthinischen Feldzug her in gutem Andenken lebenden Marius von vorn
herein geneigt. Die mauretanischen Könige, Bogud in Tingis, Bocchus in
Jol, waren Jubas natürliche Rivalen und zum Teil längst mit Caesar in
Bündnis. Endlich streifte in dem Grenzgebiet zwischen den Reichen des
Juba und des Bocchus noch der letzte der Catilinarier, jener Publius
Sittius aus Nuceria, der achtzehn Jahre zuvor aus einem bankrotten
italischen Kaufmann sich in einen mauretanischen Freischarenführer
verwandelt und seitdem in den libyschen Händeln sich einen Namen und
ein Heergefolge geschaffen hatte. Bocchus und Sittius fielen vereinigt
in das numidische Land, besetzten die wichtige Stadt Cirta, und ihr
Angriff sowie der der Gätuler nötigte den König Juba, einen Teil seiner
Truppen an seine Süd- und Westgrenze zu senden. Indes blieb Caesars
Lage unbequem genug. Seine Armee war auf den Raum einer Quadratmeile
zusammengedrängt; wenn auch die Flotte Getreide herbeischaffte, so ward
doch der Mangel an Fourage von Caesars Reitern ebenso gefühlt wie vor
Dyrrhachion von denen des Pompeius. Die leichten Truppen des Feindes
blieben, aller Anstrengungen Caesars ungeachtet, den seinigen so
unermeßlich überlegen, daß es fast unmöglich schien, die Offensive in
das Binnenland hinein auch mit Veteranen durchzuführen. Wenn Scipio
zurückwich und die Küstenstädte preisgab, so konnte er vielleicht einen
Sieg erfechten wie die, welche des Orodes Wesir über Crassus, Juba über
Curio davongetragen hatten, wenigstens aber den Krieg ins unendliche
hinausziehen. Diesen Feldzugsplan ergab die einfachste Überlegung:
selbst Cato, obwohl nichts weniger als ein Strateg, riet dazu und erbot
sich, zugleich mit einem Korps nach Italien überzufahren und dort die
Republikaner unter die Waffen zu rufen, was bei der gründlichen
Verwirrung daselbst gar wohl Erfolg haben konnte. Allein Cato konnte
nur raten, nicht befehlen; der Oberbefehlshaber Scipio entschied, daß
der Krieg in der Küstenlandschaft geführt werden solle. Es war dies
nicht bloß insofern verkehrt, als man damit einen sicheren Erfolg
verheißenden Kriegsplan fahren ließ, sondern auch insofern, als die
Landschaft, in die man den Krieg verlegte, in bedenklicher Gärung, und
das Heer, das man Caesar gegenüberstellte, zum guten Teil ebenfalls
schwierig war. Die fürchterlich strenge Aushebung, die Wegschleppung
der Vorräte, die Verwüstung der kleineren Ortschaften, überhaupt das
Gefühl einer von Haus aus fremden und bereits verlorenen Sache
aufgeopfert zu werden, hatten die einheimische Bevölkerung erbittert
gegen die auf afrikanischem Boden ihren letzten Verzweiflungskampf
kämpfenden römischen Republikaner; und das terroristische Verfahren der
letzteren gegen alle auch nur der Gleichgültigkeit verdächtigen
Gemeinden hatte diese Erbitterung zum furchtbarsten Haß gesteigert. Die
afrikanischen Städte erklärten, wo sie irgend es wagen konnten, sich
für Caesar; unter den Gätulern und den Libyern, die unter den leichten
Truppen und selbst in den Legionen in Menge dienten, riß die Desertion
ein. Indes Scipio beharrte mit aller dem Unverstand eigenen
Hartnäckigkeit auf seinem Plan, zog mit gesamter Heeresmacht von Utica
her vor die von Caesar besetzten Städte Ruspina und Klein-Leptis,
belegte nördlich davon Hadrumetum, südlich Thapsus (am Vorgebirge Râs
Dimâs) mit starken Besatzungen und bot in Gemeinschaft mit Juba, der
mit all seinen nicht durch die Grenzverteidigung in Anspruch genommenen
Truppen gleichfalls vor Ruspina erschien, zu wiederholten Malen dem
Feinde die Schlacht an. Aber Caesar war entschlossen, seine
Veteranenlegionen zu erwarten. Als diese dann nach und nach eintrafen
und auf dem Kampfplatz erschienen, verloren Scipio und Juba die Lust,
eine Feldschlacht zu wagen, und Caesar hatte kein Mittel, sie bei ihrer
außerordentlichen Überlegenheit an leichter Reiterei zu einer solchen
zu zwingen. Über Märsche und Scharmützel in der Umgegend von Ruspina
und Thapsus, die hauptsächlich um die Auffindung der landüblichen
Kellerverstecke (Silos) und um Ausbreitung der Posten sich bewegten,
verflossen fast zwei Monate. Caesar, durch die feindlichen Reiter
genötigt, sich möglichst auf den Anhöhen zu halten oder auch seine
Flanken durch verschanzte Linien zu decken, gewöhnte doch während
dieser mühseligen und aussichtslosen Kriegführung allmählich seine
Soldaten an die fremdartige Kampfweise. Freund und Feind erkannten in
dem vorsichtigen Fechtmeister, der seine Leute sorgfältig und nicht
selten persönlich einschulte, den raschen Feldherrn nicht wieder und
wurden fast irre an dieser im Zögern wie im Zuschlagen sich
gleichbleibenden Meisterschaft. Endlich wandte Caesar, nachdem er seine
letzten Verstärkungen an sich gezogen hatte, sich seitwärts gegen
Thapsus. Scipio hatte diese Stadt, wie gesagt, stark besetzt und damit
den Fehler begangen, seinem Gegner ein leicht zu fassendes
Angriffsobjekt darzubieten; zu dem ersten fügte er bald den zweiten,
noch minder verzeihlichen hinzu, die von Caesar gewünschte und von
Scipio mit Recht bisher verweigerte Feldschlacht jetzt zur Rettung von
Thapsus auf einem Terrain zu liefern, das die Entscheidung in die Hände
der Linieninfanterie gab. Unmittelbar am Strande, Caesars Lager
gegenüber, traten Scipios und Jubas Legionen an, die vorderen Reihen
kampffertig, die hinteren beschäftigt, ein verschanztes Lager zu
schlagen; zugleich bereitete die Besatzung von Thapsus einen Ausfall
vor. Den letzteren zurückzuweisen, genügten Caesars Lagerwachen. Seine
kriegsgewohnten Legionen, schon nach der unsicheren Aufstellung und den
schlecht geschlossenen Gliedern den Feind richtig würdigend, zwangen,
während drüben noch geschanzt ward und ehe noch der Feldherr das
Zeichen gab, einen Trompeter, zum Angriff zu blasen, und gingen auf der
ganzen Linie vor, allen voran Caesar selbst, der, da er die Seinigen
ohne seinen Befehl abzuwarten vorrücken sah, an ihrer Spitze auf den
Feind eingaloppierte. Der rechte Flügel, den übrigen Abteilungen voran,
scheuchte die ihm gegenüberstehende Linie der Elefanten - es war dies
die letzte große Schlacht, in der die Bestien verwendet worden sind -
durch Schleuderkugeln und Pfeile zurück auf ihre eigenen Leute. Die
Deckungsmannschaft ward niedergehauen, der linke Flügel der Feinde
gesprengt und die ganze Linie aufgerollt. Die Niederlage war um so
vernichtender, als das neue Lager der geschlagenen Armee noch nicht
fertig und das alte beträchtlich entfernt war; beide wurden
nacheinander fast ohne Gegenwehr erobert. Die Masse der geschlagenen
Armee warf die Waffen weg und bat um Quartier; aber Caesars Soldaten
waren nicht mehr dieselben, die vor Ilerda willig der Schlacht sich
enthalten, bei Pharsalos der Wehrlosen ehrenvoll geschont hatten. Die
Gewohnheit des Bürgerkrieges und der von der Meuterei zurückgebliebene
Groll machten auf dem Schlachtfelde von Thapsus in schrecklicher Weise
sich geltend. Wenn der Hydra, mit der man kämpfte, stets neue Köpfe
nachwuchsen, wenn die Armee von Italien nach Spanien, von Spanien nach
Makedonien, von Makedonien nach Afrika geschleudert ward, die immer
heißer ersehnte Ruhe immer nicht kam, so suchte, und nicht ganz ohne
Ursache, der Soldat davon den Grund in Caesars unzeitiger Milde. Er
hatte es sich geschworen nachzuholen, was der Feldherr versäumt, und
blieb taub für das Flehen der entwaffneten Mitbürger wie für die
Befehle Caesars und der höheren Offiziere. Die fünfzigtausend Leichen,
die das Schlachtfeld von Thapsus bedeckten, darunter auch mehrere als
heimliche Gegner der neuen Monarchie bekannte und deshalb bei dieser
Gelegenheit von ihren eigenen Leuten niedergemachte Caesarische
Offiziere, zeigten, wie der Soldat sich Ruhe schafft. Die siegende
Armee dagegen zählte nicht mehr als fünfzig Tote (6. April 708 46).
Eine Fortsetzung des Kampfes fand nach der Schlacht von Thapsus so
wenig in Afrika statt, wie anderthalb Jahre zuvor im Osten nach der
Pharsalischen Niederlage. Cato als Kommandant von Utica berief den
Senat, legte den Stand der Verteidigungsmittel dar und stellte es zur
Entscheidung der Versammelten, ob man sich unterwerfen oder bis auf den
letzten Mann sich verteidigen wolle, einzig sie beschwörend, nicht
jeder für sich, sondern alle für einen zu beschließen und zu handeln.
Die mutigere Meinung fand manchen Vertreter; es wurde beantragt, die
waffenfähigen Sklaven von Staats wegen freizusprechen, was aber Cato
als einen ungesetzlichen Eingriff in das Privateigentum zurückwies und
statt dessen einen patriotischen Aufruf an die Sklaveneigentümer
vorschlug. Allein bald verging der größtenteils aus afrikanischen
Großhändlern bestehenden Versammlung diese Anwandlung von
Entschlossenheit, und man ward sich einig zu kapitulieren. Als dann
Faustus Sulla, des Regenten Sohn, und Lucius Afranius mit einer starken
Abteilung Reiterei vom Schlachtfelde her in Utica eintrafen, machte
Cato noch einen Versuch, durch sie die Stadt zu halten; allein ihre
Forderung, sie zuvörderst die unzuverlässige Bürgerschaft von Utica
insgesamt niedermachen zu lassen, wies er unwillig zurück und ließ
lieber die letzte Burg der Republikaner dem Monarchen ohne Gegenwehr in
die Hände fallen als die letzten Atemzüge der Republik durch eine
solche Metzelei entweihen. Nachdem er, teils durch seine Autorität,
teils durch freigebige Spenden, dem Wüten der Soldateska gegen die
unglücklichen Uticenser nach Vermögen gesteuert und, soweit es in
seiner Macht stand, denen, die Caesars Gnade sich nicht anvertrauen
mochten, die Mittel zur Flucht, denen, die bleiben wollten, die
Gelegenheit, unter möglichst leidlichen Bedingungen zu kapitulieren mit
rührender Sorgfalt gewährt und durchaus sich überzeugt hatte, daß er
niemand weiter Hilfe zu leisten vermöge, hielt er seines Kommandos sich
entbunden, zog sich in sein Schlafgemach zurück und stieß sich das
Schwert in die Brust. Auch von den übrigen geflüchteten Reitern
retteten sich nur wenige. Die von Thapsus geflüchteten Reiter stießen
auf die Scharen des Sittius und wurden von ihnen niedergehauen oder
gefangen; ihre Führer Afranius und Faustus wurden an Caesar
ausgeliefert und, da dieser sie nicht sogleich hinrichten ließ, von
dessen Veteranen in einem Auflauf erschlagen. Der Oberfeldherr Metellus
Scipio geriet mit der Flotte der geschlagenen Partei in die Gewalt der
Kreuzer des Sittius und durchbohrte sich selbst, da man Hand an ihn
legen wollte. König Juba, nicht unvorbereitet auf einen solchen
Ausgang, hatte für diesen Fall beschlossen, zu enden, wie es ihm
königlich dünkte, und auf dem Markte seiner Stadt Zama einen ungeheuren
Scheiterhaufen rüsten lassen, der mit seinem Körper auch all seine
Schätze und die Leichen der gesamten Bürgerschaft von Zama verzehren
sollte. Allein die Stadtbewohner verspürten kein Verlangen, bei der
Leichenfeier des afrikanischen Sardanapal sich als Dekoration verwenden
zu lassen und schlossen dem König, da er, vom Schlachtfeld flüchtend,
in Begleitung von Marcus Petreius vor der Stadt erschien, die Tore. Der
König, eine jener im grellen und übermütigen Lebensgenuß verwilderten
Naturen, die auch aus dem Tode sich ein Taumelfest bereiten, begab sich
mit seinem Begleiter nach einem seiner Landhäuser, ließ einen
reichlichen Schmaus auftragen und forderte nach geendeter Mahlzeit den
Petreius auf, mit ihm im Zweikampf um den Tod zu fechten. Es war der
Besieger Catilinas, der ihn von der Hand des Königs empfing; der König
ließ darauf von einem seiner Sklaven sich durchbohren. Die wenigen
angesehenen Männer, welche entkamen, wie Labienus und Sextus Pompeius,
folgten dem älteren Bruder des letzteren nach Spanien und suchten, wie
einst Sertorius, in den Gebirgen und Gewässern dieser immer noch halb
unabhängigen Landschaften ein letztes Räuber- und Piratenasyl. Ohne
Widerstand ordnete Caesar die afrikanischen Verhältnisse. Wie schon
Curio beantragt hatte, ward das Reich des Massinissa aufgelöst. Der
östlichste Teil oder die Landschaft von Sitifis ward mit dem Reich des
Königs Bocchus von Ostmauretanien vereinigt, auch der treue König Bogud
von Tingis mit ansehnlichen Gaben bedacht. Cirta (Constantine) und den
umliegenden Landstrich, die bisher, unter Jubas Oberhoheit, der Fürst
Massinissa und dessen Sohn Arabion besessen hatten, erhielt der
Condottiere Publius Sittius, um seine halbrömischen Scharen daselbst
anzusiedeln ^10; zugleich aber wurde dieser Distrikt sowie überhaupt
der bei weitem größte und fruchtbarste Teil des bisherigen Numidischen
Reiches als “Neuafrika” mit der älteren Provinz Afrika vereinigt und
die Verteidigung der Küstenlandschaft gegen die schweifenden Stämme der
Wüste, welche die Republik einem Klientelkönig überlassen hatte, von
dem neuen Herrscher auf das Reich selbst übernommen.
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^10 Die Inschriften der bezeichneten Gegend bewahren zahlreiche Spuren
dieser Kolonisierung. Der Name der Sittier ist dort ungemein häufig;
die afrikanische Ortschaft Milev führt als römische den Namen colonia
Sarnensis (CIL VIII, p. 1094), offenbar von dem nucerinischen Flußgott
Sarnus (Suet. rhet. 4).
———————————————————————
Der Kampf, den Pompeius und die Republikaner gegen Caesars Monarchie
unternommen hatten, endigte also nach vierjähriger Dauer mit dem
vollständigen Sieg des neuen Monarchen. Zwar die Monarchie ward nicht
erst auf den Schlachtfeldern von Pharsalos und Thapsus festgestellt;
sie durfte bereits sich datieren von dem Augenblick, wo Pompeius und
Caesar im Bunde die Gesamtherrschaft begründet und die bisherige
aristokratische Verfassung über den Haufen geworfen hatten. Doch waren
es erst jene Bluttaufen des 9. August 706 (48) und des 6. April 708
(46), die das dem Wesen der Alleinherrschaft widerstreitende
Gesamtregiment beseitigten und der neuen Monarchie festen Bestand und
förmliche Anerkennung verliehen. Prätendenteninsurrektionen und
republikanische Verschwörungen mochten nachfolgen und neue
Erschütterungen, vielleicht sogar neue Revolutionen und Restaurationen
hervorrufen; aber die während eines halben Jahrtausend ununterbrochene
Kontinuität der freien Republik war durchrissen und im ganzen Umfang
des weiten Römischen Reiches durch die Legitimität der vollendeten
Tatsache die Monarchie begründet. Der verfassungsmäßige Kampf war zu
Ende; und daß er zu Ende war, das sprach Marcus Cato aus, als er zu
Utica sich in sein Schwert stürzte. Seit vielen Jahren war er in dem
Kampfe der legitimen Republik gegen ihre Bedränger der Vormann gewesen;
er hatte ihn fortgesetzt, lange nachdem jede Hoffnung zu siegen in ihm
erloschen war. Jetzt aber war der Kampf selbst unmöglich geworden; die
Republik, die Marcus Brutus begründet hatte, war tot und niemals wieder
zum Leben zu erwecken; was sollten die Republikaner noch auf der Erde?
Der Schatz war geraubt, die Schildwache damit abgelöst; wer konnte sie
schelten, wenn sie heimging? Es ist mehr Adel und vor allem mehr
Verstand in Catos Tode, als in seinem Leben gewesen war. Cato war
nichts weniger als ein großer Mann; aber bei all jener Kurzsichtigkeit,
jener Verkehrtheit, jener dürren Langweiligkeit und jenen falschen
Phrasen, die ihn, für seine wie für alle Zeit, zum Ideal des
gedankenlosen Republikanertums und zum Liebling aller damit spielenden
Individuen gestempelt haben, war er dennoch der einzige, der das große,
dem Untergang verfallene System in dessen Agonie ehrlich und mutig
vertrat. Darum, weil vor der einfältigen Wahrheit die klügste Lüge
innerlich sich zernichtet fühlt und weil alle Hoheit und Herrlichkeit
der Menschennatur schließlich nicht auf der Klugheit beruht, sondern
auf der Ehrlichkeit, darum hat Cato eine größere geschichtliche Rolle
gespielt als viele an Geist ihm weit überlegene Männer. Es erhöht nur
die tiefe und tragische Bedeutung seines Todes, daß er selber ein Tor
war: eben weil Don Quichotte ein Tor ist, ist er ja eine tragische
Gestalt. Es ist erschütternd, daß auf jener Weltbühne, darauf so viele
große und weise Männer gewandelt und gehandelt hatten, der Narr
bestimmt war zu epilogieren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es
war ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monarchie,
daß der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch kam; ein
Protest, der all jene sogenannte Verfassungsmäßigkeit, mit welcher
Caesar seine Monarchie umkleidete, wie Spinneweben zerriß und das
Schibboleth der Versöhnung aller Parteien, unter dessen Ägide das
Herrentum erwuchs, in seiner ganzen gleisnerischen Lügenhaftigkeit
prostituierte. Der unerbittliche Krieg, den das Gespenst der legitimen
Republik Jahrhunderte lang, von Cassius und Brutus an bis auf Thrasea
und Tacitus, ja noch viel weiter hinab, gegen die Caesarische Monarchie
geführt hat - dieser Krieg der Komplotte und der Literatur ist die
Erbschaft, die Cato sterbend seinem Feinde vermachte. Ihre ganze
vornehme, rhetorisch transzendentale, anspruchsvoll strenge,
hoffnungslose und bis zum Tode getreue Haltung hat diese
republikanische Opposition von Cato übernommen und dann auch den Mann,
der im Leben nicht selten ihr Spott und ihr Ärgernis gewesen war, schon
unmittelbar nach seinem Tode als Heiligen zu verehren begonnen. Die
größte aber unter diesen Huldigungen war die unfreiwillige, die Caesar
ihm erwies, indem er von der geringschätzigen Milde, mit welcher er
seine Gegner, Pompeianer wie Republikaner, zu behandeln gewohnt war,
allein gegen Cato eine Ausnahme machte und noch über das Grab hinaus
ihn mit demjenigen energischen Hasse verfolgte; welchen praktische
Staatsmänner zu empfinden pflegen gegen die auf dem idealen Gebiet,
ihnen ebenso gefährlich wie unerreichbar, opponierenden Gegner.
KAPITEL XI.
Die alte Republik und die neue Monarchie
Der neue Monarch von Rom, der erste Herrscher über das ganze Gebiet
römisch-hellenischer Zivilisation, Gaius Iulius Caesar, stand im
sechsundfünfzigsten Lebensjahr (geb. 12. Juli 652 ? 102), als die
Schlacht bei Thapsus, das letzte Glied einer langen Kette
folgenschwerer Siege, die Entscheidung über die Zukunft der Welt in
seine Hände legte. Weniger Menschen Spannkraft ist also auf die Probe
gestellt worden wie die dieses einzigen schöpferischen Genies, das Rom,
und des letzten, das die alte Welt hervorgebracht und in dessen Bahnen
sie denn auch bis zu ihrem eigenen Untergange sich bewegt hat. Der
Sprößling einer der ältesten Adelsfamilien Latiums, welche ihren
Stammbaum auf die Helden der Ilias und die Könige Roms, ja auf die
beiden Nationen gemeinsame Venus-Aphrodite zurückführte, waren seine
Knaben- und ersten Jünglingsjahre vergangen, wie sie der vornehmen
Jugend jener Epoche zu vergehen pflegten. Auch er hatte von dem Becher
des Modelebens den Schaum wie die Hefen gekostet, hatte rezitiert und
deklamiert, auf dem Faulbett Literatur getrieben und Verse gemacht,
Liebeshändel jeder Gattung abgespielt und sich einweihen lassen in alle
Rasier-, Frisier- und Manschettenmysterien der damaligen
Toilettenweisheit, sowie in die noch weit geheimnisvollere Kunst, immer
zu borgen und nie zu bezahlen. Aber der biegsame Stahl dieser Natur
widerstand selbst diesem zerfahrenen und windigen Treiben; Caesar blieb
sowohl die körperliche Frische ungeschwächt wie die Spannkraft des
Geistes und des Herzens. Im Fechten und im Reiten nahm er es mit jedem
seiner Soldaten auf, und sein Schwimmen rettete ihm bei Alexandreia das
Leben; die unglaubliche Schnelligkeit seiner gewöhnlich des Zeitgewinns
halber nächtlichen Reisen - das rechte Gegenstück zu der
prozessionsartigen Langsamkeit, mit der Pompeius sich von einem Ort zum
andern bewegte - war das Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die
letzte Ursache seiner Erfolge. Wie der Körper war der Geist. Sein
bewunderungswürdiges Anschauungsvermögen offenbarte sich in der
Sicherheit und Ausführbarkeit all seiner Anordungen, selbst wo er
befahl, ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedächtnis war
unvergleichlich und es war ihm geläufig, mehrere Geschäfte mit gleicher
Sicherheit nebeneinander zu betreiben.: Obgleich Gentleman, Genie und
Monarch hatte er dennoch ein Herz. Solange er lebte, bewahrte er für
seine würdige Mutter Aurelia - der Vater starb ihm früh - die reinste
Verehrung; seinen Frauen und vor allem seiner Tochter Iulia widmete er
eine ehrliche Zuneigung, die selbst auf die politischen Verhältnisse
nicht ohne Rückwirkung blieb. Mit den tüchtigsten und kernigsten
Männern seiner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem
schönen Verhältnis gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art. Wie
er selbst niemals einen der Seinen in Pompeius’ kleinmütiger und
gefühlloser Art fallen ließ und, nicht bloß aus Berechnung, in guter
und böser Zeit ungeirrt an den Freunden festhielt, so haben auch von
diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gaius Matius, noch nach seinem
Tode ihm in schönen Zeugnissen ihre Anhänglichkeit bewahrt. Wenn in
einer so harmonisch organisierten Natur überhaupt eine einzelne Seite
als charakteristisch hervorgehoben werden kann, so ist es die, daß alle
Ideologie und alles Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von
selbst, daß Caesar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne
Leidenschaft gibt es keine Genialität; aber seine Leidenschaft war
niemals mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt, und Lieder,
Liebe und Wein waren auch in sein Gemüt in lebendigem Leben eingezogen;
aber sie drangen ihm doch nicht bis in den innerlichsten Kern seines
Wesens. :Die Literatur beschäftigte ihn lange und ernstlich; aber wenn
Alexandern der homerische Achill nicht schlafen ließ, so stellte Caesar
in seinen schlaflosen Stunden Betrachtungen über die Beugungen der
lateinischen Haupt- und Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals
jeder, aber sie waren schwach; dagegen interessierten ihn astronomische
und naturwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander der
Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärmter Jugendzeit
der nüchterne Römer denselben durchaus. Wie allen denen, die in der
Jugend der volle Glanz der Frauenliebe umstrahlt hat, blieb ein
Schimmer davon unvergänglich auf ihm ruhen: noch in späteren Jahren
begegneten ihm Liebesabenteuer und Erfolge bei Frauen und blieb ihm
eine gewisse Stutzerhaftigkeit im äußeren Auftreten oder richtiger das
erfreuliche Bewußtsein der eigenen männlich schönen Erscheinung.
Sorgfältig deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit dem er in späteren
Jahren öffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze und hätte
ohne Zweifel manchen seiner Siege darum gegeben, wenn er damit die
jugendlichen Locken hätte zurückkaufen können. Aber wie gern er auch
noch als Monarch mit den Frauen verkehrte, so hat er doch nur mit ihnen
gespielt und ihnen keinerlei Einfluß über sich eingeräumt; selbst sein
vielbesprochenes Verhältnis zu der Königin Kleopatra ward nur
angesponnen, um einen schwacher Punkt in seiner politischen Stellung zu
maskieren. Caesar war durchaus Realist und Verstandesmensch; und was er
angriff und tat, war von der genialen Nüchternheit durchdrungen und
getragen, die seine innerste Eigentümlichkeit bezeichnet. Ihr verdankte
er das Vermögen, unbeirrt durch Erinnern und Erwarten energisch im
Augenblick zu leben; ihr die Fähigkeit, in jedem Augenblick mit
gesammelter Kraft zu handeln und auch dem kleinsten und beiläufigsten
Beginnen seine volle Genialität zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit, mit
der er erfaßte und beherrschte, was der Verstand begreifen und der
Wille zwingen kann; ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine
Perioden fügte, wie seine Feldzüge entwarf; ihr die “wunderbare
Heiterkeit”, die in guten und bösen Tagen ihm treu blieb; ihr die
vollendete Selbständigkeit, die keinem Liebling und keiner Mätresse, ja
nicht einmal dem Freunde Gewalt über sich gestattete. Aus dieser
Verstandesklarheit rührt es aber auch her, daß Cäsar sich über die
Macht des Schicksals und das Können des Menschen niemals Illusionen
machte; für ihn war der holde Schleier gehoben, der dem Menschen die
Unzulänglichkeit seines Wirkens verdeckt. Wie klug er auch plante und
alle Möglichkeiten bedachte, das Gefühl wich doch nie aus seiner Brust,
daß in allen Dingen das Glück, das heißt der Zufall das gute Beste tun
müsse; und damit mag es denn auch zusammenhängen, daß er so oft dem
Schicksal Paroli geboten und namentlich mit verwegener Gleichgültigkeit
seine Person wieder und wieder auf das Spiel gesetzt hat. Wie ja wohl
überwiegend verständige Menschen in das reine Hasardspiel sich
flüchten, so war auch in Caesars Rationalismus ein Punkt, wo er mit dem
Mystizismus gewissermaßen sich berührte.
Aus einer solchen Anlage konnte nur ein Staatsmann hervorgehen. Von
früher Jugend an war denn auch Caesar ein Staatsmann im tiefsten Sinne
des Wortes und sein Ziel das höchste, das dem Menschen gestattet ist
sich zu stecken: die politische, militärische, geistige und sittliche
Wiedergeburt der tiefgesunkenen eigenen und der noch tiefer gesunkenen,
mit der seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation. Die harte
Schule dreißigjähriger Erfahrungen änderte seine Ärasichten über die
Mittel, wie dies Ziel zu erreichen sei; das Ziel blieb ihm dasselbe in
den Zeiten hoffnungsvoller Erniedrigung wie unbegrenzter
Machtvollkommenheit, in den Zeiten, wo er als Demagog und Verschworener
auf dunklen Wegen zu ihm hinschlich, wie da er als Mitinhaber der
höchsten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen einer Welt im
vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den verschiedensten
Zeiten von ihm ausgegangenen Maßregeln bleibender Art ordnen in den
großen Bauplan zweckmäßig sich ein. Von einzelnen Leistungen Caesars
sollte darum eigentlich nicht geredet werden; er hat nichts Einzelnes
geschaffen. Mit Recht rühmt man den Redner Caesar wegen seiner aller
Advokatenkunst spottenden männlichen Beredsamkeit, die wie die klare
Flamme zugleich erleuchtete und erwärmte. Mit Recht bewundert man an
dem Schriftsteller Caesar die unnachahmliche Einfachheit der
Komposition, die einzige Reinheit und Schönheit der Sprache. Mit Recht
haben die größten Kriegsmeister aller Zeiten den Feldherrn Caesar
gepriesen, der wie kein anderer ungeirrt von Routine und Tradition
immer diejenige Kriegführung zu finden wußte, durch welche in dem
gegebenen Falle der Feind besiegt wird und welche also in dem gegebenen
Falle die rechte ist; der mit divinatorischer Sicherheit für jeden
Zweck das rechte Mittel fand; der nach der Niederlage schlagfertig
dastand, wie Wilhelm von Oranien, und mit dem Siege ohne Ausnahme den
Feldzug beendigte; der das Element der Kriegführung, dessen Behandlung
das militärische Genie von der gewöhnlichen Offiziertüchtigkeit
unterscheidet, die rasche Bewegung der Massen mit unübertroffener
Vollkommenheit handhabte und nicht in der Massenhaftigkeit der
Streitkräfte, sondern in der Geschwindigkeit ihrer Bewegung, nicht im
langen Vorbereiten, sondern im raschen, ja verwegenen Handeln, selbst
mit unzulänglichen Mitteln, die Bürgschaft des Sieges fand. Allein
alles dieses ist bei Caesar nur Nebensache; er war zwar ein großer
Redner, Schriftsteller und Feldherr, aber jedes davon ist er nur
geworden, weil er ein vollendeter Staumann war. Namentlich spielt der
Soldat in ihm eine durchaus beiläufige Rolle, und es ist eine der
hauptsächlichsten Eigentümlichkeiten, die ihn von Alexander, Hannibal
und Napoleon unterscheidet, daß in ihm nicht der Offizier, sondern der
Demagog der Ausgangspunkt der politischen Tätigkeit war. Seinem
ursprünglichsten Plan zufolge hatte er sein Ziel wie Perikles und Gaius
Gracchus ohne Waffengewalt zu erreichen gedacht, und achtzehn Jahre
hindurch hatte er als Führer der Popularpartei ausschließlich in
politischen Plänen und Intrigen sich bewegt, bevor er, ungern sich
überzeugend von der Notwendigkeit eines militärischen Rückhalts, schon
ein Vierziger, an die Spitze einer Armee trat. Es war erklärlich, daß
er auch späterhin immer noch mehr Staatsmann blieb als General -
ähnlich wie Cromwell, der auch aus dem Oppositionsführer zum
Militärchef und Demokratenkönig sich umschuf und der überhaupt, wie
wenig der Puritanerfürst dem lockeren Römer zu gleichen scheint, doch
in seiner Entwicklung wie in seinen Zielen und Erfolgen vielleicht
unter allen Staatsmännern Caesar am nächsten verwandt ist. Selbst in
seiner Kriegführung ist diese improvisierte Feldherrnschaft noch wohl
zu erkennen; in Napoleons Unternehmungen gegen Ägypten und gegen
England ist der zum Feldherrn aufgediente Artillerieleutnant nicht
deutlicher sichtbar wie in den gleichartigen Caesars der zum Feldherrn
metamorphosierte Demagog. Ein geschulter Offizier würde es schwerlich
fertig gebracht haben, aus politischen Rücksichten nicht durchaus
zwingender Natur die gegründetsten militärischen Bedenken in der Art
beiseite zu schieben, wie dies Caesar mehrmals, am auffallendsten bei
seiner Landung in Epirus getan hat. Einzelne seiner Handlungen sind
darum militärisch tadelhaft; aber der Feldherr verliert nur, was der
Staatsmann gewinnt. Die Aufgabe des Staatsmanns ist universeller Natur
wie Caesars Genie: wenn er die vielfältigsten und voneinander
entlegensten Dinge angriff, so gingen sie doch alle ohne Ausnahme
zurück auf das eine große Ziel, dem er mit unbedingter Treue und
Folgerichtigkeit diente; und nie hat er von den vielfältigen Seiten und
Richtgen seiner großen Tätigkeit eine vor der andern bevorzugt. Obwohl
ein Meister der Kriegskunst, hat er doch aus staatsmännischen
Rücksichten das Äußerste getan, um den Bürgerkrieg abzuwenden und um,
da er dennoch begann, wenigstens so unblutige Lorbeeren wie möglich zu
ernten. Obwohl der Begründer der Militärmonarchie, hat er doch mit
einer in der Geschichte beispiellosen Energie weder
Marschallshierarchie noch Prätorianerregiment aufkommen lassen. Wenn
überhaupt eine Seite der bürgerlichen Verdienste, so wurden von ihm
vielmehr die Wissenschafter, und die Künste des Friedens vor den
militärischen bevorzugt. Die bemerkenswerteste Eigentümlichkeit seines
staatsmännischen Schaffens ist dessen vollkommene Harmonie. In der Tat
waren alle Bedingungen zu dieser schwersten aller menschlichen
Leistungen in Caesar vereinigt. Durch und durch Realist, ließ er die
Bilder der Vergangenheit und die ehrwürdige Tradition nirgends sich
anfechten: ihm galt nichts in der Politik als die lebendige Gegenwart
und das verständige Gesetz, ebenwie er, auch als Grammatiker die
historisch-antiquarische Forschung beiseite schob und nichts anerkannte
als einerseits den lebendigen Sprachgebrauch, andererseits die Regel
der Gleichmäßigkeit Ein geborener Herrscher, regierte er die Gemüter
der Menschen, wie der Wind die Wolken zwingt, und nötigte die
verschiedenartigsten Naturen, ihm sich zu eigen zu geben, den
schlichten Bürger und den derben Unteroffizier, die vornehmen Damen
Roms und die schönen Fürstinnen Ägyptens und Mauretaniens, den
glänzenden Kavalleriegeneral und den kalkulierenden Bankier. Sein
Organisationstalent ist wunderbar; nie hat ein Staatsmann seine
Bündnisse, nie ein Feldherr seine Armee aus ungefügen und
widerstrebenden Elementen so entschieden zusammengezwungen und so fest
zusammengehalten wie Caesar seine Koalitionen und seine Legionen; nie
ein Regent mit so scharfem Blick seine Werkzeuge beurteilt und ein
jedes an den ihm angemessenen Platz gestellt. Er war Monarch; aber nie
hat er den König gespielt. Auch als unumschränkter Herr von Rom blieb
er in seinem Auftreten der Parteiführer; vollkommen biegsam und
geschmeidig, bequem und anmutig in der Unterhaltung, zuvorkommend gegen
jeden, schien er nichts sein zu wollen als der Erste unter
seinesgleichen. Den Fehler so vieler ihm sonst ebenbürtiger Männer, den
militärischen Kommandoton auf die Politik zu übertragen, hat Caesar
durchaus vermieden; wie vielen Anlaß das verdrießliche Verhältnis zum
Senat ihm auch dazu gab, er hat nie zu Brutalitäten gegriffen, wie die
des achtzehnten Brumaire eine war. Caesar war Monarch; aber nie hat ihn
der Tyrannenschwindel erfaßt. Er ist vielleicht der einzige unter den
Gewaltigen des Herrn, welcher im großen wie im kleinen nie nach Neigung
oder Laune, sondern ohne Ausnahme nach seiner Regentenpflicht gehandelt
hat, und der, wenn er auf sein Leben zurücksah, wohl falsche Rechnungen
zu bedauern, aber keinen Fehltritt der Leidenschaft zu bereuen fand. Es
ist nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im kleinen ^1 sich
vergleichen ließe mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen, mit der
Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis, welche die
Geschichte von seinem großen Vorgänger im Osten berichtet. Er ist
endlich vielleicht der einzige unter jenen Gewaltigen, der den
staatsmännischen Takt für das Mögliche und Unmögliche bis an das Ende
seiner Laufbahn sich bewahrt hat und nicht gescheitert ist an
derjenigen Aufgabe, die für großartig angelegte Naturen von allen die
schwerste ist, an der Aufgabe, auf der Zinne des Erfolgs dessen
natürliche Schranken zu erkennen. Was möglich war, hat er geleistet und
nie um des unmöglichen Besseren willen das mögliche Gute unterlassen,
nie es verschmäht, unheilbare Übel durch Palliative wenigstens zu
lindern. Aber wo er erkannte, daß das Schicksal gesprochen, hat er
immer gehorcht. Alexander am Hypanis, Napoleon in Moskau kehrten um,
weil sie mußten, und zürnten dem Geschick, daß es auch seinen
Lieblingen nur begrenzte Erfolge gönnt; Caesar ist an der Themse und am
Rhein freiwillig zurückgegangen und gedachte auch an der Donau und am
Euphrat nicht ungemessene Pläne der Weltüberwindung, sondern bloß
wohlerwogene Grenzregulierungen ins Werk zu setzen.
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^1 Wenn der Handel mit Laberius, den der bekannte Prolog erzählt, als
ein Beispiel von Caesars Tyrannenlaunen angeführt worden ist, so hat
man die Ironie der Situation wie des Dichters gründlich verkannt; ganz
abgesehen von der Naivität, den sein Honorar bereitwillig
einstreichenden Poeten als Märtyrer zu behandeln.
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So war dieser einzige Mann, den zu schildern so leicht scheint und doch
so unendlich schwer ist. Seine ganze Natur ist durchsichtige Klarheit;
und die Überlieferung bewahrt über ihn ausgiebigere und lebendigere
Kunde als über irgendeinen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine
solche Persönlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht
eigentlich verschieden aufgefaßt werden; jedem nicht ganz verkehrten
Forscher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zügen erschienen,
und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem gelungen.
Das Geheimnis liegt in dessen Vollendung. Menschlich wie geschichtlich
steht Caesar in dem Gleichungspunkt, in welchem die großen Gegensätze
des Daseins sich ineinander aufheben. Von gewaltiger Schöpferkraft und
doch zugleich vom durchdringendsten Verstande; nicht mehr Jüngling und
noch nicht Greis; vom höchsten Wollen und vom höchsten Vollbringen;
erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren zum König;
ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wieder berufen, die
römische und die hellenische Entwicklung in sich wie nach außen hin zu
versöhnen und zu vermählen, ist Caesar der ganze und vollständige Mann.
Darum fehlt es denn auch bei ihm mehr als bei irgendeiner anderen
geschichtlichen Persönlichkeit an den sogenannten charakteristischen
Zügen, welche ja doch nichts anderes sind als Abweichungen von der
naturgemäßen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflächlichen
Blick dafür gilt, zeigt sich bei näherer Betrachtung nicht als
Individualität, sondern als Eigentümlichkeit der Kulturepoche oder der
Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleichgestellten
begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches, aber energisch
logisches Naturell das Naturell der Römer überhaupt ist. Es gehört dies
mit zu Caesars voller Menschlichkeit, daß er im höchsten Grade durch
Zeit und Ort bedingt ward; denn eine Menschlichkeit an sich gibt es
nicht, sondern der lebendige Mensch kann eben nicht anders als in einer
gegebenen Volkseigentümlichkeit und in einem bestimmten Kulturzug
stehen. Nur dadurch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein
anderer mitten in die Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte und
weil er die kernige Eigentümlichkeit der römischen Nation, die reale
bürgerliche Tüchtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug; wie
denn auch sein Hellenismus nur der mit der italischen Nationalität
längst innig verwachsene war. Aber eben hierin liegt auch die
Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen die Unmöglichkeit, Caesar
anschaulich zu schildern. Wie der Künstler alles machen kann, nur nicht
die vollendete Schönheit, so kann auch der Geschichtschreiber, wo ihm
alle tausend Jahre einmal das Vollkommene begegnet, nur darüber
schweigen. Denn es läßt die Regel wohl sich aussprechen, aber sie gibt
uns nur die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das
Geheimnis der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Normalität
und Individualität miteinander zu verbinden, ist unaussprechlich. Uns
bleibt nichts, als diejenigen glücklich zu preisen, die dieses
Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben aus dem Abglanz zu
gewinnen, der auf den von dieser großen Natur geschaffenen Werken
unvergänglich ruht. Zwar tragen auch diese den Stempel der Zeit. Der
römische Mann selbst stellte seinem jugendlichen griechischen Vorgänger
nicht bloß ebenbürtig, sondern überlegen sich an die Seite; aber die
Welt war inzwischen alt geworden und ihr Jugendschimmer verblaßt.
Caesars Tätigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges
Vorwärtsstreben in die ungemessene Weite; er baute auf und aus Ruinen
und war zufrieden, in den einmal angewiesenen weiten, aber begrenzten
Räumen möglichst erträglich und möglichst sicher sich einzurichten. Mit
Recht hat denn auch der feine Dichtertakt der Völker um den
unpoetischen Römer sich nicht bekümmert und dagegen den Sohn des
Philippos mit allem Goldglanz der Poesie, mit allen Regenbogenfarben
der Sage bekleidet. Aber mit gleichem Recht hat das staatliche Leben
der Nationen seit Jahrtausenden wieder und wieder auf die Linien
zurückgelenkt, die Caesar gezogen hat, und wenn die Völker, denen die
Welt gehört, noch heute mit seinem Namen die höchsten ihrer Monarchen
nennen, so liegt darin eine tiefsinnige, leider auch eine beschämende
Mahnung.
Wenn es gelingen sollte, aus den alten in jeder Hinsicht heillosen
Zuständen herauszukommen und das Gemeinwesen zu verjüngen, so mußte vor
allen Dingen das Land tatsächlich beruhigt und der Boden von den
Trümmern, die von der letzten Katastrophe her überall ihn bedeckten,
gesäubert werden. Caesar ging dabei aus von dem Grundsatz der
Versöhnung der bisherigen Parteien oder, richtiger gesagt - denn von
wirklicher Ausgleichung kann bei unversöhnlichen Gegensätzen nicht
gesprochen werden -, von dem Grundsatz, daß der Kampfplatz, auf dem die
Nobilität und die Popularen bisher miteinander gestritten hatten, von
beiden Teilen aufzugeben sei und beide auf dem Boden der neuen
monarchischen Verfassung sich zusammenzufinden hätten. Vor allen Dingen
also galt aller ältere Hader der republikanischen Vergangenheit als
abgetan für immer und ewig. Während Caesar die auf die Nachricht von
der Pharsalischen Schlacht von dem hauptstädtischen Pöbel umgestürzten
Bildsäulen Sullas wiederaufzurichten befahl und also es anerkannte, daß
über diesen großen Mann einzig der Geschichte Gericht zu halten
gebühre, hob er zugleich die letzten noch nachwirkenden Folgen seiner
Ausnahmegesetze auf, rief die noch von den cinnanischen und
sertorianischen Wirren her Verbannten aus dem Exil zurück und gab den
Kindern der von Sulla Geächteten die verlorene passive Wahlfähigkeit
wieder. Ebenso wurden alle diejenigen restituiert, die in dem
vorbereitenden Stadium der letzten Katastrophe durch Zensorenspruch
oder politischen Prozeß, namentlich durch die auf Grund der
Exzeptionalgesetze von 702 (52) erhobenen Anklagen, ihren Sitz im Senat
oder ihre bürgerliche Existenz eingebüßt hatten. Nur blieben, wie
billig, diejenigen, die Geächtete für Geld getötet hatten, auch ferner
bescholten und ward der verwegenste Condottiere der Senatspartei, Milo,
von der allgemeinen Begnadigung ausgeschlossen.
Weit schwieriger als die Ordnung dieser im wesentlichen bereits der
Vergangenheit anheimgefallenen Fragen war die Behandlung der im
Augenblick sich gegenüberstehenden Parteien: teils des eigenen
demokratischen Anhangs Caesars, teils der gestürzten Aristokratie. Daß
jener mit Caesars Verfahren nach dem Sieg und mit seiner Aufforderung,
den alten Parteistandpunkt aufzugeben, womöglich noch minder
einverstanden war als diese, versteht sich von selbst. Caesar selbst
wollte wohl im ganzen dasselbe, was Gaius Gracchus im Sinne getragen
hatte; allein die Absichten der Caesarianer waren nicht mehr die der
Gracchaner. Die römische Popularpartei war in immer steigender
Progression aus der Reform in die Revolution, aus der Revolution in die
Anarchie, aus der Anarchie in den Krieg gegen das Eigentum gedrängt
worden; sie feierte unter sich das Andenken der Schreckensherrschaft
und schmückte, wie einst der Gracchen, so jetzt des Catilina Grab mit
Blumen und Kränzen; sie hatte unter Caesars Fahne sich gestellt, weil
sie von ihm das erwartete, was Catilina ihr nicht hatte verschaffen
können. Als nun aber sehr bald sich herausstellte, daß Caesar nichts
weniger sein wollte als der Testamentsvollstrecker Catilinas, daß die
Verschuldeten von ihm höchstens Zahlungserleichterungen und
Prozeßmilderungen zu hoffen hatten, da ward die erbitterte Frage laut,
für wen denn die Volkspartei gesiegt habe, wenn nicht für das Volk? und
fing das vornehme und niedere Gesindel dieser Art vor lauter Ärger über
die fehlgeschlagenen politisch-ökonomischen Saturnalien erst an, mit
den Pompeianern zu liebäugeln, dann sogar während Caesars fast
zweijähriger Abwesenheit von Italien (Januar 706 48 bis Herbst 707 47)
daselbst einen Bürgerkrieg im Bürgerkriege anzuzetteln. Der Prätor
Marcus Caelius Rufus, ein guter Adliger und schlechter
Schuldenbezahler, von einigem Talent und vieler Bildung, als ein
heftiger und redefertiger Mann bisher im Senat und auf dem Markte einer
der eifrigsten Vorkämpfer für Caesar, brachte, ohne höheren Auftrag,
bei dem Volke ein Gesetz ein, das den Schuldnern ein sechsjähriges
zinsfreies Moratorium gewährte, sodann, da man ihm hierbei in den Weg
trat, ein zweites, das gar alle Forderungen aus Darlehen und laufenden
Hausmieten kassiert; worauf der Caesarische Senat ihn seines Amtes
entsetzte. Es war eben die Zeit vor der Pharsalischen Schlacht, und die
Waagschale in dem großen Kampfe schien sich auf die Seite der
Pompeianer zu neigen; Rufus trat mit dem alten senatorischen
Bandenführer Milo in Verbindung und beide stifteten eine
Konterrevolution an, die teils die republikanische Verfassung, teils
Kassation der Forderungen und Freierklärung der Sklaven auf ihr Panier
schrieb. Milo verließ seinen Verbannungsort Massalia und rief in der
Gegend von Thurii die Pompeianer und die Hirtensklaven unter die
Waffen; Rufus machte Anstalt, sich durch bewaffnete Sklaven der Stadt
Capua zu bemächtigen. Allein der letztere Plan ward vor der Ausführung
entdeckt und durch die capuanische Bürgerwehr vereitelt; Quintus
Pedius, der mit einer Legion in das thurinische Gebiet einrückte,
zerstreute die daselbst hausende Bande; und der Fall der beiden Führer
machte dem Skandal ein Ende (706 48). Dennoch fand sich das Jahr darauf
(707 47) ein zweiter Tor, der Volkstribun Publius Dolabella, der,
gleich verschuldet, aber ungleich weniger begabt als sein Vorgänger,
dessen Gesetz über die Forderungen und Hausmieten abermals einbrachte
und mit seinem Kollegen Lucius Trebellius darüber noch einmal - es war
das letzte Mal - den Demagogenkrieg begann; es gab arge Händel zwischen
den, beiderseitigen bewaffneten Banden und vielfachen Straßenlärm, bis
der Kommandant von Italien, Marcus Antonius, das Militär einschreiten
ließ und bald darauf Caesars Rückkehr aus dem Osten dem tollen Treiben
vollständig ein Ziel setzte. Caesar legte diesen hirnlosen Versuchen,
die Catilinarischen Projekte wieder aufzuwärmen, so wenig Gewicht bei,
daß er selbst den Dolabella in Italien duldete, ja nach einiger Zeit
ihn sogar wieder zu Gnaden annahm. Gegen solches Gesindel, dem es nicht
um irgend welche politische Frage, sondern einzig um den Krieg gegen
das Eigentum zu, tun ist, genügt, wie gegen die Räuberbanden, das bloße
Dasein einer starken Regierung; und Caesar war zu groß und zu besonnen,
um mit der Angst, die die italischen Trembleurs vor diesen damaligen
Kommunisten empfanden, Geschäfte zu machen und damit seiner Monarchie
eine falsche Popularität zu erschwindeln.
Wenn Caesar also die gewesene demokratische Partei ihrem schon bis an
die äußerste Grenze vorgeschrittenen Zersetzungsprozeß überlassen
konnte und überließ, so hatte er dagegen gegenüber der bei weitem
lebenskräftigeren ehemaligen aristokratischen Partei durch die gehörige
Verbindung des Niederdrückens und des Entgegenkommens die Auflösung
nicht herbeizuführen - dies vermochte nur die Zeit - sondern sie
vorzubereiten und einzuleiten. Es war das wenigste, daß Caesar, schon
aus natürlichem Anstandsgefühl, es vermied, die gestürzte Partei durch
leeren Hohn zu erbittern, über die besiegten Mitbürger nicht
triumphierte ^2, des Pompeius oft und immer mit Achtung gedachte und
sein vom Volke umgestürztes Standbild am Rathaus bei der Herstellung
des Gebäudes an dem früheren ausgezeichneten Platze wiederum errichten
ließ. Der politischen Verfolgung nach dem Siege steckte Caesar die
möglichst engen Grenzen. Es fand keine Untersuchung statt über die
vielfachen Verbindungen, die die Verfassungspartei auch mit nominellen
Caesarianern gehabt hatte; Caesar warf die in den feindlichen
Hauptquartieren von Pharsalos und Thapsus vorgefundenen Papierstöße
ungelesen ins Feuer und verschonte sich und das Land mit politischen
Prozessen gegen des Hochverrats verdächtige Individuen. Ferner gingen
straffrei aus alle gemeinen Soldaten, die ihren römischen oder
provinzialen Offizieren in den Kampf gegen Caesar gefolgt waren. Eine
Ausnahme ward nur gemacht mit denjenigen römischen Bürgern, die in dem
Heere des numidischen Königs Juba Dienste genommen hatten; ihnen wurde
zur Strafe des Landesverrates das Vermögen eingezogen. Auch den
Offizieren der besiegten Partei hatte Caesar bis zum Ausgang des
spanischen Feldzugs 705 (49) uneingeschränkte Begnadigung gewährt;
allein er überzeugte sich, daß er hiermit zu weit gegangen und daß die
Beseitigung wenigstens der Häupter unvermeidlich sei. Die Regel, die er
von jetzt an zur Richtschnur nahm, war, daß wer nach der Kapitulation
von Ilerda im feindlichen Heere als Offizier gedient oder im Gegensenat
gesessen hatte, wenn er das Ende des Kampfes erlebte, sein Vermögen und
seine politischen Rechte verlor und für Lebenszeit aus Italien verbannt
ward, wenn er das Ende des Kampfes nicht erlebte, wenigstens sein
Vermögen an den Staat fiel, wer aber von diesen früher von Caesar Gnade
angenommen hatte und abermals in den feindlichen Reihen betroffen ward,
damit das Leben verwirkt hatte. In der Ausführung indes wurden diese
Sätze wesentlich gemildert. Todesurteile wurden nur gegen die wenigsten
unter den zahlreichen Rückfälligen wirklich vollstreckt. Bei der
Konfiskation des Vermögens der Gefallenen wurden nicht nur die auf den
einzelnen Massen haftenden Schulden sowie die Mitgiftforderungen der
Witwen wie billig ausgezahlt, sondern auch den Kindern der Toten ein
Teil des väterlichen Vermögens gelassen. Von denjenigen endlich, die
jenen Regeln zufolge Verbannung und Vermögenskonfiskation traf, wurden
nicht wenige sogleich ganz begnadigt oder kamen, wie die zu Mitgliedern
des Senats von Utica gepreßten afrikanischen Großhändler, mit Geldbußen
davon. Aber auch den übrigen ward fast ohne Ausnahme Freiheit und
Vermögen zurückgegeben, wenn sie nur es über sich gewannen, deshalb
bittend bei Caesar einzukommen; manchem, der dessen sich weigerte, wie
zum Beispiel dem Konsular Marcus Marcellus, ward die Begnadigung auch
ungebeten oktroyiert und endlich im Jahre 710 (44) für alle noch nicht
Zurückberufenen eine allgemeine Amnestie erlassen.
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^2 Auch der Triumph nach der später zu erzählenden Schlacht bei Munda
galt wohl nur den zahlreich in dem besiegten Heer dienenden Lusitanern.
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Die republikanische Opposition ließ sich denn begnadigen; aber sie war
nicht versöhnt. Unzufriedenheit mit der neuen Ordnung der Dinge und
Erbitterung gegen den ungewohnten Herrscher waren allgemein. Zu offenem
politischen Widerstand gab es freilich keine Gelegenheit mehr - es kam
kaum in Betracht, daß einige oppositionelle Tribune bei Gelegenheit der
Titelfrage durch demonstratives Einschreiten gegen die, welche Caesar
König genannt hatten, sich die republikanische Märtyrerkrone erwarben;
aber um so entschiedener äußerte der Republikanismus sich als
Gesinnungsopposition und im geheimen Treiben und Wühlen. Keine Hand
regte sich, wenn der Imperator öffentlich erschien. Es regnete
Maueranschläge und Spottverse voll bitterer und treffender Volkssatire
gegen die neue Monarchie. Wo ein Schauspieler eine republikanische
Anspielung wagte, begrüßte ihn der lauteste Beifall. Catos Lob und
Preis war das Modethema der oppositionellen Broschürenschreiber, und
die Schriften derselben fanden nur ein um so dankbareres Publikum, weil
auch die Literatur nicht mehr frei war. Caesar bekämpfte zwar auch
jetzt noch die Republikaner auf dem eigenen Gebiet; er selbst und seine
fähigeren Vertrauten antworteten auf die Catoliteratur mit Anticatonen,
und es ward zwischen den republikanischen und den Caesarischen
Skribenten um den toten Mann von Utica gestritten wie zwischen Troern
und Hellenen um die Leiche des Patroklos; allein es verstand sich von
selbst, daß in diesem Kampfe, in dem das durchaus republikanisch
gestimmte Publikum Richter war, die Caesarianer den kürzeren zogen. Es
blieb nichts übrig, als die Schriftsteller zu terrorisieren; weshalb
denn unter den Verbannten die literarisch bekannten und gefährlichen
Männer, wie Publius Nigidius Figulus und Aulus Caecina, schwerer als
andere die Erlaubnis zur Rückkehr nach Italien erhielten, die in
Italien geduldeten oppositionellen Schriftsteller aber einer
tatsächlichen Zensur unterworfen wurden, die um so peinlicher fesselte,
weil das Maß der zu befürchtenden Strafe durchaus arbiträr war ^3. Das
Wühlen und Treiben der gestürzten Parteien gegen die neue Monarchie
wird zweckmäßiger in einem andern Zusammenhang dargestellt werden; hier
genügt es zu sagen, daß Prätendenten- wie republikanische Aufstände
unaufhörlich im ganzen Umfange des Römischen Reiches gärten, daß die
Flamme des Bürgerkrieges, bald von den Pompeianern, bald von den
Republikanern angefacht, an verschiedenen Orten hell wieder emporschlug
und in der Hauptstadt die Verschwörung gegen das Leben des Herrschers
in Permanenz blieb, Caesar aber durch die Anschläge sich nicht einmal
bewegen ließ, auf die Dauer sich mit einer Leibwache zu umgeben und in
der Regel sich begnügte, die entdeckten Konspirationen durch
öffentliche Anschläge bekannt zu machen. Wie sehr Caesar alle seine
persönliche Sicherheit angehenden Dinge mit gleichgültiger Verwegenheit
zu behandeln pflegte, die ernste Gefahr konnte er doch sich unmöglich
verhehlen, mit der diese Masse Mißvergnügter nicht bloß ihn, sondern
auch seine Schöpfungen bedrohte. Wenn er dennoch, alles Warnens und
Hetzens seiner Freunde nicht achtend, ohne über die Unversöhnlichkeit
auch der begnadigten Gegner sich zu täuschen, mit einer wunderbar
kaltblütigen Energie dabei beharrte, der bei weitem größeren Anzahl
derselben zu verzeihen, so war dies weder ritterliche Hochherzigkeit
einer stolzen, noch Gefühlsmilde einer weichen Natur, sondern es war
die richtige staatsmännische Erwägung, daß überwundene Parteien rascher
und mit minderem Schaden für den Staat innerhalb des Staats sich
absorbieren, als wenn man sie durch Ächtung auszurotten oder durch
Verbannung aus dem Gemeinwesen auszuscheiden versucht. Caesar konnte
für seine hohen Zwecke die Verfassungspartei selbst nicht entbehren,
die ja nicht etwa bloß die Aristokratie, sondern alle Elemente des
Freiheits- und des Nationalsinns innerhalb der italischen Bürgerschaft
in sich schloß; für seine Pläne zur Verjüngung des alternden Staats
bedurfte er der ganzen Masse von Talenten, Bildung, ererbtem und
selbsterworbenem Ansehen, die diese Partei in sich schloß; und wohl in
diesem Sinne mag er die Begnadigung der Gegner den schönsten Lohn des
Siegs genannt haben. So wurden denn zwar die hervorragendsten Spitzen
der geschlagenen Parteien beseitigt; aber den Männern zweiten und
dritten Ranges und namentlich der jüngeren Generation ward die volle
Begnadigung nicht vorenthalten, jedoch ihnen auch nicht gestattet, in
passiver Opposition zu schmollen, sondern dieselben durch mehr oder
minder gelinden Zwang veranlaßt, sich an der neuen Verwaltung tätig zu
beteiligen und Ehren und Ämter von ihr anzunehmen. Wie für Heinrich IV.
und Wilhelm von Oranien so begannen auch für Caesar die größten
Schwierigkeiten erst nach dem Siege. Jeder revolutionäre Sieger macht
die Erfahrung, daß, wenn er nach Überwältigung der Gegner nicht, wie
Cinna und Sulla, Parteihaupt bleibt, sondern wie Caesar, wie Heinrich
IV. und Wilhelm von Oranien, an die Stelle des notwendig einseitigen
Parteiprogramms die Wohlfahrt des Gemeinwesens setzen will,
augenblicklich alle Parteien, die eigene wie die besiegt, sich gegen
das neue Oberhaupt vereinigen; und um so mehr, je größer und reiner
dasselbe seinen neuen Beruf auffaßt. Die Verfassungsfreunde und die
Pompeianer, wenn sie auch mit den Lippen Caesar huldigten, grollten
doch im Herzen entweder der Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die
gesunkene Demokratie war, seit sie begriffen, daß Caesars Zwecke
keineswegs die ihrigen waren, gegen denselben in offenem Aufruhr;
selbst die persönlichen Anhänger Caesars murrten, als sie ihr Haupt
statt eines Condottierstaats eine allen gliche und gerechte Monarchie
gründen und die auf sie treffenden Gewinnportionen durch das
Hinzutreten der Besiegten sich verringern sahen. Diese Ordnung des
Gemeinwesens war keiner Partei genehm und mußte den Genossen nicht
minder als den Gegnern oktroyiert werden. Caesars eigene Stellung war
jetzt in gewissem Sinne gefährdeter als vor dem Siege; aber was er
verlor, gewann der Staat. Indem er die Parteien vernichtete und die
Parteimänner nicht bloß schonte, sondern jeden Mann von Talent oder
auch nur von guter Herkunft, ohne Rücksicht auf seine politische
Vergangenheit, zu Ämtern gelangen ließ, gewann er nicht bloß für seinen
großen Bau alle im Staate vorhandene Arbeitskraft, sondern das
freiwillige oder gezwungene Schaffen der Männer aller Parteien an
demselben Werke führte auch unmerklich die Nation hinüber auf den
neubereiteten Boden. Wenn diese Ausgleichung der Parteien für den
Augenklick nur äußerlicher Art war und dieselben sich für jetzt viel
weniger in der Anhänglichkeit an die neuen Zustände begegneten als in
dem Hasse gegen Caesar, so irrte dies ihn nicht; er wußte es wohl, daß
die Gegensätze doch in solcher äußerlichen Vereinigung sich abstumpfen
und daß nur auf diesem Wege der Staatsmann der Zeit vorarbeitet, welche
freilich allein vermag, solchen Hader schließlich zu sühnen, indem sie
das alte Geschlecht ins Grab legt. Noch weniger fragte er, wer ihn
haßte oder auf Mord gegen ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente
er dem Volke nicht um Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe,
sondern gab die Gunst der Zeitgenossen hin für den Segen der Zukunft
und vor allem für die Erlaubnis, seien Nation retten und verjüngen zu
dürfen.
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^3 Wer alte und neue Schriftstellerbedrängnisse zu vergleichen wünscht,
wird in dem Briefe des Caecina (Cic. ad fam. 6, 7) Gelegenheit dazu
finden.
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Versuchen wir im einzelnen Rechenschaft zu geben von der Überführung
der alten Zustände in die neue Bahn, so ist zunächst daran zu erinnern,
daß Caesar nicht kam um anzufangen, sondern um zu vollenden. Der Plan
zu einer zeitgemäßen Politik, längst von Gaius Gracchus entworfen, war
von seinen Anhängern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist
und Glück, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar, von Haus
aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der Popularpartei,
hatte seit dreißig Jahren deren Schild hoch emporgehalten, ohne je die
Farbe zu wechseln oder auch nur zu decken; er blieb Demokrat auch als
Monarch. Wie er die Erbschaft seiner Partei, abgesehen natürlich von
den catilinarischen und clodischen Verkehrtheiten, unbeschränkt antrat,
der Aristokratie und den echten Aristokraten den bittersten, selbst
persönlichen Haß zollte und die wesentlichen Gedanken der römischen
Demokratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die überseeische
Kolonisation, die allmähliche Nivellierung der unter den Klassen der
Staatsangehörigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die
Emanzipierung der exekutiven Gewalt vom Senat, unverändert festhielt,
so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie im Widerspruch,
daß vielmehr diese erst durch jene zur Vollendung und Erfüllung
gelangte. Denn diese Monarchie war nicht die orientalische Despotie von
Gottes Gnaden, sondern die Monarchie, wie Gaius Gracchus sie gründen
wollte, wie Perikles und Cromwell sie gründeten: die Vertretung der
Nation durch ihren höchsten und unumschränkten Vertrauensmann. Es waren
insofern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen, nicht
eigentlich neue; aber ihm gehört ihre Verwirklichung, die zuletzt
überall die Hauptsache bleibt, und ihm die Großheit der Ausführung, die
selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie hätte schauen können,
überrascht haben möchte und die jeden, dem sie in lebendiger
Wirklichkeit oder im Spiegel der Geschichte entgegengetreten ist,
welcher geschichtlichen Epoche und welcher politischen Farbe immer er
angehöre, je nach dem Maß seiner Fassungskraft für menschliche und
geschichtliche Größe mit tiefer und tieferer Bewegung und Bewunderung
ergriffen hat und ewig ergreifen wird.
Wohl aber wird es gerade hier am Orte sein, das, was der
Geschichtschreiber stillschweigend überall voraussetzt, einmal
ausdrücklich zu fordern und Einspruch zu tun gegen die der Einfalt und
der Perfidie gemeinschaftliche Sitte, geschichtliches Lob und
geschichtlichen Tadel, von den gegebenen Verhältnissen abgelöst, als
allgemein gültige Phrase zu verbrauchen, in diesem Falle das Urteil
über Caesar in ein Urteil über den sogenannten Caesarismus umzudeuten.
Freilich soll die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte die
Lehrmeisterin des laufenden sein; aber nicht in dem gemeinen Sinne, als
könne man die Konjunkturen der Gegenwart in den Berichten über die
Vergangenheit nur einfach wiederaufblättern und aus denselben der
politischen Diagnose und Rezeptierkunst die Symptome und Spezifika
zusammenlesen; sondern sie ist lehrhaft einzig insofern, als die
Beobachtung der älteren Kulturen die organischen Bedingungen der
Zivilisation überhaupt, die überall gleichen Grundkräfte und die
überall verschiedene Zusammensetzung derselben offenbart und statt zum
gedankenlosen Nachahmen vielmehr zum selbständigen Nachschöpfen
anleitet und begeistert. In diesem Sinne ist die Geschichte Caesars und
des römischen Caesarentums, bei aller unübertroffenen Großheit des
Werkmeisters, bei aller geschichtlichen Notwendigkeit des Werkes,
wahrlich eine schärfere Kritik der modernen Autokratie, als eines
Menschen Hand sie zu schreiben vermag. Nach dem gleichen Naturgesetz,
weshalb der geringste Organismus unendlich mehr ist als die
kunstvollste Maschine, ist auch jede noch so mangelhafte Verfassung,
die der freien Selbstbestimmung einer Mehrzahl von Bürgern Spielraum
läßt, unendlich mehr als der genialste und humanste Absolutismus; denn
jene ist der Entwicklung fähig, also lebendig, dieser ist was er ist,
also tot. Dieses Naturgesetz hat auch an der römischen absoluten
Militärmonarchie sich bewährt und nur um so vollständiger sich bewährt,
als sie, unter dem genialen Impuls ihres Schöpfers und bei der
Abwesenheit aller wesentlichen Verwicklungen mit dem Ausland, sich
reiner und freier als irgendein ähnlicher Staat gestaltet hat. Von
Caesar an hielt, wie die späteren Bücher dies darlegen werden und
Gibbon längst es dargelegt hat, das römische Wesen nur noch äußerlich
zusammen und ward nur mechanisch erweitert, während es innerlich eben
mit ihm völlig vertrocknete und abstarb. Wenn in den Anfängen der
Autokratie und vor allem in Caesars eigener Seele noch der
hoffnungsreiche Traum einer Vereinigung freier Volksentwicklung und
absoluter Herrschaft waltet, so hat schon das Regiment der hochbegabten
Kaiser des Julianischen Geschlechts in schrecklicher Weise gelehrt,
inwiefern es möglich ist, Feuer und Wasser in dasselbe Gefäß zu fassen.
Caesars Werk war notwendig und heilsam, nicht weil es an sich Segen
brachte oder auch nur bringen konnte, sondern weil, bei der antiken,
auf Sklavenrum gebauten, von der republikanisch-konstitutionellen
Vertretung völlig abgewandten Volksorganisation und gegenüber der
legitimen, in der Entwicklung eines halben Jahrtausends zum
oligarchischen Absolutismus herangereiften Stadtverfassung, die
absolute Militärmonarchie der logisch notwendige Schlußstein und das
geringste Übel war. Wenn einmal in Virginien und den Carolinas die
Sklavenhalteraristokratie es so weit gebracht haben wird wie ihre
Wahlverwandten in dem sullanischen Rom, so wird dort auch der
Caesarismus vor dem Geist der Geschichte legitimiert sein ^4; wo er
unter andern Entwicklungsverhältnissen auftritt, ist er zugleich eine
Fratze und eine Usurpation. Die Geschichte aber wird sich nicht
bescheiden, dem rechten Caesar deshalb die Ehre zu verkürzen, weil ein
solcher Wahlspruch den schlechten Caesaren gegenüber die Einfalt irren
und der Bosheit zu Lug und Trug Gelegenheit geben kann. Sie ist auch
eine Bibel, und wenn sie so wenig wie diese, weder dem Toren es wehren
kann sie mißzuverstehen, noch dem Teufel sie zu zitieren, so wird auch
sie imstande sein, beides zu ertragen wie zu vergiften.
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^4 Als dies geschrieben wurde, im Jahre 1857, konnte man noch nicht
wissen, wie bald durch den gewaltigsten Kampf und den herrlichsten
Sieg, den die Geschichte des Menschengeschlechts bisher verzeichnet
hat, demselben diese furchtbare Probe erspart und dessen Zukunft der
unbedingten, durch keinen fokalen Cäsarismus auf dir Dauer zu hemmenden
sich selbst beherrschenden Freiheit gesichert werden sollte.
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Die Stellung des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell, zunächst
wenigstens, als Diktatur. Caesar übernahm dieselbe zuerst nach der
Rückkehr aus Spanien im Jahre 705 (49), legte sie aber nach wenigen
Tagen wieder nieder und führte den entscheidenden Feldzug des Jahres
706 (48) lediglich als Konsul - es war dies das Amt, über dessen
Bekleidung zunächst der Bürgerkrieg ausgebrochen war. Aber im Herbst
dieses Jahres, nach der Pharsalischen Schlacht, kam er wieder auf die
Diktatur zurück und ließ sich dieselbe abermals übertragen, zuerst auf
unbestimmte Zeit, jedoch vom 1. Januar 709 (45) an als Jahresamt,
alsdann im Januar oder Februar 710 ^5 (44) auf die Dauer seines Lebens,
so daß er die früher vorbehaltene Niederlegung des Amtes schließlich
ausdrücklich fallen ließ und der Lebenslänglichkeit des Amtes in dem
neuen Titel dictator perpetuus formellen Ausdruck gab. Diese Diktatur,
sowohl jene erste ephemere wie die zweite dauernde, ist nicht die der
alten Verfassung, sondern das nur in dem Namen mit dieser
zusammentreffende höchste Ausnahmeamt nach der Ordnung Sullas; ein Amt,
dessen Kompetenz nicht durch die verfassungsmäßigen Ordnungen über das
höchste Einzelamt, sondern durch besonderen Volksschluß festgestellt
ward und zwar dahin, daß der Inhaber in dem Auftrag, Gesetze zu
entwerfen und das Gemeinwesen zu ordnen, eine rechtlich unumschränkte,
die republikanische Teilung der Gewalten aufhebende Amtsbefugnis
empfing. Es sind nur Anwendungen von dieser allgemeinen Befugnis auf
den einzelnen Fall, wenn dem Machthaber das Recht ohne Befragen des
Senats und des Volkes über Krieg und Frieden zu entscheiden, die
selbständige Verfügung über Heere und Kassen, die Ernennung der
Provinzialstatthalter nach durch besondere Akte übertragen wurden.
Selbst solche Befugnisse, welche außerhalb der magistratischen, ja
außerhalb der Kompetenz der Staatsgewalten überhaupt lagen, konnte
Caesar hiernach von Rechts wegen sich beilegen; und es erscheint fast
als eine Konzession seinerseits, daß er darauf verzichtete, die
Magistrate anstatt der Komitien zu ernennen, und sich darauf
beschränkte, für einen Teil der Prätoren und der niederen Magistrate
ein bindendes Vorschlagsrecht in Anspruch zu nehmen; daß er sich ferner
zu der nach dem Herkommen überhaupt nicht statthaften Kreierung von
Patriziern noch durch besonderen Volksschluß ermächtigen ließ.
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^5 Am 26. Januar 710 ;44) heißt Caesar noch dictator IIII
(Triumphaltafel); am 25. Februar des Jahres war er bereits dictator
perpetuus (Cic. Phil. 2, 34, 87). Vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3.
Aufl.. S. 726.
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Für andere Ämter im eigentlichen Sinn bleibt neben dieser Diktatur kein
Raum. Die Zensur als solche hat Caesar nicht übernommen ^6, wohl aber
die zensorischen Rechte, namentlich das wichtige der Senatorenernennung
in umfassender Weise geübt.
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^6 Die Formulierung jener Diktatur scheint die “Sittenbesserung”
ausdrücklich mithervorgehoben zu haben; aber ein eigenes Amt derart hat
Caesar nicht bekleidet (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S.
705).
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Das Konsulat hat er häufig neben der Diktatur, einmal auch ohne
Kollegen bekleidet, aber keineswegs dauernd an seine Person geknüpft
und den Aufforderungen, dasselbe auf fünf oder gar auf zehn Jahre
nacheinander zu übernehmen, keine Folge gegeben.
Die Oberaufsicht über den Kult brauchte Caesar nicht erst sich
übertragen zu lassen, da er bereits Oberpontifex war. Es versteht sich,
daß auch die Mitgliedschaft des Augurnkollegiums ihm zuteil ward und
überhaupt alte und neue Ehrenrechte in Fülle, wie der Titel eines
Vaters des Vaterlandes, die Benennung seines Geburtsmonats mit dem
Namen, den er nach heute führt, des Julius, und andere, zuletzt in
platte Vergötterung sich verlaufende Manifestationen des beginnenden
Hoftons. Hervorgehoben zu werden verdienen nur zwei Einrichtungen: daß
Caesar den Tribunen des Volkes namentlich in ihrer besonderen
persönlichen Unverletzlichkeit gleichgestellt und daß die
Imperatorenbenennung dauernd an seine Person geknüpft und neben den
sonstigen Amtsbezeichnungen von ihm als Titel geführt ward ^7.
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^7 Caesar führt die Bezeichnung Imperator immer ohne Iterationsziffer
und immer hinter dem Namen an erster Stelle (Römisches Staatsrecht, Bd.
2, 3. Aufl., S. 767, A. 1).
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Für den Verständigen wird es weder dafür eines Beweises bedürfen, daß
Caesar beabsichtigte, die höchste Gewalt dem Gemeinwesen einzufügen,
und zwar nicht nur auf einige Jahre oder auch als persönliches Amt auf
unbestimmte Zeit, etwa wie Sullas Regentschaft, sondern als
wesentliches und bleibendes Organ, noch auch dafür, daß er für die neue
Institution eine entsprechende und einfache Bezeichnung ausersah; denn
wenn es ein politischer Fehler ist, inhaltlose Namen zu schaffen, so
ist es kaum ein geringerer, den Inhalt der Machtfülle ohne Namen
hinzustellen. Nur ist es freilich, teils weil in dieser Übergangszeit
die ephemeren und die bleibenden Bauten sich noch nicht klar
voneinander sondern, teils weil die dem Winke bereits zuvorkommende
Devotion der Klienten den Herrn mit einer ohne Zweifel ihm selbst
widerwärtigen Fülle von Vertrauensdekreten und Ehrengesetzen
überschüttete, nicht leicht festzustellen, welche definitive
Formulierung Caesar im Sinne gehabt hat. Am wenigsten konnte die neue
Monarchie an das Konsulat anknüpfen, schon wegen der von diesem Amt
nicht wohl zu trennenden Kollegialität, es hat auch Caesar offenbar
darauf hingearbeitet, dieses bisher höchste Amt zum leeren Titel
herabzusetzen und späterhin, wenn er es übernahm, dasselbe nicht das
ganze Jahr hindurch geführt, sondern vor dem Ablauf an Personen zweiten
Ranges abgegeben. Die Diktatur tritt praktisch am häufigsten und
bestimmtesten hervor, aber wahrscheinlich nur, weil Caesar sie als das
benutzen wollte, was sie von alters her im Verfassungsorganismus
bedeutet hatte, als außerordentliche Vorstandschaft zur Überwindung
außerordentlicher Krisen. Als Trägerin der neuen Monarchie dagegen
empfahl sie sich wenig, da Exzeptionalität und Unpopularität diesem
Amte einmal anhafteten und es dem Vertreter der Demokratie kaum
zugetraut werden kann, diejenige Form, die der genialste Vorfechter der
Gegenpartei für seine Zwecke geschaffen hatte, für die dauernde
Organisation zu wählen. Bei weitem geeigneter für die Formulierung der
Monarchie erscheint der neue Imperatorenname, schon darum, weil er in
dieser Verwendung ^8 neu ist und kein bestimmter äußerer Anlaß zur
Einführung desselben erhellt. Der neue Wein durfte nicht in alte
Schläuche gefüllt werden: hier ist zu der neuen Sache der neue Name und
in demselben in prägnantester Weise zusammengefaßt, was schon in dem
Gabinischen Gesetz, nur mit minderer Schärfe, die demokratische Partei
als Kompetenz ihres Oberhauptes formuliert hatte: die Konzentrierung
und Perpetuierung der Amtsgewalt (imperium) in der Hand eines vom Senat
unabhängigen Volkshauptes. Auch begegnet auf Caesars Münzen, namentlich
auf denen der letzten Zeit, neben der Diktatur vorwiegend der
Imperatorentitel und scheint in Caesars Gesetz über politische
Verbrechen der Monarch mit diesem Ausdruck bezeichnet worden zu sein.
Es hat denn auch die Folgezeit, wenngleich nicht unmittelbar, die
Monarchie an den Imperatornamen geknüpft. Um diesem neuen Amt zugleich
die demokratische und die religiöse Weihe zu verleihen, beabsichtigte
Caesar wahrscheinlich, mit demselben teils die tribunizische Gewalt,
teils das Oberpontifikat ein für allemal zu verknüpfen.
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^8 In republikanischer Zeit wird der Imperatorname, der den siegreichen
Feldherrn bezeichnet, abgelegt mit dem Ende des Feldzugs; als dauernde
Titulatur erscheint er bei Caesar zuerst.
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Daß die neue Organisation nicht bloß auf die Lebenszeit ihres Stifters
beschränkt bleiben sollte, ist unzweifelhaft; aber derselbe ist nicht
dazu gelangt, die vor allem schwierige Frage der Nachfolge zu
erledigen, und es muß dahingestellt bleiben, ob er die Aufstellung
irgendeiner Form für die Nachfolgerwahl im Sinn gehabt hat, wie sie bei
dem ursprünglichen Königtum bestanden hatte, oder ob er für das höchste
Amt wie die Lebenslänglichkeit, so auch die Erblichkeit hat einführen
wollen, wie dies sein Adoptivsohn späterhin behauptet hat ^9. Es ist
nicht unwahrscheinlich, daß er die Absicht gehabt hat, beide Systeme
gewissermaßen miteinander zu verbinden und die Nachfolge, ähnlich wie
Cromwell und wie Napoleon, in der Weise zu ordnen, daß dem Herrscher
der Sohn in der Herrschaft nachfolgt, wenn er aber keinen Sohn hat oder
der Sohn ihm nicht zur Nachfolge geeignet scheint, der Herrscher in der
Form der Adoption den Nachfolger nach freier Wahl ernennt.
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^9 Daß bei Caesars Lebzeiten das Imperium sowohl wie das Oberpontifikat
für seine agnatische - leibliche oder durch Adoption vermittelte -
Deszendenz durch einen förmlichen legislatorischen Akt erblich gemacht
worden ist, hat Caesar der Sohn als seinen Rechtstitel zur Herrschaft
geltend gemacht. Nach der Beschaffenheit unserer Überlieferung muß die
Existenz eines derartigen Gesetzes oder Senatsbeschlusses entschieden
in Abrede gestellt werden; es bleibt aber wohl möglich, daß Caesar die
Erlassung eines solchen beabsichtigt hat. Vgl. Römisches Staatsrecht,
Bd. 2, 3. Aufl., S. 767, 1106.
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Staatsrechtlich lehnte das neue Imperatorenamt sich an an die Stellung,
welche die Konsuln oder Prokonsuln außerhalb der Bannmeile einnahmen,
so daß zunächst das militärische Kommando, daneben aber auch die
höchste richterliche und folgeweise auch die administrative Gewalt
darin enthalten war ^10. Insofern aber war die Gewalt des Imperators
qualitativ der konsularisch-prokonsularischen überlegen, als jene nicht
nach Zeit und Raum begrenzt, sondern lebenslänglich und auch in der
Hauptstadt wirksam war ^11, als der Imperator nicht, wohl aber der
Konsul, durch gleich mächtige Kollegen gehemmt werden konnte und als
alle im Laufe der Zeit der ursprünglicher. höchsten Amtsgewalt
gesetzten Beschränkungen, namentlich die Verpflichtung der Provokation
stattzugeben und die Ratschläge des Senats zu beachten, für den
Imperator wegfielen. Um es mit einem Worte zu sagen: dies neue
Imperatorenamt war nichts anderes als das wiederhergestellte uralte
Königtum; denn ebenjene Beschränkungen in der zeitlichen und örtlichen
Begrenzung der Gewalt, in der Kollegialität und der für gewisse Fälle
notwendigen Mitwirkung des Rats oder der Gemeinde waren es ja, die den
Konsul vom König unterschieden. Es ist kaum ein Zug der neuen
Monarchie, der nicht in der alten sich wiederfände: die Vereinigung der
höchsten militärischen, richterlichen und administrativen Gewalt in der
Hand des Fürsten; eine religiöse Vorstandschaft über das Gemeinwesen;
das Recht, Verordnungen mit bindender Kraft zu erlassen; die
Herabdrückung des Senats zum Staatsrat; die Wiedererweckung des
Patriziats und der Stadtpräfektur. Aber schlagender noch als diese
Analogien ist die innere Gleichartigkeit der Monarchie des Servius
Tullius und der Monarchie Caesars: wenn jene alten Könige vor. Rom bei
all ihrer Vollgewalt doch Herrn einer freien Gemeinde und eben sie die
Schutzmänner des gemeinen Mannes gegen den Adel gewesen waren, so war
auch Caesar nicht gekommen, um die Freiheit aufzulösen, sondern um sie
zu erfüllen, und zunächst, um das unerträgliche Joch der Aristokratie
zu brechen. Es darf auch nicht befremden, daß Caesar, nichts weniger
als ein politischer Antiquarius, ein halbes Jahrtausend zurückgriff, um
zu seinem neuen Staat das Muster zu finden; denn da das höchste Amt des
römischen Gemeinwesens zu allen Zeiten ein durch eine Anzahl
Spezialgesetze eingeschränktes Königtum geblieben war, war auch der
Begriff des Königtums selbst keineswegs verschollen. Zu den
verschiedensten Zeiten und von sehr verschiedenen Seiten her, in der
Dezemviralgewalt, in der Sullanischen und in seiner eigenen Diktatur,
war man während der Republik praktisch auf denselben zurückgekommen; ja
mit einer gewissen logischen Notwendigkeit trat überall, wo das
Bedürfnis einer Ausnahmegewalt .sich zeigte, im Gegensatz gegen das
gewöhnliche beschränkte das unbeschränkte Imperium hervor, welches eben
nichts anderes war als die königliche Gewalt. Endlich empfahlen auch
äußere Rücksichten dies Zurückgehen auf das ehemalige Königtum. Die
Menschheit gelangt zu Neuschöpfungen unsäglich schwer und hegt darum
die einmal entwickelten Formen als ein heiliges Erbstück. Darum knüpfte
Caesar mit gutem Bedacht an Servius Tullius in ähnlicher Weise an, wie
später Karl der Große an ihn angeknüpft hat und Napoleon an Karl den
Großen wenigstens anzuknüpfen versuchte. Er tat dies auch nicht etwa
auf Umwegen und heimlich, sondern so gut wie seine Nachfahren in
möglichst offenkundiger Weise; es war ja eben der Zweck dieser
Anknüpfung, eine klare, nationale und populäre Formulierung für den
neuen Staat zu finden. Seit alter Zeit standen auf dem Kapitol die
Standbilder derjenigen sieben Könige, welche die konventionelle
Geschichte Roms aufzuführen pflegte; Caesar befahl, daneben das seinige
als das achte zu errichten. Er erschien öffentlich in der Tracht der
alten Könige von Alba. In seinem neuen Gesetz über politische
Verbrechen war die hauptsächlichste Abweichung von dem Sullanischen
die, daß neben die Volksgemeinde und auf eine Linie mit ihr der
Imperator als der lebendige und persönliche Ausdruck des Volkes
gestellt ward. In der für die politischen Eide üblichen Formel ward zu
dem Jovis und den Penaten des römischen Volkes der Genius des Imperator
hinzugefügt. Das äußere Kennzeichen der Monarchie war nach der im
ganzen Altertum verbreiteten Ansicht das Bild des Monarchen auf den
Münzen: seit dem Jahre 710 (44) erscheint auf denen des römischen
Staats der Kopf Caesars. Man konnte hiernach wenigstens darüber sich
nicht beschweren, daß Caesar das Publikum über die Auffassung seiner
Stellung im dunkeln ließ; so bestimmt und so förmlich wie möglich trat
er auf, nicht bloß als Monarch, sondern eben als König von Rom. Möglich
ist es sogar, obwohl nicht gerade wahrscheinlich und auf jeden Fall von
untergeordneter Bedeutung, daß er im Sinne gehabt hat, seine Amtsgewalt
nicht mit dem neuen Imperatoren-, sondern geradezu mit dem alten
Königsnamen zu bezeichnen ^12. Schon bei seinen Lebzeiten waren viele
seiner Feinde wie seine Freunde der Ansicht, daß er beabsichtige, sich
ausdrücklich zum König von Rom ernennen zu lassen; ja einzelne seiner
leidenschaftlichsten Anhänger legten ihm die Aufsetzung der Krone auf
verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Zeiten nahe; am auffallendsten
Marcus Antonius, indem er als Konsul vor allem Volke Caesar das Diadem
darbot (15. Februar 710 44). Caesar aber wies diese Anträge ohne
Ausnahme von der Hand. Wenn er zugleich gegen diejenigen einschritt,
die diese Vorfälle benutzten, um republikanische Opposition zu machen,
so folgt daraus noch keineswegs, daß es ihm mit der Zurückweisung nicht
Ernst war. Die Annahme nun gar, daß diese Aufforderungen auf sein
Geheiß erfolgt seien, um die Menge auf das ungewohnte Schauspiel des
römischen Diadems vorzubereiten, verkennt völlig die gewaltige Macht
der Gesinnungsopposition, mit welcher Caesar zu rechnen hatte und die
durch eine solche öffentliche Anerkennung ihrer Berechtigung von Seiten
Caesars selbst nicht nachgiebiger werden konnte, vielmehr notwendig
dadurch weiteren Boden gewann. Es kann der unberufene Eifer
leidenschaftlicher Anhänger allein diese Auftritte veranlaßt haben; es
kann auch sein, daß Caesar die Szene mit Antonius nur zuließ oder auch
veranstaltete, um durch die vor den Augen der Bürgerschaft erfolgte und
auf seinen Befehl selbst in die Kalender des Staats eingetragene, in
der Tat nicht wohl wieder zurückzunehmende Ablehnung des Königstitels
dem unbequemen Klatsch auf möglichst eklatante Weise ein Ende zu
machen. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Caesar, der den Wert
einer geläufigen Formulierung ebenso würdigte wie die mehr an die Namen
als an das Wesen der Dinge sich heftenden Antipathien der Menge,
entschlossen war, den mit uraltem Bannfluch behafteten und den Römern
seiner Zeit mehr noch für die Despoten des Orients als für ihren Numa
und Servius geläufigen Königsnamen zu vermeiden und das Wesen des
Königtums unter dem Imperatorentitel sich anzueignen.
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^10 Die verbreitete Meinung, die in dem kaiserlichen Imperatorenamt
nichts als die lebenslängliche Reichsfeldherrnwürde sieht, wird weder
durch die Bedeutung des Wortes noch durch die Auffassung der alten
Berichterstatter gerechtfertigt. Imperium ist die Befehlsgewalt,
imperator der Inhaber derselben; in diesen Worten wie in den
entsprechenden griechischen Ausdrucken κράτωρ, αυτοκράτωρ liegt so
wenig eine spezifisch militärische Beziehung, daß es vielmehr eben das
Charakteristische der römischen Amtsgewalt ist, wo sie rein und
vollständig auftritt, Krieg und Prozeß, das ist die militärische und
die bürgerliche Befehlsgewalt, als ein untrennbares Ganze in sich zu
enthalten. Ganz richtig sagt Dio Cassius (53, 17, vgl. 43, 44; 52, 41),
daß der Name Imperator von den Kaisern angenommen ward “zur Anzeige
ihrer Vollgewalt anstatt des Königs- und Diktaturtitels (πρός δήλωσιν
τής αυτοτελούς σφών εξουσίας, αντί τής τού βασιλέως τού τε δικτάτωρος
επικλήσεως); denn diese älteren Titel sind dem Namen nach verschwunden,
der Sache nach aber gibt der Imperatorname dieselben Befugnisse (τό δέ
δή έργον αυτών τή τού αυτοκράτωρος προςηγορία βεβαισύνται), zum
Beispiel das Recht, Soldaten auszuheben, Steuern; auszuschreiben, Krieg
zu erklären und Frieden zu schließen, über Bürger und Nichtbürger in
und außer der Stadt die höchste Gewalt zu üben und jeden an jedem Orte
am Leben oder sonst zu strafen., überhaupt der mit dem höchsten
Imperium in ältester Zeit verbundenen Befugnisse sich anzumaßen”.
Deutlicher kann es wohl nicht gesagt werden, daß imperator eben gar
nichts ist als ein Synonym für rex, so gut wie imperare mit regere
zusammenfällt.
^11 Als Augustus bei Konstituierung des Prinzipats das Caesarische
Imperium wiederaufnahm, geschah dies mit der Beschränkung, daß es
räumlich und in gewissem Sinn auch zeitlich begrenzt sein solle; die
prokonsularische Gewalt der Kaiser, welche nichts ist als ebendies
Imperium, sollte für Rom und Italien nicht zur Anwendung kommen
(Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3, Aufl., S. 854j. Auf diesem Moment
ruht der wesentliche Unterschied des Caesarischen Imperiums und des
Augustfischen Prinzipats, sowie andererseits auf der schon prinzipiell
und mehr noch praktisch unvollständigen Verwirklichung jener Schranke
die reale Gleichheit beider Institutionen.
^12 Über diese Frage läßt sich streiten; dagegen muß die Annahme, daß
es Caesars Absicht gewesen, die Römer als Imperator, die Nichtrömer als
Rex zu beherrschen, einfach verworfen werden. Sie stützt sich einzig
auf die Erzählung, daß in der Senatssitzung, in welcher Caesar ermordet
ward, von einem der Orakelpriester Lucius Cotta ein Sibyllenspruch,
wonach die Parther nur von einem “König” könnten überwunden werden,
habe vorgelegt und infolgedessen der Beschluß gefaßt werden sollen,
Caesar das Königtum über die römischen Provinzen zu übertragen. Diese
Erzählung war allerdings schon unmittelbar nach Caesars Tod in Umlauf.
Allein nicht bloß findet sie nirgends irgendwelche auch nur mittelbare
Bestätigung, sondern sie wird von dem Zeitgenossen Cicero (div. 2, 54,
119) sogar ausdrücklich für falsch erklärt und von den späteren
Geschichtschreibern, namentlich von Sueton (79) und Dio (44, 15) nur
als ein Gerücht berichtet, das sie weit entfernt sind, verbürgen zu
wollen; und sie wird denn auch dadurch nicht besser beglaubigt, daß
Plutarch (Caes. 60, 64; Brut. 10) und Appian (civ. 2, 110) ihrer
Gewohnheit gemäß jener anekdotenhaft, dieser pragmatisierend, sie
wiederholen. Es ist diese Erzählung aber nicht bloß unbezeugt, sondern
auch innerlich unmöglich. Wenn man auch davon absehen will, daß Caesar
zu viel Geist und zu viel politischen Takt hatte, um nach Oligarchenart
wichtige Staatsfragen durch einen Schlag mit der Orakelmaschine zu
entscheiden, so konnte er doch nimmermehr daran denken, den Staat, den
er nivellieren wollte, also förmlich und rechtlich zu spalten.
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Indes wie auch die definitive Titulatur gedacht gewesen sein mag, der
Herr war da, und sogleich richtete denn auch der Hof in obligatem Pomp
und obligater Geschmacklosigkeit und Leerheft sich ein. Caesar erschien
öffentlich statt in dem mit Purpurstreifen verbrämten Gewande der
Konsuln in dem ganzpurpurnen, das im Altertum als das Königskleid galt,
und empfing, auf seinem Goldsessel sitzend, ohne sich von demselben zu
erheben, den feierlichen Zug des Senats. Die Geburtstags-, Sieges- und
Gelübdefeste zu seinen Ehren füllten den Kalender. Wenn Caesar nach der
Hauptstadt kam, zogen die vornehmsten seiner Diener scharenweise auf
weite Strecken ihm entgegen ihn einzuholen. Ihm nahe zu sein fing an so
viel zu bedeuten, daß die Mietpreise in dem von ihm bewohnten
Stadtviertel in die Höhe gingen. Durch die Menge der zur Audienz sich
drängenden Personen ward die persönliche Verhandlung mit ihm so
erschwert, daß Caesar sogar mit seinen Vertrauten vielfach schriftlich
zu verkehren sich genötigt sah und daß auch die Vornehmsten stundenlang
im Vorzimmer zu warten hatten. Man empfand es, deutlicher als es Caesar
selber lieb war, daß man nicht mehr zu einem Mitbürger kam. Es entstand
ein monarchischer Adel, welcher in merkwürdiger Weise zugleich neu und
alt war und aus dem Gedanken entsprang, den Adel der Oligarchie durch
den des Königtums, die Nobilität durch das Patriziat in Schatten zu
stellen. Noch immer bestand die Patrizierschaft, wenngleich ohne
wesentliche ständische Vorrechte, doch als geschlossene Junkergilde
fort; aber da sie keine neuen Geschlechter aufnehmen konnte, war sie im
Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zusammengestorben: nicht mehr als
fünfzehn bis sechzehn Patriziergeschlechter waren zu Caesars Zeit noch
vorhanden. Indem Caesar, selber einem derselben entsprossen, das Recht,
neue patrizische Geschlechter zu kreieren, durch Volksbeschluß dem
Imperator erteilen ließ, gründete er, im Gegensatz zu der
republikanischen Nobilität, den neuen Adel des Patriziats, der alle
Erfordernisse eines monarchischen Adels: altersgrauen Zauber,
vollständige Abhängigkeit von der Regierung und gänzliche
Bedeutungslosigkeit auf das glücklichste vereinigte. Nach allen Seiten
hin offenbarte sich das neue Herrenrum.
Unter einem also tatsächlich unumschränkten Monarchen konnte kaum von
einer Verfassung die Rede sein, geschweige denn von denn Fortbestand
des bisherigen, auf dem gesetzlichen Zusammenwirken der Bürgerschaft,
des Senats und der einzelner. Beamten beruhenden Gemeinwesens. Mit
voller Bestimmtheit ging Caesar zurück auf die Überlieferung der
Königszeit: die Bürgerschaftsversammlung blieb, was sie schon in der
Königszeit gewesen war, neben und mit dem König der höchste und letzte
Ausdruck des souveränen Volkswillens; der Senat ward wieder auf seine
ursprüngliche Bestimmung zurückgeführt, dem Herrn auf dessen Verlangen
Rat zu erteilen; der Herrscher endlich konzentrierte in seiner Person
aufs neue die gesamte Beamtengewalt, so daß es einen anderen
selbständigen Staatsbeamten neben ihm so wenig gab wie neben den
Königen der ältesten Zeit.
Für die Gesetzgebung hielt der demokratische Monarch fest an dem
uralten Satz des römischen Staatsrechts, daß nur die Volksgemeinde in
Gemeinschaft mit dem sie berufenden König vermögend sei, das
Gemeinwesen organisch zu regulieren, und sanktionierte seine
konstitutiven Verfügungen regelmäßig durch Volksschluß. Die freie Kraft
und die sittlich-staatliche Autorität, die das Ja oder Nein jener alten
Wehrmannschaften in sich getragen hatte, ließ sich freilich den
sogenannten Komitien dieser Zeit nicht wiedereinflößen; die Mitwirkung
der Bürgerschaft bei der Gesetzgebung, die in der alten Verfassung
höchst beschränkt, aber wirklich und lebendig gewesen war, war in der
neuen in praktischer Hinsicht ein wesenloser Schatten. Besonderer
beschränkender Maßregeln gegen die Komitien bedurfte es darum auch
nicht; eine vieljährige Erfahrung hatte gezeigt, daß mit diesem
formellen Souverän jede Regierung, die Oligarchie wie der Monarch,
bequem auskam. Nur insofern, als diese Caesarischen Komitien dazu
dienten, die Volkssouveränität prinzipiell festzuhalten und energisch
gegen den Sultanismus zu protestieren, waren sie ein wichtiges Moment
in dem Caesarischen System und mittelbar von praktischer Bedeutung.
Daneben aber wurde, wie nicht bloß an sich klar, sondern auch bestimmt
bezeugt ist, schon von Caesar selbst und nicht erst von seinen
Nachfolgern auch der andere Satz des ältesten Staatsrechts wieder
aufgenommen, daß, was der höchste oder vielmehr einzige Beamte
befiehlt, unbedingt Gültigkeit hat, solange er im Amte bleibt, und die
Gesetzgebung zwar nur dem König und der Bürgerschaft gemeinschaftlich
zukommt, die königliche Verordnung aber, wenigstens bis zum Abgang
ihres Urhebers, dem Gesetz gleichsteht.
Wenn der Demokratenkönig also der Volksgemeinde wenigstens einen
formellen Anteil an der Souveränität zugestand, so war es dagegen
keineswegs seine Absicht, mit der bisherigen Regierung, dem
Senatorenkollegium, die Gewalt zu teilen. Caesars Senat sollte - ganz
anders als der spätere Augusteische - nichts sein als ein höchster
Reichsrat, den er benutzte, um die Gesetze mit ihm vorzuberaten und die
wichtigeren administrativer. Verfügungen durch ihn oder wenigstens
unter seinem Namen zu erlassen, denn es kam freilich auch vor, daß
Senatsbeschlüsse ergingen, von denen selbst von den als bei der
Redaktion gegenwärtig aufgeführten Senatoren keiner eine Ahnung hatte.
Es hatte keine wesentlichen Formschwierigkeiten, den Senat wieder auf
seine ursprüngliche beratende Stellung zurückzuführen, aus der er mehr
tatsächlich als rechtlich herausgetreten war; dagegen war es hier
notwendig, sich vor praktischem Widerstand zu schützen, da der römische
Senat ebenso der Herd der Opposition gegen Caesar war wie der attische
Areopag derjenige gegen Perikles. Hauptsächlich aus diesem Grunde wurde
die Zahl der Senatoren, die bisher höchstens sechshundert im
Normalbestand betragen hatte und durch die letzten Krisen stark
zusammengeschwunden war, durch außerordentliche Ergänzung bis auf
neunhundert gebracht und zugleich, um sie mindestens auf dieser Höhe zu
halten, die Zahl der jährlich zu ernennenden Quästoren, das heißt der
jährlich in den Senat eintretenden Mitglieder, von zwanzig auf vierzig
erhöht ^13. Die außerordentliche Ergänzung des Senats nahm der Monarch
allein vor. Bei der ordentlichen sicherte er einen dauernden Einfluß
sich dadurch, daß die Wahlkollegien durch Gesetz ^14 verpflichtet
wurden, den ersten zwanzig vom Monarchen mit Empfehlungsschreiben
versehenen Bewerbern um die Quästur ihre Stimmen zu geben; überdies
stand es der Krone frei, die an die Quästur oder ein derselben
übergeordnetes Amt geknüpften Ehrenrechte, also namentlich den Sitz im
Senat, ausnahmsweise auch an nichtqualifizierte Individuen zu vergeben.
Die außerordentlichen Ergänzungswahlen fielen natürlich wesentlich auf
Anhänger der neuen Ordnung der Dinge und brachten neben angesehenen
Rittern auch manche zweifelhafte und plebejische Individuen in die hohe
Korporation: ehemalige, durch den Zensor oder infolge eines
Richterspruchs von der Liste gestrichene Senatoren, Ausländer aus
Spanien und Gallien, welche zum Teil erst im Senat ihr Lateinisch zu
lernen hatten, gewesene Unteroffiziere, die bisher nicht einmal den
Ritterring gehabt, Söhne von freigelassenen Leuten oder von solchen,
die unehrenhafte Gewerbe betrieben, und dergleichen Elemente mehr. Die
exklusiven Kreise der Nobilität, denen diese Umgestaltung des
senatorischen Personals natürlich zum bittersten Ärger gereichte, sahen
darin eine absichtliche Herabwürdigung der Institution des Senats
selbst. Einer solchen sich selber vernichtenden Staatskunst war Caesar
nicht fähig; er war ebenso entschlossen, sich nicht von seinem Rat
regieren zu lassen, als überzeugt von der Notwendigkeit des Instituts
an sich. Richtiger hätten sie in diesem Verfahren die Absicht des
Monarchen erkannt, dem Senat seinen bisherigen Charakter der
ausschließlichen Repräsentation des oligarchischen Adels zu nehmen und
ihn wieder zu dem zu machen, was er in der Königszeit gewesen war: zu
einem alle Klassen der Staatsangehörigen durch ihre intelligentesten
Elemente vertretenden und auch den niedrig geborenen und selbst den
fremden Mann nicht mit Notwendigkeit ausschließenden Reichsrat - gerade
wie jene ältesten Könige Nichtbürger, zog Caesar Nichtitaliker in
seinen Senat.
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^13 Nach der früher angenommenen Wahrscheinlichkeitsrechnung würde dies
eine durchschnittliche Gesamtzahl von 1000-1200 Senatoren ergeben.
^14 Dasselbe bezog sich allerdings nur auf die Wahlen für das Jahr 711
(43) und 712 (42) (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 730);
aber gewiß sollte die Einrichtung bleibend werden.
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Wenn hiermit das Regiment der Nobilität beseitigt und ihre Existenz
untergraben, der Senat in seiner neuen Gestalt aber nichts als ein
Werkzeug des Monarchen war, so wurde zugleich in der Verwaltung und
Regierung des Staats die Autokratie in der schärfsten Weise
durchgeführt und die gesamte Exekutive in der Hand des Monarchen
vereinigt. Vor allen Dingen entschied natürlich in jeder irgend
wesentlichen Frage der Imperator in eigener Person. Caesar hat es
vermocht, das persönliche Regiment in einer Ausdehnung durchzuführen,
die für uns geringe Menschen kaum faßlich ist und die doch nicht allein
aus der beispiellosen Raschheit und Sicherheit seines Arbeitens sich
erklärt, sondern außerdem noch begründet ist in einer allgemeineren
Ursache. Wenn wir Caesar, Sulla, Gaius Gracchus, überhaupt die
römischen Staatsmänner durchweg eine unsere Vorstellungen von
menschlicher Arbeitskraft übersteigende Tätigkeit entwickeln sehen, so
liegt die Ursache nicht in der seit jener Zeit veränderten
Menschennatur, sondern in der seit jener Zeit veränderten Organisation
des Hauswesens. Das römische Haus war eine Maschine, in der dem Herrn
auch die geistigen Kräfte seiner Sklaven und Freigelassenen zuwuchsen;
ein Herr, der diese zu regieren verstand, arbeitete gleichsam mit
unzähligen Geistern. Es war das Ideal bürokratischer Zentralisation,
dem unser Kontorwesen zwar mit Eifer nachstrebt, aber doch hinter dem
Urbild ebenso weit zurückbleibt wie die heutige Kapitalherrschaft
hinter dem antiken Sklavensystem. Caesar verstand diesen Vorteil zu
nutzen: wo ein Posten besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, sehen wir
grundsätzlich, soweit irgend andere Rücksichten es gestatten, ihn
denselben mit seinen Sklaven, Freigelassenen, niedrig geborenen
Klienten besetzen. Seine Werke im ganzen zeigen, was ein
organisierendes Genie wie das seinige mit einem solchen Werkzeug
auszurichten vermochte; auf die Frage, wie im einzelnen diese
wunderbaren Leistungen durchgeführt wurden, haben wir keine
hinreichende Antwort - die Bürokratie gleicht der Fabrik auch darin,
daß das geschaffene Werk nicht als das des einzelnen erscheint, der es
gearbeitet hat, sondern als das der Fabrik, die es stempelt. Nur das
ist vollkommen klar, daß Caesar durchaus keinen Gehilfen bei seinem
Werke gehabt hat, der von persönlichem Einfluß auf dasselbe oder auch
nur in den ganzen Plan eingeweiht gewesen wäre; er war nicht nur allein
Meister, sondern er arbeitete auch ohne Gesellen, nur mit Handlangern.
Im einzelnen versteht sich von selbst, daß in den eigentlich
politischen Angelegenheiten Caesar soweit irgend möglich jede
Stellvertretung vermied. Wo sie unumgänglich war, wie denn Caesar
namentlich während seiner häufigen Abwesenheit von Rom eines höheren
Organs daselbst durchaus bedurfte, wurde in bezeichnender Weise hierzu
nicht der legale Stellvertreter des Monarchen, der Stadtpräfekt,
bestimmt, sondern ein Vertrauensmann ohne offiziell anerkannte
Kompetenz, gewöhnlich Caesars Bankier, der kluge und geschmeidige
phönikische Kaufmann Lucius Cornelius Balbus aus Gades. In der
Verwaltung war Caesar vor allem darauf bedacht, die Schlüssel der
Staatskasse, die der Senat nach dem Sturze des Königtums sich
zugeeignet und mittels deren er sich des Regiments bemächtigt hatte,
wiederum an sich zu nehmen und sie nur solchen Dienern anzuvertrauen,
die mit ihrem Kopfe unbedingt und ausschließlich ihm hafteten. Zwar dem
Eigentum nach blieb das Privatvermögen des Monarchen von dem Staatsgut
natürlich streng geschieden; aber die Verwaltung des ganzen Finanz- und
Geldwesens des Staates nahm Caesar in die Hand und führte sie durchaus
in der Art, wie er, und überhaupt die römischen Großen, die Verwaltung
ihres eigenen Vermögens zu führen pflegten. Für die Zukunft wurden die
Erhebung der Provinzialgefälle und in der Hauptsache auch die Leitung
des Münzwesens den Sklaven und Freigelassenen des Imperators übertragen
und die Männer senatorischen Standes davon ausgeschlossen - ein
folgenreicher Schritt, aus dem im Laufe der Zeit der so wichtige
Prokuratorenstand und das “kaiserliche Haus” sich entwickelt haben.
Dagegen von den Statthalterschaften, die, nachdem sie ihre finanziellen
Geschäfte an die neuen kaiserlichen Steuereinnehmer abgegeben, mehr
noch als bisher wesentlich Militärkommandos waren, ging nur das
ägyptische Kommando an die eigenen Leute des Monarchen über. Die in
eigentümlicher Art geographisch isolierte und politisch zentralisierte
Landschaft am Nil war, wie schon die während der letzten Krise mehrfach
vorgekommenen Versuche bedrängter italischer Parteichefs, daselbst sich
festzusetzen, hinreichend bewiesen, wie kein anderer Distrikt geeignet,
unter einem fähigen Führer auf die Dauer sich von der Zentralgewalt
loszumachen. Wahrscheinlich war es eben diese Rücksicht, die Caesar
bestimmte, das Land nicht förmlich zur Provinz zu erklären, sondern die
ungefährlichen Lagiden daselbst zu belassen; und sicher wurden aus
diesem Grunde die in Ägypten stationierenden Legionen nicht einem dem
Senat, das heißt der ehemaligen Regierung angehörigen Manne anvertraut,
sondern dieses Kommando, ähnlich wie die Steuereinnehmerstellen, als
ein Gesindeposten behandelt. Im allgemeinen aber überwog bei Caesar die
Rücksicht, die Soldaten Roms nicht, wie die der Könige des Ostens,
durch Lakaien kommandieren zu lassen. Es blieb Regel, die bedeutenderen
Statthalterschaften mit gewesenen Konsuln, die geringeren mit gewesenen
Prätoren zu besetzen; anstatt des fünfjährigen Zwischenraums, den das
Gesetz von 702 (52) vorgeschrieben, knüpfte wahrscheinlich wieder in
alter Weise der Anfang der Statthalterschaft unmittelbar an das Ende
der städtischen Amtstätigkeit an. Dagegen die Verteilung der Provinzen
unter die qualifizierten Kandidaten, die bisher bald durch Volks- oder
Senatsbeschluß, bald durch Vereinbarung der Beamten oder durch das Los
erfolgt war, ging über an den Monarchen; und indem die Konsuln häufig
veranlaßt wurden, vor Ende des Jahres abzudanken und nachgewählten
Konsuln (consules suffecti) Platz zu machen, ferner die Zahl der
jährlich ernannten Prätoren von acht auf sechzehn erhöht und dem
Imperator die Ernennung der Hälfte derselben in ähnlicher Art wie die
der Hälfte der Quästoren übertragen ward, endlich demselben das Recht
reserviert blieb, zwar nicht Titularkonsuln, aber doch Titularprätoren
wie Titularquästoren zu ernennen, sicherte Caesar sich für die
Besetzung der Statthalterschaften eine hinreichende Zahl ihm genehmer
Kandidaten. Die Abberufung blieb natürlich dem Ermessen des Regenten
anheimgestellt, ebenso wie die Ernennung; als Regel wurde angenommen,
daß der konsularische Statthalter nicht über zwei, der prätorische
nicht über ein Jahr in der Provinz bleiben solle. Was endlich die
Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt anlangt, so beabsichtigte der
Imperator eine Zeitlang offenbar, auch diese in ähnlicher Weise von ihm
ernannten Beamten anzuvertrauen. Er rief die alte Stadtverweserschaft
der Königszeit wieder ins Leben; zu verschiedenen Malen übertrug er
während seiner Abwesenheit die Verwaltung der Hauptstadt einem oder
mehreren solchen von ihm ohne Befragen des Volkes und auf unbestimmte
Zeit ernannten Stellvertretern, welche die Geschäfte der sämtlichen
Verwaltungsbeamten in sich vereinigten und sogar das Recht besaßen, mit
eigenem Namen, obwohl natürlich nicht mit eigenem Bilde, Münze zu
schlagen. In dem Jahre 707 (47) und in den ersten neun Monaten des
Jahres 709 (45) gab es ferner weder Prätoren noch kurulische Ädilen
noch Quästoren; auch die Konsuln wurden in jenem Jahre erst gegen das
Ende ernannt, und in diesem war gar Caesar Konsul ohne Kollegen. Es
sieht dies ganz aus wie ein Versuch, die alte königliche Gewalt auch
innerhalb der Stadt Rom, bis auf die durch die demokratische
Vergangenheit des neuen Monarchen gebotenen Beschränkungen, vollständig
zu erneuern, also von Beamten, außer dem König selbst, nur den
Stadtpräfekten während des Königs Abwesenheit und die zum Schutz der
Volksfreiheit bestellten Tribunen und Volksädilen bestehen zu lassen,
aber das Konsulat, die Zensur, die Prätur, die kurulische Ädilität und
die Quästur wiederabzuschaffen ^15. Indes ging Caesar hiervon später
wieder ab: weder nahm er selbst den Königstitel an, noch tilgte er jene
ehrwürdigen, mit der glorreichen Geschichte der Republik verwachsenen
Namen. Den Konsuln, Prätoren, Ädilen, Tribunen und Quästoren blieb im
wesentlichen ihre bisherige formelle Kompetenz, allein ihre Stellung
ward dennoch gänzlich umgewandelt. Es war der politische Grundgedanke
der Republik, daß das Römische Reich in der Stadt Rom aufgehe, und
deshalb waren konsequent die hauptstädtischen Munizipal- durchaus als
Reichsbeamte behandelt worden. In Caesars Monarchie fiel mit jener
Auffassung auch diese Folge weg; die Beamten Roms bildeten fortan nur
die erste unter den vielen Reichsmunizipalitäten, und namentlich das
Konsulat ward ein reiner Titularposten, der nur durch die daran
geknüpfte Expektanz einer höheren Statthalterschaft eine gewisse
praktische Bedeutung bewahrte. Das Schicksal, das die römische Gemeinde
den unterworfenen zu bereiten gewohnt gewesen, widerfuhr durch Caesar
ihr selber: ihre Souveränität über das Römische Reich verwandelte sich
in eine beschränkte Kommunalfreiheit innerhalb des römischen Staates.
Daß zugleich die Zahl der Prätoren und Quästoren verdoppelt ward, wurde
schon erwähnt; das gleiche geschah hinsichtlich der Volksädilen, zu
denen zwei neue “Getreideädilen” (aediles Ceriales) zur Überwachung der
hauptstädtischen Zufuhr hinzukamen. Die Besetzung dieser Ämter blieb
der Gemeinde und ward hinsichtlich der Konsuln, vielleicht auch der
Volkstribune und der Volksädilen, nicht beschränkt; daß für die Hälfte
der jährlich zu ernennenden Prätoren, kurulischen Ädilen und Quästoren
der Imperator ein die Wähler bindendes Vorschlagsrecht erhielt, ward in
der Hauptsache schon erwähnt. Überhaupt wurden die altheiligen
Palladien der Volksfreiheit nicht angetastet; was natürlich nicht
hinderte, gegen den einzelnen aufsätzigen Volkstribun ernstlich
einzuschreiten, ja ihn abzusetzen und von der Liste der Senatoren zu
streichen. Indem also der Imperator für die allgemeineren und
wichtigeren Fragen sein eigener Minister war; indem er die Finanzen
durch seine Bedienten, das Heer durch seine Adjutanten beherrschte;
indem die alten republikanischen Staatsämter wieder in Gemeindeämter
der Stadt Rom umgewandelt waren, war die Autokratie hinreichend
begründet.
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^15 Daher denn auch die vorsichtigen Wendungen bei Erwähnung dieser
Ämter in Caesars Gesetzen: cum censor aliusve quis magistratus Romae
populi censum aget (Lex Iul. munic., Z. 144); praetor isve quei Romae
iure deicundo praerit (Lex Rubr. oft); quaestor urbanes queive aerario
praerit (Lex Iul. munic., Z. 37 u. ö.).
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In der geistlichen Hierarchie dagegen hat Caesar, obwohl er auch über
diesen Teil des Staatshaushalts ein ausführliches Gesetz erließ, nichts
Wesentliches geneuert, außer daß er das Oberpontifikat und vielleicht
die Mitgliedschaft der höheren Priesterkollegien überhaupt mit der
Person des Regenten verknüpfte; womit es teilweise zusammenhängt, daß
in den drei höchsten Kollegien je eine, in dem vierten der
Schmausherren drei neue Stellen geschaffen wurden. Hatte die römische
Staatskirche bisher der herrschenden Oligarchie zur Stütze gedient, so
konnte sie ebendenselben Dienst auch der neuen Monarchie leisten. Die
konservative Religionspolitik des Senats ging über auf die neuen Könige
von Rom; als der streng konservative Varro um diese Zeit seine
‘Altertümer der göttlichen Dinge’, das Haupt- und Grundbuch der
römischen Staatstheologie, bekannt machte, durfte er dieselben dem
Oberpontifex Caesar zueignen. Der matte Glanz, den der Joviskult noch
zu geben vermochte, umfloß den neugegründeten Thron, und der alte
Landesglaube ward in seinen letzten Stadien das Werkzeug eines freilich
von Haus aus hohlen und schwächlichen Caesaropapismus.
Im Gerichtswesen ward zunächst die alte königliche Gerichtsbarkeit
wiederhergestellt. Wie der König ursprünglich in Kriminal- und
Zivilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen an die Gnadeninstanz des
Volkes, in diesen an die Überweisung der Entscheidung der streitigen
Frage an Geschworene rechtlich gebunden zu sein: so nahm auch Caesar
das Recht in Anspruch, Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger
und endgültiger Entscheidung an sich zu ziehen und sie im Falle seiner
Anwesenheit selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser
zu erledigen. In der Tat finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten
Könige, teils öffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht
sitzen über des Hochverrats angeklagte römische Bürger, teils in seinem
Hause Gericht halten über die des gleichen Vergehens beschuldigten
Klientelfürsten; so daß das Vorrecht, das die römischen Bürger vor den
übrigen Untertanen des Königs voraus hatten, allein in der
Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung bestanden zu haben scheint.
Indes dieses wiedererweckte königliche Oberrichtertum konnte,
wenngleich Caesar mit Unparteilichkeit und Sorgfalt sich demselben
unterzog, doch der Natur der Sache nach tatsächlich nur in
Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Für den gewöhnlichen Rechtsgang in
Kriminal- und Zivilsachen blieb daneben die bisherige republikanische
Rechtspflege im wesentlichen bestehen. Die Kriminalsachen fanden nach
wie vor ihre Erledigung vor den verschiedener, für die einzelnen
Verbrechen kompetenten Geschworenenkommissionen, die Zivilsachen teils
vor dem Erbschafts- oder dem sogenannten “Hundertmännergericht”, teils
vor den Einzelgeschworenen; die Leitung der Gerichte ward, wie bisher,
in der Hauptstadt hauptsächlich von den Prätoren, in den Provinzen von
den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Verbrechen blieben
selbst unter der Monarchie einer Geschworenenkommission überwiesen; die
neue Ordnung, die Caesar für dieselbe erließ, spezifizierte die
gesetzlich strafbaren Handlungen genau und in liberaler, jede
Gesinnungsverfolgung ausschließender Weise und setzte als Strafe nicht
den Tod fest, sondern die Verbannung. Hinsichtlich der Auswahl der
Geschworenen, die die Senatorenpartei ausschließlich aus dem Senat, die
strengen Gracchaner ausschließlich aus dem Ritterstand erkoren wissen
wollten, ließ Caesar, getreu dem Grundsatz der Versöhnung der Parteien,
es bei dem Transaktionsgesetze Cottas, jedoch mit der wahrscheinlich
schon durch das Gesetz des Pompeius vom Jahre 699 (55) vorbereiteten
Modifikation, daß die aus den unteren Schichten des Volkes
hervorgegangenen Ärartribunen beseitigt, damit also ein
Geschworenenzensus von mindestens 400000 Sesterzen (30000 Taler)
festgesetzt ward, und Senatoren und Ritter in die
Geschworenenfunktionen, die so lange der Zankapfel zwischen ihnen
gewesen waren, jetzt sich teilten.
Das Verhältnis der königlichen und der republikanischen Gerichtsbarkeit
war im ganzen konkurrierender Art, so daß jede Sache sowohl vor dem
Königsgericht als vor dem beikommenden republikanischen Gerichtshof
anhängig gemacht werden konnte, wobei im Kollisionsfall natürlich der
letztere zurückstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht den
Spruch gefällt hatte, die Sache damit endgültig erledigt war.
Zur Umstoßung eines in einer Zivil- oder in einer Kriminalsache von den
berufenen Geschworenen gefällten Verdikts war auch der neue Herrscher
nicht befugt, ausgenommen wo besondere Momente, zum Beispiel Bestechung
oder Gewalt, schon nach dem Recht der Republik die Kassation des
Geschworenenspruchs herbeiführten. Dagegen erhielt der Satz, daß wegen
eines jeden bloß magistratischen Dekrets der dadurch Beschwerte an den
Vorgesetzten des Dezernenten zu appellieren befugt sei, wahrscheinlich
schon jetzt die große Ausdehnung, aus der die spätere kaiserliche
Appellationsinstanz hervorgegangen ist: es wurden vielleicht sämtliche
rechtsprechende Magistrate, mindestens aber die Statthalter der
sämtlichen Provinzen insofern als Unterbeamte des Herrschers angesehen,
daß von jedem ihrer Dekrete Berufung an denselben eingelegt werden
konnte.
Allerdings haben diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die
Generalisierung der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den
Besserungen gezählt werden kann, die Schäden, an denen die römische
Rechtspflege daniederlag, keineswegs ausgeheilt. Der Kriminalprozeß
kann in keinem Sklavenstaat gesund sein, da das Verfahren gegen Sklaven
wenn nicht rechtlich, doch tatsächlich in der Hand des Herrn liegt. Der
römische Herr ahndete begreiflicherweise das Verbrechen seines Knechts
durchgängig nicht als solches, sondern nur insofern es den Sklaven ihm
unbrauchbar oder unangenehm machte; die Verbrechersklaven wurden eben
nur ausrangiert, etwa wie die stößigen Ochsen, und, wie diese an den
Schlächter, so jene in die Fechtbude verkauft. Aber auch der
Kriminalprozeß gegen Freie, der von Haus aus politischer Prozeß gewesen
und zum guten Teil immer geblieben war, hatte in dem wüsten Treiben der
letzten Generationen aus einem ernstlichen Rechtshandel sich
umgewandelt in eine mit Gunst, Geld und Gewalt zu schlagende
Cliquenschlacht. Die Schuld lag an allen Beteiligten zugleich, an den
Beamten, der Jury, den Parteien, sogar dem Zuschauerpublikum; aber die
unheilbarsten Wunden schlug dem Rechte das Treiben der Advokaten. Indem
die Schmarotzerpflanze der römischen Advokatenberedsamkeit gedieh,
wurden alle positiven Rechtsbegriffe zersetzt und der dem Publikum so
schwer einleuchtende Unterschied zwischen Meinung und Beweis aus der
römischen Kriminalpraxis recht eigentlich ausgetrieben. “Ein recht
schlechter Angeklagter”, sagt ein vielerfahrener römischer Advokat
dieser Zeit, “kann auf jedes beliebige Verbrechen, das er begangen oder
nicht begangen hat, angeklagt werden und wird sicher verurteilt.” Es
sind aus dieser Epoche zahlreiche Plädoyers in Kriminalsachen erhalten;
kaum eines ist darunter, das auch nur ernstlich versuchte, das
fragliche Verbrechen zu fixieren und den Beweis oder Gegenbeweis zu
formulieren ^16. Daß der gleichzeitige Zivilprozeß ebenfalls vielfach
ungesund war, bedarf kaum der Erwähnung; auch er litt unter den Folgen
der in alles sich mengenden Parteipolitik, wie denn zum Beispiel in dem
Prozeß des Publius Quinctius (671-673 83-81) die widersprechendsten
Entscheidungen fielen, je nachdem Cinna oder Sulla in Rom die Oberhand
hatte; und die Anwälte, häufig Nichtjuristen, stifteten auch hier
absichtlich und unabsichtlich Verwirrung genug. Aber es lag doch in der
Natur der Sache, daß teils die Partei hier nur ausnahmsweise sich
einmengte, teils die Advokatenrabulistik nicht so rasch und nicht so
tief die Rechtsbegriffe aufzulösen vermochte; wie denn auch die
Zivilplädoyers, die wir aus dieser Epoche besitzen, zwar nicht nach
unseren strengeren Begriffen gute Advokatenschriften, aber doch weit
weniger libellistischen und weit mehr juristischen Inhalts sind als die
gleichzeitigen Kriminalreden. Wenn Caesar der Advokatenberedsamkeit den
von Pompeius ihr angelegten Maulkorb ließ oder gar ihn noch
verschärfte, war damit wenigstens nichts verloren; und viel war
gewonnen, wenn besser gewählte und besser beaufsichtigte Beamte und
Geschworene ernannt wurden und die handgreifliche Bestechung und
Einschüchterung der Gerichte ein Ende nahm. Aber das heilige
Rechtsgefühl und die Ehrfurcht vor dem Gesetz, schwer in den Gemütern
der Menge zu zerrütten, sind schwerer noch wiederzuerzeugen. Wie auch
der Gesetzgeber mannigfaltigen Mißbrauch abstellte, den Grundschaden
vermochte er nicht zu heilen; und man durfte zweifeln, ob die Zeit, die
alles Heilbare heilt, hier Hilfe bringen werde.
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^16 “Weit öfter”, sagt Cicero in seiner Anweisung zur Redekunst (De
orat. 2, 42, 178), zunächst in Beziehung auf den Kriminalprozeß,
“bestimmen Abneigung oder Zuneigung oder Parteilichkeit oder
Erbitterung oder Schmerz oder Freude oder Hoffnung oder Furcht oder
Täuschung oder überhaupt eine Leidenschaft den Wahrspruch der Leute als
der Beweis oder die Vorschrift oder eine Rechtsregel oder die
Prozeßinstruktion oder die Gesetze.” Darauf wird denn die weitere
Unterweisung für den angehenden Sachwalter begründet.
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Das römische Heerwesen dieser Zeit war ungefähr in derselben Verfassung
wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die regierenden Klassen
sendeten nur noch die Offiziere; die Untertanenschaft, Plebejer und
Provinzialen, bildeten das Heer. Der Feldherr war von der
Zentralregierung finanziell und militärisch fast unabhängig und im
Glück wie im Unglück wesentlich auf sich selbst und auf die
Hilfsquellen seines Sprengels angewiesen. Bürger- und sogar
Nationalsinn waren aus dem Heere verschwunden und als innerliches Band
einzig der Korpsgeist übriggeblieben. Die Armee hatte aufgehört ein
Werkzeug des Gemeinwesens zu sein; politisch hatte sie einen eigenen
Willen nicht, wohl aber vermochte sie den des Werkmeisters sich
anzueignen; militärisch sank sie unter den gewöhnlichen elenden Führern
zu einer aufgelösten, unbrauchbaren Rotte herab, entwickelte aber auch
unter dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Bürgerheer unerreichbaren
militärischen Vollkommenheit. Der Offiziersstand vor allem war im
tiefsten Verfall. Die höheren Stände, Senatoren und Ritter entwöhnten
immer mehr sich der Waffen. Wenn man sonst um die Stabsoffizierstellen
eifrig geworben hatte, so war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher
dienen mochte, einer Kriegstribunenstelle sicher und schon mußten
manche dieser Posten mit Männern niedrigeren Standes besetzt werden;
wer aber überhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte wenigstens
seine Dienstzeit in Sizilien oder einer anderen Provinz abzutun, wo man
sicher war, nicht vor den Feind zu kommen. Offiziere von gewöhnlicher
Bravour und Brauchbarkeit wurden wie Meerwunder angestaunt; wie denn
namentlich mit Pompeius seine Zeitgenossen eine sie in jeder Hinsicht
kompromittierende militärische Vergötterung trieben. Zum Ausreißen wie
zur Meuterei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der
sträflichen Nachsicht der Kommandierenden waren Anträge auf Kassation
vornehmer Offiziere alltägliche Vorfälle. Noch besitzen wir das von
Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie in seinem
eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen sollte, geflucht und
geweint und an Testamenten und sogar an Urlaubsgesuchen gearbeitet
ward. In der Soldatenschaft war von den besseren Ständen keine Spur
mehr zu entdecken. Gesetzlich bestand die allgemeine Wehrpflicht noch,
allein die Aushebung erfolgte, wenn es neben der Anwerbung dazu kam, in
regelloser Weise; zahlreiche Pflichtige wurden übergangen und die
einmal Eingetretenen dreißig Jahre und länger bei den Adlern
festgehalten. Die römische Bürgerreiterei vegetierte nur noch als eine
Art berittener Nobelgarde, deren salbenduftende Kavaliere und
ausgesuchte Luxuspferde einzig bei den hauptstädtischen Festen eine
Rolle spielten; das sogenannte Bürgerfußvolk war eine aus den
niedrigsten Schichten der Bürgerbevölkerung zusammengeraffte
Lanzknechttruppe; die Untertanen stellten die Reiterei und die leichten
Truppen ausschließlich und fingen an, auch im Fußvolk immer stärker
mitverwendet zu werden. Die Rottenführerstellen in den Legionen, auf
denen bei der damaligen Kriegführung die Tüchtigkeit der Abteilungen
wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen Kriegsverfassung
der Soldat mit der Pike sich empordiente, wurden jetzt nicht bloß
regelmäßig nach Gunst vergeben, sondern sogar nicht selten an den
Meistbietenden verkauft. Die Zahlung des Soldes erfolgte bei der
schlechten Finanzwirtschaft der Regierung und der Feilheit und
Betrügerei der großen Majorität der Beamten höchst mangelhaft und
unregelmäßig.
Die notwendige Folge hiervon war, daß im gewöhnlichen Laufe der Dinge
die römischen Armeen die Provinzen ausraubten, gegen die Offiziere
meuterten und vor dem Feinde davonliefen; es kam vor, daß beträchtliche
Heere, wie das makedonische des Piso im Jahre 697 (57), ohne
eigentliche Niederlage, bloß durch diese Mißwirtschaft vollständig
ruiniert wurden. Fähige Führer dagegen, wie Pompeius, Caesar, Gabinius,
bildeten wohl aus dem vorhandenen Material tüchtige und schlagfertige,
zum Teil musterhafte Armeen; allein es gehörten diese Armeen viel mehr
ihrem Heerführer als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollständigere
Verfall der römischen Marine, die zu allem andern den Römern
antipathisch geblieben und nie völlig nationalisiert worden war, bedarf
kaum der Erwähnung. Es war eben auch hier nach allen Seiten hin unter
dem oligarchischen Regiment ruiniert worden, was überhaupt ruiniert
werden konnte.
Caesars Reorganisation des römischen Militärwesens beschränkte sich im
wesentlichen darauf, die unter der bisherigen schlaffen und unfähigen
Oberleitung gelockerten Zügel der Disziplin wieder straff und fest
anzuziehen. Einer radikalen Reform schien ihm das römische Heerwesen
entweder nicht bedürftig oder auch nicht fähig; die Elemente der Armee
akzeptierte er, ebenwie Hannibal sie akzeptiert hatte. Die Bestimmung
seiner Gemeindeordnung, daß, um vor dem dreißigsten Jahre ein
Gemeindeamt zu bekleiden oder im Gemeinderat zu sitzen, ein
dreijähriger Dienst zu Pferde - das heißt als Offizier - oder ein
sechsjähriger zu Fuß erforderlich sei, beweist wohl, daß er die
besseren Stände in das Heer zu ziehen wünschte, aber ebenso deutlich
auch, daß bei dem immer mehr einreißenden unkriegerischen Geist der
Nation er selbst es nicht mehr für möglich hielt, die Bekleidung eines
Ehrenamtes an die Überstehung der Dienstzeit unbedingt wie ehedem zu
knüpfen. Ebendaraus wird es sich erklären, daß Caesar keinen Versuch
gemacht hat, die römische Bürgerreiterei wiederherzustellen. Die
Aushebung ward besser geordnet, die Dienstzeit geregelt und abgekürzt;
übrigens blieb es dabei, daß die Linieninfanterie vorwiegend aus den
niederen Ständen der römischen Bürgerschaft, die Reiterei und die
leichte Infanterie aus der Untertanenschaft ausgehoben ward - daß für
die Reorganisation der Kriegsflotte nichts geschah, ist auffallend.
Eine ohne Zweifel ihrem Urheber selbst bedenkliche Neuerung, zu der die
Unzuverlässigkeit der Untertanenreiterei zwang, war es, daß Caesar
zuerst von dem altrömischen System abwich, niemals mit Söldnern zu
fechten, und in die Reiterei gemietete Ausländer, namentlich Deutsche,
einstellte. Eine andere Neuerung war die Einsetzung der
Legionsadjutanten (legati legionis). Bis dahin hatten die teils von der
Bürgerschaft, teils von dem betreffenden Statthalter ernannten
Kriegstribune in der Art die Legionen geführt, daß jeder derselben je
sechs vorgesetzt waren und unter diesen das Kommando wechselte; einen
Einzelkommandanten der Legion bestellte nur vorübergehend und
außerordentlicherweise der Feldherr. In späterer Zeit dagegen
erscheinen jene Legionsobersten oder Legionsadjutanten teils als eine
bleibende und organische Institution, teils als ernannt nicht mehr von
dem Statthalter, dem sie gehorchen, sondern von dem Oberkommando in
Rom; beides scheint auf Caesars an das Gabinische Gesetz anknüpfende
Einrichtungen zurückzugehen. Der Grund der Einführung dieser wichtigen
Zwischenstufe in die militärische Hierarchie wird teils in dem
Bedürfnis einer energischen Zentralisierung des Kommandos, teils in dem
fühlbaren Mangel an fähigen Oberoffizieren, teils und vor allem in der
Absicht zu suchen sein, durch Zuordnung eines oder mehrerer vom
Imperator ernannten Obersten dem Statthalter ein Gegengewicht zu geben.
Die wesentlichste Veränderung im Heerwesen bestand in der Aufstellung
eines bleibenden Kriegshauptes in dem Imperator, welcher anstatt des
bisherigen unmilitärischen und in jeder Beziehung unfähigen
Regierungskollegiums das gesamte Armeeregiment in seinen Händen
vereinigte und dasselbe also aus einer meist bloß nominellen Direktion
in ein wirkliches und energisches Oberkommando umschuf. Wir sind nicht
gehörig darüber unterrichtet, in welcher Weise dies Oberkommando sich
zu den bis dahin in ihren Sprengeln allmächtigen Spezialkommandos
stellte. Wahrscheinlich lag dabei im allgemeinen die Analogie des
zwischen dem Prätor und dem Konsul oder auch dem Konsul und dem
Diktator obwaltenden Verhältnisses zu Grunde, so daß der Statthalter
zwar an sich die höchste militärische Gewalt in seinem Sprengel
behielt, aber der Imperator in jedem Augenblick dieselbe ihm ab und sie
für sich oder seine Beauftragten zu nehmen befugt war und daß, während
die Gewalt des Statthalters auf den Sprengel beschränkt war, die des
Imperators wieder, wie die königliche und die ältere konsularische,
sich über das gesamte Reich erstreckte. Ferner ist höchst
wahrscheinlich schon jetzt die Ernennung der Offiziere, sowohl der
Kriegstribune als der Centurionen, soweit sie bisher dem Statthalter
zugestanden ^17, ebenso wie die Ernennung der neuen Legionsadjutanten
unmittelbar an den Imperator gekommen und ebenso mögen schon jetzt die
Anordnung der Aushebungen, die Abschiedserteilung, die wichtigeren
Kriminalfälle an das Oberkommando gezogen worden sein. Bei dieser
Beschränkung der Kompetenz der Statthalter und bei der regulierten
Kontrolle des Imperators war fernerhin nicht leicht, weder eine völlige
Verwahrlosung der Armeen noch eine Umwandlung derselben in persönliche
Gefolgschaften der einzelnen Offiziere zu befürchten. Indes, so
entschieden auch die Verhältnisse zur Militärmonarchie hindrängten und
so bestimmt Caesar das Oberkommando ausschließlich für sich nahm, war
er dennoch keineswegs gesonnen, seine Gewalt durch und auf das Heer zu
begründen. Er hielt zwar eine stehende Armee notwendig für seinen
Staat, aber nur, weil derselbe seiner geographischen Lage nach einer
umfassenden Grenzregulierung und stehender Grenzbesatzungen bedurfte.
Teils in früheren Epochen, teils während des letzten Bürgerkrieges
hatte er an Spaniens Befriedigung gearbeitet und in Afrika längs der
großen Wüste, im Nordwesten des Reiches an der Rheinlinie feste
Stellungen für die Grenzverteidigung eingerichtet. Mit ähnlichen Plänen
beschäftigte er sich für die Landschaften am Euphrat und an der Donau.
Vor allen Dingen gedachte er gegen die Parther zu ziehen und den Tag
von Karrhä zu rächen; er hatte drei Jahre für diesen Krieg bestimmt und
war entschlossen, mit diesen gefährlichen Feinden ein für allemal und
ebenso vorsichtig wie gründlich abzurechnen. Ebenso hatte er den Plan
entworfen, den zu beiden Seiten der Donau gewaltig um sich greifenden
Getenkönig Burebistas anzugreifen und auch im Nordosten Italien durch
ähnliche Marken zu schützen, wie er sie ihm im Keltenland geschaffen.
Dagegen liegen durchaus keine Beweise dafür vor, daß Caesar gleich
Alexander einen Siegeslauf in die unendliche Ferne im Sinn hatte; es
wird wohl erzählt, daß er von Parthien aus an das Kaspische und von
diesem an das Schwarze Meer, sodann an dem Nordufer desselben bis zur
Donau zu ziehen, ganz Skythien und Germanien bis an den - nach
damaliger Vorstellung vom Mittelmeer nicht allzu fernen - nördlichen
Ozean zum Reiche zu bringen und durch Gallien heimzukehren beabsichtigt
habe; allein keine irgend glaubwürdige Autorität verbürgt die Existenz
dieser fabulosen Projekte. Bei einem Staat, der, wie der römische
Caesars, bereits eine schwer zu bewältigende Masse barbarischer
Elemente in sich schloß und mit deren Assimilierung noch auf
Jahrhunderte hinaus mehr als genug zu tun hatte, wären solche
Eroberungen, auch ihre militärische Ausführbarkeit angenommen, doch
nichts gewesen als noch weit glänzendere und noch weit schlimmere
Fehler als die indische Heerfahrt Alexanders. Sowohl nach Caesars
Verfahren in Britannien und Deutschland wie nach dem Verhalten
derjenigen, die die Erben seiner politischen Gedanken wurden, ist es in
hohem Grade wahrscheinlich, daß Caesar, mit Scipio Aemilianus, die
Götter nicht anrief, das Reich zu mehren, sondern es zu erhalten, und
daß seine Eroberungspläne sich beschränkten auf eine, freilich nach
seinem großartigen Maßstab bemessene, Grenzregulierung, welche die
Euphratlinie sichern und anstatt der völlig schwankenden und
militärisch nichtigen nordöstlichen Reichsgrenze die Donaulinie
feststellen und verteidigungsfähig machen sollte. Indes wenn es nur
wahrscheinlich bleibt, daß Caesar nicht in dem Sinne als Welteroberer
bezeichnet werden darf wie Alexander und Napoleon, so ist das
vollkommen gewiß, daß er seine neue Monarchie nicht zunächst auf die
Armee zu stützen, überhaupt nicht die militärische Gewalt über die
bürgerliche zu setzen, sondern sie dem bürgerlichen Gemeinwesen ein-
und soweit möglich unterzuordnen gedachte. Die unschätzbaren Stützen
eines Soldatenstaates, jene alten vielgefeierten gallischen Legionen,
wurden eben wegen ihres mit einem bürgerlichen Gemeinwesen
unverträglichen Korpsgeistes in ehrenvoller Weise annulliert und ihre
ruhmvollen Namen pflanzten nur sich fort in neugegründeten städtischen
Gemeinden. Die von Caesar bei der Entlassung mit Landlosen beschenkten
Soldaten wurden nicht wie die Sullas in eigenen Kolonien gleichsam
militärisch zusammengesiedelt, sondern, namentlich soweit sie in
Italien ansässig wurden, möglichst vereinzelt und durch die ganze
Halbinsel zerstreut; nur war es freilich nicht zu vermeiden, daß auf
den zur Verfügung gebliebenen Teilen des kampanischen Ackers die alten
Soldaten Caesars dennoch in Masse sich zusammenfanden. Der schwierigen
Aufgabe, die Soldaten einer stehenden Armee innerhalb der Kreise des
bürgerlichen Lebens zu halten, suchte Caesar zu genügen teils durch
Festhaltung der bisherigen nur gewisse Dienstjahre, nicht aber einen
eigentlich stehenden, das heißt durch keine Entlassung unterbrochenen
Dienst vorschreibenden Ordnung, teils durch die schon erwähnte
Verkürzung der Dienstzeit, welche einen rascheren Wechsel des
Soldatenpersonals herbeiführte, teils durch regelmäßige Ansiedlung der
ausgedienten Soldaten als Ackerkolonisten, teils und vornehmlich
dadurch, daß die Armee von Italien und überhaupt von den eigentlichen
Sitzen des bürgerlichen und politischen Lebens der Nation ferngehalten
und der Soldat dahin gewiesen ward, wo er nach der Meinung des großen
Königs allein an seinem Platze war: in die Grenzstationen zur Abwehr
des auswärtigen Feindes. Das rechte Kriterium des Militärstaates, die
Entwicklung und Bevorzugung der Gardetruppe, findet ebenfalls bei
Caesar sich nicht. Obwohl in der aktiven Armee das Institut einer
besonderen Leibwache des Feldherrn bereits seit langem bestand, so
tritt diese doch in Caesars Heerführung vollständig in den Hintergrund;
seine prätorische Kohorte scheint wesentlich nur aus
Ordonnanzoffizieren oder nichtmilitärischen Begleitern bestanden zu
haben und niemals ein eigentliches Elitenkorps, also auch niemals
Gegenstand der Eifersucht der Linientruppen gewesen zu sein. Wenn
Caesar schon als Feldherr die Leibwache tatsächlich fallen ließ, so
duldete er um so weniger als König eine Garde um sich. Obwohl
beständig, und ihm wohl bewußt, von Mördern umschlichen, wies er
dennoch den Antrag des Senats auf Errichtung einer Nobelgarde zurück,
entließ, sowie die Dinge einigermaßen sich beruhigten, die spanische
Eskorte, deren er in der ersten Zeit in der Hauptstadt sich bedient
hatte, und begnügte sich mit dem Gefolge von Gerichtsdienern, wie es
für die römischen Oberbeamten hergebracht war. Wie viel auch Caesar von
dem Gedanken seiner Partei und seiner Jugend, ein perikleisches
Regiment in Rom nicht kraft des Säbels, sondern kraft des Vertrauens
der Nation zu begründen, im Kampfe mit den Realitäten hatte müssen
fallen lassen - den Grundgedanken, keine Militärmonarchie zu stiften,
hielt er auch jetzt noch mit einer Energie fest, zu der die Geschichte
kaum eine Parallele darbietet. Allerdings war auch dies ein
unausführbares Ideal - es war die einzige Illusion, in der das
sehnsüchtige Verlangen in diesem starken Geiste mächtiger war als der
klare Verstand. Ein Regiment, wie es Caesar im Sinne trug, war nicht
bloß notwendig höchst persönlicher Natur und mußte mit dem Tode des
Urhebers ebenso zugrunde gehen wie die verwandten Schöpfungen Perikles’
und Cromwells mit dem Tode ihrer Stifter; sondern bei dem tief
zerrütteten Zustand der Nation war es nicht einmal glaublich, daß es
dem achten König von Rom auch nur für seine Lebenszeit gelingen werde,
so wie seine sieben Vorgänger seine Mitbürger bloß kraft Gesetz und
Recht zu beherrschen, und ebensowenig wahrscheinlich, daß es ihm
gelingen werde, das stehende Heer, nachdem es im letzten Bürgerkrieg
seine Macht kennengelernt und die Scheu verlernt hatte, wieder als
dienendes Glied in die bürgerliche Ordnung einzufügen. Wer kaltblütig
erwog, bis zu welchem Grade die Furcht vor dem Gesetz aus den untersten
wie aus den obersten Schichten der Gesellschaft entwichen war, dem
mußte die erstere Hoffnung vielmehr ein Traum dünken; und wenn mit der
Marianischen Reform des Heerwesens der Soldat überhaupt aufgehört hat,
Bürger zu sein, so zeigten die kampanische Meuterei und das
Schlachtfeld von Thapsus mit leidiger Deutlichkeit, in welcher Art
jetzt die Armee dem Gesetze ihren Arm lieh. Selbst der große Demokrat
vermochte die Gewalten, die er entfesselt hatte, nur mühsam und
mangelhaft wieder zu bändigen; Tausende von Schwertern flogen noch auf
seinen Wink aus der Scheide, aber zurück in die Scheide kehrten sie
schon nicht mehr auf seinen Wink. Das Verhängnis ist mächtiger als das
Genie. Caesar wollte der Wiederhersteller des bürgerlichen Gemeinwesens
werden und ward der Gründer der von ihm verabscheuten Militärmonarchie;
er stürzte den Aristokraten- und Bankierstaat im Staate nur, um an
deren Platz den Soldatenstaat im Staate zu setzen, und das Gemeinwesen
blieb wie bisher tyrannisiert und exploitiert von einer privilegierten
Minorität. Aber dennoch ist es ein Privilegium der höchsten Naturen,
also schöpferisch zu irren. Die genialen Versuche großer Männer, das
Ideal zu realisieren, wenn sie auch ihr Ziel nicht erreichen, bilden
den besten Schatz der Nationen. Es ist Caesars Werk, daß der römische
Militärstaat erst nach mehreren Jahrhunderten zum Polizeistaat ward und
daß die römischen Imperatoren, wie wenig sie sonst auch dem großen
Begründer ihrer Herrschaft glichen, doch den Soldaten wesentlich nicht
gegen den Bürger verwandten, sondern gegen den Feind, und Nation und
Armee beide zu hoch achteten, um diese zum Konstabler über jene zu
setzen.
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^17 An die Ernennung eines Teiles der Kriegstribune durch die
Bürgerschaft hat Caesar, auch hierin Demokrat, nicht gerührt.
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Die Ordnung des Finanzwesens machte bei den soliden Grundlagen, die die
ungeheure Größe des Reiches und der Ausschluß des Kreditsystems
gewährten, verhältnismäßig geringe Schwierigkeit. Wenn der Staat bisher
in beständiger Finanzverlegenheit sich befunden hatte, so war daran die
Unzulänglichkeit der Staatseinnahmen am wenigsten schuld; vielmehr
hatten diese eben in den letzten Jahren sich ungemein vermehrt. Zu der
älteren Gesamteinnahme, die auf 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler)
angeschlagen wird, waren durch die Einrichtung der Provinzen
Bithynien-Pontus und Syrien 85 Mill. Sesterzen (6500000 Taler)
gekommen; welcher Zuwachs, nebst den sonstigen neueröffneten oder
gesteigerten Einnahmequellen, namentlich durch den beständig steigenden
Ertrag der Luxusabgaben, den Verlust der kampanischen Pachtgelder weit
überwog. Außerdem waren durch Lucullus, Metellus, Pompeius, Cato und
andere außerordentlicherweise dem Staatsschatz ungeheure Summen
zugeflossen. Die Ursache der finanziellen Verlegenheiten lag vielmehr
teils in den gesteigerten ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben,
teils in der geschäftlichen Verwirrung. Unter jenen nahm die
Getreideverteilung an die hauptstädtische Menge fast unerschwingliche
Summen in Anspruch: durch die von Cato 691 (63) ihr gegebene Ausdehnung
stieg die jährliche Ausgabe dafür auf 30 Mill. Sesterzen (2300000
Taler), und seit Abschaffung der bisher gezahlten Vergütung im Jahre
696 (58) verschlang dieselbe gar den fünften Teil der Staatseinkünfte.
Auch das Militärbudget war gestiegen, seit zu den Besatzungen von
Spanien, Makedonien und den übrigen Provinzen noch die von Kilikien,
Syrien und Gallien hinzukamen. Unter den außerordentlichen Ausgaben
sind in erster Linie die großen Kosten der Flottenrüstungen zu nennen,
wofür zum Beispiel fünf Jahre nach der großen Razzia von 687 (67) auf
einmal 34 Mill. Sesterzen (2600000 Taler) verausgabt wurden. Dazu kamen
die sehr ansehnlichen Summen, welche die Kriegszüge und
Kriegsvorbereitungen wegnahmen, wie denn bloß für Ausrüstung des
makedonischen Heeres an Piso auf einmal 18 Mill. Sesterzen (1370000
Taler), an Pompeius für die Unterhaltung und Besoldung der spanischen
Armee gar jährlich 24 Mill. Sesterzen (1826000 Taler) und ähnliche
Summen an Caesar für die gallischen Legionen gezahlt wurden. So
beträchtlich aber auch diese Ansprüche waren, die an die römische
Staatskasse gemacht wurden, so hätte dennoch dieselbe ihnen zu genügen
vermocht, wenn nicht ihre einst so musterhafte Verwaltung von der
allgemeinen Schlaffheit und Unehrlichkeit dieser Zeit mitergriffen
worden wäre; oft stockten die Zahlungen des Ärars bloß deshalb, weil
man dessen ausstehende Forderungen einzumahnen versäumte. Die
vorgesetzten Beamten, zwei von den Quästoren, junge, jährlich
gewechselte Menschen, verhielten im besten Fall sich passiv; unter dem
früherhin seiner Ehrenhaftigkeit wegen mit Recht hoch angesehenen
Schreiber- und sonstigen Büropersonal waren jetzt, namentlich seit
diese Posten käuflich geworden waren, die ärgsten Mißbräuche im
Schwange.
Sowie indes die Fäden des römischen Staatsfinanzwesens nicht mehr wie
bisher im Senat, sondern in Caesars Kabinett zusammenliefen, kam von
selbst neues Leben, strengere Ordnung und festerer Zusammenhang in alle
Räder und Triebfedern dieser großen Maschine. Die beiden von Gaius
Gracchus herrührenden und Krebsschäden gleich das römische Finanzwesen
zerfressenden Institutionen: die Verpachtung der direkten Abgaben und
die Getreideverteilungen, wurden teils abgeschafft, teils umgestaltet.
Caesar wollte nicht wie sein Vorläufer die Nobilität durch die
Bankieraristokratie und den hauptstädtischen Pöbel in Schach halten,
sondern sie beseitigen und das Gemeinwesen von sämtlichen Parasiten
hohen und niederen Ranges befreien; und darum ging er in diesen beiden
wichtigen Fragen nicht mit Gaius Gracchus, sondern mit dem Oligarchen
Sulla. Das Verpachtungssystem blieb für die indirekten Abgaben
bestehen, bei denen es uralt war und, bei der auch von Caesar
unverbrüchlich festgehaltenen Maxime der römischen Finanzverwaltung,
die Abgabenerhebung um jeden Preis einfach und übersichtlich zu
erhalten, schlechterdings nicht entbehrt werden konnte. Die direkten
Abgaben aber wurden fortan durchgängig entweder, wie die afrikanischen
und sardinischen Korn- und Öllieferungen, behandelt als unmittelbar an
den Staat abzuführende Naturalleistungen, oder, wie die
kleinasiatischen Gefälle, in feste Geldabgaben verwandelt und die
Einziehung der Einzelbeträge den Steuerdistrikten selbst überlassen.
Die Kornverteilungen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht
der herrschenden und, weil sie herrschte, von den Untertanen zu
speisenden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz ward von
Caesar beseitigt; aber es konnte nicht übersehen werden, daß eine Menge
gänzlich unvermögender Bürger lediglich durch diese Speisungen vor dem
Verhungern geschützt worden war. In diesem Sinne hielt Caesar dieselben
fest. Hatte nach der Sempronischen, von Cato wiedererneuerten Ordnung
jeder in Rom angesessene römische Bürger rechtlich Anspruch gehabt auf
unentgeltliches Brotkorn, so wurde diese Empfängerliste, welche zuletzt
bis auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller
wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000
herabgebracht und diese Zahl als Maximalzahl der Freikornstellen ein
für allemal fixiert, zugleich eine jährliche Revision der Liste
angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen Plätze mit
den bedürftigsten unter den Bewerbern wieder zu besetzen. Indem also
das politische Privilegium in eine Armenversorgung umgewandelt ward,
trat ein in sittlicher wie in geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerter
Satz zum erstenmal in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe
zu Stufe ringt die bürgerliche Gesellschaft sich durch zu der
Solidarität der Interessen; im früheren Altertum schützte der Staat die
Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Mörder, aber er war nicht
verpflichtet, durch Verabreichung der notwendigen Subsistenzmittel den
gänzlich hilflosen Mitbürger vor dem schlimmeren Feinde des Mangels zu
bewahren. Die attische Zivilisation ist es gewesen, die in der
Solonischen und nachsolonischen Gesetzgebung zuerst den Grundsatz
entwickelt hat, daß es Pflicht der Gemeinde ist, für ihre Invaliden, ja
für ihre Armen überhaupt zu sorgen; und zuerst Caesar hat, was in der
beschränkten Enge des attischen Lebens Gemeindesache geblieben war, zu
einer organischen Staatsinstitution entwickelt und eine Einrichtung,
die für den Staat eine Last und eine Schmach war, umgeschaffen in die
erste jener heute so unzählbaren wie segensreichen Anstalten, in denen
das unendliche menschliche Erbarmen mit dem unendlichen menschlichen
Elend ringt.
Außer diesen prinzipiellen Reformen fand eine durchgängige Revision des
Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentlichen Einnahmen wurden
überall reguliert und fixiert. Nicht wenigen Gemeinden, ja ganzen
Landschaften ward, sei es mittelbar durch Verleihung des römischen oder
latinischen Bürgerrechts, sei es unmittelbar durch Privilegium, die
Steuerfreiheit bewilligt; so erhielten sie zum Beispiel alle
sizilischen ^18 Gemeinden auf jenem, die Stadt Ilion auf diesem Wege.
Noch größer war die Zahl derjenigen, deren Steuerquantum herabgesetzt
ward; wie denn den Gemeinden im Jenseitigen Spanien schon nach Caesars
Statthalterschaft auf dessen Betrieb eine Steuerherabsetzung vom Senat
bewilligt worden war, und jetzt der am meisten gedrückten Provinz Asia
nicht bloß die Hebung ihrer direkten Steuern erleichtert, sondern auch
der dritte Teil derselben ganz erlassen ward. Die neu hinzukommenden
Abgaben, wie die der in Illyrien unterworfenen und vor allem der
gallischen Gemeinden, welche letztere zusammen 40 Mill. Sesterzen (3
Mill. Taler) jährlich entrichteten, waren durchgängig niedrig
gegriffen. Freilich ward dagegen auch einzelnen Städten, wie
Klein-Leptis in Afrika, Sulci auf Sardinien und mehreren spanischen
Gemeinden, zur Strafe ihres Verhaltens während des letzten Krieges die
Steuer erhöht. Die sehr einträglichen, in den letzten Zeiten der
Anarchie abgeschafften italischen Hafenzölle wurden um so mehr
wiederhergestellt, als diese Abgabe wesentlich die aus dem Osten
eingehenden Luxuswaren traf. Zu diesen neu- oder wiedereröffneten
ordentlichen Einnahmequellen kamen die Summen hinzu, die
außerordentlicherweise, namentlich infolge des Bürgerkrieges, an den
Sieger gelangten: die in Gallien gesammelte Beute; der hauptstädtische
Kassenbestand; die aus den italischen und spanischen Tempeln
entnommenen Schätze, die in Formen der Zwangsanleihe, des
Zwangsgeschenkes oder der Buße von den abhängigen Gemeinden und
Dynasten erhobenen Summen und die in ähnlicher Weise durch Rechtsspruch
oder auch bloß durch Zusendung des Zahlungsbefehls einzelnen reichen
Römern auferlegten Strafgelder; vor allen Dingen aber der Erlös aus dem
Vermögen der geschlagenen Gegner. Wie ergiebig diese Einnahmequellen
waren, mag man daraus abnehmen, daß allein die Buße der afrikanischen
Großhändler, die in dem Gegensenat gesessen, sich auf 100 Mill.
Sesterzen (7½ Mill. Taler) und der von den Käufern des Vermögens des
Pompeius gezahlte Preis auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler) belief.
Dieses Verfahren war notwendig, weil die Macht der geschlagenen
Nobilität zum guten Teil auf ihrem kolossalen Reichtum ruhte und nur
dadurch wirksam gebrochen werden konnte, daß ihr die Tragung der
Kriegskosten auferlegt ward. Die Gehässigkeit der Konfiskationen aber
ward einigermaßen dadurch gemildert, daß Caesar ihren Ertrag allein dem
Staate zugute kommen ließ und, statt in Sullas Weise seinen Günstlingen
jeden Unterschleif nachzusehen, selbst von seinen treuesten Anhängern,
zum Beispiel von Marcus Antonius, die Kaufgelder mit Strenge beitrieb.
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^18 Den Wegfall der sizilischen Zehnten bezeugt Varro in einer nach
Ciceros Tode publizierten Schrift (rust. 2 praef.), indem er als die
Kornprovinzen, aus denen Rom seine Subsistenz entnimmt, nur Afrika und
Sardinien, nicht mehr Sizilien nennt. Die Latinität, wie sie Sizilien
erhielt, muß also wohl die Immunität eingeschlossen haben (vgl.
Römisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 684).
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In den Ausgaben wurde zunächst durch die ansehnliche Beschränkung der
Getreidespenden eine Verminderung erzielt. Die beibehaltene
Kornverteilung an die hauptstädtischen Armen sowie die verwandte, von
Caesar neu eingeführte Öllieferung für die hauptstädtischen Bäder ward
wenigstens zum großen Teil ein- für allemal fundiert auf die
Naturalabgaben von Sardinien und namentlich von Afrika und schied
dadurch aus dem Kassenwesen ganz oder größtenteils aus. Andererseits
stiegen die regelmäßigen Ausgaben für das Militärwesen, teils durch die
Vermehrung des stehenden Heeres, teils durch die Erhöhung der
bisherigen Löhnung des Legionärs, von jährlich 480 (36 Taler) auf
jährlich 900 Sesterzen (68½ Taler). Beides war in der Tat unerläßlich.
Eine ernstliche Grenzverteidigung mangelte ganz und die unerläßliche
Voraussetzung derselben war eine ansehnliche Vermehrung der Armee. Die
Verdoppelung des Soldes hat Caesar wohl benutzt, um seine Soldaten fest
an sich zu ketten, aber nicht aus diesem Grunde als bleibende Neuerung
eingeführt. Der bisherige Sold von 1 1/3 Sesterz (2 Groschen) den Tag
war festgesetzt worden in uralten Zeiten, wo das Geld einen ganz
anderen Wert hatte als in dem damaligen Rom; nur deshalb hatte er bis
in eine Zeit hinein, wo der gemeine Tagelöhner in der Hauptstadt mit
seiner Hände Arbeit täglich durchschnittlich 3 Sesterzen (5 Groschen)
verdiente, beibehalten werden können, weil in diesen Zeiten der Soldat
nicht des Soldes halber, sondern hauptsächlich wegen der größtenteils
unerlaubten Akzidentien des Militärdienstes in das Heer eintrat. Zu
einer ernstlichen Reform des Militärwesens und zur Beseitigung des
meist den Provinzialen aufgebürdeten unregelmäßigen Soldatenverdienstes
war die erste Bedingung eine zeitgemäße Erhöhung der regulären Löhnung;
und die Fixierung derselben auf 2½ Sesterzen (4 Groschen) darf als eine
billige, die dem Ärar dadurch aufgebürdete große Last als eine
notwendige und in ihren Folgen segensreiche betrachtet werden. Von dem
Belauf der außerordentlichen Ausgaben, die Caesar übernehmen mußte oder
freiwillig übernahm, ist es schwer, sich eine Vorstellung zu machen.
Die Kriege selbst fraßen ungeheure Summen; und vielleicht nicht
geringere wurden erfordert, um die Zusicherungen zu erfüllen, die
Caesar während des Bürgerkrieges zu machen genötigt worden war. Es war
ein schlimmes und für die Folgezeit leider nicht verlorenes Beispiel,
daß jeder gemeine Soldat für seine Teilnahme am Bürgerkrieg 20000
Sesterzen (1500 Taler), jeder Bürger der hauptstädtischen Menge für
seine Nichtbeteiligung an demselben als Zulage zum Brotkorn 300
Sesterzen (22 Taler) empfing; Caesar indes, nachdem er einmal in dem
Drange der Umstände sein Wort verpfändet, war zu sehr König, um davon
abzudingen. Außerdem genügte Caesar unzähligen Anforderungen
ehrenhafter Freigebigkeit und machte namentlich für das Bauwesen, das
während der Finanznot der letzten Zeit der Republik schmählich
vernachlässigt worden war, ungeheure Summen flüssig - man berechnete
den Kostenbetrag seiner teils während der gallischen Feldzüge, teils
nachher in der Hauptstadt ausgeführten Bauten auf 160 Mill. Sesterzen
(12 Mill. Taler). Das Gesamtresultat der finanziellen Verwaltung
Caesars ist darin ausgesprochen, daß er durch einsichtige und
energische Reformen und durch die rechte Vereinigung von Sparsamkeit
und Liberalität allen billigen Ansprüchen reichlich und völlig genügte
und dennoch bereits im März 710 (44) in der Kasse des Staats 700, in
seiner eigenen 100 Mill. Sesterzen (zusammen 61 Mill. Taler) bar lagen
- eine Summe, die den Kassenbestand der Republik in ihrer blühendsten
Zeit um das Zehnfache überstieg.
Aber die Aufgabe, die alten Parteien aufzulösen und das neue
Gemeinwesen mit einer angemessenen Verfassung, einer schlagfertigen
Armee und geordneten Finanzen auszustatten, so schwierig sie war, war
nicht der schwierigste Teil von Caesars Werk. Sollte in Wahrheit die
italische Nation wiedergeboren werden, so bedurfte es einer
Reorganisation, die alle Teile des großen Reiches, Rom, Italien und die
Provinzen, umwandelte. Versuchen wir auch hier sowohl die alten
Zustände als auch die Anfänge einer neuen und leidlicheren Zeit zu
schildern.
Aus Rom war der gute Stamm latinischer Nation längst völlig
verschwunden. Es liegt in den Verhältnissen, daß die Hauptstadt ihr
munizipales und selbst ihr nationales Gepräge schneller verschleift als
jedes untergeordnete Gemeinwesen. Hier scheiden die höheren Klassen
rasch aus dem städtischen Gemeinleben aus, um mehr in dem ganzen Staate
als in einer einzelnen Stadt ihre Heimat zu finden; hier konzentriert
sich unvermeidlich die ausländische Ansiedlung, die fluktuierende
Bevölkerung von Vergnügens- und Geschäftsreisenden, die Masse des
müßigen, faulen, verbrecherischen, ökonomisch und moralisch bankrotten
und eben darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in
hervorragender Weise Anwendung. Der wohlhabende Römer betrachtete sein
Stadthaus häufig nur als ein Absteigequartier. Indem aus der
städtischen Munizipalität die Reichsämter hervorgingen, das städtische
Vogtding die Versammlung der Reichsbürger ward, kleinere, sich selber
regierende Bezirks- oder sonstige Gemeinschaften innerhalb der
Hauptstadt nicht geduldet wurden, hörte jedes eigentliche Kommunalleben
für Rom auf. Aus dem ganzen Umfange des weitumfassenden Reiches strömte
man nach Rom, um zu spekulieren, zu debauchieren, zu intrigieren, zum
Verbrecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des
Gesetzes sich zu verbergen. Diese Übel gingen aus dem hauptstädtischen
Wesen gewissermaßen mit Notwendigkeit hervor; andere, mehr zufällige
und vielleicht noch ernstere gesellten sich dazu. Es hat vielleicht nie
eine Großstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; teils
die Einfuhr, teils die häusliche Fabrikation durch Sklaven machten hier
jede freie Industrie von vornherein unmöglich. Die nachteiligen Folgen
des Grundübels der Staatenbildung im Altertum überhaupt, des
Sklavensystems, traten in der Hauptstadt schärfer als irgendwo sonst
hervor. Nirgends häuften solche Sklavenmassen sich an wie in den
hauptstädtischen Palästen der großen Familien oder der reichen
Emporkömmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der hauptstädtischen
Sklavenschaft die Nationen dreier Weltteile, Syrer, Phryger und andere
Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer
zahlreicher einströmenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit
unzertrennliche Demoralisation und der scheußliche Widerspruch des
formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum Vorschein
bei dem halb oder ganz gebildeten, gleichsam vornehmen Stadtsklaven als
bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich dem gefesselten Stier in
Ketten bestellte. Schlimmer noch als die Sklavenmassen waren die der
rechtlich oder auch bloß tatsächlich freigegebenen Leute, ein Gemisch
bettelhaften Gesindels und schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sklaven
und doch nicht völlig Bürger, ökonomisch und selbst rechtlich von ihrem
Herrn abhängig und doch mit den Ansprüchen freier Männer; und eben die
Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es
Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine
Handwerk fast ganz in ihren Händen waren. Ihr Einfluß auf die Wahlen
wird ausdrücklich bezeugt; und daß sie auch bei den Straßenkrawallen
voran waren, zeigt schon das gewöhnliche Signal, wodurch diese von den
Demagogen gleichsam angesagt wurden, die Schließung der Buden und
Verkaufslokale. Zu allem dem kam, daß die Regierung nicht bloß nichts
tat, um dieser Korrumpierung der hauptstädtischen Bevölkerung
entgegenzuwirken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zuliebe ihr
Vorschub leistete. Die verständige Gesetzvorschrift, welche dem wegen
Kapitalverbrechens verurteilten Individuum den Aufenthalt in der
Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht zur
Ausführung gebracht. Die dringend nahegelegte polizeiliche Überwachung
der Assoziation des Gesindels ward anfangs vernachlässigt, späterhin
als freiheitswidrige Volksbeschränkung sogar für strafbar erklärt. Die
Volksfeste hatte man so anwachsen lassen, daß die sieben ordentlichen
allein, die römischen, die plebejischen, die der Göttermutter, der
Ceres, des Apoll, der Flora und der Victoria, zusammen zweiundsechzig
Tage währten, wozu dann noch die Fechterspiele und unzählige andere
außerordentliche Lustbarkeiten kamen. Die bei einem solchen, durchaus
von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unumgängliche Fürsorge
für niedrige Getreidepreise ward mit dem gewissenlosesten Leichtsinn
gehandhabt, und die Preisschwankungen des Brotkorns waren fabelhafter
und unberechenbarer Art ^19. Endlich, die Getreideverteilungen luden
das gesamte nahrungslose und arbeitsscheue Bürgerproletariat offiziell
ein, seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge Saat
und die Ernte entsprach ihr. Das Klub- und Bandenwesen auf dem
politischen Gebiet, auf dem religiösen der Isisdienst und der
gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln. Man war
beständig im Angesicht einer Teuerung und nicht selten in voller
Hungersnot. Nirgends war man seines Lebens weniger sicher als in der
Hauptstadt: der gewerbsmäßig betriebene Banditenmord war das einzige
derselben eigene Handwerk; es war die Einleitung zur Ermordung, daß das
Schlachtopfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne
bewaffnetes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die äußere
Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerrüttung und schien
eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment. Für die
Regulierung des Tiberstromes ward nichts getan; kaum daß man die
einzige Brücke, mit der man immer noch sich behalf, wenigstens bis zur
Tiberinsel von Stein aufführen ließ. Für die Planierung der
Siebenhügelstadt war ebensowenig etwas geschehen, außer wo etwa die
Schutthaufen ausgeglichen hatten. Die Straßen gingen eng und winkelig
Hügel auf und ab und waren elend gehalten, die Trottoirs schmal und
schlecht gepflastert. Die gewöhnlichen Häuser waren von Ziegeln ebenso
liederlich wie schwindelnd hoch gebaut, meistens von spekulierenden
Baumeistern für Rechnung der kleinen Besitzer, wobei jene steinreich,
diese zu Bettlern wurden. Wie einzelne Inseln in diesem Meer von
elenden Gebäuden erschienen die glänzenden Paläste der Reichen, die den
kleinen Häusern ebenso den Raum verengten wie ihre Besitzer den kleinen
Leuten ihr Bürgerrecht im Staat und neben deren Marmorsäulen und
griechischen Statuen die verfallenden Tempel mit ihren großenteils noch
holzgeschnitzten Götterbildern eine traurige Figur machten. Von einer
Straßen-, einer Ufer-, Feuer- und Baupolizei war kaum die Rede; wenn
die Regierung um die alljährlich eintretenden Überschwemmungen,
Feuersbrünste und Häusereinstürze überhaupt sich bekümmerte, so geschah
es, um von den Staatstheologen Bericht und Bedenken über den wahren
Sinn solcher Zeichen und Wunder zu begehren. Man versuche sich ein
London zu denken mit der Sklavenbevölkerung von New Orleans, mit der
Polizei von Konstantinopel, mit der Industrielosigkeit des heutigen Rom
und bewegt von einer Politik nach dem Muster der Pariser von 1848, und
man wird eine ungefähre Vorstellung von der republikanischen
Herrlichkeit gewinnen, deren Untergang Cicero und seine Genossen in
ihren Schmollbriefen betrauern.
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^19 In dem Produktionsland Sizilien ward der römische Scheffel
innerhalb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne
danach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen mußten, das von
überseeischem Korn lebte und der Sitz der Spekulanten war.
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Caesar trauerte nicht, aber er suchte zu helfen, soweit zu helfen war.
Rom blieb natürlich, was es war, eine Weltstadt. Der Versuch ihm
wiederum einen spezifisch italischen Charakter zu geben, wäre nicht
bloß unausführbar gewesen, sondern hätte auch in Caesars Plan nicht
gepaßt. Ähnlich wie Alexander für sein griechisch-orientalisches Reich
eine angemessene Hauptstadt in dem hellenisch-jüdisch-ägyptischen und
vor allem kosmopolitischen Alexandreia fand, so sollte auch die im
Mittelpunkt des Orients und Okzidents gelegene Hauptstadt des neuen
römisch-hellenischen Weltreichs nicht eine italische Gemeinde sein,
sondern die denationalisierte Kapitale vieler Nationen. Darum duldete
es Caesar, daß neben dem Vater Jovis die neu angesiedelten ägyptischen
Götter verehrt wurden, und gestattete sogar den Juden die freie Übung
ihres seltsam fremdartigen Rituals auch in der Hauptstadt des Reiches.
Wie widerlich bunt immer die parasitische, namentlich
hellenisch-orientalische Bevölkerung in Rom sich mischte, er trat ihrer
Ausbreitung nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, daß er bei seinen
hauptstädtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloß in lateinischer und
griechischer, sondern auch in anderen Zungen, vermutlich in
phönikischer, hebräischer, syrischer, spanischer aufführen ließ.
Aber wenn Caesar den Grundcharakter der Hauptstadt so, wie er ihn fand,
mit vollem Bewußtsein akzeptierte, so wirkte er doch energisch hin auf
die Besserung der daselbst obwaltenden kläglichen und schimpflichen
Zustände. Leider waren eben die Grundübel am wenigsten austilgbar. Die
Sklaverei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht
abstellen; es muß dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht
haben würde, die Sklavenbevölkerung in der Hauptstadt wenigstens zu
beschränken, wie er dies auf einem anderen Gebiete unternahm.
Ebensowenig vermochte Caesar eine freie hauptstädtische Industrie aus
dem Boden zu zaubern; doch halfen die ungeheuren Bauten der
Nahrungslosigkeit daselbst einigermaßen ab und eröffneten dem
Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehrlichen Erwerbes. Dagegen
wirkte Caesar energisch darauf hin, die Masse des freien Proletariats
zu vermindern. Der stehende Zufluß von solchen, die die Getreidespenden
nach Rom führten, ward durch Verwandlung derselben in eine auf eine
feste Kopfzahl beschränkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopfte
^20, doch sehr wesentlich beschränkt. Unter dem vorhandenen Proletariat
räumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden, mit
unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten,
andererseits die umfassende überseeische Kolonisation; von den 80000
Kolonisten, die Caesar in den wenigen Jahren seiner Regierung über das
Meer führte, wird ein sehr großer Teil den unteren Schichten der
hauptstädtischen Bevölkerung entnommen sein, wie denn die meisten
korinthischen Ansiedler Freigelassene waren. Daß in Abweichung von der
bisherigen Ordnung, die dem Freigelassenen jedes städtische Ehrenamt
verschloß, Caesar ihnen in seinen Kolonien die Türe des Rathauses
eröffnete, geschah ohne Zweifel, um die besser gestellten von ihnen für
die Auswanderung zu gewinnen. Diese Auswanderung muß aber auch mehr
gewesen sein als eine bloß vorübergehende Veranstaltung; Caesar,
überzeugt wie jeder andere verständige Mann, daß die einzige wahrhafte
Hilfe gegen das Elend des Proletariats in einem wohlregulierten
Kolonisierungssystem besteht, und durch die Beschaffenheit des Reiches
in den Stand gesetzt, dasselbe in fast ungemessener Ausdehnung zu
verwirklichen, wird die Absicht gehabt haben, hiermit dauernd
fortzufahren und dem stets wieder sich erzeugenden Übel einen
bleibenden Abzug zu eröffnen. Maßregeln wurden ferner ergriffen, um den
argen Preisschwankungen der wichtigsten Nahrungsmittel auf den
hauptstädtischen Märkten Grenzen zu setzen. Die neu geordneten und
liberal verwalteten Staatsfinanzen lieferten hierzu die Mittel und zwei
neu ernannte Beamte, die Getreideädilen, übernahmen die spezielle
Beaufsichtigung der Lieferanten und des Marktes der Hauptstadt. Dem
Klubwesen wurde wirksamer, als es durch Prohibitivgesetze möglich war,
gesteuert durch die veränderte Verfassung, indem mit der Republik und
den republikanischen Wahlen und Gerichten die Bestechung und
Vergewaltigung der Wahl- und Richterkollegien, überhaupt die
politischen Saturnalien der Kanaille von selbst ein Ende hatten.
Außerdem wurden die durch das Clodische Gesetz ins Leben getretenen
Verbindungen aufgelöst und das ganze Assoziationswesen unter die
Oberaufsicht der Regierungsbehörden gestellt. Mit Ausnahme der
althergebrachten Zünfte und Vergesellschaftungen, der religiösen
Vereinigungen der Juden und anderer besonders ausgenommener Kategorien,
wofür die einfache Anzeige an den Senat genügt zu haben scheint, wurde
die Erlaubnis, eine bleibende Gesellschaft mit festen
Versammlungsfristen und stehenden Einschüssen zu konstituieren, an eine
vom Senat und regelmäßig wohl erst nach eingeholter Willensmeinung des
Monarchen zu erteilende Konzession geknüpft. Dazu kam eine strengere
Kriminalrechtspflege und eine energische Polizei. Die Gesetze,
namentlich hinsichtlich des Verbrechens der Vergewaltigung, wurden
verschärft und die unvernünftige Bestimmung des republikanischen
Rechts, daß der überwiesene Verbrecher befugt sei, durch
Selbstverbannung einem Teil der verwirkten Strafe sich zu entziehen,
wie billig beseitigt. Das detaillierte Regulativ, das Caesar über die
hauptstädtische Polizei erließ, ist großenteils noch erhalten und es
kann, wer da will, sich überzeugen, daß der Imperator es nicht
verschmähte, die Hausbesitzer zur Instandsetzung der Straßen und zur
Pflasterung der Trottoirs in ihrer ganzen Breite mit behauenen Steinen
anzuhalten und geeignete Bestimmungen über das Tragen der Sänften und
das Fahren der Wagen zu erlassen, die bei der Beschaffenheit der
Straßen nur zur Abend- und Nachtzeit in der Hauptstadt frei zirkulieren
durften. Die Oberaufsicht über die Lokalpolizei blieb wie bisher
hauptsächlich den vier Ädilen, welche, wenn nicht schon früher,
wenigstens jetzt angewiesen wurden, jeder einen bestimmt abgegrenzten
Polizeidistrikt innerhalb der Hauptstadt zu überwachen. Endlich das
hauptstädtische Bauwesen und die damit zusammenhängende Fürsorge für
die gemeinnützigen Anstalten überhaupt nahm durch Caesar, der die
Baulust des Römers und des Organisators in sich vereinigte, plötzlich
einen Aufschwung, der nicht bloß die Mißwirtschaft der letzten
anarchischen Zeiten beschämte, sondern auch alles, was die römische
Aristokratie in ihrer besten Zeit geleistet hatte, so weit hinter sich
ließ wie Caesars Genie das redliche Bemühen der Marcier und der
Aemilier. Es war nicht bloß die Ausdehnung der Bauten an sich und die
Größe der darauf verwandten Summen, durch die Caesar seine Vorgänger
übertraf, sondern der echt staatsmännische und gemeinnützige Sinn, der
das, was Caesar für die öffentlichen Anstalten Roms tat, vor allen
ähnlichen Leistungen auszeichnet. Er baute nicht, wie seine Nachfolger,
Tempel und sonstige Prachtgebäude, sondern er entlastete den Markt von
Rom, auf dem sich immer noch die Bürgerversammlungen, die
Hauptgerichtsstätten, die Börse und der tägliche Geschäftsverkehr wie
der tägliche Müßiggang zusammendrängten, wenigstens von den
Versammlungen und den Gerichten, indem er für jene eine neue
Dingstätte, die Saepta Iulia auf dem Marsfeld, für diese einen
besonderen Gerichtsmarkt, das Forum Iulium zwischen Kapitol und
Palatin, anlegen ließ. Verwandten Geistes ist die von ihm herrührende
Einrichtung, daß den hauptstädtischen Bädern jährlich 3 Millionen Pfund
Öl, größtenteils aus Afrika, geliefert und diese dadurch in den Stand
gesetzt wurden, den Badenden das zum Salben des Körpers erforderliche
Öl unentgeltlich zu verabfolgen - eine nach der alten wesentlich auf
Baden und Salben gegründeten Diätetik höchst zweckmäßige Maßregel der
Reinlichkeits- und Gesundheitspolizei. Indes diese großartigen
Einrichtungen waren nur die ersten Anfänge einer vollständigen
Umwandlung Roms. Bereits waren die Entwürfe gemacht zu einem neuen
Rathaus, einem neuen prachtvollen Basar, einem mit dem Pompeischen
wetteifernden Theater, einer öffentlichen lateinischen und griechischen
Bibliothek nach dem Muster der kürzlich zugrunde gegangenen von
Alexandreia - die erste Anstalt derart in Rom -, endlich zu einem
Tempel des Mars, der an Reichtum und Herrlichkeit alles bisher
Dagewesene überboten haben würde. Genialer noch war der Gedanke, einmal
durch die Pomptinischen Sümpfe einen Kanal zu legen und deren Wasser
nach Tarracina abzuleiten, sodann den unteren Lauf des Tiberstroms zu
ändern und ihn von dem heutigen Ponte Molle an, statt zwischen dem
Vaticanischen und dem Marsfelde hindurch, vielmehr um das Vaticanische
Feld und das Ianiculum herum nach Ostia zu führen, wo die schlechte
Reede einem vollgenügenden Kunsthafen Platz machen sollte. Durch diesen
Riesenplan wurde einerseits der gefährlichste Feind der Hauptstadt, die
böse Luft der Nachbarschaft, gebannt, andrerseits auf einen Schlag die
äußerst beschränkte Baugelegenheit in der Hauptstadt in der Art
erweitert, daß das damit auf das linke Tiberufer verlegte Vaticanische
Feld an die Stelle des Marsfeldes treten und das geräumige Marsfeld für
öffentliche und Privatbauten verwendet werden konnte, während sie
zugleich den so schmerzlich vermißten sicheren Seehafen erhielt. Es
schien, als wolle der Imperator Berge und Flüsse versetzen und mit der
Natur selber den Wettlauf wagen. Indessen so sehr auch durch die neue
Ordnung die Stadt Rom an Bequemlichkeit und Herrlichkeit gewann, ihre
politische Suprematie ging ihr, wie schon gesagt ward, durch
ebendieselbe unwiderbringlich verloren. Daß der römische Staat mit der
Stadt Rom zusammenfalle, war zwar im Laufe der Zeit immer unnatürlicher
und verkehrter geworden; aber der Satz war doch so innig mit dem Wesen
der römischen Republik verwachsen, daß er nicht vor dieser selbst
zugrunde gehen konnte. Erst in dem neuen Staate Caesars ward er, etwa
mit Ausnahme einiger legaler Fiktionen, vollständig beseitigt und das
hauptstädtische Gemeinwesen rechtlich auf eine Linie mit allen übrigen
Munizipalitäten gestellt; wie denn Caesar, hier wie überall bemüht,
nicht bloß die Sache zu ordnen, sondern auch sie offiziell bei dem
rechten Namen zu nennen, seine italische Gemeindeordnung, ohne Zweifel
absichtlich, zugleich für die Hauptstadt und für die übrigen
Stadtgemeinden erließ. Man kann hinzufügen, daß Rom, eben weil es eines
lebendigen Kommunalwesens als Hauptstadt nicht fähig war, hinter den
übrigen Munizipalitäten der Kaiserzeit sogar wesentlich zurückstand.
Das republikanische Rom war eine Räuberhöhle, aber zugleich der Staat;
das Rom der Monarchie, obwohl es mit allen Herrlichkeiten dreier
Weltteile sich zu schmücken und in Gold und Marmor zu schimmern begann,
war doch nichts im Staate als das Königsschloß in Verbindung mit dem
Armenhaus, das heißt ein notwendiges übel.
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^20 Es ist nicht ohne Interesse, daß ein späterer, aber einsichtiger
politischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius’ Namen
an Caesar gerichteten Briefe, diesem den Rat erteilt, die
hauptstädtische Getreideverteilung in die einzelnen Munizipien zu
verlegen. Die Kritik hat ihren guten Sinn; wie denn bei der großartigen
munizipalen Waisenversorgung unter Traian offenbar ähnliche Gedanken
gewaltet haben.
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Wenn es in der Hauptstadt sich nur darum handelte, durch polizeiliche
Ordnungen im größten Maßstab handgreifliche Übelstände hinwegzuräumen,
so war es dagegen eine bei weitem schwierigere Aufgabe, der tief
zerrütteten italischen Volkswirtschaft aufzuhelfen. Die Grundleiden
waren die bereits früher ausführlich hervorgehobenen, das
Zusammenschwinden der ackerbauenden und die unnatürliche Vermehrung der
kaufmännischen Bevölkerung, woran ein unabsehbares Gefolge anderer
Übelstände sich anschloß. Wie es mit der italischen Bodenwirtschaft
stand, wird dem Leser unvergessen sein. Trotz der ernstlichsten
Versuche, der Vernichtung des kleinen Grundbesitzes zu steuern, war
doch in dieser Epoche kaum mehr in einer Landschaft des eigentlichen
Italien, etwa mit Ausnahme der Apenninen- und Abruzzentäler, die
Bauernwirtschaft die vorwiegende Wirtschaftsweise. Was die
Gutswirtschaft anlangt, so ist zwischen der früher dargestellten
Catonischen und derjenigen, die uns Varro schildert, kein wesentlicher
Unterschied wahrzunehmen, nur daß die letztere im Guten wie im
Schlimmen von dem gesteigerten großstädtischen Leben in Rom die Spuren
zeigt. “Sonst”, sagt Varro, “war die Scheune auf dem Gut größer als das
Herrenhaus; jetzt pflegt es umgekehrt zu sein.” In der tusculanischen
und tiburtinischen Feldmark, an den Gestaden von Tarracina und Baiae
erhoben sich da, wo die alten latinischen und italischen Bauernschaften
gesät und geerntet hatten, jetzt in unfruchtbarem Glanz die Landhäuser
der römischen Großen, von denen manches mit den dazu gehörigen
Gartenanlagen und Wasserleitungen, den Süß- und Salzwasserreservoirs
zur Aufbewahrung und Züchtung von Fluß- und Seefischen, den Schnecken-
und Siebenschläferzüchtungen, den Wildschonungen zur Hegung von Hasen,
Kaninchen, Hirschen, Rehen und Wildschweinen und den Vogelhäusern, in
denen selbst Kraniche und Pfauen gehalten wurden, den Raum einer
mäßigen Stadt bedeckte. Aber der großstädtische Luxus macht auch manche
fleißige Hand reich und ernährt mehr Arme als die almosenspendende
Menschenliebe. Jene Vogelhäuser und Fischteiche der vornehmen Herren
waren natürlich in der Regel eine sehr kostspielige Liebhaberei. Allein
extensiv und intensiv hatte diese Wirtschaft sich so hoch entwickelt,
daß zum Beispiel der Bestand eines Taubenhauses bis auf 100000
Sesterzen (7600 Taler) geschätzt ward; daß eine rationelle
Mästungswirtschaft entstanden war und der in den Vogelhäusern gewonnene
Dünger landwirtschaftlich in Betracht kam; daß ein einziger
Vogelhändler auf einmal 5000 Krammetsvögel - denn auch diese wußte man
zu hegen - das Stück zu 3 Denaren (21 Groschen), ein einziger
Fischteichbesitzer 2000 Muränen zu liefern imstande war und aus den von
Lucius Lucullus hinterlassenen Fischen 40000 Sesterzen (3050 Taler)
gelöst wurden. Begreiflicherweise konnte unter solchen Umständen, wer
diese Wirtschaft geschäftlich und intelligent betrieb, mit
verhältnismäßig geringem Anlagekapital sehr hohen Gewinn erzielen. Ein
kleiner Bienenzüchter dieser Zeit verkaufte von seinem nicht mehr als
einen Morgen großen, in der Nähe von Falerii gelegenen Thymiangärtchen
Jahr aus Jahr ein an Honig für mindestens 10000 Sesterzen (760 Taler).
Der Wetteifer der Obstzüchter ging so weit, daß in eleganten
Landhäusern die marmorgetäfelte Obstkammer nicht selten zugleich als
Tafelzimmer eingerichtet, auch wohl gekauftes Prachtobst dort zur Schau
als eigenes Gewächs gestellt ward. In dieser Zeit wurden auch zuerst
die kleinasiatische Kirsche und andere ausländische Fruchtbäume in den
italischen Gärten angepflanzt. Die Gemüsegärten, die Rosen- und
Veilchenbeete in Latium und Kampanien warfen reichen Ertrag ab und der
“Naschmarkt” (forum cupedinis) neben der Heiligen Straße, wo Früchte,
Honig und Kränze feilgeboten zu werden pflegten, spielte eine wichtige
Rolle im hauptstädtischen Leben. Überhaupt stand die Gutswirtschaft,
Plantagenwirtschaft wie sie war, ökonomisch auf einer schwer zu
übertreffenden Höhe der Entwicklung. Das Tal von Rieti, die Umgegend
des Fuciner Sees, die Landschaften am Liris und Volturnus, ja
Mittelitalien überhaupt, waren landwirtschaftlich in dem blühendsten
Zustand; selbst gewisse Industrien, die geeignet waren, sich an den
Betrieb des Guts mittels Sklaven anzuschließen, wurden von den
intelligenten Landwirten mit aufgenommen und, wo die Verhältnisse
günstig waren, Wirtshäuser, Webereien und besonders Ziegeleien auf dem
Gute angelegt. Die italischen Produzenten, namentlich von Wein und Öl,
versorgten nicht bloß die italischen Märkte, sondern machten auch in
beiden Artikeln ansehnliche überseeische Ausfuhrgeschäfte. Eine
schlichte fachwissenschaftliche Schrift dieser Zeit vergleicht Italien
einem großen Fruchtgarten; und die Schilderungen, die ein
gleichzeitiger Dichter von seinem schönen Heimatland entwirft, wo die
wohlbewässerte Wiese, das üppige Kornfeld, der lustige Rebenhügel von
der dunklen Zeile der Ölbäume umsäumt wird, wo der Schmuck des Landes,
lachend in mannigfaltiger Anmut, die holdesten Gärten in seinem Schoße
hegt und selber von nahrunggebenden Bäumen umkränzt wird diese
Schilderungen, offenbar treue Gemälde der dem Dichter täglich vor Augen
stehenden Landschaft, versetzen uns in die blühendsten Striche von
Toscana und Terra di lavoro. Die Weidewirtschaft freilich, die aus den
früher entwickelten Ursachen besonders im Süden und Südosten Italiens
immer weiter vordrang, war in jeder Beziehung ein Rückschritt; allein
auch sie nahm doch bis zu einem gewissen Grade teil an der allgemeinen
Steigerung des Betriebes, wie denn für die Verbesserung der Rassen
vieles geschah und zum Beispiel Zuchtesel mit 60000 (4600 Taler),
100000 (7570 Taler), ja 400000 Sesterzen (30000 Taler) bezahlt wurden.
Die gediegene italische Bodenwirtschaft erzielte in dieser Zeit, wo die
allgemeine Entwicklung der Intelligenz und die Fülle der Kapitalien sie
befruchtete, bei weitem glänzendere Resultate als jemals die alte
Bauernwirtschaft hatte geben können, und ging sogar schon hinaus über
die Grenzen Italiens, indem der italische Ökonom auch in den Provinzen
große Strecken viehzüchtend und selbst kornbauend exploitierte.
Welche Dimensionen aber neben dieser auf dem Ruin der kleinen
Bauernschaft unnatürlich gedeihenden Gutswirtschaft die Geldwirtschaft
angenommen, wie die italische Kaufmannschaft mit den Juden um die Wette
in alle Provinzen und Klientelstaaten des Reiches sich ergossen hatte,
alles Kapital endlich in Rom zusammenfloß, dafür wird es, nach dem
früher darüber Gesagten, hier genügen, auf die einzige Tatsache
hinzuweisen, daß auf dem hauptstädtischen Geldmarkt der regelmäßige
Zinsfuß in dieser Zeit sechs vom Hundert, das Geld daselbst also um die
Hälfte billiger war als sonst durchschnittlich im Altertume.
Infolge dieser agrarisch wie merkantil auf Kapitalmassen und
Spekulation begründeten Volkswirtschaft ergab sich das fürchterlichste
Mißverhältnis in der Verteilung des Vermögens. Die oft gebrauchte und
oft gemißbrauchte Rede von einem aus Millionären und Bettlern
zusammengesetzten Gemeinwesen trifft vielleicht nirgends so vollständig
zu wie bei dem Rom der letzten Zeit der Republik; und nirgends wohl
auch ist der Kernsatz des Sklavenstaats, daß der reiche Mann, der von
der Tätigkeit seiner Sklaven lebt, notwendig respektabel, der arme
Mann, der von seiner Hände Arbeit lebt, notwendig gemein ist, mit so
grauenvoller Sicherheit als der unwidersprechliche Grundgedanke des
ganzen öffentlichen und privaten Verkehrs anerkannt worden ^21. Einen
wirklichen Mittelstand in unserm Sinne gibt es nicht, wie es denn in
keinem vollkommen entwickelten Sklavenstaat einen solchen geben kann;
was gleichsam als guter Mittelstand erscheint und gewissermaßen auch es
ist, sind diejenigen reichen Geschäftsmänner und Grundbesitzer, die so
ungebildet oder auch so gebildet sind, um sich innerhalb der Sphäre
ihrer Tätigkeit zu bescheiden und vom öffentlichen Leben sich
fernzuhalten. Unter den Geschäftsmännern, wo die zahlreichen
Freigelassenen und sonstigen emporgekommenen Leute in der Regel von dem
Schwindel erfaßt wurden, den vornehmen Mann zu spielen, gab es solcher
Verständigen nicht allzuviel: ein Musterbild dieser Gattung ist der in
den Berichten aus dieser Zeit häufig erwähnte Titus Pomponius Atticus,
der teils mit der großen Gutswirtschaft, welche er in Italien und in
Epirus betrieb, teils mit seinen durch ganz Italien, Griechenland,
Makedonien, Kleinasien sich verzweigenden Geldgeschäften ein ungeheures
Vermögen gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschäftsmann blieb,
sich nicht verleiten ließ, um ein Amt zu werben oder auch nur
Staatsgeldgeschäfte zu machen, und, dem geizigen Knausern ebenso fern
wie dem wüsten und lästigen Luxus dieser Zeit - seine Tafel zum
Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7½ Talern) täglich bestritten -, sich
genügen ließ an einer bequemen, die Anmut des Land- und des
Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft Roms
und Griechenlands und jeden Genuß der Literatur und der Kunst sich
aneignenden Existenz. Zahlreicher und tüchtiger waren die italischen
Gutsbesitzer alten Schlages. Die gleichzeitige Literatur bewahrt in der
Schilderung des Sextus Roscius, der bei den Proskriptionen 673 (81)
mitermordet ward, das Bild eines solchen Landedelmanns (pater familias
rusticanus); sein Vermögen, angeschlagen auf 6 Mill. Sesterzen (457000
Taler), ist wesentlich angelegt in seinen dreizehn Landgütern; die
Wirtschaft betreibt er selbst rationell und mit Leidenschaft; nach der
Hauptstadt kommt er selten oder nie, und wenn er dort erscheint, so
sticht er mit seinen ungehobelten Manieren nicht minder von dem feinen
Senator ab wie die zahllosen Scharen seiner rauben Ackerknechte von dem
zierlichen hauptstädtischen Bedientenschwarm. Mehr als die
kosmopolitisch gebildeten Adelskreise und der überall und nirgends
heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die
wesentlich durch dieselben gehaltenen “Ackerstädte” (municipia
rusticana) sowohl die Zucht und Sitte der Väter als auch deren reine
und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern der Nation;
der Spekulant, der sein Vermögen gemacht hat und unter die Notabeln des
Landes einzutreten wünscht, kauft sich an und sucht wenn nicht selbst
Squire zu werden, doch wenigstens einen Sohn dazu zu erziehen. Den
Spuren dieser Gutsbesitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine
volkstümliche Regung sich zeigt und wo die Literatur einen grünen Sproß
treibt: aus ihr sog die patriotische Opposition gegen die neue
Monarchie ihre beste Kraft; ihr gehören Varro, Lucretius, Catullus an;
und vielleicht nirgends tritt die relative Frische dieser
Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der anmutigen
arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der Schrift Ciceros von
den Gesetzen, einer grünen Oase in der fürchterlichen Öde dieses ebenso
leeren wie voluminösen Skribenten.
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^21 Charakteristisch ist die folgende Auseinandersetzung in Ciceros
‘Pflichtenlehre’ (off. 1, 42): “Darüber, welche Geschäfte und
Erwerbszweige als anständig gelten können und welche als gemein,
herrschen im allgemeinen folgende Vorstellungen. Bescholten sind
zunächst die Erwerbszweige, wobei man den Haß des Publikums sich
zuzieht, wie der der Zolleinnehmer, der der Geldverleiher. Unanständig
und gemein ist auch das Geschäft der Lohnarbeiter, denen ihre
körperliche, nicht ihre Geistesarbeit bezahlt wird; denn für diesen
selben Lohn verkaufen sie gleichsam sich in die Sklaverei. Gemeine
Leute sind auch die von dem Kaufmann zu sofortigem Verschleiß
einkaufenden Trödler; denn sie kommen nicht fort, wenn sie nicht über
alle Maßen lügen, und nichts ist minder ehrenhaft als der Schwindel.
Auch die Handwerker treiben sämtlich gemeine Geschäfte; denn man kann
nicht Gentleman sein in der Werkstatt. Am wenigsten ehrbar sind die
Handwerker, die der Schlemmerei an die Hand gehen, zum Beispiel:
‘Wurstmacher, Salzfischhändler, Koch, Geflügelverkäufer, Fischer’ mit
Terenz (Eun. 2, 2, 26) zu reden; dazu noch etwa die Parfümerienhändler,
die Tanzmeister und die ganze Sippschaft der Spielbuden. Diejenigen
Erwerbszweige aber, welche entweder eine höhere Bildung voraussetzen
oder einen nicht geringen Ertrag abwerfen, wie die Heilkunst, die
Baukunst, der Unterricht in anständigen Gegenständen, sind anständig
für diejenigen, deren Stande sie angemessen sind. Der Handel aber, wenn
er Kleinhandel ist, ist gemein; der große Kaufmann freilich, der aus
den verschiedensten Ländern eine Menge von Waren einführt und sie an
eine Menge von Leuten ohne Schwindel absetzt, ist nicht gerade sehr zu
schelten; ja wenn er, des Gewinstes satt oder vielmehr mit dem Gewinste
zufrieden, wie oft zuvor vom Meere in den Hafen, so schließlich aus dem
Hafen selbst zu Grundbesitz gelangt, so darf man wohl mit gutem Recht
ihn loben. Aber unter allen Erwerbszweigen ist keiner besser, keiner
ergiebiger, keiner erfreulicher, keiner dem freien Manne anständiger
als der Grundbesitz.”
Also der anständige Mann muß streng genommen Gutsbesitzer sein; das
Kaufmannsgewerbe passiert ihm nur, insofern es Mittel zu diesem letzten
Zweck ist, die Wissenschaft als Profession nur den Griechen und den
nicht den herrschenden Ständen angehörigen Römern, welche damit sich in
den vornehmen Kreisen allenfalls für ihre Person eine gewisse Duldung
erkaufen dürfen. Es ist die vollkommen ausgebildete
Plantagenbesitzeraristokratie, mit einer starken Schattierung von
kaufmännischer Spekulation und einer leisen Nuance von allgemeiner
Bildung.
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Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tüchtige Gutsbesitzerstand
wird weit überwuchert von den beiden tonangebenden Klassen der
Gesellschaft: dem Bettelvolk und der eigentlichen vornehmen Welt. Wir
haben keine statistischen Ziffern, um das relative Maß der Armut und
des Reichtums für diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier
wohl wieder an die Äußerung erinnert werden, die etwa fünfzig Jahre
früher ein römischer Staatsmann tat: daß die Zahl der Familien von
festgegründetem Reichtum innerhalb der römischen Bürgerschaft nicht auf
2000 sich belaufe. Die Bürgerschaft war seitdem eine andere geworden;
aber daß das Mißverhältnis zwischen arm und reich sich wenigstens
gleichgeblieben war, dafür sprechen deutliche Spuren. Die
fortschreitende Verarmung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem
Zudrang zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die
entsprechende Steigerung des Reichtums bezeugt ausdrücklich ein
Schriftsteller dieser Generation, indem er, von den Verhältnissen der
marianischen Zeit sprechend, ein Vermögen von 2 Mill. Sesterzen (152
000 Taler) “nach damaligen Verhältnissen Reichtum” nennt; und ebendahin
führen die Angaben, die wir über das Vermögen einzelner Individuen
finden. Der schwerreiche Lucius Domitius Ahenobarbus verhieß
zwanzigtausend Soldaten jedem vier Jugera Land aus eigenem Besitz; das
Vermögen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sesterzen (5300000
Taler), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1520000 Taler); Marcus
Crassus, der reichste der Reichen, besaß am Anfang seiner Laufbahn 7
(530000 Taler), am Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen
an das Volk 170 Millionen Sesterzen (13 Mill. Taler). Die Folgen
solcher Armut und solchen Reichtums waren nach beiden Seiten eine
äußerlich verschiedene, aber wesentlich gleichartige ökonomische und
sittliche Zerrüttung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die
Unterstützung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so
war es die notwendige Folge dieses Bettlerelends, die freilich
wechselwirkend auch wieder als Ursache auftrat, daß er der
Bettlerfaulheit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu
arbeiten, gaffte der römische Plebejer lieber im Theater; die Schenken
und Bordelle hatten solchen Zuspruch, daß die Demagogen ihre Rechnung
dabei fanden, vorwiegend die Besitzer derartiger Etablissements in ihr
Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die Offenbarung wie die Nahrung
der ärgsten Demoralisation in der alten Welt, waren zu solcher Blüte
gelangt, daß mit dem Verkauf der Programme derselben ein einträgliches
Geschäft gemacht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche
Neuerung auf, daß über Leben und Tod des Besiegten nicht das
Duellgesetz oder die Willkür des Siegers, sondern die Laune des
zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink der Sieger den
daniederliegenden Besiegten entweder verschonte oder durchbohrte. Das
Handwerk des Fechters war so im Preise gestiegen oder auch die Freiheit
so im Preise gesunken, daß die Unerschrockenheit und der Wetteifer, die
auf den Schlachtfeldern dieser Zeit vermißt wurden, in den Heeren der
Arena allgemein waren und, wo das Duellgesetz es mit sich brachte,
jeder Gladiator lautlos und ohne zu zucken sich durchbohren ließ, ja
daß freie Männer nicht selten sich den Unternehmern für Kost und Lohn
als Fechtknechte verkauften. Auch die Plebejer des fünften Jahrhunderts
hatten gedarbt und gehungert, aber ihre Freiheit hatten sie nicht
verkauft; und noch weniger würden die Rechtweiser jener Zeit sich dazu
hergegeben haben, den ebenso sitten- wie rechtswidrigen Kontrakt eines
solchen Fechtknechts, “sich unweigerlich fesseln, peitschen, brennen
oder töten zu lassen, wenn die Gesetze der Anstalt dies mit sich
bringen würden”, auf unfeinen juristischen Schleichwegen als statthaft
und klagbar hinzustellen.
In der vornehmen Welt kam nun dergleichen nicht vor; aber im Grunde war
sie kaum anders, am wenigsten besser. Im Nichtstun nahm es der
Aristokrat dreist mit dem Proletarier auf; wenn dieser auf dem Pflaster
lungerte, dehnte jener sich bis in den hellen Tag hinein in den
Feldern. Die Verschwendung regierte hier ebenso maß- wie geschmacklos.
Sie warf sich auf die Politik wie auf das Theater, natürlich zu beider
Verderben: man kaufte das Konsulamt um unglaublichen Preis - im Sommer
700 (54) ward allein die erste Stimmabteilung mit 10 Mill. Sesterzen
(760000 Talern) bezahlt - und verdarb durch den tollen Dekorationsluxus
dem Gebildeten alle Freude am Bühnenspiel. Die Mietpreise scheinen in
Rom durchschnittlich vierfach höher als in den Landstädten sich
gestellt zu haben; ein Haus daselbst ward einmal für 15 Mill. Sesterzen
(1150000 Taler) verkauft. Das Haus des Marcus Lepidus (Konsul 676 78),
als Sulla starb, das schönste in Rom, war ein Menschenalter später noch
nicht der hundertste in der Rangfolge der römischen Paläste. Des mit
den Landhäusern getriebenen Schwindels ward bereits gedacht; wir
finden, daß für ein solches, das hauptsächlich seines Fischteiches
wegen geschätzt war, 4 Mill. Sesterzen (300000 Taler) bezahlt wurden;
und der ganz vornehme Mann bedurfte jetzt schon wenigstens zweier
Landhäuser, eines in den Sabiner- oder Albaner Bergen bei der
Hauptstadt und eines zweiten in der Nähe der kampanischen Bäder, dazu
noch womöglich eines Gartens unmittelbar vor den Toren Roms. Noch
unsinniger als diese Villen- waren die Grabpaläste, von denen einzelne
noch bis auf den heutigen Tag es bezeugen, welches himmelhohen
Quaderhaufens der reiche Römer bedurfte, um standesmäßig gestorben zu
sein. Die Pferde- und Hundeliebhaber fehlten auch nicht; für ein
Luxuspferd waren 24000 Sesterzen (1830 Taler) ein nicht ungewöhnlicher
Preis. Man raffinierte auf Möbel von feinem Holz - ein Tisch von
afrikanischem Zypressenholz ward mit 1 Mill. Sesterzen (67000 Taler)
bezahlt; auf Gewänder von Purpurstoffen oder durchsichtiger Gaze und
daneben auch auf die zierlich vor dem Spiegel zurechtgelegten Falten -
der Redner Hortensius soll einen Kollegen wegen Injurien belangt haben,
weil er ihm im Gedränge den Rock zerknittert; auf Edelsteine und
Perlen, die zuerst in dieser Zeit an die Stelle des alten, unendlich
schöneren und kunstvolleren Goldschmucks traten: es war schon
vollkommenes Barbarentum, wenn bei Pompeius’ Triumph über Mithradates
das Bild des Siegers ganz von Perlen gearbeitet erschien und wenn man
im Speisesaal die Sofas und die Etageren mit Silber beschlagen, ja das
Küchengeschirr von Silber fertigen ließ. Gleicher Art ist es, wenn die
Sammler dieser Zeit aus den alten Silberbechern die kunstvollen
Medaillons herausbrachen um sie in goldene Gefäße wiedereinzusetzen.
Auch der Reiseluxus ward nicht vermißt. “Wenn der Statthalter reiste”,
erzählt Cicero von einem der sizilischen, “was natürlich im Winter
nicht geschah, sondern erst mit Frühlingsanfang, nicht dem des
Kalenders, sondern dem Anfang der Rosenzeit, so ließ er, wie es bei den
Königen von Bithynien Brauch war, sich auf einer Achtträgersänfte
befördern, sitzend auf Kissen von maltesischer Gaze und mit
Rosenblättern gestopft, einen Kranz auf dem Kopf, einen zweiten um den
Hals geschlungen, ein feines, leinenes, kleingetüpfeltes, mit Rosen
angefülltes Riechsäckchen an die Nase haltend; und so ließ er bis vor
sein Schlafzimmer sich tragen.” Aber keine Gattung des Luxus blühte so
wie die roheste von allen, der Luxus der Tafel. Die ganze
Villeneinrichtung und das ganze Villenleben lief schließlich hinaus auf
das Dinieren; man hatte nicht bloß verschiedene Tafelzimmer für Winter
und Sommer, sondern auch in der Bildergalerie, in der Obstkammer, im
Vogelhaus wurde serviert oder auf einer im Wildpark aufgeschlagenen
Estrade, um welche dann, wenn der bestellte “Orpheus” im Theaterkostüm
erschien und Tusch blies, die dazu abgerichteten Rehe und Wildschweine
sich drängten. So ward für Dekoration gesorgt, aber die Realität
darüber durchaus nicht vergessen. Nicht bloß der Koch war ein
graduierter Gastronom, sondern oft machte der Herr selbst den
Lehrmeister seiner Köche. Längst war der Braten durch Seefische und
Austern in den Schatten gestellt; jetzt waren die italischen Flußfische
völlig von der guten Tafel verbannt und galten die italischen
Delikatessen und die italischen Weine fast für gemein. Es wurden jetzt
schon bei Volksfesten außer dem italischen Falerner drei Sorten
ausländischen Weines - Sizilianer, Lesbier, Chier - verteilt, während
ein Menschenalter zuvor es auch bei großen Schmäusen genügt hatte,
einmal griechischen Wein herumzugeben; in dem Keller des Redners
Hortensius fand sich ein Lager von 10000 Krügen (zu 33 Berliner Quart)
fremden Weines. Es war kein Wunder, daß die italischen Weinbauer
anfingen, über die Konkurrenz der griechischen Inselweine zu klagen.
Kein Naturforscher kann eifriger die Länder und Meere nach neuen Tieren
und Pflanzen durchsuchen, als es von den Eßkünstlern jener Zeit wegen
neuer Küchenelegantien geschah ^22. Wenn dann der Gast, um den Folgen
der ihm vorgesetzten Mannigfaltigkeiten zu entgehen, nach der Mahlzeit
ein Vomitiv nahm, so fiel dies niemand mehr auf. Die Debauche aller Art
ward so systematisch und so schwerfällig, daß sie ihre Professoren
fand, die davon lebten, vornehmen Jünglingen theoretisch und praktisch
als Lastermeister zu dienen. Es wird nicht nötig sein, bei diesem
wüsten Gemälde eintönigster Mannigfaltigkeit noch länger zu verweilen;
um so weniger, als ja auch auf diesem Gebiet die Römer nichts weniger
als originell waren und sich darauf beschränkten, von dem
hellenisch-orientalischen Luxus eine noch maß- und noch geistlosere
Kopie zu liefern. Natürlich verschlingt Plutos seine Kinder so gut wie
Kronos; die Konkurrenz um alle jene meist nichtigen Gegenstände
vornehmer Begehrlichkeit trieb die Preise so in die Höhe, daß den mit
dem Strome Schwimmenden in kurzer Zeit das kolossalste Vermögen zerrann
und auch diejenigen, die nur Ehren halber das Notwendigste mitmachten,
den ererbten und festgegründeten Wohlstand rasch sich unterhöhlen
sahen. Die Bewerbung um das Konsulat zum Beispiel war die gewöhnliche
Landstraße zum Ruin angesehener Häuser; und fast dasselbe gilt von den
Spielen, den großen Bauten und all jenen andern, zwar lustigen, aber
teuren Metiers. Der fürstliche Reichtum jener Zeit wird nur von der
noch fürstlicheren Verschuldung überboten: Caesar schuldete um 692 (62)
nach Abzug seiner Aktiva 25 Mill. Sesterzen (1900000 Taler), Marcus
Antonius als Vierundzwanzigjähriger 6 Mill. Sesterzen (460000 Taler),
vierzehn Jahre später 40 (3 Mill. Taler), Curio 60 (4½ Mill. Taler),
Milo 70 Mill. (5½ Mill. Taler). Wie durchgängig jenes verschwenderische
Leben und Treiben der vornehmen römischen Welt auf Kredit beruhte,
davon zeugt die Tatsache, daß durch die Anleihen der verschiedenen
Konkurrenten um das Konsulat einmal in Rom der Monatzins plötzlich von
vier auf acht vom Hundert aufschlug. Die Insolvenz, statt rechtzeitig
den Konkurs oder doch die Liquidation herbeizuführen und damit
wenigstens wieder ein klares Verhältnis herzustellen, ward in der Regel
von dem Schuldner, solange es irgend ging, verschleppt; statt seine
Habe, namentlich seine Grundstücke zu verkaufen, fuhr er fort, zu
borgen und den Scheinreichen weiter zu spielen, bis denn der Krach nur
um so ärger kam und Konkurse ausbrachen wie zum Beispiel der des Milo,
bei dem die Gläubiger etwas über vier vom Hundert der liquidierten
Summen erhielten. Es gewann bei diesem rasend schnellen Umschlagen vom
Reichtum zum Bankrott und diesem systematischen Schwindel natürlich
niemand als der kühle Bankier, der es verstand, Kredit zu geben und zu
verweigern. So kamen denn die Kreditverhältnisse fast auf demselben
Punkte wieder an, wo sie in den schlimmsten Zeiten der sozialen Krise
des fünften Jahrhunderts gestanden hatten: die nominellen
Grundeigentümer waren gleichsam die Bittbesitzer ihrer Gläubiger, die
Schuldner entweder ihren Gläubigern knechtisch untertan, so daß die
geringeren von ihnen, gleich den Freigelassenen, in dem Gefolge
derselben erschienen, die vornehmeren selbst im Senat nach dem Wink
ihres Schuldherrn sprachen und stimmten, oder auch im Begriff, dem
Eigentum selbst den Krieg zu erklären und ihre Gläubiger entweder durch
Drohungen zu terrorisieren oder gar sich ihrer durch Komplott und
Bürgerkrieg zu entledigen. Auf diesen Verhältnissen ruhte die Macht des
Crassus; aus ihnen entsprangen die Aufläufe, deren Signal das “freie
Folium” war, des Cinna und bestimmter noch des Catilina, des Caelius,
des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der Besitzenden
und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die hellenische Welt
bewegten. Daß bei so unterhöhlten ökonomischen Zuständen jede
finanzielle oder politische Krise die entsetzlichste Verwirrung
hervorrief, lag in der Natur der Dinge: es bedarf kaum gesagt zu
werden, daß die gewöhnlichen Erscheinungen: das Verschwinden des
Kapitals, die plötzliche Entwertung der Grundstücke, zahllose Bankrotte
und eine fast allgemeine Insolvenz, ebenwie während des
Bundesgenössischen und Mithradatischen, so auch jetzt während des
Bürgerkrieges sich einstellten.
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^22 Wir haben noch (Macr. Sat. 3, 13) den Speisezettel derjenigen
Mahlzeit, welche Lucius Lentulus Niger vor 691 (63) bei Antritt seines
Pontifikats gab und an der die Pontifices - darunter Caesar -, die
Vestalischen Jungfrauen und einige andere Priester und nah verwandte
Damen Anteil nahmen. Vor der Mahlzeit kamen Meerigel; frische Austern
soviel die Gäste wollten; Gienmuscheln; Lazarusklappen; Krammetsvögel
mit Spargeln; gemästetes Huhn; Auster- und Muschelpastete; schwarze und
weiße Meereicheln; noch einmal Lazarusklappen; Glykymarismuscheln;
Nesselmuscheln; Feigenschnepfen; Rehrippen; Schweinsrippen; Geflügel in
Mehl gebacken; Feigenschnepfen; Purpurmuscheln, zwei Sorten. Die
Mahlzeit selbst bestand aus Schweinsbrust, Schweinskopf; Fischpastete;
Schweinspastete; Enten; Kriechenten gekocht; Hasen; gebratenem
Geflügel; Kraftmehlbackwerk; pontischem Backwerk.
Das sind die Kollegienschmäuse, von denen Varro (rust. 3, 2, 16) sagt,
daß sie die Preise aller Delikatessen in die Höhe trieben. Derselbe
zählt in einer seiner Satiren als die namhaftesten ausländischen
Delikatessen folgende auf: Pfauen von Samos; Haselhühner aus Phrygien;
Kraniche von Melos; Zicklein von Ambrakia; Thunfische von Kalchedon;
Muränen aus der Gaditanischen Meerenge; Edelfische (?) von Pessinus.
Austern und Muscheln von Tarent; Störe (?) von Rhodos; Scarusfische (?)
von Kilikien; Nüsse von Thasos; Datteln aus Ägypten; spanische Eicheln.
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Daß Sittlichkeit und Familienleben unter solchen Verhältnissen in allen
Schichten der Gesellschaft zur Antiquität wurden, versteht sich von
selbst. Es war nicht mehr der ärgste Schimpf und das schlimmste
Verbrechen, arm zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der
Staatsmann den Staat, der Bürger seine Freiheit; um Geld war die
Offizierstelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die
vornehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne;
Urkundenfälschung und Meineide waren so gemein geworden, daß bei einem
Volkspoeten dieser Zeit der Eid “das Schuldenpflaster” heißt. Man hatte
vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Bestechung zurückwies, galt
nicht für einen rechtschaffenen Mann, sondern für einen persönlichen
Feind. Die Kriminalstatistik aller Zeiten und Länder wird schwerlich
ein Seitenstück bieten zu einem Schaudergemälde so mannigfaltiger, so
entsetzlicher und so widernatürlicher Verbrechen, wie es der Prozeß des
Aulus Cluentius in dem Schoß einer der angesehensten Familien einer
italischen Ackerstadt vor uns aufrollt.
Wie aber im tiefen Grunde des Volkslebens der Schlamm immer giftiger
und immer bodenloser sich sammelte, so legte sich um so viel glatter
und gleißender über die Oberfläche der Firnis feiner Sitten und
allgemeiner Freundschaft. Alle Welt besuchte sich einander, so daß in
den vornehmen Häusern es schon nötig wird, die jeden Morgen zum Lever
sich einstellenden Personen in einer gewissen, von dem Herrn oder
gelegentlich auch dem Kammerdiener festgesetzten Reihenfolge
vorzulassen, auch nur den namhafteren einzeln Audienz zu geben, die
übrigen aber teils in Gruppen, teils schließlich in Masse abzufertigen,
mit welcher Scheidung Gaius Gracchus, auch hierin der Pfadfinder der
neuen Monarchie, vorangegangen sein soll. Eine ebenso große Ausdehnung
wie die Höflichkeitsbesuche hat auch der Höflichkeitsbriefwechsel
gewonnen; zwischen Personen, die weder ein persönliches Verhältnis noch
Geschäfte miteinander haben, fliegen dennoch die “freundschaftlichen”
Briefe über Land und Meer, und umgekehrt kommen eigentliche und
förmliche Geschäftsbriefe fast nur da noch vor, wo das Schreiben an
eine Korporation gerichtet ist. In der gleichen Weise werden die
Einladungen zur Tafel, die üblichen Neujahrsgeschenke, die häuslichen
Feste ihrem Wesen entfremdet und fast in öffentliche Festlichkeiten
verwandelt; ja, der Tod selbst befreit nicht von diesen Rücksichten auf
die unzähligen “Nächsten”, sondern, um anständig gestorben zu sein, muß
der Römer jeden derselben wenigstens mit einem Andenken bedacht haben.
Ebenwie in gewissen Kreisen unserer Börsenwelt war der eigentliche
innige häusliche und hausfreundliche Zusammenhang dem damaligen Rom so
vollständig abhanden gekommen, daß mit den inhaltlos gewordenen Formen
und Floskeln desselben der gesamte Geschäfts- und Bekanntenverkehr sich
staffieren und dann allmählich an die Stelle der wirklichen jenes
Gespenst der “Freundschaft” treten konnte, welches unter den mancherlei
über den Ächtungen und Bürgerkriegen dieser Zeit schwebenden
Höllengeistern nicht den letzten Platz einnimmt.
Ein ebenso charakteristischer Zug in dem schimmernden Verfall dieser
Zeit ist die Emanzipation der Frauenwelt. ökonomisch hatten die Frauen
längst sich selbständig gemacht; in der gegenwärtigen Epoche begegnen
schon eigene Frauenanwälte, die einzelnstehenden reichen Damen bei
ihrer Vermögensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflissen zur Hand
gehen, durch Geschäfts- und Rechtskenntnis ihnen imponieren und damit
reichlichere Trinkgelder und Erbschaftsquoten herausschlagen als andere
Pflastertreter der Börse. Aber nicht bloß der ökonomischen
Vormundschaft des Vaters oder des Mannes fühlten die Frauen sich
entbunden. Liebeshändel aller Art waren beständig auf dem Tapet.
Ballettänzerinnen (mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuosität
ihrer Industrien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen,
die Cytheris und wie sie weiter heißen, beschmutzen selbst die Blätter
der Geschichte. Indes ihrem gleichsam konzessionierten Gewerbe tat sehr
wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen
Kreise. Liaisons in den ersten Häusern waren so häufig geworden, daß
nur ein ganz ausnehmendes Ärgernis sie zum Gegenstand besonderen
Klatsches machen konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien
beinahe lächerlich. Ein Skandal ohnegleichen, wie ihn Publius Clodius
693 (61) bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex aufführte, obwohl
tausendmal ärger als die Vorfälle, die noch fünfzig Jahre zuvor zu
einer Reihe von Todesurteilen geführt hatten, ging fast ohne
Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Badesaison - im April, wo
die Staatsgeschäfte ruhten und die vornehme Welt in Baiae und Puteoli
zusammenströmte - zog ihren Hauptreiz mit aus den erlaubten und
unerlaubten Verhältnissen, die neben Musik und Gesang und eleganten
Frühstücken im Nachen oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier
herrschten die Damen unumschränkt; indes begnügten sie sich keineswegs
mit dieser ihnen von Rechts wegen zustehenden Domäne, sondern sie
machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkünften und
beteiligten sich mit ihrem Geld und ihren Intrigen an dem wüsten
Koterietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmänninnen auf der Bühne
Scipios und Catos agieren sah und daneben den jungen Elegant, wie er
mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopf- und
Busentüchern, Manschettenhemden und Frauensandalen das lockere Dirnchen
kopierte, dem mochte wohl grauen vor der unnatürlichen Welt, in der die
Geschlechter die Rollen schienen wechseln zu wollen. Wie man in den
Kreisen dieser Aristokratie über Ehescheidung dachte, läßt das
Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen,
der auf Bitten eines heiratslustigen Freundes von seiner Frau sich zu
scheiden, keinen Anstand nahm und ebensowenig daran, nach dem Tode
dieses Freundes dieselbe Frau zum zweitenmal zu heiraten. Ehe- und
Kinderlosigkeit griffen vornehmlich in den höheren Ständen immer weiter
um sich. Wenn unter diesen die Ehe längst als eine Last galt, die man
höchstens im öffentlichen Interesse über sich nahm, so begegnen wir
jetzt schon auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus
der ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete:
daß es Bürgerpflicht sei, die großen Vermögen zusammenzuhalten und
darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. Wo waren die Zeiten, als die
Benennung “Kinderzeuger” (proletarius) für den Römer ein Ehrenname
gewesen war!
Infolge dieser sozialen Zustände schwand der latinische Stamm in
Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich über die
schönen Landschaften teils die parasitische Einwanderung, teils die
reine Öde. Ein ansehnlicher Teil der Bevölkerung Italiens strömte in
das Ausland. Schon die Summe von Kapazitäten und Arbeitskräften, welche
die Lieferung von italischen Beamten und italischen Besatzungen für das
gesamte Mittelmeergebiet in Anspruch nahm, überstieg die Kräfte der
Halbinsel, zumal da die also in die Fremde gesandten Elemente zum
großen Teil der Nation für immer verloren gingen. Denn je mehr die
römische Gemeinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs,
desto mehr entwöhnte sich die regierende Aristokratie, Italien als ihre
ausschließliche Heimat zu betrachten; von der zum Dienst ausgehobenen
oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein ansehnlicher Teil in den
vielen Kriegen, namentlich in dem blutigen Bürgerkriege zugrunde, und
ein anderer ward durch die lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich
erstreckende Dienstzeit der Heimat völlig entfremdet. In gleicher Weise
wie der öffentliche Dienst hielt die Spekulation einen Teil der
Grundbesitzer- und fast die ganze Kaufmannschaft wenn nicht auf
zeitlebens, doch auf lange Zeit außer Landes fest und entwöhnte
namentlich die letztere in dem demoralisierenden Handelsreiseleben
überhaupt der bürgerlichen Existenz im Mutterlande und der vielfach
bedingten innerhalb der Familie. Als Ersatz dafür erhielt Italien teils
das Sklaven- und Freigelassenenproletariat, teils die aus Kleinasien,
Syrien und Ägypten einströmenden Handwerker und Händler, die
vornehmlich in der Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstädten Ostia,
Puteoli, Brundisium wucherten. Aber in dem größten und wichtigsten Teil
Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen Elemente durch
unreine ein, sondern schwand die Bevölkerung sichtlich hin. Vor allem
galt dies von den Weidelandschaften, wie denn das gelobte Land der
Viehzucht, Apulien, von Gleichzeitigen der menschenleerste Teil
Italiens genannt wird, und von der Umgegend Roms, wo die Campagna unter
der steten Wechselwirkung des zurückgehenden Ackerbaues und der
zunehmenden bösen Luft jährlich mehr verödete. Labici, Gabii, Bovillae,
einst freundliche Landstädtchen, waren so verfallen, daß es schwer
hielt, Vertreter derselben für die Zeremonie des Latinerfestes
aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der angesehensten
Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus einigen vornehmen
Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr tusculanisches
Heimatrecht festhielten, und stand an Zahl der stimmfähigen Bürger weit
zurück selbst hinter kleinen Gemeinden des inneren Italiens. Der Stamm
der waffenfähigen Mannschaft war in diesem Landstrich, auf dem einst
Roms Wehrhaftigkeit wesentlich beruht hatte, so vollständig
ausgegangen, daß man die im Vergleich mit den gegenwärtigen
Verhältnissen fabelhaft klingenden Berichte der Chronik von den Äquer-
und Volskerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht
überall war es so arg, namentlich nicht in den übrigen Teilen
Mittelitaliens und in Kampanien: aber dennoch “standen”, wie Varro
klagt, durchgängig einst menschenreiche Städte verödet.
Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der
Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist
der verhängnisvolle Gegensatz durch nichts vermittelt oder gemildert.
Je deutlicher und peinlicher er auf beiden Seiten empfunden ward, je
schwindelnd höher der Reichtum stieg, je tiefer der Abgrund der Armut
gähnte, desto häufiger ward in dieser wechselvollen Welt der
Spekulation und des Glücksspiels der einzelne aus der Tiefe in die Höhe
und wieder aus der Höhe in die Tiefe geschleudert. Je weiter äußerlich
die beiden Welten auseinanderklafften, desto vollständiger begegneten
sie sich in der gleichen Vernichtung des Familienlebens, das doch aller
Nationalität Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit und Üppigkeit,
der gleichen bodenlosen Ökonomie, der gleichen unmännlichen
Abhängigkeit, der gleichen, nur im Tarif unterschiedenen Korruption,
der gleichen Verbrecherentsittlichung, dem gleichen Gelüsten, mit dem
Eigentum den Krieg zu beginnen. Reichtum und Elend im innigen Bunde
treiben die Italiker aus Italien aus und füllen die Halbinsel halb mit
Sklavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauenvolles
Bild, aber kein eigentümliches; überall, wo das Kapitalistenregiment im
Sklavenstaat sich vollständig entwickelt, hat es Gottes schöne Welt in
gleicher Weise verwüstet. Wie die Ströme in verschiedenen Farben
spiegeln, die Kloake aber überall sich gleich sieht, so gleicht auch
das Italien der ciceronischen Epoche wesentlich dem Hellas des Polybios
und bestimmter noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo in ganz
ähnlicher Weise das allmächtig regierende Kapital den Mittelstand
zugrunde gerichtet, den Handel und die Gutswirtschaft zur höchsten
Blüte gesteigert und schließlich eine gleißend übertünchte sittliche
und politische Verwesung der Nation herbeigeführt hatte. Alles, was in
der heutigen Welt das Kapital an argen Sünden gegen Nation und
Zivilisation begangen hat, bleibt so tief unter den Greueln der alten
Kapitalistenstaaten, wie der freie Mann, sei er auch noch so arm, über
dem Sklaven bleibt; und erst wenn Nordamerikas Drachensaat reift, wird
die Welt wieder ähnliche Früchte zu ernten haben.
Diese Leiden, an denen die italische Volkswirtschaft daniederlag, waren
ihrem tiefsten Kerne nach unheilbar, und was daran noch geheilt werden
konnte, mußte wesentlich das Volk und die Zeit bessern; denn auch die
weiseste Regierung vermag so wenig wie der geschickteste Arzt, die
verdorbenen Säfte des Organismus in frische zu verwandeln oder bei
tieferliegenden Übeln mehr zu tun, als die Zufälligkeiten abzuwehren,
die die Heilkraft der Natur in ihrem Wirken hindern. Eine solche Abwehr
gewährte an sich schon die friedliche Energie des neuen Regiments,
durch welche einige der ärgsten Auswüchse von selber wegfielen, wie zum
Beispiel die künstliche Großziehung des Proletariats, die
Straflosigkeit der Verbrechen, der Ämterkauf und anderes mehr. Allein
etwas mehr konnte die Regierung doch tun als bloß nicht schaden. Caesar
gehörte nicht zu den überklugen Leuten, die das Meer darum nicht
eindämmen, weil der Springflut doch kein Deich zu trotzen vermag. Es
ist besser, wenn die Nation und ihre Ökonomie von selbst die
naturgemäße Bahn geht; aber da sie aus dieser ausgewichen war, so
setzte Caesar alle seine Energie ein, um von oben herab die Nation in
das heimatliche und Familienleben zurückzubringen und die Volksökonomie
durch Gesetz und Dekret zu reformieren. Um der dauernden Abwesenheit
der Italiker aus Italien zu steuern und die vornehme Welt und die
Kaufmannschaft zur Gründung eigener Herde in der Heimat zu veranlassen,
wurde nicht bloß die Dienstzeit der Soldaten verkürzt, sondern auch den
Männern senatorischen Standes überhaupt untersagt, anders als in
öffentlichen Geschäften ihren Aufenthalt außerhalb Italiens zunehmen,
den übrigen Italikern in heiratsfähigem Alter (vom zwanzigsten bis zum
vierzigsten Jahr) vorgeschrieben, nicht über drei Jahre hintereinander
von Italien abwesend zu sein. In demselben Sinn hatte Caesar schon in
seinem ersten Konsulat bei Gründung der Kolonie Capua die Väter
mehrerer Kinder vorzugsweise bedacht und setzte nun als Imperator den
Vätern zahlreicher Familien außerordentliche Belohnungen aus, während
er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung und Ehebruch mit
einem nach römischen Begriffen unerhörten Rigorismus behandelte. Er
verschmähte es sogar nicht, ein detailliertes Luxusgesetz zu erlassen,
das unter anderm die Bauverschwendung wenigstens in einem ihrer
unsinnigsten Auswüchse, den Grabmonumenten, beschnitt, den Gebrauch von
Purpurgewändern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen
beschränkte und ihn erwachsenen Männern ganz untersagte, dem
Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte geradezu
verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht neu; neu aber war
es, daß der “Sittenmeister” ernstlich über deren Befolgung hielt, die
Eßwarenmärkte durch bezahlte Aufpasser überwachte, ja, den vornehmen
Herren durch seine Gerichtsdiener die Tafel revidieren und die
verbotenen Schüsseln auf dieser selbst konfiszieren ließ. Durch solche
theoretische und praktische Unterweisung in der Mäßigkeit, welche die
neue monarchische Polizei der vornehmen Welt erteilte, konnte freilich
kaum mehr erreicht werden, als daß der Luxus sich etwas mehr in die
Verborgenheit zurückzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist,
die das Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen
Verhältnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit ein
nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern.
Ernsterer Art waren und mehr Erfolg versprachen die Maßregeln Caesars
zur besseren Regulierung der italischen Geld- und Bodenwirtschaft.
Zunächst handelte es sich hier um transitorische Bestimmungen
hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise überhaupt. Das durch
den Lärm über die zurückgehaltenen Kapitalien hervorgerufene Gesetz,
daß niemand über 60000 Sesterzen (4600 Taler) an barem Gold und Silber
vorrätig haben dürfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des
blinden Publikums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; die Form der
Publikation, wobei fingiert ward, daß hiermit nur ein älteres, in
Vergessenheit geratenes Gesetz wieder eingeschärft werde, zeigt es, daß
Caesar dieser Verfügung sich schämte, und schwerlich wird von ihr
wirklich Anwendung gemacht sein. Eine weit ernstere Frage war die
Behandlung der schwebenden Forderungen, deren vollständigen Erlaß die
Partei, die sich die seine nannte, von Caesar mit Ungestüm begehrte.
Daß derselbe auf dieses Begehren so nicht einging, ward schon gesagt;
indes wurden doch, und zwar schon im Jahre 705 (49), den Schuldnern
zwei wichtige Zugeständnisse gemacht. Einmal wurden die rückständigen
Zinsen niedergeschlagen ^23 und die gezahlten vom Kapital abgezogen.
Zweitens ward der Gläubiger genötigt, die bewegliche und unbewegliche
Habe des Schuldners an Zahlungs Statt nach demjenigen Taxwert
anzunehmen, welchen die Sachen vor dem Bürgerkrieg und der durch
denselben herbeigeführten allgemeinen Entwertung gehabt hatten. Die
letztere Festsetzung war nicht unbillig; wenn der Gläubiger tatsächlich
als der Eigentümer der Habe seines Schuldners bis zum Belauf der ihm
geschuldeten Summe anzusehen war, so war es wohl gerechtfertigt, daß er
an der allgemeinen Entwertung des Besitzes seinen Anteil mittrug.
Dagegen die Annullierung der geleisteten oder ausstehenden
Zinszahlungen, durch welche der Sache nach die Gläubiger außer den
Zinsen selbst von dem, was sie zur Zeit der Erlassung des Gesetzes an
Kapital zu fordern hatten, durchschnittlich 25 Prozent einbüßten, war
in der Tat nichts anderes als eine teilweise Gewährung der von den
Demokraten so ungestüm begehrten Kassation der aus Darlehen
herrührenden Forderungen; und wie arg auch die Zinswucherer
gewirtschaftet haben mochten, so ist es doch nicht möglich, damit die
rückwirkende Vernichtung aller Zinsforderungen ohne Unterschied zu
rechtfertigen. Um diese Agitation wenigstens zu begreifen, muß man sich
erinnern, wie die demokratische Partei zu der Zinsfrage stand. Das
gesetzliche Verbot, Zinsen zu nehmen, das die alte Plebejeropposition
im Jahre 412 (342) erzwungen hatte, war zwar durch die mittels der
Prätur den Zivilprozeß beherrschende Nobilität tatsächlich außer
Anwendung gesetzt, aber doch formell seit jener Zeit in Gültigkeit
geblieben; und die Demokraten des siebenten Jahrhunderts, die sich
durchaus als die Fortsetzer jener alten ständisch-sozialen Bewegung
betrachteten, hatten die Nichtigkeit der Zinszahlungen zu jeder Zeit
behauptet, auch schon in den Wirren der marianischen Zeit dieselbe
wenigstens vorübergehend praktisch geltend gemacht. Es ist nicht
glaublich, daß Caesar die kruden Ansichten seiner Partei über die
Zinsfrage teilte; wenn er in seinem Bericht über die
Liquidationsangelegenheit der Verfügung über die Hingabe der Habe der
Schuldner an Zahlungs Statt gedenkt, aber von der Kassation der Zinsen
schweigt, so ist dies vielleicht ein stummer Selbstvorwurf. Allein wie
jeder Parteiführer hing doch auch er von seiner Partei ab und konnte
die traditionellen Sätze der Demokratie in der Zinsfrage nicht geradezu
verleugnen; um so mehr, als er über diese Frage nicht als der
allmächtige Sieger von Pharsalos, sondern schon vor seinem Abgang nach
Epirus zu entscheiden hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die
Rechtsordnung und das Eigentum vielleicht mehr zuließ als bewirkte, so
ist es sicher sein Verdienst, daß jenes ungeheuerliche Begehren der
Kassation sämtlicher Darlehnsforderungen zurückgewiesen ward: und es
darf wohl als eine Ehrenrettung für ihn angesehen werden, daß die
Schuldner über das ihnen gemachte, nach ihrer Ansicht höchst
ungenügende Zugeständnis noch weit ungehaltener waren als die
verkürzten Gläubiger und unter Caelius und Dolabella jene törichten
und, wie bereits früher erzählt, rasch vereitelten Versuche machten,
das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch Krawall und Bürgerkrieg
zu erzwingen.
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^23 Dieses ist zwar nicht überliefert, folgt aber notwendig aus der
Gestattung, die durch Barzahlung oder Anweisung gezahlten Zinsen (si
quid usurae nomine numeratum auf perscriptum fuisset: Suet. Caes. 42)
als gesetzwidrig gezahlt an dem Kapital zu kürzen.
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Aber Caesar beschränkte sich nicht darauf, dem Schuldner für den
Augenblick zu helfen, sondern er tat, was er als Gesetzgeber tun
konnte, um die fürchterliche Allmacht des Kapitals auf die Dauer zu
beugen. Vor allen Dingen ward der große Rechtssatz proklamiert, daß die
Freiheit nicht ein dem Eigentum kommensurables Gut ist, sondern ein
ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem Schuldigen, nicht dem
Schuldner abzuerkennen das Recht hat. Es ist Caesar, der, vielleicht
auch hier angeregt durch die humanere ägyptische und griechische,
besonders die Solonische Gesetzgebung ^24, dieses den Satzungen der
älteren Konkursordnung schnurstracks widersprechende Prinzip eingeführt
hat in das gemeine Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet.
Nach römischem Landrecht ward der zahlungsunfähige Schuldner Knecht
seines Gläubigers. Das Poetelische Gesetz hatte zwar dem nur durch
Verlegenheiten, nicht durch wahre Überschuldung augenblicklich
zahlungsunfähig Gewordenen verstattet, durch Abtretung seiner Habe die
persönliche Freiheit zu retten; für den wirklich Überschuldeten jedoch
war jener Rechtssatz wohl in Nebenpunkten gemildert, aber in der
Hauptsache durch ein halbes Jahrtausend unverändert festgehalten
worden; ein zunächst auf das Vermögen gerichteter Konkurs kam nur
ausnahmsweise vor dann, wenn der Schuldner tot oder seines Bürgerrechts
verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Erst Caesar gab dem
überschuldeten Manne das Recht, worauf noch unsere heutigen
Konkursordnungen beruhen: durch förmliche Abtretung der Habe an die
Gläubiger, mochte sie zu ihrer Befriedigung ausreichen oder nicht,
allemal seine persönliche Freiheit, wenn auch mit geschmälerten Ehren-
und politischen Rechten, zu erretten und eine neue Vermögensexistenz zu
beginnen, in der er wegen der aus der älteren Zeit herrührenden und im
Konkurs nicht gedeckten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte,
wenn er sie bezahlen konnte, ohne wiederum sich ökonomisch zu
ruinieren. Wenn also dem großen Demokraten die unvergängliche Ehre
zuteil ward, die persönliche Freiheit prinzipiell vom Kapital zu
emanzipieren, so versuchte er ferner, die Übermacht des Kapitals durch
Wuchergesetze auch polizeilich einzudämmen. Die demokratische
Antipathie gegen die Zinsverträge verleugnete auch er nicht. Für den
italischen Geldverkehr wurde eine Maximalsumme der dem einzelnen
Kapitalisten zu gestattenden Zinsdarlehen festgestellt, welche sich
nach dem einem jeden zuständigen italischen Grundbesitz gerichtet zu
haben scheint und vielleicht die Hälfte des Wertes desselben betrug.
Übertretungen dieser Bestimmung wurden, nach Art des in den
republikanischen Wuchergesetzen vorgeschriebenen Verfahrens, als
Kriminalvergehen behandelt und vor eine eigene Geschworenenkommission
gewiesen. Wenn es gelang, diese Vorschriften praktisch durchzuführen,
so wurde jeder italische Geschäftsmann dadurch genötigt, vor allem
zugleich auch italischer Grundbesitzer zu werden, und die Klasse der
bloß von ihren Zinsen zehrenden Kapitalisten verschwand in Italien
gänzlich. Mittelbar wurde damit auch die nicht minder schädliche
Kategorie der überschuldeten und der Sache nach nur für ihre Gläubiger
das Gut verwaltenden Grundeigentümer wesentlich beschränkt, indem die
Gläubiger, wenn sie ihr Zinsgeschäft fortführen wollten, gezwungen
wurden, selber sich anzukaufen. Schon hierin übrigens liegt es, daß
Caesar keineswegs jenes naive Zinsverbot der alten Popularpartei
einfach erneuern, sondern vielmehr das Zinsnehmen innerhalb gewisser
Grenzen gestatten wollte. Sehr wahrscheinlich aber hat er dabei sich
nicht auf jene bloß für Italien gültige Anordnung eines Maximalsatzes
der auszuleihenden Summen beschränkt, sondern auch, namentlich mit
Rücksicht auf die Provinzen, für die Zinsen selbst Maximalsätze
vorgeschrieben. Die Verfügungen, daß es unstatthaft sei, höhere Zinsen
als eins vom Hundert monatlich oder von rückständigen Zinsen wieder
Zinsen zu nehmen oder endlich an rückständigen Zinsen mehr als eine dem
Kapital gleichkommende Summe gerichtlich geltend zu machen, wurden,
wahrscheinlich ebenfalls nach griechisch-ägyptischem Muster ^25, im
Römischen Reiche zuerst von Lucius Lucullus für Kleinasien aufgestellt
und daselbst von seinen besseren Nachfolgern beibehalten, sodann bald
auch auf andere Provinzen durch Statthalterverordnungen übertragen und
endlich wenigstens ein Teil derselben durch einen Beschluß des
römischen Senats vom Jahre 704 (50) mit Gesetzeskraft in allen
Provinzen versehen. Wenn diese Lucullischen Verfügungen späterhin in
ihrem vollen Umfang als Reichsgesetz erscheinen und durchaus die
Grundlage der römischen, ja der heutigen Zinsgesetzgebung geworden
sind, so darf auch dies vielleicht auf eine Bestimmung Caesars
zurückgeführt werden.
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^24 Die ägyptischen Königsgesetze (Diod. 1, 79) und ebenso das
Solonische Recht (Plut. Sol. 13, 15) untersagten die Schuldbriefe,
worin auf die Nichtzahlung der Verlust der persönlichen Freiheit des
Schuldners gesetzt war; und wenigstens das letztere legte auch im Falle
des Konkurses dem Schuldner nicht mehr auf als die Abtretung seiner
sämtlichen Aktiva.
^25 Wenigstens der letztere Satz kehrt wieder in den alten ägyptischen
Königsgesetzen (Diod. 1, 79). Dagegen kennt das Solonische Recht keine
Zinsbeschränkungen, erlaubt vielmehr ausdrücklich, Zinsen von jeder
beliebigen Höhe auszumachen.
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Hand in Hand mit diesen Bestrebungen, der Kapitalübermacht zu wehren,
gingen die Bemühungen, die Bodenwirtschaft in diejenige Bahn
zurückzuleiten, die dem Gemeinwesen die förderlichste war. Sehr
wesentlich war hierfür schon die Verbesserung der Rechtspflege und der
Polizei. Wenn bisher niemand in Italien seines Lebens und seines
beweglichen oder unbeweglichen Eigentums sicher gewesen war, wenn zum
Beispiel die römischen Bandenführer in den Zwischenzeiten, wo ihre
Leute nicht in der Hauptstadt Politik machen halfen, in den Wäldern
Etruriens dem Raube obgelegen oder auch die Landgüter ihrer Soldherren
durch Eroberungen arrondiert hatten, so hatte dergleichen Faustrecht
nunmehr ein Ende; und vor allem die ackerbauende Bevölkerung aller
Klassen mußte davon die wohltätigen Folgen empfinden. Auch Caesars
Baupläne, die sich durchaus nicht auf die Hauptstadt beschränkten,
waren bestimmt, hier einzugreifen; so sollte zum Beispiel die Anlegung
einer bequemen Fahrstraße von Rom durch die Apenninenpässe zum
Adriatischen Meer den italischen Binnenverkehr beleben, die
Niedrigerlegung des Fuciner Sees der marsischen Bauernschaft zugute
kommen. Allein auch unmittelbar griff Caesar in die wirtschaftlichen
Zustände Italiens ein. Den italischen Viehzüchtern wurde auferlegt,
wenigstens den dritten Teil ihrer Hirten aus freigeborenen, erwachsenen
Leuten zu nehmen, wodurch zugleich dem Banditenwesen gesteuert und dem
freien Proletariat eine Erwerbsquelle geöffnet ward. In der agrarischen
Frage ging Caesar, der bereits in seinem ersten Konsulat in die Lage
gekommen war, sie zu regulieren, verständiger als Tiberius Gracchus,
nicht darauf aus, die Bauernwirtschaft wiederherzustellen um jeden
Preis, selbst um den einer unter juristischen Klauseln versteckten
Revolution gegen das Eigentum; ihm wie jedem andern echten Staatsmann
galt vielmehr als die erste und unverbrüchlichste aller politischen
Maximen die Sicherheit dessen, was Eigentum ist oder doch im Publikum
als Eigentum gilt, und nur innerhalb der hierdurch gezogenen Schranken
suchte er die Hebung des italischen Kleinbesitzes, die auch ihm als
eine Lebensfrage der Nation erschien, zu bewerkstelligen. Es ließ auch
so noch viel in dieser Beziehung sich tun. Jedes Privatrecht, mochte es
Eigentum oder titulierter Erbbesitz heißen, auf Gracchus oder auf Sulla
zurückgehen, ward unbedingt von ihm respektiert. Dagegen das sämtliche
wirkliche Domanialland in Italien, mit Einschluß eines ansehnlichen
Teils der in den Händen geistlicher Innungen befindlichen, rechtlich
dem Staate zuständigen Liegenschaften, wurde von Caesar, nachdem er in
seiner streng sparsamen, auch im kleinen keine Verschleuderung und
Vernachlässigung duldenden Weise durch die wiedererweckte
Zwanzigerkommission eine allgemeine Revision der italischen Besitztitel
veranstaltet hatte, zur Verteilung in gracchanischer Weise bestimmt,
natürlich soweit es sich zum Ackerbau eignete - die dem Staate
gehörigen apulischen Sommer- und samnitischen Winterweiden blieben auch
ferner Domäne; und es war wenigstens die Absicht des Imperators, wenn
diese Domänen nicht ausreichen würden, das weiter erforderliche Land
durch Ankauf italischer Grundstücke aus der Staatskasse zu beschaffen.
Bei der Auswahl der neuen Bauern wurden natürlich vor allen die
gedienten Soldaten berücksichtigt und soweit möglich die Last, welche
die Aushebung für das Mutterland war, dadurch in eine Wohltat
umgewandelt, daß Caesar den als Rekruten ausgehobenen Proletarier ihm
als Bauer zurückgab; bemerkenswert ist es auch, daß die verödeten
latinischen Gemeinden, wie zum Beispiel Veii und Capena, vorzugsweise
mit neuen Kolonisten bedacht worden zu sein scheinen. Die Vorschrift
Caesars, daß die neuen Eigentümer erst nach zwanzig Jahren befugt sein
sollten, die empfangenen Ländereien zu veräußern, war ein glücklicher
Mittelweg zwischen der völligen Freigebung des Veräußerungsrechts, die
den größten Teil des verteilten Landes rasch wieder in die Hände der
großen Kapitalisten zurückgeführt haben würde, und den bleibenden
Beschränkungen der Verkehrsfreiheit, wie sie Tiberius Gracchus und
Sulla, beide gleich vergeblich, verfügt hatten.
Wenn also die Regierung energisch dazu tat, die kranken Elemente des
italischen Volkslebens zu entfernen und die gesunden zu stärken, so
sollte endlich das neu regulierte Munizipalwesen, nachdem sich dasselbe
erst jüngst aus der Krise des Bundesgenossenkriegs in und neben dem
Staatswesen entwickelt hatte, der neuen absoluten Monarchie das mit ihr
verträgliche Gemeindeleben mitteilen und die stockende Zirkulation der
edelsten Elemente des öffentlichen Lebens wieder zu rascheren
Pulsschlägen erwecken. Als leitender Grundsatz in den beiden im Jahre
705 (49) für das Cisalpinische Gallien, im Jahre 709 (45) für Italien
erlassenen Gemeindeordnungen ^26, von denen namentlich die letztere für
die ganze Folgezeit Grundgesetz blieb, erscheint teils die strenge
Reinigung der städtischen Kollegien von allen unsittlichen Elementen,
während von politischer Polizei darin keine Spur vorkommt, teils die
möglichste Beschränkung des Zentralisierens und die möglichst freie
Bewegung der Gemeinden, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und
eine wenngleich beschränkte Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit
verblieb. Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die
Beschränkungen des Assoziationsrechts, griffen freilich auch hier
Platz.
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^26 Von beiden Gesetzen sind beträchtliche Bruchstücke noch vorhanden.
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Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar versuchte, die italische
Volkswirtschaft zu reformieren. Es ist leicht, sowohl ihre
Unzulänglichkeit darzutun, indem auch sie noch eine Menge von
Übelständen bestehen ließen, als auch nachzuweisen, daß sie vielfach
schädlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit zum Teil sehr
empfindlich beschränkten. Es ist noch leichter nachzuweisen, daß die
Schäden der italischen Volkswirtschaft überhaupt unheilbarer Art waren.
Aber trotzdem wird der praktische Staatsmann das Werk wie den Meister
bewundern. Es war schon etwas, daß da, wo ein Mann wie Sulla, an
Abhilfe verzweifelnd, mit einer bloß formalen Reorganisation sich
begnügt hatte, das Übel an seinem eigentlichen Sitze angefaßt und hier
mit ihm gerungen ward; und wir dürfen wohl urteilen, daß Caesar mit
seinen Reformen dem Maße des Möglichen so nahe kam, als zu kommen dem
Staatsmann und dem Römer gegeben war. Die Verjüngung Italiens hat auch
er von ihnen nicht erwarten können noch erwartet, sondern diese
vielmehr auf einem sehr verschiedenen Wege zu erreichen gesucht, den
darzulegen es nötig wird, zunächst die Lage der Provinzen, wie Caesar
sie vorfand, ins Auge zu fassen.
Die Provinzen, welche Caesar vorfand, waren vierzehn an der Zahl;
sieben europäische: das Jenseitige und das Diesseitige Spanien; das
Transalpinische Gallien; das Italische Gallien mit Illyricum;
Makedonien mit Griechenland; Sizilien; Sardinien mit Korsika; fünf
asiatische: Asia; Bithynien und Pontus; Kilikien mit Kypros; Syrien;
Kreta; und zwei afrikanische: Kyrene und Afrika; wozu Caesar durch die
Einrichtung der beiden neuen Statthalterschaften des Lugdunensischen
Galliens und Belgiens und durch Konstituierung Illyricums als einer
eigenen Provinz noch drei neue Sprengel hinzufügte ^27.
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^27 Da nach Caesars Ordnung jährlich sechzehn Proprätoren und zwei
Prokonsuln in die Statthalterschaften sich teilten und die letzteren
zwei Jahre im Amt blieben, so möchte man schließen daß er die Zahl der
Provinzen insgesamt auf zwanzig zu bringen beabsichtigte. Zu einer
Gewißheit ist indes hier um so weniger zu gelangen, als Caesar
vielleicht absichtlich weniger Ämter einrichtete als Kandidaturen.
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In dem Regiment über diese Provinzen war die oligarchische
Mißwirtschaft auf einem Punkte angekommen, wie ihn wenigstens im
Okzident, trotz mancher achtbarer Leistungen in diesem Fach, keine
zweite Regierung jemals erreicht hat und wo nach unserer Fassungskraft
eine Steigerung nicht mehr möglich scheint. Allerdings traf die
Verantwortung hierfür die Römer nicht allein. Fast überall hatte
bereits vor ihnen das griechische, phönikische oder asiatische Regiment
den Völkern den höheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefühl
besserer Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, daß jeder angeschuldigte
Provinziale auf Verlangen in Rom persönlich zur Verantwortung sich zu
stellen verpflichtet war; daß der römische Statthalter beliebig in die
Rechtspflege und in die Verwaltung der abhängigen Gemeinden eingriff,
Bluturteile fällte und Verhandlungen des Gemeinderats kassierte; daß er
im Kriegsfall mit den Milizen nach Gutdünken und oft in schandbarer
Weise schaltete, wie zum Beispiel Cotta bei der Belagerung des
pontischen Herakleia der Miliz alle gefährlichen Posten anwies, um
seine Italiker zu schonen, und, da die Belagerung nicht nach Wunsch
ging, seinen Werkmeistern den Kopf vor die Füße zu legen befahl. Es war
wohl arg, daß keine Vorschrift der Sittlichkeit oder des Strafrechts
weder die römischen Vögte noch ihr Gefolge band und daß
Vergewaltigungen, Schändungen und Ermordungen mit oder ohne Form
Rechtens in den Provinzen alltägliche Auftritte waren. Allein es war
dies wenigstens nichts Neues: fast überall war man sklavischer
Behandlung längst gewohnt und es kam am Ende wenig darauf an, ob ein
karthagischer Vogt, ein syrischer Satrap oder ein römischer Prokonsul
den Lokaltyrannen spielte. Das materielle Wohlbefinden, ziemlich das
einzige, wofür man in den Provinzen noch Sinn hatte, ward durch jene
Vorgänge, die zwar bei den vielen Tyrannen viele, aber doch nur
einzelne Individuen trafen, weit minder gestört als durch die auf allen
zugleich lastende finanzielle Exploitierung, welche mit solcher Energie
doch niemals noch aufgetreten war. Die Römer bewährten ihre alte
Meisterschaft im Geldwesen jetzt auf diesem Gebiet in einer
entsetzlichen Weise. Es ist früher versucht worden, das römische System
der Provinzialbelastung in seinen bescheidenen und verständigen
Grundlagen wie in seiner Steigerung und Verderbung darzustellen. Daß
die letztere progressiv zunahm, versteht sich von selbst. Die
ordentlichen Abgaben wurden weit drückender durch die Ungleichheit der
Steuerverteilung und durch das verkehrte Hebesystem als durch ihre
Höhe. Über die Einquartierungslast äußerten römische Staatsmänner
selbst, daß eine Stadt ungefähr gleich viel leide, wenn der Feind sie
erstürme und wenn ein römisches Heer Winterquartier in ihr nehme.
Während die Besteuerung nach ihrem ursprünglichen Charakter die
Vergütung für die von Rom übernommene Kriegslast gewesen war und die
steuernde Gemeinde also ein Recht darauf hatte, vom ordentlichen Dienst
verschont zu bleiben, wurde jetzt, wie zum Beispiel für Sardinien
bezeugt ist, der Besatzungsdienst größtenteils den Provinzialen
aufgebürdet und sogar in den ordentlichen Heeren außer anderen
Leistungen die ganze schwere Last des Reiterdienstes auf sie abgewälzt.
Die außerordentlichen Leistungen, wie zum Beispiel die Kornlieferungen
gegen geringe oder gar keine Vergütung zum Besten des hauptstädtischen
Proletariats, die häufigen und kostspieligen Flottenrüstungen und
Strandverteidigungen, um der Piraterie zu steuern, die Aufgaben,
Kunstwerke, wilde Bestien oder andere Bedürfnisse des wahnwitzigen
römischen Theater- und Tierhetzenluxus herbeizuschaffen, die
militärischen Requisitionen im Kriegsfall, waren ebenso häufig wie
erdrückend und unberechenbar. Ein einzelnes Beispiel mag zeigen, wie
weit die Dinge gingen. Während der dreijährigen Verwaltung Siziliens
durch Gaius Verres sank die Zahl der Ackerwirte in Leontinoi von 84 auf
32, in Motuka von 187 auf 86, in Herbita von 252 auf 120, in Agyrion
von 250 auf 80; so daß in vier der fruchtbarsten Distrikte Siziliens
von hundert Grundbesitzern 59 ihre Äcker lieber brach liegen ließen,
als sie unter diesem Regiment bestellten. Und diese Ackerwirte waren,
wie schon ihre geringe Zahl zeigt und auch ausdrücklich gesagt wird,
keineswegs kleine Bauern, sondern ansehnliche Plantagenbesitzer und zum
großen Teil römische Bürger!
In den Klientelstaaten waren die Formen der Besteuerung etwas
verschieden, aber die Lasten selbst womöglich noch ärger, da außer den
Römern hier auch noch die einheimischen Höfe erpreßten. In Kappadokien
und Ägypten war der Bauer wie der König bankrott und jener den
Steuereinnehmer, dieser den römischen Gläubiger zu befriedigen
außerstande. Dazu kamen denn die eigentlichen Erpressungen nicht bloß
des Statthalters selbst, sondern auch seiner “Freunde”, von denen jeder
gleichsam eine Anweisung auf den Statthalter zu haben meinte und ein
Anrecht, durch ihn aus der Provinz als ein gemachter Mann
zurückzukommen. Die römische Oligarchie glich in dieser Beziehung
vollständig einer Räuberbande und betrieb das Plündern der Provinzialen
berufs- und handwerksmäßig: ein tüchtiges Mitglied griff nicht allzu
säuberlich zu, da man ja mit den Sachwaltern und den Geschworenen zu
teilen hatte und je mehr, um desto sicherer stahl. Auch die Diebesehre
war bereits entwickelt: der große Räuber sah auf den kleinen, dieser
auf den bloßen Dieb geringschätzig herab; wer einmal wunderbarerweise
verurteilt worden war, tat groß mit der hohen Ziffer der als erpreßt
ihm nachgewiesenen Summen. So wirtschafteten in den Ämtern die
Nachfolger jener Männer, die von ihrer Verwaltung nichts nach Hause zu
bringen gewohnt gewesen als den Dank der Untertanen und den Beifall der
Mitbürger.
Aber womöglich noch ärger und noch weniger einer Kontrolle unterworfen
hausten die italischen Geschäftsmänner unter den unglücklichen
Provinzialen. Die einträglichsten Stücke des Grundbesitzes und das
gesamte Handels- und Geldwesen in den Ämtern konzentrierten sich in
ihren Händen. Die Güter in den überseeischen Gebieten, welche
italischen Vornehmen gehörten, waren allem Elend der
Verwalterwirtschaft ausgesetzt und sahen niemals ihren Herrn,
ausgenommen etwa die Jagdparke, welche schon in dieser Zeit im
Transalpinischen Gallien mit einem Flächeninhalt bis fast zu einer
deutschen Quadratmeile vorkommen. Die Wucherei florierte wie nie zuvor.
Die kleinen Landeigentümer in Illyricum, Asia, Ägypten wirtschafteten
schon zu Varros Zeit größtenteils tatsächlich als Schuldknechte ihrer
römischen oder nichtrömischen Gläubiger, ebenwie einst die Plebejer für
ihre patrizischen Zinsherren. Es kam vor, daß Kapitalien selbst an
Stadtgemeinden zu vier Prozent monatlich verborgt wurden. Es war etwas
Gewöhnliches, daß ein energischer und einflußreicher Geschäftsmann zu
besserer Betreibung seiner Geschäfte entweder vom Senat sich den
Gesandten- ^28 oder auch vom Statthalter den Offizierstitel geben ließ
und womöglich auch Mannschaft dazu; in beglaubigter Weise wird ein Fall
erzählt, wo einer dieser ehrenwerten kriegerischen Bankiers wegen einer
Forderung an die Stadt Salamis auf Kypros den Gemeinderat derselben im
Rathaus so lange blockiert hielt, bis fünf der Ratsmitglieder Hungers
gestorben waren.
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^28 Dies ist die sogenannte “freie Gesandtschaft” (libera legatio),
nämlich eine Gesandtschaft ohne eigentliche öffentliche Aufträge.
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Zu dieser gedoppelten Pressung, von denen jede allein unerträglich war
und deren Ineinandergreifen immer besser sich regulierte, kamen dann
die allgemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch die römische
Regierung die Schuld, zum großen Teil wenigstens mittelbar trug. In den
vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald von den römischen
Heeren große Kapitalien aus dem Lande weggeschleppt und größere
verdorben. Bei der Nichtigkeit der römischen Land- und Seepolizei
wimmelte es überall von Land- und Seeräubern. In Sardinien und im
inneren Kleinasien war die Bandenwirtschaft endemisch; in Afrika und im
Jenseitigen Spanien machte sie es nötig, alle außerhalb der städtischen
Ringmauern angelegten Gebäude mit Mauern und Türmen zu befestigen. Das
furchtbare Übel der Piraterie ward bereits in einem anderen
Zusammenhang geschildert. Die Panazeen des Prohibitivsystems, mit denen
der römische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das
unter solchen Verhältnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme oder
Brotteuerung eintrat, die Verbote der Gold- und Getreideausfuhr aus der
Provinz, machten denn auch die Sache nicht besser. Die
Kommunalverhältnisse waren fast überall, außer durch den allgemeinen
Notstand, auch noch durch lokale Wirren und Unterschleife der
Gemeindebeamten zerrüttet. Wo solche Bedrängnisse nicht etwa
vorübergehend, sondern Menschenalter hindurch auf den Gemeinden und den
einzelnen mit unabwendbar stetigem, jährlich steigendem Drucke
lasteten, mußte wohl der bestgeordnete öffentliche oder Privathaushalt
ihnen erliegen und das unsäglichste Elend über alle Nationen vom Tajo
bis zum Euphrat sich ausbreiten. “Alle Gemeinden”, heißt es in einer
schon 684 (70) veröffentlichten Schrift “sind zugrunde gerichtet”;
ebendasselbe wird für Spanien und das Narbonensische Gallien, also die
verhältnismäßig ökonomisch noch am leidlichsten gestellten Provinzen,
insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar standen Städte wie Samos und
Halikarnassos fast leer; der rechtliche Sklavenstand schien hier,
verglichen mit den Peinigungen, denen der freie Provinziale unterlag,
ein Hafen der Ruhe, und sogar der geduldige Asiate war, nach den
Schilderungen römischer Staatsmänner selbst, des Lebens überdrüssig
geworden. Wen zu ergründen gelüstet, wie tief der Mensch sinken kann,
sowohl in dem frevelhaften Zufügen wie in dem nicht minder frevelhaften
Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Kriminalakten dieser
Zeit zusammenlesen, was römische Große zu tun, was Griechen, Syrer und
Phöniker zu leiden vermochten. Selbst die eigenen Staatsmänner räumten
öffentlich und ohne Umschweife ein, daß der römische Name durch ganz
Griechenland und Asien unaussprechlich verhaßt sei; und wenn die Bürger
des pontischen Herakleia einmal die römischen Zöllner sämtlich
erschlugen, so war dabei nur zu bedauern, daß dergleichen nicht öfter
geschah.
Die Optimaten spotteten über den neuen Herrn, der seine “Meierhöfe”
einen nach dem andern selbst zu besichtigen kam; in der Tat forderte
der Zustand aller Provinzen den ganzen Ernst und die ganze Weisheit
eines jener seltenen Männer, denen der Königsname es verdankt, daß er
den Völkern nicht bloß gilt als leuchtendes Exempel menschlicher
Unzulänglichkeit. Die geschlagenen Wunden mußte die Zeit heilen; daß
sie es konnte und daß nicht ferner neue geschlagen wurden, dafür sorgte
Caesar. Das Verwaltungswesen ward durchgreifend umgestaltet. Die
Sullanischen Prokonsuln und Proprätoren waren in ihrem Sprengel
wesentlich souverän und tatsächlich keiner Kontrolle unterworfen
gewesen; die Caesarischen waren die wohl in Zucht gehaltenen Diener
eines strengen Herrn, der schon durch die Einheit und die
lebenslängliche Dauer seiner Macht zu den Untertanen ein natürlicheres
und leidlicheres Verhältnis hatte als jene vielen, jährlich wechselnden
kleinen Tyrannen. Die Statthalterschaften wurden zwar auch ferner unter
die jährlich abtretenden zwei Konsuln und sechzehn Prätoren verteilt,
aber dennoch, indem der Imperator acht von den letzteren geradezu
ernannte und die Verteilung der Provinzen unter die Konkurrenten
lediglich von ihm abhing, der Sache nach von dem Imperator vergeben.
Auch die Kompetenz der Statthalter ward tatsächlich beschränkt. Es
blieb ihnen die Leitung der Rechtspflege und die administrative
Kontrolle der Gemeinden, aber ihr Kommando ward paralysiert durch das
neue Oberkommando in Rom und dessen, dem Statthalter zur Seite
gestellte Adjutanten, das Hebewesen wahrscheinlich schon jetzt, auch in
den Provinzen wesentlich an kaiserliche Bediente übertragen, so daß der
Statthalter fortan mit einem Hilfspersonal umringt war, welches
entweder durch die Gesetze der militärischen Hierarchie oder durch die
noch strengeren der häuslichen Zucht unbedingt von dem Imperator
abhing. Wenn bisher der Prokonsul und sein Quästor erschienen waren
gleichsam als die zur Einziehung der Brandschatzung abgesandten
Mitglieder einer Räuberbande, so waren Caesars Beamte dazu da, um den
Schwachen gegen den Starken zu beschützen; und an die Stelle der
bisherigen, schlimmer als nichtigen Kontrolle der Ritter- oder
senatorischen Gerichte trat für sie die Verantwortung vor einem
gerechten und unnachsichtigen Monarchen. Das Gesetz über Erpressungen,
dessen Bestimmungen Caesar schon in seinem ersten Konsulat verschärft
hatte, wurde gegen die Oberkommandanten in den Ämtern von ihm mit
unerbittlicher, selbst über den Buchstaben desselben hinausgehender
Schärfe zur Anwendung gebracht; und die Steuerbeamten gar, wenn sie ja
es wagten, sich eine Unrechtfertigkeit zu erlauben, büßten ihrem Herrn,
wie Knechte und Freigelassene nach dem grausamen Hausrecht jener Zeit
zu büßen pflegten. Die außerordentlichen öffentlichen Lasten wurden auf
das richtige Maß und den wirklichen Notfall zurückgeführt, die
ordentlichen wesentlich vermindert. Der durchgreifenden Regulierung des
Steuerwesens ward bereits früher gedacht: die Ausdehnung der
Steuerfreiheiten, die durchgängige Herabsetzung der direkten Abgaben,
die Beschränkung des Zehntsystems auf Afrika und Sardinien, die
vollständige Beseitigung der Mittelsmänner bei der Einziehung der
direkten Abgaben waren für die Provinzialen segensreiche Reformen. Daß
Caesar nach dem Beispiel eines seiner größten demokratischen Vorgänger,
des Sertorius, die Untertanen von der Einquartierungslast hat befreien
und die Soldaten anhalten wollen, sich selber bleibende stadtartige
Standlager zu errichten, ist zwar nicht nachzuweisen; aber er war,
wenigstens nachdem er die Prätendenten- mit der Königsrolle vertauscht
hatte, nicht der Mann, den Untertan dem Soldaten preiszugeben; und es
war in seinem Geiste gedacht, als die Erben seiner Politik solche
Kriegslager und aus diesen Kriegslagern wieder Städte erschufen, in
denen die italische Zivilisation Brennpunkte inmitten der barbarischen
Grenzlandschaften fand.
Bei weitem schwieriger als dem Beamtenunwesen zu steuern war es, die
Provinzialen von der erdrückenden Übermacht des römischen Kapitals zu
befreien. Geradezu brechen ließ dieselbe sich nicht, ohne Mittel
anzuwenden, die noch gefährlicher waren als das Übel; die Regierung
konnte vorläufig nur einzelne Mißbräuche abstellen, wie zum Beispiel
Caesar die Benutzung des Staatsgesandtentitels zu wucherlichen Zwecken
untersagte, und der offenbaren Vergewaltigung und dem handgreiflichen
Wucher durch scharfe Handhabung der allgemeinen Straf- und der auch auf
die Provinzen sich erstreckenden Wuchergesetze entgegentreten, eine
gründlichere Heilung des Übels aber von dem unter der besseren
Verwaltung wiederaufblühenden Wohlstand der Provinzialen erwarten.
Transitorische Verfügungen, um der Überschuldung einzelner Provinzen
abzuhelfen, waren in den letzten Zeiten mehrfach ergangen. Caesar
selbst hatte 694 (60) als Statthalter des Jenseitigen Spaniens den
Gläubigern zwei Drittel der Einnahmen ihrer Schuldner zugewiesen, um
daraus sich bezahlt zu machen. Ähnlich hatte schon Lucius Lucullus als
Statthalter von Kleinasien einen Teil der maßlos angeschwollenen
Zinsreste geradezu kassiert, für den übrigen Teil die Gläubiger
angewiesen auf den vierten Teil des Ertrages der Ländereien ihrer
Schuldner sowie auf eine angemessene Quote der aus Hausmiete oder
Sklavenarbeit denselben zufließenden Nutzungen. Es ist nicht
überliefert, daß Caesar nach dem Bürgerkrieg ähnliche allgemeine
Schuldenliquidationen in den Provinzen veranlaßt hätte; doch kann es,
nach dem eben Bemerkten und nach dem, was für Italien geschah, kaum
bezweifelt werden, daß Caesar darauf ebenfalls hingearbeitet hat oder
dies wenigstens in seinem Plan lag.
Wenn also der Imperator, soweit Menschenkraft es vermochte, die
Provinzialen der Bedrückungen durch die Beamten und Kapitalisten Roms
entlastete, so durfte man zugleich von der durch ihn neu erstarkenden
Regierung mit Sicherheit erwarten, daß sie die wilden Grenzvölker
verscheuchen und die Land- und Seepiraten zerstreuen werde, wie die
aufsteigende Sonne die Nebel verjagt. Wie auch noch die alten Wunden
schmerzten, mit Caesar erschien den vielgeplagten Untertanen die
Morgenröte einer erträglicheren Zeit, seit Jahrhunderten wieder die
erste intelligente und humane Regierung und eine Friedenspolitik, die
nicht auf der Feigheit, sondern auf der Kraft beruhte. Wohl mochten mit
den besten Römern vor allem die Untertanen an der Leiche des großen
Befreiers trauern.
Allein diese Abstellung der bestehenden Mißbräuche war nicht die
Hauptsache in Caesars Provinzialreform. In der römischen Republik
waren, nach der Ansicht der Aristokratie wie der Demokratie, die Ämter
nichts gewesen als wie sie häufig genannt werden: Landgüter des
römischen Volkes, und als solche waren sie benutzt und ausgenutzt
worden. Damit war es jetzt vorbei. Die Provinzen als solche sollten
allmählich untergehen, um der verjüngten hellenisch-italischen Nation
eine neue und geräumigere Heimat zu bereiten, von deren einzelnen
Bezirken keiner nur um eines andern willen da war, sondern alle für
einen und einer für alle; die Leiden und Schäden der Nation, für die in
dem alten Italien keine Hilfe war, sollte das neue Dasein in der
verjüngten Heimat, das frischere, breitere, großartigere Volksleben von
selber überwinden. Bekanntlich waren diese Gedanken nicht neu. Die seit
Jahrhunderten stehend gewordene Emigration aus Italien in die Provinzen
hatte längst, freilich den Emigranten selber unbewußt, eine solche
Ausdehnung Italiens vorbereitet. In planmäßiger Weise hatte zuerst
Gaius Gracchus, der Schöpfer der römischen demokratischen Monarchie,
der Urheber der transalpinischen Eroberungen, der Gründer der Kolonien
Karthago und Narbo, die Italiker über Italiens Grenzen hinausgelenkt,
sodann der zweite geniale Staatsmann, den die römische Demokratie
hervorgebracht, Quintus Sertorius, damit begonnen, die barbarischen
Okzidentalen zur latinischen Zivilisation anzuleiten; er gab der
vornehmen spanischen Jugend römische Tracht und hielt sie an,
lateinisch zu sprechen und auf der von ihm gegründeten Bildungsanstalt
in Osca sich die höhere italische Bildung anzueignen. Bei Caesars
Regierungsantritt war bereits eine massenhafte, freilich der Stetigkeit
wie der Konzentration großenteils ermangelnde italische Bevölkerung in
allen Provinzen und Klientelstaaten vorhanden - um von den förmlich
italischen Städten in Spanien und dem südlichen Gallien zu schweigen,
erinnern wir nur an die zahlreichen Bürgertruppen, die Sertorius und
Pompeius in Spanien, Caesar in Gallien, Juba in Numidien, die
Verfassungspartei in Afrika, Makedonien, Griechenland, Kleinasien und
Kreta aushoben; an die freilich übelgestimmte lateinische Leier, auf
der die Stadtpoeten von Corduba schon im Sertorianischen Kriege der
römischen Feldherren Lob und Preis sangen; an die eben ihrer
sprachlichen Eleganz wegen geschätzten Übersetzungen griechischer
Poesien, die der älteste namhafte außeritalische Poet, der Transalpiner
Publius Terentius Varro von der Aude, kurz nach Caesars Tode
veröffentlichte.
Andererseits war die Durchdringung des latinischen und des hellenischen
Wesens, man möchte sagen, so alt wie Rom. Schon bei der Einigung
Italiens hatte die obsiegende latinische Nation alle anderen besiegten
Nationalitäten sich assimiliert, nur die einzige griechische, so wie
sie war, sich eingefügt, ohne sie äußerlich mit sich zu verschmelzen.
Wohin der römische Legionär kam, dahin folgte der griechische
Schulmeister, in seiner Art nicht minder ein Eroberer, ihm nach; schon
früh finden wir namhafte griechische Sprachlehrer ansässig am
Guadalquivir, und in der Anstalt von Osca ward so gut griechisch
gelehrt wie lateinisch. Die höhere römische Bildung selbst war ja
durchaus nichts anderes als die Verkündung des großen Evangeliums
hellenischer Art und Kunst im italischen Idiom; gegen die bescheidene
Anmaßung der zivilisierenden Eroberer, dasselbe zunächst in ihrer
Sprache den Barbaren des Westens zu verkündigen, konnte der Hellene
wenigstens nicht laut protestieren. Schon längst erblickte der Grieche
überall, und am entschiedensten eben da, wo das Nationalgefühl am
reinsten und am stärksten war, an den von barbarischer
Denationalisierung bedrohten Grenzen, wie zum Beispiel in Massalia, am
Nordgestade des Schwarzen Meeres und am Euphrat und Tigris, den Schild
und das Schwert des Hellenismus in Rom; und in der Tat nahmen Pompeius’
Städtegründungen im fernen Osten nach jahrhundertelanger Unterbrechung
Alexanders segensreiches Werk wieder auf.
Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches mit zweien Sprachen und
einer einheitlichen Nationalität war nicht neu - er wäre sonst auch
nichts gewesen als ein Fehler; aber daß er aus schwankenden Entwürfen
zu sicherer Fassung, aus zerstreuten Anfängen zu konzentrierter
Grundlegung fortschritt, ist das Werk des dritten und größten der
demokratischen Staatsmänner Roms.
Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen und nationalen
Nivellierung des Reichs war die Erhaltung und Ausdehnung der beiden zu
gemeinschaftlichem Herrschen bestimmten Nationen, unter möglichst
rascher Beseitigung der neben ihr stehenden barbarischen oder
barbarisch genannten Stämme. In gewissem Sinne könnte man allerdings
neben Römern und Griechen noch eine dritte Nationalität nennen, die mit
denselben in der damaligen Welt an Ubiquität wetteiferte und auch in
dem neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen
bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwürdige, nachgiebig zähe
Volk war in der alten wie in der heutigen Welt überall und nirgends
heimisch und überall und nirgends mächtig. Die Diadochen Davids und
Salomos bedeuteten für die Juden jener Zeit kaum mehr, als heutzutage
Jerusalem für sie bedeutet; die Nation fand wohl für ihre religiöse und
geistige Einheit einen sichtbaren Anhalt in dem kleinen Königreich von
Jerusalem, aber sie selbst bestand keineswegs in der Untertanenschaft
der Hasmonäer, sondern in den zahllos durch das ganze Parthische und
das ganze Römische Reich zerstreuten Judenschaften. In Alexandreia
namentlich und ähnlich in Kyrene bildeten die Juden innerhalb dieser
Städte eigene, administrativ und selbst lokal abgegrenzte Gemeinwesen,
den Judenvierteln unserer Städte nicht ungleich, aber freier gestellt
und von einem “Volksherrn” als oberstem Richter und Verwalter geleitet.
Wie zahlreich selbst in Rom die jüdische Bevölkerung bereits vor Caesar
war, und zugleich, wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals
zusammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers dieser
Zeit, daß es für den Statthalter bedenklich sei, den Juden in seiner
Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zählen dürfe,
nach seiner Heimkehr von dem hauptstädtischen Pöbel ausgepfiffen zu
werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschäft der Juden der
Handel: mit dem erobernden römischen Kaufmann zog damals der jüdische
Händler ebenso überall hin wie später mit dem genuesischen und
venezianischen, und neben der römischen strömte das Kapital allerorts
bei der jüdischen Kaufmannschaft zusammen. Auch zu jener Zeit endlich
begegnen wir der eigentümlichen Antipathie der Okzidentalen gegen diese
so gründlich orientalische Rasse und ihre fremdartigen Meinungen und
Sitten. Dies Judentum, obwohl nicht der erfreulichste Zug in dem
nirgends erfreulichen Bilde der damaligen Völkermengung, war
nichtsdestoweniger ein im natürlichen Verlauf der Dinge sich
entwickelndes geschichtliches Moment, das der Staatsmann weder sich
ableugnen noch bekämpfen durfte und dem Caesar vielmehr, ebenwie sein
Vorgänger Alexander, in richtiger Erkenntnis der Verhältnisse möglichst
Vorschub tat. Wenn Alexander, der Stifter des alexandrinischen
Judentums, damit nicht viel weniger für die Nation tat wie ihr eigener
David durch den Tempelbau von Jerusalem, so förderte auch Caesar die
Juden in Alexandreia wie in Rom durch besondere Begünstigungen und
Vorrechte und schützte namentlich ihren eigentümlichen Kult gegen die
römischen wie gegen die griechischen Lokalpfaffen. Die beiden großen
Männer dachten natürlich nicht daran, der hellenischen oder
italisch-hellenischen Nationalität die jüdische ebenbürtig zur Seite zu
stellen. Aber der Jude, der nicht wie der Okzidentale die Pandoragabe
politischer Organisation empfangen hat und gegen den Staat sich
wesentlich gleichgültig verhält; der ferner ebenso schwer den Kern
seiner nationalen Eigentümlichkeit aufgibt als bereitwillig denselben
mit jeder beliebigen Nationalität umhüllt und bis zu einem gewissen
Grad der fremden Volkstümlichkeit sich anschmiegt - der Jude war
ebendarum wie geschaffen für einen Staat, welcher auf den Trümmern von
hundert lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermaßen
abstrakten und von vornherein verschliffenen Nationalität ausgestattet
werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judentum ein wirksames
Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition und
insofern ein vorzugsweise berechtigtes Mitglied in dem Caesarischen
Staate, dessen Politie doch eigentlich nichts als Weltbürgertum, dessen
Volkstümlichkeit im Grunde nichts als Humanität war.
Indes die positiven Elemente des neuen Bürgertums blieben
ausschließlich die latinische und die hellenische Nationalität. Mit dem
spezifisch italischen Staat der Republik war es also zu Ende; jedoch
war es nichts als ein sehr erklärliches, aber auch sehr albernes Gerede
des grollenden Adels, daß Caesar Italien und Rom absichtlich zugrunde
richte, um den Schwerpunkt des Reiches in den griechischen Osten zu
verlegen und zur Hauptstadt desselben Ilion oder Alexandreia zu machen.
Vielmehr behielt in Caesars Organisation die latinische Nationalität
immer das Übergewicht; wie sich dies schon darin ausspricht, daß er
jede Verfügung in lateinischer, aber die für die griechisch redenden
Landschaften bestimmten daneben in griechischer Sprache erließ. Im
allgemeinen ordnete er die Verhältnisse der beiden großen Nationen in
seiner Monarchie ebenwie sie in dem geeinigten Italien seine
republikanischen Vorgänger geordnet hatten: die hellenische
Nationalität wurde geschützt, wo sie bestand, die italische nach
Vermögen erweitert und ihr die Erbschaft der aufzulösenden Rassen
bestimmt. Es war dies schon deshalb notwendig, weil eine völlige
Gleichstellung des griechischen und lateinischen Elements im Staate
aller Wahrscheinlichkeit nach in sehr kurzer Zeit diejenige Katastrophe
herbeigeführt haben würde, die manche Jahrhunderte später der
Byzantinismus vollzog; denn das Griechentum war nicht bloß geistig nach
allen Richtungen hin dem römischen Wesen überlegen, sondern auch an
Masse, und hatte in Italien selbst an den Schwärmen der gezwungen oder
freiwillig nach Italien wandernden Hellenen und Halbhellenen eine
Unzahl unscheinbarer, aber in ihrem Einfluß nicht hoch genug
anzuschlagender Apostel. Um nur der eminentesten Erscheinung auf diesem
Gebiete zu gedenken, so ist das Regiment der griechischen Lakaien über
die römischen Monarchen so alt wie die Monarchie: der erste in der
ebenso langen wie widerwärtigen Liste dieser Individuen ist Pompeius’
vertrauter Bedienter Theophanes von Mytilene, welcher durch seine
Gewalt über den schwachen Herrn wahrscheinlich mehr als irgendein
anderer Mann zu dem Ausbruch des Krieges zwischen Pompeius und Caesar
beigetragen hat. Nicht ganz mit Unrecht ward er nach seinem Tode von
seinen Landsleuten göttlich verehrt: eröffnete er doch die
Kammerdienerregierung der Kaiserzeit, die gewissermaßen eben auch eine
Herrschaft der Hellenen über die Römer war. Die Regierung hatte demnach
allen Grund, die Ausbreitung des Hellenismus wenigstens im Westen nicht
noch von oben herab zu fördern. Wenn Sizilien nicht bloß des
Zehntendrucks entlastet, sondern auch seinen Gemeinden das latinische
Recht bestimmt ward, dem seiner Zeit vermutlich die volle
Gleichstellung mit Italien nachfolgen sollte, so kann Caesars Absicht
nur gewesen sein, die herrliche, aber damals verödete und
wirtschaftlich zum größten Teil in italische Hände gelangte Insel,
welche die Natur nicht so sehr zum Nachbarland Italiens bestimmt hat
als zu der schönsten seiner Landschaften, völlig in Italien aufgehen zu
lassen. Im übrigen aber ward das Griechentum, wo es bestand, erhalten
und geschützt. Wie nahe auch die politischen Krisen es dem Imperator
legten, die festen Pfeiler des Hellenismus im Okzident und in Ägypten
umzustürzen, Massalia und Alexandreia wurden weder vernichtet noch
denationalisiert.
Dagegen das römische Wesen ward durch Kolonisierung wie durch
Latinisierung mit allen Kräften und an den verschiedensten Punkten des
Reiches von der Regierung gehoben. Der zwar aus einer argen Vereinigung
formeller Rechts- und brutaler Machtentwicklung hervorgegangene, aber,
um freie Hand gegen die zur Vernichtung bestimmten Nationen zu haben,
unumgänglich notwendige Satz, daß an allem, nicht durch besonderen Akt
der Regierung an Gemeinden oder Private abgetretenen Grund und Boden in
den Provinzen der Staat das Eigentum, der zeitige Inhaber nur einen
geduldeten und jederzeit widerruflichen Erbbesitz habe, wurde auch von
Caesar festgehalten und durch ihn aus einer demokratischen
Parteitheorie zu einem Fundamentalprinzip des monarchischen Rechts
erhoben. In erster Linie kam für die Ausbreitung der römischen
Nationalität natürlich Gallien in Frage. Gallien diesseits der Alpen
erhielt durch die längst von der Demokratie als vollzogen angenommene
und nun (705 49) durch Caesar schließlich vollzogene Aufnahme der
transpadanischen Gemeinden in den römischen Bürgerverband durchgängig,
was ein großer Teil der Bewohner längst gehabt: politische
Gleichberechtigung mit dem Hauptland. Tatsächlich hatte sich diese
Provinz in den vierzig Jahren, die seit Erteilung des Latinerrechts
verflossen waren, bereits vollständig latinisiert. Die Exklusiven
mochten spotten über den breiten und gurgelnden Akzent des
Kettenlateins und ein “ich weiß nicht was von hauptstädtischer Anmut”
bei dem Insubrer und Veneter vermissen, der sich als Caesars Legionär
mit dem Schwert einen Platz auf dem römischen Markt und sogar in der
römischen Kurie erobert hatte. Nichtsdestoweniger war das Cisalpinische
Gallien mit seiner dichten, vorwiegend bauernschaftlichen Bevölkerung
schon vor Caesar der Sache nach eine italische Landschaft und blieb
Jahrhunderte lang der rechte Zufluchtsort italischer Sitte und
italischer Bildung; wie denn die Lehrer der latinischen Literatur
nirgends sonst außerhalb der Hauptstadt so vielen Zuspruch und Anklang
fanden. Wenn also das Cisalpinische Gallien wesentlich in Italien
aufging, so trat zugleich an die Stelle, die es bisher eingenommen
hatte, die transalpinische Provinz, die ja durch Caesars Eroberungen
aus einer Grenz- in eine Binnenprovinz umgewandelt worden war und die
durch ihre Nähe wie durch ihr Klima vor allen anderen Gebieten sich
dazu eignete, mit der Zeit gleichfalls eine italische Landschaft zu
werden. Dorthin hauptsächlich, nach dem alten Zielpunkt der
überseeischen Ansiedlungen der römischen Demokratie, ward der Strom der
italischen Emigration gelenkt. Es wurden daselbst teils die alte
Kolonie Narbo durch neue Ansiedler verstärkt, teils in Baeterrae
(Béziers) unweit Narbo, in Arelate (Arles) und Arausio (Orange) an der
Rhone und in der neuen Hafenstadt Forum Iulii (Fréjus) vier neue
Bürgerkolonien angelegt, deren Namen zugleich das Andenken der tapferen
Legionen bewahrten, die das nördliche Gallien zum Reiche gebracht
hatten ^29. Die nicht mit Kolonisten belegten Ortschaften scheinen
zugleich, wenigstens größtenteils, in derselben Art wie einst das
transpadanische Kettenland, der Romanisierung entgegengeführt worden zu
sein durch Verleihung latinischen Stadtrechts; namentlich wurde
Nemausus (Nîmes) als der Hauptort des den Massalioten infolge ihrer
Auflehnung gegen Caesar aberkannten Gebiets aus einem massaliotischen
Flecken in eine latinische Stadtgemeinde umgewandelt und mit
ansehnlichem Gebiet und selbst mit Münzrecht ausgestattet ^30. Indem
also das Cisalpinische Gallien von der vorbereitenden Stufe zur vollen
Gleichstellung mit Italien fortschritt, rückte gleichzeitig die
narbonensische Provinz in jenes vorbereitende Stadium nach; ganz wie
bisher im Cisalpinischen Gallien hatten die ansehnlichsten Gemeinden
daselbst das volle Bürger-, die übrigen latinisches Recht.
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^29 Narbo heißt Kolonie der Decimaner, Baeterrae der Septimaner, Forum
Iulii der Octavaner, Arelate der Sextaner, Arausio der Secundaner. Die
neunte Legion fehlt, weil sie ihre Nummer durch die Meuterei von
Placentia entehrt hatte. Daß übrigens die Kolonisten dieser Kolonien
den eponymen Legionen angehörten, wird nicht gesagt und ist nicht
glaublich; die Veteranen selbst wurden wenigstens der großen Mehrzahl
nach in Italien angesiedelt. Ciceros Klage, daß Caesar “ganze Provinzen
und Landschaften auf einen Schlag konfisziert habe” (off. 2, 7, 27,
vgl. Phil. 13,15; 31, 32), geht ohne Zweifel, wie schon die enge
Verknüpfung derselben mit dem Tadel des Triumphs über die Massalioten
beweist, auf die dieser Kolonien wegen in der narbonensischen Provinz
vorgenommenen Landeinziehungen und zunächst auf die Massalia
auferlegten Gebietsverluste.
^30 Ausdrücklich überliefert ist es nicht, von wem das latinische Recht
der nichtkolonisierten Ortschaften dieser Gegend und namentlich von
Nemausus herrührt. Aber da Caesar selbst (civ. 1, 35) so gut wie
geradezu sagt, daß Nemausus bis 705 (49) ein massaliotisches Dorf war;
da nach dem Livianischen Bericht (Dio 41, 25; Flor. epit. 2, 13; Oros.
hist. 6, 15) eben dieser Teil des Gebietes den Massalioten von Caesar
entzogen ward da endlich schon auf voraugustischen Münzen und sodann
bei Strabon die Stadt als Gemeinde latinischen Rechts vorkommt, so kann
nur Caesar der Urheber dieser Latinitätsverleihung sein. Von Ruscino
(Roussillon bei Perpignan) und anderen, im Narbonensischen Gallien früh
zu latinischer Stadtverfassung gelangten Gemeinden läßt sich nur
vermuten, daß sie dieselbe gleichzeitig mit Nemausus empfingen.
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In den anderen nichtgriechischen und nichtlatinischen Landschaften des
Reiches, welche der Einwirkung Italiens und dem Assimilationsprozeß
noch ferner standen, beschränkte Caesar sich darauf, einzelne
Brennpunkte für die italische Zivilisation zu gründen, wie dies bisher
in Gallien Narbo gewesen war, um durch sie die künftige vollständige
Ausgleichung vorzubereiten. Solche Anfänge lassen, mit Ausnahme der
ärmsten und geringsten von allen, der sardinischen, in sämtlichen
Provinzen des Reiches sich nachweisen. Wie Caesar im nördlichen Gallien
verfuhr, ward schon dargelegt; die lateinische Sprache erhielt hier,
wenn auch noch nicht für alle Zweige des öffentlichen Verkehrs,
durchgängig offizielle Geltung und es entstand am Lemansee als die
nördlichste Stadt italischer Verfassung die Kolonie Noviodunum (Nyon).
In Spanien, vermutlich damals der am dichtesten bevölkerten Landschaft
des Römischen Reiches, wurden nicht bloß in der wichtigen
hellenisch-iberischen Hafenstadt Emporiae neben der alten Bevölkerung
Caesarische Kolonisten angesiedelt, sondern, wie neuerdings
aufgefundene Urkunden gezeigt haben, auch eine Anzahl wahrscheinlich
überwiegend dem hauptstädtischen Proletariat entnommener Kolonisten in
der Stadt Urso (Osuna), unweit Sevilla im Herzen von Andalusien, und
vielleicht noch in mehreren anderen Ortschaften dieser Provinz
versorgt. Die alte und reiche Kaufstadt Gades, deren Munizipalwesen
Caesar schon als Prätor zeitgemäß umgestaltet hatte, erhielt jetzt von
dem Imperator das volle Recht der italischen Munizipien (705 49) und
wurde, was in Italien Tusculum gewesen war, die erste außeritalische,
nicht von Rom gegründete Gemeinde, die in den römischen Bürgerverband
eintrat. Einige Jahre nachher (709 45) wurde das gleiche Recht auch
einigen anderen spanischen Gemeinden und vermutlich noch mehreren das
latinische zuteil.
In Afrika wurde, was Gaius Gracchus nicht hatte zu Ende führen sollen,
jetzt ins Werk gesetzt und an derjenigen Stätte, wo die Stadt der
Erbfeinde Roms gestanden, 3000 italische Kolonisten und eine große
Anzahl der im karthagischen Gebiet ansässigen Pacht- und Bittbesitzer
angesiedelt; und zum Erstaunen rasch wuchs unter den unvergleichlich
günstigen Lokalverhältnissen die neue “Venuskolonie”, das römische
Karthago, wieder empor. Utica, bis dahin die Haupt- und erste
Handelsstadt der Provinz, war schon im vorweg, es scheint durch
Erteilung des latinischen Rechts, für die Wiedererweckung des
überlegenen Konkurrenten einigermaßen entschädigt worden. In dem neu
zum Reiche gefügten numidischen Gebiet erhielten das wichtige Cirta und
die übrigen, dem römischen Condottiere Publius Sittius für sich und die
Seinigen überwiesenen Gemeinden das Recht römischer Militärkolonien.
Die stattlichen Provinzstädte freilich, die das wahnsinnige Wüten Jubas
und der verzweifelten Reste der Verfassungspartei in Schutthaufen
verwandelt hatte, erhoben sich nicht so rasch wieder, wie sie
eingeäschert worden waren, und manche Trümmerstätte erinnerte noch
lange nachher an diese verhängnisvolle Zeit; allein die beiden neuen
Julischen Kolonien, Karthago und Cirta, wurden und blieben die
Mittelpunkte der afrikanisch-römischen Zivilisation.
In dem verödeten griechischen Land beschäftigte Caesar außer mit
anderen Plänen, zum Beispiel der Anlage einer römischen Kolonie in
Buthroton (Korfu gegenüber), vor allem sich mit der Wiederherstellung
von Korinth; nicht bloß wurde eine ansehnliche Bürgerkolonie dorthin
geführt, sondern auch der Plan entworfen, durch den Durchstich des
Isthmus die gefährliche Umschiffung des Peloponnes abzuschneiden und
den ganzen italisch-asiatischen Verkehr durch den
Korinthisch-Saronischen Meerbusen zu leiten. Endlich rief selbst in dem
entlegenen hellenischen Osten der Monarch italische Ansiedlungen ins
Leben: so am Schwarzen Meer in Herakleia und in Sinope, welche Städte
die italischen Kolonisten ähnlich wie Emporiae mit den alten Bewohnern
teilten; so an der syrischen Küste in dem wichtigen Hafen von Berytos,
das wie Sinope italische Verfassung erhielt; ja sogar in Ägypten wurde
auf der den Hafen von Alexandreia beherrschenden Leuchtturminsel eine
römische Station gegründet.
Durch diese Anordnungen ward die italische Gemeindefreiheit in weit
umfassenderer Weise, als es bisher geschehen war, in die Provinzen
getragen. Die Vollbürgergemeinden, also sämtliche Städte der
cisalpinischen Provinz und die in dem Transalpinischen Gallien und
sonst zerstreuten Bürgerkolonien und Bürgermunizipien, standen den
italischen insofern gleich, als sie sich selber verwalteten und selbst
eine, allerdings beschränkte, Gerichtsbarkeit ausübten: wogegen
freilich die wichtigeren Prozesse vor die hier kompetenten römischen
Behörden, in der Regel den Statthalter des Sprengels gehörten ^31. Die
formell autonomen latinischen und die sonstigen befreiten Gemeinden,
also jetzt die sizilischen und die des Narbonensischen Galliens, soweit
sie nicht Bürgergemeinden waren, alle und auch in anderen Provinzen
eine beträchtliche Zahl, hatten nicht bloß die freie Verwaltung,
sondern wahrscheinlich unbeschränkte Gerichtsbarkeit, so daß der
Statthalter hier nur kraft seiner allerdings sehr arbiträren
Verwaltungskontrolle einzugreifen befugt war. Wohl hatte es auch früher
schon Vollbürgergemeinden innerhalb der Statthaltersprengel gegeben,
wie zum Beispiel Aquileia und Narbo, und hatten ganze
Statthaltersprengel, wie das Diesseitige Gallien, aus Gemeinden mit
italischer Verfassung bestanden; aber wenn nicht rechtlich, war es doch
politisch eine ungemein wichtige Neuerung, daß es jetzt eine Provinz
gab, die so gut wie Italien lediglich von römischen Bürgern bevölkert
war ^32, und daß andere es zu werden versprachen. Es fiel damit der
eine große tatsächliche Gegensatz, in dem Italien zu den Provinzen
gestanden hatte; und auch der zweite, daß in Italien regelmäßig keine
Truppen standen, wohl aber in den Provinzen, war gleichermaßen im
Verschwinden: die Truppen standen jetzt nur da, wo es eine Grenze zu
verteidigen gab, und die Kommandanten der Provinzen, bei denen dies
nicht zutraf, wie zum Beispiel bei Narbo und Sizilien, waren nur dem
Namen nach noch Offiziere. Der formelle Gegensatz zwischen Italien und
den Provinzen, der zu allen Zeiten auf anderen Unterschieden beruht
hatte, blieb allerdings auch jetzt bestehen, Italien der Sprengel der
bürgerlichen Rechtspflege und der Konsuln-Prätoren, die Provinzen
kriegsrechtliche Jurisdiktionsbezirke und den Prokonsuln und
Proprätoren unterworfen; allein der Prozeß nach Bürger- und nach
Kriegsrecht fiel längst praktisch zusammen, und die verschiedene
Titulatur der Beamten hatte wenig zu bedeuten, seit über allen der eine
Imperator stand.
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^31 Daß keiner Vollbürgergemeinde mehr als beschränkte Gerichtsbarkeit
zustand, ist ausgemacht. Auffallend ist es aber, was aus der
Caesarischen Gemeindeordnung für das Cisalpinische Gallien bestimmt
hervorgeht, daß die jenseits der munizipalen Kompetenz liegenden
Prozesse aus dieser Provinz nicht vor den Statthalter derselben,
sondern vor den römischen Prätor gehen; denn im übrigen ist der
Statthalter ja in seinem Sprengel ebensowohl anstatt des Prätors, der
zwischen Bürgern, wie anstatt dessen, der zwischen Bürgern und
Nichtbürgern Recht spricht, und durchaus für alle Prozesse kompetent.
Ohne Zweifel ist dies ein Überrest der vorsullanischen Ordnung, wo in
dem ganzen festländischen Gebiet bis zu den Alpen lediglich die
Stadtbeamten kompetent waren und also hier sämtliche Prozesse, wo sie
die munizipale Kompetenz überschritten, notwendig vor die Prätoren in
Rom kamen. Dagegen in Narbo, Gades, Karthago, Korinth gingen die
Prozesse in diesem Fall sicher an den betreffenden Statthalter; wie
denn auch schon aus praktischen Rücksichten nicht wohl an einen
Rechtszug nach Rom gedacht werden kann.
^32 Warum die Erteilung des römischen Bürgerrechts an eine Landschaft
insgesamt und der Fortbestand der Provinzialverwaltung für dieselbe als
sich einander ausschließende Gegensätze gedacht zu werden pflegen, ist
nicht abzusehen. Überdies erhielt notorisch das Cisalpinische Gallien
durch den Roscischen Volksschluß vom 11. März 705 (49) die Civität,
während es Provinz blieb, solange Caesar lebte, und erst nach seinem
Tode mit Italien vereinigt ward (Dio 48, 12), auch die Statthalter bis
711 (43) nachweisbar sind. Schon daß die Caesarische Gemeindeordnung
die Landschaft nie als Italien, sondern als Cisalpinisches Gallien
bezeichnet, mußte auf das Richtige führen.
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Offenbar ist in all diesen einzelnen munizipalen Gründungen und
Ordnungen, die wenigstens dem Plan, wenn auch vielleicht nicht alle der
Ausführung nach, auf Caesar zurückgehen, ein bestimmtes System. Italien
ward aus der Herrin der unterworfenen Völkerschaften umgewandelt in die
Mutter der verjüngten italisch-hellenischen Nation. Die dem Mutterlande
vollständig gleichgestellte cisalpinische Provinz verhieß und verbürgte
es, daß in der Monarchie Caesars, ebenwie in der frischeren Epoche der
Republik, jede latinisierte Landschaft erwarten durfte, den älteren
Schwestern und der Mutter selbst ebenbürtig an die Seite zu treten. Auf
der Vorstufe zur vollen nationalen und politischen Ausgleichung mit
Italien standen dessen Nebenländer, das griechische Sizilien und das
rasch sich latinisierende südliche Gallien. Auf einer entfernteren
Stufe zu dieser Ausgleichung standen die übrigen Landschaften des
Reiches, in denen, wie bisher in Südgallien Narbo römische Kolonie
gewesen war, jetzt die großen Seestädte: Emporiae, Gades, Karthago,
Korinth, Herakleia im Pontos, Sinope, Berytos, Alexandreia, italische
oder hellenisch-italische Gemeinden wurden, die Stützpunkte einer
italischen Zivilisation selbst im griechischen Osten, die Grundpfeiler
der künftigen nationalen und politischen Nivellierung des Reiches. Die
Herrschaft der Stadtgemeinde Rom über das Litoral des Mittelmeeres war
zu Ende; an ihre Stelle trat der neue Mittelmeerstaat und sein erster
Akt war die Sühnung der beiden größten Untaten, die jene Stadtgemeinde
an der Zivilisation begangen hatte. Wenn die Zerstörung der beiden
größten Handelsplätze im römischen Gebiet den Wendepunkt bezeichnete,
wo die Schutzherrschaft der römischen Gemeinde in politische
Tyrannisierung und finanzielle Ausnutzung der untertänigen Landschaften
überging, so bezeichnete jetzt die sofortige und glänzende
Wiederherstellung von Karthago und Korinth die Begründung des neuen,
alle Landschaften am Mittelmeer zu nationaler und politischer
Gleichheit, zu wahrhaft staatlicher Einigung heranbildenden großen
Gemeinwesens. Wohl durfte Caesar der Stadt Korinth zu ihrem
vielberühmten alten den neuen Namen der “Julischen Ehre” verleihen.
Wenn also das neue einheitliche Reich mit einer Nationalität
ausgestattet ward, die freilich notwendigerweise der volkstümlichen
Individualität entbehrte und mehr ein unlebendiges Kunstprodukt als ein
frischer Trieb der Natur war, so bedurfte dasselbe ferner der Einheit
in denjenigen Institutionen, in denen das allgemeine Leben der Nationen
sich bewegt: in Verfassung und Verwaltung, in Religion und
Rechtspflege, in Münze, Maß und Gewicht; wobei natürlich lokale
Besonderheiten mannigfaltigster Art mit wesentlicher Einigung sich
vollkommen vertrugen. Überall kann auf diesen Gebieten nur von Anfängen
die Rede sein, da die einheitliche Durchbildung der Monarchie Caesars
in der Zukunft lag und er nichts tat, als für den Bau von Jahrhunderten
den Grund legen. Aber von den Linien, die der große Mann auf diesen
Gebieten gezogen hat, lassen noch manche sich erkennen; und es ist
erfreulicher, hier ihm nachzugehen, als in dem Trümmerbau der
Nationalitäten.
Hinsichtlich der Verfassung und Verwaltung wurden bereits in einem
anderen Zusammenhang die wichtigsten Momente der neuen Einheit
hervorgehoben: der Übergang der Souveränität von dem römischen
Gemeinderat auf den Alleinherrscher der Mittelmeermonarchie; die
Umwandlung jenes Gemeinderats in einen höchsten, Italien wie die
Provinzen repräsentierenden Reichsrat: vor allem die begonnene
Übertragung der römischen und überhaupt der italischen Gemeindeordnung
auf die Provinzialgemeinden. Es führte dieser letztere Weg, die
Verleihung latinischen und demnach römischen Rechts an die zum
vollständigen Eintritt in den Einheitsstaat reifen Gemeinden,
gleichmäßige kommunale Ordnungen allmählich von selbst herbei. Nur in
einer Hinsicht konnte man hierauf nicht warten. Das neue Reich bedurfte
sofort einer Institution, die der Regierung die hauptsächlichen
Grundlagen der Verwaltung, die Bevölkerungs- und Vermögensverhältnisse
der einzelnen Gemeinden, übersichtlich vor Augen legte, das heißt eines
verbesserten Zensus. Zunächst ward der italische reformiert. Nach
Caesars Verordnung ^33, die freilich wohl nur die infolge des
Bundesgenossenkrieges wenigstens im Prinzip getroffenen Anordnungen zur
Ausführung brachte, sollten künftig, wenn in der römischen Gemeinde die
Schatzung stattfand, gleichzeitig in jeder italischen der Name eines
jeden Gemeindebürgers und der seines Vaters oder Freilassers, sein
Bezirk, sein Alter und sein Vermögen von der höchsten Behörde der
Gemeinde aufgezeichnet und diese Listen an den römischen Schatzmeister
so früh abgeliefert werden, daß dieser das allgemeine Verzeichnis der
römischen Bürger und der römischen Habe rechtzeitig vollenden konnte.
Daß es Caesars Absicht war, ähnliche Institutionen auch in den
Provinzen einzuführen, dafür bürgt teils die von Caesar angeordnete
Vermessung und Katastrierung des gesamten Reiches, teils die
Einrichtung selbst; denn es war ja damit die allgemeine Formel
gefunden, um so gut in den italischen wie in den nichtitalischen
Gemeinden des Staats die für die Zentralverwaltung erforderlichen
Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es auch hier Caesars Absicht, auf
die Traditionen der älteren republikanischen Zeit zurückzugehen und die
Reichsschatzung wiedereinzuführen, welche die ältere Republik,
wesentlich in derselben Weise wie Caesar die italische, durch analoge
Ausdehnung des Instituts der städtischen Zensur mit seinen Fristen und
sonstigen wesentlichen Normen auf die sämtlichen Untertanengemeinden
Italiens und Siziliens bewirkt hatte. Es war dies eines der ersten
Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie verfallen und damit
der obersten Verwaltungsbehörde jede Übersicht über die disponiblen
Mannschaften und Steuerkräfte und also jede Möglichkeit einer wirksamen
Kontrolle verloren gehen ließ. Die vorhandenen Spuren und der
Zusammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, daß Caesar die
Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen Reichsschatzung
vorbereitete.
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^33 Das Fortbestehen der munizipalen Schatzungsbehörden spricht dafür,
daß die örtliche Abhaltung des Zensus bereits infolge des
Bundesgenossenkriegs für Italien fortgesetzt worden war (Römisches
Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 368); wahrscheinlich aber ist die
Durchführung dieses Systems Caesars Werk.
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Daß in der Religion und in der Rechtspflege an eine durchgreifende
Nivellierung nicht gedacht werden konnte, ist kaum nötig zu sagen; doch
bedurfte der neue Staat bei aller Toleranz gegen Lokalglauben und
Munizipalstatute eines gemeinsamen, der italisch-hellenischen
Nationalität entsprechenden Kultus und einer allgemeinen, den
Munizipalstatuten übergeordneten Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn
beides war tatsächlich schon da. Auf dem religiösen Gebiet war man seit
Jahrhunderten tätig gewesen, den italischen und den hellenischen Kult
teils durch äußerliche Aufnahme, teils durch innerliche Ausgleichung
der Gottheitsbegriffe ineinanderzuarbeiten und bei der nachgiebigen
Formlosigkeit der italischen Götter hatte es nicht einmal große
Schwierigkeit gemacht, den Jupiter in dem Zeus, die Venus in der
Aphrodite und so jede wesentliche Idee des latinischen Glaubens in
ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben. Die italisch-hellenische
Religion stand bereits in den Grundzügen fertig da; wie sehr man eben
auf diesem Gebiete sich dessen bewußt war, über die spezifisch römische
hinaus und zu einer italisch-hellenischen Quasinationalität
fortgeschritten zu sein, beweist zum Beispiel die in Varros schon
erwähnter Theologie aufgestellte Unterscheidung der “gemeinen”, d. h.
der von den Römern wie den Griechen anerkannten Götter, von den
besonderen der römischen Gemeinde.
Im Rechtswesen hatte es auf dem Gebiete des Kriminal- und
Polizeirechts, wo die Regierung unmittelbar eingreift und dem
rechtlichen Bedürfnis wesentlich durch eine verständige Legislation
genügt wird, keine Schwierigkeit, auf dem Wege der gesetzgeberischen
Tätigkeit denjenigen Grad materieller Gleichförmigkeit zu erreichen,
der allerdings auch hier für die Reichseinheit notwendig war. Im
Zivilrecht dagegen, wo die Initiative dem Verkehr, dem Gesetzgeber nur
die Formulierung zusteht, war das einheitliche Reichszivilrecht, das
der Gesetzgeber zu schaffen freilich nicht vermocht hätte, längst auch
bereits auf naturgemäßem Wege durch den Verkehr selber entwickelt
worden. Das römische Stadtrecht zwar beruhte rechtlich immer noch auf
der in den Zwölf Tafeln enthaltenen Formulierung des latinischen
Landrechts. Die späteren Gesetze hatten wohl im einzelnen mancherlei
zeitgemäße Verbesserungen eingeführt, unter denen leicht die wichtigste
sein mochte die Abschaffung der alten ungeschickten Prozeßeröffnung
durch stehende Spruchformeln der Parteien und ihre Ersetzung durch eine
von dem prozeßleitenden Beamten schriftlich abgefaßte Instruktion für
den Einzelgeschworenen (formula); allein in der Hauptsache hatte die
Volkslegislation nur über jene altersgraue Grundlage einen den
englischen Statutargesetzen vergleichbaren unübersehlichen Wust
großenteils längst veralteter und vergessener Spezialgesetze
aufgeschichtet. Die Versuche wissenschaftlicher Formulierung und
Systematisierung hatten die verschlungenen Gänge des alten Zivilrechts
allerdings zugänglich gemacht und erhellt; allein dem Grundmangel, daß
ein vor vierhundert Jahren abgefaßtes städtisches Weistum mit seinen
ebenso diffusen wie konfusen Nachträgen jetzt als das Recht eines
großen Staates dienen sollte, konnte kein römischer Blackstone
abhelfen. Gründlicher half der Verkehr sich selbst. Längst hatte in Rom
der rege Verkehr zwischen Römern und Nichtrömern ein internationales
Privatrecht (ius gentium; 1, 167) entwickelt, das heißt einen Komplex
von Satzungen namentlich über Verkehrsverhältnisse, nach welchen
römische Richter dann sprachen, wenn eine Sache weder nach ihrem
eigenen noch nach irgendeinem anderen Landrecht entschieden werden
konnte, sondern sie genötigt waren, von den römischen, hellenischen,
phönikischen und sonstigen Rechtseigentümlichkeiten absehend, auf die
allem Verkehr zu Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen
zurückzugehen. Hier knüpfte die neuere Rechtsbildung an. Zunächst als
Richtschnur für den rechtlichen Verkehr der römischen Bürger unter sich
setzte sie an die Stelle des alten, praktisch unbrauchbar gewordenen
tatsächlich ein neues Stadtrecht, das materiell beruhte auf einem
Kompromiß zwischen dem nationalen Zwölftafelrecht und dem
internationalen oder dem sogenannten Rechte der Völker. An jenem wurde
wesentlich, wenn auch natürlich mit zeitgemäßen Modifikationen,
festgehalten im Ehe-, Familien- und Erbfolgerecht; dagegen ward in
allen Bestimmungen, die den Vermögensverkehr betrafen, also für
Eigentum und Kontrakte, das Internationalrecht maßgebend; ja hier wurde
sogar dem lokalen Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt,
zum Beispiel die Wuchergesetzgebung und das Hypothekarinstitut. Ob auf
einmal oder allmählich, ob durch einen oder mehrere Urheber, durch wen,
wann und wie diese tiefgreifende Neuerung ins Leben trat, sind Fragen,
auf die wir eine genügende Antwort schuldig bleiben müssen; wir wissen
nur, daß diese Reform, wie natürlich, zunächst ausging von dem
Stadtgericht, daß sie zuerst sich formulierte in den jährlich von dem
neu antretenden Stadtrichter zur Nachachtung für die Parteien
ergehenden Belehrungen über die wichtigsten, in dem beginnenden
Gerichtsjahr einzuhaltenden Rechtsmaximen (edictum annuum oder
perpetuum praetoris urbani de iuris dictione) und daß sie, wenn auch
manche vorbereitende Schritte in früheren Zeiten getan sein mögen,
sicher erst in dieser Epoche ihre Vollendung fand. Die neue
Rechtssatzung war theoretisch abstrakt, insofern die römische
Rechtsanschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich
entäußert hatte, als sie derselben sich bewußt worden war; sie war aber
zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in die trübe Dämmerung
allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine Nichts des sogenannten
Naturrechts verschwamm, sondern von bestimmten Behörden für bestimmte
konkrete Fälle nach festen Normen angewandt ward und einer gesetzlichen
Formulierung nicht bloß fähig, sondern in dem Stadtedikt wesentlich
schon teilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner materiell
den Bedürfnissen der Zeit, insofern sie für Prozeß, Eigentumserwerb,
Kontraktabschluß die durch den gesteigerten Verkehr geforderten
bequemeren Formen darbot. Sie war endlich bereits im wesentlichen im
ganzen Umfang des römischen Reiches allgemein subsidiäres Recht
geworden, indem man die mannigfaltigen Lokalstatuten für diejenigen
Rechtsverhältnisse, die nicht zunächst Verkehrsverhältnisse sind, sowie
für den Lokalverkehr zwischen Gliedern desselben Rechtssprengels
beibehielt, dagegen den Vermögensverkehr zwischen Reichsangehörigen
verschiedener Rechtskreise durchgängig nach dem Muster des, rechtlich
auf diese Fälle freilich nicht anwendbaren, Stadtediktes sowohl in
Italien wie in den Provinzen regulierte. Das Recht des Stadtedikts
hatte also wesentlich dieselbe Stellung in jener Zeit, die in unserer
staatlichen Entwicklung das römische Recht eingenommen hat: auch dies
ist, soweit solche Gegensätze sich vereinigen lassen, zugleich abstrakt
und positiv; auch dies empfahl sich durch seine, verglichen mit dem
älteren Satzungsrecht, geschmeidigen Verkehrsformen und trat neben den
Lokalstatuten als allgemeines Hilfsrecht ein. Nur darin hatte die
römische Rechtsentwicklung vor der unsrigen einen wesentlichen Vorzug,
daß die denationalisierte Gesetzgebung nicht, wie bei uns, vorzeitig
und durch Kunstgeburt, sondern rechtzeitig und naturgemäß sich einfand.
Diesen Rechtszustand fand Caesar vor. Wenn er den Plan entwarf zu einem
neuen Gesetzbuch, so ist es nicht schwer zu sagen, was er damit
beabsichtigt hat. Es konnte dies Gesetzbuch einzig das Recht der
römischen Bürger zusammenfassen und allgemeines Reichsgesetzbuch nur
insofern sein, als ein zeitgemäßes Gesetzbuch der herrschenden Nation
von selbst im ganzen Umfange des Reiches allgemeines Subsidiarrecht
werden mußte. Im Kriminalrecht, wenn überhaupt der Plan sich auf dies
miterstreckte, bedurfte es nur einer Revision und Redaktion der
Sullanischen Ordnungen. Im Zivilrecht war für einen Staat, dessen
Nationalität eigentlich die Humanität war, die notwendige und einzig
mögliche Formulierung jenes schon aus dem rechtlichen Verkehr
freiwillig hervorgewachsene Stadtedikt in gesetzlicher Sicherung und
Präzisierung. Den ersten Schritt zu dieser hatte das Cornelische Gesetz
von 687 (67) getan, indem es den Richter an die zu Anfang seines Amtes
aufgestellten Maximen band und ihm vorschrieb, nicht willkürlich
anderes Recht zu sprechen - eine Bestimmung, die wohl mit dem
Zwölftafelgesetz verglichen werden darf und für die Fixierung des
neueren Stadtrechts fast ebenso bedeutsam geworden ist wie jenes für
die Fixierung des älteren. Aber wenn auch seit dem Cornelischen
Volksschluß das Edikt nicht mehr unter dem Richter stand, sondern
gesetzlich der Richter unter dem Edikt; wenn auch das neue Gesetzbuch
im Gerichtsgebrauch wie im Rechtsunterricht das alte Stadtrecht
tatsächlich verdrängt hatte, so stand es doch noch jedem Stadtrichter
frei, bei Antritt seines Amtes das Edikt unbeschränkt und willkürlich
zu verändern, und überwog das Zwölftafelrecht mit seinen Zusätzen
formell immer noch das Stadtedikt, so daß in jedem einzelnen
Kollisionsfall die veraltete Satzung durch arbiträres Eingreifen der
Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts,
beseitigt werden mußte. Die subsidiäre Anwendung des Stadtedikts in dem
Fremdengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichtshöfen
war nun gar gänzlich in die Willkür der einzelnen Oberbeamten gestellt.
Offenbar war es notwendig, das alte Stadtrecht, soweit es nicht in das
neuere übergegangen war, definitiv zu beseitigen und in dem letzteren
der willkürlichen Änderung durch jeden einzelnen Stadtrichter
angemessene Grenzen zu setzen, etwa auch die subsidiäre Anwendung
desselben neben den Lokalstatuten zu regulieren. Dies war Caesars
Absicht, als er den Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies mußte
sie sein. Der Plan ward nicht ausgeführt und damit jener lästige
Übergangszustand in dem römischen Rechtswesen verewigt, bis nach
sechshundert Jahren, und auch dann nur unvollkommen, diese notwendige
Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem Kaiser Justinianus,
vollzogen ward.
Endlich in Münze, Maß und Gewicht war die wesentliche Ausgleichung des
latinischen und des hellenischen Systems längst im Zuge. Sie war uralt
in den für Handel und Verkehr unentbehrlichen Bestimmungen des
Gewichts, der Körper- und Längenmaße und in dem Münzwesen wenig jünger
als die Einführung der Silberprägung. Indes reichten diese älteren
Gleichungen nicht aus, da in der hellenischen Welt selbst die
verschiedenartigsten metrischen und Münzsysteme nebeneinander
bestanden; es war notwendig und lag auch ohne Zweifel in Caesars Plan,
in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es nicht bereits früher schon
geschehen war, römische Münze, römisches Maß und römisches Gewicht
jetzt überall in der Art einzuführen, daß im offiziellen Verkehr allein
danach gerechnet, und die nichtrömischen Systeme teils auf lokale
Geltung beschränkt, teils zu den römischen in ein ein für allemal
reguliertes Verhältnis gesetzt wurden ^34. Nachweisen indes läßt
Caesars Tätigkeit sich nur auf zweien der wichtigsten dieser Gebiete,
in dem Geld- und im Kalenderwesen.
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^34 Kürzlich zum Vorschein gekommene pompeianische Gewichte legen die
Annahme nahe, daß im Anfang der Kaiserzeit neben dem römischen Pfund
die attische Mine (vermutlich im Verhältnis von 3 : 4) als zweites
Reichsgewicht Geltung gehabt hat (Heymes 16, 1880, S. 311).
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Das römische Geldwesen beruhte auf den beiden neben und in einem festen
Verhältnis zueinander umlaufenden edlen Metallen, von denen das Gold
nach dem Gewicht ^35, das Silber nach dem Gepräge gegeben und genommen
ward, tatsächlich aber infolge des ausgedehnten überseeischen Verkehrs
das Gold bei weitem das Silber überwog. Ob nicht schon früher im ganzen
Umfange des Reiches die Annahme des römischen Silbergeldes
obligatorisch war, ist ungewiß; auf jeden Fall vertrat die Stelle des
Reichsgeldes im ganzen römischen Gebiet wesentlich das ungemünzte Gold,
um so mehr als die Römer in allen Provinzen und Klientelstaaten die
Goldprägung untersagt hatten, und hatte der Denar außer in Italien auch
im Cisalpinischen Gallien, in Sizilien, in Spanien und sonst vielfach,
namentlich im Westen, gesetzlich oder faktisch sich eingebürgert. Mit
Caesar aber beginnt die Reichsmünze. Ebenwie Alexander bezeichnete auch
er die Gründung der neuen, die zivilisierte Welt umfassenden Monarchie
dadurch, daß das einzig weltenvermittelnde Metall auch in der Münze den
ersten Platz erhielt. In wie großartigem Umfang sogleich das neue
Caesarische Goldstück (zu 7 Taler, 18 Groschen nach heutigem
Metallwert) geprägt ward, beweist die Tatsache, daß in einem einzelnen,
sieben Jahre nach Caesars Tode vergrabenen Schatz sich 80000 dieser
Stücke beisammen gefunden haben. Freilich mögen hier nebenbei auch
finanzielle Spekulationen von Einfluß gewesen sein ^36. Was das
Silbergeld anlangt, so ward durch Caesar die Alleinherrschaft des
römischen Denars im gesamten Westen, zu der der Grund schon früher
gelegt worden war, schließlich festgestellt, indem er die einzige
okzidentalische Münzstätte, die im Silbercourant noch mit der römischen
konkurrierte, die massaliotische, definitiv schloß. Die Prägung von
silberner oder kupferner Scheidemünze blieb einer Anzahl
okzidentalischer Gemeinden erlaubt, wie denn Dreivierteldenare von
einigen latinischen Gemeinden des südlichen Galliens, halbe Denare von
mehreren nordgallischen Gauen, kupferne Kleinmünzen vielfach auch noch
nach Caesar von Kommunen des Westens geschlagen worden sind; allein
auch diese Scheidemünze war durchgängig auf römischen Fuß geprägt und
ihre Annahme überdies wahrscheinlich nur im Lokalverkehr obligatorisch.
An eine einheitliche Regulierung des Münzwesens im Osten, wo große
Massen groben, großenteils zu leicht ausgebrachten oder vernutzten
Silbergeldes, zum Teil sogar, wie in Ägypten, eine unserem Papiergeld
verwandte Kupfermünze umlief, auch die syrischen Handelsstädte den
Mangel ihrer bisherigen, dem mesopotamischen Courant entsprechenden
Landesmünze sehr schwer empfunden haben würden, scheint Caesar so wenig
gedacht zu haben wie die frühere Regierung. Wir finden hier später die
Einrichtung, daß der Denar überall gesetzlichen Kurs hat und offiziell
nur nach ihm gerechnet wird ^37, die Lokalmünzen aber innerhalb ihres
beschränkten Rayons zwar auch Legalkurs, aber nach einem für sie
ungünstigen Tarif gegen den Denar haben ^38; dieselbe ist
wahrscheinlich nicht auf einmal und zum Teil auch wohl schon von Caesar
eingeführt worden, auf jeden Fall aber die wesentliche Ergänzung der
Caesarischen Reichsmünzordnung, deren neues Goldstück in dem ungefähr
gleich schweren Alexanders sein unmittelbares Muster fand und wohl ganz
besonders auf die Zirkulation im Orient berechnet war.
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^35 Die Goldstücke, die Sulla und gleichzeitig Pompeius, beide in
geringer Zahl, schlagen ließen, heben diesen Satz nicht auf: denn sie
wurden wahrscheinlich lediglich nach dem Gewicht genommen ähnlich wie
die goldenen Philippeer, die auch bis nach Caesars Zeit im Umlauf
gewesen sind. Merkwürdig sind sie allerdings, insofern sie das
Caesarische Reichsgold ähnlich einleiten wie Sullas Regentschaft die
neue Monarchie.
^36 Es scheint nämlich, daß man in älterer Zeit die auf Silber
lautenden Forderungen der Staatsgläubiger nicht wider deren Willen in
Gold, nach dem legalen Kurs desselben zum Silber, bezahlen konnte;
wogegen es keinen Zweifel leidet, daß seit Caesar das Goldstück
unweigerlich für 100 Silbersesterzen angenommen werden mußte. Es war
dies ebendamals um so wichtiger, als infolge der durch Caesar in Umlauf
gebrachten großen Quantitäten Goldes dasselbe eine Zeitlang im
Handelskurs 25 Prozent unter dem Legalkurs stand.
^37 Es gibt wohl keine Inschrift der Kaiserzeit, die Geldsummen anders
als in römischer Münze angäbe.
^38 So gilt die attische Drachme, obwohl merklich schwerer als der
Denar, doch diesem gleich; das antiochische Tetradrachmon,
durchschnittlich 15 Gramm Silber schwer, gleich 3 römischen Denaren,
die nur gegen 12 Gramm wiegen; so der kleinasiatische Cistophorus nach
Silberwert über 3, nach dem Legaltarif 2 Denare; so die rhodische halbe
Drachme nach Silberwert ¾, nach dem Legaltarif 5/8 Denare und so
weiter.
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Verwandter Art war die Kalenderreform. Der republikanische Kalender,
unglaublicherweise immer noch der alte, aus der vormetonischen
Oktaeteris verunstaltete Dezemviralkalender, war durch die Verbindung
elendester Mathematik und elendester Administration dahin gelangt, um
volle 67 Tage der wahren Zeit voranzugehen und zum Beispiel das
Blütenfest statt am 28. April am 11. Juli zu feiern. Caesar beseitigte
endlich diesen Mißstand und führte mit Hilfe des griechischen
Mathematikers Sosigenes das nach dem ägyptischen Eudoxischen Kalender
geordnete italische Bauernjahr sowie ein verständiges
Einschaltungssystem in den religiösen und offiziellen Gebrauch ein,
indem zugleich das alte Kalenderneujahr des 1. März abgeschafft,
dagegen der zunächst für den Amtswechsel der höchsten Magistrate
festgestellte und infolgedessen längst im bürgerlichen Leben
überwiegende Termin des 1. Januar auch als Kalenderepoche für den
Jahreswechsel angenommen ward. Beide Änderungen traten mit dem 1.
Januar 709 der Stadt, 45 vor Chr., ins Leben und mit ihnen der Gebrauch
des von seinem Urheber benannten Julianischen Kalenders, der lange nach
dem Untergang der Monarchie Caesars in der gebildeten Welt maßgebend
geblieben und in der Hauptsache es noch ist. Zur Erläuterung ward in
einem ausführlichen Edikt ein den ägyptischen Himmelsbeobachtungen
entnommener und, freilich nicht geschickt, auf Italien übertragener
Sternkalender hinzugefügt, welcher den Auf- und Untergang der namhaften
Gestirne nach Kalendertagen bestimmte ^39. Auch auf diesem Gebiet also
setzten die römische und die griechische Welt sich ins gleiche.
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^39 Die Identität dieses vielleicht von Marcus Flavius redigierten
Edikts (Macr. Sat. I, 14, 2) und der angeblichen Schrift Caesars von
den Gestirnen beweist der Scherz Ciceros (Plut. Caes. 59), daß jetzt
die Leier nach Verordnung aufgehe.
Übrigens wußte man schon vor Caesar, daß das Sonnenjahr von 365 Tagen
sechs Stunden, das dem ägyptischen Kalender zugrunde lag und das er
seinem Kalender zugrunde legte, etwas zu lang angesetzt sei. Die
genaueste Berechnung des tropischen Jahres, die die alte Welt kannte,
die des Hipparchos, setzte dasselbe auf 365 Tage 5 Stunden 52' 12"; die
wahre Länge ist 365 Tage 5 Stunden 48' 48".
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Dies waren die Grundlagen der Mittelmeermonarchie Caesars. Zum
zweitenmal war in Rom die soziale Frage zu einer Krise gelangt, wo die
Gegensätze, so wie sie aufgestellt waren, unauflöslich, so wie sie
ausgesprochen waren, unversöhnlich nicht bloß schienen, sondern waren.
Damals war Rom dadurch gerettet worden, daß Italien in Rom und Rom in
Italien aufging und in der neuen erweiterten und verwandelten Heimat
jene alten Gegensätze nicht ausgeglichen wurden, sondern wegfielen.
Wieder ward jetzt Rom dadurch gerettet, daß die Landschaften des
Mittelmeeres in ihm aufgingen oder zum Aufgehen vorbereitet wurden; der
Krieg der italischen Armen und Reichen, der in dem alten Italien nur
mit der Vernichtung der Nation endigen konnte, hatte in dem Italien
dreier Weltteile kein Schlachtfeld und keinen Sinn mehr. Die
latinischen Kolonien schlossen die Kluft, die im fünften Jahrhundert
die römische Gemeinde zu verschlingen drohte; den tieferen Riß des
siebenten Jahrhunderts füllten Gaius Gracchus’ und Caesars
transalpinische und überseeische Kolonisationen. Für das einzige Rom
hat die Geschichte nicht bloß Wunder getan, sondern auch seine Wunder
wiederholt und zweimal die im Staate selbst unheilbare innere Krise
dadurch geheilt, daß sie den Staat verjüngte. Wohl ist viel Verwesung
in dieser Verjüngung; wie die Einigung Italiens auf den Trümmern der
samnitischen und etruskischen Nation sich vollzog, so erbaute auch die
Mittelmeermonarchie sich auf den Ruinen unzähliger, einst lebendiger
und tüchtiger Staaten und Stämme; aber es ist eine Verwesung, der
frische und zum Teil noch heute grünende Saaten entkeimten. Was
zugrunde ging um des neuen Gebäudes willen, waren nur die längst schon
von der nivellierenden Zivilisation zum Untergang bezeichneten
sekundären Nationalitäten. Caesar hat, wo er zerstörend auftrat, nur
den ausgefällten Spruch der geschichtlichen Entwicklung vollzogen, die
Keime der Kultur aber geschützt, wo und wie er sie fand, in seinem
eigenen Lande so gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen.
Er hat das Römertum gerettet und erneuert, aber auch das Griechentum
hat er nicht bloß geschont, sondern mit derselben sicheren Genialität,
womit er die Neugründung Roms vollbrachte, auch der Regeneration der
Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene Werk des großen
Alexander wiederaufgenommen, dessen Bild, wohl mag man es glauben,
niemals aus Caesars Seele wich. Er hat diese beiden großen Aufgaben
nicht bloß nebeneinander, sondern eine durch die andere gelöst. Die
beiden großen Wesenheiten des Menschentums, die allgemeine und die
individuelle Entwicklung oder Staat und Kultur, einst im Keime
vereinigt in jenen alten, fern von den Küsten und Inseln des
Mittelmeers in urväterlicher Einfachheit ihre Herden weidenden
Graecoitalikern, hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten
in Italiker und Hellenen, und waren seitdem durch Jahrtausende
geschieden geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fürsten und
der latinischen Königstochter aus einem Staat ohne eigene Kultur und
einer kosmopolitischen Zivilisation ein neues Ganzes, in welchem auf
dem Gipfel menschlichen Daseins, in der reichen Fülle des glückseligen
Alters Staat und Kultur wiederum sich zusammenfanden und den einem
solchen Inhalt angemessenen Umkreis würdig erfüllten.
Die Linien sind dargelegt, welche Caesar für dieses Werk gezogen hat,
nach denen er selbst arbeitete und nach denen die Späteren, viele
Jahrhunderte hindurch gebannt in die von diesem Manne vorgezeichneten
Bahnen, wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im ganzen nach
den Intentionen des großen Meisters weiter zu arbeiten versuchten.
Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan vollständig
ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in die Wette zu denken
wagt; wir bemerken keine wesentlichen Lücken in dem, was vorliegt,
jeder einzelne Baustein genug, um einen Mann unsterblich zu machen, und
doch wieder alle zusammen ein harmonisches Ganzes. Fünf und ein halbes
Jahr, nicht halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als König von
Rom; zwischen sieben großen Feldzügen, die ihm nicht mehr als zusammen
fünfzehn Monate ^40 in der Hauptstadt seines Reiches zu verweilen
erlaubten, ordnete er die Geschicke der Welt für die Gegenwart und die
Zukunft; von der Feststellung der Grenzlinie zwischen Zivilisation und
Barbarei an bis hinab zu der Beseitigung der Regenpfützen auf den
Gassen der Hauptstadt, und behielt dabei noch Zeit und Heiterkeit
genug, um den Preisstücken im Theater aufmerksam zu folgen und dem
Sieger den Kranz mit improvisierten Versen zu erteilen. Die
Schnelligkeit und Sicherheit der Ausführung des Planes beweist, daß er
lange durchdacht und in allen Teilen im einzelnen festgestellt war;
allein auch so bleibt sie nicht viel weniger wunderbar als der Plan
selbst. Die Grundzüge waren gegeben und damit der neue Staat für alle
Zukunft bestimmt; vollenden konnte den Bau nur die grenzenlose Zukunft.
Insofern durfte Caesar sich sagen, daß sein Ziel erreicht sei, und das
wohl mochten die Worte bedeuten, die man zuweilen aus seinem Munde
vernahm, daß er genug gelebt habe. Aber eben weil der Bau ein
unendlicher war, fügte der Meister, solange er lebte, rastlos Stein auf
Stein, mit immer gleicher Geschmeidigkeit und immer gleicher Spannkraft
tätig an seinem Werk, ohne je zu überstürzen oder zu verschieben, eben
als gebe es für ihn nur ein Heute und kein Morgen. So wirkte und
schaffte er wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm, und als ein
Wirkender und Schaffender lebt er noch nach Jahrtausenden im Gedächtnis
der Nationen, der erste und doch auch der einzige Imperator Caesar.
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^40 Caesar verweilte in Rom im April und Dezember 705 (49), beide Male
auf wenige Tage; vom September bis Dezember 707 (47); etwa vier
Herbstmonate des fünfzehnmonatlichen Jahres 708 (46) und vom Oktober
709 (45) bis zum März 710 (44).
KAPITEL XII.
Religion, Bildung, Literatur und Kunst
In der religiös-philosophischen Entwicklung tritt in dieser Epoche kein
neues Moment hervor. Die römisch-hellenische Staatsreligion und die
damit untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren für jede
Regierung, Oligarchie, Demokratie oder Monarchie, nicht bloß ein
bequemes Instrument, sondern deshalb geradezu unentbehrlich, weil es
ebenso unmöglich war, den Staat ganz ohne religiöse Elemente zu
konstruieren als irgendeine neue zur Ersetzung der alten geeignete
Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revolutionäre Besen
gelegentlich sehr unsanft in die Spinnweben der auguralen Vogelweisheit
hinein; aber die morsche, in allen Fugen krachende Maschine überdauerte
dennoch das Erdbeben, das die Republik selber verschlang, und rettete
ihre Geistlosigkeit und ihre Hoffart ungeschmälert hinüber in die neue
Monarchie. Es versteht sich, daß sie zunahm an Ungnade bei allen denen,
die ein freies Urteil sich bewahrten. Zwar gegen die Staatsreligion
verhielt die öffentliche Meinung sich wesentlich gleichgültig; sie war
allerseits als eine Institution politischer Konvenienz anerkannt und es
bekümmerte sich niemand sonderlich um sie, mit Ausnahme der politischen
und antiquarischen Gelehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester
entwickelte sich in dem unbefangenen Publikum jene Feindseligkeit, die
die leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Länge nie
verfehlt zu erwecken. Daß der Stoa selbst von ihrer eigenen Nichtigkeit
eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch, auf dem Wege des
Synkretismus sich wieder einigen Geist künstlich einzuflößen: Antiochos
von Askalon (blüht 675 79), der mit dem stoischen System das
platonisch-aristotelische zu einer organischen Einheit
zusammengeklittert zu haben behauptete, brachte es in der Tat dahin,
daß seine mißgeschaffene Doktrin die Modephilosophie der Konservativen
seiner Zeit und von den vornehmen Dilettanten und Literaten Roms
gewissenhaft studiert ward. Wer irgend in geistiger Frische sich regte,
opponierte der Stoa oder ignorierte sie. Es war hauptsächlich der
Widerwille gegen die großmauligen und langweiligen römischen Pharisäer,
daneben freilich auch der zunehmende Hang, sich aus dem praktischen
Leben in schlaffe Apathie oder nichtige Ironie zu flüchten, dem während
dieser Epoche das System Epikurs seine Ausbreitung in weiteren Kreisen
und die Diogenische Hundephilosophie ihre Einbürgerung in Rom
verdankte. Wie matt und gedankenarm auch jenes sein mochte, eine
Philosophie, die nicht in der Veränderung der hergebrachten
Bezeichnungen den Weg zur Freiheit suchte, sondern mit den vorhandenen
sich begnügte und durchaus nur die sinnliche Wahrnehmung als wahr
gelten ließ, war immer noch besser als das terminologische Geklapper
und die hohlen Begriffe der stoischen Weisheit; und die
Hundephilosophie gar war von allen damaligen philosophischen Systemen
insofern bei weitem das vorzüglichste, als ihr System sich darauf
beschränkte, gar kein System zu haben, sondern alle Systeme und alle
Systematiker zu verhöhnen. Auf beiden Gebieten wurde gegen die Stoa mit
Eifer und Glück Krieg geführt; für ernste Männer predigte der Epikureer
Lucretius mit dem vollen Akzent der innigen Überzeugung und des
heiligen Eifers gegen den stoischen Götter- und Vorsehungsglauben und
die stoische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele; für das große
lachbereite Publikum traf der Kyniker Varro mit den flüchtigen Pfeilen
seiner vielgelesenen Satiren noch schärfer zum Ziel. Wenn also die
tüchtigsten Männer der älteren Generation die Stoa befehdeten, so stand
dagegen die jüngere, wie zum Beispiel Catullus, zu ihr in gar keinem
innerlichen Verhältnis mehr und kritisierte sie noch bei weitem
schärfer durch vollständiges Ignorieren.
Indes wenn hier ein glaubenloser Glaube aus politischer Konvenienz
aufrecht erhalten ward, so brachte man dies anderswo reichlich wieder
ein. Unglaube und Aberglaube, verschiedene Farbenbrechungen desselben
geschichtlichen Phänomens, gingen auch in der damaligen römischen Welt
Hand in Hand und es fehlte nicht an Individuen, welche sie beide in
sich vereinigten, mit Epikuros die Götter leugneten und doch vor jeder
Kapelle beteten und opferten. Natürlich galten nur noch die aus dem
Orient gekommenen Götter, und wie die Menschen fortfuhren, aus den
griechischen Landschaften nach Italien zu strömen, so wanderten auch
die Götter des Ostens in immer steigender Zahl nach dem Westen hinüber.
Was der phrygische Kult damals in Rom bedeutete, beweist sowohl die
Polemik bei den älteren Männern, wie bei Varro und Lucretius, als auch
die poetische Verherrlichung desselben bei dem modernen Catullus, die
mit der charakteristischen Bitte schließt, daß die Göttin geneigen
möge, nur andere, nicht den Dichter selbst verrückt zu machen. Neu trat
hinzu der persische Götterdienst, der zuerst durch Vermittlung der von
Osten und von Westen her auf dem Mittelmeere sich begegnenden Piraten
zu den Okzidentalen gelangt sein soll und als dessen älteste Kultstätte
im Westen der Berg Olympos in Lykien bezeichnet wird. Dafür, daß man
bei der Aufnahme der orientalischen Kulte im Okzident das, was sie von
höheren spekulativen und sittlichen Elementen enthielten, durchgängig
fallen ließ, ist es ein merkwürdiger Beleg, daß der höchste Gott der
reinen Lehre Zarathustras, Ahuramazda, im Westen so gut wie unbekannt
blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjenigen Gott
zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den ersten Platz
eingenommen hatte und durch Zarathustra an den zweiten gerückt worden
war, dem Sonnengott Mithra. Rascher noch als die lichteren und milderen
persischen Himmelsgestalten traf der langweilig geheimnisvolle Schwarm
der ägyptischen Götterkarikaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit
ihrem ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wiederauflebenden
Osiris, dem finsteren Sarapis, dem schweigsam ernsten Harpokrates, dem
hundsköpfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius die Klubs und
Konventikel freigab (696 58), und ohne Zweifel eben infolge dieser
Emanzipation des Pöbels, machte jener Schwarm sogar Anstalt, in die
alte Burg des römischen Jupiter auf dem Kapitol seinen Einzug zu
halten, und kaum gelang es, von hier ihn noch abzuwehren und die
unvermeidlichen Tempel wenigstens in die Vorstädte Roms zu bannen. Kein
Kult war in den unteren Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung
gleich populär: als der Senat die innerhalb der Ringmauer angelegten
Isistempel einzureißen befahl, wagte kein Arbeiter, die erste Hand
daran zu legen, und der Konsul Lucius Paullus mußte selber den ersten
Axtschlag tun (704 50); man konnte darauf wetten, daß je lockerer ein
Dirnchen war, es desto frommer die Isis verehrte. Daß Loswerfen,
Traumdeuten und dergleichen freie Künste ihren Mann ernährten, versteht
sich von selbst. Das Horoskopstellen ward schon wissenschaftlich
betrieben: Lucius Tarutius aus Firmum, ein angesehener und in seiner
Art gelehrter, mit Varro und Cicero befreundeter Mann, stellte ganz
ernsthaft den Königen Romulus und Numa und der Stadt Rom selbst die
Nativität und erhärtete zur Erbauung der beiderseitigen Gläubigen
mittels seiner chaldäischen und ägyptischen Weisheit die Berichte der
römischen Chronik. Aber bei weitem die merkwürdigste Erscheinung auf
diesem Gebiet ist der erste Versuch, das rohe Glauben mit dem
spekulativen Denken zu verquicken, das erste Hervortreten derjenigen
Tendenzen, die wir als neuplatonische zu bezeichnen gewohnt sind, in
der römischen Welt. Ihr ältester Apostel daselbst war Publius Nigidius
Figulus, ein vornehmer Römer von der strengsten Fraktion der
Aristokratie, der 696 (58) die Prätur bekleidete und im Jahre 709 (45)
als politischer Verbannter außerhalb Italiens starb. Mit staunenswerter
Vielgelehrtheit und noch staunenswerterer Glaubensstärke schuf er aus
den disparatesten Elementen einen philosophisch-religiösen Bau, dessen
wunderlichen Grundriß er mehr wohl noch in mündlichen Verkündigungen
entwickelte als in seinen theologischen und naturwissenschaftlichen
Schriften. In der Philosophie griff er, Erlösung suchend von den
Totengerippen der umgehenden Systeme und Abstraktionen, zurück auf den
verschütteten Born der vorsokratischen Philosophie, deren alten Weisen
der Gedanke selber noch mit sinnlicher Lebendigkeit erschienen war. Die
naturwissenschaftliche Forschung, die, zweckmäßig behandelt, dem
mystischen Schwindel und der frommen Taschenspielerei auch jetzt noch
so vortreffliche Handhaben darbietet und im Altertum, bei der
mangelhafteren Einsicht in die physikalischen Gesetze, sie noch
bequemer darbot, spielte begreiflicherweise auch hier eine ansehnliche
Rolle. Seine Theologie beruhte wesentlich auf dem wunderlichen Gebräu,
in dem den geistesverwandten Griechen orphische und andere uralte oder
sehr neue einheimische Weisheit mit persischen, chaldäischen und
ägyptischen Geheimlehren zusammengeflossen war und in welches Figulus
noch die Quasiresultate der tuskischen Forschung in das Nichts und die
einheimische Vogelfluglehre zu weiterer harmonischer Konfusion
einarbeitete. Dem ganzen System gab die politisch-religiös-nationale
Weihe der Name des Pythagoras, des ultrakonservativen Staatsmannes,
dessen oberster Grundsatz war, “die Ordnung zu fördern und der
Unordnung zu wehren”, des Wundermannes und Geisterbeschwörers, des in
Italien heimischen, selbst in Roms Sagengeschichte verflochtenen und
auf dem römischen Markte im Standbilde zu schauenden uralten Weisen.
Wie Geburt und Tod miteinander verwandt sind, so, schien es, sollte
Pythagoras nicht bloß an der Wiege der Republik stehen als des weisen
Numa Freund und der klugen Mutter Egeria Kollege, sondern auch als der
letzte Hort der heiligen Vogelweisheit an ihrem Grabe. Das neue System
war aber nicht bloß wunderhaft, es wirkte auch Wunder: Nigidius
verkündigte dem Vater des nachmaligen Kaisers Augustus an dem Tage
selbst, wo dieser geboren ward, die künftige Größe des Sohnes; ja die
Propheten bannten den Gläubigen Geister und, was mehr sagen will, sie
wiesen ihnen die Plätze nach, wo ihre verlorenen Münzen lagen. Die
neu-alte Weisheit, wie sie nun eben war, machte doch auf die
Zeitgenossen einen tiefen Eindruck; die vornehmsten, gelehrtesten,
tüchtigsten Männer der verschiedensten Parteien, der Konsul des Jahres
705 (49), Appius Claudius, der gelehrte Marcus Varro, der tapfere
Offizier Publius Vatinius, machten das Geisterzitieren mit, und es
scheint sogar, daß gegen das Treiben dieser Gesellschaften polizeilich
eingeschritten werden mußte. Diese letzten Versuche, die römische
Theologie zu retten, machen, ähnlich wie Catos verwandte Bestrebungen
auf dem politischen Gebiet, zugleich einen komischen und einen
wehmütigen Eindruck; man darf über das Evangelium wie über die Apostel
lächeln, aber immer ist es eine ernsthafte Sache, wenn auch die
tüchtigen Männer anfangen, sich dem Absurden zu ergeben.
Die Jugendbildung bewegte sich, wie sich von selbst versteht, in dem in
der vorigen Epoche vorgezeichneten Kreise zwiesprachiger Humanität, und
mehr und mehr ging die allgemeine Bildung auch der römischen Welt ein
auf die von den Griechen dafür festgestellten Formeln. Selbst die
körperlichen Übungen schritten von dem Ballspiel, dem Laufen und
Fechten fort zu den kunstmäßiger entwickelten griechischen Turnkämpfen;
wenn es auch für diese noch keine öffentlichen Anstalten gab, pflegte
doch in den vornehmen Landhäusern schon neben den Badezimmern die
Palästra nicht zu fehlen. In welcher Art der Kreis der allgemeinen
Bildung sich in der römischen Welt im Laufe eines Jahrhunderts
umgewandelt hatte, zeigt die Vergleichung der Catonischen
‘Encyklopädie’ mit der gleichartigen Schrift Varros ‘Von den
Schulwissenschaften’. Als Bestandteile der nichtfachwissenschaftlichen
Bildung erscheinen bei Cato die Redekunst, die Ackerbau-, Rechts-,
Kriegs- und Arzneikunde, bei Varro - nach wahrscheinlicher Vermutung -
Grammatik, Logik oder Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik,
Astronomie, Musik, Medizin und Architektur. Es sind also im Verlaufe
des siebenten Jahrhunderts Kriegs-, Rechts- und Ackerbaukunde aus
allgemeinen zu Fachwissenschaften geworden. Dagegen tritt bei Varro die
hellenische Jugendbildung bereits in ihrer ganzen Vollständigkeit auf:
neben dem grammatisch-rhetorisch-philosophischen Kursus, der schon
früher in Italien eingeführt war, findet jetzt auch der länger
spezifisch hellenisch gebliebene
geometrisch-arithmetisch-astronomisch-musikalische ^1 sich ein. Daß
namentlich die Astronomie, die in der Nomenklatur der Gestirne dem
gedankenlosen gelehrten Dilettantismus der Zeit, in ihren Beziehungen
zur Astrologie dem herrschenden religiösen Schwindel entgegenkam, in
Italien von der Jugend regelmäßig und eifrig studiert ward, läßt sich
auch anderweitig belegen: Aratos’ astronomische Lehrgedichte fanden
unter allen Werken der alexandrinischen Literatur am frühesten Eingang
in den römischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen Kursus trat
dann noch die aus dem älteren römischen Jugendunterricht
stehengebliebene Medizin und endlich die dem damaligen statt des Ackers
Häuser und Villen bauenden vornehmen Römer unentbehrliche Architektur.
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^1 Es sind dies, wie bekannt, die sogenannten sieben freien Künste, die
mit dieser Unterscheidung der früher in Italien eingebürgerten drei und
der nachträglich rezipierten vier Disziplinen sich durch das ganze
Mittelalter behauptet haben.
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Im Vergleich mit der vorigen Epoche nimmt die griechische wie die
lateinische Bildung an Umfang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an
Reinheit und an Feinheit. Der steigende Drang nach griechischem Wissen
gab dem Unterricht von selbst einen gelehrten Charakter. Horneros oder
Euripides zu exponieren war am Ende keine Kunst; Lehrer und Schüler
fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrinischen Poesien, welche
überdies auch ihrem Geiste nach der damaligen römischen Welt weit näher
standen als die echte griechische Nationalpoesie und die, wenn sie
nicht ganz so ehrwürdig wie die Ilias waren, doch bereits ein
hinreichend achtbares Alter besaßen, um Schulmeistern als Klassiker zu
gelten. Euphorions Liebesgedichte, Kalkmachos’ ‘Ursachen’ und seine
‘Ibis’, Lykophrons komisch dunkle ‘Alexandra’ enthielten in reicher
Fülle seltene Vokabeln (glossae), die zum Exzerpieren und
Interpretieren sich eigneten, mühsam verschlungene und mühsam
aufzulösende Sätze, weitläufige Exkurse voll Zusammengeheimnissung
verlegener Mythen, überhaupt Vorrat zu beschwerlicher Gelehrsamkeit
aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwierigerer Übungsstücke;
jene Produkte, großenteils Musterarbeiten von Schulmeistern, eigneten
sich vortrefflich zu Lehrstücken für Musterschüler. So nahmen die
alexandrinischen Poesien in dem italischen Schulunterricht, namentlich
als Probeaufgaben, bleibenden Platz und förderten allerdings das
Wissen, aber auf Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe
ungesunde Bildungshunger drängte ferner die römische Jugend, den
Hellenismus so viel wie möglich an der Quelle zu schöpfen. Die Kurse
bei den griechischen Meistern in Rom genügten nur noch für den ersten
Anlauf; wer irgend wollte mitsprechen können, hörte griechische
Philosophie in Athen, griechische Rhetorik in Rhodos und machte eine
literarische und Kunstreise durch Kleinasien, wo noch am meisten von
den alten Kunstschätzen der Hellenen an Ort und Stelle anzutreffen war
und, wenn auch handwerksmäßig, die musische Bildung derselben sich
fortgepflanzt hatte; wogegen das fernere und mehr als Sitz der strengen
Wissenschaften gefeierte Alexandreia weit seltener das Reiseziel der
bildungslustigen jungen Leute war.
Ähnlich wie der griechische steigert sich auch der lateinische
Unterricht. Zum Teil geschah dies schon durch die bloße Rückwirkung des
griechischen, dem er ja seine Methode und seine Anregungen wesentlich
entlehnte. Ferner trugen die politischen Verhältnisse, der durch das
demokratische Treiben in immer weitere Kreise getragene Zudrang zu der
Rednerbühne auf dem Markte, zur Verbreitung und Steigerung der
Redeübungen nicht wenig bei; “wo man hinblickt”, sagt Cicero, “ist
alles von Rhetoren voll”. Es kam hinzu, daß die Schriften des sechsten
Jahrhunderts, je weiter sie in die Vergangenheit zurücktraten, desto
entschiedener als klassische Texte der goldenen Zeit der lateinischen
Literatur zu gelten anfingen und damit dem wesentlich auf sie sich
konzentrierenden Unterricht ein größeres Schwergewicht gaben. Endlich
gab die von vielen Seiten her einreißende und einwandernde Barbarei und
die beginnende Latinisierung ausgedehnter keltischer und spanischer
Landschaften der lateinischen Sprachlehre und dem lateinischen
Unterricht von selbst eine höhere Bedeutung, als er sie hatte haben
können, solange nur Latium lateinisch sprach: der Lehrer der
lateinischen Literatur hatte in Comum und Narbo von Haus aus eine
andere Stellung als in Praeneste und Ardea. Im ganzen genommen war die
Bildung mehr im Sinken als im Steigen. Der Ruin der italischen
Landstädte, das massenhafte Eindringen fremder Elemente, die
politische, ökonomische und sittliche Verwilderung der Nation, vor
allem die zerrüttenden Bürgerkriege verdarben auch in der Sprache mehr,
als alle Schulmeister der Welt wieder gutmachen konnten. Die engere
Berührung mit der hellenischen Bildung der Gegenwart, der bestimmtere
Einfluß der geschwätzigeren athenischen Weisheit und der rhodischen und
kleinasiatischen Rhetorik führten vorwiegend eben die schädlichsten
Elemente des Hellenismus der römischen Jugend zu. Die propagandistische
Mission, die Latium unter den Kelten, Iberern und Libyern übernahm, wie
stolz die Aufgabe auch war, mußte doch für die lateinische Sprache
ähnliche Folgen haben, wie die Hellenisierung des Ostens sie für die
hellenische gehabt hatte. Wenn das römische Publikum dieser Zeit die
wohlgefügte und rhythmisch kadenzierte Periode des Redners beklatschte
und dem Schauspieler ein sprachlicher oder metrischer Verstoß teuer zu
stehen kam, so zeigt dies wohl, daß die schulmäßig reflektierte
Einsicht in die Muttersprache in immer weiteren Kreisen Gemeingut ward:
aber daneben klagen urteilsfähige Zeitgenossen, daß die hellenische
Bildung in Italien um 690 (64) weit tiefer gestanden als ein
Menschenalter zuvor; daß man das reine gute Latein nur selten mehr, am
ersten noch aus dem Munde älterer gebildeter Frauen zu hören bekomme;
daß die Überlieferung echter Bildung, der alte, gute lateinische
Mutterwitz, die Lucilische Feinheit, der gebildete Leserkreis der
scipionischen Zeit allmählich ausgingen. Daß Wort und Begriff der
“Urbanität”, das heißt der feinen nationalen Gesittung, in dieser Zeit
aufkamen, beweist nicht, daß sie herrschte, sondern daß sie im
Verschwinden war und daß man in der Sprache und dem Wesen der
latinisierten Barbaren oder barbarisierten Lateiner die Abwesenheit
dieser Urbanität schneidend empfand. Wo noch der urbane
Konversationston begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen,
da ist es ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht so
wie in Rom verschollenen Weise.
So blieb die bisherige Jugendbildung ihrem Wesen nach unverändert, nur
daß sie, nicht so sehr durch ihren eigenen als durch den allgemeinen
Verfall der Nation, weniger Gutes und mehr Übles stiftete als in der
vorhergegangenen Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete
Caesar ein. Wenn der römische Senat die Bildung erst bekämpft und
sodann höchstens geduldet hatte, so mußte die Regierung des neuen
italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Humanität war,
dieselbe notwendig in hellenischer Weise von oben herab fördern. Wenn
Caesar sämtlichen Lehrern der freien Wissenschaften und sämtlichen
Ärzten der Hauptstadt das römische Bürgerrecht verlieh, so darf darin
wohl eine gewisse Einleitung gefunden werden zu jenen Anstalten, in
denen späterhin für die höhere zwiesprachige Bildung der Jugend des
Reiches von Staats wegen gesorgt ward und die der prägnanteste Ausdruck
des neuen Staates der Humanität sind; und wenn Caesar ferner die
Gründung einer öffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek in
der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Römer der Zeit,
Marcus Varro, zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so liegt darin
unverkennbar die Absicht, mit der Weltmonarchie die Weltliteratur zu
verknüpfen.
Die sprachliche Entwicklung dieser Zeit knüpfte an den Gegensatz an
zwischen dem klassischen Latein der gebildeten Gesellschaft und der
Vulgärsprache des gemeinen Lebens. Jenes selbst war ein Erzeugnis der
spezifischen italischen Bildung; schon in dem Scipionischen Kreise war
das “reine Latein” Stichwort gewesen und wurde die Muttersprache nicht
mehr völlig naiv gesprochen, sondern in bewußtem Unterschied von der
Sprache des großen Haufens. Diese Epoche eröffnet mit einer
merkwürdigen Reaktion gegen den bisher in der höheren Umgangssprache
und demnach auch in der Literatur alleinherrschenden Klassizismus,
einer Reaktion, die innerlich und äußerlich mit der gleichartigen
Sprachreaktion in Griechenland eng zusammenhing. Eben um diese Zeit
begannen der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von Magnesia und die
zahlreichen, an ihn sich anschließenden kleinasiatischen Rhetoren und
Literaten sich aufzulehnen gegen den orthodoxen Attizismus. Sie
forderten das Bürgerrecht für die Sprache des Lebens, ohne Unterschied,
ob das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Karien und
Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht für den Geschmack der
gelehrten Cliquen, sondern für den des großen Publikums. Gegen den
Grundsatz ließ sich nicht viel einwenden; nur freilich konnte das
Resultat nicht besser sein als das damalige kleinasiatische Publikum
war, das den Sinn für Strenge und Reinheit der Produktion gänzlich
verloren hatte und nur nach dem Zierlichen und Brillanten verlangte. Um
von den aus dieser Richtung entsprungenen Afterkunstgattungen,
namentlich dem Roman und der romanhaften Geschichte, hier zu schweigen,
so war schon der Stil dieser Asiaten begreiflicherweise zerhackt und
ohne Kadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll Flitter und
Bombast, durchaus gemein und manieriert; “wer Hegesias kennt”, sagt
Cicero, “der weiß, was albern ist”.
Dennoch fand dieser neue Stil seinen Weg auch in die latinische Welt.
Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vorigen
Epoche in den latinischen Jugendunterricht sich eingedrängt hatte, zu
Anfang der gegenwärtigen den letzten Schritt tat und mit Quintus
Hortensius (640-704 114-50), dem gefeiertsten Sachwalter der
sullanischen Zeit, die römische Rednerbühne selbst betrat, da schmiegte
sie auch in dem lateinischen Idiom dem schlechten griechischen
Zeitgeschmack eng sich an; und das römische Publikum, nicht mehr das
rein und streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natürlich
eifrig den Neuerer, der es verstand, dem Vulgarismus den Schein
kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von großer Bedeutung. Wie
in Griechenland der Sprachstreit immer zunächst in den Rhetorenschulden
geführt ward, so war auch in Rom die gerichtliche Rede gewissermaßen
mehr noch als die Literatur maßgebend für den Stil, und es war deshalb
mit dem Sachwalterprinzipat gleichsam von Rechts wegen die Befugnis
verbunden, den Ton der modischen Sprech- und Schreibweise anzugeben.
Hortensius’ asiatischer Vulgarismus verdrängte also den Klassizismus
von der römischen Rednerbühne und zum Teil auch aus der Literatur. Aber
bald schlug in Griechenland wie in Rom die Mode wieder um. Dort war es
die Rhodische Rhetorenschule, die ohne auf die ganze keusche Strenge
des attischen Stils zurückzugehen, doch versuchte, zwischen ihm und der
modernen Weise einen Mittelweg einzuschlagen; wenn die rhodischen
Meister es mit der innerlichen Korrektheit des Denkens und Sprechens
nicht allzu genau nahmen, so drangen sie doch wenigstens auf
sprachliche und stilistische Reinheit, auf sorgfältige Auswahl der
Wörter und Wendungen und durchgeführte Kadenzierung der Sätze. In
Italien war es Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), der, nachdem er
in seiner ersten Jugend die Hortensische Manier mitgemacht hatte, durch
das Hören der rhodischen Meister und durch eigenen gereifteren
Geschmack auf bessere Wege zurückgeführt ward und fortan sich strenger
Reinheit der Sprache und durchgängiger Periodisierung und Kadenzierung
der Rede befliß. Die Sprachmuster, an die er hierbei sich anschloß,
fand er vor allen Dingen in denjenigen Kreisen der höheren römischen
Gesellschaft, welche von dem Vulgarismus noch wenig oder gar nicht
gelitten hatten; und wie schon gesagt ward, es gab deren noch, obwohl
sie anfingen zu schwinden. Die ältere lateinische und die gute
griechische Literatur, so bedeutend auch namentlich auf den Numerus der
Rede die letztere eingewirkt hat, standen daneben doch nur in zweiter
Linie; es war diese Sprachreinigung also keineswegs eine Reaktion der
Buch- gegen die Umgangssprache, sondern eine Reaktion der Sprache der
wirklich Gebildeten gegen den Jargon der falschen und halben Bildung.
Caesar, auch auf dem Gebiet der Sprache der größte Meister seiner Zeit,
sprach den Grundgedanken des römischen Klassizismus aus, indem er in
Rede und Schrift jedes fremdartige Wort so zu vermeiden gebot, wie der
Schiffer die Klippe meidet: man verwarf das poetische und das
verschollene Wort der älteren Literatur ebenso, wie die bäurische oder
der Sprache des gemeinen Lebens entlehnte Wendung und namentlich die,
wie die Briefe dieser Zeit es beweisen, in sehr weitem Umfang in die
Umgangssprache eingedrungenen griechischen Wörter und Phrasen. Aber
nichtsdestoweniger verhielt dieser schulmäßige und künstliche
Klassizismus der ciceronischen Zeit sich zu dem scipionischen, wie zu
der Unschuld die bekehrte Sünde oder wie zu dem mustergültigen
Französisch Molières und Boileaus das der napoleonischen Klassizisten;
wenn jener aus dem vollen Leben geschöpft hatte, so fing dieser
gleichsam die letzten Atemzüge eines unwiderbringlich untergehenden
Geschlechts noch eben rechtzeitig auf. Wie er nun war, er breitete
rasch sich aus. Mit dem Sachwalterprinzipat ging auch die Sprach- und
Geschmacksdiktatur von Hortensius auf Cicero über, und die
mannigfaltige und weitläufige Schriftstellerei des letzteren gab diesem
Klassizismus, was ihm noch gefehlt hatte, ausgedehnte prosaische Texte.
So wurde Cicero der Schöpfer der modernen klassischen lateinischen
Prosa und knüpfte der römische Klassizismus durchaus und überall an
Cicero als Stilisten an; dem Stilisten Cicero, nicht dem
Schriftsteller, geschweige denn dem Staatsmanne, galten die
überschwenglichen und doch nicht ganz phrasenhaften Lobsprüche, mit
denen die begabtesten Vertreter des Klassizismus, namentlich Caesar und
Catullus, ihn überhäufen.
Bald ging man weiter. Was Cicero in der Prosa, das führte in der Poesie
gegen das Ende der Epoche die neurömische an die griechische Modepoesie
sich anlehnende Dichterschule durch, deren bedeutendstes Talent
Catullus war. Auch hier verdrängte die höhere Umgangssprache die bisher
auf diesem Gebiet noch vielfach waltenden archaistischen Reminiszenzen
und fügte wie die lateinische Prosa sich dem attischen Numerus, so die
lateinische Poesie sich allmählich den strengen oder vielmehr
peinlichen metrischen Gesetzen der Alexandriner; so zum Beispiel wird
von Catullus an es nicht mehr verstattet, mit einem einsilbigen oder
einem nicht besonders schwerwichtigen zweisilbigen Wort zugleich einen
Vers zu beginnen und einen im vorigen begonnenen Satz zu schließen.
Endlich trat denn die Wissenschaft hinzu, fixierte das Sprachgesetz und
entwickelte die Regel, die nicht mehr aus der Empirie bestimmt ward,
sondern den Anspruch machte, die Empirie zu bestimmen. Die
Deklinationsendungen, die bisher noch zum Teil geschwankt hatten,
sollten jetzt ein für allemal fixiert werden, wie zum Beispiel von den
bisher nebeneinander gangbaren Genetiv- und Dativformen der sogenannten
vierten Deklination (senatuis und senatus, senatui und senatu) Caesar
ausschließlich die zusammengezogenen (us und u) gelten ließ. In der
Orthographie wurde mancherlei geändert, um die Schrift mit der Sprache
wieder vollständiger ins gleiche zu setzen - so ward das inlautende u
in Wörtern wie maxumus nach Caesars Vorgang durch i ersetzt und von den
beiden überflüssig gewordenen Buchstaben k und q die Beseitigung des
ersten durchgesetzt, die des zweiten wenigstens vorgeschlagen. Die
Sprache war, wenn noch nicht erstarrt, doch im Erstarren begriffen, von
der Regel zwar noch nicht gedankenlos beherrscht, aber doch bereits
ihrer sich bewußt geworden. Daß für diese Tätigkeit auf dem Gebiete der
lateinischen Grammatik die griechische nicht bloß im allgemeinen den
Geist und die Methode hergab, sondern die lateinische Sprache auch wohl
geradezu nach jener rektifiziert ward, beweist zum Beispiel die
Behandlung des schließenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche
nach Gefallen bald als Konsonant, bald nicht als solcher gegolten
hatte, von den neumodischen Poeten aber durchgängig wie im Griechischen
als konsonantischer Auslaut behandelt ward. Diese Sprachregulierung ist
die eigentliche Domäne des römischen Klassizismus; in der
verschiedensten Weise und ebendarum nur um so bedeutsamer wird bei den
Koryphäen desselben, bei Cicero, Caesar, sogar in den Gedichten
Catulls, die Regel eingeschärft und der Verstoß dagegen abgetrumpft;
wogegen die ältere Generation sich über die auf dem sprachlichen Gebiet
ebenso rücksichtslos wie auf dem politischen durchgreifende Revolution
mit begreiflicher Empfindlichkeit äußert ^2. Indem aber der neue
Klassizismus, das heißt das regulierte und mit dem mustergültigen
Griechisch soweit möglich ins gleiche gesetzte mustergültige Latein,
hervorgehend aus der bewußten Reaktion gegen den in die höhere
Gesellschaft und selbst in die Literatur eingedrungenen Vulgarismus,
sich literarisch fixierte und schematisch formulierte, räumte dieser
doch keineswegs das Feld. Wir finden ihn nicht bloß naiv in den Werken
untergeordneter, nur zufällig unter die Schriftsteller verschlagener
Individuen, wie in dem Bericht über Caesars zweiten spanischen Krieg,
sondern wir werden ihm auch in der eigentlichen Literatur, im Mimus, im
Halbroman, in den ästhetischen Schriften Varros mehr oder weniger
ausgeprägt begegnen; und charakteristisch ist es, daß er eben in den am
meisten volkstümlichen Gebieten der Literatur sich behauptet und daß
wahrhaft konservative Männer, wie Varro, ihn in Schutz nehmen. Der
Klassizismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache wie die Monarchie
auf dem Untergang der italischen Nation; es war vollkommen konsequent,
daß die Männer, in denen die Republik noch lebendig war, auch der
lebenden Sprache fortfuhren, ihr Recht zu geben und ihrer relativen
Lebendigkeit und Volkstümlichkeit zuliebe ihre ästhetischen Mängel
ertrugen. So gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen
dieser Epoche überall hin auseinander: neben der altfränkischen Poesie
des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, neben
Ciceros kadenzierter Periode Varros absichtlich jede Gliederung
verschmähender Satz. Auch hierin spiegelt sich die Zerrissenheit der
Zeit.
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^2 So sagt Varro (rust. 1, 2): ab aeditimo, ut dicere didicimus a
patribus nostris; ut corrigimur ab recentibus urbanis, ab aedituo.
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In der Literatur dieser Periode fällt zunächst, im Vergleich mit der
früheren, die äußere Steigerung des literarischen Treibens in Rom auf.
Die literarische Tätigkeit der Griechen gedieh längst nicht mehr in der
freien Luft der bürgerlichen Unabhängigkeit, sondern nur noch in den
wissenschaftlichen Anstalten der größeren Städte und besonders der
Höfe. Angewiesen auf Gunst und Schutz der Großen und durch das
Erlöschen der Dynastien von Pergamon (621 133), Kyrene (658 96),
Bithynien (679 75) und Syrien (690 64), durch den sinkenden Glanz der
Hofhaltung der Lagiden aus den bisherigen Musensitzen verdrängt ^3,
überdies seit Alexanders des Großen Tod notwendig kosmopolitisch und
unter den Ägyptern und Syrern wenigstens ebenso fremd wie unter den
Lateinern, fingen die hellenischen Literaten mehr und mehr an, ihre
Blicke nach Rom zu wenden. Neben dem Koch, dem Buhlknaben und dem
Spaßmacher spielten unter dem Schwarm griechischer Bedienten, mit denen
der vornehme Römer dieser Zeit sich umgab, auch der Philosoph, der Poet
und der Memoirenschreiber hervorragende Rollen. Schon begegnen in
diesen Stellungen namhafte Literaten; wie zum Beispiel der Epikureer
Philodemos als Hauptphilosoph bei Lucius Piso, Konsul 696 (58),
angestellt war und nebenbei mit seinen artigen Epigrammen auf den
grobdrähtigen Epikureismus seines Patrons die Eingeweihten erbaute. Von
allen Seiten zogen immer zahlreicher die angesehensten Vertreter der
griechischen Kunst und Wissenschaft sich nach Rom, wo der literarische
Verdienst jetzt reichlicher floß als irgendwo sonst; so werden als in
Rom ansässig genannt der Arzt Asklepiades, den König Mithradates
vergeblich von dort weg in seinen Dienst zu ziehen versuchte, der
Gelehrte für alles, Alexandros von Milet, genannt der Polyhistor; der
Poet Parthenios aus Nikäa in Bithymen; der als Reisender, Lehrer und
Schriftsteller gleich gefeierte Poseidonios von Apameia in Syrien, der
hochbejahrt im Jahre 703 (51) von Rhodos nach Rom übersiedelte, und
andere mehr. Ein Haus wie das des Lucius Lucullus war, fast wie das
alexandrinische Museion, ein Sitz hellenischer Bildung und ein
Sammelplatz hellenischer Literaten; römische Mittel und hellenische
Kennerschaft hatten in diesen Hallen des Reichtums und der Wissenschaft
einen unvergleichlichen Schatz von Bildwerken und Gemälden älterer und
gleichzeitiger Meister sowie eine ebenso sorgfältig ausgewählte wie
prachtvoll ausgestattete Bibliothek vereinigt und jeder Gebildete und
namentlich jeder Grieche war hier willkommen - oft sah man den
Hausherrn selbst mit einem seiner gelehrten Gäste in philologischem
oder philosophischem Gespräch den schönen Säulengang auf- und
niederwandeln. Freilich trugen diese Griechen mit ihren reichen
Bildungsschätzen auch zugleich ihre Verkehrtheit und
Bedientenhaftigkeit nach Italien; wie sich denn zum Beispiel einer
dieser gelehrten Landläufer, der Verfasser der ‘Schmeichelredekunst’,
Aristodemos von Nysa, um 700 (54) seinen Herren durch den Nachweis
empfahl, daß Horneros ein geborener Römer gewesen sei. In demselben
Maße wie das Treiben der griechischen Literaten in Rom stieg auch bei
den Römern selbst die literarische Tätigkeit und das literarische
Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere
Geschmack des scipionischen Zeitalters gänzlich beseitigt hatte,
tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun einmal
Weltsprache, und eine griechische Schrift fand ein ganz anderes
Publikum als eine lateinische; darum ließen, wie die Könige von
Armenien und Mauretanien, so auch römische Vornehme, wie zum Beispiel
Lucius Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus, Quintus Scaevola
(Volkstribun 700 54), gelegentlich griechische Prosa und sogar
griechische Verse ausgehen. Indes dergleichen griechische
Schriftstellerei geborener Römer blieb Nebensache und beinahe
Spielerei; die literarischen wie die politischen Parteien Italiens
trafen doch alle zusammen in dem Festhalten an der italischen, nur mehr
oder minder vom Hellenismus durchdrungenen Nationalität. Auch konnte
man in dem Gebiet lateinischer Schriftstellerei wenigstens über Mangel
an Rührigkeit sich nicht beklagen. Es regnete in Rom Bücher und
Flugschriften aller Art und vor allen Dingen Poesien. Die Dichter
wimmelten daselbst wie nur in Tarsos oder Alexandreia; poetische
Publikationen waren zur stehenden Jugendsünde regerer Naturen geworden,
und auch damals pries man denjenigen glücklich, dessen Jugendgedichte
die mitleidige Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Handwerk einmal
verstand, schrieb ohne Mühe auf einen Ansatz seine fünfhundert
Hexameter, an denen kein Schulmeister etwas zu tadeln, freilich auch
kein Leser etwas zu loben fand. Auch die Frauenwelt beteiligte sich
lebhaft an diesem literarischen Treiben; die Damen beschränkten sich
nicht darauf, Tanz und Musik zu machen, sondern beherrschten durch
Geist und Witz die Konversation und sprachen vortrefflich über
griechische und lateinische Literatur; und wenn die Poesie auf die
Mädchenherzen Sturm lief, so kapitulierte die belagerte Festung nicht
selten gleichfalls in artigen Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr
das elegante Spielzeug der großen Kinder beiderlei Geschlechts;
poetische Billets, gemeinschaftliche poetische Übungen und
Wettdichtungen unter guten Freunden waren etwas Gewöhnliches, und gegen
das Ende dieser Epoche wurden auch bereits in der Hauptstadt Anstalten
eröffnet, in denen unflügge lateinische Poeten das Versemachen für Geld
erlernen konnten. Infolge des starken Bücherkonsums wurde die Technik
des fabrikmäßigen Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die
Publikation verhältnismäßig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel
ward ein angesehenes und einträgliches Gewerbe und der Laden des
Buchhändlers ein gewöhnlicher Versammlungsort gebildeter Männer. Das
Lesen war zur Mode, ja zur Manie geworden; bei Tafel ward, wo nicht
bereits roherer Zeitvertreib sich eingedrängt hatte, regelmäßig
vorgelesen, und wer eine Reise vorhatte, vergaß nicht leicht, eine
Reisebibliothek einzupacken. Den Oberoffizier sah man im Lagerzelt den
schlüpfrigen griechischen Roman, den Staatsmann im Senat den
philosophischem Traktat in der Hand. Es stand denn auch im römischen
Staate, wie es in jedem Staate gestanden hat und stehen wird, wo die
Bürger lesen “von der Türschwell an bis zum Privet”. Der parthische
Wesir hatte nicht unrecht, wenn er den Bürgern von Seleukeia die im
Lager des Crassus gefundenen Romane wies und sie fragte, ob sie die
Leser solcher Bücher noch für furchtbare Gegner hielten.
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^3 Merkwürdig ist für diese Verhältnisse die Dedikation der auf den
Namen des Skymnos gehenden poetischen Erdbeschreibung. Nachdem der
Dichter seine Absicht erklärt hat, in dem beliebten menandrischen Maß
einen für Schüler faßlichen und leicht auswendig zu lernenden Abriß der
Geographie zu bearbeiten, widmet er, wie Apollodoros sein ähnliches
historisches Kompendium dem König Attalos Philadelphos von Pergamon
widmete,
dem es ewigen Ruhm
Gebracht, daß seinen Namen dies Geschichtswerk trägt,
sein Handbuch dem König Nikomedes III. (663? - 679 91 - 75) von
Bithynien:
Daß, wie die Leute sagen, königliche Huld
Von allen jetzigen Königen nur du erzeigst,
Dies zu erproben an mir selbst, entschloß ich mich,
Zu kommen und zu sehen, was ein König sei.
Bestärkt in diesem durch Apolls Orakelwort,
Nah’ ich mich billig deinem fast, auf deinen Wink,
Zu der Gelehrten insgemein gewordnen Herd.
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Die literarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und konnte es
nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und der neuen Weise
geteilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem politischen Gebiet sich
bekämpften, die national-italische der Konservativen, die
hellenisch-italische oder, wenn man will, kosmopolitische der neuen
Monarchie, haben auch auf dem literarischen ihre Schlachten geschlagen.
Jene lehnt sich auf die ältere lateinische Literatur, die auf dem
Theater, in der Schule und in der gelehrten Forschung mehr und mehr den
Charakter der Klassizität annimmt. Mit minderem Geschmack und stärkerer
Parteitendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius,
Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die Blätter der
Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die relative
Nationalität und relative Produktivität der Dichter des sechsten
Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser Epoche des
ausgebildeten Epigonentums, die in der Literatur ebenso entschieden wie
in der Politik zu dem Jahrhundert der Hannibalskämpfer hinaufsah als zu
der goldenen, leider unwiederbringlich dahingegangenen Zeit. Freilich
war in dieser Bewunderung der alten Klassiker ein guter Teil derselben
Hohlheit und Heuchelei, die dem konservativen Wesen dieser Zeit
überhaupt eigen sind, und die Zwischengänger mangelten auch hier nicht.
Cicero zum Beispiel, obwohl in der Prosa einer der Hauptvertreter der
modernen Tendenz, verehrte dennoch die ältere nationale Poesie ungefähr
mit demselben anbrüchigen Respekt, welchen er der aristokratischen
Verfassung und der Auguraldisziplin zollte; “der Patriotismus erfordert
es”, heißt es bei ihm, “lieber eine notorisch elende Übersetzung des
Sophokles zu lesen als das Original”. Wenn also die moderne, der
demokratischen Monarchie verwandte literarische Richtung selbst unter
den rechtgläubigen Enniusbewunderern stille Bekenner genug zählte, so
fehlte es auch schon nicht an dreisteren Urteilern, die mit der
einheimischen Literatur ebenso unsäuberlich umgingen wie mit der
senatorischen Politik. Man nahm nicht bloß die strenge Kritik der
scipionischen Epoche wieder auf und ließ den Terenz nur gelten, um
Ennius und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die jüngere
und verwegenere Welt ging weit darüber hinaus und wagte es schon, wenn
auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen die literarische
Orthodoxie, den Plautus einen rohen Spaßmacher, den Lucilius einen
schlechten Verseschmied zu heißen. Statt auf die einheimische lehnt
sich diese moderne Richtung vielmehr auf die neuere griechische
Literatur oder den sogenannten Alexandrinismus.
Es kann nicht umgangen werden, von diesem merkwürdigen Wintergarten
hellenischer Sprache und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als
für das Verständnis der römischen Literatur dieser und der späteren
Epochen erforderlich ist. Die alexandrinische Literatur ruht auf dem
Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit Alexanders
des Großen im Leben ersetzt ward durch einen verkommenen, zunächst aus
der Berührung des makedonischen Dialekts mit vielfachen griechischen
und barbarischen Stämmen hervorgegangenen Jargon; oder genauer gesagt,
die alexandrinische Literatur ist hervorgegangen aus dem Ruin der
hellenischen Nation überhaupt, die, um die alexandrinische
Weltmonarchie und das Reich des Hellenismus zu begründen, in ihrer
volkstümlichen Individualität untergehen mußte und unterging. Hätte
Alexanders Weltreich Bestand gehabt, so würde an die Stelle der
ehemaligen nationalen und volkstümlichen eine nur dem Namen nach
hellenische, wesentlich denationalisierte und gewissermaßen von oben
herab ins Leben gerufene, aber allerdings die Welt beherrschende,
kosmopolitische Literatur getreten sein; indes wie der Staat Alexanders
mit seinem Tode aus den Fugen wich, gingen auch die Anfänge der ihm
entsprechenden Literatur rasch zugrunde. Die griechische Nation aber
gehörte darum nicht weniger mit allem, was sie gehabt, mit ihrer
Volkstümlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit an. Nur
in einem verhältnismäßig engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als
solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die griechische
Literatur noch als tote gepflegt, ihr reicher Nachlaß in wehmütiger
Freude oder trockener Grübelei inventarisiert und auch wohl das
lebendige Nachgefühl oder die tote Gelehrsamkeit bis zu einer
Scheinproduktivität gesteigert. Diese posthume Produktivität ist der
sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesentlich gleichartig derjenigen
Gelehrtenliteratur, welche, abstrahierend von den lebendigen
romanischen Nationalitäten und ihren vulgären Idiomen, in einem
philologisch gelehrten, kosmopolitischen Kreise als künstliche
Nachblüte des untergegangenen Altertums während des fünfzehnten und
sechzehnten Jahrhunderts erwuchs; der Gegensatz zwischen dem
klassischen und dem Vulgärgriechisch der Diadochenzeit ist wohl minder
schroff, aber nicht eigentlich ein anderer als der zwischen dem Latein
des Manutius und dem Italienischen Macchiavellis.
Italien hatte bisher sich gegen den Alexandrinismus im wesentlichen
ablehnend verhalten. Die relative Blütezeit desselben ist die Zeit kurz
vor und nach dem Ersten Punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius,
Ennius, Pacuvius und schloß überhaupt die gesamte nationalrömische
Schriftstellerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen
poetischer Produktion, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen, nicht
an ihre griechischen Zeitgenossen oder jüngsten Vorgänger sich an,
sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und die anderen
Meister der lebendigen und volkstümlichen griechischen Literatur. Die
römische Literatur ist niemals frisch und national gewesen; aber
solange es ein römisches Volk gab, griffen seine Schriftsteller
instinktmäßig nach lebendigen und volkstümlichen Mustern und kopierten,
wenn auch nicht immer aufs beste noch die besten, doch wenigstens
Originale. Die ersten römischen Nachahmer - denn die geringen Anfänge
aus der marianischen Zeit können kaum mitgezählt werden - fand die nach
Alexander entstandene griechische Literatur unter den Zeitgenossen
Ciceros und Caesars; und nun griff der römische Alexandrinismus mit
reißender Schnelligkeit um sich. Zum Teil ging dies aus äußerlichen
Ursachen hervor. Die gesteigerte Berührung mit den Griechen, namentlich
die häufigen Reisen der Römer in die hellenischen Landschaften und die
Ansammlung griechischer Literaten in Rom, verschafften natürlich der
griechischen Tagesliteratur, den zu jener Zeit in Griechenland
gangbaren epischen und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen
Märchen, auch unter den Italikern ein Publikum. Indem ferner die
alexandrinische Poesie, wie früher dargestellt ward, in dem italischen
Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies auf die lateinische
Literatur um so mehr zurück, als diese von der hellenischen
Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhängig war und blieb. Es
findet sich hier sogar eine unmittelbare Anknüpfung der neurömischen an
die neugriechische Literatur: der schon genannte Parthenios, einer der
bekannteren alexandrinischen Elegiker, eröffnete, es scheint um 700
(54), eine Literatur- und Poesieschule in Rom, und es sind noch die
Exzerpte vorhanden, in denen er Stoffe für lateinische
erotisch-mythologische Elegien nach dem bekannten alexandrinischen
Rezept einem seiner vornehmen Schüler an die Hand gab. Aber es waren
keineswegs bloß diese zufälligen Veranlassungen, die den römischen
Alexandrinismus ins Leben riefen; er war vielmehr ein vielleicht nicht
erfreuliches, aber durchaus unvermeidliches Erzeugnis der politischen
und nationalen Entwicklung Roms. Einerseits löste, wie Hellas im
Hellenismus, so jetzt Latium im Romanismus sich auf; die nationale
Entwicklung Italiens überwuchs und zersprengte sich in ganz ähnlicher
Weise in Caesars Mittelmeer - wie die hellenische in Alexanders
Ostreich. Wenn andererseits das neue Reich darauf beruhte, daß die
mächtigen Ströme der griechischen und lateinischen Nationalität,
nachdem sie Jahrtausende hindurch in parallelen Betten geflossen, nun
endlich zusammenfielen, so mußte auch die italische Literatur nicht
bloß wie bisher an der griechischen überhaupt einen Halt suchen,
sondern eben mit der griechischen Literatur der Gegenwart, das heißt
mit dem Alexandrinismus sich ins Niveau setzen. Mit dem schulmäßigen
Latein, der geschlossenen Klassikerzahl, dem exklusiven Kreise der
klassikerlesenden “Urbanen” war die volkstümliche lateinische Literatur
tot und zu Ende; es entstand dafür eine durchaus epigonenhafte,
künstlich großgezogene Reichsliteratur, die nicht auf einer bestimmten
Volkstümlichkeit ruhte, sondern in zweien Sprachen das allgemeine
Evangelium der Humanität verkündigte und geistig durchaus und bewußt
von der hellenischen, sprachlich teils von dieser, teils von der
altrömischen Volksliteratur abhing. Es war dies kein Fortschritt. Die
Mittelmeermonarchie Caesars war wohl eine großartige und, was mehr ist,
eine notwendige Schöpfung; aber sie war von oben herab ins Leben
gerufen und darum nichts in ihr zu finden von dem frischen Volksleben,
von der übersprudelnden Nationalkraft, wie sie jüngeren,
beschränkteren, natürlicheren Gemeinwesen eigen sind, wie noch der
Staat Italien des sechsten Jahrhunderts sie hatte aufzeigen können. Der
Untergang der italischen Volkstümlichkeit, abgeschlossen in Caesars
Schöpfung, brach der Literatur das Herzblatt aus. Wer ein Gefühl hat
für die innige Wahlverwandtschaft der Kunst und der Nationalität, der
wird stets sich von Cicero und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius
wenden; und nur die, freilich auf diesem Gebiete verjährte,
schulmeisterliche Auffassung der Geschichte wie der Literatur hat es
vermocht, die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche
vorzugsweise die goldene zu heißen. Aber wenn der römisch-hellenische
Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurückstehen
muß hinter der, wie immer unvollkommenen, älteren nationalen Literatur,
so ist er andererseits dem Alexandrinismus der Diadochenzeit ebenso
entschieden überlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung
Alexanders. Es wird später darzustellen sein, daß die augustische
Literatur, verglichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder
eine Philologen- und weit mehr eine Reichsliteratur gewesen ist als
diese und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft weit
dauernder und weit allgemeiner als jemals der griechische
Alexandrinismus gewirkt hat.
Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenliteratur. Trauerspiel
wie Lustspiel waren in der römischen Nationalliteratur bereits vor der
gegenwärtigen Epoche innerlich abgestorben. Neue Stücke wurden nicht
mehr gespielt. Daß noch in der sullanischen Zeit das Publikum
dergleichen zu sehen erwartete, zeigen die dieser Zeit angehörigen
Wiederaufführungen Plautinischer Komödien mit gewechselten Titeln und
Personennamen, wobei die Direktion wohl hinzufügte, daß es besser sei,
ein gutes altes, als ein schlechtes neues Stück zu sehen. Davon hatte
man denn nicht weit zu der völligen Einräumung der Bühne an die toten
Poeten, die wir in der ciceronischen Zeit finden und der der
Alexandrinismus sich gar nicht widersetzte. Seine Produktivität auf
diesem Gebiete war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendichtung
hat die alexandrinische Literatur nie gekannt; nur das Afterdrama, das
zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung geschrieben ward, konnte durch
sie in Italien eingebürgert werden, und bald fingen denn diese
dramatischen Jamben auch an, in Rom ebenso wie in Alexandreia zu
grassieren und namentlich das Trauerspielschreiben unter den stehenden
Entwicklungskrankheiten zu figurieren. Welcher Art diese Produktionen
waren, kann man ungefähr danach bemessen, daß Quintus Cicero, um die
Langeweile des gallischen Winterquartiers homöopathisch zu vertreiben,
in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Einzig in dem
“Lebensbild” oder dem Mimus verwuchs der letzte noch grünende Trieb der
nationalen Literatur, die Atellanenposse, mit den ethologischen
Ausläufern des griechischen Lustspiels, die der Alexandrinismus mit
größerer poetischer Kraft und besserem Erfolg als jeden anderen Zweig
der Poesie kultivierte. Der Mimus ging hervor aus den seit langem
üblichen Charaktertänzen zur Flöte, die teils bei anderen
Gelegenheiten, namentlich zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel,
teils besonders im Parterre des Theaters während der Zwischenakte
aufgeführt wurden. Es war nicht schwer, aus diesen Tänzen, bei denen
die Rede wohl längst gelegentlich zur Hilfe genommen ward, durch
Einführung einer geordneteren Fabel und eines regelrechten Dialogs
kleine Komödien zu machen, die jedoch von dem früheren Lustspiel und
selbst von der Posse sich doch dadurch noch wesentlich unterschieden,
daß der Tanz und die von solchem Tanz unzertrennliche Laszivität hier
fortfuhren, eine Hauptrolle zu spielen, und daß der Mimus, als nicht
eigentlich auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede
szenische Idealisierung wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe,
beiseite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen auch von
Frauen darstellen ließ. Dieser neue Mimus, der zuerst um 672 (82) auf
die hauptstädtische Bühne gekommen zu sein scheint, verschlang bald die
nationale Harlekinade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen
zusammenfiel, und ward als das gewöhnliche Zwischen- und namentlich
Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet ^4. Die Fabel war
natürlich noch gleichgültiger, lockerer und toller als in der
Harlekinade; wenn es nur bunt herging, so fragte das Publikum nicht,
warum es lachte, und rechtete nicht mit dem Poeten, der, statt den
Knoten zu lösen, ihn zerhieb. Die Sujets waren vorwiegend verliebter
Art, meistens von der frechsten Sorte; gegen den Ehemann zum Beispiel
nahmen Poet und Publikum ohne Ausnahme Partei und die poetische
Gerechtigkeit bestand in der Verhöhnung der guten Sitte. Der
künstlerische Reiz beruhte ganz wie bei der Atellane auf der
Sittenmalerei des gemeinen und gemeinsten Lebens, wobei die ländlichen
Bilder vor denen des hauptstädtischen Lebens und Treibens zurücktreten
und der süße Pöbel von Rom, ganz wie in den gleichartigen griechischen
Stücken der von Alexandreia, aufgefordert wird, sein eigenes Konterfei
zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Handwerkerleben entnommen: es
erscheinen der auch hier unvermeidliche ‘Walker’, dann ‘Der Seiler’,
‘Der Färber, ‘Der Salzmann’, ‘Die Weberinnen’, ‘Der Hundejunge’; andere
Stücke geben Charakterfiguren: ‘Der Vergeßliche’, ‘Das Großmaul’, ‘Der
Mann von 100000 Sesterzen’ ^5; oder Bilder des Auslandes: ‘Die
Etruskerin’, ‘Die Gallier’, ‘Der Kretenser’, ‘Alexandreia’; oder
Schilderungen von Volksfesten: ‘Die Compitalien’, ‘Die Saturnalien’,
‘Anna Perenna’, ‘Die warmen Bäder’; oder travestierte Mythologie: ‘Die
Fahrt in die Unterwelt’, ‘Der Arverner See’. Treffende Schlagwörter und
kurze, leicht behalt- und anwendbare Gemeinsprüche sind willkommen;
aber auch jeder Unsinn hat von selber das Bürgerrecht: in dieser
verkehrten Welt wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein
angegangen. Sogar von den auf dem römischen Theater sonst so streng
untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich
einzelne Beispiele ^6. Was die metrische Form anlangt, so gaben sich
diese Poeten, wie sie selber sagen, “nur mäßige Mühe mit dem Versemaß”;
die Sprache strömte selbst in den zur Veröffentlichung redigierten
Stücken über von Vulgärausdrücken und gemeinen Wortbildungen. Es ist,
wie man sieht, der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse; nur
daß die Charaktermasken und die stehende Szenerie von Atella sowie das
bäuerliche Gepräge wegfällt und dafür das hauptstädtische Leben in
seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bretter kommt. Die
meisten Stücke dieser Art waren ohne Zweifel flüchtigster Natur und
machten nicht Anspruch auf einen Platz in der Literatur; die Mimen aber
des Laberius, voll drastischer Charakterzeichnung und sprachlich und
metrisch in ihrer Art meisterlich behandelt, haben in derselben sich
behauptet und auch der Geschichtschreiber muß es bedauern, daß es uns
nicht mehr vergönnt ist, das Drama der republikanischen Agonie in Rom
mit seinem großen attischen Gegenbild zu vergleichen.
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^4 Daß der Mimus zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten
sei, bezeugt Cicero (ad fam. 9 16); damit stimmt überein, daß die Mimen
und Miminnen zuerst um die sullanische Zeit hervortreten (Rhet. Her. 1,
14, 24; 2, 13, 19; Atta com. 1 Ribbeck.; Plin. nat. 7, 48, 158; Plut.
Sull. z. 36). Übrigens wird die Bezeichnung mimus zuweilen ungenau von
dem Komöden überhaupt gebraucht. So war der bei der Apollonischen
Festfeier 542/43 212/211 auftretende mimus (Festus v. salva res est;
vgl. Cic. De orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als ein Schauspieler der
palliata, denn für wirkliche Mimen im spätem Sinn ist in dieser Zeit in
der römischen Theaterentwicklung kein Raum.
Zu dem Mimus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen,
in denen Genrebilder, namentlich ländliche, dargestellt wurden, hat der
römische Mimus keine nähere Beziehung.
^5 Mit dem Besitz dieser Summe, wodurch man in die erste Stimmklasse
eintritt und die Erbschaft dem Voconischen Gesetz unterworfen wird, ist
die Grenze überschritten, welche die geringen (tenuiores) von den
anständigen Leuten scheidet. Darum fleht auch der arme Klient Catulls
(23, 26) die Götter an, ihm zu diesem Vermögen zu verhelfen.
^6 In Laberius’ ‘Fahrt in die Unterwelt’ tritt allerlei Volk auf, das
Wunder und Zeichen gesehen hat; dem einen ist ein Ehemann mit zwei
Frauen erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch ärger als
das kürzlich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs
Ädilen. Nämlich Caesar wollte - nach dem Klatsch der Zeit - die
Vielweiberei in Rom einführen (Suet. Caes. 82) und ernannte in der Tat
statt vier Ädilen deren sechs. Man sieht auch hieraus, daß Laberius
Narrenrecht zu üben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand.
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Mit der Nichtigkeit der Bühnenliteratur Hand in Hand geht die
Steigerung des Bühnenspiels und der Bühnenpracht. Dramatische
Vorstellungen erhielten ihren regelmäßigen Platz im öffentlichen Leben
nicht bloß der Hauptstadt, sondern auch der Landstädte; auch jene bekam
nun endlich durch Pompeius ein stehendes Theater (699 55) und die
kampanische Sitte, während des in alter Zeit stets unter freiem Himmel
stattfindenden Schauspiels zum Schutze der Spieler und der Zuschauer
Segeldecken über das Theater zu spannen, fand ebenfalls jetzt Eingang
in Rom (676 78). Wie derzeit in Griechenland nicht die mehr als blassen
Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klassische
Schauspiel, vor allem die Euripideische Tragödie in reichster
Entfaltung szenischer Mittel die Bühne behauptete, so wurden auch in
Rom zu Ciceros Zeit vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius
und Accius, die Lustspiele des Plautus gegeben. Wenn der letztere in
der vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komischer
Kraft freilich geringeren Terenz verdrängt worden war, so wirkten jetzt
Roscius und Varro, das heißt das Theater und die Philologie zusammen,
um ihm eine ähnliche Wiederaufstehung zu bereiten, wie sie Shakespeare
durch Garrick und Johnson widerfuhr; und auch Plautus hatte dabei von
der gesunkenen Empfänglichkeit und der unruhigen Hast des durch die
kurzen und lotterigen Possen verwöhnten Publikums zu leiden, so daß die
Direktion die Länge der Plautinischen Komödien zu entschuldigen, ja
vielleicht auch zu streichen und zu ändern sich genötigt sah. Je
beschränkter das Repertoire war, desto mehr richtete sich sowohl die
Tätigkeit des dirigierenden und exekutierenden Personals, als auch das
Interesse des Publikums auf die szenische Darstellung der Stücke. Kaum
gab es in Rom ein einträglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und
der Tänzerin ersten Ranges. Das fürstliche Vermögen des tragischen
Schauspielers Aesopus ward bereits erwähnt; sein noch höher gefeierter
Zeitgenosse Roscius schlug seine Jahreseinnahme auf 600000 Sesterzen
(46000 Taler) an ^7 und die Tänzerin Dionysia die ihrige auf 200000
Sesterzen (15000 Taler). Daneben wandte man ungeheure Summen auf
Dekorationen und Kostüme: gelegentlich schritten Züge von sechshundert
aufgeschirrten Maultieren über die Bühne und das troische Theaterheer
ward dazu benutzt, um dem Publikum eine Musterkarte der von Pompeius in
Asien besiegten Nationen vorzuführen. Die den Vortrag der eingelegten
Gesangstücke begleitende Musik erlangte gleichfalls größere und
selbständigere Bedeutung; wie der Wind die Wellen, sagt Varro, so lenkt
der kundige Flötenspieler die Gemüter der Zuhörer mit jeder Abwandlung
der Melodie. Sie gewöhnte sich, das Tempo rascher zu nehmen und nötigte
dadurch den Schauspieler zu lebhafterer Aktion. Die musikalische und
Bühnenkennerschaft entwickelte sich; der Habitué erkannte jedes
Tonstück an der ersten Note und wußte die Texte auswendig; jeder
musikalische oder Rezitationsfehler ward streng von dem Publikum
gerügt. Lebhaft erinnert das römische Bühnenwesen der ciceronischen
Zeit an das heutige französische Theater. Wie den losen Tableaus der
Tagesstücke der römische Mimus entspricht, für den wie für jene nichts
zu gut und nichts zu schlecht war, so findet auch in beiden sich
dasselbe traditionell klassische Trauerspiel und Lustspiel, die zu
bewundern oder mindestens zu beklatschen der gebildete Mann von Rechts
wegen verpflichtet ist. Der Menge wird Genüge getan, indem sie in der
Posse sich selber wiederfindet, in dem Schauspiel den dekorativen Pomp
anstaunt und den allgemeinen Eindruck einer idealen Welt empfängt; der
höher Gebildete kümmert im Theater sich nicht um das Stück, sondern
einzig um die künstlerische Darstellung. Endlich die römische
Schauspielkunst selbst pendelte in ihren verschiedenen Sphären, ähnlich
wie die französische, zwischen der Chaumière und dem Salon. Es war
nichts Ungewöhnliches, daß die römischen Tänzerinnen bei dem Finale das
Obergewand abwarfen und dem Publikum einen Tanz im Hemde zum besten
gaben; andererseits aber galt auch dem römischen Talma als das höchste
Gesetz seiner Kunst nicht die Naturwahrheit, sondern das Ebenmaß.
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^7 Vom Staat erhielt er für jeden Spieltag 1000 Denare (300 Taler) und
außerdem die Besoldung für seine Truppe. In späteren Jahren wies er für
sich das Honorar zurück.
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In der rezitativen Poesie scheint es an metrischen Chroniken nach dem
Muster der Ennianischen nicht gefehlt zu haben; aber sie dürften
ausreichend kritisiert sein durch jenes artige Mädchengelübde, von dem
Catullus singt: der heiligen Venus, wenn sie den geliebten Mann von
seiner bösen politischen Poesie ihr wieder zurück in die Arme führe,
das schlechteste der schlechten Heldengedichte zum Brandopfer
darzubringen. In der Tat ist auf dem ganzen Gebiet der rezitativen
Dichtung in dieser Epoche die ältere nationalrömische Tendenz nur durch
ein einziges namhaftes Werk vertreten, das aber auch zu den
bedeutendsten dichterischen Erzeugnissen der römischen Literatur
überhaupt gehört. Es ist das Lehrgedicht des Titus Lucretius Carus
(655-699 99-55) ‘Vom Wesen der Dinge’, dessen Verfasser, den besten
Kreisen der römischen Gesellschaft angehörig, vom öffentlichen Leben
aber, sei es durch Kränklichkeit, sei es durch Abneigung ferngehalten,
kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges im besten Mannesalter starb.
Als Dichter knüpft er energisch an Ennius an und damit an die
klassische griechische Literatur. Unwillig wendet er sich weg von dem
“hohlen Hellenismus” seiner Zeit und bekennt sich mit ganzer Seele und
vollem Herzen als den Schüler der “strengen Griechen”, wie denn selbst
des Thukydides heiliger Ernst in einem der bekanntesten Abschnitte
dieser römischen Dichtung keinen unwürdigen Widerhall gefunden hat. Wie
Ennius bei Epicharmos und Euhemeros seine Weisheit schöpft, so entlehnt
Lucretius die Form seiner Darstellung dem Empedokles, “dem herrlichsten
Schatz des gabenreichen sizilischen Eilands”, und liest dem Stoffe nach
“die goldenen Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros”,
“welcher die anderen Weisen überstrahlt, wie die Sonne die Sterne
verdunkelt”. Wie Ennius verschmäht auch Lucretius die der Poesie von
dem Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und
fordert nichts von seinem Leser als die Kenntnis der allgemein
geläufigen Sagen ^8. Dem modernen Purismus zum Trotz, der die
Fremdwörter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius, wie es Ennius
getan, statt matten und undeutlichen Lateins lieber das bezeichnende
griechische Wort. Die altrömische Alliteration, das
Nichtineinandergreifen der Vers- und Satzeinschnitte und überhaupt die
ältere Rede- und Dichtweise begegnen noch häufig in Lucretius’
Rhythmen, und obwohl er den Vers melodischer behandelt als Ennius, so
wälzen sich doch seine Hexameter nicht wie die der modernen
Dichterschule zierlich hüpfend gleich dem rieselnden Bache, sondern mit
gewaltiger Langsamkeit gleich dem Strome flüssigen Goldes. Auch
philosophisch und praktisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an,
den einzigen einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das
Glaubensbekenntnis des Sängers von Rudiae:
Himmelsgötter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch,
Doch sie kümmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los
bezeichnet vollständig auch Lucretius’ religiösen Standpunkt und nicht
mit Unrecht nennt er deshalb selbst sein Lied gleichsam die Fortsetzung
dessen,
Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers
Kranz zuerst mitbracht’ aus des Helikon lieblichem Haine,
Daß Italiens Völkern er strahl’ in glänzender Glorie.
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^8 Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea, sind
daraus zu erklären, daß dies aus dem Reiseroman des Euhemeros
vielleicht schon in die Ennianische Poesie, auf jeden Fall in die
Gedichte des Lucius Manlius (Plin. nat. 10, 2, 4) übergegangen und
daher dem Publikum, für das Lucretius schrieb, wohlbekannt war.
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Noch einmal, zum letztenmal noch erklingt in Lucretius’ Gedicht der
ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des sechsten
Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem furchtbaren Pöner und
dem herrlichen Scipiaden, die Anschauung des Dichters heimischer ist
als in seiner eigenen gesunkenen Zeit ^9. Auch ihm klingt der eigene
“aus dem reichen Gemüt anmutig quillende” Gesang den gemeinen Liedern
gegenüber “wie gegen das Geschrei der Kraniche das kurze Lied des
Schwanes”; auch ihm schwillt das Herz, den selbsterfundenen Melodien
lauschend, von hoher Ehren Hoffnung - ebenwie Ennius den Menschen,
denen er “das Feuerlied kredenzet aus der tiefen Brust”, verbietet, an
seinem, des unsterblichen Sängers Grabe zu trauern.
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^9 Naiv erscheint dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die
heerverderbenden Seestürme, die die eigenen Leute zertretenden
Elefantenscharen, also Bilder aus den Punischen Kriegen, erscheinen,
als gehörten sie der unmittelbaren Gegenwart an. Vgl. 2, 41; 5, 1226,
1303, 1339.
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Es ist ein seltsames Verhängnis, daß dieses ungemeine, an
ursprünglicher poetischer Begabung den meisten, wo nicht allen seinen
Vorgängern weit überlegene Talent in eine Zeit gefallen war, in der es
selber sich fremd und verwaist fühlte und infolgedessen in der
wunderlichsten Weise sich im Stoffe vergriffen hat. Epikuros’ System,
welches das All in einen großen Atomenwirbel verwandelt und die
Entstehung und das Ende der Welt sowie alle Probleme der Natur und des
Lebens in rein mechanischer Weise abzuwickeln unternimmt, war wohl
etwas weniger albern als die Mythenhistorisierung, wie Euhemeros und
nach ihm Ennius sie versucht hatten; aber ein geistreiches und frisches
System war es nicht, und die Aufgabe nun gar, diese mechanische
Weltanschauung poetisch zu entwickeln, war von der Art, daß wohl nie
ein Dichter an einen undankbareren Stoff Leben und Kunst verschwendet
hat. Der philosophische Leser tadelt an dem Lucretischen Lehrgedicht
die Weglassung der feineren Pointen des Systems, die Oberflächlichkeit
namentlich in der Darstellung der Kontroversen, die mangelhafte
Gliederung, die häufigen Wiederholungen mit ebensogutem Recht, wie der
poetische an der rhythmisierten Mathematik sich ärgert, die einen
großen Teil des Gedichtes geradezu unlesbar macht. Trotz dieser
unglaublichen Mängel, denen jedes mittelmäßige Talent unvermeidlich
hätte erliegen müssen, durfte dieser Dichter mit Recht sich rühmen, aus
der poetischen Wildnis einen neuen Kranz davongetragen zu haben, wie
die Musen noch keinen verliehen hatten; und es sind auch keineswegs
bloß die gelegentlichen Gleichnisse und sonstigen eingelegten
Schilderungen mächtiger Naturerscheinungen und mächtigerer
Leidenschaften, die dem Dichter diesen Kranz erwarben. Die Genialität
der Lebensanschauung wie der Poesie des Lucretius ruht auf seinem
Unglauben, welcher mit der vollen Siegeskraft der Wahrheit und darum
mit der vollen Lebendigkeit der Dichtung dem herrschenden Heuchel- oder
Aberglauben gegenübertrat und treten durfte.
Als danieder er sah das Dasein liegen der Menschheit
Jammervoll auf der Erd’, erdrückt von der lastenden Gottfurcht,
Die vom Himmelsgewölb ihr Antlitz offenbarend,
Schauerlich anzusehen, hinab auf die Sterblichen drohte,
Wagt’ es ein griechischer Mann zuerst das sterbliche Auge
Ihr entgegenzuheben, zuerst ihr entgegenzutreten;
Und die mutige Macht des Gedankens siegte; gewaltig
Trat hinaus er über die flammenden Schranken des Weltalls
Und der verständige Geist durchschritt das unendliche Ganze.
Also eiferte der Dichter, die Götter zu stürzen, wie Brutus die Könige
gestürzt, und “die Natur von ihren strengen Herren zu erlösen”. Aber
nicht gegen Jovis altersschwachen Thron wurden diese Flammenworte
geschleudert; ebenwie Ennius kämpft Lucretius praktisch vor allen
Dingen gegen den wüsten Fremd- und Aberglauben der Menge, den Kult der
Großen Mutter zum Beispiel und die kindische Blitzweisheit der
Etrusker. Das Grauen und der Widerwille gegen die entsetzliche Welt
überhaupt, in der und für die der Dichter schrieb, haben dies Gedicht
eingegeben. Es wurde verfaßt in jener hoffnungslosen Zeit, wo das
Regiment der Oligarchie gestürzt und das Caesars noch nicht
aufgerichtet war, in den schwülen Jahren, während deren der Ausbruch
des Bürgerkrieges in langer peinlicher Spannung erwartet ward. Wenn man
dem ungleichartigen und unruhigen Vortrag es anzufühlen meint, daß der
Dichter täglich erwartete, den wüsten Lärm der Revolution über sich und
sein Werk hereinbrechen zu sehen, so wird man auch bei seiner
Anschauung der Menschen und der Dinge nicht vergessen dürfen, unter
welchen Menschen und in Aussicht auf welche Dinge sie ihm entstand. War
es doch in Hellas in der Epoche vor Alexander ein gangbares und von
allen Besten tief empfundenes Wort, daß nicht geboren zu sein das Beste
von allem, das nächstdem Beste aber sei zu sterben. Unter allen in der
verwandten caesarischen Zeit einem zarten und poetisch organisierten
Gemüt möglichen Weltanschauungen war diese die edelste und die
veredelndste, daß es eine Wohltat für den Menschen ist, erlöst zu
werden von dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und damit von
der bösen die Menschen, gleichwie die Kinder die Angst im dunkeln
Gemach, tückisch beschleichenden Furcht vor dem Tode und vor den
Göttern; daß, wie der Schlaf der Nacht erquicklicher ist als die Plage
des Tages, so auch der Tod, das ewige Ausruhen von allem Hoffen und
Fürchten, besser ist als das Leben, wie denn auch die Götter des
Dichters selber nichts sind noch haben als die ewige selige Ruhe; daß
die Höllenstrafen nicht nach dem Leben den Menschen peinigen, sondern
während desselben in den wilden und rastlosen Leidenschaften des
klopfenden Herzens; daß die Aufgabe des Menschen ist, seine Seele zum
ruhigen Gleichmaß zu stimmen, den Purpur nicht höher zu schätzen als
das warme Hauskleid, lieber unter den Gehorchenden zu verharren, als in
das Getümmel der Bewerber um das Herrenamt sich zu drängen, lieber am
Bach im Grase zu liegen, als unter dem goldenen Plafond des Reichen
dessen zahllose Schüsseln leeren zu helfen. Diese
philosophisch-praktische Tendenz ist der eigentliche ideelle Kern des
Lucretischen Lehrgedichts und durch alle öde physikalischer
Demonstrationen nur verschüttet, nicht erdrückt. Wesentlich auf ihr
beruht dessen relative Weisheit und Wahrheit. Der Mann, der mit einer
Ehrfurcht vor seinen großen Vorgängern, mit einem gewaltsamen Eifer,
wie sie dies Jahrhundert sonst nicht kennt, solche Lehre gepredigt und
sie mit musischem Zauber verklärt hat, darf zugleich ein guter Bürger
und ein großer Dichter genannt werden. Das Lehrgedicht vom Wesen der
Dinge, wie vieles auch daran den Tadel herausfordert, ist eines der
glänzendsten Gestirne in den sternenarmen Räumen der römischen
Literatur geblieben, und billig wählte der größte deutsche
Sprachenmeister die Wiederlesbarmachung des Lucretischen Gedichts zu
seiner letzten und meisterlichsten Arbeit.
Lucretius, obwohl seine poetische Kraft wie seine Kunst schon von den
gebildeten Zeitgenossen bewundert ward, blieb doch, Spätling wie er
war, ein Meister ohne Schüler. In der hellenischen Modedichtung dagegen
fehlte es an Schülern wenigstens nicht, die den alexandrinischen
Meistern nachzueifern sich mühten. Mit richtigem Takt hatten die
begabteren unter den alexandrinischen Poeten die größeren Arbeiten und
die reinen Dichtgattungen, das Drama, das Epos, die Lyrik, vermieden;
ihre erfreulichsten Leistungen waren ihnen, ähnlich wie den
neulateinischen Dichtern, in “kurzatmigen” Aufgaben gelungen und
vorzugsweise in solchen, die auf den Grenzgebieten der Kunstgattungen,
namentlich dem weiten, zwischen Erzählung und Lied in der Mitte
liegenden sich bewegten. Lehrgedichte wurden vielfach geschrieben. Sehr
beliebt waren ferner kleine heroisch-erotische Epen, vornehmlich aber
eine diesem Altweibersommer der griechischen Poesie eigentümliche und
für ihre philologische Hippokrene charakteristische, gelehrte
Liebeselegie, wobei der Dichter die Schilderung der eigenen, vorwiegend
sinnlichen Empfindungen mit epischen Fetzen aus dem griechischen
Sagenkreis mehr oder minder willkürlich durchflocht. Festlieder wurden
fleißig und künstlich gezimmert; überhaupt waltete bei dem Mangel an
freiwilliger poetischer Erfindung das Gelegenheitsgedicht vor und
namentlich das Epigramm, worin die Alexandriner Vortreffliches
geleistet haben. Die Dürftigkeit der Stoffe und die sprachliche und
rhythmische Unfrische, die jeder nicht volkstümlichen Literatur
unvermeidlich anhaftet, suchte man möglichst zu verstecken unter
verzwickten Themen, geschraubten Wendungen, seltenen Wörtern und
künstlicher Versbehandlung, überhaupt dem ganzen Apparat
philologisch-antiquarischer Gelehrsamkeit und technischer Gewandtheit.
Dies war das Evangelium, das den römischen Knaben dieser Zeit gepredigt
ward, und sie kamen in hellen Haufen, um zu hören und auszuüben: schon
um 700 (54) waren Euphorions Liebesgedichte und ähnliche
alexandrinische Poesien die gewöhnliche Lektüre und die gewöhnlichen
Deklamationsstücke der gebildeten Jugend ^10. Die literarische
Revolution war da; aber sie lieferte zunächst mit seltenen Ausnahmen
nur frühreife oder unreife Früchte. Die Zahl der “neumodischen Dichter”
war Legion, aber die Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so
gedrang am Parnasse hergeht, genötigt, sehr kurzen Prozeß zu machen.
Die langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch in
diesem literarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage
geworden; es begegnete wohl, daß einem der Freund zum Hohn als
Festtagsgeschenk einen Stoß schofler Verse frisch vom Buchhändlerlager
ins Haus schickte, deren Wert der zierliche Einband und das glatte
Papier schon auf drei Schritte verriet. Ein eigentliches Publikum, in
dem Sinne wie die volkstümliche Literatur ein Publikum hat, fehlte den
römischen Alexandrinern so gut wie den hellenischen: es ist durchaus
die Poesie der Clique oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng
zusammenhalten, dem Eindringling übel mitspielen, unter sich die neuen
Poesien vorlesen und kritisieren, auch wohl in ganz alexandrinischer
Weise die gelungenen Produktionen wieder poetisch feiern und vielfach
durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm erschwindeln. Ein
namhafter und selbst in dieser neuen Richtung poetisch tätiger Lehrer
der lateinischen Literatur, Valerius Cato, scheint über den
angesehensten dieser Zirkel eine Art Schulpatronat ausgeübt und über
den relativen Wert der Poesien in letzter Instanz entschieden zu haben.
Ihren griechischen Mustern gegenüber sind diese römischen Poeten
durchgängig unfrei, zuweilen schülerhaft abhängig; die meisten ihrer
Produkte werden nichts gewesen sein als die herben Früchte einer im
Lernen begriffenen und noch keineswegs als reif entlassenen
Schuldichtung. Indem man in der Sprache und im Maß weit enger, als je
die volkstümliche lateinische Poesie es getan, an die griechischen
Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine größere sprachliche
und metrische Korrektheit und Konsequenz erreicht; aber es geschah auf
Kosten der Biegsamkeit und Fülle des nationalen Idioms. Stofflich
erhielten unter dem Einfluß teils der weichlichen Muster, teils der
sittenlosen Zeit die erotischen Themen ein auffallendes, der Poesie
wenig zuträgliches Übergewicht; doch wurden auch die beliebten
metrischen Kompendien der Griechen schon vielfach übersetzt, so das
astronomische des Aratos von Cicero und entweder am Ende dieser oder
wahrscheinlicher am Anfang der folgenden Periode das geographische
Lehrbuch des Eratosthenes von Publius Varro von der Aude und die
physikalisch-medizinischen des Nikandros von Aemilius Macer. Es ist
weder zu verwundern noch zu bedauern, daß von dieser zahllosen
Dichterschar uns nur wenige Namen aufbehalten worden sind; und auch
diese werden meistens nur genannt als Kuriositäten oder als gewesene
Größen: so der Redner Quintus Hortensius mit seinen “fünfhunderttausend
Zeilen” langweiliger Schlüpfrigkeit und der etwas häufiger erwähnte
Laevius, dessen ‘Liebesscherze’ nur durch ihre verwickelten Maße und
manierierten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Nun gar
das Kleinepos ‘Smyrna’ des Gaius Helvius Cinna († 710? 44), so sehr es
von der Clique angepriesen ward, trägt sowohl in dem Stoff, der
geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen Vater, wie in der
neunjährigen darauf verwandten Mühsal die schlimmsten Kennzeichen der
Zeit an sich. Eine originelle und erfreuliche Ausnahme machen allein
diejenigen Dichter dieser Schule, die es verstanden, mit der Sauberkeit
und der Formgewandtheit derselben den in dem republikanischen und
namentlich dem landstädtischen Leben noch vorhandenen volkstümlichen
Gehalt zu verbinden. Es galt dies, um von Laberius und Varro hier zu
schweigen, namentlich von den drei schon oben erwähnten Poeten der
republikanischen Opposition Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63),
Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48) und Quintus Valerius Catullus
(667 bis ca. 700 87-54).
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^10 “Freilich”, sagt Cicero (Tusc. 3, 19, 45) in Beziehung auf Ennius,
“wird der herrliche Dichter von unseren Euphorionrezitierern
verachtet.” “Ich bin glücklich angelangt”, schreibt derselbe an Atticus
(7, 2 z. A.), “da uns von Epirus herüber der günstige Nordwind wehte.
Diesen Spondaicus kannst du, wenn du Lust hast, einem von den
Neumodischen als dein eigen verkaufen” (ita belle nobis flavit ab Epiro
lenissumus Onchesmites. Hunc σποδειάζοντα si cui voles τών νεοτέρων pro
tuo vendito).
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Von den beiden ersten, deren Schriften untergegangen sind, können wir
dies freilich nur mutmaßen; über die Gedichte des Catullus steht auch
uns noch ein Urteil zu. Auch er hängt in Stoff und Form ab von den
Alexandrinern. Wir finden in seiner Sammlung Übersetzungen von Stücken
des Kallimachos und nicht gerade von den recht guten, sondern von den
recht schwierigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte
Modepoesien, wie die überkünstlichen Galliamben zum Lobe der
Phrygischen Mutter; und selbst das sonst so schöne Gedicht von der
Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschachtelung
der Ariadneklage in das Hauptgedicht künstlerisch verdorben. Aber neben
diesen Schulstücken steht die melodische Klage der echten Elegie, steht
das Festgedicht im vollen Schmuck individueller und fast dramatischer
Durchführung, steht vor allem die solideste Kleinmalerei gebildeter
Geselligkeit, die anmutigen sehr ungenierten Mädchenabenteuer, davon
das halbe Vergnügen im Ausschwatzen und Poetisieren der
Liebesgeheimnisse besteht, das liebe Leben der Jugend bei vollen
Bechern und leeren Beuteln, die Reise- und die Dichterlust; die
römische und öfter noch die veronesische Stadtanekdote und der launige
Scherz in dem vertrauten Zirkel der Freunde. Jedoch nicht bloß in die
Saiten greift des Dichters Apoll, sondern er führt auch den Bogen: der
geflügelte Pfeil des Spottes verschont weder den langweiligen
Versemacher noch den sprachverderbenden Provinzialen, aber keinen
trifft er öfter und schärfer als die Gewaltigen, von denen der Freiheit
des Volkes Gefahr droht. Die kurzzeiligen und kurzweiligen, oft von
anmutigen Refrains belebten Maße sind von vollendeter Kunst und doch
ohne die widerwärtige Glätte der Fabrik. Umeinander führen diese
Gedichte in das Nil- und in das Potal; aber in dem letzteren ist der
Dichter unvergleichlich besser zu Hause. Seine Dichtungen ruhen wohl
auf der alexandrinischen Kunst, aber doch auch auf dem bürgerlichen, ja
dem landstädtischen Selbstgefühl, auf dem Gegensatz von Verona zu Rom,
auf dem Gegensatz des schlichten Munizipalen gegen die hochgeborenen,
ihren geringen Freunden gewöhnlich übel mitspielenden Herren vom Senat,
wie er in Catulls Heimat, dem blühenden und verhältnismäßig frischen
Cisalpinischen Gallien, lebendiger noch als irgendwo anders empfunden
werden mochte. In die schönsten seiner Lieder spielen die süßen Bilder
vom Gardasee hinein und schwerlich hätte in dieser Zeit ein
Hauptstädter ein Gedicht zu schreiben vermocht wie das tief empfundene
auf des Bruders Tod oder das brave, echt bürgerliche Festlied zu der
Hochzeit des Manlius und der Arunculeia. Catullus, obwohl abhängig von
den alexandrinischen Meistern und mitten in der Mode- und
Cliquendichtung jener Zeit stehend, war doch nicht bloß ein guter
Schüler unter vielen mäßigen und schlechten, sondern seinen Meistern
selbst um so viel überlegen, als der Bürger einer freien italischen
Gemeinde mehr war als der kosmopolitische hellenische Literat. Eminente
schöpferische Kraft und hohe poetische Intentionen darf man freilich
bei ihm nicht suchen; er ist ein reichbegabter und anmutiger, aber kein
großer Poet, und seine Gedichte sind, wie er selbst sie nennt, nichts
als “Scherze und Torheiten”. Aber wenn nicht bloß die Zeitgenossen von
diesen flüchtigen Liedchen elektrisiert wurden, sondern auch die
Kunstkritiker der augustischen Zeit ihn neben Lucretius als den
bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, so hatten die
Zeitgenossen wie die Späteren vollkommen recht. Die lateinische Nation
hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht, in dem der künstlerische
Gehalt und die künstlerische Form in so gleichmäßiger Vollendung
wiedererscheinen wie bei Catullus; und in diesem Sinne ist Catullus’
Gedichtsammlung allerdings das Vollkommenste, was die lateinische
Poesie überhaupt aufzuweisen vermag.
Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in prosaischer Form.
Das bisher unwandelbar festgehaltene Gesetz der echten, naiven wie
bewußten, Kunst, daß der poetische Stoff und die metrische Fassung sich
einander bedingen, weicht der Vermischung und Trübung aller
Kunstgattungen und Kunstformen, welche zu den bezeichnendsten Zügen
dieser Zeit gehört. Zwar von Romanen ist noch weiter nichts anzuführen,
als daß der berühmteste Geschichtschreiber dieser Epoche, Sisenna, sich
nicht für zu gut hielt, die viel gelesenen Milesischen Erzählungen des
Aristeides, schlüpfrige Modenovellen der plattesten Sorte, ins
Lateinische zu übersetzen. Eine originellere und erfreulichere
Erscheinung auf diesem zweifelhaften poetisch-prosaischen Grenzgebiet
sind die ästhetischen Schriften Varros, der nicht bloß der bedeutendste
Vertreter der lateinischen philologisch-historischen Forschung, sondern
auch in der schönen Literatur einer der fruchtbarsten und
interessantesten Schriftsteller ist. Einem in der sabinischen
Landschaft heimischen, dem römischen Senat seit zweihundert Jahren
angehörigen Plebejergeschlechte entsprossen, streng in altertümlicher
Zucht und Ehrbarkeit erzogen ^11 und bereits am Anfang dieser Epoche
ein reifer Mann, gehörte Marcus Terentius Varro von Reate (638-727
116-27) politisch, wie sich von selbst versteht, der Verfassungspartei
an und beteiligte sich ehrlich und energisch an ihrem Tun und Leiden.
Er tat dies teils literarisch, indem er zum Beispiel die erste
Koalition, das “dreiköpfige Ungeheuer” in Flugschriften bekämpfte,
teils im ernsteren Kriege, wo wir ihn im Heere des Pompeius als
Kommandanten des Jenseitigen Spaniens fanden. Als die Sache der
Republik verloren war, ward Varro von seinem Überwinder zum
Bibliothekar der neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt
bestimmt. Die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch
einmal in ihren Strudel hinein, und erst siebzehn Jahre nach Caesars
Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefüllten Lebens rief der Tod
ihn ab. Die ästhetischen Schriften, die ihm einen Namen gemacht haben,
waren kürzere Aufsätze, teils einfach prosaische ernsteren Inhalts,
teils launige Schilderungen, deren prosaisches Grundwerk vielfach
eingelegte Poesien durchwirken. Jenes sind die
‘Philosophisch-historischen Abhandlungen’ (logistorici), dies die
Menippischen Satiren. Beide schließen nicht an lateinische Vorbilder
sich an, namentlich die Varronische Satura keineswegs an die
Lucilische; wie denn überhaupt die römische Satura nicht eigentlich
eine feste Kunstgattung, sondern nur negativ das bezeichnet, daß “das
mannigfaltige Gedicht” zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezählt
sein will und darum denn auch die Saturapoesie bei jedem begabten
Poeten wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt. Es war
vielmehr die voralexandrinische griechische Philosophie, in der Varro
die Muster für seine strengeren wie für seine leichteren ästhetischen
Arbeiten fand: für die ernsteren Abhandlungen in den Dialogen des
Herakleides von Herakleia am Schwarzen Meer († um 450 300), für die
Satiren in den Schriften des Menippos von Gadara in Syrien (blüht um
475 280). Die Wahl war bezeichnend. Herakleides, als Schriftsteller
angeregt durch Platons philosophische Gespräche, hatte über deren
glänzende Form den wissenschaftlichen Inhalt gänzlich aus den Augen
verloren und die poetisch-fabulistische Einkleidung zur Hauptsache
gemacht; er war ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts
weniger als ein Philosoph. Menippos war es ebensowenig, sondern der
echteste literarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren Weisheit
darin besteht, die Philosophie zu leugnen und die Philosophen zu
verhöhnen, der Hundeweisheit des Diogenes; ein lustiger Meister
ernsthafter Weisheit, bewies er in Exempeln und Schnurren, daß außer
dem rechtschaffenen Leben alles auf Erden und im Himmel eitel sei,
nichts aber eitler als der Hader der sogenannten Weisen. Dies waren die
rechten Muster für Varro, einen Mann voll altrömischen Unwillens über
die erbärmliche Zeit und voll altrömischer Laune, dabei durchaus nicht
ohne plastisches Talent, aber für alles, was nicht wie Bild und
Tatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, vollständig
vernagelt und vielleicht den unphilosophischsten unter den
unphilosophischen Römern ^12. Allein Varro war kein unfreier Schüler.
Die Anregung und im allgemeinen die Form entlehnte er von Herakleides
und Mennippos; aber er war eine zu individuelle und zu entschieden
römische Natur, um nicht seine Nachschöpfungen wesentlich selbständig
und national zu halten. Für seine ernsten Abhandlungen, in denen ein
moralischer Satz oder sonst ein Gegenstand von allgemeinem Interesse
behandelt ward, verschmähte er in der Fabulierung an die Milesischen
Märchen zu streifen, wie Herakleides es getan, und so gar kinderhafte
Geschichten wie die vom Abaris und von dem nach siebentägigem Tode
wieder zum Leben erwachenden Mädchen dem Leser aufzutischen. Nur selten
entnahm er die Einkleidung den edleren Mythen der Griechen, wie in dem
Aufsatz ‘Orestes oder vom Wahnsinn’; regelmäßig gab ihm einen
würdigeren Rahmen für seine Stoffe die Geschichte, namentlich die
gleichzeitige vaterländische, wodurch diese Aufsätze zugleich, wie sie
auch heißen, ‘Lobschriften’ wurden auf geachtete Römer, vor allem auf
die Koryphäen der Verfassungspartei. So war die Abhandlung ‘Vom
Frieden’ zugleich eine Denkschrift auf Metellus Pius, den letzten in
der glänzenden Reihe der glücklichen Feldherrn des Senats; die ‘Von der
Götterverehrung’ zugleich bestimmt, das Andenken an den hochgeachteten
Optimaten und Pontifex Gaius Curio zu bewahren; der Aufsatz ‘Über das
Schicksal’ knüpfte an Marius an, der ‘Über die Geschichtschreibung’ an
den ersten Historiker dieser Epoche, Sisenna, der ‘Über die Anfänge der
römischen Schaubühne’ an den fürstlichen Spielgeber Scaurus, der ‘Über
die Zahlen’ an den feingebildeten römischen Bankier Atticus. Die beiden
philosophisch-historischen Aufsätze ‘Laelius oder von der Freundschaft,
‘Cato oder vom Alter’, welche Cicero, wahrscheinlich nach dem Muster
der Varronischen, schrieb, mögen von Varros halb lehrhafter, halb
erzählender Behandlung dieser Stoffe ungefähr eine Vorstellung geben.
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^11 “Mir als Knaben”, sagt er irgendwo, “genügte ein einziger Flausrock
und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Strümpfe, ein Pferd ohne
Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht täglich, ein Flußbad selten.”
Wegen seiner persönlichen Tapferkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er
eine Flottenabteilung führte, den Schiffskranz.
^12 Etwas Kindischeres gibt es kaum als Varros Schema der sämtlichen
Philosophien, das erstlich alle nicht die Beglückung des Menschen als
letztes Ziel aufstellenden Systeme kurzweg für nicht vorhanden erklärt
und dann die Zahl der unter dieser Voraussetzung denkbaren Philosophien
auf zweihundertachtundachtzig berechnet. Der tüchtige Mann war leider
zu sehr Gelehrter um einzugestehen, daß er Philosoph weder sein könne
noch sein möge, und hat deshalb als solcher zeit seines Lebens zwischen
Stoa, Pythagoreismus und Diogenismus einen nicht schönen Eiertanz
aufgeführt.
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Ebenso originell in Form und Inhalt ward von Varro die Menippische
Satire behandelt; die dreiste Mischung von Prosa und Versen ist dem
griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von römischer
Eigentümlichkeit, man möchte sagen von sabinischem Erdgeschmack
durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln, wie die
philosophisch-historischen Aufsätze, irgendein moralisches oder sonst
für das größere Publikum geeignetes Thema, wie dies schon einzelne
Titel zeigen: ‘Hercules’ Säulen oder vom Ruhm’; ‘Der Topf findet den
Deckel oder von den Pflichten des Ehemanns’; ‘Der Nachttopf hat sein
Maß oder vom Zechen’; ‘Papperlapapp oder von der Lobrede’. Die
plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen durfte, ist
natürlich der vaterländischen Geschichte nur selten entlehnt, wie in
der Satire ‘Serranus oder von den Wahlen’. Dagegen spielt die
Diogenische Hundewelt wie billig eine große Rolle: es begegnen der Hund
Gelehrter, der Hund Rhetor, der Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund,
der Hundekatechismus und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie
zu komischen Zwecken in Kontribution gesetzt: wir finden einen
‘Befreiten Prometheus’, einen ‘Strohernen Aias’, einen ‘Herkules
Sokratiker’, einen ‘Anderthalb Odysseus’, der nicht bloß zehn, sondern
fünfzehn Jahre in Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der
dramatisch-novellistische Rahmen schimmert in einzelnen Stücken, zum
Beispiel im ‘Befreiten Prometheus’, in dem ‘Mann von sechzig Jahren’,
im ‘Frühauf’ noch aus den Trümmern hervor; es scheint, daß Varro die
Fabel häufig, vielleicht regelmäßig als eigenes Erlebnis erzählte, wie
zum Beispiel im ‘Frühauf’ die handelnden Personen zum Varro hingehen
und ihm Vortrag halten, “da er als Büchermacher ihnen bekannt war”.
Über den poetischen Wert dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urteil
nicht mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unseren Trümmern
allerliebste Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit - so eröffnet im
‘Befreiten Prometheus’ der Heros nach Lösung seiner Fesseln eine
Menschenfabrik, in welcher Goldschuh, der Reiche, sich ein Mädchen
bestellt von Milch und feinstem Wachs, wie es die milesischen Bienen
aus mannigfachen Blüten sammeln, ein Mädchen ohne Knochen und Sehnen,
ohne Haut und Haar, rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst.
Der Lebensatem dieser Dichtung ist die Polemik - nicht so sehr die
politische der Partei, wie Lucilius und Catullus sie übten, sondern die
allgemeine sittliche des strengen Alten gegen die zügellose und
verkehrte Jugend, des in seinen Klassikern lebenden Gelehrten gegen die
lockere und schofle oder doch ihrer Tendenz nach verwerfliche moderne
Poesie ^13, des guten Bürgers von altem Schlag gegen das neue Rom, in
dem der Markt, mit Varro zu reden, ein Schweinestall ist und Numa, wenn
er auf seine Stadt den Blick wendet, keine Spur seiner weisen Satzungen
mehr gewahrt. Varro tat in dem Verfassungskampf, was ihm Bürgerpflicht
schien; aber sein Herz war bei diesem Parteitreiben nicht - “warum”,
klagt er einmal, “riefet ihr mich aus meinem reinen Leben in den
Rathausschmutz?” Er gehörte der guten alten Zeit an, wo die Rede nach
Zwiebeln und Knoblauch duftete, aber das Herz gesund war. Nur eine
einzelne Seite dieser altväterischen Opposition gegen den Geist der
neuen Zeit ist die Polemik gegen die Erbfeinde des echten Römertums,
die griechischen Weltweisen; aber es lag sowohl im Wesen der
Hundephilosophie als in Varros Naturell, daß die menippische Geißel
ganz besonders den Philosophen um die Ohren schwirrte und sie denn auch
in angemessene Angst versetzte - nicht ohne Herzklopfen übersandten die
philosophischen Skribenten der Zeit dem “scharfen Mann” ihre neu
erschienenen Traktate. Das Philosophieren ist wahrlich keine Kunst. Mit
dem zehnten Teil der Mühe, womit der Herr den Sklaven zum Kunstbäcker
erzieht, bildet er selbst sich zum Philosophen; freilich, wenn dann der
Bäcker und der Philosoph beide unter den Hammer kommen, geht der
Kuchenkünstler hundertmal teurer weg als der Weltweise. Sonderbare
Leute, diese Philosophen! Der eine befiehlt, die Leichen in Honig
beizusetzen - ein Glück, daß man ihm nicht den Willen tut, wo bliebe
sonst der Honigwein? Der andere meint, daß die Menschen wie die Kresse
aus der Erde gewachsen sind. Der dritte hat einen Weltbohrer erfunden,
durch den die Erde einst untergehen wird.
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^13 “Willst du etwa”, schreibt er einmal, “die Redefiguren und Verse
des Quintussklaven Clodius abgurgeln und ausrufen: O Geschick! o
Schicksalsgeschick!” Anderswo: “Da der Quintussklave Clodius eine
solche Anzahl von Komödien ohne irgendeine Muse gemacht hat, sollte ich
da nicht einmal ein einziges Büchlein mit Ennius zu reden ‘fabrizieren’
können?” Dieser sonst nicht bekannte Clodius muß wohl ein schlechter
Nachahmer des Terenz gewesen sein, da zumal jene ihm spöttisch
heimgegebenen Worte: “O Geschick! o Schicksalsgeschick!” in einem
Terenzischen Lustspiel sich wiederfinden. Die folgende
Selbstvorstellung eines Poeten in Varros ‘Esel beim Lautenspiel’:
Schüler mich heißt man Pacuvs; er dann war des Ennius Schüler,
Dieser der Musen; ich selbst nenne Pompilius mich
könnte füglich die Einleitung des Lucretius parodieren, dem Varro schon
als abgesagter Feind des epikurischen Systems nicht geneigt gewesen
sein kann und den er nie anführt.
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Gewiß, niemals hat ein Kranker etwas je geträumt
So toll, was nicht gelehrt schon hätte ein Philosoph.
Es ist spaßhaft anzusehen, wie so ein Langbart- der etymologisierende
Stoiker ist gemeint - ein jedes Wort bedächtig auf der Goldwaage wägt;
aber nichts geht doch über den echten Philosophenzank - ein stoischer
Faustkampf übertrifft weit jede Athletenbalgerei. In der Satire ‘Die
Marcusstadt oder vom Regimente’, wo Marcus sich ein Wolkenkuckucksheim
nach seinem Herzen schuf, erging es, ebenwie in dem attischen, dem
Bauern gut, dem Philosophen aber übel; der
Schnell-durch-ein-Glied-Beweis (Celer-δι΄-ενός-λήμματος-λόγος),
Antipatros, des Stoikers Sohn, schlägt darin seinem Gegner, offenbar
dem philosophischen Zweiglied (Dilemma), mit der Feldhacke den Schädel
ein. Mit dieser sittlich polemischen Tendenz und diesem Talent, einen
kaustischen und pittoresken Ausdruck für sie zu finden, das, wie die
dialogische Einkleidung der im achtzigsten Jahre geschriebenen Bücher
vom Landbau beweist, bis in das höchste Alter ihn nicht verließ,
vereinigte sich auf das glücklichste Varros unvergleichliche Kunde der
nationalen Sitte und Sprache, die in den philologischen Schriften
seines Greisenalters kollektaneenartig, hier aber in ihrer ganzen
unmittelbaren Fülle und Frische sich entfaltet. Varro war im besten und
vollsten Sinne des Wortes ein Lokalgelehrter, der seine Nation in ihrer
ehemaligen Eigentümlichkeit und Abgeschlossenheit wie in ihrer modernen
Verschliffenheit und Zerstreuung aus vieljähriger eigener Anschauung
kannte und seine unmittelbare Kenntnis der Landessitte und
Landessprache durch die umfassendste Durchforschung der geschichtlichen
und literarischen Archive ergänzt und vertieft hatte. Was insofern an
verstandesmäßiger Auffassung und Gelehrsamkeit in unserem Sinn ihm
abging, das gewann die Anschauung und die in ihm lebendige Poesie. Er
haschte weder nach antiquarischen Notizen noch nach seltenen veralteten
oder poetischen Wörtern ^14; aber er selbst war ein alter und
altfränkischer Mann und beinah ein Bauer, die Klassiker seiner Nation
ihm liebe, langgewohnte Genossen; wie konnte es fehlen, daß von der
Sitte der Väter, die er über alles liebte und vor allen kannte, gar
vielerlei in seinen Schriften erzählt ward, und daß seine Rede überfloß
von sprichwörtlichen griechischen und lateinischen Wendungen, von guten
alten, in der sabinischen Umgangssprache bewahrten Wörtern, von
Ennianischen, Lucilischen, vor allem Plautinischen Reminiszenzen? Den
Prosastil dieser ästhetischen Schriften aus Varros früherer Zeit darf
man sich nicht vorstellen nach dem seines im hohen Alter geschriebenen
und wahrscheinlich im unfertigen Zustand veröffentlichten
sprachwissenschaftlichen Werkes, wo allerdings die Satzglieder am Faden
der Relative aufgereiht werden wie die Drosseln an der Schnur; daß aber
Varro grundsätzlich die strenge Stilisierung und die attische
Periodisierung verwarf, wurde früher schon bemerkt, und seine
ästhetischen Aufsätze waren zwar ohne den gemeinen Schwulst und die
falschen Flitter des Vulgarismus, aber in mehr lebendig gefügten als
wohl gegliederten Sätzen unklassisch und selbst schluderig geschrieben.
Die eingelegten Poesien dagegen bewiesen nicht bloß, daß ihr Urheber
die mannigfaltigsten Maße meisterlich wie nur einer der Modepoeten zu
bilden verstand, sondern auch, daß er ein Recht hatte, denen sich
zuzuzählen, welchen ein Gott es vergönnt hat, “die Sorgen aus dem
Herzen zu bannen durch das Lied und die heilige Dichtkunst” ^15. Schule
machte die Varronische Skizze so wenig wie das Lucretische Lehrgedicht;
zu den allgemeineren Ursachen kam hier noch hinzu das durchaus
individuelle Gepräge derselben, welches unzertrennlich war von dem
höheren Alter, der Bauernhaftigkeit und selbst von der eigenartigen
Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Aber die Anmut und Laune vor allem der
menippischen Satiren, welche an Zahl wie an Bedeutung Varros ernsteren
Arbeiten weit überlegen gewesen zu sein scheinen, fesselte die
Zeitgenossen sowohl wie diejenigen Späteren, die für Originalität und
Volkstümlichkeit Sinn hatten; und auch wir noch, denen es nicht mehr
vergönnt ist, sie zu lesen, mögen aus den erhaltenen Bruchstücken
einigermaßen es nachempfinden, daß der Schreiber “es verstand, zu
lachen und mit Maß zu scherzen”. Und schon als der letzte Hauch des
scheidenden guten Geistes der alten Bürgerzeit, als der jüngste grüne
Sproß, den die volkstümliche lateinische Poesie getrieben hat,
verdienten es Varros Satiren, daß der Dichter in seinem poetischen
Testament diese seine menippischen Kinder jedem empfahl,
Dem da Romas liegt und Latiums Blühen am Herzen,
und sie behaupten denn auch einen ehrenvollen Platz in der Literatur
wie in der Geschichte des italischen Volkes ^16.
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^14 Er selbst sagt einmal treffend, daß er veraltete Wörter nicht
besonders liebe, aber öfter brauche, poetische Wörter sehr liebe, aber
nicht brauche.
^15 Die folgende Schilderung ist dem ‘Marcussklaven’ entnommen:
Auf einmal, um die Zeit der Mitternacht etwa,
Als uns mit Feuerflammen weit und breit gestickt
Der luftige Raum den Himmelssternenreigen wies,
Umschleierte des Himmels goldenes Gewölb
Mit kühlem Regenflor der raschen Wolken Zug,
Hinab das Wasser schüttend auf die Sterblichen,
Und schossen, los sich reißend von dem eisigen Pol,
Die Wind’, heran, des Großen Bären tolle Brut,
Fortführend mit sich Ziegel, Zweig’ und Wetterwust.
Doch wir, gestürzt, schiffbrüchig, gleich der Störche Schwarm,
Die an zweizackigen Blitzes Glut die Flügel sich
Versengt, wir fielen traurig jäh zur Erd’ hinab.
In der ‘Menschenstadt’ heißt es:
Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fülle der Schätze;
Nicht dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg
Sorg’ und Furcht, und auch der Saal nicht Crassus des Reichen.
Aber auch leichtere Weise gelang dem Dichter. In ‘Der Topf hat sein
Maß’ stand folgender zierliche Lobspruch auf den Wein:
Es bleibt der Wein für jedermann der beste Trank.
Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund;
Er ist der süße Keimeplatz der Fröhlichkeit,
Er ist der Kitt, der Freundeskreis zusammenhält.
Und in dem ‘Weltbohrer’ schließt der heimkehrende Wandersmann also
seinen Zuruf an die Schiffer:
Laßt schießen die Zügel dem leisesten Hauch,
Bis daß uns des frischeren Windes Geleit
Rückführt in die liebliche Heimat!
^16 Die Skizzen Varros haben eine so ungemeine historische und selbst
poetische Bedeutsamkeit und sind doch infolge der trümmerhaften
Gestalt, in der uns die Kunde davon zugekommen ist, so wenigen bekannt
und so verdrießlich kennenzulernen, daß es wohl erlaubt sein wird,
einige derselben hier mit der wenigen zur Lesbarkeit unumgänglichen
Restauration zu resümieren.
Die Satire ‘Frühauf’ schildert die ländliche Haushaltung. “Frühauf ruft
mit der Sonne zum Aufstehen und führt selbst die Leute auf den
Arbeitsplatz. Die Jungen machen selbst sich ihr Bett, das die Arbeit
ihnen weich macht, und stellen sich selber Wasserkrug und Lampe dazu.
Der Trank ist der klare frische Quell, die Kost Brot und als Zubrot
Zwiebeln. In Haus und Feld gedeiht alles. Das Haus ist kein Kunstbau;
aber der Architekt könnte Symmetrie daran lernen. Für den Acker wird
gesorgt, daß er nicht unordentlich und wüst in Unsauberkeit und
Vernachlässigung verkomme; dafür wehrt die dankbare Ceres den Schaden
von der Frucht, daß die Schober hochgeschichtet das Herz des Landmannes
erfreuen. Hier gilt noch das Gastrecht; willkommen ist, wer nur
Muttermilch gesogen hat. Brotkammer und Weinfaß und der Wurstvorrat am
Hausbalken, Schlüssel und Schloß sind dem Wandersmann dienstwillig, und
hoch türmen vor ihm die Speisen sich auf; zufrieden sitzt der
gesättigte Gast, nicht vor- noch rückwärts schauend, nickend am Herde
in der Küche. Zum Lager wird der wärmste doppelwollige Schafpelz für
ihn ausgebreitet. Hier gehorcht man noch als guter Bürger dem gerechten
Gesetz, das weder aus Mißgunst Unschuldigen zu nahe tritt, noch aus
Gunst Schuldigen verzeiht. Hier redet man nicht Böses wider den
Nächsten. Hier rekelt man nicht mit den Füßen auf dem heiligen Herd,
sondern ehrt die Götter mit Andacht und mit Opfern, wirft dem Hausgeist
sein Stückchen Fleisch in das bestimmte Schüsselchen und geleitet, wenn
der Hausherr stirbt, die Bahre mit demselben Gebet, mit welchem die des
Vaters und des Großvaters hinweggetragen wurde.”
In einer anderen Satire tritt ein “Lehrer der Alten auf, dessen die
gesunkene Zeit dringender zu bedürfen scheint als des Jugendlehrers,
und setzt auseinander, “wie einst alles in Rom keusch und fromm war und
jetzt alles so ganz anders ist”. “Trügt mich mein Auge oder sehe ich
Sklaven in Waffen gegen ihre Herren? - Einst ward, wer zur Aushebung
sich nicht stellte, von Staats wegen als Sklave in die Fremde verkauft;
jetzt heißt [der Aristokratie, 2, 225; 3, 358; 4, 103 u. 330] der
Zensor, der Feigheit und alles hingehen läßt, ein großer Bürger und
erntet Lob, daß er nicht darauf aus ist, sich durch Kränkung der
Mitbürger einen Namen zu machen. - Einst ließ der römische Bauer sich
alle Woche einmal den Bart scheren; jetzt kann der Ackersklave es nicht
fein genug haben. - Einst sah man auf den Gütern einen Kornspeicher,
der zehn Ernten faßte, geräumige Keller für die Weinfässer und
entsprechende Keltern; jetzt hält der Herr sich Pfauenherden und läßt
seine Türen mit afrikanischem Zypressenholz einlegen. - Einst drehte
die Hausfrau mit der Hand die Spindel und hielt dabei den Topf auf dem
Herd im Auge, damit der Brei nicht verbrenne; jetzt” - heißt es in
einer andern Satire -“bettelt die Tochter den Vater um ein Pfund
Edelsteine, das Weib den Mann um einen Scheffel Perlen an. - Einst war
der Mann in der Brautnacht stumm und blöde; jetzt gibt die Frau sich
dem ersten besten Kutscher preis. - Einst war der Kindersegen der Stolz
des Weibes, jetzt, wenn der Mann sich Kinder wünscht, antwortet sie:
Weißt du nicht, was Ennius sagt?:
Lieber will ich ja das Leben dreimal wagen in der Schlacht,
Als ein einzig Mal gebären. -
Einst war die Frau vollkommen zufrieden, wenn der Mann ein- oder
zweimal im Jahre sie in dem ungepolsterten Wagen über Land fuhr”; jetzt
- konnte er hinzusetzen (vgl. Cic. Mil. 21, 55) - schmollt die Frau,
wenn der Mann ohne sie auf sein Landgut geht, und folgt der reisenden
Dame das elegante griechische Bedientengesindel und die Kapelle nach
auf die Villa.”
In einer Schrift der ernsteren Gattung ‘Catus oder die Kinderzucht’
belehrt Varro den Freund, der ihn deswegen um Rat gefragt, nicht bloß
über die Gottheiten, denen nach altem Brauch für der Kinder Wohl zu
opfern war, sondern, hinweisend auf die verständigere Kindererziehung
der Perser und auf seine eigene streng verlebte Jugend, warnt er vor
überfüttern und überschlafen, vor süßem Brot und feiner Kost - die
jungen Hunde, meint der Alte, werden jetzt verständiger genährt als die
Kinder -, ebenso vor dem Besiebnen und Besegnen, das in
Krankheitsfällen so oft die Stelle des ärztlichen Rates vertrat. Er
rät, die Mädchen zum Sticken anzuhalten, damit sie später die
Stickereien und Webereien richtig zu beurteilen verständen, und sie
nicht zu früh das Kinderkleid ablegen zu lassen; er warnt davor, die
Knaben in die Fechterspiele zu führen, in denen früh das Herz verhärtet
und die Grausamkeit gelernt wird.
In dem ‘Mann von sechzig Jahren’ erscheint Varro als ein römischer
Epimenides, der, als zehnjähriger Knabe eingeschlafen, nach einem
halben Jahrhundert wiedererwacht. Er staunt darüber, statt seines
glattgeschorenen Knabenkopfes ein altes Glatzhaupt wiederzufinden, mit
häßlicher Schnauze und wüsten Borsten gleich dem Igel; mehr noch aber
staunt er über das verwandelte Rom. Die lucrinischen Austern, sonst
eine Hochzeitschüssel, sind jetzt ein Alltagsgericht; dafür rüstet denn
auch der bankrotte Schlemmer im stillen die Brandfackel. Wenn sonst der
Vater dem Knaben vergab, so ist jetzt das Vergeben an den Knaben
gekommen; das heißt, er vergibt dem Vater mit Gift. Der Wahlplatz ist
zur Börse geworden, der Kriminalprozeß zur Goldgrube für die
Geschworenen. Keinem Gesetze wird noch gehorcht, außer dem einen, daß
nichts für nichts gegeben wird. Alle Tugenden sind geschwunden; dafür
begrüßen den Erwachten als neue Insassen die Gotteslästerung, die
Wortlosigkeit, die Geilheit. “O wehe dir, Marcus, über solchen Schlaf
und solches Erwachen!”
Die Skizze gleicht der catilinarischen Zeit, kurz nach welcher (um 697
57) sie der alte Mann geschrieben haben muß, und es lag eine Wahrheit
in der bitteren Schlußwendung, wo der Marcus, gehörig ausgescholten
wegen seiner unzeitgemäßen Anklagen und antiquarischen Reminiszenzen,
mit parodischer Anwendung einer uralten römischen Sitte, als unnützer
Greis auf die Brücke geschleppt und in den Tiber gestürzt wird. Es war
allerdings für solche Männer in Rom kein Platz mehr.
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Zu einer kritischen Geschichtschreibung in der Art, wie die
Nationalgeschichte von den Attikern in ihrer klassischen Zeit, wie die
Weltgeschichte von Polybios geschrieben ward, ist man in Rom eigentlich
niemals gelangt. Selbst auf dem dafür am meisten geeigneten Boden, in
der Darstellung der gleichzeitigen und der jüngst vergangenen
Ereignisse, blieb es im ganzen bei mehr oder minder unzulänglichen
Versuchen; in der Epoche namentlich von Sulla bis auf Caesar wurden die
nicht sehr bedeutenden Leistungen, welche die vorhergehende auf diesem
Gebiet aufzuweisen hatte, die Arbeiten Antipaters und Asellios, kaum
auch nur erreicht. Das einzige diesem Gebiete angehörende namhafte
Werk, das in der gegenwärtigen Epoche entstand, ist des Lucius
Cornelius Sisenna (Prätor 676 78) Geschichte des Bundesgenossen- und
Bürgerkrieges. Von ihr bezeugen die, welche sie lasen, daß sie an
Lebendigkeit und Lesbarkeit die alten trockenen Chroniken weit
übertraf, dafür aber in einem durchaus unreinen und selbst in das
Kindische verfallenden Stil geschrieben war; wie denn auch die wenigen
übrigen Bruchstücke eine kleinliche Detailmalerei des Gräßlichen ^17
und eine Menge neugebildeter oder der Umgangssprache entnommener Wörter
aufzeigen. Wenn noch hinzugefügt wird, daß das Muster des Verfassers
und sozusagen der einzige ihm geläufige griechische Historiker
Kleitarchos war, der Verfasser einer zwischen Geschichte und Fiktion
schwankenden Biographie Alexanders des Großen in der Art des
Halbromans, der den Namen des Curtius trägt, so wird man nicht
anstehen, in Sisennas vielgerühmtem Geschichtswerk nicht ein Erzeugnis
echter historischer Kritik und Kunst zu erkennen, sondern den ersten
römischen Versuch in der bei den Griechen so beliebten Zwittergattung
von Geschichte und Roman, welche das tatsächliche Grundwerk durch
erfundene Ausführung lebendig und interessant machen möchte und es
dadurch schal und unwahr macht; und es wird nicht ferner Verwunderung
erregen demselben Sisenna auch als Übersetzer griechischer Moderomane
zu begegnen.
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^17 “Die Unschuldigen”, hieß es in einer Rede, “zitternd an allen
Gliedern, schleppst du heraus und am hohen Uferrande des Flusses beim
Morgengrauen (lässest du sie schlachten).” Solche ohne Mühe einer
Taschenbuchsnovelle einzufügende Phrasen begegnen mehrere.
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Daß es auf dem Gebiet der allgemeinen Stadt- und gar der Weltchronik
noch weit erbärmlicher aussah, lag in der Natur der Sache. Die
steigende Regsamkeit der antiquarischen Forschung ließ erwarten, daß
aus Urkunden und sonstigen zuverlässigen Quellen die gangbare Erzählung
rektifiziert werden würde; allein diese Hoffnung erfüllte sich nicht.
Je mehr und je tiefer man forschte, desto deutlicher trat es hervor,
was es hieß, eine kritische Geschichte Roms schreiben. Schon die
Schwierigkeiten, die der Forschung und Darstellung sich
entgegenstellten, waren unermeßlich; aber die bedenklichsten
Hindernisse waren nicht die literarischer Art. Die konventionelle
Urgeschichte Roms, wie sie jetzt seit wenigstens zehn Menschenaltern
erzählt und geglaubt ward, war mit dem bürgerlichen Leben der Nation
aufs innigste zusammengewachsen; und doch mußte bei jeder eingehenden
und ehrlichen Forschung nicht bloß einzelnes hie und da modifiziert,
sondern das ganze Gebäude so gut umgeworfen werden wie die fränkische
Urgeschichte vom König Pharamund und die britische vom König Arthur.
Ein konservativ gesinnter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte
an dieses Werk nicht Hand legen wollen; und hätte ein verwegener
Freigeist sich dazu gefunden, so würde gegen diesen schlimmsten aller
Revolutionäre, der der Verfassungspartei sogar ihre Vergangenheit zu
nehmen Anstalt machte, von allen guten Bürgern das “Kreuzige”
erschollen sein. So führte die philologische und antiquarische
Forschung von der Geschichtschreibung mehr ab als zu ihr hin. Varro und
die Einsichtigeren überhaupt gaben die Chronik als solche offenbar
verloren; höchstens daß man, wie Titus Pomponius Atticus tat, die
Beamten- und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer
Anspruchslosigkeit zusammenstellte - ein Werk übrigens, durch das die
synchronistische griechisch-römische Jahrzählung in der Weise, wie sie
den Späteren konventionell feststand, zum Abschluß geführt worden ist.
Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum ihre Tätigkeit natürlich
nicht ein, sondern fuhr fort zu der großen, von der Langenweile für die
Langeweile geschriebenen Bibliothek ihre Beiträge so gut in Prosa wie
in Versen zu liefern, ohne daß die Buchmacher, zum Teil bereits
Freigelassene, um die eigentliche Forschung irgend sich bekümmert
hätten. Was uns von diesen Schriften genannt wird - erhalten ist keine
derselben -, scheint nicht bloß durchaus untergeordneter Art, sondern
großenteils sogar von unlauterer Fälschung durchdrungen gewesen zu
sein. Zwar die Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676? 78)
war in einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliß in
der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer löblichen Kürze.
Aber wenn Gaius Licinius Macer († als gewesener Prätor 688 66), des
Dichters Calvus Vater und ein eifriger Demokrat, mehr als irgendein
anderer Chronist auf Urkundenforschung und Kritik Anspruch machte, so
sind seine “leinenen Bücher” und anderes ihm Eigentümliche im höchsten
Grade verdächtig und wird wahrscheinlich eine sehr umfassende und zum
Teil in die späteren Annalisten übergegangene Interpolation der
gesamten Chronik zu demokratisch-tendenziösen Zwecken auf ihn
zurückgehen. Valerius Antias endlich übertraf in der Weitläufigkeit wie
in der kindischen Fabulierung alle seine Vorgänger. Die Zahlenlüge war
hier systematisch bis auf die gleichzeitige Geschichte herab
durchgeführt und die Urgeschichte Roms aus dem Platten abermals ins
Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel die Erzählung, in welcher Art
der weise Numa nach Anweisung der Nymphe Egeria die Götter Faunus und
Picus mit Weine fing, und die schöne, von selbigem Numa hierauf mit
Gott Jupiter gepflogene Unterhaltung allen Verehrern der sogenannten
Sagengeschichte Roms nicht dringend genug empfohlen werden können, um
womöglich auch sie, versteht sich ihrem Kerne nach, zu glauben. Es wäre
ein Wunder gewesen, wenn die griechischen Novellenschreiber dieser Zeit
solche für sie wie gemachte Stoffe sich hätten entgehen lassen. In der
Tat fehlte es auch nicht an griechischen Literaten, welche die römische
Geschichte zu Romanen verarbeiteten: eine solche Schrift waren zum
Beispiel des schon unter den in Rom lebenden griechischen Literaten
erwähnten Polyhistors Alexandros fünf Bücher ‘Über Rom’, ein
widerwärtiges Gemisch abgestandener historischer Überlieferung und
trivialer, vorwiegend erotischer Erfindung. Er vermutlich hat den
Anfang dazu gemacht, das halbe Jahrtausend, welches mangelte, um Troias
Untergang und Roms Entstehung in den durch die beiderseitigen Fabeln
geforderten chronologischen Zusammenhang zu bringen, auszufüllen mit
einer jener tatenlosen Königslisten, wie sie den ägyptischen und
griechischen Chronisten leider geläufig waren; denn allem Anschein nach
ist er es, der die Könige Aventinus und Tiberinus und das albanische
Silviergeschlecht in die Welt gesetzt hat, welche dann im einzelnen mit
Namen, Regierungszeit und mehrerer Anschaulichkeit wegen auch einem
Konterfei auszustatten die Folgezeit nicht versäumte.
So dringt von verschiedenen Seiten her der historische Roman der
Griechen in die römische Historiographie ein; und es ist mehr als
wahrscheinlich, daß von dem, was man heute Tradition der römischen
Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der kleinste Teil aus Quellen
herrührt von dem Schlage der ‘Amadis von Gallien’ und der Fouquéschen
Ritterromane - eine erbauliche Betrachtung wenigstens für diejenigen,
die Sinn haben für den Humor der Geschichte und die Komik der noch in
gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts für König Numa gehegten
Pietät zu würdigen verstehen. Neu ein in die römische Literatur tritt
in dieser Epoche neben der Landes- die Universal- oder, richtiger
gesagt, die zusammengefaßte römisch-hellenische Geschichte. Cornelius
Nepos aus Ticinum (ca. 650 - ca. 725 100-30) liefert zuerst eine
allgemeine Chronik (herausgegeben vor 700 54) und eine nach gewissen
Kategorien geordnete allgemeine Biographiensammlung politisch oder
literarisch ausgezeichneter römischer und griechischer oder doch in die
römische oder griechische Geschichte eingreifender Männer. Diese
Arbeiten schließen an die Universalgeschichten sich an, wie sie die
Griechen schon seit längerer Zeit schrieben; und ebendiese griechischen
Weltchroniken begannen jetzt auch, wie zum Beispiel die im Jahre 698
(56) abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galatischen Königs
Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlässigte römische Geschichte in
ihren Kreis zu ziehen. Diese Arbeiten haben allerdings, ebenwie
Polybios, versucht, an die Stelle der lokalen die Geschichte der
Mittelmeerwelt zu setzen; aber was bei Polybios aus großartig klarer
Auffassung und tiefem geschichtlichen Sinn hervorging, ist in diesen
Chroniken vielmehr das Produkt des praktischen Bedürfnisses für den
Schul- und den Selbstunterricht. Der künstlerischen Geschichtschreibung
können diese Weltchroniken, Lehrbücher für den Schulunterricht oder
Handbücher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusammenhängende, auch
in lateinischer Sprache späterhin sehr weitschichtig gewordene
Literatur kaum zugezählt werden; und namentlich Nepos selbst war ein
reiner, weder durch Geist noch auch nur durch Planmäßigkeit
ausgezeichneter Kompilator.
Merkwürdig und in hohem Grade charakteristisch ist die Historiographie
dieser Zeit allerdings, aber freilich so unerfreulich wie die Zeit
selbst. Das Ineinandergreifen der griechischen und der lateinischen
Literatur tritt auf keinem Gebiet so deutlich hervor wie auf dem der
Geschichte; hier setzen die beiderseitigen Literaturen in Stoff und
Form am frühesten sich ins gleiche und die einheitliche Auffassung der
hellenisch-italischen Geschichte, mit der Polybios seiner Zeit
vorangeeilt war, lernte jetzt bereits der griechische wie der römische
Knabe in der Schule. Allein wenn der Mittelmeerstaat einen
Geschichtschreiber gefunden hatte, ehe er seiner selbst sich bewußt
worden war, so stand jetzt, wo dies Bewußtsein sich eingestellt hatte,
weder bei den Griechen noch bei den Römern ein Mann auf, der ihm den
rechten Ausdruck zu leihen vermochte. Eine römische
Geschichtschreibung, sagt Cicero, gibt es nicht; und soweit wir
urteilen können, ist dies nicht mehr als die einfache Wahrheit. Die
Forschung wendet von der Geschichtschreibung sich ab, die
Geschichtschreibung von der Forschung; die historische Literatur
schwankt zwischen dem Schulbuch und dem Roman. Alle reinen
Kunstgattungen, Epos, Drama, Lyrik, Historie, sind nichtig in dieser
nichtigen Welt; aber in keiner Gattung spiegelt doch der geistige
Verfall der ciceronischen Zeit in so grauenvoller Klarheit sich wieder
wie in ihrer Historiographie.
Die kleine historische Literatur dieser Zeit weist dagegen unter vielen
geringfügigen und verschollenen Produktionen eine Schrift ersten Ranges
auf: die Memoiren Caesars oder vielmehr der militärische Rapport des
demokratischen Generals an das Volk, von dem er seinen Auftrag erhalten
hatte. Der vollendete und allein von dem Verfasser selbst
veröffentlichte Abschnitt, der die keltischen Feldzüge bis zum Jahre
702 (52) schildert, hat offenbar den Zweck, das formell
verfassungswidrige Beginnen Caesars, ohne Auftrag der kompetenten
Behörde ein großes Land zu erobern und zu diesem Ende sein Heer
beständig zu vermehren, so gut wie möglich vor dem Publikum zu
rechtfertigen; es ward geschrieben und bekannt gemacht im Jahre 703
(51), als in Rom der Sturm gegen Caesar losbrach und er aufgefordert
ward, sein Heer zu entlassen und sich zur Verantwortung zu stellen ^18.
Der Verfasser dieser Rechtfertigungsschrift schreibt, wie er auch
selber sagt, durchaus als Offizier und vermeidet es sorgfältig, die
militärische Berichterstattung auf die bedenklichen Gebiete der
politischen Organisation und Administration zu erstrecken. Seine in der
Form eines Militärberichts entworfene Gelegenheits- und Parteischrift
ist selber ein Stück Geschichte wie die Bulletins Napoleons, aber ein
Geschichtswerk im rechten Sinne des Wortes ist sie nicht und soll sie
nicht sein; die Objektivität der Darstellung ist nicht die historische,
sondern die des Beamten. Allein in dieser bescheidenen Gattung ist die
Arbeit meisterlich und vollendet wie keine andere in der gesamten
römischen Literatur. Die Darstellung ist immer knapp und nie karg,
immer schlicht und nie nachlässig, immer von durchsichtiger
Lebendigkeit und nie gespannt oder manieriert. Die Sprache ist
vollkommen rein von Archaismen wie von Vulgarismen, der Typus der
modernen Urbanität. Den Büchern vom Bürgerkrieg meint man es
anzufühlen, daß der Verfasser den Krieg hatte vermeiden wollen und
nicht vermeiden können, vielleicht auch, daß in Caesars Seele wie in
jeder anderen die Zeit der Hoffnung eine reinere und frischere war als
die der Erfüllung; aber über die Schrift vom Gallischen Krieg ist eine
helle Heiterkeit, eine einfache Anmut ausgegossen, welche nicht minder
einzig in der Literatur dastehen wie Caesar in der Geschichte.
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^18 Daß die Schrift über den Gallischen Krieg auf einmal publiziert
worden ist, hat man längst vermutet; den bestimmten Beweis dafür
liefert die Erwähnung der Gleichstellung der Boier und der Häduer schon
im ersten Buch (c. 28), während doch die Boier noch im siebenten (c.
10) als zinspflichtige Untertanen der Häduer vorkommen und offenbar
erst wegen ihres Verhaltens und desjenigen der Häduer in dem Kriege
gegen Vercingetorix gleiches Recht mit ihren bisherigen Herren
erhielten. Andererseits wird, wer die Geschichte der Zeit aufmerksam
verfolgt, in der Äußerung über die Milonische Krise (7, 6) den Beweis
finden, daß die Schrift vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges publiziert
ward; nicht weil Pompeius hier gelobt wird, sondern weil Caesar
daselbst die Ausnahmegesetze vom Jahr 702 (52) billigt. Dies konnte und
mußte er tun, solange er ein friedliches Abkommen mit Pompeius
herbeizuführen suchte, nicht aber nach dem Bruch, wo er die aufgrund
jener für ihn verletzenden Gesetze erfolgten Verurteilungen umstieß.
Darum ist die Veröffentlichung dieser Schrift mit vollem Recht in das
Jahr 703 (51) gesetzt worden.
Die Tendenz der Schrift erkennt man am deutlichsten in der beständigen,
oft, am entschiedensten wohl bei der aquitanischen Expedition, nicht
glücklichen Motivierung jedes einzelnen Kriegsakts als einer nach Lage
der Dinge unvermeidlichen Defensivmaßregel. Daß die Gegner Caesars
Angriffe auf die Kelten und Deutschen vor allem als unprovoziert
tadelten, ist bekannt (Suet. Caes. 24).
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Verwandter Art sind die Briefwechsel von Staatsmännern und Literaten
dieser Zeit, die in der folgenden Epoche mit Sorgfalt gesammelt und
veröffentlicht wurden: so die Korrespondenz von Caesar selbst, von
Cicero, Calvus und andern. Den eigentlich literarischen Leistungen
können sie noch weniger beigezählt werden; aber für die geschichtliche
wie für jede andere Forschung war diese Korrespondenzliteratur ein
reiches Archiv und das treueste Spiegelbild einer Epoche, in der so
viel würdiger Gehalt vergangener Zeiten und so viel Geist,
Geschicklichkeit und Talent im kleinen Treiben sich verflüchtigte und
verzettelte.
Eine Journalistik in dem heutigen Sinn hat bei den Römern niemals sich
gebildet; die literarische Polemik blieb angewiesen auf die
Broschürenliteratur und daneben allenfalls auf die zu jener Zeit
allgemein verbreitete Sitte die für das Publikum bestimmten Notizen an
öffentlichen Orten mit dem Pinsel oder dem Griffel anzuschreiben.
Dagegen wurden untergeordnete Individuen dazu verwandt, für die
abwesenden Vornehmen die Tagesvorfälle und Stadtneuigkeiten
aufzuzeichnen; auch für die sofortige Veröffentlichung eines Auszugs
aus den Senatsverhandlungen traf Caesar schon in seinem ersten Konsulat
geeignete Maßregeln. Aus den Privatjournalen jener römischen
Penny-a-liners und diesen offiziellen laufenden Berichten entstand eine
Art von hauptstädtischem Intelligenzblatt (acta diurna), in dem das
Resümee der vor dem Volke und im Senat verhandelten Geschäfte, ferner
Geburten, Todesfälle und dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe
wurde eine nicht unwichtige geschichtliche Quelle, blieb aber ohne
eigentliche politische wie ohne literarische Bedeutung.
Zu der historischen Nebenliteratur gehört von Rechts wegen auch die
Redeschriftstellerei. Die Rede, aufgezeichnet oder nicht, ist ihrer
Natur nach ephemer und gehört der Literatur nicht an; indes kann sie,
wie der Bericht und der Brief, und sie noch leichter als diese, durch
die Prägnanz des Moments und die Macht des Geistes, denen sie
entspringt, eintreten unter die bleibenden Schätze der nationalen
Literatur. So spielten denn auch in Rom die Aufzeichnungen der vor der
Bürgerschaft oder den Geschworenen gehaltenen Reden politischen Inhalts
nicht bloß seit langem eine große Rolle in dem öffentlichen Leben,
sondern es wurden auch die Reden namentlich des Gaius Gracchus mit
Recht gezählt zu den klassischen römischen Schriften. In dieser Epoche
aber tritt hier nach allen Seiten hin eine seltsame Verwandlung ein.
Die politische Redeschriftstellerei ist im Sinken wie die Staatsrede
selbst. Die politische Rede fand, in Rom wie überhaupt in den alten
Politien, ihren Höhepunkt in den Verhandlungen vor der Bürgerschaft:
hier fesselten den Redner nicht, wie im Senat, kollegialische
Rücksichten und lästige Formen, nicht, wie in den Gerichtsreden, die
der Politik an sich fremden Interessen der Anklage und Verteidigung;
hier allein schwoll ihm das Herz hoch vor der ganzen, an seinen Lippen
hangenden großen und mächtigen römischen Volksgemeinde. Allein damit
war es nun vorbei. Nicht als hätte es an Rednern gemangelt oder an der
Veröffentlichung der vor der Bürgerschaft gehaltenen Reden; vielmehr
ward die politische Schriftstellerei jetzt erst recht weitläufig und es
fing an, zu den stehenden Tafelbeschwerden zu gehören, daß der Wirt die
Gäste durch Vorlesung seiner neuesten Reden inkommodierte. Auch Publius
Clodius ließ seine Volksreden als Broschüren ausgehen, ebenwie Gaius
Gracchus; aber es ist nicht dasselbe, wenn zwei Männer dasselbe tun.
Die bedeutenderen Führer selbst der Opposition, vor allem Caesar
selbst, sprachen zu der Bürgerschaft nicht oft und veröffentlichten
nicht mehr die vor ihr gehaltenen Reden; ja sie suchten zum Teil für
ihre politischen Flugschriften sich eine andere Form als die
hergebrachte der Contionen, in welcher Hinsicht namentlich die Lob- und
Tadelschriften auf Cato bemerkenswert sind. Es ist das wohl erklärlich.
Gaius Gracchus hatte zur Bürgerschaft gesprochen; jetzt sprach man zu
dem Pöbel; und wie das Publikum, so die Rede. Kein Wunder, wenn der
reputierliche politische Schriftsteller auch die Einkleidung vermied,
als habe er seine Worte an die auf dem Markte der Hauptstadt
versammelten Haufen gerichtet. Wenn also die Redeschriftstellerei in
ihrer bisherigen literarischen und politischen Geltung in derselben
Weise verfällt, wie alle naturgemäß aus dem nationalen Leben
entwickelten Zweige der Literatur, so beginnt zugleich eine seltsame
nichtpolitische Plädoyerliteratur. Bisher hatte man nichts davon
gewußt, daß der Advokatenvortrag als solcher, außer für die Richter und
die Parteien, auch noch für Mit- und Nachwelt zur literarischen
Erbauung bestimmt sei; kein Sachwalter hatte seine Plädoyers
aufgezeichnet und veröffentlicht, wofern dieselben nicht etwa zugleich
politische Reden waren und insofern sich dazu eigneten, als
Parteischriften verbreitet zu werden, und auch dies war nicht gerade
häufig geschehen. Noch Quintus Hortensius (640-704 114-50), in den
ersten Jahren dieser Periode der gefeiertste römische Advokat,
veröffentlichte nur wenige und wie es scheint nur die ganz oder halb
politischen Reden. Erst sein Nachfolger in dem Prinzipat der römischen
Sachwalter, Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), war von Haus aus
ebensosehr Schriftsteller wie Gerichtsredner; er publizierte seine
Plädoyers regelmäßig und auch dann, wenn sie nicht oder nur entfernt
mit der Politik zusammenhingen. Dies ist nicht Fortschritt, sondern
Unnatur und Verfall. Auch in Athen ist das Auftreten der
nichtpolitischen Advokatenreden unter den Gattungen der Literatur ein
Zeichen der Krankheit; und zwiefach ist es dies in Rom, das diese
Mißbildung nicht wie Athen aus dem überspannten rhetorischen Treiben
mit einer gewissen Notwendigkeit erzeugt, sondern willkürlich und im
Widerspruch mit den besseren Traditionen der Nation dem Ausland
abgeborgt hat. Dennoch kam diese neue Gattung rasch in Aufnahme, teils
weil sie mit der älteren politischen Redeschriftstellerei vielfach sich
berührte und zusammenfloß, teils weil das unpoetische, rechthaberische,
rhetorisierende Naturell der Römer für den neuen Samen einen günstigen
Boden darbot, wie ja denn noch heute die Advokatenrede und selbst eine
Art von Prozeßliteratur in Italien etwas bedeutet. Also erwarb die von
der Politik emanzipierte Redeschriftstellerei das Bürgerrecht in der
römischen Literatenwelt durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen
Mannes schon mehrfach gedenken müssen. Als Staatsmann ohne Einsicht,
Ansicht und Absicht, hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat
und als Werkzeug der Monarchen figuriert und ist nie mehr gewesen als
ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen,
auf die es ankam, regelmäßig eben abgetan: so trat er im Prozeß des
Verres gegen die Senatsgerichte auf, als sie bereits beseitigt waren;
so schwieg er bei der Verhandlung über das Gabinische und verfocht das
Manilische Gesetz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang
bereits feststand, und so weiter. Gegen Scheinangriffe war er gewaltig
und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine
ernstliche Sache ist nie, weder im guten noch im bösen, durch ihn
entschieden worden und vor allem die Hinrichtung der Catilinarier hat
er weit mehr geschehen lassen als selber bewirkt. In literarischer
Hinsicht ist es bereits hervorgehoben worden, daß er der Schöpfer der
modernen lateinischen Prosa war; auf seiner Stilistik ruht seine
Bedeutung, und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres
Selbstgefühl. Als Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso
tief wie als Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich
versucht, in unendlichen Hexametern Marius’ Groß- und seine eigenen
Kleintaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit seinen
philosophischen Gesprächen den Platon aus dem Felde geschlagen und nur
die Zeit hat ihm gefehlt, um auch den Thukydides zu überwinden. Er war
in der Tat so durchaus Pfuscher, daß es ziemlich einerlei war, welchen
Acker er pflügte. Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des
Wortes, an Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle
Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hilfe weniger Bücher
rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzend oder kompilierend hergestellt
hätte. Am treuesten gibt seine Korrespondenz sein Bild wieder. Man
pflegt sie interessant und geistreich zu nennen: sie ist es auch,
solange sie das hauptstädtische oder Villenleben der vornehmen Welt
widerspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich selbst angewiesen ist,
wie im Exil, in Kilikien und nach der Pharsalischen Schlacht, ist sie
matt und leer, wie nur je die Seele eines aus seinen Kreisen
verschlagenen Feuilletonisten. Daß ein solcher Staatsmann und ein
solcher Literat auch als Mensch nicht anders sein konnte als von
schwach überfirnißter Oberflächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum
noch nötig zu sagen. Sollen wir den Redner noch schildern? Der große
Schriftsteller ist doch auch ein großer Mensch; und vor allem dem
großen Redner strömt die Überzeugung und die Leidenschaft klarer und
brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den dürftigen vielen,
die nur zählen und nicht sind. Cicero hatte keine Überzeugung und keine
Leidenschaft; er war nichts als Advokat und kein guter Advokat. Er
verstand es, seine Sacherzählung anekdotenhaft pikant vorzutragen, wenn
nicht das Gefühl, doch die Sentimentalität seiner Zuhörer zu erregen
und durch Witze oder Witzeleien meist persönlicher Art das trockene
Geschäft der Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden,
wenngleich auch sie die freie Anmut und den sicheren Treff der
vorzüglichsten Kompositionen dieser Art, zum Beispiel der Memoiren von
Beaumarchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und
angenehme Lektüre. Werden aber schon die eben bezeichneten Vorzüge dem
ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften Wertes erscheinen, so
muß der absolute Mangel politischen Sinnes in den staatsrechtlichen,
juristischer Deduktion in den Gerichtsreden, der pflichtvergessene, die
Sache stets über dem Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die
gräßliche Gedankenöde jeden Leser der Ciceronischen Reden von Herz und
Verstand empören. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahrlich
nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fanden. Mit
Cicero wird jeder Unbefangene bald im reinen sein; der Ciceronianismus
ist ein Problem, das in der Tat nicht eigentlich aufgelöst, sondern nur
aufgehoben werden kann in dem größeren Geheimnis der Menschennatur: der
Sprache und der Wirkung der Sprache auf das Gemüt. Indem die edle
lateinische Sprache, eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem
gewandten Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefaßt und in seinen
weitläufigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwürdige Gefäß
etwas über von der Gewalt, die die Sprache ausübt, und von der Pietät,
die sie erweckt. Man besaß einen großen lateinischen Prosaiker; denn
Caesar war, wie Napoleon, nur beiläufig Schriftsteller. War es zu
verwundern, daß man in Ermangelung eines solchen wenigstens den Genius
der Sprache ehrte in dem großen Stilisten? und daß, wie Cicero selbst,
so auch Ciceros Leser sich gewöhnten zu fragen, nicht was, sondern wie
er geschrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was die
Macht der Sprache begonnen hatte. Ciceros Zeitgenossen übrigens waren
begreiflicherweise in dieser seltsamen Abgötterei weit weniger befangen
als viele der Späteren. Die Ciceronische Manier beherrschte wohl ein
Menschenalter hindurch die römische Advokatenwelt, so gut wie die noch
weit schlechtere des Hortensius es getan; allein die bedeutendsten
Männer, zum Beispiel Caesar, hielten doch stets derselben sich fern,
und unter der jüngeren Generation regte bei allen frischen und
lebendigen Talenten sich die entschiedenste Opposition gegen jene
zwitterhafte und schwächliche Redekunst. Man vermißte in Ciceros
Sprache Knappheit und Strenge, in den Späßen das Leben, in der
Anordnung Klarheit und Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen
Beredsamkeit das Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen
Eklektiker fing man an, auf die echten Attiker, namentlich auf Lysias
und Demosthenes zurückzugehen und suchte eine kräftigere und
männlichere Beredsamkeit in Rom einzubürgern. Dieser Richtung gehörten
an der feierliche, aber steife Marcus Iunius Brutus (669-712 85-42),
die beiden politischen Parteigänger Marcus Caelius Rufus (672-706
82-48) und Gaius Scribonius Curio († 705 49), beide als Redner voll
Geist und Leben, der auch als Dichter bekannte Calvus (672-706 82-48),
die literarische Koryphäe dieses jüngeren Rednerkreises, und der ernste
und gewissenhafte Gaius Asinius Pollio (678-757 76-4 n. Chr.).
Unleugbar war in dieser jüngeren Redeliteratur mehr Geschmack und mehr
Geist als in der Hortensischen und Ciceronischen zusammengenommen;
indes vermögen wir nicht zu ermessen, wie weit unter den Stürmen der
Revolution, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit einziger Ausnahme
des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch zur Entwicklung
gelangten. Die Zeit war ihnen allzu kurz gemessen. Die neue Monarchie
begann damit, der Redefreiheit den Krieg zu machen und unterdrückte die
politische Rede bald ganz. Seitdem ward wohl noch die untergeordnete
Gattung des reinen Advokatenplädoyers in der Literatur festgehalten;
aber die höhere Redekunst und Redeliteratur, die durchaus ruht auf dem
politischen Treiben, ging mit diesem selbst notwendig und für immer zu
Grabe.
Endlich entwickelt sich in der ästhetischen Literatur dieser Zeit die
künstlerische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe in der Form des
stilisierten Dialogs, wie sie bei den Griechen sehr verbreitet und
vereinzelt auch bereits früher bei den Römern vorgekommen war.
Namentlich Cicero versuchte sich vielfach in der Darstellung
rhetorischer und philosophischer Stoffe in dieser Form und in der
Verschmelzung des Lehrbuchs mit dem Lesebuche. Seine Hauptschriften
sind die ‘Vom Redner’ (geschrieben 699 55), wozu die Geschichte der
römischen Beredsamkeit (der Dialog ‘Brutus’, geschrieben 708 46) und
andere kleinere rhetorische Aufsätze ergänzend hinzutreten, und die
Schrift ‘Vom Staat’ (geschrieben 700 54), womit die Schrift ‘Von den
Gesetzen’ (geschrieben 702? 52) nach Platonischem Muster in Verbindung
gesetzt ist. Es sind keine große Kunstwerke, aber unzweifelhaft
diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzüge des Verfassers am meisten und
seine Mängel am wenigsten hervortreten. Die rhetorischen Schriften
erreichen bei weitem nicht die lehrhafte Strenge und begriffliche
Schärfe der dem Herennius gewidmeten Rhetorik, aber enthalten dafür
einen Schatz von praktischer Sachwaltererfahrung und
Sachwalteranekdoten aller Art in leichter und geschmackvoller
Darstellung und lösen in der Tat das Problem einer amüsanten
Lehrschrift. Die Schrift vom Staat führt in einem wunderlichen,
geschichtlich-philosophischen Zwittergebilde den Grundgedanken durch,
daß die bestehende Verfassung Roms wesentlich die von den Philosophen
gesuchte ideale Staatsordnung sei; eine freilich eben so
unphilosophische wie unhistorische, übrigens auch nicht einmal dem
Verfasser eigentümliche Idee, die aber begreiflicherweise populär ward
und blieb. Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und
politischen Schriften Ciceros gehört natürlich durchaus den Griechen
und auch vieles einzelne, zum Beispiel der große Schlußeffekt in der
Schrift vom Staate, der Traum des Scipio, ist geradezu ihnen abgeborgt;
doch kommt denselben insofern eine relative Originalität zu, als die
Bearbeitung durchaus römische Lokalfarbe zeigt und das staatliche
Selbstgefühl, zu dem der Römer den Griechen gegenüber allerdings
berechtigt war, den Verfasser sogar mit einer gewissen Selbständigkeit
seinen griechischen Lehrmeistern entgegentreten ließ. Auch die
Gesprächsform Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der
besten griechischen Kunstdialoge noch der echte Konversationston
Diderots oder Lessings; aber die großen Gruppen der um Crassus und
Antonius sich versammelnden Advokaten und der älteren und jüngeren
Staatsmänner des Scipionischen Zirkels geben doch einen lebendigen und
bedeutenden Rahmen, passende Anknüpfungen für geschichtliche
Beziehungen und Anekdoten und geschickte Ruhepunkte für die
wissenschaftliche Erörterung. Der Stil ist ebenso durchgearbeitet und
gefeilt wie in den bestgeschriebenen Reden und insofern erfreulicher
als diese, als der Verfasser hier nicht oft einen vergeblichen Anlauf
zum Pathos nimmt. Wenn diese philosophisch gefärbten rhetorischen und
politischen Schriften Ciceros nicht ohne Verdienst sind, so fiel
dagegen der Kompilator vollständig durch, als er in der unfreiwilligen
Muße seiner letzten Lebensjahre (709, 710 45, 44) sich an die
eigentliche Philosophie machte und mit ebenso großer Verdrießlichkeit
wie Eilfertigkeit in ein paar Monaten eine philosophische Bibliothek
zusammenschrieb. Das Rezept war sehr einfach. In roher Nachahmung der
populären aristotelischen Schriften, in welchen die dialogische Form
hauptsächlich zur Entwicklung und Kritisierung der verschiedenen
älteren Systeme benutzt war, nähte Cicero die das gleiche Problem
behandelnden epikureischen, stoischen und synkretistischen Schriften,
wie sie ihm in die Hand kamen oder gegeben wurden, zu einem sogenannten
Dialog aneinander, ohne von sich mehr dazu zu tun als teils irgendeine,
aus der reichen Sammlung von Vorreden für künftige Werke, die er liegen
hatte, dem neuen Buche vorgeschobene Einleitung, teils eine gewisse
Popularisierung, indem er römische Beispiele und Beziehungen einflocht,
auch wohl auf ungehörige, aber dem Schreiber wie dem Leser geläufigere
Gegenstände, in der Ethik zum Beispiel auf den rednerischen Anstand,
abschweifte, teils diejenige Verhunzung, ohne welche ein weder zum
philosophischen Denken noch auch nur zum philosophischen Wissen
gelangter, schnell und dreist arbeitender Literat dialektische
Gedankenreihen nicht reproduziert. Auf diesem Wege konnten denn
freilich sehr schnell eine Menge dicker Bücher entstehen - “es sind
Abschriften”, schrieb der Verfasser selbst einem über seine
Fruchtbarkeit verwunderten Freunde; “sie machen mir wenig Mühe, denn
ich gebe nur die Worte dazu und die habe ich in Überfluß”. Dagegen war
denn weiter nichts zu sagen; wer aber in solchen Schreibereien
klassische Produktionen sucht, dem kann man nur raten sich in
literarischen Dingen eines schönen Stillschweigens zu befleißigen.
Unter den Wissenschaften herrschte reges Leben nur in einer einzigen:
es war dies die lateinische Philologie. Das von Stilo angelegte Gebäude
sprachlicher und sachlicher Forschung innerhalb des latinischen
Volksbereichs wurde vor allem von seinem Schüler Varro in der
großartigsten Weise ausgebaut. Es erschienen umfassende
Durcharbeitungen des gesamten Sprachschatzes, namentlich Figulus’
weitschichtige grammatische Kommentarien und Varros großes Werk ‘Von
der lateinischen Sprache’; grammatische und sprachgeschichtliche
Monographien, wie Varros Schriften vom lateinischen Sprachgebrauch,
über die Synonymen, über das Alter der Buchstaben, über die Entstehung
der lateinischen Sprache; Scholien zu der älteren Literatur, besonders
zum Plautus; literargeschichtliche Arbeiten, Dichterbiographien,
Untersuchungen über die ältere Schaubühne, über die szenische Teilung
der Plautinischen Komödien und über die Echtheit derselben. Die
lateinische Realphilologie, welche die gesamte ältere Geschichte und
das aus der praktischen Jurisprudenz ausfallende Sakralrecht in ihren
Kreis zog, wurde zusammengefaßt in Varros fundamentalen und für alle
Zeiten fundamental gebliebenen ‘Altertümern der menschlichen und der
göttlichen Dinge’ (bekanntgemacht zwischen 687 und 709 67 und 45). Die
erste Hälfte ‘Von den menschlichen Dingen’ schilderte die Urzeit Roms,
die Stadt- und Landeinteilung, die Wissenschaft von den Jahren, Monaten
und Tagen, endlich die öffentlichen Handlungen daheim und im Kriege; in
der zweiten Hälfte ‘Von den göttlichen Dingen’ wurde die
Staatstheologie, das Wesen und die Bedeutung der
Sachverständigenkollegien, der heiligen Stätten, der religiösen Feste,
der Opfer- und Weihgeschenke, endlich der Götter selbst übersichtlich
entwickelt. Dazu kam außer einer Anzahl von Monographien - zum Beispiel
über die Herkunft des römischen Volkes, über die aus Troia stammenden
römischen Geschlechter, über die Distrikte - als ein größerer und
selbständigerer Nachtrag die Schrift ‘Vom Leben des römischen Volkes’;
ein merkwürdiger Versuch einer römischen Sittengeschichte, die ein Bild
des häuslichen finanziellen und Kulturzustandes in der Königs-, der
ersten republikanischen, der hannibalischen und der jüngsten Zeit
entwarf. Diese Arbeiten Varros ruhen auf einer so vielseitigen und in
ihrer Art so großartigen empirischen Kenntnis der römischen Welt und
ihres hellenischen Grenzgebiets, wie sie nie weder vor- noch nachher
ein anderer Römer besessen hat und zu der die lebendige Anschauung der
Dinge und das Studium der Literatur gleichmäßig beigetragen haben; das
Lob der Zeitgenossen war wohlverdient, daß Varro seine in ihrer eigenen
Welt fremden Landsleute in der Heimat orientiert und die Römer kennen
gelehrt habe, wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man
vergebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trüben
Quellen geflossen und es finden sich Spuren, daß auch in der römischen
der Schreiber von dem Einfluß des historischen Romans seiner Zeit nicht
frei war. Der Stoff ist wohl in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk
eingereiht, aber methodisch weder gegliedert noch behandelt und bei
allem Bestreben, Überlieferung und eigene Beobachtung harmonisch zu
verarbeiten, sind doch Varros wissenschaftliche Arbeiten weder von
einem gewissen Köhlerglauben gegenüber der Tradition noch von
unpraktischer Scholastik freizusprechen ^19. Die Anlehnung an die
griechische Philologie besteht mehr im Nachahmen der Mängel als der
Vorzüge derselben, wie denn vor allem das Etymologisieren auf bloßen
Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei den sonstigen
Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine Scharade und oft geradezu
ins Alberne verläuft ^20. In ihrer empirischen Sicherheit und Fülle wie
auch in ihrer empirischen Unzulänglichkeit und Unmethode erinnert die
Varronische lebhaft an die englische Nationalphilologie und findet auch
ebenwie diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der älteren Schaubühne.
Daß die monarchische Literatur im Gegensatz gegen diese sprachliche
Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits bemerkt. Es ist in
hohem Grade bedeutsam, daß an der Spitze der modernen Grammatiker kein
geringerer Mann steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift über die
Analogie (bekanntgemacht zwischen 696 und 704 68 und 50) es zuerst
unternahm die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen.
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^19 Ein merkwürdiges Exempel ist in der Schrift von der Landwirtschaft
die allgemeine Auseinandersetzung über das Vieh (2, 1), mit den neunmal
neun Unterabteilungen der Viehzuchtlehre, mit der “unglaublichen” aber
“wahren” Tatsache, daß die Stuten bei Olisipo (Lissabon) vom Winde
befruchtet werden, überhaupt mit ihrem sonderbaren Gemenge
philosophischer, historischer und landwirtschaftlicher Notizen.
^20 So leitet Varro facere her von facies, weil wer etwas macht, der
Sache ein Ansehn gibt, volpes, den Fuchs, nach Stilo von volare pedibus
als den Fliegefuß; Gaius Trebatius, ein philosophischer Jurist dieser
Zeit, sacellum von sacra cella; Figulus frater von fere alter und so
weiter. Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als
Hauptelement der philologischen Literatur dieser Zeit erscheint hat die
größte Ähnlichkeit mit der Weise, wie man bis vor kurzem
Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in den Sprachenorganismus
hier den Empirikern das Handwerk legte.
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Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philologie fällt
die geringe Tätigkeit in den übrigen Wissenschaften auf. Was von Belang
in der Philosophie erschien, wie Lucretius’ Darstellung des
epikureischen Systems in dem poetischen Kinderkleide der
vorsokratischen Philosophie und die besseren Schriften Ciceros, tat
seine Wirkung und fand sein Publikum nicht durch, sondern trotz des
philosophischen Inhalts einzig durch die ästhetische Form; die
zahlreichen Übersetzungen epikureischer Schriften und die
pythagoreischen Arbeiten, wie Varros großes Werk über die Elemente der
Zahlen und das noch ausführlichere des Figulus von den Göttern, hatten
ohne Zweifel weder wissenschaftlichen noch formellen Wert.
Auch in den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros
dialogisch geschriebene Bücher vom Landbau sind freilich methodischer
als die seiner Vorgänger Cato und Saserna, auf die denn auch mancher
tadelnde Seitenblick fällt, dafür aber im ganzen mehr aus der
Schreibstube hervorgegangen als, wie jene älteren Werke, aus der
lebendigen Erfahrung. Von desselben sowie des Servius Sulpicius Rufus
(Konsul 703 51) juristischen Arbeiten ist kaum etwas weiter zu sagen,
als daß sie zu dem dialektischen und philologischen Aufputz der
römischen Jurisprudenz beigetragen haben. Weiter aber ist hier nichts
zu nennen als etwa noch des Gaius Matius drei Bücher über Kochen,
Einsalzen und Einmachen, unseres Wissens das älteste römische Kochbuch
und als das Werk eines vornehmen Mannes allerdings eine bemerkenswerte
Erscheinung. Daß Mathematik und Physik durch die gesteigerten
hellenistischen und utilitarischen Tendenzen der Monarchie gefördert
wurden, zeigt sich wohl in der steigenden Bedeutung derselben im
Jugendunterricht und in einzelnen praktischen Anwendungen, wohin, außer
der Reform des Kalenders, etwa noch gezählt werden können das Aufkommen
der Wandkarten in dieser Zeit; die verbesserte Technik des Schiffsbaus
und der musikalischen Instrumente; Anlagen und Bauten wie das von Varro
angegebene Vogelhaus, die von Caesars Ingenieuren ausgeführte
Pfahlbrücke über den Rhein, sogar zwei halbkreisförmige, zum
Zusammenschieben eingerichtete, zuerst gesondert als zwei Theater, dann
zusammen als Amphitheater benutzte Brettergerüste. Ausländische
Naturmerkwürdigkeiten bei den Volksfesten öffentlich zur Schau zu
stellen war nicht ungewöhnlich; und die Schilderungen merkwürdiger
Tiere, die Caesar in seine Feldzugsberichte eingelegt hat, beweisen,
daß ein Aristoteles, wenn er aufgetreten wäre, seinen Fürsten wiederum
gefunden haben würde. Was aber von literarischen Leistungen auf diesem
Gebiet erwähnt wird, hängt wesentlich an den Neupythagoreismus sich an;
so des Figulus Zusammenstellung griechischer und barbarischer, d. h.
ägyptischer Himmelsbeobachtungen und desselben Schriften von den
Tieren, den Winden, den Geschlechtsteilen. Nachdem überhaupt die
griechische Naturforschung von dem Aristotelischen Streben, im
einzelnen das Gesetz zu finden, mehr und mehr zu der empirischen und
meistens unkritischen Beobachtung des Äußerlichen und Auffallenden in
der Natur abgeirrt war, konnte die Naturwissenschaft, indem sie als
mystische Naturphilosophie auftrat, statt aufzuklären und anzuregen,
nur noch mehr verdummen und lähmen; und solchem Treiben gegenüber ließ
man es besser noch bei der Plattheit bewenden, welche Cicero als
sokratische Weisheit vorträgt, daß die Naturforschung entweder nach
Dingen sucht, die niemand wissen könne, oder nach solchen, die niemand
zu wissen brauche.
Werfen wir schließlich noch einen Blick auf die Kunst, so zeigen auch
hier sich dieselben unerfreulichen Erscheinungen, die das ganze
geistige Leben dieser Periode erfüllen. Das Staatsbauwesen stockte in
der Geldklemme der letzten Zeit der Republik so gut wie ganz. Von dem
Bauluxus der Vornehmen Roms war bereits die Rede; die Architekten
lernten infolgedessen den Marmor verschwenden - die farbigen Sorten wie
der gelbe numidische (Giallo antico) und andere kamen in dieser Zeit in
Aufnahme und auch die lunensischen (carrarischen) Marmorbrüche wurden
jetzt zuerst benutzt - und fingen an, die Fußböden der Zimmer mit
Mosaik auszulegen, die Wände mit Marmorplatten zu täfeln oder auch den
Stuck marmorartig zu bemalen - die ersten Anfänge der späteren
Zimmerwandmalerei. Die Kunst aber gewann nicht bei dieser
verschwenderischen Pracht.
In den bildenden Künsten waren Kennerschaft und Sammelei in weiterem
Zunehmen. Es war eine bloße Affektation catonischer Simplizität, wenn
ein Advokat vor den Geschworenen von den Kunstwerken “eines gewissen
Praxiteles” sprach; alles reiste und schaute und das Handwerk der
Kunstciceronen oder, wie sie damals hießen, der Exegeten, war keines
von den schlechtesten. Auf alte Kunstwerke wurde förmlich Jagd gemacht
- weniger freilich noch auf Statuen und Gemälde, als nach der rohen Art
römischer Prachtwirtschaft auf kunstvolles Gerät und Zimmer- und
Tafeldekoration aller Art. Schon zu jener Zeit wühlte man die alten
griechischen Gräber von Capua und Korinth um wegen der Erz- und
Tongefäße, die den Toten waren mit ins Grab gegeben worden. Für eine
kleine Nippfigur von Bronze wurden 40000 (3000 Taler), für ein paar
kostbare Teppiche 200000 Sesterzen (15000 Taler) bezahlt; eine
gutgearbeitete kupferne Kochmaschine kam höher zu stehen als ein
Landgut. Wie billig ward bei dieser barbarischen Kunstjagd der reiche
Liebhaber von seinen Zuträgern häufig geprellt: aber der ökonomische
Ruin namentlich des an Kunstwerken überreichen Kleinasiens brachte auch
manches wirklich alte und seltene Prachtstück und Kunststück auf den
Markt und von Athen, Syrakus, Kyzikos, Pergamon, Chios, Samos und wie
die alten Kunststätten weiter hießen, wanderte alles, was feil war und
gar manches, was es nicht war, in die Paläste und Villen der römischen
Großen. Welche Kunstschätze zum Beispiel das Haus des Lucullus barg,
der freilich wohl nicht mit Unrecht beschuldigt wurde, sein
artistisches Interesse auf Kosten seiner Feldherrnpflichten befriedigt
zu haben, ward bereits erwähnt. Die Kunstliebhaber drängten sich
daselbst wie heutzutage in Villa Borghese und beklagten auch damals
schon sich über die Verbannung der Kunstschätze auf die Paläste und
Landhäuser der vornehmen Herren, wo sie schwierig und nur nach
besonders von dem Besitzer eingeholter Erlaubnis gesehen werden
konnten. Die öffentlichen Gebäude dagegen füllten sich keineswegs im
Verhältnis mit berühmten Werken griechischer Meister, und vielfach
standen noch in den Tempeln der Hauptstadt nichts als die alten
holzgeschnitzten Götterbilder. Von Ausübung der Kunst ist so gut wie
gar nichts zu berichten; kaum wird aus dieser Zeit ein anderer
römischer Bildhauer oder Maler mit Namen genannt als ein gewisser
Arellius, dessen Bilder reißend abgingen, nicht ihres künstlerischen
Wertes wegen, sondern weil der arge Roué in den Bildern der Göttinnen
getreue Konterfeie seiner jedesmaligen Mätressen lieferte.
Die Bedeutung von Musik und Tanz stieg im öffentlichen wie im
häuslichen Leben. Wie die Theatermusik und das Tanzstück in der
Bühnenentwicklung dieser Zeit zu selbständigerer Geltung gelangte,
wurde bereits dargestellt; es kann noch hinzugefügt werden, daß jetzt
in Rom selbst auf der öffentlichen Bühne schon sehr häufig von
griechischen Musikern, Tänzern und Deklamatoren Vorstellungen gegeben
wurden, wie sie in Kleinasien und überhaupt in der ganzen hellenischen
und hellenisierenden Welt üblich waren ^21. Dazu kamen denn die
Musikanten und Tänzerinnen, die bei Tafel und sonst auf Bestellung ihre
Künste produzierten, und die in vornehmen Häusern nicht mehr seltenen
eigenen Kapellen von Saiten- und Blasinstrumenten und Sängern. Daß aber
auch die vornehme Welt selbst fleißig spielte und sang, beweist schon
die Aufnahme der Musik in den Kreis der allgemein anerkannten
Unterrichtsgegenstände; und was das Tanzen anlangt, so wurde, um von
den Frauen zu schweigen, selbst Konsularen es vorgehalten, daß sie im
kleinen Zirkel sich mit Tanzvorstellungen produzierten.
—————————————————————-
^21 Dergleichen “griechische Spiele” waren nicht bloß in den
griechischen Städten Italiens, namentlich in Neapel (Cic. Arch. 5, 10;
Plut. Brut. 21), sondern jetzt schon auch in Rom sehr häufig (Cic. ad.
fam. 7, 1, 3; Att. 16, 5, 1; Suet. Caes. 39; Plut. Brut. 21). Wenn die
bekannte Grabschrift der vierzehnjährigen Licinia Eucharis, die
wahrscheinlich dem Ende dieser Epoche angehört, dieses
“wohlunterrichtete und in allen Künsten von den Musen selbst
unterwiesene Mädchen”, in den Privatvorstellungen der vornehmen Häuser
als Tänzerin glänzen und öffentlich zuerst auf der griechischen
Schaubühne auftreten läßt (modo nobilium ludos decoravi choro, Et
Graeca in scaena prima populo apparui), so kann dies wohl nur heißen,
daß sie das erste Mädchen war, das auf der öffentlichen griechischen
Schaubühne in Rom erschien, wie denn überhaupt erst in dieser Epoche
die Frauenzimmer in Rom anfingen, öffentlich aufzutreten.
Diese “griechischen Spielen in Rom scheinen nicht eigentlich szenische
gewesen zu sein, sondern vielmehr zu der Gattung der zusammengesetzten,
zunächst musikalisch-deklamatorischen Aufführungen gehört zu haben, wie
sie auch in Griechenland in späterer Zeit nicht selten vorkamen (F. G.
Welcker, Die griechischen Tragödien. Bonn 1839-41, S. 1277). Dahin
führt das Hervortreten des Flötenspiels bei Polybios (30, 13) des
Tanzes in dem Berichte Suetons über die bei Caesars Spielen
aufgeführten kleinasiatischen Waffentänze und in der Grabschrift der
Eucharis; auch die Beschreibung des Kitharöden Her. Rhet. 4, 47, 60
(vgl. Vitr. 5, 7) wird solchen “griechischen Spielen” entnommen sein.
Bezeichnend ist noch die Verbindung dieser Vorstellungen in Rom mit
griechischen Athletenkämpfen (Polyb. a. a. O.; Liv. 39, 22).
Dramatische Rezitationen waren von diesen Mischspielen keineswegs
ausgeschlossen, wie denn unter den Spielern, die Lucius Anicius 587
(167) in Rom auftreten ließ, ausdrücklich Tragödien miterwähnt werden;
aber es wurden doch dabei nicht eigentlich Schauspiele aufgeführt,
sondern vielmehr von einzelnen Künstlern entweder ganze Dramen oder
wohl noch häufiger Stücke daraus deklamierend oder singend zur Flöte
vorgetragen. Das wird denn auch in Rom vorgekommen sein; aber allem
Anschein nach war für das römische Publikum die Hauptsache bei diesen
griechischen Spielen Musik und Tanz, und die Texte mögen für sie wenig
mehr bedeutet haben als heutzutage die der italienischen Oper für die
Londoner und Pariser. Jene zusammengesetzten Spiele mit ihrem wüsten
Potpourri eigneten sich auch weit besser für das römische Publikum und
namentlich für die Aufführungen in Privathäusern als eigentlich
szenische Aufführungen in griechischer Sprache; daß auch die letzteren
in Rom vorgekommen sind, läßt sich nicht widerlegen, aber auch nicht
beweisen.
—————————————————————-
Indes gegen das Ende dieser Periode zeigen mit der beginnenden
Monarchie sich auch in der Kunst die Anfänge einer besseren Zeit.
Welchen gewaltigen Aufschwung das hauptstädtische Bauwesen durch Caesar
nahm und das Reichsbauwesen nehmen sollte, ist früher erzählt worden.
Sogar im Stempelschnitt der Münzen erscheint um das Jahr 700 (54) eine
bemerkenswerte Änderung: das bis dahin größtenteils rohe und
nachlässige Gepräge wird seitdem feiner und sorgsamer behandelt.
Wir stehen am Ende der römischen Republik. Wir sahen sie ein halbes
Jahrtausend in Italien und in den Landschaften am Mittelmeer schalten;
wir sahen sie nicht durch äußere Gewalt, sondern durch inneren Verfall
politisch und sittlich, religiös und literarisch zugrunde gehen und der
neuen Monarchie Caesars Platz machen. Es war in der Welt, wie Caesar
sie vorfand, viel edle Erbschaft vergangener Jahrhunderte und eine
unendliche Fülle von Pracht und Herrlichkeit, aber wenig Geist, noch
weniger Geschmack und am wenigsten Freude im und am Leben. Wohl war es
eine alte Welt; und auch Caesars genialer Patriotismus vermochte nicht,
sie wieder jung zu machen. Die Morgenröte kehrt nicht wieder, bevor die
Nacht völlig hereingebrochen ist. Aber doch kam mit ihm den
vielgeplagten Völkern am Mittelmeer nach schwülem Mittag ein leidlicher
Abend; und als sodann nach langer geschichtlicher Nacht der neue
Völkertag abermals anbrach und frische Nationen in freier
Selbstbewegung nach neuen und höheren Zielen den Lauf begannen, da
fanden sich manche darunter, in denen der von Caesar ausgestreute Same
aufgegangen war und die ihm ihre nationale Individualität verdankten
und verdanken.
End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 5 by Theodor Mommsen
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Römische Geschichte — Buch 5
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— End of Römische Geschichte — Buch 5 —
Book Information
- Title
- Römische Geschichte — Buch 5
- Author(s)
- Mommsen, Theodor
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- February 1, 2002
- Word Count
- 244,108 words
- Library of Congress Classification
- DG
- Bookshelves
- DE Sachbuch, Browsing: History - European, Browsing: History - General
- Rights
- Public domain in the USA.
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