The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 2 by Theodor Mommsen
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Title: Römische Geschichte Book 2
Author: Theodor Mommsen
Release Date: February, 2002 [Etext #3061]
[Most recently updated: January 15, 2020]
Language: German
Character set encoding: UTF-8
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
Römische Geschichte
Zweites Buch
Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
von Theodor Mommsen
The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
words, nor is there any differentiation between the different accents of
ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
Contents
Zweites Buch—Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
Kapitel I. Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.
Kapitel II. Das Volkstribunat und die Dezemvirn
Kapitel III. Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie
Kapitel IV. Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.
Kapitel V. Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom
Kapitel VI. Die Italiker gegen Rom
Kapitel VII. König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens
Kapitel VIII. Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität
Kapitel IX. Kunst und Wissenschaft
Zweites Buch
Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
— δεί ουκ εκπλήττειν τόν συγγράφεα τερατευόμενον διά τής ιστορίας τούς
εντυγχάνοντας.
— der Historiker soll seine Leser nicht durch Schauergeschichten in
Erschuetterung versetzen.
Polybios
KAPITEL I.
Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.
Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen
Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen
Verfassungen, legte in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit
ernannten Vorstehers eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind
empfand, aber nicht minder schwer der Buerger. Missbrauch und Druck
konnte nicht ausbleiben, und hiervon die notwendige Folge waren
Bestrebungen, jene Gewalt zu mindern. Aber das ist das Grossartige in
diesen roemischen Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie
unternimmt, weder die Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur
sie entsprechender Organe zu berauben, dass nie die sogenannten
natuerlichen Rechte des einzelnen gegen die Gemeinde geltend gemacht
werden, sondern dass der ganze Sturm sich richtet gegen die Form der
Gemeindevertretung. Nicht Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung
der Beamtenmacht ist der Ruf der roemischen Fortschrittspartei von den
Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und auch dabei vergisst
man nie, dass das Volk nicht regieren, sondern regiert werden soll.
Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite
entwickelt sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um
politische Gleichberechtigung. Dahin gehoeren die Agitationen der
Plebejer, der Latiner, der Italiker, der Freigelassenen, welche alle,
mochten sie Buerger genannt werden, wie die Plebejer und die
Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner und die Italiker,
politische Gleichheit entbehrten und begehrten.
Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden
und der Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in
demselben gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen
Verhaeltnisse Roms veranlassten die Entstehung zahlreicher
Bauernwirtschaften teils kleiner Eigentuemer, die von der Gnade des
Kapital-, teils kleiner Zeitpaechter, die von der Gnade des Grundherrn
abhingen, und beraubten vielfach einzelne wie ganze Gemeinden des
Grundbesitzes, ohne die persoenliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward
das ackerbauende Proletariat schon so frueh maechtig, dass es
wesentlich in die Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das
staedtische Proletariat gewann erst in weit spaeterer Zeit politische
Bedeutung.
In diesen Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und
vermutlich nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen
italischen Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der
vollberechtigten Buergerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der
Ausschliessenden, die sozialen Konflikte der Besitzenden und der
Besitzlosen, so mannigfaltig sie sich durchkreuzen und
ineinanderschlingen und oft seltsame Allianzen herbeifuehren, sind
dennoch wesentlich und von Grund aus verschieden.
Da die Servianische Reform, welche den Insassen in militaerischer
Hinsicht dem Buerger gleichstellte, mehr aus administrativen
Ruecksichten als aus einer politischen Parteitendenz hervorgegangen zu
sein scheint, so darf als der erste dieser Gegensaetze, der zu inneren
Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte, derjenige betrachtet werden,
der auf die Beschraenkung der Magistratur hinarbeitet. Der frueheste
Erfolg dieser aeltesten roemischen Opposition besteht in der
Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der Gemeindevorsteherschaft, das
heisst in der Abschaffung des Koenigtums. Wie notwendig diese in der
natuerlichen Entwicklung der Dinge lag, dafuer ist der schlagendste
Beweis, dass dieselbe Verfassungsaenderung in dem ganzen Kreise der
italisch-griechischen Welt in analoger Weise vor sich gegangen ist.
Nicht bloss in Rom, sondern gerade ebenso bei den uebrigen Latinern
sowie bei den Sabellern, Etruskern und Apulern, ueberhaupt in
saemtlichen italischen Gemeinden finden wir, wie in den griechischen,
in spaeterer Zeit die alten lebenslaenglichen durch Jahresherrscher
ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist es bezeugt, dass er im Frieden
sich demokratisch regierte und nur fuer den Krieg die Magistrate einen
Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator aehnlichen Beamten
bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel die von Capua
und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin einem jaehrlich
wechselnden “Gemeindebesorger” (medix tuticus), und aehnliche
Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks- und
Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner
Erklaerung, aus welchen Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle der
Koenige getreten sind; der Organismus der alten griechischen und
italischen Politie entwickelt vielmehr die Beschraenkung der
lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine kuerzere,
meistenteils jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus
sich selber. So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so
mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des
lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu
erwaehlen, wie nach Romulus’ Tode der roemische Senat versucht haben
soll; oder der Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig
Servius Tullius beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen
tyrannischen Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende
des roemischen Koenigtums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung
des letzten Tarquinius, “des Uebermuetigen”, auch noch so sehr in
Anekdoten ein- und zur Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den
Grundzuegen nicht zu zweifeln. Dass der Koenig es unterliess den Senat
zu befragen und zu ergaenzen, dass er Todesurteile und Konfiskationen
ohne Zuziehung von Ratmaennern aussprach, dass er in seinen Speichern
ungeheure Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern Kriegsarbeit und
Handdienste ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die Ueberlieferung in
glaublicher Weise als die Ursachen der Empoerung; von der Erbitterung
des Volkes zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer Mann
fuer sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu
dulden, und der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich
anknuepfte, vor allem aber die Verfuegung, dass der “Opferkoenig”, den
man kreieren zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten
Vermittler vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und
also dieser zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im
roemischen Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes
Geschlecht verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch
die gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf
ueber nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab
kuerzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen
lebenslaenglichen traten zwei jaehrige Herrscher an die Spitze der
roemischen Gemeinde.
Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige Ereignis als sicher
angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen weitherrschenden
Gemeinde, wie die roemische war, die koenigliche Gewalt, namentlich
wenn sie durch mehrere Generationen bei demselben Geschlechte gewesen,
widerstandsfaehiger und der Kampf also lebhafter war als in den
kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine Einmischung
auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere Spur. Der grosse
Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch chronologische
Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an die Vertreibung
der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine Intervention Etruriens
zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten Landsmannes angesehen werden,
aus dem sehr zureichenden Grunde, dass die Etrusker trotz des
vollstaendigen Sieges doch weder das roemische Koenigtum
wiederhergestellt noch auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt haben.
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^1 Die bekannte Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten
Teil ist sie aus Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola)
herausgesponnen. Aber sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile
derselben zeigen bei genauerer Erwaegung sich als erfunden. Dahin
gehoert, dass Brutus Reiterhauptmann (tribunus celerum) gewesen und als
solcher den Volksschluss ueber die Vertreibung der Tarquinier beantragt
haben soll; denn es ist nach der roemischen Verfassung ganz unmoeglich,
dass ein blosser Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen.
Offenbar ist diese ganze Angabe zum Zweck der Herstellung eines
Rechtsbodens fuer die roemische Republik ersonnen, und recht schlecht
ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen
magister equitum verwechselt und dann das dem letzteren kraft seines
praetorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf
die Kurienversammlung bezogen ward.
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Sind wir ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen
Ereignisses im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die
Verfassungsaenderung bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs
abgeschafft, wie schon das beweist, dass in der Vakanz nach wie vor der
“Zwischenkoenig” eintrat; es traten nur an die Stelle des einen
lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die sich Feldherren (praetores)
oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen (consules) ^2 nannten.
Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der Annuitaet, die die
Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst uns
entgegentreten.
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^2 Consules sind die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul
der Vorspringen exul der Ausspringer (ο εκπεσών), insula der Einsprung,
zunaechst der ins Meer gefallene Felsblock.
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Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste Name
der Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz
eigentuemlichen Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die
hoechste Macht uebertragen, sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul
fuer sich so voll und ganz, wie der Koenig sie gehabt und geuebt hatte.
Es geht dies so weit, dass von den beiden Kollegen nicht etwa der eine
die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl uebernahm, sondern sie
ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie zusammen zum Heere
abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten oder Tagen
bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im
militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von
Anfang an stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer,
der andere gegen die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise
bindende Kraft und jedem der Kollegen stand es rechtlich frei, in den
Amtskreis des andern zu jeder Zeit ueberzugreifen. Wo also die hoechste
Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat und der eine Kollege das
verbot, was der andere befahl, hoben die konsularischen Machtworte
einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht roemische, so doch
latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die im
roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat,
zu der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine
Parallele zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die
koenigliche Macht in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und
darum das Koenigsamt nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf
ein Kollegium zu uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und
damit, wo es noetig war, es durch sich selber zu vernichten.
Fuer die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum
einen rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher wurden
verpflichtet, nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres
Amtsantritts an gerechnet ^3, im Amte zu bleiben und hoerten, wie der
Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit Ablauf des Jahres vor.
Rechts wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung des hoechsten
Amtes ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs fuer den
Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem roemischen
Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach
roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst
belangt werden durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen,
aber ein Gericht und eine Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul
dagegen schuetzte, wenn er Mord oder Landesverrat beging, sein Amt
auch, aber nur, solange es waehrte; nach seinem Ruecktritt unterlag er
dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.
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^3 Der Antrittstag fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen
und war ueberhaupt nicht fest. Nach diesem richtete sich der
Ruecktrittstag, ausgenommen, wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt
eines ausgefallenen gewaehlt war (consul suffectus), wo er in die
Rechte und also auch in die Frist des Ausgefallenen eintrat. Doch sind
diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit nur vorgekommen, wenn bloss der
eine der Konsuln weggefallen war; Kollegien von Ersatzkonsuln begegnen
erst in der spaeteren Republik. Regelmaessig bestand also das Amtsjahr
eines Konsuls aus den ungleichen Haelften zweier buergerlicher Jahre.
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Zu diesen hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere
untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief
eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker
durch Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis,
in welchem die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss,
fielen mit der Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber.
Hatte ferner im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen
bisher dem Koenig nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache
zugestanden, sondern auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte
den Gnadenweg betreten duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das
Valerische Gesetz (Jahr 245 Roms 500), dass der Konsul der Provokation
des Verurteilten stattgeben muesse, wenn auf Todes- oder Leibesstrafe
nicht nach Kriegsrecht erkannt war; was durch ein spaeteres Gesetz
(unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf schwere
Vermoegensbussen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die
konsularischen Liktoren, wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr
auftrat, die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden
Blutbannes gefuehrt hatten. Indes drohte dem Beamten, der der
Provokation nicht ihren Lauf liess, das Gesetz nichts anderes als die
Infamie, die nach damaligen Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war
als ein sittlicher Makel und hoechstens zur Folge hatte, dass das
Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr galt. Auch hier liegt dieselbe
Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich unmoeglich ist, die alte
Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der Revolution dem Inhaber
der hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken streng genommen nur
einen tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn also der Konsul
innerhalb der alten koeniglichen Kompetenz handelt, so kann er damit
wohl ein Unrecht, aber kein Verbrechen begehen und unterliegt also
deswegen dem Strafrichter nicht.
Eine in der Tendenz aehnliche Beschraenkung fand statt in der
Zivilgerichtsbarkeit; denn wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit
ihrem Eintritt das Recht genommen, einen Rechtshandel unter Privaten
nach ihrem Ermessen zu entscheiden.
Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses stand in
Verbindung mit einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der
Uebertragung der Amtsgewalt auf Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte
dem Koenig die Ernennung von Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber
nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden, so haben die Konsuln das Recht
der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer Weise geuebt. Zwar die
Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess, er fuer die
Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer die
Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die
Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul
auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das
Mandierungsrecht fuer die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten,
wurde wahrscheinlich gleich bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch
beschraenkt, dass dem Konsul das Mandieren fuer bestimmte Faelle
vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo dies nicht geschehen war,
untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie gesagt, das gesamte
Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die
Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben,
dass er seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann
bestaetigte oder verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie
geuebt, vielleicht bald nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da
ein Kriminalurteil gefaellt, wo aus irgendeinem Grunde die Berufung an
die Gemeinde ausgeschlossen war. Man vermied den unmittelbaren Konflikt
zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und der Gemeinde selbst und
ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass das hoechste
Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte
durch notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies
die beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und
Hochverrat (duoviri perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer,
die quaestores parricidii. Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit
da vorgekommen sein, wo der Koenig sich in solchen Prozessen vertreten
liess; aber die Staendigkeit der letzteren Institution und das in
beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren auf jeden Fall
der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von grosser
Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen
Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem
Amtsantritt ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt mit
ihm abtraten, deren Stellung also wie das Oberamt selbst nach den
Prinzipien der Staendigkeit, der Kollegialitaet und der Annuitaet
geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die niedere Magistratur
selbst, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit der
magistratischen Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus
der Wahl der Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt
der spaeter so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten
geworden.
In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt
entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur
Entscheidung einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in
die Pflicht des Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und
des Gegenstandes der Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm
auszuwaehlenden und von ihm zu instruierenden Privatmann zu verweisen.
In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des
Staatsschatzes und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch
wahrscheinlich sofort, mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige
Gehilfen und zwar eben jene Quaestoren zugeordnet, welche ihnen
freilich in dieser Taetigkeit unbedingt zu gehorchen hatten, ohne deren
Vorwissen und Mitwirkung aber doch die Konsuln nicht handeln konnten.
Wo dagegen solche Vorschriften nicht bestanden, musste der
Gemeindevorstand in der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum
Beispiel bei der Einleitung des Prozesses er sich unter keinen
Umstaenden vertreten lassen kann.
Diese zwiefache Fesselung des konsularischen Mandierungsrechts bestand
fuer das staedtische Regiment, zunaechst fuer die Rechtspflege und die
Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr behielt der Konsul dagegen das
Uebertragungsrecht aller oder einzelner ihm obliegender Geschaefte.
Diese verschiedene Behandlung der buergerlichen und der militaerischen
Gewaltuebertragung ist die Ursache geworden, weshalb innerhalb des
eigentlichen roemischen Gemeinderegiments durchaus keine
stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und rein
staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen
Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von
aller Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen
werden.
Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt,
sondern nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem
letzten gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht
ausgeuebt hatte, trat nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die
notwendige Kontinuitaet des Amtes bestand auch in dem republikanischen
Regiment ungeschmaelert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht
wesentlich eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, indem der
Konsul verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger die
Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu
ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende
Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der
ordentlichen hoechsten Beamten materiell auf die Gemeinde ueber; doch
bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen
jenem Vorschlags- und dem foermlichen Ernennungsrecht. Der wahlleitende
Konsul war durchaus nicht blosser Wahlvorstand, sondern konnte immer
noch, kraft seines alten koeniglichen Rechts, zum Beispiel einzelne
Kandidaten zurueckweisen und die auf sie fallenden Stimmen unbeachtet
lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von ihm entworfene
Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn das
Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen
war, wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern
der Konsul bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen,
wie einst der Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte.
Die Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht
ueber auf die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien
die Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die
Ernennung durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die
Ausuebung der gleichsam hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde
ueber die Priesterinnen der Vesta kam. Um diese fueglich nicht anders
als von einem einzelnen vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu
koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit,
einen Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen
Obergewalt von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten
“Opferkoenig” weder die buergerliche noch die sakrale Macht des
Koenigtums, sondern lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem
sonstigen Charakter des roemischen Priestertums entschieden
heraustretende, halb magistratische Stellung des neuen Oberpriesters
ist eine der bezeichnendsten und folgenreichsten Eigentuemlichkeiten
dieser auf Beschraenkung der Beamtengewalt hauptsaechlich im
aristokratischen Interesse hinzielenden Staatsumwaelzung.
Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul weit zurueckstand hinter
dem mit Ehrfurcht und Schrecken umgebenen koeniglichen Amte, dass der
Koenigsname und die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern
das Beil genommen wurde, ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, dass
der Konsul statt des koeniglichen Purpurkleides nur durch den
Purpursaum seines Obergewandes von dem gewoehnlichen Buerger sich
unterschied, und dass, waehrend der Koenig oeffentlich vielleicht
regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der allgemeinen Ordnung sich
zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger innerhalb der Stadt zu Fuss
zu gehen gehalten war.
Indes, diese Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur
zur Anwendung gegen den ordentlichen Gemeindevorstand.
Ausserordentlicher Weise trat neben und in gewissem Sinn anstatt der
beiden von der Gemeinde gewaehlten Vorsteher ein einziger ein, der
Heermeister (magister populi), gewoehnlich bezeichnet als der dictator.
Auf die Wahl zum Diktator uebte die Gemeinde keinerlei Einfluss,
sondern sie ging lediglich aus dem freien Entschluss eines der zeitigen
Konsuln hervor, den weder der Kollege noch eine andere Behoerde hieran
hindern konnte; gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den
Koenig, wenn er freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle
uebrigen Beamten von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit
nach die Amtsdauer des Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er
als Amtsgenosse derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte,
nicht ueber deren gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte;
sodann war als absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine
sechsmonatliche Frist gesetzt. Eine der Diktatur eigentuemliche
Einrichtung war ferner, dass der “Heermeister” gehalten war, sich
sofort einen “Reitermeister” (magister equitum) zu ernennen, welcher
als abhaengiger Gehilfe neben ihm, etwa wie der Quaestor neben dem
Konsul, fungierte und mit ihm vom Amte abtrat - eine Einrichtung, die
ohne Zweifel damit zusammenhaengt, dass es dem Heermeister, vermutlich
als dem Fuehrer des Fussvolkes, verfassungsmaessig untersagt war, zu
Pferde zu steigen. Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl
aufzufassen als eine mit dem Konsulat zugleich entstandene Einrichtung,
die den Zweck hatte, insbesondere fuer den Kriegsfall die Nachteile der
geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen und die koenigliche Gewalt
voruebergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn im Kriege vor allem
musste die Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich erscheinen und
nicht bloss bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste
Benennung des Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die
Begrenzung auf die Dauer eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der
Provokation sprechen fuer die ueberwiegend militaerische Bestimmung der
urspruenglichen Diktatur.
Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren,
oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser
Hinsicht war es nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name
vorhanden sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde
betete und opferte und in ihrem Namen den Willen der Goetter mit Hilfe
der Sachverstaendigen erforschte. Fuer den Notfall hielt man sich
ueberdies die Moeglichkeit offen, die volle unumschraenkte
Koenigsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick
wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die Kollegialitaet
und durch die besonderen Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So
wurde die Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich festzuhalten
und tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen Staatsmaennern,
deren Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise ebenso scharf
wie einfach geloest.
Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der Verfassung die
wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher jaehrlich zu
bezeichnen und ueber Tod und Leben des Buergers in letzter Instanz zu
entscheiden. Aber es konnte das unmoeglich die bisherige Gemeinde sein,
der tatsaechlich zum Adelstande gewordene Patriziat. Die Kraft des
Volkes war bei der “Menge”, welche namhafte und vermoegende Leute
bereits in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge aus der
Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten
mittrug, mochte ertragen werden, solange die Gemeindeversammlung selbst
im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und
solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den
Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen und
damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die
Gemeinde selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen,
der Vorsteher aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten
Auftragnehmer herabgedrueckt ward, konnte dies Verhaeltnis nicht
laenger aufrecht erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung
des Staates an dem Morgen einer Revolution, die nur durch
Zusammenwirken der Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden
koennen. Eine Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie
ist in der umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das
heisst saemtliche Nichtbuerger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht
lebende Buerger auswaertiger Gemeinden waren, in die Buergerschaft
aufgenommen wurden. Der Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin
rechtlich und tatsaechlich die erste Autoritaet im Staate gewesen war,
wurden ihre verfassungsmaessigen Befugnisse fast gaenzlich entzogen:
nur in rein formellen oder in den die Geschlechtsverhaeltnisse
betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem Konsul oder dem Diktator
nach Antritt ihres Amtes eben wie frueher dem Koenig zu leistenden
Treugeloebnisses und des fuer die Arrogation und das Testament
erforderlichen gesetzlichen Dispenses, sollte die Kurienversammlung die
bisherige Kompetenz behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen
politischen Schluss mehr vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die
Plebejer zum Stimmrecht auch in den Kurien zugelassen, und es verlor
damit die Altbuergerschaft das Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und
zu beschliessen. Die Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt,
als sie auf der Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer
Reinheit ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden war. Indern
die Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man
allerdings auch ihnen rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen
vorgekommen sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu
konstituieren, aber es ist bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr
begreiflich, dass nur ein Teil der Plebejer zur gentilizischen
Konstituierung vorschritt und also die neue Kurienversammlung im
Widerspruch mit ihrem urspruenglichen Wesen zahlreiche Mitglieder
zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.
Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die
Entscheidung auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja
ueberwiegend politischer Prozess war, als die Ernennung der Magistrate
und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte
Aufgebot der Waffenpflichtigen uebertragen oder ihm neu erworben, so
dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen
Rechte empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung
gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem Heer ueberwiesene
Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu einer
solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung
voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das
souveraene Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in
dieser bloss dann statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig selbst
sprach oder andere sprechen hiess, nur dass bei der Provokation
natuerlich beide Teile gehoert werden mussten; die einfache Majoritaet
der Zenturien entschied.
Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt Stimmberechtigten sich
voellig gleichstanden, also nach Aufnahme der saemtlichen Plebejer in
die Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein wuerde,
so ist es begreiflich, dass die politischen Abstimmungen den Kurien
entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte das Schwergewicht zwar
nicht in die Haende der Adligen, aber doch in die der Vermoegenden, und
das wichtige Vorstimmrecht, welches oft tatsaechlich entschied, in die
der Ritter, das ist der Reichen.
Nicht in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die
Reform der Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten
blieb nicht bloss ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch
seine wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen
und die von der Gemeinde gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige
oder verfassungswidrige zu bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese
Befugnisse wurden durch die Reform der Verfassung noch gesteigert,
indem fortan auch die Bestellung der Gemeindebeamten wie der Wahl der
Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung des patrizischen Senats
unterlag - nur bei der Provokation ist seine Bestaetigung, soviel wir
wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des
Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen
Volksversammlung erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses
Aktes nicht fueglich die Rede sein konnte.
Indes wenngleich durch die Abschaffung des Koenigtums die
verfassungsmaessigen Rechte des patrizischen Senats eher gemehrt als
gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der Ueberlieferung zufolge
sogleich mit der Abschaffung des Koenigtums, fuer diejenigen
Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen und die eine
freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats auf, die auch
Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine
vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt
hat. Seit aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht
vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es
wahrscheinlich schon in der Koenigszeit nicht als verfassungswidrig
angesehen ward, dass in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der
Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen, dass
fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres) eine
Anzahl nicht patrizischer “Eingeschriebener” (conscripti) beigegeben
wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner Weise: die
Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder
des Ritterstandes, hiessen nicht “Vaeter”, sondern waren nun auch
“Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der
senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss
unbedingt ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden
obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da,
wo es sich bloss um einen Ratschlag (consilium) handelte, es sich
gefallen lassen, der an die Patrizier gerichteten Umfrage schweigend
beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten zur Abmehrung ihre
Meinung zu erkennen zu geben, “mit den Fuessen zu stimmen” (pedibus in
sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel sagte. Aber dennoch
fanden die Plebejer durch die neue Verfassung ihren Weg nicht bloss auf
den Markt, sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste
Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier getan.
Im uebrigen aenderte sich in den den Senat betreffenden Ordnungen
nichts Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern machte sich
bald, namentlich bei der Umfrage, ein Rangunterschied dahin geltend,
dass diejenigen, welche zu dem hoechsten Gemeindeamt demnaechst
bezeichnet waren oder dasselbe bereits verwaltet hatten, vor den
uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der Abstimmung gefragt
wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns des Rates
(princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz. Der
fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig wie
der Koenig und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit. Die Wahlen
in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die bloss
Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie frueher durch
die Koenige; nur liegt es in der Sache, dass, wenn der Koenig
vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch
einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern gegenueber, bei
denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, diese
Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des
Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von
einer Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht
ueber eine bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen
duerfen, ist nichts bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch
nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel angehoerten. Dagegen ist
wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner ganzen Stellung gemaess
bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit weniger frei und
weit mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen als der
Koenig. Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats
notwendig den Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn,
was in dieser Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner
Erwaehlung noch nicht Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh
gewohnheitsrechtlich festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh
ueblich geworden zu sein, die Senatorenstellen nicht sofort nach der
Erledigung wieder zu besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung,
also regelmaessig jedes vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren
und zu ergaenzen; worin doch auch eine nicht unwichtige Beschraenkung
der mit der Auswahl betrauten Behoerde enthalten war. Die Gesamtzahl
der Senatoren blieb wie sie war, und zwar wurden auch die
Eingeschriebenen in dieselbe eingerechnet; woraus man wohl auch auf das
numerische Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt
ist ^4.
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^4 Dass die ersten Konsuln 164 Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum
als geschichtliche Tatsache zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis
dafuer, dass die spaeteren roemischen Archaeologen nicht mehr als 136
roemische Adelsgeschlechter nachzuweisen vermochten (Roemische
Forschungen, Bd. 1, S. 121).
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Es blieb, wie man sieht, in dem roemischen Gemeinwesen selbst bei
Umwandlung der Monarchie in die Republik soweit immer moeglich beim
alten; soweit eine Staatsumwaelzung ueberhaupt konservativ sein kann,
ist diese es gewesen und keines der konstitutiven Elemente des
Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber den Haufen geworfen worden. Es
war das bezeichnend fuer den Charakter der gesamten Bewegung. Die
Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die klaeglichen, tief
verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines von Mitleid und
Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das Werk zweier
grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen Fortdauer ihres
Kampfes klar sich bewusster politischer Parteien, der Altbuerger und
der Insassen, welche, wie die englischen Tories und die Whigs im Jahre
1688, durch die gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in die
Willkuerregierung eines Herrn sich umwandeln zu sehen, auf einen
Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort wieder sich zu entzweien.
Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des Koenigtums sich
nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht maechtig
genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden.
Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das
geringste Mass gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener
Konzessionen und lassen die Zukunft entscheiden, wie das Schwergewicht
der konstitutiven Elemente weiter sich stellen, wie sie
ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. Darum verkennt
man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus, wenn man
in ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine Veraenderung
in der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren Folgen
waren auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als
selbst ihre Urheber sie ahnten.
Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte zu sagen, die roemische
Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes entstand. Die Plebejer
waren bisher Insassen gewesen, welche man wohl zu den Steuern und
Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des Gesetzes
wesentlich nichts waren als geduldete Fremdlinge und deren Kreis gegen
die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken kaum noetig scheinen
mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die Listen
eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch fern
standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten
verfassungsmaessig zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich
befugt und zu den buergerlichen Aemtern und Priestertuemern
ausschliesslich waehlbar, ja sogar der buergerlichen Nutzungen, zum
Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, vorzugsweise teilhaft blieben,
so war doch der erste und schwerste Schritt zur voelligen Ausgleichung
geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im Gemeindeaufgebot dienten,
sondern auch in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat bei dessen
gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken auch des
aermsten Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt
ward durch das Provokationsrecht.
Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier und Plebejer zu der neuen
gemeinen roemischen Buergerschaft war die Umwandlung der
Altbuergerschaft in einen Geschlechtsadel, welcher, seit die Adelschaft
auch das Recht verlor, in gemeiner Versammlung zu beschliessen, da die
Aufnahme neuer Familien in den Adel durch Gemeindebeschluss noch
weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der Selbstergaenzung unfaehig
war. Unter den Koenigen war dergleichen Abgeschlossenheit dem
roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer Geschlechter nicht allzu
selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte Kennzeichnen des Junkertums
sich ein als der sichere Vorbote des bevorstehenden Verlustes seiner
politischen Vorrechte und seiner ausschliesslichen Geltung in der
Gemeinde. Die Ausschliessung der Plebejer von allen Gemeindeaemtern und
Gemeindepriestertuemern, waehrend sie doch zu Offiziers- und
Ratsherrenstellen zugelassen wurden, und die mit verkehrter
Hartnaeckigkeit festgehaltene rechtliche Unmoeglichkeit einer Ehe
zwischen Altbuergern und Plebejern drueckten weiter dem Patriziat von
vornherein den Stempel des exklusiven und widersinnig privilegierten
Adeltums auf.
Eine zweite Folge der neuen buergerlichen Einigung muss die festere
Regulierung des Niederlassungsrechts sowohl den latinischen Eidgenossen
als anderen Staaten gegenueber gewesen sein. Weniger des Stimmrechts in
den Zenturien wegen, das ja doch nur dem Ansaessigen zukam, als wegen
des Provokationsrechts, das dem Plebejer, aber nicht dem eine Zeitlang
oder auch dauernd in Rom verweilenden Auslaender gewaehrt werden
sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen der Erwerbung des
plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die erweiterte
Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger abzuschliessen.
Also geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des Volkes sowohl die
Gehaessigkeit des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern zurueck
wie die scharfe und stolze Abgrenzung der cives Romani gegen die
Fremdlinge. Aber jener staedtische Gegensatz war voruebergehender,
dieser politische dauernder Art und das Gefuehl der staatlichen Einheit
und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die Herzen der Nation
gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen Unterschiede erst
zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit sich
fortzureissen.
Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schieden.
Begruendet zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen des roemischen
Staates; denn auch die roemische Koenigsgewalt stand unter, nicht ueber
dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die
Roemer wie jedes andere politisch faehige Volk vor dem Prinzip der
Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen Satz des roemischen
Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz gegruendete
Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines Amtes gelte,
obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass hierbei,
solange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied
zwischen Gesetz und Verordnung tatsaechlich fast verschwinden musste
und die legislative Taetigkeit der Gemeindeversammlung keine
Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt sie einen weiten
Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten, und es war jetzt
keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul bei der
Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging, sein
Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte.
Dies war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische
Gewalt sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das
Beil; dort waren die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation
und der regulierten Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der
Feldherr unumschraenkt wie der Koenig. Es stellte sich fest, dass der
Feldherr und das Heer als solche die eigentliche Stadt regelmaessig
nicht betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame
Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen Gewalt
getroffen werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der
Verfassung; es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der
Feldherr seine Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und
rechtlich nichtig war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte
missbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald, als waere es
verboten. Der Gegensatz der Quiriten und der Soldaten wurzelte
allmaehlich fest und fester in den Gemuetern der Buerger.
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^5 Es mag nicht ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium
legitimum wie das quod imperio continetur auf dem Imperium des
instruierenden Beamten beruht und der Unterschied nur darin besteht,
dass das Imperium dort von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.
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Indes, um diese Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln,
bedurfte es der Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der
Mitwelt mochte die Revolution zunaechst in einem andern Lichte
erscheinen. Wohl gewannen die Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und
gewann die neue Buergerschaft in der Gemeindeversammlung weitgreifende
Befugnisse; aber das Verwerfungsrecht des patrizischen Senats, der
gleichsam wie ein Oberhaus jenen Komitien in fester Geschlossenheit
gegenueberstand, hob rechtlich die freie Bewegung derselben gerade in
den entscheidendsten Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht
imstande, den ernstlichen Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch,
ihn zu verzoegern und zu verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie
es aufgab, allein die Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu
haben, so hatte sie in anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der
Koenig war freilich Patrizier wie der Konsul, und das Recht der
Senatorenernennung steht diesem wie jenem zu; aber wenn jenen seine
Ausnahmestellung ueber Patrizier nicht minder wie ueber Plebejer
hinausrueckte und wenn er leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen
den Adel sich auf die Menge stuetzen zu muessen, so stand der Konsul,
Herrscher auf kurze Frist, vorher und nachher aber nichts als einer aus
dem Adel, und dem adligen Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen
gehorchend, keineswegs ausserhalb seines Standes und musste der Adlige
in ihm weit maechtiger sein als der Beamte. Wenn ja dennoch einmal
ausnahmsweise ein der Adelsherrschaft abgeneigter Patrizier ans
Regiment gerufen ward, so ward seine Amtsgewalt teils durch die vom
schroffen Adelsgeiste durchdrungenen Priesterschaften, teils durch den
Kollegen gelaehmt und leicht durch die Diktatur suspendiert; und was
noch wichtiger war, es fehlte ihm das erste Element der politischen
Macht, die Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle
immer ihm eingeraeumt werden moege, wird die politische Gewalt nie in
die Haende bekommen, wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der
Geschaefte bleibt; denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist
ihre Dauer. Folgeweise gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und
zwar hauptsaechlich durch seine Befugnis, den Beamten in allen Stuecken
zu beraten, also nicht der engere patrizische, sondern der weitere
patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern gegenueber unvermeidlich
einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen Verhaeltnisse sich
geradezu umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die Regierungsgewalt an
sich nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen vorsitzendem und
ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme oder
Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat
und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als
gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man
darueber hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und
Austeilung des Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen
sich ueber das Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul
blieb nichts als die Erledigung der laufenden Geschaefte, die
Einleitung der Zivilprozesse und das Kommando im Kriege. Vor allem
folgenreich war die Neuerung, dass es weder dem Konsul noch selbst dem
sonst unbeschraenkten Diktator gestattet war, den gemeinen Schatz
anders als mit und durch den Willen des Rates anzugreifen. Indem der
Senat es den Konsuln zur Pflicht machte, die Verwaltung der
Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt hatte oder doch hatte
fuehren koennen, an zwei staendige Unterbeamte abzugeben, welche zwar
von den Konsuln ernannt wurden und ihnen zu gehorchen hatten, aber
begreiflicherweise noch weit mehr als die Konsuln selbst vom Senat
abhingen, zog er die Leitung des Kassenwesens an sich, und es kann
dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen Senats wohl in seinen
Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen
konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden.
Die Folgen ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste
Bedingung jeder Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat
nicht einem Individuum, sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte
eine ueberwiegend adlige Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an
sich gebracht und war dabei die exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel
geblieben, sondern auch der regierenden Korporation voellig unterworfen
worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche Anzahl nichtadliger
Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar der Teilnahme
an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am Regiment
ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine
untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch
wichtige Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von
der Korporation gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der
patrizischen Konsuln, wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste
zu revidieren und zu modifizieren, so nichtig es vermutlich der
Adelschaft gegenueber war, konnte doch sehr wohl in ihrem Interesse
gebraucht und der missliebige Plebejer mittels desselben aus dem Senat
ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden werden.
Es ist darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution
die Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die
ganze Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass
die Revolution den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe,
so sehen wir Spaeteren in dieser selbst schon die Knospen der jungen
Freiheit. Was die Patrizier gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren,
sondern der Beamtengewalt; die Gemeinde gewann zwar nur wenige
engbeschraenkte Rechte, welche weit minder praktisch und handgreiflich
waren als die Errungenschaften des Adels, und welche nicht einer von
Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag die Buergschaft
der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, die
Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war
die Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen
buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche,
nicht die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung
entscheidet. Darum datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre
politische Existenz von dem Beginn des Konsulats.
Indes, wenn die republikanische Revolution trotz der durch sie
zunaechst begruendeten Junkerherrschaft mit Recht ein Sieg der
bisherigen Insassenschaft oder der Plebs genannt werden kann, so trug
doch auch in der letzteren Beziehung die Revolution keineswegs den
Charakter, den wir heutzutage als den demokratischen zu bezeichnen
gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne Unterstuetzung der
Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der Koenigsherrschaft
leichter als unter derjenigen des Patriziats zu Einfluss und Ansehen
gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat rechtlich keinem
verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des plebejischen Ehrgeizes
die Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats. Es lag dabei in der
Natur der Sache, dass der regierende Herrenstand, soweit er ueberhaupt
die Plebejer zuliess, nicht unbedingt den tuechtigsten Maennern,
sondern vorzugsweise den Haeuptern der reichen und angesehenen
Plebejerfamilien im Senat neben sich zu sitzen gestattete und die also
zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den Besitz der
Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten
Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann
die Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit,
sich in eine Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte
Menge zu scheiden. Die Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit der
Zenturienordnung jetzt an diejenige Klasse, welche seit der
Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens vorzugsweise die
buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar vorzugsweise
weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern an
den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern bevorzugt
waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel
Stimmabteilungen innehatten wie die Jugend. Indem also der
Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die Axt an die Wurzel und
zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel in dieser das
Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die ersten
Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der
Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative
Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher
bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung
zugleich zu der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls
aristokratischen Staatsordnung die ersten Linien zog.
KAPITEL II.
Das Volkstribunat und die Dezemvirn
Die Altbuergerschaft war durch die neue Gemeindeordnung auf
gesetzlichem Wege in den vollen Besitz der politischen Macht gelangt.
Herrschend durch die zu ihrer Dienerin herabgedrueckte Magistratur,
vorwiegend im Gemeinderate, im Alleinbesitze aller Aemter und
Priestertuemer, ausgeruestet mit der ausschliesslichen Kunde der
goettlichen und menschlichen Dinge und mit der ganzen Routine
politischer Praxis, einflussreich in der Gemeindeversammlung durch den
starken Anhang fuegsamer und den einzelnen Familien anhaenglicher
Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu pruefen und zu
verwerfen, konnten die Patrizier die faktische Herrschaft noch auf
lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche
Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar mussten die Plebejer ihre
politische Zuruecksetzung schwer empfinden; allein von der rein
politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunaechst nicht
viel zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge, die nichts verlangt
als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem
politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der ersten
Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche
bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das
Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es
wurden die Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise
grosse Quantitaeten Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und
der Salzhandel zum Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz
zu billigen Preisen abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen
Tag verlaengert. In denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte
Vorschrift hinsichtlich der Vermoegensbussen, die nicht bloss im
allgemeinen dem gefaehrlichen Bruchrecht der Beamten Schranken zu
setzen bestimmt, sondern auch in bezeichnender Weise vorzugsweise auf
den Schutz des kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem Beamten
untersagt ward, an demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe
und um mehr als dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation
zu buessen, so kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur
darin gefunden werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe
besitzenden Mann ein anderes Maximum noetig schien als fuer den reichen
Rinderherdenbesitzer - eine Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der
Gebuessten, von der neuere Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese
Ordnungen halten sich auf der Oberflaeche; die Grundstroemung geht
vielmehr nach der entgegengesetzten Richtung. Mit der
Verfassungsaenderung leitet in den finanziellen und oekonomischen
Verhaeltnissen Roms eine umfassende Revolution sich ein. Das
Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der Kapitalmacht prinzipiell
keinen Vorschub getan und die Vermehrung der Bauernstellen nach
Kraeften gefoerdert; die neue Adelsregierung dagegen scheint von
vornherein auf die Zerstoerung der Mittelklassen, namentlich des
mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die Entwicklung einerseits
einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits eines
ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein.
Schon die Minderung der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine
populaere Massregel, kam vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein
noch viel groesserer Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System
der indirekten Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf
dasselbe in seinen letzten Gruenden beruht; mag es aber auch an sich
bis in die Koenigszeit zurueckreichen, so musste doch seit der
Einfuehrung des Konsulats teils der schnelle Wechsel der roemischen
Beamten, teils die Erstreckung der finanziellen Taetigkeit des Aerars
auf Geschaefte, wie der Ein- und Verkauf von Korn und Salz, die
Wichtigkeit der vermittelnden Privattaetigkeit steigern und, damit den
Grund zu jenem Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung
fuer das roemische Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden
ist. Der Staat gab nach und nach alle seine indirekten Hebungen und
alle komplizierteren Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von
Mittelsmaennern, die eine Rauschsumme gaben oder empfingen und dann
fuer ihre Rechnung wirtschafteten. Natuerlich konnten nur bedeutende
Kapitalisten und, da der Staat streng auf dingliche Sicherheit sah,
hauptsaechlich nur grosse Grundbesitzer sich hierbei beteiligen, und so
erwuchs eine Klasse von Steuerpaechtern und Lieferanten, die in dem
reissend schnellen Wachstum ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den
Staat, dem sie zu dienen schienen, und in dem widersinnigen und
sterilen Fundament ihrer Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten
vollkommen vergleichbar sind.
Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die vereinbarte
Richtung der finanziellen Verwaltung in der Behandlung der
Gemeindelaendereien, die so gut wie geradezu hinarbeitete auf die
materielle und moralische Vernichtung der Mittelklassen. Die Nutzung
der gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt war ihrer Natur
nach ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den
Plebejer von der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes,
abgesehen von dem Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation,
das roemische Recht feste und gleich dem Eigentum zu respektierende
Nutzungsrechte einzelner Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing
es, so lange das Gemeinland Gemeinland blieb, lediglich von der
Willkuer des Koenigs ab den Mitgenuss zu gestatten und zu begrenzen,
und es ist nicht zu bezweifeln, dass er von diesem seinem Recht oder
wenigstens seiner Macht haeufig zu Gunsten von Plebejern Gebrauch
gemacht hat. Aber mit der Einfuehrung der Republik wird der Satz wieder
scharf betont, dass die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss
dem Buerger besten Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn
auch der Senat zu Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen
plebejischen Haeuser nach wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die
kleinen plebejischen Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die
Weide am noetigsten brauchten, in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war
ferner bisher fuer das auf die gemeine Weide aufgetriebene Vieh ein
Hutgeld erlegt worden, das zwar maessig genug war, um das Recht, auf
diese Weide zu treiben, immer noch als Vorrecht erscheinen zu lassen,
aber doch dem gemeinen Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme
abwarf. Die patrizischen Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und
nachsichtig und liessen allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte
man, namentlich wenn durch Eroberung neue Domaenen gewonnen waren,
regelmaessig Landauslegungen angeordnet, bei denen alle aermeren
Buerger und Insassen beruecksichtigt wurden; nur dasjenige Land, das
zum Ackerbau sich nicht eignete, ward zu der gemeinen Weide geschlagen.
Diese Assignationen wagte man zwar nicht ganz zu unterlassen und noch
weniger, sie bloss zu Gunsten der Reichen vorzunehmen; allein sie
wurden seltener und karger und an ihre Stelle trat das verderbliche
Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung der Domaenengueter nicht
zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf bestimmte Zeitfrist,
sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten Okkupanten und
dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme jederzeit
freistand und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und Wein den
fuenften Teil des Ertrages an die Staatskasse abzuliefern hatte. Es war
dies nichts anderes als das frueher beschriebene Precarium, angewandt
auf Staatsdomaenen und mag, namentlich als transitorische Einrichtung
bis zur Durchfuehrung der Assignation, auch frueher schon bei dem
Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt indes wurde dieser
Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen auch, wie
natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge zu
und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit eingetrieben
wie das Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen Grundbesitz ein
dreifacher Schlag: die gemeinen Buergernutzungen gingen ihm verloren;
die Steuerlast stieg dadurch, dass die Domanialgefaelle nicht mehr
ordentlich in die gemeine Kasse flossen; und die Landauslegungen
stockten, die fuer das agrikole Proletariat, etwa wie heutzutage ein
grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es tun wuerde,
einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam die
wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die
kleinen Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das
Gut nutzte; ein Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher
war als alle jene politischen Usurpationen zusammengenommen. Die
schweren, zum Teil ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten
unerschwinglichen Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den
Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn
auch nicht zum Sklaven seines Schuldherrn zu machen, oder ihn durch
Ueberschuldung tatsaechlich zum Zeitpaechter seiner Glaeubiger
herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier ein neues Gebiet
eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich eroeffnete,
vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen sie
dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende
gab, den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere
war wohl das Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit
fuer den einzelnen der aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte
dagegen diese prekaere, von der Gnade des Glaeubigers jederzeit
abhaengige Stellung des Bauern, bei der derselbe vom Eigentum nichts
als die Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren und
politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der
hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den
Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten
des Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen,
ward umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer
Kaufleute sehr zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte.
Hatte die freie Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines
ueberschuldeten Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter
solchen Verhaeltnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich
versperrten, die Not und die Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen
Mittelklasse mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen.
Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen
hervorging, faellt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und
Plebejer. War auch der bei weitem groesste Teil der Patrizier reich
beguetert, so fehlte es doch natuerlich auch unter den Plebejern nicht
an reichen und ansehnlichen Familien, und da der Senat, der schon
damals vielleicht zur groesseren Haelfte aus Plebejern bestand, selbst
mit Ausschliessung der patrizischen Magistrate die finanzielle
Oberleitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, dass alle
jene oekonomischen Vorteile, zu denen die politischen Vorrechte des
Adels missbraucht wurden, den Reichen insgesamt zugute kamen und der
Druck auf dem gemeinen Mann um so schwerer lastete, als durch den
Eintritt in den Senat die tuechtigsten und widerstandsfaehigsten
Personen aus der Klasse der Unterdrueckten uebertraten in die der
Unterdruecker.
Hierdurch aber ward die politische Stellung des Adels auf die Dauer
unhaltbar. Haette er es ueber sich vermocht, gerecht zu regieren, und
den Mittelstand geschuetzt, wie es einzelne Konsuln aus seiner Mitte
versuchten, ohne bei der herabgedrueckten Stellung der Magistratur
durchdringen zu koennen, so konnte er sich noch lange im Alleinbesitz
der Aemter behaupten. Haette er es vermocht, die reichen und
ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an
den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so
mochten beide noch lange ungestraft regieren und spekulieren. Allein es
geschah keines von beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die
eigentlichen und unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums,
verleugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die maechtige
Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem Hader.
Indes die naechste Krise ging nicht von den staendisch Zurueckgesetzten
aus, sondern von der notleidenden Bauernschaft. Die zurechtgemachten
Annalen setzen die politische Revolution in das Jahr 244 (510), die
soziale in die Jahre 259 und 260 (495 494); sie scheinen allerdings
sich rasch gefolgt zu sein, doch ist der Zwischenraum wahrscheinlich
laenger gewesen. Die strenge Uebung des Schuldrechts - so lautet die
Erzaehlung - erregte die Erbitterung der ganzen Bauernschaft. Als im
Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen Krieg die Aushebung
veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft, dem Gebot
zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius die Anwendung der
Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die schon in
Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den weiteren
Lauf der Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und halfen den
Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den
sie erstritten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit
erbarmungsloser Strenge wandte der zweite Konsul Appius Claudius die
Kreditgesetze an und der Kollege, den seine frueheren Soldaten um Hilfe
anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien, als sei die
Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt, sondern zur
Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man litt, was
nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg
erneuerte, galt das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem ernannten
Diktator Manius Valerius fuegten sich die Bauern, teils aus Scheu vor
der hoeheren Amtsgewalt, teils im Vertrauen auf seinen populaeren Sinn
- die Valerier waren eines jener alten Adelsgeschlechter, denen das
Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine Pfruende duenkte. Der Sieg
war wieder bei den roemischen Feldzeichen; aber als die Sieger
heimkamen und der Diktator seine Reformvorschlaege dem Senat vorlegte,
scheiterten sie an dem hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch stand
das Heer beisammen, wie ueblich vor den Toren der Stadt; als die
Nachricht hinauskam, entlud sich das lange drohende Gewitter - der
Korpsgeist und die geschlossene militaerische Organisation rissen auch
die Verzagten und Gleichgueltigen mit fort. Das Heer verliess den
Feldherrn und seine Lagerstatt und zog, gefuehrt von den
Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils plebejischen
Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend von Crustumeria
zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und Miene machte,
in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets eine neue
Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den
hartnaeckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein
solcher Buergerkrieg auch mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse;
der Senat gab nach. Der Diktator vermittelte das Vertraegnis; die
Buerger kehrten zurueck in die Stadtmauern; die aeusserliche Einheit
ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem
“den Grossen” (maximus) und den Berg jenseits des Anio “den heiligen”.
Wohl lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Leitung
unter den zufaellig gegebenen Feldherren von der Menge selbst
begonnenen und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und gern
und stolz erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre
Folgen durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat.
Ausser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der
drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch
Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator
verfassungsmaessig ein Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne
Zweifel um den Buergern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu
sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwoeren und sodann in
einem Gotteshause niederlegen liess unter Aufsicht und Verwahrung
zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden
“Hausherren” (aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patrizischen
Konsuln zwei plebejische Tribune zur Seite, welche die nach Kurien
versammelten Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische
Imperium, das heisst gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das
der Konsuln ausserhalb der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt
nichts; der buergerlichen ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln
sie uebten, trat die tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass
doch eine Teilung der Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune
erhielten das Recht, welches dem Konsul gegen den Konsul und um so mehr
gegen den niederen Beamten zustand, das heisst das Recht jeden von den
Beamten erlassenen Befehl, durch den der davon betroffene Buerger sich
verletzt hielt, auf dessen Anweisung durch ihren rechtzeitig und
persoenlich eingelegten Protest zu vernichten und ebenso jeden von
einem Beamten an die Buergerschaft gerichteten Antrag nach Ermessen zu
hemmen oder zu kassieren, das ist das Recht der Interzession oder das
sogenannte tribunizische Veto.
Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht, die
Verwaltung und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem
Militaerpflichtigen es moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung
zu entziehen, die Klageerhebung und die Rechtsvollstreckung gegen den
Schuldner, die Einleitung des Kriminalprozesses und die
Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern oder aufzuheben und
was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch die
Abwesenheit der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der
Tribun keine Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und
Nacht seine Tuer offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des
Volkstribunats, der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls
kraft ihres souveraenen Rechts die von ihr der Plebs verliehenen
Privilegien ohne weiteres haette zuruecknehmen koennen, durch ein
einziges Wort eines einzelnen Tribunen Schranken zu setzen.
Aber diese Rechte waeren wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der
sich nicht daran kehrte, insonderheit gegen den zuwiderhandelnden
Magistrat dem Volkstribun eine augenblicklich wirkende und
unwiderstehliche Zwangsgewalt zugestanden haette. Es ward ihm diese in
der Form erteilt, dass das Zuwiderhandeln gegen den seines Rechts sich
bedienenden Tribun, vor allen Dingen das Vergreifen an seiner
Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg jeder Plebejer Mann fuer
Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen hatte, fuer jetzt und
alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen, ein todeswuerdiges
Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser Kriminaljustiz nicht
den Magistraten der Gemeinde, sondern denen der Plebs uebertragen ward.
Kraft dieses seines Richteramts konnte der Tribun jeden Buerger, vor
allem den Konsul im Amte, zur Verantwortung ziehen, ihn, wenn er nicht
freiwillig sich stellte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft
setzen oder Buergschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder
Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich
bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und Gehilfen zur
Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken, weshalb auch ihnen
dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der Plebejer versichert
ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich den Tribunen, aber nur
fuer die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen, richterliche
Befugnis. Ward gegen den tribunizischen oder aedilizischen Spruch
Berufung eingelegt, so ging diese nicht an die Gesamtbuergerschaft, mit
der zu verhandeln die Beamten der Plebs ueberall nicht befugt waren,
sondern an die Gesamtheit der Plebejer, die in diesem Fall nach Kurien
zusammentrat und durch Stimmenmehrheit endgueltig entschied.
Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als ein Rechtsakt, zumal
wenn es gegen einen Nichtplebejer angewandt ward, wie dies doch eben in
der Regel der Fall sein musste. Es war weder mit dem Buchstaben noch
mit dem Geist der Verfassung irgend zu vereinigen, dass der Patrizier
von Behoerden zur Rechenschaft gezogen ward, die nicht der
Buergerschaft, sondern einer innerhalb der Buergerschaft gebildeten
Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen ward, statt an die
Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren. Dies war
urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog sich
wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen
Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet.
Der Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der
Aedilen und die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der
Plebejerversammlung ohne Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die
Gerichtsbarkeit der Konsuln und Quaestoren und der Spruch der Zenturien
auf Provokation; die Rechtsbegriffe des Verbrechens gegen die Gemeinde
und der Ordnungswidrigkeit wurden von der Gemeinde und deren
Magistraten auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen. Indes diese
Begriffe waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche Begrenzung so
schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin geuebte
Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich
an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die Idee
des Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen
Parteifuehrer beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit
ausgestattet waren, musste diese mehr und immer mehr der reinen
Willkuerpolizei sich naehern. Namentlich traf dieselbe den Beamten.
Bisher unterlag derselbe nach roemischem Staatsrecht, solange er
Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und wenn er auch nach
Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner Handlungen zur
Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die Handhabung
dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich
der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der
tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits
gegen den hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung
einschreiten konnte, anderseits gegen die adligen Buerger
ausschliesslich durch die nicht adligen gehandhabt ward, und die um so
drueckender war, als weder das Verbrechen noch die Strafe gesetzlich
formuliert wurden. Der Sache nach ward durch die konkurrierende
Gerichtsbarkeit der Plebs und der Gemeinde Gut, Leib und Leben der
Buerger dem willkuerlichen Belieben der Parteiversammlungen
preisgegeben.
In die Ziviljurisdiktion haben die plebejischen Institutionen nur
insofern eingegriffen, als in den fuer die Plebs so wichtigen
Freiheitsprozessen den Konsuln die Geschworenenernennung entzogen ward
und die Sprueche hier erfolgten von den besonders dafuer bestimmten
Zehnmaenner-Richtern (iudices decemviri, spaeter decemviri litibus
iudicandis). An die konkurrierende Jurisdiktion schloss sich weiter die
Konkurrenz in der gesetzgebenden Initiative. Das Recht, die Mitglieder
zu versammeln und Beschluesse derselben zu bewirken, stand den Tribunen
schon insofern zu, als ohne dasselbe ueberhaupt keine Assoziation
gedacht werden kann. Ihnen aber ward dasselbe in der eminenten Weise
verliehen, dass das autonomische Versammlungs- und Beschlussrecht der
Plebs gesetzlich sichergestellt war vor jedem Eingriff der Magistrate
der Gemeinde, ja der Gemeinde selbst. Allerdings war es die notwendige
Vorbedingung der rechtlichen Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die
Tribune nicht daran gehindert werden konnten, ihre Nachfolger von der
Versammlung der Plebs waehlen zu lassen und die Bestaetigung ihrer
Kriminalsentenz durch dieselbe zu bewirken; und es ward ihnen denn
dieses Recht auch durch das Icilische Gesetz (262 492) noch besonders
gewaehrleistet und jedem, der dabei dem Tribun ins Wort falle oder das
Volk auseinandergehen heisse, eine schwere Strafe gedroht. Dass demnach
dem Tribun nicht gewehrt werden konnte, auch andere Antraege als die
Wahl seines Nachfolgers und die Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur
Abstimmung zu bringen, leuchtet ein. Gueltige Volksschluesse waren
derartige “Beliebungen der Menge” (plebi scita) zwar eigentlich nicht,
sondern anfaenglich nicht viel mehr als die Beschluesse unserer
heutigen Volksversammlungen; allein da der Unterschied zwischen den
Komitien des Volkes und den Konzilien der Menge denn doch mehr formaler
Natur war, ward wenigstens von plebejischer Seite die Gueltigkeit
derselben als autonomischer Festsetzungen der Gemeinde sofort in
Anspruch genommen und zum Beispiel gleich das Icilische Gesetz auf
diesem Wege durchgesetzt.
So war der Tribun des Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und
Schutz, allen zur Leitung und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter
richterlicher Gewalt im peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl
Nachdruck geben zu koennen, endlich selbst persoenlich fuer
unverletzlich (sacrosanctus) erklaert, indem wer sich an ihm oder
seinem Diener vergriff, nicht bloss den Goettern verfallen galt,
sondern auch bei den Menschen als nach rechtlich erwiesenem Frevel des
Todes schuldig.
Die Tribune der Menge (tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den
Kriegstribunen und fuehren von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben
sie weiter zu ihnen keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt
nach die Volkstribune und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom
Konsul an den Tribun und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den
Konsul ist, wie schon gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation
vom Konsul an den Konsul und der Interzession des einen Konsuls gegen
den andern, und beide sind nichts als eine Anwendung des allgemeinen
Rechtssatzes, dass zwischen zwei Gleichberechtigten der Verbietende dem
Gebietenden vorgeht. Auch die urspruengliche, allerdings bald vermehrte
Zahl und die Jahresdauer des Amtes, welches fuer die Tribune jedesmal
am 10. Dezember wechselte, sind den Tribunen mit den Konsuln gemein,
ebenso die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes einzelnen
Konsuls und in jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle des
Amtes legt und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die
Stimmen zaehlt, sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo
der Tribun verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs
der Kollegen genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner
Kollegen gehemmt werden kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und
konkurrierende Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar,
diese unmittelbar ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen
diesen die beiden Aedilen hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind
notwendig Patrizier, die Tribune notwendig Plebejer. Jene haben die
vollere Macht, diese die unumschraenktere, denn ihrem Verbot und ihrem
Gericht fuegt sich der Konsul, nicht aber dem Konsul sich der Tribun.
So ist die tribunizische Gewalt das Abbild der konsularischen; sie ist
aber nicht minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln ist wesentlich
positiv, die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln sind
Magistrate des roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt
die gesamte Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum
Zeichen dessen erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den
Gemeindebeamten zukommenden Schmuck und Gefolge, die Tribune aber
sitzen auf der Bank anstatt des Wagenstuhls und ermangeln der
Amtsdiener, des Purpursaumes und ueberhaupt jedes Abzeichens der
Magistratur; sogar im Gemeinderat hat der Tribun weder den Vorsitz noch
auch nur den Beisitz. So ist in dieser merkwuerdigen Institution dem
absoluten Befehlen das absolute Verbieten in der schaerfsten und
schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die Schlichtung des
Haders, dass die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich
festgestellt und geordnet ward.
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^1 Dass die plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen
Quaestoren nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den
patrizischen Konsuln, ist deutlich sowohl fuer die
Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz der beiden Magistraturen,
nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu sein scheint, wie fuer das
Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der Cerestempel, was der Tempel
des Saturnus fuer die Quaestoren, und von jenem haben sie auch den
Namen. Bezeichnend ist die Vorschrift des Gesetzes von 305 (349) (Liv.
3, 55), dass die Senatsbeschluesse dorthin an die Aedilen abgeliefert
werden sollen (I, 300), waehrend dieselben bekanntlich nach altem und
spaeter nach Beilegung des Staendekampfes wieder ueberwiegendem
Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung in dem Saturnustempel
zugestellt wurden.
————————————————————————-
Aber was war erreicht damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach,
dass die Beamten einer unsteten und von allen Leidenschaften des
Augenblicks abhaengigen Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf
den Wink eines einzelnen der auf den Gegenthron gehobenen
Oppositionshaeupter die Verwaltung im gefaehrlichsten Augenblick zum
Stocken gebracht werden konnte, dass man die Kriminalrechtspflege,
indem man alle Beamte dazu konkurrierend bevollmaechtigte, gleichsam
gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und sie fuer alle
Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das Tribunat wenn nicht
unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende beigetragen, so
doch als eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer gedient hat, als
diese bald darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern begehrten. Aber
die eigentliche Bestimmung des Tribunats war dieses nicht. Nicht dem
politisch privilegierten Stande ward es abgerungen, sondern den reichen
Grund- und Kapitalherren; es sollte dem gemeinen Mann billige
Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere Finanzverwaltung
herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt und konnte es nicht
erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden
Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht
hiess, sondern im Rechte, welches ungerecht war: und wie konnte der
Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmaessig hemmen? haette er es
gekonnt, so war auch damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen
der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das
schlechte Kreditsystem, die heillose Okkupation der Domaenen. Aber
hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen Plebejer selbst
an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten als die
Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren
handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch
die notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie
ist kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss
zwischen dem reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt,
das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr,
so wuerde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich
fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das roemische war es vielmehr ein
Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt ward nach
Erschoepfung der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist
aber nicht einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen
Staaten ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den
hellenischen regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin,
dass die Tyrannis ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist
und dass die Italiker laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen
Buerger von den Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon
abging, blieb auch die Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das
tribunizische Amt. Dass das Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es
der Opposition gesetzliche Bahnen wies und manche Verkehrtheit
abwehrte, wird niemand verkennen; aber ebensowenig, dass, wo es sich
nuetzlich erwies, es fuer ganz andere Dinge gebraucht ward, als wofuer
man es begruendet hatte. Das verwegene Experiment, den Fuehrern der
Opposition ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie mit der
Macht, es ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein
Notbehelf, der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die
sozialen Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat.
Indes man hatte den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie
zur Schlacht standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren
Fuehrern; Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der
tribunizischen Gewalt ward auf der einen, die Vernichtung des Tribunats
auf der andern Seite angestrebt; die gesetzlich straflos gemachte
Insubordination, die Weigerung, sich zur Landesverteidigung zu stellen,
die Buss- und Strafklagen namentlich gegen Beamte, die die Rechte der
Gemeinde verletzt oder auch nur ihr Missfallen erregt hatten, waren die
Waffen der Plebejer, denen die Junker Gewalt und Einverstaendnisse mit
den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des Meuchelmoerders
entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und hueben und
drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen.
Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten
Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es
wohl glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht dass
es diese Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und die
Gemeinde trotz der heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das
bekannteste Ereignis aus diesen Staendekaempfen ist die Geschichte des
Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen, der von Coriolis Erstuermung
den Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491), erbittert ueber die
Weigerung der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen, beantragt
haben, wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus den
Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte; wie
andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den
Tribunen auf Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen,
indes nur, um zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres;
jedoch im Begriff, .seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern,
habe das ernste Wort der Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von
ihm der erste Verrat durch einen zweiten gesuehnt worden und beide
durch den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst sich nicht entscheiden;
aber alt ist die Erzaehlung, aus der die naive Impertinenz der
roemischen Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat, und sie
oeffnet den Einblick in die tiefe sittliche und politische
Schaendlichkeit dieser staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist
der Ueberfall des Kapitols durch eine Schar politischer Fluechtlinge,
gefuehrt von dem Sabiner Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen
die Sklaven zu den Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe
der herbeigeeilten Tusculaner ward die roemische Buergerwehr der
catilinarischen Bande Meister. Denselben Charakter fanatischer
Erbitterung tragen andere Ereignisse dieser Zeit, deren geschichtliche
Bedeutung in den luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr
erfassen laesst; so das Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das
von 269 bis 275 (485-479) den einen Konsul stellte, und die Reaktion
dagegen, die Auswanderung der Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch
die Etrusker am Cremera (277 477). Noch entsetzlicher war die Ermordung
des Volkstribuns Gnaeus Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare
zur Rechenschaft zu ziehen und der am Morgen des fuer die Anklage
anberaumten Tages tot im Bette gefunden ward (281 473). Die
unmittelbare Folge dieser Untat war das Publilische Gesetz, eines der
folgenreichsten, das die roemische Geschichte kennt. Zwei der
wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung der plebejischen
Tribusversammlung und die wenngleich bedingte Gleichstellung des
Plebiszits mit dem foermlichen, von der ganzen Gemeinde beschlossenen
Gesetz, gehen, jene gewiss, diese wahrscheinlich zurueck auf den Antrag
des Volkstribunen Volero Publilius vom Jahre 283 (471). Die Plebs hatte
bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien gefasst; demnach war in diesen
ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied des Vermoegens und der
Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt worden, teils hatten,
infolge des im Wesen der Kurienversammlung liegenden Zusammenstehens
der Geschlechtsgenossen, die Klienten der grossen Adelsfamilien in der
Plebejerversammlung miteinander gestimmt. Der eine wie der andere
Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit, Einfluss auf diese
Versammlung zu ueben und besonders die Wahl der Tribune in seinem Sinne
zu lenken; beides fiel fortan weg durch die neue Abstimmungsweise nach
Quartieren. Deren waren in der Servianischen Verfassung zum Zweck der
Aushebung vier gebildet worden, die Stadt und Land gleichmaessig
umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im Jahr 259 (495) - hatte
man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte eingeteilt, von denen die
ersten vier die Stadt und deren naechste Umgebung umfassten, die
uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der Geschlechtergaue des aeltesten
roemischen Ackers aus dem Landgebiet gebildet wurden (I, 51). Zu diesen
wurde, wahrscheinlich erst infolge des Publilischen Gesetzes und um die
fuer die Abstimmung wuenschenswerte Ungleichheit der Gesamtzahl der
Stimmabteilungen herbeizufuehren, als einundzwanzigste Tribus die
crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen von dem Orte trug, wo die
Plebs als solche sich konstituiert und das Tribunat gestiftet hatte (I,
282) und fortan fanden die Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr
nach Kurien statt, sondern nach Tribus. In diesen Abteilungen, die
durchaus auf dem Grundbesitz beruhten, stimmten ausschliesslich die
ansaessigen Leute, diese jedoch ohne Unterschied der Groesse des
Grundbesitzes und so, wie sie in Doerfern und Weilern zusammen wohnten;
es war also diese Tribusversammlung, die im uebrigen aeusserlich der
nach Kurien geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine
Versammlung des unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die
Freigelassenen und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht
ansaessige Leute ausgeschlossen waren, und in der anderseits der
groessere Grundbesitz nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine
allgemeine Buergerschaftsversammlung war diese “Zusammenkunft der
Menge” (concilium plebis) noch weniger als die plebejische
Kurienversammlung, da sie nicht bloss wie diese die saemtlichen
Patrizier, sondern auch die nicht grundsaessigen Plebejer ausschloss;
aber die Menge war maechtig genug, um es durchzusetzen, dass ihr
Beschluss dem von den Zenturien gefassten rechtlich gleich gelte, falls
er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden war. Dass diese letzte
Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln gesetzlich feststand, ist
gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit des Publilischen Plebiszits
eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher durch irgendeine andere
verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf das Publilische
Plebiszit nur angewendet worden ist, laesst sich nicht mehr ausmachen.
Ebenso bleibt es ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl der Tribune
von zwei auf vier vermehrt ward oder dies bereits vorher geschehen war.
Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war der Versuch
des Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen zu brechen
und damit den eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er war
Patrizier, und keiner tat es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm
zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten Konsulat (268 486) brachte er an
die Buergergemeinde den Antrag, das Gemeindeland vermessen zu lassen
und es teils zum Besten des oeffentlichen Schatzes zu verpachten, teils
unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst, er versuchte, die
Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und, gestuetzt
auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu
machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit,
die Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde,
selbst in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche;
allein er irrte. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer
traten auf seine Seite; der gemeine Mann war missvergnuegt, weil
Spurius Cassius, wie Bundesrecht und Billigkeit geboten, auch den
latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr Teil geben wollte.
Cassius musste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage, dass er
koenigliche Gewalt sich angemasst habe, denn freilich versuchte er
gleich den Koenigen, gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen.
Sein Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand
seitdem den Reichen unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand
es auf gegen sie, bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen
zugrunde ging.
Da ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu
beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem
geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius
Terentilius Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer
Kommission von fuenf Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts,
an das die Konsuln kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden
sein sollten. Aber der Senat weigerte sich, diesem Vorschlag seine
Sanktion zu geben, und es vergingen zehn Jahre, ehe derselbe zur
Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes, welche ueberdies
vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher
Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im
Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner zu
Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu
beseitigen: im Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier
auf zehn bewilligt - freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden
Jahre durch ein Icilisches Plebiszit, das aufgenommen ward unter die
beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain
und unbewohnt, unter die aermeren Buerger zu Bauplaetzen erblichen
Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was ihr geboten ward, allein
sie hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahre 300
(454) kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der Hauptsache nach.
Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten dazu
ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt
werden, welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu
fungieren hatten (decem viri consulari imperio legibus scribundis), und
zu diesem Posten sollten nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer
wahlfaehig sein. Diese wurden hier zum erstenmal, freilich nur fuer ein
ausserordentliches Amt, als waehlbar bezeichnet. Es war dies ein
grosser Schritt vorwaerts zu der vollen politischen Gleichberechtigung,
und er war nicht zu teuer damit verkauft, dass das Volkstribunat
aufgehoben, das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats
suspendiert und die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die
beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes
wurde noch eine Gesandtschaft nach Griechenland geschickt um die
Solonischen und andere griechische Gesetze heimzubringen, und erst nach
deren Rueckkehr wurden fuer das Jahr 303 (451) die Zehnmaenner
gewaehlt. Obwohl es freistand, auch Plebejer zu ernennen, so traf doch
die Wahl auf lauter Patrizier - so maechtig war damals noch der Adel -,
und erst als eine abermalige Wahl fuer 304 (450) noetig ward, wurden
auch einige Plebejer gewaehlt - die ersten nichtadligen Beamten, die
die roemische Gemeinde gehabt hat.
Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein
anderer Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der
konsularischen Gewalt durch das geschriebene Gesetz an die Stelle der
tribunizischen Hilfe zu setzen. Von beiden Seiten musste man sich
ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben konnte, wie es war, und die
Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde zugrunde richtete,
aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas herauskam.
Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune in
die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings
schaedlich wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat
dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische
Rechtspflege war, indem es als eine Art Kassationsgericht die Willkuer
des Magistrats beschraenkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein
geschriebenes Landrecht begehrten, von den Patriziern erwidert, dass
dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig werde; und hierauf
scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist vielleicht nie
bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des
Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das Tribunat
ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage
kam, nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat
zurueckgewinnen zu koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre
beschworenen Freiheiten nicht angetastet werden sollten, kann bezogen
werden auf die vom Tribunat unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die
Provokation und der Besitz des Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu
sein, dass die Zehnmaenner bei ihrem Ruecktritt dem Volke vorschlagen
sollten, die jetzt nicht mehr nach Willkuer, sondern nach geschriebenem
Recht urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen.
Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die
leidenschaftlich erbitterten Gemueter hueben und drueben diesen
friedlichen Austrag annehmen wuerden. Die Dezemvirn des Jahres 303
(451) brachten ihr Gesetz vor das Volk und, von diesem bestaetigt,
wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln eingegraben, auf dem Markt an
der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da indes noch ein
Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 (450)
wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand das
erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln. Es
ging aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon darum
tiefgreifende, ueber nebensaechliche und blosse
Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende Aenderungen des bestehenden
Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im Kreditwesen trat keine
weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich niedriges -
Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer
Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb
- bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen
Hauptzuegen ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren
begreiflicherweise noch weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied
zwischen steuerpflichtigen und vermoegenslosen Buergern, die
Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen wurden
vielmehr aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur Beschraenkung
der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich
vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren
vorgehen und dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger
erlassen werden solle. Am bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der
Provokation an die Tribuskomitien in Kapitalsachen, waehrend die an die
Zenturien gewaehrleistet ward; was sich daraus erklaert, dass die
Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren Vorstehern in der Tat
usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische
Kapitalprozess notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war,
den aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische
Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der jetzt
foermlich festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen
Prozessformen und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der
oeffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung
der Kontrolle der Publizitaet unterworfen und der Konsul genoetigt
ward, allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen.
Der Ausgang des Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird
berichtet - den Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln
zu publizieren und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu
machen. Sie zoegerten indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch
immer nicht fertig sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres
ihr Amt weiter, was insofern moeglich war, als nach roemischem
Staatsrecht die ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung
berufene Magistratur durch die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht
gebunden werden kann. Die gemaessigte Fraktion der Aristokratie, die
Valerier und Horatier an ihrer Spitze, soll versucht haben, im Senat
die Abdankung der Dezemvirn zu erzwingen; allein das Haupt der
Zehnmaenner, Appius Claudius, von Haus aus ein starrer Aristokrat, aber
jetzt umschlagend zum Demagogen und zum Tyrannen, gewann das
Uebergewicht im Senat, und auch das Volk fuegte sich. Die Aushebung
eines doppelten Heeres ward ohne Widerspruch vollzogen und der Krieg
gegen die Volsker wie gegen die Sabiner begonnen. Da wurde der gewesene
Volkstribun Lucius Siccius Dentatus, der tapferste Mann in Rom, der in
hundertundzwanzig Schlachten gefochten und fuenfundvierzig ehrenvolle
Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem Lager gefunden, meuchlerisch
ermordet, wie es hiess, auf Anstiften der Zehnmaenner. Die Revolution
gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch brachte sie der ungerechte
Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die Freiheit der Tochter des
Centurionen Lucius Verginius, der Braut des gewesenen Volkstribuns
Lucius Icilius, welcher Spruch das Maedchen den Ihrigen entriss, um sie
unfrei und rechtlos zu machen und den Vater bewog, seiner Tochter auf
offenem Markt das Messer selber in die Brust zu stossen, um sie der
gewissen Schande zu entreissen. Waehrend das Volk erstarrt ob der
unerhoerten Tat die Leiche des schoenen Maedchens umstand, befahl der
Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und alsdann den Braeutigam vor
seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch keine Berufung galt,
sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine Gewalt. Nun
war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen entziehen
der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern des
Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt,
erscheinen die beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den
beiden Lagern. Das Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen oeffnet
sich die Kluft, die der mangelnde tribunizische Schutz in der
Rechtssicherheit gelassen hat, und was die Vaeter getan, wiederholen
die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre Fuehrer; sie ziehen in
kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf den heiligen
Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch weigern
die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit
seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt
endlich, wo der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf
stuendlich beginnen konnte, jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer
angemassten und entehrten Gewalt, und die Konsuln Lucius Valerius und
Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, durch den das
Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die
Dezemvirn endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius
und Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht
anderen ins Exil gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere
gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun
Marcus Duilius durch den rechtzeitigen Gebrauch seines Veto.
So lautet die Erzaehlung, wie der Griffel der roemischen Aristokraten
sie aufgezeichnet hat; unmoeglich aber kann, auch von den
Nebenumstaenden abgesehen, die grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln
entsprangen, in solche romantische Abenteuerlichkeiten und politische
Unbegreiflichkeiten ausgelaufen sein. Das Dezemvirat war nach der
Abschaffung des Koenigtums und der Einsetzung des Volkstribunats der
dritte grosse Sieg der Plebs, und die Erbitterung der Gegenpartei gegen
die Institution wie gegen ihr Haupt Appius Claudius ist erklaerlich
genug. Die Plebejer hatten damit das passive Wahlrecht zu dem hoechsten
Gemeindeamt und das gemeine Landrecht errungen; und nicht sie waren es,
die Ursache hatten, sich gegen die neue Magistratur aufzulehnen und mit
Waffengewalt das rein patrizische Konsularregiment zu restaurieren.
Dies Ziel kann nur von der Adelspartei verfolgt worden sein, und wenn
die patrizisch-plebejischen Dezemvirn den Versuch gemacht haben, sich
ueber die Zeit hinaus im Amte zu behaupten, so ist sicherlich dagegen
in erster Reihe der Adel in die Schranken getreten; wobei er freilich
nicht versaeumt haben wird geltend zu machen, dass ja auch der Plebs
ihre verbrieften Rechte geschmaelert, insbesondere das Tribunat ihr
genommen sei. Gelang es dann dem Adel, die Dezemvirn zu beseitigen, so
ist es allerdings begreiflich, dass nach deren Sturz die Plebs jetzt
abermals in Waffen zusammentrat, um die Ergebnisse sowohl der frueheren
Revolution von 260 wie auch der juengsten Bewegung sich zu sichern; und
nur als Kompromiss in diesem Konflikt lassen die Valerisch-Horatischen
Gesetze von 305 (449) sich verstehen. Der Vergleich fiel wie natuerlich
durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und beschraenkte abermals in
empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Dass das Volkstribunat wieder
hergestellt, das dem Adel abgedrungene Stadtrecht definitiv
festgehalten und die Konsuln danach zu richten verpflichtet wurden,
versteht sich von selbst. Durch das Stadtrecht verloren allerdings die
Tribus die angemasste Gerichtsbarkeit in Kapitalsachen; allein die
Tribune erhielten sie zurueck, indem ein Weg gefunden ward, ihnen fuer
solche Faelle die Verhandlung mit den Zenturien moeglich zu machen.
Ueberdies blieb ihnen in dem Recht, auf Geldbussen unbeschraenkt zu
erkennen und diesen Spruch an die Tribuskomitien zu bringen, ein
ausreichendes Mittel, die buergerliche Existenz des patrizischen
Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf Antrag der Konsuln von den
Zenturien beschlossen, dass kuenftig jeder Magistrat, also auch der
Diktator bei seiner Ernennung verpflichtet werden solle, der
Provokation stattzugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte,
buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der Diktator die bisherige
Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine Amtshandlungen nicht wie
die der Konsuln kassieren.
Eine weitere Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass
die Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten
Zahlmeistern (quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447)
ernannt wurden. Die Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer
den Krieg wie auch der beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt
ueber auf die Gemeinde; der Konsul behielt statt der Wahl nur die
Wahlleitung. Die Versammlung, in der die Zahlmeister erwaehlt wurden,
war die der saemtlichen patrizisch-plebejischen ansaessigen Leute und
stimmte nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine Konzession an die
diese Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien beherrschende
plebejische Bauernschaft liegt.
Folgenreicher noch war es, dass den Tribunen Anteil an den
Verhandlungen im Senat eingeraeumt ward. Zwar in den Sitzungssaal die
Tribune zuzulassen, schien dem Senat unter seiner Wuerde; es wurde
ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um von da aus den Verhandlungen zu
folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht hatte sich auch auf die
Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus einer
beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war, was wohl
zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze Gemeinde
verbindend werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem den
Tribunen eine gewisse Beteiligung an den Verhandlungen in der Kurie
einraeumte. Um auch gegen Unterschiebung und Verfaelschung von
Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an deren Gueltigkeit ja die der
wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde verordnet, dass in Zukunft
dieselben nicht bloss bei den patrizischen Stadtquaestoren im
Saturnus-, sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im
Cerestempel hinterlegt werden sollten. So endigte dieser Kampf, der
begonnen war, um die Gewalt der Volkstribune zu beseitigen, mit der
abermaligen und nun definitiven Sanktionierung ihres Rechts, sowohl
einzelne Verwaltungsakte auf Anrufen des Beschwerten als auch jede
Beschlussnahme der konstitutiven Staatsgewalten nach Ermessen zu
kassieren. Mit den heiligsten Eiden und allem, was die Religion
Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den foermlichsten Gesetzen
wurde abermals sowohl die Person der Tribune als die ununterbrochene
Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums gesichert. Es ist seitdem
nie wieder in Rom ein Versuch gemacht worden, diese Magistratur
aufzuheben.
KAPITEL III.
Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie
Die tribunizischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den sozialen,
nicht aus den politischen Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und
es ist guter Grund vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der
vermoegenden, in den Senat aufgenommenen Plebejer denselben nicht
minder entgegen war als die Patrizier; denn die Privilegien, gegen
welche die Bewegung vorzugsweise sich richtete, kamen auch ihnen
zugute, und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich
zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit
scheinen, ihre Ansprueche auf Teilnahme an den Aemtern geltend zu
machen, waehrend der ganze Senat in seiner finanziellen Sondermacht
bedroht war. So erklaert es sich, dass waehrend der ersten fuenfzig
Jahre der Republik kein Schritt geschah, der geradezu auf politische
Ausgleichung der Staende hinzielte.
Allein eine Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier
und der reichen Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte
ein Teil der vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der
Bewegungspartei sich angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen
ihre Standesgenossen, teils infolge des natuerlichen Bundes aller
Zurueckgesetzten, teils endlich, weil sie begriffen, dass Konzessionen
an die Menge auf die Laenge unvermeidlich waren und dass sie, richtig
benutzt, die Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats zur Folge
haben und damit der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht
im Staate geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen
konnte, in weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an
der Spitze ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm,
so hielt sie in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand
und konnte mit dem sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem
Adel die Friedensbedingungen zu diktieren und als Vermittler zwischen
beiden Parteien fuer sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen.
Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem
Sturz des Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das
Volkstribunat sich nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie
konnte nichts Besseres tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu
bemaechtigen und sich desselben zur Beseitigung der politischen
Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen.
Wie wehrlos der Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand,
zeigt nichts so augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der
exklusiven Partei, die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und
Buergerlichen, kaum vier Jahre nach der Dezemviralrevolution auf den
ersten Streich fiel. Im Jahre 309 (445) wurde durch das Canuleische
Plebiszit verordnet, dass die Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen
als eine rechte roemische gelten und die daraus erzeugten Kinder dem
Stande des Vaters folgen sollten. Gleichzeitig wurde ferner
durchgesetzt, dass statt der Konsuln Kriegstribune - es gab deren
damals, vor der Teilung des Heeres in Legionen, sechs, und danach
richtete sich auch die Zahl dieser Magistrate - mit konsularischer
Gewalt ^1 und konsularischer Amtsdauer von den Zenturien gewaehlt
werden sollten. Die naechste Ursache war militaerischer Art, indem die
vielfachen Kriege eine groessere Zahl von obersten Feldherren
forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte; aber die Aenderung
ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf geworden, ja
vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung mehr der
Vorwand als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach altem
Recht jeder dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und es ward
also damit das hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon im
Dezemvirat den Plebejern geoeffnet worden war, jetzt in umfassender
Weise saemtlichen freigewordenen Buergern gleichmaessig zugaenglich
gemacht. Die Frage liegt nahe, welches Interesse der Adel dabei haben
konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des hoechsten Amtes
verzichten und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den Titel
zu versagen und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form
zuzugestehen ^2. Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des
hoechsten Gemeindeamts mancherlei teils persoenliche, teils erbliche
Ehrenrechte: so galt die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch
die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier
gegeben, der nicht dieses selbst verwaltet hatte; so stand es den
Nachkommen eines kurulischen Beamten frei, das Bild eines solchen Ahnen
im Familiensaal auf- und bei geeigneten Veranlassungen oeffentlich zur
Schau zu stellen, waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht statthaft
war ^3. Es ist ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu rechtfertigen,
dass der regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst als die
daran geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden
liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den
tatsaechlich hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des
kurulischen Sessels, sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte,
dessen Auszeichnung eine rein persoenliche war. Von groesserer
politischer Bedeutung aber als die Versagung des Ahnenrechts und der
Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der im Senat
sitzenden Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen
fiel, die als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor
den uebrigen um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten;
insofern war es allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den
Plebejer nur zu einem konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat
selbst zuzulassen.
——————————————————————-
^1 Die Annahme, dass rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das
volle, den plebejischen nur das militaerische Imperium zugestanden
habe, ruft nicht bloss manche Fragen hervor, auf die es keine Antwort
gibt, zum Beispiel, was denn geschah, wenn, wie dies gesetzlich
moeglich war, die Wahl auf lauter Plebejer fiel, sondern verstoesst vor
allem gegen den Fundamentalsatz des roemischen Staatsrechts, dass das
Imperium, das heisst das Recht, dem Buerger im Namen der Gemeinde zu
befehlen, qualitativ unteilbar und ueberhaupt keiner anderen als einer
raeumlichen Abgrenzung faehig ist. Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und
einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem letzteren die Provokation und
andere stadtrechtliche Bestimmungen nicht massgebend sind; es gibt
Beamte, wie zum Beispiel die Prokonsuln, welche lediglich in dem
letzteren zu funktionieren vermoegen; aber es gibt im strengen
Rechtssinn keine Beamten mit bloss jurisdiktionellem wie keine mit
bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul ist in seinem Bezirk eben
wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter und befugt, nicht
bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter Buergern den
Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der Praetur der
Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt, hat er
mehr tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der staedtische
Praetor ist zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch wenigstens
fuer gewisse Faelle die Zenturien berufen und kann ein Heer befehligen;
dem Konsul kommt in der Stadt zunaechst die Oberverwaltung und der
Oberbefehl zu, aber er fungiert doch auch bei Emanzipation und Adoption
als Gerichtsherr - die qualitative Unteilbarkeit des hoechsten Amtes
ist also selbst hier noch beiderseits mit grosser Schaerfe
festgehalten. Es muss also die militaerische wie die jurisdiktionelle
Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit fremden
Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den
plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen
zugestanden haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,
2, S. 137) meint, aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben das
gemeinschaftliche Konsulat die - tatsaechlich laengere Zeit den
Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt ward, faktisch schon
waehrend des Konsulartribunats die plebejischen Glieder des Kollegiums
von der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die spaetere
Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des
Konsulartribunats sich vorbereitet haben.
^2 Die Verteidigung, dass der Adel an der Ausschliessung der Plebejer
aus religioeser Befangenheit festgehalten habe, verkennt den
Grundcharakter der roemischen Religion und traegt den modernen
Gegensatz zwischen Kirche und Staat in das Altertum hinein. Die
Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich religioesen
Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer als suendhaft
erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe bezweifelt, dass
durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige Zulassung in die
buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese Gleichheit
herbeigefuehrt werde. All jene Gewissensskrupel, deren Ehrlichkeit an
sich nicht beanstandet werden soll, waren abgeschnitten, sowie man den
Plebejern in Masse rechtzeitig das Patriziat zugestand. Nur das etwa
kann man zur Entschuldigung des Adels geltend machen, dass er, nachdem
er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten Augenblick hierzu
versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war, das Versaeumte
nachzuholen.
^3 Ob innerhalb des Patriziats die Unterscheidung dieser “kurulischen
Haeuser” von den uebrigen Familien jemals von ernstlicher politischer
Bedeutung gewesen ist, laesst sich weder mit Sicherheit verneinen noch
mit Sicherheit bejahen, und ebensowenig wissen wir, ob es in dieser
Epoche wirklich noch nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger
Anzahl gab.
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Indes trotz dieser kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die
Geschlechterprivilegien, soweit sie politischen Wert hatten, durch die
neue Institution gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel
seines Namens wert gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben
muessen. Allein er hat es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und
gesetzlicher Widerstand fortan unmoeglich war, so bot sich doch noch
ein weites Feld fuer die tueckische Opposition der kleinen Mittel, der
Schikanen und der Kniffe; und so wenig ehrenhaft und staatsklug dieser
Widerstand war, so war er doch in einem gewissen Sinne erfolgreich. Er
hat allerdings schliesslich dem gemeinen Mann Konzessionen verschafft,
zu welchen die vereinigte roemische Aristokratie nicht leicht gezwungen
worden waere; aber er hat es auch vermocht, den Buergerkrieg noch um
ein Jahrhundert zu verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das
Regiment noch mehrere Menschenalter hindurch tatsaechlich im
Sonderbesitz des Adels zu erhalten.
Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach wie die
politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die
Zulassung oder Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer
allemal zu entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur
fuer die jedesmal naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also
der eitle Kampf, ob patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden
Kriegstribune mit konsularischer Gewalt ernannt werden sollten, und
unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch
Ermuedung und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als die
unwirksamste.
Man zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um
die unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in
die Laenge zu ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte Jahr
stattfindende Feststellung des Budgets und der Buerger- und
Steuerlisten, welche bisher durch die Konsuln bewirkt worden war, schon
im Jahre 319 (435) zweien von den Zenturien aus dem Adel auf hoechstens
achtzehn Monate ernannten Schaetzern (censores) uebertragen. Das neue
Amt ward allmaehlich zum Palladium der Adelspartei, weniger noch wegen
seines finanziellen Einflusses als wegen des daran sich knuepfenden
Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der Ritterschaft zu
besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- und
Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe
Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der
Zensur beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.
Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene
wichtige Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder
aus. Die patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf
sich stuetzend, dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch
mehr Offiziere waren als Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut
wie zum Militaertribunat auch zur Quaestur befaehigt erschien, setzte
es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen auch plebejische Bewerber
zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu dem aktiven
Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit
Recht ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen
als eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie
zu dem Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und
passiv gleich wahlfaehig waren.
Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt der Adel doch nur von
Verlust zu Verlust; die Erbitterung stieg, wie die Macht sank. Er hat
es wohl noch versucht, die der Gemeinde vertragsmaessig zugesicherten
Rechte geradezu anzutasten; aber es waren diese Versuche weniger
berechnete Parteimanoever als Akte einer impotenten Rachsucht. So
namentlich der Prozess gegen Maelius, wie unsere allerdings wenig
zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet. Spurius Maelius, ein
reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer Teuerung (315 439)
Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen Magazinvorsteher
(praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und kraenkte. Dieser
beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen Gewalt; mit welchem
Recht, koennen wir freilich nicht entscheiden, allein es ist kaum
glaublich, dass ein Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet
hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben sollte. Indes die
Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf die Menge Roms hat der
Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung geuebt wie der
Papstzeter auf die englischen Massen. Titus Quinctius Capitolinus, der
zum sechstenmal Konsul war, ernannte den achtzigjaehrigen Lucius
Quinctius Cincinnatus zum Diktator ohne Provokation, in offener
Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte
Miene, sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiterfuehrer
des Diktators, Gaius Servilius Ahala, mit eigener Hand. Das Haus des
Ermordeten ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Speichern dem
Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu raechen drohten, heimlich
ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche Justizmord, eine Schande
mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde Volk als fuer die
tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft
hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben, so hatte sie umsonst
die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut vergossen.
Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel Wahlintrigen
und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt am besten,
dass es schon 322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz gegen
Wahlumtriebe zu erlassen, das natuerlich nichts half. Konnte man nicht
durch Korruption oder Drohung auf die Stimmberechtigten wirken, so
taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen zum Beispiel so viele
plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der Opposition sich
zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste weg,
die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine
unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei
derselben nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen
religioesen Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu
entdecken nicht ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk
des weisen Beispiels der Ahnen liess man den Satz sich feststellen,
dass das Gutachten der priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber
Voegelzeichen, Wunder und aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen
binde, und es in ihre Macht kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung
eines Gotteshauses oder sonst eine Verwaltungshandlung, sei es Gesetz
oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu kassieren. Auf diesem Wege
wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der Plebejer schon im
Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt worden war
und seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 (409)
der erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das
konsularische Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast
ausschliesslich Patrizier bekleidet. Es zeigte sich, dass die
gesetzliche Abschaffung der Adelsprivilegien noch keineswegs die
plebejische Aristokratie wirklich und tatsaechlich dem Geschlechtsadel
gleichgestellt hatte. Mancherlei Ursachen wirkten dabei zusammen: die
zaehe Opposition des Adels liess sich weit leichter in einem
aufgeregten Moment der Theorie nach ueber den Haufen werfen, als in den
jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd niederhalten; die Hauptursache
aber war die innere Uneinigkeit der Haeupter der plebejischen
Aristokratie und der Masse der Bauernschaft. Der Mittelstand, dessen
Stimmen in den Komitien entschieden, fand sich nicht berufen, die
vornehmen Nichtadligen vorzugsweise auf den Schild zu heben, solange
seine eigenen Forderungen von der plebejischen nicht minder wie von der
patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden.
Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im
ganzen geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden.
Seitdem die plebejische Aristokratie sich des Tribunats zu ihren
Zwecken bemaechtigt hatte, war weder von der Domaenenangelegenheit noch
von der Reform des Kreditwesens ernstlich die Rede gewesen; obwohl es
weder fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an verarmenden oder
verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neueroberten
Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 (442),
des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr
aus militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs
in ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das
Gesetz des Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius
und Spurius Metilius im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung
saemtlicher Staatslaendereien - allein sie scheiterten, was
charakteristisch fuer die damalige Situation ist, an dem Widerstand
ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen Aristokratie. Auch
unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu helfen;
allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier
wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und
persoenliche Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg
waehrend der gallischen Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein
fuer die unterdrueckten Leute, mit denen sowohl die Kriegskameradschaft
ihn verband wie der bittere Hass gegen seinen Rivalen, den gefeierten
Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus Furius Camillus. Als
ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt werden sollte,
trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus; zugleich
bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass,
solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht
vorkommen solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei,
Patrizier wie Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen.
Der Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung
des Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener
Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum
Tode, und nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum
Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmenden den
Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des
Vaterlandes aus der hoechsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes,
welchen man jetzt dem Henker ueberlieferte (370 384).
Waehrend also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das
Missverstaendnis immer schreiender, indem einerseits infolge der
gluecklichen Kriege die Domanialbesitzungen mehr und mehr sich
ausdehnten, anderseits in der Bauernschaft die Ueberschuldung und
Verarmung immer weiter um sich griff, namentlich infolge des schweren
Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der Einaescherung der
Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390). Zwar als es indem
Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit der Soldaten zu
verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den Sommer, auch
den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die
Bauernschaft, die vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage
voraussehend, im Begriff war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung
zu verweigern, entschloss sich der Senat zu einer wichtigen Konzession:
er uebernahm den Sold, den bisher die Distrikte durch Umlage
aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf den Ertrag der
indirekten Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den Fall, dass
die Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine
allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene
Anleihe betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt ward.
Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche
Fundament, eine reelle Verwertung der Domaenen zum Besten der
Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last
des Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den kleinen Mann darum
nicht weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als Steuern, sondern
als Vorschuesse betrachtet wurden.
Unter solchen Umstaenden, wo die plebejische Aristokratie sich durch
den Widerstand des Adels und die Gleichgueltigkeit der Gemeinde
tatsaechlich von der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen sah
und die leidende Bauernschaft der geschlossenen Aristokratie
ohnmaechtig gegenueberstand, lag es nahe, beiden zu helfen durch ein
Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die Volkstribune Gaius Licinius und
Lucius Sextius bei der Gemeinde Antraege dahin ein: einerseits mit
Beseitigung des Konsulatribunats festzustellen, dass wenigstens der
eine Konsul Plebejer sein muesse, und ferner den Plebejern den Zutritt
zu dem einen der drei grossen Priesterkollegien, dem auf zehn
Mitglieder zu vermehrenden der Orakelbewahrer (duoviri, spaeter
decemviri sacris faciundis, 1, 191) zu eroeffnen; anderseits
hinsichtlich der Domaenen keinen Buerger auf die Gemeinweide mehr als
hundert Rinder und fuenfhundert Schafe auftreiben und keinen von dem
zur Okkupation freigegebenen Domanialland mehr als fuenfhundert Iugera
(= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen zu lassen, ferner die
Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren Feldarbeitern eine zu der
Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende Anzahl freier Arbeiter zu
verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom
Kapital und Anordnung von Rueckzahlungsfristen Erleichterung zu
verschaffen.
Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt auf der Hand. Sie sollten dem
Adel den ausschliesslichen Besitz der kurulischen Aemter und der daran
geknuepften erblichen Auszeichnungen der Nobilitaet entreissen, was man
in bezeichnender Weise nur dadurch erreichen zu koennen meinte, dass
man die Adligen von der zweiten Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie
sollten folgeweise die plebejischen Mitglieder des Senats aus der
untergeordneten Stellung, in der sie als stumme Beisitzer sich
befanden, insofern befreien, als wenigstens diejenigen von ihnen, die
das Konsulat bekleidet hatten, damit ein Anrecht erwarben, mit den
patrizischen Konsularen vor den uebrigen patrizischen Senatoren ihr
Gutachten abzugeben. Sie sollten ferner dem Adel den ausschliesslichen
Besitz der geistlichen Wuerden entziehen; wobei man aus naheliegenden
Ursachen die altlatinischen Priestertuemer der Augurn und Pontifices
den Altroemern liess, aber sie noetigte, das dritte, juengere und einem
urspruenglich auslaendischen Kult angehoerige grosse Kollegium mit den
Neubuergern zu teilen. Sie sollten endlich den geringen Leuten den
Mitgenuss der gemeinen Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern
Erleichterung, den arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung
verschaffen. Beseitigung der Privilegien, buergerliche Gleichheit,
soziale Reform - das waren die drei grossen Ideen, welche dadurch zur
Anerkennung kommen sollten. Vergeblich boten die Patrizier gegen diese
Gesetzvorschlaege ihre letzten Mittel auf; selbst die Diktatur und der
alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu
verzoegern, nicht sie abzuwenden. Gern haette auch das Volk die
Vorschlaege geteilt; was lag ihm am Konsulat und an dem
Orakelbewahreramt, wenn nur die Schuldenlast erleichtert und das
Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die plebejische Nobilitaet nicht
popular; sie fasste die Antraege in einen einzigen Gesetzvorschlag
zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem Kampfe gab endlich der
Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre 387 (367) durch.
Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls - sie fiel auf den
einen der Urheber dieser Reform, den gewesenen Volkstribunen Lucius
Sextius Lateranus - hoerte der Geschlechtsadel tatsaechlich und
rechtlich auf, zu den politischen Institutionen Roms zu zaehlen. Wenn
nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze der bisherige Vorkaempfer
der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse des Kapitols auf
einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem Comitium,
erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten pflegte, ein
Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem Glauben sich
hin, dass er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss des nur zu
lange fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe der neuen
Eintracht der Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung des alten
Kriegs- und Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner langen und
ruhmvollen Laufbahn. Er hatte sich auch nicht ganz geirrt; der
einsichtigere Teil der Geschlechter gab offenbar seitdem die
politischen Sonderrechte verloren und war es zufrieden, das Regiment
mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in der Majoritaet
der Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich nicht.
Kraft des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu
allen Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu
gehorchen, wo sie mit ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten
sich die roemischen Adligen noch verschiedene Male, in offener
Verletzung der vorgetragenen Ordnung, zwei patrizische Konsuln ernennen
zu lassen; wie indes, als Antwort auf eine derartige Wahl fuer das Jahr
411 (343), das Jahr darauf die Gemeinde foermlich beschloss, die
Besetzung beider Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten,
verstand man die darin liegende Drohung und hat es wohl noch
gewuenscht, aber nicht wieder gewagt, an die zweite Konsulstelle zu
ruehren.
Ebenso schnitt sich der Adel nur in das eigene Fleisch durch den
Versuch, den er bei der Durchbringung der Licinischen Gesetze machte,
mittels eines politischen Kipp- und Wippsystems wenigstens einige
Truemmer der alten Vorrechte fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande,
dass das Recht ausschliesslich dem Adel bekannt sei, ward von dem
Konsulat, als dies den Plebejern eroeffnet werden musste, die
Rechtspflege getrennt und dafuer ein eigener dritter Konsul, oder, wie
er gewoehnlich heisst, ein Praetor bestellt. Ebenso kamen die
Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizeigerichte sowie die
Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu ernannte Aedilen, die von ihrer
staendigen Gerichtsbarkeit, zum Unterschied von den plebejischen, die
Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles curules) genannt wurden. Allein die
kurulische Aedilitaet ward sofort den Plebejern in der Art zugaenglich,
dass adlige und buergerliche Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im
Jahre 398 (356) wurde ferner die Diktatur, wie schon das Jahr vor den
Licinischen Gesetzen (386 368), das Reiterfuehreramt, im Jahre 403
(351) die Zensur, im Jahre 417 (337) die Praetur Plebejern uebertragen
und um dieselbe Zeit (415 339) der Adel, wie es frueher in Hinsicht des
Konsulats geschehen war, auch von der einen Zensorstelle gesetzlich
ausgeschlossen. Es aenderte nichts, dass wohl noch einmal ein
patrizischer Augur in der Wahl eines plebejischen Diktators (427 327)
geheime, ungeweihten Augen verborgene Maengel fand und dass der
patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum Schlusse dieser Periode (474
280) nicht gestattete, das feierliche Opfer darzubringen, womit die
Schatzung schloss; dergleichen Schikanen dienten lediglich dazu, die
ueble Laune des Junkertums zu konstatieren. Ebensowenig aenderten etwa
die Quengeleien, welche die patrizischen Vorsitzer des Senats nicht
verfehlt haben werden, wegen der Teilnahme der Plebejer an der Debatte
in demselben zu erheben; vielmehr stellte die Regel sich fest, dass
nicht mehr die patrizischen Mitglieder, sondern die zu einem der drei
hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat, Praetur und kurulischer
Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne Unterschied des Standes
zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien, waehrend diejenigen
Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet hatten, auch jetzt noch
bloss an der Abmehrung teilnahmen. Das Recht endlich des
Patriziersenats, einen Beschluss der Gemeinde als verfassungswidrig zu
verwerfen, das derselbe auszuueben freilich wohl ohnehin selten gewagt
haben mochte, ward ihm durch das Publilische Gesetz von 415 (339) und
durch das nicht vor der Mitte des fuenften Jahrhunderts erlassene
Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst ward, seine etwaigen
konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung der Kandidatenliste
oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu machen; was denn
praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus seine Zustimmung
aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist die Bestaetigung
der Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit der Republik
geblieben.
Laenger behaupteten begreiflicherweise die Geschlechter ihre
religioesen Vorrechte; ja an manche derselben, die ohne politische
Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschliessliche Waehlbarkeit
zu den drei hoechsten Flaminaten und dem sacerdotalen Koenigtum sowie
in die Genossenschaften der Springer, hat man niemals geruehrt. Dagegen
waren die beiden Kollegien der Pontifices und der Augurn, an welche ein
bedeutender Einfluss auf die Gerichte und die Komitien sich knuepfte,
zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der Patrizier haetten bleiben
koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454 (300) eroeffnete denn auch
in diese den Plebejern den Eintritt, indem es die Zahl der Pontifices
und der Augurn beide von sechs auf neun vermehrte und in beiden
Kollegien die Stellen zwischen Patriziern und Plebejern gleichmaessig
teilte.
Den letzten Abschluss des zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch
einen gefaehrlichen Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators
Q. Hortensius (465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten
die unbedingte Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und
derjenigen der Plebs aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse
umgewandelt, dass derjenige Teil der Buergerschaft, der einst allein
das Stimmrecht besessen hatte, seitdem bei der gewoehnlichen Form der
fuer die gesamte Buergerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal
mehr mitgefragt ward.
Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war damit
im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden
Vorrechten noch den tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der
einen Zensorstelle bewahrte, so war er dagegen vom Tribunat, der
plebejischen Aedilitaet, von der zweiten Konsul- und Zensorstelle und
von der Teilnahme an den rechtlich den Buergerschaftsabstimmungen
gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen; in
gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens
hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in ebenso
viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel
ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen
geworden war. Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner
und ausschliesslicher entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die
Hoffart der “Ramner” hat das letzte ihrer Standesprivilegien um
Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, “das
Konsulat aus dem plebejischen Kote zu ziehen”, und sich endlich
widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser Leistung hatte ueberzeugen
muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen sein Adeltum zur
Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und sechsten
Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht
vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu
aergern, aber dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre
nach dem Ogulnischen Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt
dieser Art vor: eine patrizische Frau, welche an einen vornehmen und zu
den hoechsten Wuerden der Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war,
wurde dieser Missheirat wegen von dem adligen Damenkreise ausgestossen
und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen; was denn zur
Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere adlige und eine
besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne Zweifel
kam es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der
bessere Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen
Verdriesslichkeitspolitik durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des
Missbehagens liess sie doch auf beiden Seiten zurueck, und wenn der
Kampf der Gemeinde gegen die Geschlechter an sich eine politische und
selbst eine sittliche Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange
nachzitternden Schwingungen desselben, sowohl die zwecklosen
Nachhutgefechte nach der entschiedenen Schlacht als auch die leeren
Rang- und Standeszaenkereien, das oeffentliche und private Leben der
roemischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerruettet.
Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen
der Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die
Beseitigung des Patriziats, im wesentlichen vollstaendig erreicht. Es
fragt sich weiter, inwiefern dies auch von den beiden positiven
Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob die neue Ordnung der
Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die politische
Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander zusammen; denn
wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand aufzehrte und die
Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein notleidendes
Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit damit
zugleich vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache nach
zerstoert. Die Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich der
Bauernschaft, war darum fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms nicht
bloss eine wichtige, sondern von allen die wichtigste Aufgabe. Die neu
zum Regiment berufenen Plebejer aber waren ueberdies noch, da sie zum
guten Teil die gewonnenen Rechte dem notleidenden und von ihnen Hilfe
erhoffenden Proletariat verdankten, politisch und sittlich besonders
verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem Wege moeglich
war, durch Regierungsmassregeln zu helfen.
Betrachten wir zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der
Gesetzgebung von 387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass
die Bestimmung zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der
Gross- und Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern
wenigstens einen Teil der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen
konnte, leuchtet ein; aber hier konnte auch die Gesetzgebung nicht
helfen, ohne an den Fundamenten der buergerlichen Ordnung jener Zeit in
einer Weise zu ruetteln, die ueber den Horizont derselben weit
hinausging. In der Domanialfrage dagegen waere es den Gesetzgebern
moeglich gewesen, Wandel zu schaffen; aber was geschah, reichte dazu
offenbar nicht aus. Indem die neue Domaenenordnung die Betreibung der
gemeinen Weide mit schon sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation
des nicht zur Weide ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch
gegriffenen Maximalsatz gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen
bedeutenden und vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an
dem Domaenenertrag ein und verlieh durch die letztere Anordnung dem
Domanialbesitz, obgleich er rechtlich zehntpflichtig und beliebig
widerruflich blieb, sowie dem Okkupationssystem selbst gewissermassen
eine gesetzliche Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass die neue
Gesetzgebung weder die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten
zur Eintreibung des Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere
Zwangsmassregeln ersetzte, noch eine durchgreifende Revision des
Domanialbesitzes vorschrieb, noch eine mit der Ausfuehrung der neuen
Gesetze beauftragte Behoerde einsetzte. Die Aufteilung des vorhandenen
okkupierten Domaniallandesteils unter die Inhaber bis zu einem billigen
Maximalsatz, teils unter die eigentumslosen Plebejer, beiden aber zu
vollem Eigentum, die Abschaffung des Okkupationssystems fuer die
Zukunft und die Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung kuenftiger
neuer Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch die
Verhaeltnisse so deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an
Einsicht war, wenn diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man
kann nicht umhin, sich daran zu erinnern, dass die plebejische
Aristokratie, also eben ein Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen
tatsaechlich privilegierten Klasse es war, welche die neue Ordnung
vorgeschlagen hatte, und dass einer ihrer Urheber selbst, Gaius
Licinius Stolo, unter den ersten wegen Ueberschreitung des Ackermaximum
Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage vorzulegen,
ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der
wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der leidigen Domanialfrage absichtlich
aus dem Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt
werden, dass die Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun
waren, dem kleinen Bauern und dem Tageloehner wesentlich nuetzen
konnten und genuetzt haben. Es muss ferner anerkannt werden, dass in
der naechsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die Behoerden ueber die
Maximalsaetze desselben wenigstens vergleichungsweise mit Strenge
gewacht und die grossen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten
oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben.
Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer
Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet,
soweit gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der
Volkswirtschaft zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von
fuenf vom Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen
davon, dass sie der nicht wuenschenswerten Vermehrung der
Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die
Reichen gelegte roemische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen
aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln aufgestellt
hatten, wurden erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das
Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf
fuenf vom Hundert (407 347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt
und endlich (412 342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere
toerichte Gesetz blieb formell in Kraft; vollzogen aber ward es
natuerlich nicht, sondern der spaeter uebliche Zinsfuss von eins vom
Hundert fuer den Monat oder zwoelf vom Hundert fuer das buergerliche
Gemeinjahr, der nach den Geldverhaeltnissen des Altertums ungefaehr
damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder
sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das
Maximum der angemessenen Zinsen festgestellt haben. Fuer hoehere
Betraege wird die Einklagung versagt und vielleicht auch die
gerichtliche Rueckforderung gestattet worden sein; ueberdies wurden
notorische Wucherer nicht selten vor das Volksgericht gezogen und von
den Quartieren bereitwillig zu schweren Bussen verurteilt. Wichtiger
noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das Poetelische Gesetz
(428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem Schuldner, der
seine Zahlungsfaehigkeit eidlich erhaertete, gestattet, durch Abtretung
seines Vermoegens seine persoenliche Freiheit sich zu retten, teils das
bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft
und festgestellt, dass kein roemischer Buerger anders als auf den
Spruch von Geschworenen hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden
koenne.
Dass alle diese Mittel die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse
wohl hie und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein;
den fortdauernden Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission
zur Regulierung der Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von
Vorschuessen aus der Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung
gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen
der gefaehrliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk,
nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte
erreichen koennen, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein
rechtzeitiger Angriff der aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen
Gesetz enthaltenen Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden
wiedergaben. Indes ist es sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen
Versuchen, der Verarmung des Mittelstandes zu steuern, ihre
Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die Anwendung partialer und
palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer nutzlos zu erklaeren,
weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der
Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird,
aber darum nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich umgekehrt
fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals schon dieser
Angelegenheit bemaechtigt gehabt und ob es wirklich so gewaltsamer und
gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die Kuerzung der
gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht aus, um
hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug erkennen
wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer bedrohten und
bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von oben herab
vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm durch
Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das
aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu
schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um
durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand,
durch die voellige und rueckhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems
der Staatslaendereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen
Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, dass sie die
gedrueckte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute.
Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder
konnte, brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der
roemischen Gemeinde und die allmaehlich sich befestigende Herrschaft
der Roemer ueber Italien. Die vielen und grossen Kolonien, die zu deren
Sicherung gegruendet werden mussten und von denen die Hauptmasse im
fuenften Jahrhundert ausgefuehrt wurde, verschafften dem ackerbauenden
Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluss auch
den Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten
und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage der
roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei,
von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu
erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar
verloren, so musste der steigende Durchschnittssatz des roemischen
Wohlstandes die bisherigen groesseren Grundbesitzer in Bauern
verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zufuehren.
Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die grossen
neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg und den
Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss
herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam dem
Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem
vereinigte eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden
mit der roemischen und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand;
endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die
Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch
keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden, so
leidet es doch keinen Zweifel, dass am Schlusse dieser Periode der
roemische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrueckten Lage
sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Koenige.
Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre
387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne
allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als
die Patrizier noch in der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie
untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden
hatten, so gab es jetzt wieder in der erweiterten Buergerschaft dem
Gesetze gegenueber keinen willkuerlichen Unterschied. Diejenigen
Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht,
Bildung und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit
Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das
Gemeindeleben; allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der
Regierung wirkten gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig
hervortreten zu lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus,
die Buerger durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden,
geniale Naturen aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der
Roemer hielt mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht
Schritt und ward instinktmaessig von oben herab mehr zurueckgehalten
als gefoerdert. Dass es Reiche und Arme gab, liess sich nicht
verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde fuehrte der Bauer
wie der Tageloehner selber den Pflug und galt auch fuer den Reichen die
gut wirtschaftliche Regel, gleichmaessig sparsam zu leben und vor allem
kein totes Kapital bei sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem
Opferschaelchen sah man Silbergeraet in dieser Zeit in keinem
roemischen Hause. Es war das nichts Kleines. Man spuert es an den
gewaltigen Erfolgen, welche die roemische Gemeinde in dem Jahrhundert
vom letzten Veientischen bis auf den Pyrrhischen Krieg nach aussen hin
errang, dass hier das Junkertum der Bauernschaft Platz gemacht hatte,
dass der Fall des hochadligen Fabiers nicht mehr und nicht weniger von
der ganzen Gemeinde betrauert worden waere als der Fall des
plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, dass
auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein
armer Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den Koenig Pyrrhos in
der Feldschlacht ueberwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne
darum aufzuhoeren, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein
Brotkorn selber zu bauen.
Indes darf es ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit
nicht uebersehen werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art
war und aus derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie
nicht so sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten
war. Schon laengst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen
Familien von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuss der
senatorischen Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge
unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem
Patriziat verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen
Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den
gemeinen Mann vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem
unabaenderlichen Rechts- in ein nicht unuebersteigliches, aber doch
schwer zu uebersteigendes tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie
dem anderen Wege kam frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber
an sich blieb nach wie vor das Regiment aristokratisch und auch in
dieser Hinsicht die roemische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher
der reiche Vollhufener zwar aeusserlich von dem armen Insten sich wenig
unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber
nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmaechtig regiert, dass der
Unbemittelte weit eher in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe
Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, dass nach der neuen
Gesetzgebung auch der aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt
bekleiden durfte; aber darum war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine
seltene Ausnahme, dass ein Mann aus den unteren Schichten der
Bevoelkerung dazu gelangte ^4, sondern es war wenigstens gegen den
Schluss dieser Periode wahrscheinlich schon nur moeglich mittels einer
Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine
entsprechende Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle
Gleichstellung der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der
neue Herrenstand das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich
auf denselben pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so
blieb auch die Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stuecken
das gleiche. Da die Zuruecksetzung jetzt nicht mehr die Buergerlichen,
sondern den gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von
vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und namentlich der
kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat
anschloss, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen
Opposition mit den letzten Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien
zusammen. Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen roemischen
Volksfuehrer sind Manius Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274;
Zensor 481 273) und Gaius Fabricius (Konsul 472, 476, 481, 282, 278,
273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und nichtwohlhabende Maenner,
beide - gegen das aristokratische Prinzip, die Wiederwahl zu dem
hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder dreimal durch die Stimmen
der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als
Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und
Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der
vornehmen Haeuser. Die kuenftigen Parteien zeichnen schon sich vor;
aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls
das der Partei. Der adlige Appius Claudius und der Bauer Manius Curius,
dazu noch heftige persoenliche Gegner, haben durch klugen Rat und
kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam ueberwunden; und wenn Gaius
Fabricius den aristokratisch gesinnten und aristokratisch lebenden
Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen bestrafte, so hielt ihn
dies nicht ab, demselben seiner anerkannten Feldherrntuechtigkeit wegen
zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss war wohl schon da; aber
noch reichten die Gegner sich ueber ihm die Haende.
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^4 Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen
Anekdotenbuechern der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht
grossenteils auf Missverstaendnis teils des alten sparsamen
Wirtschaftens, welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand
vertraegt, teils der alten schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem
Ertrag von Pfennigkollekten zu bestatten, was durchaus keine
Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische Beinamenerklaerung,
die so viel Plattheiten in die roemische Geschichte gebracht hat, hat
hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus).
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Die Beendigung der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die
verschiedenartigen und verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem
Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen buergerlichen
Gleichheit bereits hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen
aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also
dargestellt worden. Es bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter
diesen Veraenderungen das neue Regiment sich konstituierte, und wie
nach der politischen Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des
republikanischen Gemeinwesens, Buergerschaft, Magistratur und Senat,
gegeneinander sich stellten.
Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie
vor die hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale Souveraen;
nur wurde gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den ein fuer
allemal den Zenturien ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich den
Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten ebenso
gueltig sein solle wie die nach Zenturien, was fuer die
patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von
305 (449) einfuehrte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, fuer
die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287)
verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen
stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch, dass,
abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der plebejischen
Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung alle
Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den
Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem
Vermoegen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die
erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit
groesserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Periode die
uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansaessigkeit, zum erstenmal in
Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kuehnste Neuerer,
den die roemische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312),
ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Buergerliste so an, dass
der nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann
nach seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward.
Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um
vollstaendig Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des
Appius, der beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus,
uebernahm es in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu
beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass den
Grundsaessigen und Vermoegenden effektiv die Herrschaft in den
Buergerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsaessigen Leute
saemtlich in die vier staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im
Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl
zwischen den Jahren 367 (241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn
bis auf einunddreissig stieg, also die von Haus aus bei weitem
ueberwiegende und immer mehr das Uebergewicht erhaltende Majoritaet der
Stimmabteilungen, wurden den saemtlichen ansaessigen Buergern
gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der
Gleichstellung der ansaessigen und nichtansaessigen Buerger, wie Appius
sie eingefuehrt hatte. Auf diese Weise ward dafuer gesorgt, dass in den
Tributkomitien die Ansaessigen ueberwogen, waehrend fuer die
Zenturiatkomitien an sich schon die Vermoegenden den Ausschlag gaben.
Durch diese weise und gemaessigte Festsetzung eines Mannes, der seiner
Kriegstaten wegen wie mehr noch wegen dieser seiner Friedenstat mit
Recht den Beinamen des Grossen (Maximus) erhielt, ward einerseits die
Wehrpflicht wie billig auch auf die nicht ansaessigen Buerger
erstreckt, anderseits dafuer Sorge getragen, dass in der
Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere dem der meistenteils
des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel
vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zulaesst, ein
leider unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein eigentuemliches
Sittengericht, das allmaehlich an die Schatzung und die Aufnahme der
Buergerliste sich anknuepfte, schloss ueberdies aus der Buergerschaft
alle notorisch unwuerdigen Individuen aus und wahrte dem Buergertum die
sittliche und politische Reinheit.
Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber
sehr allmaehlich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu
waehlenden Magistrate gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist
es besonders, dass seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit
443 (311) je vier in jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom
Feldherrn, sondern von der Buergerschaft ernannt wurden. In die
Administration griff waehrend dieser Periode die Buergerschaft im
ganzen nicht ein; nur das Recht der Kriegserklaerung wurde von ihr, wie
billig, mit Nachdruck festgehalten und namentlich auch fuer den Fall
festgestellt, wo ein an Friedens Statt abgeschlossener laengerer
Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich, aber tatsaechlich ein
neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine Verwaltungsfrage fast nur
dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden Behoerden unter sich in
Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das Volk brachte -
so, als den Fuehrern der gemaessigten Partei unter dem Adel, Lucius
Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten
plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat
die verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des
Jahres 459 (295) ueber ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander
sich einigen konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die
Auslieferung eines pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier
beschloss und ein Konsulartribun deswegen an die Gemeinde sich wandte -
es war dies der erste Fall, wo ein Senatsbeschluss vom Volke kassiert
ward, und schwer hat ihn die Gemeinde gebuesst. Zuweilen gab auch die
Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die Entscheidung anheim: so
zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg erklaert hatte, ehe
dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und spaeter, als der
Senat den demuetig von den Samniten erbetenen Frieden ohne weiteres
abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser
Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der
Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich
Befragung derselben bei Friedensschluessen und Buendnissen; es ist
wahrscheinlich, dass diese zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz von
467 (287).
Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Buergerversammlungen
begann der praktische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten
vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor
allem die Ausdehnung der roemischen Grenzen entzog der Urversammlung
ihren richtigen Boden. Als Versammlung der Gemeindesaessigen konnte sie
frueher recht wohl in genuegender Vollzaehligkeit sich zusammenfinden
und recht wohl missen, was sie wollte, auch ohne zu diskutieren; aber
die roemische Buergerschaft war jetzt schon weniger Gemeinde als Staat.
Dass die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten, brachte
allerdings in die roemischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren
gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die
Abstimmung hier und da Energie und Selbstaendigkeit; in der Regel aber
waren doch die Komitien in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer
Entscheidung teils von der Persoenlichkeit des Vorsitzenden und vom
Zufall abhaengig, teils den in der Hauptstadt domizilierten Buergern in
die Haende gegeben. Es ist daher vollkommen erklaerlich, dass die.
Buergerversammlungen, die in den beiden ersten Jahrhunderten. der
Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit haben, allmaehlich
beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden Beamten zu
werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der zum Vorsitz berufenen
Beamten so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der
legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung
aber der verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft war insofern
nicht viel gelegen, als diese weniger als frueher eines eigenen Wollens
und Handelns faehig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom
noch nicht gab - haette eine solche damals bestanden, so wuerde sie
versucht haben, nicht die Kompetenz der Buergerschaft zu erweitern,
sondern die politische Debatte vor der Buergerschaft zu entfesseln,
waehrend es doch bei den alten Satzungen, dass nur der Magistrat die
Buerger zur Versammlung zu berufen und dass er jede Debatte und jede
Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei, unveraendert sein
Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerruettung der
Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen
sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder
foerdernd noch stoerend eingriffen.
Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade
das Ziel der zwischen Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl
aber eine ihrer wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen
Kaempfe, das heisst des Streites um den Besitz der konsularischen
Gewalt, war das Konsulat noch die einige und unteilbare wesentliche
koenigliche Amtsgewalt gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der
Koenig noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an
Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit,
Strassenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und
Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt und an Beamte uebergegangen,
die gleich dem Konsul von der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr
neben als unter ihm standen. Das Konsulat, sonst das einzige
ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr einmal unbedingt das
erste: in der neu sich feststellenden Rang- und gewoehnlichen
Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat zwar ueber Praetur,
Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem Einschaetzungsamt, an das
ausser den wichtigsten finanziellen Geschaeften die Feststellung der
Buerger-, Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus
willkuerliche sittliche Kontrolle ueber die gesamte Gemeinde und jeden
einzelnen, geringsten wie vornehmsten Buerger gekommen war. Der dem
urspruenglichen roemischen Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts
unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten Beamtengewalt oder der
Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und zerfetzte und zerstoerte den
aelteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen Anfang dazu machte
schon die Einsetzung der staendigen Nebenaemter, namentlich der
Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt ward sie durch die Licinischen
Gesetze (387 367), welche von den drei hoechsten Beamten der Gemeinde
die ersten beiden fuer Verwaltung und Kriegfuehrung, den dritten fuer
die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen.
Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus und ueberall konkurrierten,
teilten doch natuerlich seit aeltester Zeit tatsaechlich die
verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae) unter sich. Urspruenglich
war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren Ermangelung
durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die anderen
konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen
Kompetenzbestimmungen ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer
Jahr die Geschaeftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter
die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und
Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Aeussersten
Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluss, der die
Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen
bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die
wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse,
den Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat zu
rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den
aeussersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt
suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie
tatsaechlich verletzten Uebung der Eintritt der Diktatur lediglich von
dem Beschluss des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden
Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem ernennenden Konsul, doch der
Sache nach in der Regel bei dem Senat stand.
Laenger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und
Rechtsfuelle des Imperium enthalten; obwohl sie natuerlich als
ausserordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine
Spezialkompetenz hatte, gab es doch rechtlich eine solche fuer den
Diktator noch weit weniger als fuer den Konsul. Indes auch sie ergriff
allmaehlich der neu in das roemische Rechtsleben eintretende
Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet ein aus theologischem
Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer religioesen Zeremonie
ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne Zweifel formell
verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig behandelte
und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so wiederholte bei den
spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen, die zuerst 403 (351)
und seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition der Magistratur
sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre
Spezialkompetenzen sich gebunden.
Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung
ordentlicher kurulischer Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift,
dass derselbe Mann dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer
zehnjaehrigen Zwischenzeit solle verwalten koennen, sowie in der
spaeteren Bestimmung, dass das tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur,
ueberhaupt nicht zum zweitenmal bekleidet werden duerfe (489 265),
weitere sehr empfindliche Beschraenkungen der Magistratur. Doch war die
Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fuerchten und
darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere
Offiziere wurden sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden ^5, und
es kamen noch Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in
achtundzwanzig Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius
Corvus (384-483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das
erste im dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre,
verwaltet und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und
der Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr.
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^5 Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht,
wird an der Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl
zum Konsulat nicht zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die
Wiederbekleidung des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so
haeufig sind nachher die Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber.
Doch finden sich, namentlich waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443
(320-311), Ausnahmen in sehr grosser Zahl. Streng hielt man dagegen an
der Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es findet sich kein sicheres
Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv.
39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet), wohl aber
von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet und
des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur
(Fast. Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des
Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).
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Waehrend also der roemische Beamte immer vollstaendiger und immer
bestimmter aus dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen
Auftragnehmer und Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte,
unterlag die alte Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig
einer gleichartigen mehr innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung.
Dasselbe diente im Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von
Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine
gewissermassen revolutionaere Hilfsleistung (auxilium) gegen den
gewalttaetigen Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin
gebraucht worden, um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen
und die Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war
erreicht. Der urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein
demokratisches Ideal als eine politische Moeglichkeit, sondern auch der
plebejischen Aristokratie, in deren Haenden das Tribunat sich befinden
musste und befand, vollkommen ebenso verhasst und mit der neuen, aus
der Ausgleichung der Staende hervorgegangenen, womoeglich noch
entschiedener als die bisherige aristokratisch gefaerbten,
Gemeindeordnung vollkommen ebenso unvertraeglich, wie es dem
Geschlechtsadel verhasst und mit der patrizischen Konsularverfassung
unvertraeglich gewesen war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog
man vor, es aus einem Ruestzeug der Opposition in ein Regierungsorgan
umzuschaffen und zog die Volkstribune, die von Haus aus von aller
Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen und weder Beamte noch
Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den Kreis der regierenden
Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von Anfang an den Konsuln
gleichstanden und schon in den ersten Stadien der staendischen Kaempfe
gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so empfingen sie
jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder bald
nach der schliesslichen Ausgleichung der Staende, gleiche Stellung mit
den Konsuln gegenueber der tatsaechlich regierenden Behoerde, dem
Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an der Tuer sitzend, der
Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den
uebrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und das Recht, bei der
Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt
blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des
roemischen Staatsrechts, dass den Rat nur gab, wer zur Tat nicht
berufen war und also saemtlichen funktionierenden Beamten waehrend
ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam. Aber es
blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht
der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur
den Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln,
zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es war das
nur in der Ordnung: die Haeupter der plebejischen Aristokratie mussten
denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das
Regiment von dem Gesellschaftsadel uebergegangen war auf die vereinigte
Aristokratie. Indem dieses urspruenglich von aller Teilnahme an der
Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich
fuer die eigentlich staedtischen Angelegenheiten, eine zweite hoechste
Exekutivstelle ward und eines der gewoehnlichsten und brauchbarsten
Organe der Regierung, dass heisst des Senats, um die Buergerschaft zu
lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es
allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und politisch
vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die
Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen
Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der
aristokratischen Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des
Tribunats zusammenhaengt, so kann doch nicht verkannt werden, dass auf
die Laenge sich nicht mit einer Behoerde regieren liess, welche nicht
bloss zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden
Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern
zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer eigentlich
anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt
selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle
Ohnmacht der Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der
Roemer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man
braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, dass
dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die Menge entspringende
Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht beseitigt
werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher
Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen
die Sache zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten Kern
nach revolutionaeren Magistratur blieb immer noch innerhalb des
aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und
fuer die Zukunft, in den Haenden einer dereinstigen Umsturzpartei, eine
schneidende und gefaehrliche Waffe; indes fuer jetzt und noch auf lange
hinaus war die Aristokratie so unbedingt maechtig und so vollstaendig
im Besitz des Tribunats, dass von einer kollegialischen Opposition der
Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die
Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen
einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der Regel durch das
Tribunat selbst Herr ward.
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^6 Daher werden die fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an
Konsuln, Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und
sonst).
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In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne
Widerstand seit der Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung
selbst war eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten,
wie es nach Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser
Hinsicht stattgefunden hatte, hatte schon mit der Abschaffung der
lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche
Beschraenkungen erfahren.
Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt
erfolgte durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den
hoechsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf
die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher,
auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten,
einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben
wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschliessen, wo nicht
eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer formuliert ^7 und somit jenes
eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem das hohe Ansehen der
Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen konnten, da zumal
beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen, einzelne
der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden
Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie selbst
in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen.
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^7 Diese Befugnis sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der
Buergerliste waren wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren
beigelegt, lagen aber tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das
Buergerrecht vergibt die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in
dem Verzeichnis der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere
Stelle anweist, der verliert das Buergerrecht nicht, kann aber die
buergerlichen Befugnisse nicht oder nur an dem geringeren Platz
ausueben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso verhaelt es sich
mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste auslaesst, der scheidet
aus demselben, solange die betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt
vor, dass der vorsitzende Beamte sie verwirft und die aeltere Liste
wieder in Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so
sehr darauf an, was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei
denjenigen Beamten, welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre
Autoritaet vermochte. Daher begreift man, wie diese Befugnis
allmaehlich stieg und wie mit der steigenden Konsolidierung der
Nobilitaet dergleichen Streichungen gleichsam die Form richterlicher
Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert wurden.
Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne
Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt,
dass die Zensoren “aus allen Rangklassen die Besten” in den Senat
nehmen sollten.
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Entscheidend aber beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um
die Mitte dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen
Gesetzen durchgegangen ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem
Ermessen zu konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Aedil,
Praetor oder Konsul gewesen war, sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im
Senat verlieh und die naechst eintretenden Zensoren verpflichtete,
diese Expektanten entweder foermlich in die Senatorenliste
einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gruenden, welche auch zur
Ausstossung des wirklichen Senators genuegten, von der Liste
auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate
bei weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von
dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man, besonders da die
Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen.
So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein bedeutender
Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung eines Amtes,
sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren - haeufig
diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt verwaltet
oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im
Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten - zwar an
der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und
derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich
konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen
nicht mehr auf der Willkuer eines Beamten, sondern mittelbar auf der
Wahl durch das Volk; und die roemische Gemeinde war auf diesem Wege
zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit, dem repraesentativen
Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, waehrend
die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte, was bei
regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine
kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber
schweigender Mitglieder.
Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der Senat
huetete sich wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen oder
offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition
Handhaben darzubieten; er liess es sogar geschehen, wenn er es auch
nicht foerderte, dass die Buergerschaftskompetenz im demokratischen
Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Buergerschaft den Schein, so
erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluss auf
die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte
Gemeinderegiment.
Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum
wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen
Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der
Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation
eine lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im
Keime zu ersticken oder nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten
Fall hatte er als oberste Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch
die Nichtausfuehrung der Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der
Senat ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht
in Anspruch, in dringenden Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation
durch Buergerschaftsbeschluss, von den Gesetzen zu entbinden - ein
Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmaehlich so
vollstaendig zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer Zeit sich
nicht einmal mehr die Muehe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluss
zu beantragen.
Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden
und von politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den
Senat; auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das
Recht, den Diktator zu bestellen. Groessere Ruecksicht masste
allerdings auf die Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht
nicht entzogen werden, die Gemeindeaemter zu vergeben; doch ward, wie
gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfaeltig darueber gewacht, dass
diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen,
namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen,
uebergehe. Ueberdies brachte teils der neu eingefuehrte
Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsaechlich zugestandene Recht,
von den Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Aemterbesetzung
in die Haende des Senats. Von dem Einfluss, den der Senat auf die
Feststellung der Geschaeftskreise namentlich der Konsuln ausuebte, ist
schon die Rede gewesen. Von dem Dispensationsrecht war eine der
wichtigsten Anwendungen die Entbindung des Beamten von der gesetzlichen
Befristung seines Amtes, welche zwar, als den Grundgesetzen der
Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht in dem eigentlichen
Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb desselben
wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die Frist
verlaengert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, “an Konsul” oder
“Praetor Statt” (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natuerlich
stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende
Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward
anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447
(307) und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch
blossen Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der
uebermaechtige und klug vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die
Wahlen, welcher dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der
Regierung genehmen Kandidaten lenkte.
Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und
Buendnis, Kolonialgruendung, Ackerassignation, Bauwesen, ueberhaupt
jede Angelegenheit von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und
namentlich das gesamte Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war
es, der Jahr fuer Jahr den Beamten in der Feststellung ihrer
Geschaeftskreise und in der Limitierung der einem jeden zur Verfuegung
zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine Instruktion gab, und an
ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Faellen rekurriert: keinem
Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten durften die
Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach vorgaengigem
Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der laufenden Angelegenheiten und
in die richterliche und militaerische Spezialverwaltung mischte das
hoechste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel politischer
Sinn und Takt in der roemischen Aristokratie, um die Leitung des
Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das
Werkzeug in eine Maschine verwandeln zu wollen.
Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden
Formen eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens in sich
schloss, leuchtet ein; dass die freie Taetigkeit der Buergerschaft
stockte und erstarrte und die Beamten zu Sitzungspraesidenten und
ausfuehrenden Kommissarien herabsanken, dass ein durchaus nur
beratendes Kollegium die Erbschaft beider verfassungsmaessiger Gewalten
tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen, die Zentralregierung
der Gemeinde ward, war revolutionaer und usurpatorisch. Indes wenn jede
Revolution und jede Usurpation durch die ausschliessliche Faehigkeit
zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt
erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil es anerkennen, dass diese
Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und wuerdig erfuellt
hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern
wesentlich durch die freie Wahl der Nation; bestaetigt von vier zu vier
Jahren durch das strenge Sittengericht der wuerdigsten Maenner; auf
Lebenszeit im Amte und nicht abhaengig von dem Ablauf des Mandats oder
von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen
seit der Ausgleichung der Staende; alles in sich schliessend, was das
Volk besass von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde;
unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen Fragen und in der
Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive vollkommen beherrschend
durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung
des staendischen Haders dienstbar gewordene tribunizische Interzession,
war der roemische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in
Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in
Machtfuelle und sicherem Mut die erste politische Koerperschaft aller
Zeiten - auch jetzt noch “eine Versammlung von Koenigen”, die es
verstand, mit republikanischer Hingebung despotische Energie zu
verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und wuerdiger vertreten
worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren
Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, dass die im Senat
vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre
Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und
dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier haeufig von
ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der grosse,
in schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische
Buerger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die
daraus sich ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst
des Eintritts in den Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz
der militaerischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale
Eintracht und nahmen dem Unterschied der Staende jene Erbitterung und
Gehaessigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und
da die glueckliche Wendung der aeusseren Politik es mit sich brachte,
dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum fuer sich
fanden, ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so hat das
roemische Volk in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke
verstattet zu sein pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke
durchzufuehren vermocht, eine weise und glueckliche Selbstregierung.
KAPITEL IV.
Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.
Nachdem die Entwicklung der roemischen Verfassung waehrend der zwei
ersten Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die aeussere
Geschichte Roms und Italiens wieder zurueck in den Anfang dieser
Epoche. Um diese Zeit, als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden,
stand die etruskische Macht auf ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf
der Tyrrhenischen See besassen unbestritten die Tusker und die mit
ihnen eng verbuendeten Karthager. Wenn auch Massalia unter steten und
schweren Kaempfen sich behauptete, so waren dagegen die Haefen
Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von
Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gruendeten
durch die vollstaendige Eroberung der Insel (um 260 500) die Soehne des
karthagischen Feldherrn Mago die Groesse zugleich ihres Hauses und
ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phoeniker waehrend der
inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche Anfechtung
den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder beherrschten die Schiffe der
Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den oestlichen Gewaessern
waren ihre Kaper gefuerchtet.
Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen
Landschaft zu gewinnen, war fuer Etrurien, das von den volskischen in
seiner Klientel stehenden Staedten und von seinen kampanischen
Besitzungen allein durch die Latiner geschieden war, von der
entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das feste Bollwerk der
roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die Tibergrenze mit
Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte tuskische Bund,
die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats nach der
Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig Lars
Porsena von Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte, fand
er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im
Frieden (angeblich 247 507) nicht bloss alle Besitzungen am rechten
Tiberufer an die naechstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also
die ausschliessliche Herrschaft ueber den Strom auf, sondern lieferte
auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des
Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die
Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern.
Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und
karthagischen Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward
gluecklich abgewendet durch das Zusammenhalten der durch
Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame Gefahr aufeinander
angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das etruskische Heer, das nach
Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die
Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern
zur Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir wissen nicht, wie der
Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den
verderblichen und schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist nur, dass
die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd zu
behaupten nicht vermochten.
Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch
entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens
genoetigt. Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier
zu dem Grosskoenig fuehrte auch Karthago in die Bahnen der persischen
Politik - wie denn selbst ein Buendnis zwischen den Karthagern und
Xerxes glaubwuerdig ueberliefert ist - und mit den Karthagern die
Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen Kombinationen, die
gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die
phoenikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und
die Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb
den Hellenen. Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und
raechte das eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt
- besiegten die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das
ungeheure Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei
Himera so vollstaendig, dass der Krieg damit zu Ende war und die
Phoeniker, die damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz
Sizilien fuer eigene Rechnung sich zu unterwerfen, zurueckkehrten zu
ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den grossen
Silberstuecken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons,
Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug
geschlagen wurden, und die spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden
und tapferen Koenigs von Syrakus und des herrlichen, von Simonides
gefeierten Sieges.
Die naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der
Seeherrschaft ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr
von Rhegion und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge
durch eine stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden
Sieg erfochten bald darauf die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme
(280 474) ueber die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich
Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der
ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden,
den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: “Hiaron des
Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma” ^1.
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^1 Fιάρον ο Διομένεος καί τοί Συρακόσιοι τοί Δί' Τύραν' από Κύμας.
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Waehrend diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus
an die Spitze der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den
italischen Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige
aus Rom (243 511) das achaeische Sybaris untergegangen war, das
dorische Tarent sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare
Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste,
die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur,
aehnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des
Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an
spielen nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in
den italischen Gewaessern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer
die Tarentiner, im Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner,
und namentlich die letzteren beschraenkten mehr und mehr das
etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme
die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die Verbindung zwischen
den kampanischen und den noerdlichen Etruskern unterbrochen. Um das
Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen Piraterie
gruendlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die Insel
Korsika und die etruskische Kueste verheerte und die Insel Aethalia
(Elba) besetzte. Ward man auch nicht voellig Herr ueber die
etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn das Kaperwesen zum Beispiel
in Antium bis in den Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt
fortgedauert zu haben scheint -, so war doch das maechtige Syrakus ein
starkes Bollwerk gegen die verbuendeten Tusker und Phoeniker. Einen
Augenblick freilich schien es, als muesse die syrakusische Macht
gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug gegen Syrakus im Lauf
des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die Etrusker, die alten
Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern unterstuetzten. Allein
der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den Dorern. Nach
dem schmaehlichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus so
unbestritten die erste griechische Seemacht, dass die Maenner, die dort
an der Spitze des Staates standen, die Herrschaft ueber Sizilien und
Unteritalien und ueber beide Meere Italiens ins Auge fassten; wogegen
anderseits die Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt
ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer Seite die Ueberwaeltigung der
Syrakusaner und die Unterwerfung der ganzen Insel zum Ziel ihrer
Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der sizilischen
Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der Insel,
die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen, koennen hier nicht
erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte gegen dies der neue
Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten
Schlaege. Der weitstrebende Koenig gruendete seine neue Kolonialmacht
vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen noerdlichere Gewaesser
jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht untertan wurden. Um das
Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte Dionysios an der illyrischen
Kueste den Hafen Lissos und die Insel Issa, an der italischen die
Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das Andenken an die
syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten nicht
bloss die “Graeben des Philistos”, ein ohne Zweifel von dem bekannten
Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner
Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der
Pomuendung; auch die veraenderte Benennung des italischen Ostmeers
selbst, wofuer seitdem anstatt der aelteren Benennung des Ionischen
Busens die heute noch gangbare des “Meeres von Hadria” vorkommt, geht
wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurueck ^2. Aber nicht zufrieden
mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und Handelsverbindungen der
Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die Erstuermung und
Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri (369 385 die
etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch sich
nicht wieder erholt. Als nach Dionysios’ Tode die inneren Unruhen in
Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im
Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen
Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den
Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444 (310)
Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn
tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer
Korsika fuerchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die
alte tuskisch-phoenikische Symmachie, die noch zu Aristoteles’ Zeit
(370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwaeche der
Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben.
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^2 Hekataeos († nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345
484-409) kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe
bespuelende Meer (K. O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S.
140; GGM 1, p. 23). In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des
Hadriatischen Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt
(336).
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Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde
unerklaerlich sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo
die sizilischen Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen
Seiten her die schwersten Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der
Schlachten von Salamis, Himera und Kyme ward, dem Berichte der
roemischen Annalen zufolge, zwischen Rom und Veii ein vieljaehriger und
heftiger Krieg gefuehrt (271-280 483-474). Die Roemer erlitten in
demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die
Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich
freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze
gegen Etrurien uebernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf
den letzten waffenfaehigen Mann niedergehauen wurden. Allein der
Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens den Krieg
beendigte, fiel fuer die Roemer insofern guenstig aus, als er
wenigstens den Status quo der Koenigszeit wiederherstellte; die
Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer
gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser
roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem
sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber
moegen die Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von
Himera gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen
jedenfalls zusammen.
Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und
kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens
bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht
mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen Bergvoelker zu
widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und die tuskische
Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung von den Samniten
ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen
Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion schwer
zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert.
Dennoch behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis,
vielleicht mit Hilfe der Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in
Kampanien aus der Geschichte verschwindet; kaum dass einzelne
etruskische Gemeinden eine kuemmerliche und verlorene Existenz sich
dort fristeten.
Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im
noerdlichen Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der
Alpen: es waren die Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker.
Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der
gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die
italische, die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr
bei manchen tuechtigen und noch mehr glaenzenden Eigenschaften die
tiefe sittliche und staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse
in der menschlichen Entwicklung sich gruendet. Es galt, sagt Cicero,
als schimpflich fuer den freien Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu
bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben vor und trieben
selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugsweise die Schweinezucht, von
dem Fleisch ihrer Herden sich naehrend und in den Eichenwaeldern mit
ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhaenglichkeit an die eigene
Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei
den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Staedten und Flecken zusammen
zu siedeln und diese bei ihnen frueher, wie es scheint, als in Italien
Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben. Ihre buergerliche Verfassung
ist unvollkommen; nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein
schwaches Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen Nationen
anfaenglich gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an
Eintracht und festem Regiment, an ernstem Buergersinn und folgerechtem
Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich schicken, ist die
militaerische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen die schwere
Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen. “Die hervorstehenden
Eigenschaften der keltischen Rasse”, sagt ihr Geschichtschreiber
Thierry, “sind die persoenliche Tapferkeit, in der sie es allen
Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck
zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste
Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und
Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen
Eitelkeit.” Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: “auf zwei
Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit” ^3.
Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren
die geschichtliche Tatsache, dass die Kelten alle Staaten erschuettert
und keinen gegruendet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern,
das heisst zu marschieren; dem Grundstueck die bewegliche Habe
vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als
geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit
solchem Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber
Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern
zugesteht. Es sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die
Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige
Koerper, mit zottigem Haupthaar und langem Schnauzbart - recht im
Gegensatz zu Griechen und Roemern, die das Haupt und die Oberlippe
schoren -, in bunten gestickten Gewaendern, die beim Kampf nicht selten
abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und
ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit ungeheurem Schild nebst dem
langen schlechtgestaehlten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese
Waffen mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu
bearbeiten verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde,
die oft nachtraeglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu
prunken. Gewoehnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwaerme aber auch
zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen
folgen; Streitwagen finden sich frueh wie bei den Libyern und den
Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des
Mittelalters; am meisten die den Roemern und Griechen fremde Sitte des
Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten sie den einzelnen Feind,
nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden verhoehnt hatten, zum
Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in
glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die Zechgelage hernach
nicht fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter eigener oder
fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und
Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kaempfen und
sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der
Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser Staat, nirgends eine
eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.
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^3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem
et argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
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So schildern uns die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst
sich nur mutmassen. Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die
hellenischen, italischen und germanischen Voelkerschaften hervorgingen,
sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen
Mutterland in Europa eingerueckt, wo sie in fruehester Zeit das
Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze
begruendeten ^4, gegen Norden hin uebersiedelnd auf die britannischen
Inseln, gegen Sueden die Pyrenaeen ueberschreitend und mit den
iberischen Voelkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den
Alpen indes stroemte ihre erste grosse Wanderung vorbei und erst von
den westlichen Laendern aus begannen sie in kleineren Massen und in
entgegengesetzter Richtung jene Zuege, die sie ueber die Alpen und den
Haemus, ja ueber den Bosporus fuehrten und durch die sie der Schrecken
der saemtlichen zivilisierten Nationen des Altertums geworden und durch
manche Jahrhunderte geblieben sind, bis Caesars Siege und die von
Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht fuer immer brachen.
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^4 Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass
die Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst
die der letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des
grossen Baumes, von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften
indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen
und Italokelten und betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder in
Italiker und Kelten gespalten haetten. Geographisch ist diese
Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden
Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen
da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen worden ist,
fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch ueber
die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche
Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass
ihre Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden
duerften.
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Die einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten
hat, berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen
folgendermassen ^5. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze
damals wie noch zu Caesars Zeit der Gau der Biturigen (um Bourges)
stand, habe unter dem Koenig Ambiatus zwei grosse Heeresschwaerme
entsendet, gefuehrt von den beiden Neffen des Koenigs, und es sei der
eine derselben, Sigovesus, ueber den Rhein in der Richtung auf den
Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite, Bellovesus, ueber die
Graischen Alpen (den Kleinen St. Bernhard) in das Potal hinabgestiegen.
Von jenem stamme die gallische Niederlassung an der mittleren Donau,
von diesem die aelteste keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei,
der Gau der Insubrer mit dem Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei
ein zweiter Schwarm gefolgt, der den Gau der Cenomaner mit den Staedten
Brixia (Brescia) und Verona begruendet habe. Unaufhoerlich stroemte es
fortan ueber die Alpen in das schoene ebene Land; die keltischen
Staemme samt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen
ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis
das ganze linke Poufer in ihren Haenden war. Nach dem Fall der reichen
etruskischen Stadt Melpum (vermutlich in der Gegend von Mailand), zu
deren Bezwingung sich die schon im Potal ansaessigen Kelten mit
neugekommenen Staemmen vereinigt hatten (358? 396), gingen diese
letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses und begannen die
Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedraengen. Es waren
dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen Strasse, ueber den
Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien eingedrungenen
Boier; sie siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo die alte
Etruskerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre
Hauptstadt wurde. Endlich kamen die Senonen, der letzte groessere
Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; er nahm seine Sitze an
der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ancona. Aber einzelne
Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach Umbrien hinein,
ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen sein; denn
noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in keltischer
Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten hin
die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten
Jahrhunderts sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf
dasjenige Gebiet beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und
heute noch traegt.
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^5 Die Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch
Caesar (Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der
Wanderung des Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene
chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt
wird, gehoert unzweifelhaft nicht der einheimischen, natuerlich
zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren chronologisierenden Forschung
und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle und Einwanderungen
moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen
der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der
etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten
Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden.
Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausfuehrung von Wickham und Cramer,
nicht daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des
Hannibal nicht ueber die Kottischen Alpen (Mont Genèvre) und durch das
Gebiet der Tauriner, sondern ueber die Graischen (den Kleinen St.
Bernhard) und durch das der Salasser ging; den Namen des Berges gibt
Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner Vermutung an. Ob
die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz oder nur
aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den noerdlich von der
Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass der Poeninischen
Alpen gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.
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Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der
verschiedensten Voelker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor
allem der Kelten brach die eben noch so gewaltig und so ploetzlich in
Latium und Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende
etruskische Nation noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der
Verlust der Seeherrschaft, die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker
gehoert derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich
niederliessen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena
wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und fast geknechtete
roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im
Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene
wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie
er zu der Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte.
Als er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber
es waren Grenzgefechte und Beutezuege, die fuer beide Teile ohne
wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu maechtig da,
als dass Rom einen ernstlichen Angriff haette unternehmen koennen. Erst
der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung vertrieben, die
Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars Tolumnius,
unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher gluecklich
fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der
Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae
ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate
abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis
mehr und mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den bisher
noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der
Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die
Roemer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der
jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii gefuehrt ward.
Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker
und der Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre
gewaehrt haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich
dieser Ereignisse bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier
mit bis dahin unerhoerter Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten
Kampfpreis. Es war das erstemal, dass ein roemisches Heer Sommer und
Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel
erreicht war; das erstemal, dass die Gemeinde aus Staatsmitteln dem
Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, dass die Roemer es
versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen
ueber die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen.
Der Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden
Unterstuetzung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des
gefuerchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung
gewaehrte als den Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation
verlassen dastand und nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch
Tarquinii, ihm Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten
wuerden diese Nichtteilnahme der noerdlichen Gemeinden allein schon
genuegend erklaeren; es wird indes erzaehlt und es ist kein Grund es zu
bezweifeln, dass zunaechst innere Parteiungen in dem etruskischen
Staedtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen
der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern beibehaltene oder
wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der uebrigen
Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an
dem Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische
Gemeinde kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst
unentwickelten Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung
einer grossen und festen Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und
verlassen wie sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer
Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus,
welcher zuerst seinem Volke die glaenzende Bahn der auslaendischen
Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom
erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in spaete
Zeit fortgepflanzte Sitte des “Veienterverkaufs”, wobei unter den zur
Versteigerung gebrachten parodischen Beutestuecken der aergste alte
Krueppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck
den Beschluss machte als “Koenig der Veienter”. Die Stadt ward
zerstoert, der Boden verwuenscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena
eilten, Frieden zu machen; das maechtige Volsinii, das in
bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie geruht hatte und nach
der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen Jahren (363
391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige Sage sein,
dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an
demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen; aber es
liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der
doppelte Angriff von Norden und Sueden und der Fall der beiden
Grenzfesten war der Anfang des Endes der grossen etruskischen Nation.
Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden
Voelkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner
Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch
Roms neu aufbluehende Macht von den fremden Barbaren zertreten werden.
Diese Wendung der Dinge, die dem natuerlichen Lauf der Politik
widersprach, beschworen ueber die Roemer der eigene Uebermut und die
eigene Kurzsichtigkeit herauf.
Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall ueber den Fluss gesetzt
waren, ueberfluteten mit reissender Geschwindigkeit das noerdliche
Italien, nicht bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und
laengs des Adriatischen Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien
diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher (363 391) ward schon das im
Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an der Grenze von Toskana und
dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen belagert; und so
gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte tuskische Stadt die
Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere vielleicht weise gewesen,
dieselbe zu gewaehren und zugleich die Gallier durch die Waffen und die
Etrusker durch den gewaehrten Schutz in Abhaengigkeit von Rom zu
bringen; allein eine solche weitblickende Intervention, die die Roemer
genoetigt haben wuerde, einen ernsten Kampf an der tuskischen
Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts ihrer damaligen
Politik. So blieb nichts uebrig, als sich jeder Einmischung zu
enthalten. Allein toerichterweise schlug man die Hilfstruppen ab und
schickte Gesandte; und noch toerichter meinten diese, den Kelten durch
grosse Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren
ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu koennen: sie nahmen in den
Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach
darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren
in diesem Fall mit Maessigung und Einsicht. Sie sandten zunaechst an
die roemische Gemeinde, um die Auslieferung der Frevler am Voelkerrecht
zu fordern, und der Senat war bereit, dem billigen Begehren sich zu
fuegen. Allein in der Masse ueberwog das Mitleid gegen die Landsleute
die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die Genugtuung ward von der
Buergerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten ernannte man die
tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar zur Konsulartribunen fuer
das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen Annalen so verhaengnisvoll
werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkoenig der
Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm -
die Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte sich gegen Rom.
Solche Zuege in unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern
gelaeufig, die unbekuemmert um Deckung und Rueckzug als bewaffnete
Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man offenbar nicht,
welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so gewaltigen Ueberfall
lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren, ueberschritt eine
roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg. Keine drei
deutsche Meilen von den Toren, gegenueber der Muendung des Baches Allia
in den Tiberfluss, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli
364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein
Heer, sondern wie gegen Raeuber, uebermuetig und tolldreist in den
Kampf unter unerprobten Feldherren - Camillus hatte infolge des
Staendehaders von den Geschaeften sich zurueckgezogen. Waren es doch
Wilde, gegen die man fechten sollte; was bedurfte es des Lagers, der
Sicherung des Rueckzugs? Aber die Wilden waren Maenner von
todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern so neu wie
schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die Kelten im
rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten sie im
ersten Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig; von
den Roemern, die den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein
grosser Teil bei dem Versuch, denselben zu ueberschreiten, seinen
Untergang; was sich rettete, warf sich seitwaerts nach dem nahen Veii.
Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen
Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde
preisgegeben; die geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin
gefluechtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen,
und drei Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore
in Rom ein. Haetten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war
nicht bloss die Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze
Zwischenzeit machte es moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu
vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu besetzen und notduerftig
mit Lebensmitteln zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte,
liess man nicht auf die Burg - man hatte kein Brot fuer alle. Die Menge
der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstaedte; aber manche, vor
allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt
nicht ueberleben und erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das
Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und pluenderten, was an
Menschen und Gut sich vorfand und zuendeten schliesslich vor den Augen
der roemischen Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an.
Aber die Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des
steilen Burgfelsens war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel
fuer den grossen Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich
herbeischaffen liessen und diesen die benachbarten latinischen
Buergerschaften, namentlich die Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck
sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren
Verhaeltnissen beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus
und schon begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer
dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im
kapitolinischen Tempel und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus
Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den
Kelten ein Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet
am Padus gemeldet ward und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene
Loesegeld anzunehmen. Das hoehnische Hinwerfen des gallischen
Schwertes, dass es aufgewogen werde vom roemischen Golde, bezeichnete
sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt,
aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren.
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^6 Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber
fiel die Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die
zerruettete roemische Jahrzaehlung verschoben.
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Die fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18.
Juli und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben
gewesen und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden -
all die Einzelheiten dieses unerhoerten Ereignisses gingen ueber von
der Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch
wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen
sind, seit jene welthistorischen Gaense sich wachsamer bewiesen als die
aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom verordnet werden, dass
in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen
Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen
nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit
widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg
finden bis in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit
ihren Resultaten ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen
Begebenheiten beizuzaehlen. Sie aendert eben nichts in den politischen
Verhaeltnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde,
das nur eine spaet und schlecht erfundene Erzaehlung den Helden
Camillus wieder nach Rom zurueckbringen laesst; wie die Fluechtigen
sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger
mattherziger Klugheitspolitiker, die Buergerschaft nach Veii
ueberzusiedeln, durch Camillus’ hochsinnige Gegenrede beseitigt ist,
die Haeuser eilig und unordentlich - die engen und krummen Strassen
Roms schrieben von dieser Zeit sich her - sich aus den Truemmern
erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung;
ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Ereignis wesentlich, wenn
auch nicht im ersten Augenblick, dazu beigetragen hat, dem Gegensatz
zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe zu nehmen und vor allem
zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu knuepfen. Der
Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem zwischen Rom und
Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss zweier
politischer Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den
Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er
nicht zerstoert wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier
sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo
Camillus sie bei Alba schlug - der letzte Sieg des greisen Helden, der
sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal Diktator gewesen und
viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361),
wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine volle
Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum
Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im
Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem
Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im
Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine
nachdrueckliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar
den Winter ueber auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit den
griechischen Piraten an der Kueste um den Raub schlugen, bis Lucius
Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im folgenden Jahr
sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles
(370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege, wie
schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr
Ungluecksfaelle als politische Ereignisse und das wesentlichste
Resultat derselben, dass die Roemer sich selbst und dem Auslande in
immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen
Italiens gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren erschienen - eine
Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint
gefoerdert hat.
Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii
zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden
Kraeften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der
schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach
wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze suedliche
Etrurien bis zu den Ciminischen Huegeln in den Haenden der Roemer,
welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue
Buergerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten
durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373).
Mit raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit roemischen
Kolonisten bedeckte Landstrich der vollstaendigen Romanisierung
entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar die naechstliegenden
etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii sich gegen die
roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war,
die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der
saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen Gefangenen,
dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii;
allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) musste
Caere, das, als den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten buesste,
die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmaelerten Gebiet,
das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das
Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen zunaechst fuer
einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht
ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen
Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche den
untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der
caeritischen Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne
aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung
der Selbstverwaltung, so dass an die Stelle der eigenen Beamten bei der
Rechtspflege und Schatzung die roemischen traten und am Orte selbst ein
Vertreter (praefectus) des roemischen Praetors die Verwaltung leitete -
eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertaenigkeit,
wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine rechtlich
fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde
umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das
seine urspruengliche latinische Nationalitaet auch unter der
Tuskerherrschaft sich bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und
in ewigen Bund mit Rom; damit war ganz Suedetrurien in der einen oder
anderen Form der roemischen Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl
das noerdliche Etrurien ueberhaupt begnuegte man sich, durch einen
Friedensvertrag auf 400 Monate fuer lange Zeit zu fesseln (403 351).
Auch im noerdlichen Italien ordneten sich allmaehlich die durch und
gegen einander stuermenden Voelker wieder in dauernder Weise und in
festere Grenzen. Die Zuege ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl
infolge der verzweifelten Verteidigung der Etrusker in ihrer
beschraenkteren Heimat und der ernstlichen Gegenwehr der maechtigen
Roemer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter Veraenderungen im
Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an die
Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation
und namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden;
aber bei ihrer schlaffen und oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte
ihre Herrschaft nicht tief in der neu gewonnenen Landschaft und
gestaltete sich keineswegs zum ausschliesslichen Besitz. Wie es in den
Alpen stand und wie hier keltische Ansiedler mit aelteren etruskischen
oder andersartigen Staemmen sich vermischten, gestattet unsere
ungenuegende Kunde ueber die Nationalitaet der spaeteren Alpenvoelker
nicht auszumachen; nur die Raeter in dem heutigen Graubuenden und Tirol
duerfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden.
Die Taeler des Apennin behielten die Umbrer, den nordoestlichen Teil
des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen
Bergen behaupteten sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo
hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur
in dem mittleren Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die
Insubrer und Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste
von Ariminum bis Ankon, in der sogenannten “Gallierlandschaft” (ager
Gallicus) die Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber
selbst hier muessen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens
fortbestanden haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben
unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine
Insellage geschuetzt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische
Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind,
scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter
dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste
Kuestenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches
Land. Nur so erklaert sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins
fuenfte Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen
konnten, und weshalb nicht bloss Dionysios von Syrakus die Kuesten
desselben mit Kolonien bedeckte, sondern selbst Athen noch um 429
(325), wie eine kuerzlich entdeckte merkwuerdige Urkunde lehrt, zum
Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen Kaper die Anlage einer
Kolonie im Adriatischen Meere beschloss.
Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich
behaupten, es waren das einzelne Truemmer und Splitter der frueheren
Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was
hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen noch etwa
erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen halbfreien
Etruskern die Anfaenge derjenigen Zivilisation aus, die wir spaeterhin
bei den Kelten und ueberhaupt den Alpenvoelkern finden. Schon dass die
Keltenschwaerme in den lombardischen Ebenen, mit dem sogenannten Skylax
zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend ansaessig
machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge der Handwerke
und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja den
Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker
zugekommen.
Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der
ganzen Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich vom Ciminischen
Walde den Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die Zeiten der Macht
und des Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber. In engster
Wechselwirkung mit diesem aeusseren Sinken steht der innere Verfall der
Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit frueher gelegt worden
waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind voll von
Schilderungen der masslosen Ueppigkeit des etruskischen Lebens:
unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der Stadt preisen den
tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timaeos
und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der
etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und
franzoesischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt
das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens
die Angabe begruendet zu sein, dass die abscheuliche Lustbarkeit der
Fechterspiele, der Krebsschaden des spaeteren Rom und ueberhaupt der
letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen ist;
und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen
Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben sind
davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden wir
aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie
gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung
des Koenigtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen
Staaten Etruriens durchgefuehrt gewesen zu sein scheint, rief in den
einzelnen Staedten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose
eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschraenkt sah. Selten nur
gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Staedte zu
vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt nicht den
entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms
Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die
ausschliessliche Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen
und allen Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette
verderben muessen, wenn nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht
haetten, die Ansprueche der gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder
Voelker einigermassen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu
oeffnen - dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien
besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der
Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich
zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an
Grundbesitz, konzentrierten sich in den Haenden von wenigen Adligen,
waehrend die Massen verarmten; die sozialen Umwaelzungen, die hieraus
entstanden, erhoehten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der
Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedraengten Aristokraten,
zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts
uebrig, als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung,
aber zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. Die
Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es
wurden wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der
roemischen Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die
Anregung dazu den Etruskern von aussen, von einen andern italischen
Stamm, den Samniten.
KAPITEL V.
Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom
Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der
Form der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung
sowohl auf das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf
die innere Ordnung der latinischen Gemeinden selbst nicht ohne
maechtige Rueckwirkung bleiben konnte, leuchtet an sich ein und geht
auch aus der Ueberlieferung hervor; von den Schwankungen, in welche
durch die Revolution in Rom die roemisch-latinische Eidgenossenschaft
geriet, zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben schillernde Sage
von dem Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul Aulus
Postumius (255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner
gewonnen haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes
zwischen Rom und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten
Konsulat (261 493). Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die
Hauptsache, das Rechtsverhaeltnis der neuen roemischen Republik zu der
latinischen Eidgenossenschaft, am wenigsten Aufschluss; und was wir
sonst ueber dasselbe wissen, ist zeitlos ueberliefert und kann nur nach
ungefaehrer Wahrscheinlichkeit hier eingereiht werden.
Es liegt im Wesen der Hegemonie, dass sie durch das blosse innere
Schwergewicht der Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft
uebergeht; auch die roemische ueber Latium hat davon keine Ausnahme
gemacht. Sie war begruendet auf die wesentliche Rechtsgleichheit des
roemischen Staates und der latinischen Eidgenossenschaft; aber
wenigstens im Kriegswesen und in der Behandlung der gemachten
Eroberungen trug dies Verhaeltnis des Einheitsstaates einer- und des
Staatenbundes anderseits die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der
urspruenglichen Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg
und Vertrag mit auswaertigen Staaten, also die volle staatliche
Selbstbestimmung sowohl Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen
Bundes gewahrt, und es stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher
Kriegfuehrung Rom wie Latium das gleiche Kontingent, in der Regel jedes
ein “Heer” von 8400 Mann ^1; aber den Oberbefehl fuehrte der roemische
Feldherr, welcher dann die Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer
(tribuni militum), nach eigener Wahl ernannte. Im Falle des Sieges
wurden die bewegliche Beute wie das eroberte Land zwischen Rom und der
Eidgenossenschaft geteilt, und wenn man in dem eroberten Gebiet
Festungen anzulegen beschloss, so wurde nicht bloss deren Besatzung und
Bevoelkerung teils aus roemischen, teils aus eidgenoessischen
Aussendlingen gebildet, sondern auch die neugegruendete Gemeinde als
souveraener Bundesstaat in die latinische Eidgenossenschaft aufgenommen
und mit Sitz und Stimme auf der latinischen Tagsatzung ausgestattet.
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^1 Die urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv.
1, 52; 8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb.
6, 26 hervor.
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Diese Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit,
sicher in der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten
der Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt
haben. Am fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und
Vertragsrecht der Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg
und Vertrag kam ein fuer allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die
latinischen Truppen muessen in aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner
gewesen sein; spaeter wurden dazu wo nicht ausschliesslich, doch
vorwiegend roemische Buerger genommen ^3. Dagegen wurde nach wie vor
der latinischen Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres Kontingent
zugemutet als das von der roemischen Gemeinde gestellte war; und ebenso
war der roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente
nicht zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug
als besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten
Anfuehrer ^4 zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen
Eidgenossenschaft auf einen Anteil an der beweglichen Beute wie an dem
eroberten Lande blieb formell bestehen; aber der Sache nach ist der
wesentliche Kriegsertrag ohne Zweifel schon in frueher Zeit an den
fuehrenden Staat gekommen. Selbst bei der Anlegung der Bundesfestungen
oder der sogenannten latinischen Kolonien waren in der Regel vermutlich
die meisten und nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn auch
dieselben durch die Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger
einer eidgenoessischen Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der
neugepflanzten Ortschaft haeufig eine ueberwiegende und fuer die
Eidgenossenschaft gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche
Mutterstadt.
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^2 Dass in den spaeteren Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es
den latinischen Gemeinden untersagt war ihre Kontingente von sich aus
zu mobilisieren und allein ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich
Dionysios (8, 15).
^3 Diese latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum,
welche spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen
und alae aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae
der Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen
des roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der
Konsul jene wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5.
Da nun nach dem alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier
werden kann, es gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner
zum Fuehrer einer roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer
einer latinischen Legion zu bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu,
dass die tribuni militum durchaus und die praefecti sociorum wenigstens
in der Regel Roemer waren.
^4 Dies sind die decuriones turmarum und praefecti cohortium (Polyb. 6,
21, 5; Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und sonst). Natuerlich wurden, wie
die roemischen Konsuln von Rechts wegen, in der Regel auch tatsaechlich
Oberfeldherren waren, vielleicht durchaus, mindestens sehr haeufig auch
in den abhaengigen Staedten die Gemeindevorsteher an die Spitze der
Gemeindekontingente gestellt (Liv. 23, 19; Orelli 7022); wie denn
selbst der gewoehnliche Name der latinischen Obrigkeiten (praetores)
sie als Offiziere bezeichnet.
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Die Rechte dagegen, welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger
einer der verbuendeten Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten,
wurden nicht beschraenkt. Es gehoerten dahin namentlich die volle
Rechtsgleichheit in Erwerb von Grundbesitz und beweglicher Habe, in
Handel und Wandel, Ehe und Testament, und die unbeschraenkte
Freizuegigkeit, sodass der in einer Bundesstadt verbuergerte Mann nicht
bloss in jeder andern sich niederzulassen rechtlich befugt war, sondern
auch daselbst als Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der passiven
Wahlfaehigkeit an allen privaten und politischen Rechten und Pflichten
teilnahm, sogar wenigstens in der nach Distrikten berufenen
Gemeindeversammlung in einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen
befugt war ^5.
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^5 Es wurde ein solcher Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger
einem ein fuer allemal bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor
jeder einzelnen Abstimmung nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen
diesmal zu stimmen hatten, durch das Los festgestellt. Der Sache nach
kam dies wohl darauf hinaus, dass in der roemischen Tribusversammlung
den Latinern eine Stimme eingeraeumt ward. Da der Platz in irgendeiner
Tribus die Vorbedingung des ordentlichen Zenturiatstimmrechts war, so
muss, wenn die Insassen auch in der Zenturienversammlung mitgestimmt
haben, was wir nicht wissen, fuer diese eine aehnliche Losung
festgesetzt gewesen sein. An den Kurien werden sie gleich den Plebejern
teilgenommen haben.
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So etwa mag in der ersten republikanischen Zeit das Verhaeltnis der
roemischen Gemeinde zu der latinischen Eidgenossenschaft beschaffen
gewesen sein, ohne dass sich ausmachen liesse, was darin auf aeltere
Satzungen und was auf die Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht.
Mit etwas groesserer Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der
einzelnen zu der latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden
nach dem Muster der roemischen Konsularverfassung als Neuerung
bezeichnet und in diesen Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich
die verschiedenen Gemeinden zu der Abschaffung des Koenigtums an sich
recht wohl voneinander unabhaengig gelangt sein koennen, so verraet
doch die gleichartige Benennung der neuen Jahreskoenige in der
roemischen und den uebrigen Gemeindeverfassungen von Latium sowie die
weitgreifende Anwendung des so eigentuemlichen Kollegialitaetsprinzips
^6 augenscheinlich einen aeusseren Zusammenhang; irgend einmal nach der
Vertreibung der Tarquinier aus Rom muessen durchaus die latinischen
Gemeindeordnungen nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert
worden sein. Es kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen
Verfassungen mit derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst
einer spaeteren Epoche angehoeren; indes spricht die innere
Wahrscheinlichkeit vielmehr dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er
bei sich die Abschaffung des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt
hatte, dieselbe Verfassungsaenderung auch den Gemeinden der latinischen
Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des ernsten und den Bestand des
roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage stellenden Widerstandes,
welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die koeniglichen
Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen Gemeinden
Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium die
Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende
gewaltige Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der
Veienter, der Heereszug des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen
haben, die latinische Nation bei der einmal festgestellten Form der
Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden Anerkennung der
Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne Zweifel
auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete
Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung der
hegemonischen Rechte sich gefallen zu lassen.
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^6 Regelmaessig stehen bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei
Praetoren. Daneben kommen in einer Reihe von Gemeinden auch
Einzelbeamte vor, welche dann den Diktatortitel fuehren - so in Alba
(Orelli-Henzen 2293), Tusculum, Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45;
Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli 2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli
3324), Nomentum (Orelli 208, 6138, 7032; vgl. W. Henzen in Bullettino
dell’ Istituto 1858, S. 169) und Aricia (Orelli 1455). Dazu kommt der
aehnliche Diktator in der civitas sine suffragio Caere (Orelli 3787,
5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd. 1, S. 31, obwohl irrig nach
Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen Beamten von Fidenae (Orelli
112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern hervorgegangenen
Priestertuemer (der Diktator von Caere ist zu erklaeren nach Liv. 9,
43: Anagninis - magistratibus praeter quam sacrorum curatione
interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch der Bericht Macers und der
aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur Zeit seines Falls
nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren gestanden
habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist vermutlich
bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution der ohne Zweifel
gleich der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen albanischen Diktatur,
bei welcher Darstellung ueberdies die demokratische Parteistellung
ihres Urhebers mit im Spiel gewesen sein wird. Es steht dahin, ob der
Schluss gueltig ist und nicht, auch wenn Alba zur Zeit seiner
Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern stand, die Abschaffung
des Koenigtums in Rom nachtraeglich die Verwandlung der albanischen
Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren konnte.
All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache wie besonders
auch in den Namen wesentlich mit der in Rom durch die Revolution
festgestellten Ordnung in einer Weise ueberein, die durch die blosse
Gleichartigkeit der politischen Grundverhaeltnisse nicht genuegend
erklaert wird.
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Die dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach
allen Seiten hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern.
Dass die Etrusker nur kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium
blieben und die Verhaeltnisse hier bald wieder in die Lage
zurueckkamen, welche sie in der Koenigszeit gehabt hatten, wurde schon
dargestellt; zu einer eigentlichen Erweiterung der roemischen Grenzen
kam es aber nach dieser Seite hin erst mehr als ein Jahrhundert nach
der Vertreibung der Koenige aus Rom.
Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der Umbrer bis
hinab zu der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und die in der
Epoche, in welche die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium selbst
kaempfend und erobernd vordrangen, haben spaeterhin die Roemer trotz
der unmittelbaren Nachbarschaft sich verhaeltnismaessig wenig beruehrt.
Die schwache Teilnahme derselben an dem verzweifelten Widerstand der
oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht selbst aus den Berichten
der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es begegnen hier
keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen Gebiet so
zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit zusammen,
dass die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit sich
ueber Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am
Tifernus und Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen
zu haben, deren Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war.
Bei weitem heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die,
oestlich von Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am
Nordrande des Fuciner Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern
grenzten ^7, und der Volsker, welche suedlich von den um Ardea
sesshaften Rutulern und den suedwaerts bis Cora sich erstreckenden
Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung des Lirisflusses nebst den
vorliegenden Inseln und im Innern das ganze Stromgebiet des Liris
besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich jaehrlich erneuernden
Fehden, die in der roemischen Chronik so berichtet werden, dass der
unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum
unterschieden und der historische Zusammenhang gaenzlich beiseite
gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt werden; es genuegt
hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen wir, dass es
den Roemern und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von den
Volskern zu trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der
Gegend zwischen dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen
Bergen und den Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner
und die Volsker zunaechst sich beruehrt und selbst gemischt
durcheinander gesessen zu haben ^8. In dieser Gegend haben die Latiner
die ersten Schritte getan ueber ihre Landesgrenze hinaus und sind
Bundesfestungen im Fremdland, sogenannte latinische Kolonien zuerst
angelegt worden, in der Ebene Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem
Albaner Gebirge selbst und Suessa in der pomptinischen Niederung, in
den Bergen Norba (angeblich 262 492) und Signia (angeblich verstaerkt
259 495), welche beide auf den Verbindungspunkten zwischen der
aequischen und volskischen Landschaft liegen. Vollstaendiger noch ward
der Zweck erreicht durch den Beitritt der Herniker zu dem Bunde der
Latiner und Roemer (268 486), welcher die Volsker vollstaendig
isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte gegen die suedlich und
oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man begreift es, weshalb dem
kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden anderen in Rat und
Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer waren seitdem
wenig gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen Pluenderzug
gegen sie zu unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der Kuestenebene
suedlich mit Latium grenzten, unterlagen frueh; ihre Stadt Ardea wurde
schon im Jahre 312 (442) in eine latinische Kolonie umgewandelt ^9.
Ernstlicher widerstanden die Volsker. Der erste namhafte Erfolg, den
nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen abgewannen, ist, merkwuerdig
genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361 (393), das, solange
Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit Latium in
Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft versucht
und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459) machte die
Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande erhielten
infolge eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377 389-377) die
Roemer die entschiedene Oberhand im antiatischen und pomptinischen
Gebiet. Satricum, unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385) mit einer
latinischen Kolonie belegt, nicht lange nachher wahrscheinlich Antium
selbst sowie Tarracina ^10, das pomptinische Gebiet ward durch die
Anlage der Festung Setia (372 382, verstaerkt 375 379) gesichert und in
den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und Buergerbezirke verteilt.
Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber keine Kriege
mehr gegen Rom gefuehrt.
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^7 Die Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio
oberhalb von Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien
Carsioli (am oberen Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den
Bezirk des spaeteren Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als
derjenige Rest der Aequer, welchem nach der Unterwerfung durch die
Roemer und nach der Assignierung des groessten Teils des Gebiets an
roemische oder latinische Kolonisten die munizipale Selbstaendigkeit
verblieb.
^8 Allem Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen,
urspruenglich volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf
dem Volskergebirge urspruenglich latinisch.
^9 Nicht lange nachher muss die Gruendung des Dianahains im Walde von
Aricia erfolgt sein, welche nach Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein
tusculanischer Diktator vollzog fuer die Stadtgemeinden des alten
Latiums Tusculum, Aricia, Lanuvium, Laurentum, Cora und Tibur und die
beiden latinischen Kolonien (welche deshalb an der letzten Stelle
stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus Ardeatis Rutulus). Das Fehlen
Praenestes und der kleineren Gemeinden des alten Latium zeigt, wie es
auch in der Sache liegt, dass nicht saemtliche Gemeinden des damaligen
Latinischen Bundes sich an der Weihung beteiligten. Dass sie vor 372
(382) faellt, beweist das Auftreten von Pometia und das Verzeichnis
stimmt voellig zu dem, was anderweitig ueber den Bestand des Bundes
kurz nach dem Zutritt von Ardea sich ermitteln laesst.
Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen darf mehr als den
meisten der aeltesten Ueberlieferungen Glauben beigemessen werden, da
die den italischen Staedten gemeinsame Jahreszaehlung ab urbe condita
allem Anschein nach das Gruendungsjahr der Kolonien durch unmittelbare
Ueberlieferung bewahrt hat.
^10 Als latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten
Cassischen Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem
karthagischen Vertrag vom Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also
sind die Staedte latinische Kolonien geworden.
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Aber je entschiedenere Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und
Herniker gegen die Etrusker, Aequer, Volsker und Rutuler davontrug,
desto mehr entwich aus ihm die Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl
in der frueher dargestellten, aus den bestehenden Verhaeltnissen mit
innerer Notwendigkeit sich entwickelnden, aber darum nicht weniger
schwer auf Latium lastenden Steigerung der hegemonischen Gewalt Roms,
zum Teil in einzelnen gehaessigen Ungerechtigkeiten der fuehrenden
Gemeinde. Dahin gehoeren vornehmlich der schmaehliche Schiedsspruch
zwischen den Aricinern und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo die
Roemer, angerufen zu kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen
den beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen,
und als ueber diesen Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden,
das Volk zu den Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom
festhielt, die noch schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der
schon erwaehnten Aussendung roemischer Kolonisten in die reiche Stadt,
unter die die Laendereien der Anhaenger der antiroemischen Partei
ausgeteilt wurden (312 442). Hauptsaechlich indes war die Ursache,
weshalb der Bund sich innerlich aufloeste, eben die Niederwerfung der
gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung
von der anderen Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des
anderen nicht mehr meinte zu beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den
Latinern und Hernikern einer- und den Roemern anderseits gab die
naechste Veranlassung teils die Einnahme Roms durch die Kelten und
dessen dadurch herbeigefuehrte augenblickliche Schwaeche, teils die
definitive Besetzung und Aufteilung des pomptinischen Gebiets; bald
standen die bisherigen Verbuendeten gegeneinander im Felde. Schon
hatten latinische Freiwillige in grosser Anzahl an dem letzten
Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen; jetzt mussten die
namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383), Praeneste
(372-374, 400 382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur (394, 400 360,
354) und selbst einzelne der im Volskerland von dem
roemisch-latinischen Bunde angelegten Festungen wie Velitrae und
Circeii mit den Waffen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten
sich sogar nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden gallischen
Scharen gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum
gemeinschaftlichen Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe
bemeisterte Rom die einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381)
genoetigt, seine politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den
roemischen Buergerverband als untertaenige Gemeinde (civitas sine
suffragio) einzutreten, so dass die Stadt ihre Mauern und eine wenn
auch beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene Beamten und eine
eigene Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger als
roemische das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall,
dass eine ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige
Gemeinde einverleibt wurde.
Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396 362-358), in dem der
erste der Plebs angehoerige konsularische Oberfeldherr Lucius Genucius
fiel; allein auch hier siegten die Roemer. Die Krise endigte damit,
dass die Vertraege zwischen Rom und der latinischen wie der
hernikischen Eidgenossenschaft im Jahre 396 (358) erneuert wurden. Der
genauere Inhalt derselben ist nicht bekannt, aber offenbar fuegten
beide Eidgenossenschaften abermals und wahrscheinlich unter haerteren
Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die in demselben Jahr
erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im pomptinischen
Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische Macht.
In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis zwischen
Rom und Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte Schliessung der
latinischen Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht sicher zu bestimmen
ist, ob sie Folge oder, wie wahrscheinlicher, Ursache der eben
geschilderten Auflehnung Latiums gegen Rom war. Nach dem bisherigen
Recht war jede von Rom und Latium gegruendete souveraene Stadt unter
die am Bundesfest und Bundestag teilberechtigten Kommunen eingetreten,
wogegen umgekehrt jede einer anderen Stadt inkorporierte und also
staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der Bundesglieder
gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal
feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art
festgehalten, dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie
weniger als dreissig stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter
eingetretener oder auch ihrer Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen
wegen zurueckgesetzter Gemeinden des Stimmrechts entbehrten. Hiernach
war der Bestand der Eidgenossenschaft um das Jahr 370 (384) folgender
Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser einigen jetzt
verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom und
stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio und
dem Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und
Praeneste, am Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia,
Corioli und Lanuvium, in den volskischen Bergen Cora, endlich in der
Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die von Rom und dem latinischen
Bunde angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen Rutulergebiet und in dem
der Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia und Circeii.
Ausserdem hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht sicher
bekannt sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht.
Auf diesem Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig
stimmberechtigten Orten blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem
unabaenderlich stehen; weder sind die spaeter gegruendeten latinischen
Gemeinden, wie Sutrium, Nepete, Antium, Tarracina, Cales, unter
dieselben eingereiht, noch die spaeter der Autonomie entkleideten
latinischen Gemeinden, wie Tusculum und Lanuvium, aus dem Verzeichnis
gestrichen.
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^11 In dem von Dionysios (5, 61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig
latinischen Bundesstaedte, dem einzigen, das wir besitzen, werden
genannt die Ardeaten, Ariciner, Bovillaner, Bubentaner (unbekannter
Lage), Corner (vielmehr Coraner), Carventaner (unbekannter Lage),
Circeienser, Coriolaner, Corbinter, Cabaner (vielleicht die Cabenser am
Albaner Berg, Bullettino dell’ Istituto 1861, S. 205), Fortineer
(unbekannt), Gabiner, Laurenter, Lanuviner, Lavinaten, Labicaner,
Nomentaner, Norbaner, Praenestiner, Pedaner, Querquetulaner
(unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner, Senner, Tiburtiner,
Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner (unbekannter Lage)
und Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen teilnahmeberechtigter
Gemeinden, wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum (Liv. 37, 3), Lanuvium
(Liv. 41, 16), Bovillae, Gabii, Labici (Cic. Planc. 9, 23) stimmen mit
diesem Verzeichnis. Dionysios teilt es bei Gelegenheit der
Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im Jahre 256 (498) mit, und es lag
darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies Verzeichnis als der bekannten
Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu betrachten. Allein da
in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten Verzeichnis der
Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der Zwoelf Tafeln
sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften Jahrhundert
bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850, S. 33),
so muss dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen sein; und es ist
bei weitem die einfachste Annahme, darin das Verzeichnis derjenigen
Orte zu erkennen die spaeterhin als die ordentlichen Glieder der
latinischen Eidgenossenschaft betrachtet wurden und die Dionysios,
seiner pragmatisierenden Gewohnheit gemaess, als deren urspruenglichen
Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem Verzeichnis, wie es zu erwarten
war, keine einzige nichtlatinische Gemeinde; dasselbe zaehlt lediglich
urspruenglich latinische oder mit latinischen Kolonien belegte Orte auf
- Corbio und Corioli wird niemand als Ausnahme geltend machen.
Vergleicht man nun mit diesem Register das der latinischen Kolonien so
sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet worden Suessa Pometia,
Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361 393), Satricum (369 385),
Sutrium (371 383), Nepete (371), Setia (372 382). Von den letzten drei
ungefaehr gleichzeitigen koennen sehr wohl die beiden etruskischen
etwas spaeter datieren als Setia, da ja die Gruendung jeder Stadt eine
gewisse Zeitdauer in Anspruch nahm und unsere Liste von kleineren
Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt man dies an, so enthaelt
das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382) ausgefuehrte
Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem Verzeichnis
gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae, des
latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa Pometia,
ohne Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia,
wahrscheinlich weil im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen
nennt, hinter ΣΗΤΙΝΩΝ ausgefallen ist ΣΙΓΝΙΝΩΝ. Im vollkommenen
Einklang hiermit mangeln in diesem Verzeichnis ebenso alle nach dem
Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen Kolonien wie alle Orte, die
wie Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) der roemischen
Gemeinde inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten, wie
Tusculum, Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind.
Was das von Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu
Plinius’ Zeit untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten
Ortschaften betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei
Dionysios stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die
Dionysischen Carventaner zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils
ganz unbekannte Ortschaften ohne Zweifel teils jene siebzehn nicht
stimmenden Gemeinden, groesstenteils wohl eben die aeltesten, spaeter
zurueckgestellten Glieder der albanischen Festgenossenschaft, teils
eine Anzahl anderer untergegangener oder ausgestossener Bundesglieder,
zu welchen letzteren vor allem der alte, auch von Plinius genannte
Vorort Alba gehoert.
^12 Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418)
Kolonie geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6)
hierueber schweigt, kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden
sein, da die Stadt teils nicht an der Kueste lag, teils auch spaeter
noch im Besitz der Autonomie erscheint, noch eine latinische, da es
kein einziges zweites Beispiel einer im urspruenglichen Latium
angelegten latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen dieser
Gruendungen geben kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo,
da zumal als verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die
gemeine Buerger- mit der kolonialen Assignation verwechselt worden.
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Mit dieser Schliessung der Eidgenossenschaft haengt auch die
geographische Fixierung des Umfanges von Latium zusammen. Solange die
latinische Eidgenossenschaft noch offen war, hatte auch die Grenze von
Latium mit der Anlage neuer Bundesstaedte sich vorgeschoben; aber wie
die juengeren latinischen Kolonien keinen Anteil am Albaner Fest
erhielten, galten sie auch geographisch nicht als Teil von Latium -
darum werden wohl Ardea und Circeii, nicht aber Sutrium und Tarracina
zur Landschaft Latium gerechnet.
Aber nicht bloss wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht
ausgestatteten Orte von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten,
sondern es wurden dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander
isoliert, als die Verkehrs- und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft
(commercium et conubium) einer jeden von diesen Gemeinden zwar mit der
roemischen, nicht aber mit den uebrigen latinischen gestattet ward, so
dass also zum Beispiel der Buerger von Sutrium wohl in Rom, aber nicht
in Praeneste einen Acker zu vollem Eigentum besitzen und wohl von einer
Roemerin, nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder gewinnen
konnte ^13.
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^13 Diese Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft
begegnet zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8,
14); da indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher
Teil ist, zuerst fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen
Kolonien begann und 416 (338) nur generalisiert ward, so war diese
Neuerung hier zu erwaehnen.
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Wenn ferner bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie
Bewegung gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen
Gemeinden Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die
zwei neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein
Heiligtum gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet von
aehnlichen der roemischen Hegemonie Gefahr drohenden
Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel nicht zufaellig, in spaeterer Zeit
sich kein weiteres Beispiel.
Ebenso wird man die weitere Umgestaltung der latinischen
Gemeindeverfassungen und ihre voellige Ausgleichung mit der Verfassung
Roms dieser Epoche zuschreiben duerfen; denn wenn als notwendiger
Bestandteil der latinischen Magistratur neben den beiden Praetoren
spaeterhin die beiden mit der Markt- und Strassenpolizei und der dazu
gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen erscheinen, so hat diese
offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden Macht in allen
Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer Polizeibehoerden
sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden Einrichtung der
kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um diese
Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied
einer Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen
Gemeindeordnungen im polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden
Massregeln.
Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des
pomptinischen Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie
straffer anzuziehen und die saemtlichen latinischen Staedte in eine so
abhaengige Stellung zu bringen, dass sie faktisch vollstaendig
untertaenig wurden. In dieser Zeit (406 348) verpflichteten sich die
Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen Handelsvertrag, den Latinern,
die Rom botmaessig seien, namentlich den Seestaedten Ardea, Antium,
Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen; wuerde aber eine der
latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen sein, so sollten
die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie etwa
erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie den
Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die
roemische Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt,
die der einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste
und wagte.
Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch wenigstens
der latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf den dritten
Teil von Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest der
ehemaligen Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging, war
wichtig genug, um die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in
dieser Zeit unter den Latinern gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten
ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde standen, latinische Reislaeufer
zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre fuehrende Gemeinde;
sondern im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische
Bundesversammlung, den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen
nach stand eine abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen
Bundesgenossenschaft in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte
ein Zusammenstoss mit einer anderen italischen Nation, die wohl
imstande war, der vereinigten Macht des latinischen Stammes ebenbuertig
zu begegnen. Nach der Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den
Roemern im Sueden zunaechst kein bedeutender Gegner gegenueber;
unaufhaltsam naeherten ihre Legionen sich dem Liris. Im Jahre 397 (357)
ward gluecklich gekaempft mit den Privernaten, 409 (345) Sora am oberen
Liris besetzt. Schon standen also die roemischen Heere an der Grenze
der Samniten, und das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400 (354) die
beiden tapfersten und maechtigsten italischen Nationen miteinander
schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der
Krise innerhalb der latinischen Nation in drohender Weise sich
verschlingenden Kampfes um die Oberherrschaft Italiens.
Die samnitische Nation, die, als man in Rom die Tarquinier austrieb,
ohne Zweifel schon seit laengerer Zeit im Besitz des zwischen der
apulischen und der kampanischen Ebene aufsteigenden und beide
beherrschenden Huegellandes gewesen war, war bisher auf der einen Seite
durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete faellt in diese Zeit -, auf
der andern durch die Griechen und Etrusker an weiterem Vordringen
gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um das Ende des
dritten (450), das Sinken der griechischen Kolonien im Laufe des
vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen Westen und Sueden ihnen
Luft und ein samnitischer Schwarm nach dem andern zog jetzt bis an, ja
ueber die sueditalischen Meere. Zuerst erschienen sie in der Ebene am
Golf, wo der Name der Kampaner seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts
vernommen wird; die Etrusker wurden hier erdrueckt, die Griechen
beschraenkt, jenen Capua (330 424), diesen Kyme (334 420) entrissen. Um
dieselbe Zeit, vielleicht schon frueher, zeigen sich in
Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten Jahrhunderts
mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume Zeit vor 364
(390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit betrug
ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das Ende des
vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten
Eidgenossenschaft der Brettier ^14, die, ungleich den andern
sabellischen Staemmen, nicht als Kolonie, sondern im Kampf von den
Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich
gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen Griechen sich des
Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische Staedtebund ward 361
(393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der verbuendeten
Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die
Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber
selbst die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von
Syrakus, der aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine
Landsleute gemeinschaftliche Sache machte. Waehrend Dionysios den
grossgriechischen Flotten die Herrschaft ueber die italischen Meere
entriss, ward von den Italikern eine Griechenstadt nach der andern
besetzt oder vernichtet; in unglaublich kurzer Zeit war der bluehende
Staedtering zerstoert oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten,
wie zum Beispiel Neapel, gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als
durch Waffengewalt, wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu
bewahren; durchaus unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das
durch seine entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den
Messapiern unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt,
wenngleich auch diese Stadt bestaendig mit den Lucanern um ihre
Existenz zu fechten hatte und genoetigt war, in oder griechischen
Heimat Buendnisse und Soeldner zu suchen.
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^14 Der Name selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der
Bewohner des heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte
Ableitung ist ohne Zweifel erfunden.
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Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten
die samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme
weniger und unter sich nicht zusammenhaengender griechischer
Pflanzstaedte und der apulisch-messapischen Kueste. Die um 418 (336)
abgefasste griechische Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen
Samniten mit ihren “fuenf Zungen” von einem Meer zum andern an und am
Tyrrhenischen neben sie in noerdlicher Richtung die Kampaner, in
suedlicher die Lucaner, unter denen hier wie oefter die Brettier
mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste von Paestum am
Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. In der
Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen
Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor
sie sich beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei
weitem ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der
Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem
festen staedtischen Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt
die Herrschaft dieses Stammes langsam nach allen Seiten sich aus, zwar
in verhaeltnismaessig engen Grenzen, aber festen Fuss fassend, wo sie
hintritt, teils durch Gruendung von befestigten Staedten roemischer Art
mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch Romanisierung des eroberten
Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine einzelne fuehrende
Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend die Eroberung
des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine wirkliche
Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der
kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen
Eidgenossenschaft eher geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm,
der neue Sitze gesucht und gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine
Wege. Die samnitischen Scharen erfuellen einen unverhaeltnismaessig
weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind;
die groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii, Kroton, Metapont,
Herakleia, Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und oefters
abhaengig, bestehen fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den
kleineren Staedten werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel,
Poseidonia, Laos, Hipponion blieben, wie die erwaehnte
Kuestenbeschreibung und die Muenzen lehren, auch unter samnitischer
Herrschaft noch Griechenstaedte. So entstanden gemischte
Bevoelkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen Brettier ausser
samnitischen auch hellenische Elemente und selbst wohl Ueberreste der
alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und
Kampanien muessen in minderem Grade aehnliche Mischungen stattgefunden
haben. Dem gefaehrlichen Zauber der hellenischen Kultur konnte auch die
samnitische Nation sich nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo
Neapel frueh mit den Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte
und wo der Himmel selbst die Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria,
Teanum, obwohl rein samnitischer Bevoelkerung, nahmen griechische Weise
und griechische Stadtverfassung an, wie denn auch die heimische
Gauverfassung unter den veraenderten Verhaeltnissen unmoeglich
fortbestehen konnte. Die kampanischen Samnitenstaedte begannen Muenzen
zu schlagen, zum Teil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch
Handel und Ackerbau der Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die
erste an Ueppigkeit und Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den
Berichten der Alten zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen
zuvorgetan hat, spiegelt sich namentlich in dem Werbewesen und in den
Fechterspielen, die beide vor allem in Capua zur Bluete gelangt sind.
Nirgends fanden die Werber so zahlreichen Zulauf wie in dieser
Metropole der entsittlichten Zivilisation; waehrend Capua selbst sich
vor den Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht zu bergen wusste,
stroemte die streitbare kampanische Jugend unter selbstgewaehlten
Condottieren massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief diese
Landknechtfahrten in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter
noch darzustellen sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso
bezeichnend wie die Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht
ihre Entstehung, aber ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar
waehrend des Gastmahls Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem
Rang der geladenen Gaeste abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten
samnitischen Stadt, die wohl ohne Zweifel auch mit dem hier noch
nachwirkenden etruskischen Wesen eng zusammenhaengt, musste fuer die
ganze Nation verhaengnisvoll werden; wenn auch der kampanische Adel es
verstand, mit dem tiefsten Sittenverfall ritterliche Tapferkeit und
hohe Geistesbildung zu verbinden, so konnte er doch fuer seine Nation
nimmermehr werden, was die roemische Nobilitaet fuer die latinische
war. Aehnlich wie auf die Kampaner, wenn auch in minderer Staerke,
wirkte der hellenische Einfluss auf die Lucaner und Brettier. Die
Graeberfunde in all diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst
daselbst mit barbarischem Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und
Bernsteinschmuck, das prachtvolle gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt
den Haeusern der Toten entheben, lassen ahnen, wie weit man hier schon
sich entfernt hatte von der alten Sitte der Vaeter. Andere Spuren
bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden mitgebrachte ward
von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der griechischen
vertauscht, waehrend in Kampanien das nationale Alphabet und wohl auch
die Sprache unter dem bildenden Einfluss der griechischen sich
selbstaendig entwickelte zu groesserer Klarheit und Feinheit. Es
begegnen sogar einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie.
Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberuehrt von diesen
Neuerungen, die, so schoen und natuerlich sie teilweise sein mochten,
doch maechtig dazu beitrugen, das von Haus aus schon lose Band der
nationalen Einheit immer mehr zu lockern. Durch den Einfluss des
hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in den samnitischen Stamm. Die
gesitteten “Philhellenen” Kampaniens gewoehnten sich, gleich den
Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der Berge zu zittern, die
ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen und die
entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener
Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen
mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war
zerfahren und zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen
Samnium hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter
ungeschmaelert bewahrt, war aber auch darueber mit den uebrigen
samnitischen Voelker- und Buergerschaften voellig zerfallen.
In der Tat war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den
Samniten der Gebirge, der die Roemer ueber den Liris fuehrte. Die
Sidiciner in Teanum, die Kampaner in Capua suchten gegen die eigenen
Landsleute, die mit immer neuen Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten
und darin sich festzusetzen drohten, Hilfe bei den Roemern (411 343).
Als das begehrte Buendnis verweigert ward, bot die kampanische
Gesandtschaft die Unterwerfung der Stadt unter die Oberherrlichkeit
Roms an, und solcher Lockung vermochten die Roemer nicht zu
widerstehen. Roemische Gesandte gingen zu den Samniten, ihnen den neuen
Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern, das Gebiet der befreundeten
Macht zu respektieren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im
einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15; wir sehen nur, dass zwischen Rom
und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es ohne vorhergehenden
Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer freie Hand
erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die Volsker am
oberen Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden, erklaert sich aus
den gewaltigen Anstrengungen, die eben um diese Zeit die Tarentiner
machten, sich der sabellischen Nachbarn zu entledigen; aber auch die
Roemer hatten guten Grund, sich mit den Samniten so schnell wie
moeglich abzufinden, denn der bevorstehende Uebergang der suedlich an
Latium angrenzenden Landschaft in roemischen Besitz verwandelte die
laengst unter den Latinern bestehende Gaerung in offene Empoerung. Alle
urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den roemischen
Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen gegen Rom,
mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von den
ausserhalb der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten
Volskerstaedte Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung
beteiligten. Dass die Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den
Roemern angetragenen Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der
roemischen Herrschaft wieder ledig zu werden, bereitwillig ergriffen
und, trotz des Widerstandes der an dem Vertrag mit Rom festhaltenden
Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche Sache mit der
latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen die noch
selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker
sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht
beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die
ueber den Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren
durch den Aufstand der Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein
Sieg konnte sie retten. Bei Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und
Sinuessa) ward die entscheidende Schlacht geliefert (414 340): der
Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus erfocht ueber die vereinigten
Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg. In den beiden folgenden
Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch Widerstand
leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die ganze
Landschaft zur Unterwerfung gebracht.
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^15 Vielleicht kein Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger
entstellt als die Erzaehlung des ersten samnitisch-latinischen Krieges,
wie sie bei Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa
folgendermassen. Nachdem 411 (343) beide Konsuln in Kampanien
eingerueckt waren, erfocht zuerst der Konsul Marcus Valerius Corvus am
Berge Gaurus ueber die Samniten einen schweren und blutigen Sieg;
alsdann auch der Kollege Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der
Vernichtung in einem Engpass durch Hingebung einer von dem Kriegstribun
Publius Decius gefuehrten Abteilung entgangen war. Die dritte und
entscheidende Schlacht ward am Eingang der Caudinischen Paesse bei
Suessula von den beiden Konsuln geschlagen; die Samniten wurden
vollstaendig ueberwunden - man las vierzigtausend ihrer Schilde auf dem
Schlachtfelde auf - und zum Frieden genoetigt, in welchem die Roemer
Capua, das sich ihnen zu eigen gegeben, behielten, Teanum dagegen den
Samniten ueberliessen (413 341). Glueckwuensche kamen von allen Seiten,
selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verweigert hatten und
gegen Rom zu ruesten schienen, wandten ihre Waffen statt gegen Rom
vielmehr gegen die Paeligner, waehrend die Roemer zunaechst durch eine
Militaerverschwoerung der in Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412
342), dann durch die Einnahme von Privernum (413 341) und den Krieg
gegen die Antiaten beschaeftigt waren. Nun aber wechseln ploetzlich und
seltsam die Parteiverhaeltnisse. Die Latiner, die umsonst das roemische
Buergerrecht und Anteil am Konsulat gefordert hatten, erhoben sich
gegen Rom in Gemeinschaft mit den Sidicinern, die vergeblich den
Roemern die Unterwerfung angetragen hatten und vor den Samniten sich
nicht zu retten wussten, und mit den Kampanern, die der roemischen
Herrschaft bereits muede waren. Nur die Laurenter in Latium und die
kampanischen Ritter hielten zu den Roemern, welche ihrerseits
Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das
latinische Heer ueberfiel Samnium; das roemisch-samnitische schlug,
nachdem es an den Fuciner See und von da an Latium vorueber in
Kampanien einmarschiert war, die Entscheidungsschlacht gegen die
vereinigten Latiner und Kampaner am Vesuv, welche der Konsul Titus
Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die Hinrichtung seines
eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die schwankende
Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege Publius Decius Mus die
Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung
der letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite Schlacht, die der
Konsul Manlius den Latinern und Kampanern bei Trifanum lieferte, machte
dem Krieg ein Ende; Latium und Capua unterwarfen sich und wurden um
einen Teil ihres Gebietes gestraft.
Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser
Bericht von Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das
Kriegfuehren der Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33);
der selbstaendige Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im
schneidenden Widerspruch zu den Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom
und Latium; der unerhoerte Marsch des roemischen Heeres durch das
marsische und samnitische Gebiet nach Capua, waehrend ganz Latium gegen
Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem ebenso verwirrten wie
sentimentalen Bericht ueber den Militaeraufstand von 412 (342) und den
Geschichtchen von dem gezwungenen Anfuehrer desselben, dem lahmen Titus
Quinctius, dem roemischen Goetz von Berlichingen. Vielleicht noch
bedenklicher sind die Wiederholungen; so ist die Erzaehlung von dem
Kriegstribun Publius Decius nachgebildet der mutigen Tat des Marcus
Calpurnius Flamma, oder wie er sonst hiess, im Ersten Punischen Kriege;
so kehrt die Eroberung Privernums durch Gaius Plautius wieder im Jahre
425 (329), und nur diese zweite ist in den Triumphalfasten verzeichnet;
so der Opfertod des Publius Decius bekanntlich bei dem Sohne desselben
459 (295). Ueberhaupt verraet in diesem Abschnitt die ganze Darstellung
eine andere Zeit und eine andere Hand als die sonstigen
glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die Erzaehlung ist voll von
ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten Anekdoten, wie zum
Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den Stufen des
Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war, das
Konsulat zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen des Titus
Manlius herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil bedenklichen
archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die Geschichte der
Legion (von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe Notiz ueber die
aus Roemern und Latinern gemischten Manipel des zweiten Tarquinius bei
Liv. 1, 52 offenbar ein zweites Bruchstueck ist), die verkehrte
Auffassung des Vertrages zwischen Capua und Rom (meine Geschichte des
roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A. 122), die
Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische Buendnis,
die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen Umstaenden
erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der anderen und oft
aelteren Berichten folgt, von all diesen Ereignissen schlechterdings
nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum; welche auch in der
Tat schlecht passt zu der uebrigen Erzaehlung, die nach poetischer
Gerechtigkeit schliessen sollte mit dem Tode des Decius.
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Die Folge des Sieges war die Aufloesung des latinischen Bundes.
Derselbe wurde aus einer selbstaendigen politischen Konfoederation in
eine bloss religioese Festgenossenschaft umgewandelt; die
altverbrieften Rechte der Eidgenossenschaft auf ein Maximum der
Truppenaushebung und einen Anteil an dem Kriegsgewinn gingen damit als
solche zu Grunde, und was derart spaeter noch vorkam, traegt den
Charakter der Gnadenbewilligung. An die Stelle des einen Vertrages
zwischen Rom einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits
traten im besten Fall ewige Buendnisse zwischen Rom und den einzelnen
eidgenoessischen Orten. Zu diesem Vertragsverhaeltnis wurden von den
altlatinischen Orten ausser Laurentum auch Tibur und Praeneste
zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets an Rom abtreten mussten.
Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium gegruendeten Gemeinden
latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem Kriege beteiligt
hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander, welche fuer die
nach dem Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits frueher festgestellt
worden war, ward also auf die gesamte Nation erstreckt. Im uebrigen
blieben den einzelnen Orten die bisherigen Gerechtsame und ihre
Autonomie. Die uebrigen altlatinischen Gemeinden sowie die abgefallenen
Kolonien verloren saemtlich die Selbstaendigkeit und traten in einer
oder der anderen Form in den roemischen Buergerverband ein. Die beiden
wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416 338) und Tarracina (425 329)
wurden, nach dem Muster von Ostia, mit roemischen Vollbuergern besetzt
und auf eine engbegrenzte kommunale Selbstaendigkeit beschraenkt, die
bisherigen Buerger zu Gunsten der roemischen Kolonisten ihres
Grundeigentums grossenteils beraubt und, soweit sie es behielten,
ebenfalls in den Vollbuergerverband aufgenommen. Lanuvium, Aricia,
Nomentum, Pedum wurden roemische Buergergemeinden mit beschraenkter
Selbstverwaltung nach dem Muster von Tusculum (l, 360). Velitraes
Mauern wurden niedergerissen, der Senat in Masse ausgewiesen und im
roemischen Etrurien interniert, die Stadt wahrscheinlich als
untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht konstituiert. Von dem
gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel die Laendereien der
veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger verteilt; mit
diesen Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier neuer
Buergerbezirke im Jahre 422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom die
ungeheure Bedeutung des gewonnenen Erfolges empfand, zeigt die
Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister des Jahres 416
(338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und die
Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der
unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren.
In gleicher Weise ward in dem suedlichen volskischen und dem
kampanischen Gebiet die roemische Herrschaft durchgefuehrt und
befestigt. Fundi, Formiae, Capua, Kyme und eine Anzahl kleinerer
Staedte wurden abhaengige roemische Gemeinden mit Selbstverwaltung; um
das vor allem wichtige Capua zu sichern, erweiterte man kuenstlich die
Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte die Gemeindeverfassung
im roemischen Interesse und kontrollierte die staedtische Verwaltung
durch jaehrlich nach Kampanien gesandte roemische Beamte. Dieselbe
Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf dem volskischen Privernum,
dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen fundanischen Parteigaenger
Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die Freiheit dieser Landschaft
den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte mit der Erstuermung der
Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus im roemischen Kerker. Um
eine eigene roemische Bevoelkerung in diesen Gegenden emporzubringen,
teilte man von den im Krieg gewonnenen Laendereien, namentlich im
privernatischen und im falernischen Gebiet, so zahlreiche Ackerlose an
roemische Buerger aus, dass wenige Jahre nachher (436 318) auch dort
zwei neue Buergerbezirke errichtet werden konnten. Die Anlegung zweier
Festungen als Kolonien latinischen Rechts sicherte schliesslich das neu
gewonnene Land. Es waren dies Cales (420 334) mitten in der
kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beobachtet werden
konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang ueber den Liris
beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark und gelangten
schnell zur Bluete, trotz der Hindernisse, welche die Sidiciner der
Gruendung von Cales, die Samniten der von Fregellae in den Weg legten.
Auch nach Sora ward eine roemische Besatzung verlegt, worueber die
Samniten, denen dieser Bezirk vertragsmaessig ueberlassen worden war,
sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging Rom seinem
Ziel entgegen, seine energische und grossartige Staatskunst mehr als
auf dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der gewonnenen
Landschaft, die es politisch und militaerisch mit einem unzerreissbaren
Netze umflocht.
Dass die Samniten das bedrohliche Vorschreiten der Roemer nicht gern
sahen, versteht sich; sie warfen ihnen auch wohl Hindernisse in den
Weg, aber versaeumten es doch jetzt, wo es vielleicht noch Zeit war,
mit der von den Umstaenden geforderten Energie ihnen die neue
Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar Teanum scheinen sie nach dem Vertrag
mit Rom eingenommen und stark besetzt zu haben; denn waehrend die Stadt
frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom nachsucht, erscheint sie
in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der samnitischen Macht gegen
Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl erobernd und
zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die Dauer sich
festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch
nur die Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst
erleichtert ward, und schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria
(Ceccano) und Luca (unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas
Beispiel folgend, sich (424 330) den Roemern zu eigen gaben. Die
samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass die roemische Eroberung
Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor sie sich
ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil in
den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen
Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen
Politik der Eidgenossenschaft zu suchen ist.
KAPITEL VI.
Die Italiker gegen Rom
Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten den
Suedosten der Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische
Kaufmannsrepublik, immer ernstlicher bedroht von den lucanischen und
messapischen Haufen und ihren eigenen Schwertern mit Recht misstrauend,
gewann fuer gute Worte und besseres Geld die Bandenfuehrer der Heimat.
Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit einem starken Haufen den
Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an demselben Tage, wo
Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie die frommen
Griechen meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute neunzehn
Jahre frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen
Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein,
Alexander der Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des
Grossen. Mit den mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen
Fahnen die Zuzuege der Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und
Metapontiner; ferner die Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich
den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht sahen; endlich
sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren betraechtliche Zahl auf
heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossenschaft schliessen laesst.
So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen. Consentia (Cosenza), der
Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland angesiedelten
Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den
Lucanern zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei
Paestum, er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der
suedoestlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im
Begriff, den Roemern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich
die Samniten in ihren Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete
Erfolge waren den Tarentiner Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend;
es kam zum Kriege zwischen ihnen und ihrem Feldhauptmann, der als
gedungener Soeldner erschienen war und nun sich anliess, als wolle er
im Westen ein hellenisches Reich begruenden gleichwie sein Neffe im
Osten. Alexander war anfangs im Vorteil: er entriss den Tarentinern
Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die uebrigen
italischen Griechen aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen
die Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen
ihnen und den sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln.
Allein seine grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung
bei den entarteten und entmutigten Griechen und der notgedrungene
Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei
Pandosia fiel er von der Hand eines lucanischen Emigrierten (422 332)
^1. Mit seinem Tode kehrten im wesentlichen die alten Zustaende wieder
zurueck. Die griechischen Staedte sahen sich wiederum vereinzelt und
wiederum lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut es gehen
mochte, zu schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch
auswaertige Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von
Syrakus die Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten
aufs neue das Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen,
wieder ihre Blicke nach Kampanien und Latium wenden.
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^1 Es wird nicht ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber
Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern
herruehrt und der Synchronismus dieser und der roemischen fuer die
gegenwaertige Epoche noch bloss approximativ festgestellt ist. Man
huete sich daher, den im allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der
west- und der ostitalischen Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen
zu wollen.
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Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung
eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und
zertruemmert, der letzte Widerstand der Volsker gebrochen, die
kampanische Landschaft, die reichste und schoenste der Halbinsel, im
unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz der Roemer, die zweite Stadt
Italiens in roemischer Klientel. Waehrend die Griechen und Samniten
miteinander rangen, hatte Rom fast unbestritten sich zu einer
Machtstellung emporgeschwungen, die zu erschuettern kein einzelnes Volk
der Halbinsel die Mittel mehr besass und die alle zugleich mit
roemischer Unterjochung bedrohte. Eine gemeinsame Anstrengung der jedes
fuer sich Rom nicht gewachsenen Voelker konnte vielleicht die Ketten
noch sprengen, ehe sie voellig sich befestigten; aber die Klarheit, der
Mut, die Hingebung, wie eine solche Koalition unzaehliger, bisher
grossenteils feindlich oder doch fremd sich gegenueberstehender Volks-
und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich nicht oder doch erst,
als es bereits zu spaet war.
Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der
griechischen Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste
Macht in Italien die samnitische Eidgenossenschaft und zugleich
diejenige, die von den roemischen Uebergriffen am naechsten und
unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu, in dem Kampf um die
Freiheit und die Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom zu fuehren
hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie
durfte rechnen auf den Beistand der kleinen sabellischen
Voelkerschaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer
kleinerer Gaue, die in baeuerlicher Abgeschiedenheit zwischen ihren
Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der Aufruf eines verwandten
Stammes sie mahnte, zur Verteidigung der gemeinsamen Gueter die Waffen
zu ergreifen. Wichtiger waere der Beistand der kampanischen und
grossgriechischen Hellenen, namentlich der Tarentiner, und der
maechtigen Lucaner und Brettier gewesen; allein teils die Schlaffheit
und Fahrigkeit der in Tarent herrschenden Demagogen und die Verwicklung
der Stadt in die sizilischen Angelegenheiten, teils die innere
Zerrissenheit der lucanischen Eidgenossenschaft, teils und vor allem
die seit Jahrhunderten bestehende tiefe Verfehdung der unteritalischen
Hellenen mit ihren lucanischen Bedraengern liessen kaum hoffen, dass
Tarent und Lucanien gemeinschaftlich sich den Samniten anschliessen
wuerden. Von den Sabinern und den Marsern als den naechsten und seit
langem in friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn der Roemer
war wenig mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet;
die Apuler, die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die
natuerlichen Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker,
wenn ein erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen
wuerden, liess sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem
Volsker- und Hernikerland lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen
Dingen aber mussten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die
nationale Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft,
auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den uebrigen Voelkern Zeit
gab zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kraefte;
ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und
Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem edlen
Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen und
getan hat.
Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und Samnium infolge
der bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am Liris erlaubten
und unter denen die Gruendung von Fregellae 426 (328) der letzte und
wichtigste war. Zum Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung
die kampanischen Griechen. Seitdem Cumae und Capua roemisch geworden
waren, lag den Roemern nichts so nahe wie die Unterwerfung der
Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen Inseln im Golf
beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige noch
nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von
dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen,
ihnen zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als
zu schlaff waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten
in der Tat eine starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer
dem Namen nach den Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427
327) und begannen die Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine
Weile gewaehrt hatte, wurden die kampanischen Griechen des gestoerten
Handels und der fremden Besatzung muede; und die Roemer, deren ganzes
Bestreben darauf gerichtet war, von der Koalition, deren Bildung
bevorstand, die Staaten zweiten und dritten Ranges durch
Sondervertraege fernzuhalten, beeilten sich, sowie sich die Griechen
auf Unterhandlungen einliessen, ihnen die guenstigsten Bedingungen zu
bieten: volle Rechtsgleichheit und Befreiung vom Landdienst, gleiches
Buendnis und ewigen Frieden. Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten
sich der Besatzung durch List entledigt hatten, der Vertrag
abgeschlossen (428 326).
Im Anfang dieses Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom
Volturnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein
teils ihre sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer,
welche die optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der
List und des Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei
an Capuas Vorgang einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass
diese Staedte nicht lange nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer
Rom oder doch neutral erklaerten.
Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den Roemern in Lucanien. Das Volk
war auch hier mit richtigem Instinkt fuer den Anschluss an die
Samniten; da aber das Buendnis mit den Samniten auch Frieden mit Tarent
nach sich zog und ein grosser Teil der regierenden Herren Lucaniens
nicht gemeint war, die eintraeglichen Pluenderzuege einzustellen, so
gelang es den Roemern, mit Lucanien ein Buendnis abzuschliessen, das
unschaetzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen gemacht
wurde und also die ganze Macht Roms gegen Samnium verwendbar blieb.
So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum dass einige der
oestlichen Bergdistrikte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 (326)
begann der Krieg im samnitischen Lande selbst; einige Staedte an der
kampanischen Grenze, Rufrae (zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae,
wurden von den Roemern besetzt. In den folgenden Jahren durchzogen die
roemischen Heere fechtend und pluendernd Samnium bis in das vestinische
Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie mit offenen Armen
empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der Mut der Samniten war
gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen zurueck und mit ihnen
die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus Papius, welcher den
roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die samnitische
Volksgemeinde beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde zu erbitten
und durch die Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn sich leidlichere
Bedingungen zu erwirken. Aber als die demuetige, fast flehentliche
Bitte bei der roemischen Volksgemeinde keine Erhoerung fand (432 322),
ruesteten sich die Samniten unter ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius
zur aeussersten und verzweifelten Gegenwehr. Das roemische Heer, das
unter den beiden Konsuln des folgenden Jahres (433 321), Spurius
Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen Caserta und
Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage zahlreicher
Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria eng
eingeschlossen haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz
Apuliens hing, in grosser Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte
man zu rechter Zeit anlangen, so konnte kein anderer Weg eingeschlagen
werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo spaeter als
Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische Chaussee von Capua
ueber Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg fuehrte zwischen
den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch einen
feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln
umschlossen und nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt
zugaenglich war. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt.
Die Roemer, ohne Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg
durch Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurueckmarschierend
erblickten sie den Eingang in aehnlicher Weise geschlossen und
gleichzeitig kroenten die Bergraender rings im Kreise sich mit den
samnitischen Kohorten. Zu spaet begriffen sie, dass sie sich durch eine
Kriegslist hatten taeuschen lassen und dass die Samniten nicht bei
Luceria sie erwarteten, sondern in dem verhaengnisvollen Pass von
Caudium. Man schlug sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne
ernstliches Ziel; das roemische Heer war gaenzlich unfaehig zu
manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig ueberwunden. Die roemischen
Generale Boten die Kapitulation an. Nur toerichte Rhetorik laesst dem
samnitischen Feldherrn die Wahl bloss zwischen Entlassung und
Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte nichts Besseres tun als
die angebotene Kapitulation annehmen und das feindliche Heer, die
gesamte augenblicklich aktive Streitmacht der roemischen Gemeinde mit
beiden hoechstkommandierenden Feldherren, gefangen machen; worauf ihm
dann der Weg nach Kampanien und Latium offenstand und unter den
damaligen Verhaeltnissen, wo die Volsker und Herniker und der groesste
Teil der Latiner ihn mit offenen Armen empfangen haben wuerden, Roms
politische Existenz ernstlich gefaehrdet war. Allein statt diesen Weg
einzuschlagen und eine Militaerkonvention zu schliessen, dachte Gavius
Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen Hader beendigen
zu koennen; sei es, dass er die unverstaendige Friedenssehnsucht der
Eidgenossen teilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius zum Opfer
gefallen war, sei es, dass er nicht imstande war, der kriegsmueden
Partei zu wehren, dass sie den beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die
gestellten Bedingungen waren maessig genug: Rom solle die
vertragswidrig angelegten Festungen - Cales und Fregellae - schleifen
und den gleichen Bund mit Samnium erneuern. Nachdem die roemischen
Feldherren dieselben eingegangen waren und fuer die getreuliche
Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene Geiseln gestellt,
ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere Eideswort dafuer
verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen, unverletzt,
aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer gewann es nicht
ueber sich, den gehassten Feinden die schimpfliche Form der
Waffenstreckung und des Abzuges unter dem Galgen durch zu erlassen.
Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und
um das Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich
diejenigen, die ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer dessen
Erfuellung verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann der
unparteiischen Geschichte wenig darauf ankommen, ob die roemische
Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den Buchstaben des Rechts
gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats denselben verletzt
hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer hier kein
Tadel. Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen
Staatsrecht der kommandierende General befugt oder nicht befugt war,
ohne vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen;
dem Geiste und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest,
dass in Rom jeder nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz
der buergerlichen Gewalten gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag
von Rat und Buergerschaft Frieden schloss, mehr tat, als er tun durfte.
Es war ein groesserer Fehler des samnitischen Feldherrn, den roemischen
die Wahl zu stellen zwischen Rettung ihres Heeres und Ueberschreitung
ihrer Vollmacht, als der roemischen, dass sie nicht die Seelengroesse
hatten, die letztere Anmutung unbedingt zurueckzuweisen; und dass der
roemische Senat einen solchen Vertrag verwarf, war recht und notwendig.
Kein grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als unter dem Druck
der aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind
Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn
jede Nation mit Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege
mit den Waffen zu zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an
einem Vertrage gleich dem Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher
Feldherr moralisch genoetigt worden ist, geduldig festzuhalten, wenn
die frische Schande brennt und die Kraft ungebrochen dasteht?
So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die die
Friedensenthusiasten in Samnium toerichterweise davon erhofft hatten,
sondern nur Krieg und wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf
beiden Seiten durch die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene
feierliche Wort, die geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen
Kameraden. Die ausgelieferten roemischen Offiziere wurden von den
Samniten nicht angenommen, teils weil sie zu gross dachten, um an
diesen Ungluecklichen ihre Rache zu ueben, teils weil sie damit den
Roemern wuerden zugestanden haben, dass das Buendnis nur die
Schwoerenden verpflichtet habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig
verschonten sie sogar die Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht
verwirkt war, und wandten sich vielmehr sogleich zum Waffenkampf.
Luceria ward von ihnen besetzt, Fregellae ueberfallen und erstuermt
(434 320), bevor die Roemer die aufgeloeste Armee wieder reorganisiert
hatten; was man haette erreichen koennen, wenn man den Vorteil nicht
haette aus den Haenden fahren lassen, zeigt der Uebertritt der
Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber Rom war nur augenblicklich
gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham und Erbitterung bot man dort
auf, was man an Mannschaft und Mitteln vermochte und stellte den
erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr gleich ausgezeichneten
Fuehrer Lucius Papirius Cursor an die Spitze des neugebildeten Heeres.
Dasselbe teilte sich; die eine Haelfte zog durch die Sabina und das
adriatische Litoral vor Luceria, die andere ebendahin durch Samnium
selbst, indem die letztere das samnitische Heer unter gluecklichen
Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen unter den Mauern
von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward, als dort
die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler, namentlich die
Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand, vorzueglich
durch Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum Entsatz der
Stadt eine Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab sich Luceria
den Roemern (435 319): Papirius genoss die doppelte Freude, die
verlorengegebenen Kameraden zu befreien und der samnitischen Besatzung
von Luceria die Galgen von Caudium zu vergelten. In den folgenden
Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so sehr in Samnium
gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst zuechtigten
die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen und
frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und
den Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur
Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft.
Alsdann zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt
gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de’ Goti) eroberten (438
316). Jetzt aber schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie
wenden zu wollen. Die Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald
darauf die Nolaner auf ihre Seite; am oberen Liris vertrieben die
Soraner selbst die roemische Besatzung (439 315); eine Erhebung der
Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das wichtige Cales; selbst in
Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten. Ein samnitisches
Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in der
Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu
geben (440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen
und, nachdem die samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314),
wieder genommen. Die Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer
Strenge unterdrueckt, ehe der Aufstand recht zum Ausbruch kam, und
gleichzeitig ein eigener Diktator ernannt, um die politischen Prozesse
gegen die Fuehrer der samnitischen Partei in Capua einzuleiten und
abzuurteilen, so dass die namhaftesten derselben, um dem roemischen
Henker zu entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das
samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien
gezwungen; die Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend,
ueberschritten den Matese und lagerten im Winter 440 (314) vor der
Hauptstadt Samniums Bovianum. Nola war von den Verbuendeten
preisgegeben; die Roemer waren einsichtig genug, durch den
guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen Bundesvertrag die Stadt
fuer immer von der samnitischen Partei zu trennen (441 313). Fregellae,
das seit der caudinischen Katastrophe in den Haenden der antiroemischen
Partei und deren Hauptburg in der Landschaft am Liris gewesen war, fiel
endlich auch, im achten Jahre nach der Einnahme durch die Samniten (441
313); zweihundert der Buerger, die vornehmsten der nationalen Partei,
wurden nach Rom gefuehrt und dort zum warnenden Beispiel fuer die
ueberall sich regenden Patrioten auf offenem Markte enthauptet.
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^2 Es sind dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern
die einer anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde
ohne Stimmrecht konstituierten Stadt bei Arpinum.
^3 Dass zwischen den Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein
foermlicher zweijaehriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als
unwahrscheinlich.
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Hiermit waren Apulien und Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur
endlichen Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten
Gebietes wurden in den Jahren 440 bis 442 (314 bis 312) in demselben
eine Anzahl neuer Festungen gegruendet: Luceria in Apulien, wohin
seiner isolierten und ausgesetzten Lage wegen eine halbe Legion als
bleibende Besatzung gesandt ward, ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur
Sicherung der kampanischen Gewaesser, Saticula an der
kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium, endlich
Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der
Strasse von Rom nach Capua. Besatzungen kamen ausserdem nach Caiatia
(Cajazzo), Sora und anderen militaerisch wichtigen Plaetzen. Die grosse
Militaerstrasse von Rom nach Capua, die der Zensor Appius Claudius 442
(312) chaussieren und den dazu erforderlichen Damm durch die
Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die Sicherung Kampaniens.
Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der Roemer; es
galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische Festungs- und
Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von beiden Seiten
schon waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon schnitt die
Linie von Rom nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander ab, wie
einst die Festungen Norba und Signia die Volsker und Aequer getrennt
hatten; und wie damals auf die Herniker, stuetzte Rom sich jetzt auf
die Arpaner. Die Italiker mussten erkennen, dass es um ihrer aller
Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, und dass es die
allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon fuenfzehn
Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich
mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen.
Die naechsten Bundesgenossen der Samniten waeren die Tarentiner
gewesen; allein es gehoert zu dem ueber Samnium und ueber Italien
ueberhaupt waltenden Verhaengnis, dass in diesem zukunftbestimmenden
Augenblick die Entscheidung in den Haenden dieser italischen Athener
lag. Seit die urspruenglich nach alter dorischer Art streng
aristokratische Verfassung Tarents in die vollstaendigste Demokratie
uebergegangen war, hatte in dieser hauptsaechlich von Schiffern,
Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt ein unglaublich reges Leben
sich entwickelt; Sinn und Tun der mehr reichen als vornehmen
Bevoelkerung wehrte allen Ernst des Lebens in dem witzig und geistreich
quirlenden Tagestreiben von sich ab und schwankte zwischen dem
grossartigsten Wagemut und der genialsten Erhebung und zwischen
schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es wird auch in
diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter und
altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft sein,
daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor dieser Zeit
(389) nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am Dionysienfest
die ganze Stadt berauscht sah, und dass das parodische Possenspiel, die
sogenannte “lustige Tragoedie” eben um die Zeit des grossen
samnitischen Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser
Lotterwirtschaft und Lotterpoesie der Tarentiner Eleganten und
Literaten liefert die Ergaenzung die unstete, uebermuetige und
kurzsichtige Politik der Tarentiner Demagogen, welche regelmaessig da
sich beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da ausblieben,
wo ihr naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der
caudinischen Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien
gegenueberstanden, Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien
geboten, die Waffen niederzulegen (434 320). Diese diplomatische
Intervention in dem italischen Entscheidungskampf konnte
verstaendigerweise nichts sein als die Ankuendigung, dass Tarent aus
seiner bisherigen Passivitaet jetzt endlich herauszutreten entschlossen
sei. Grund genug hatte es wahrlich dazu, wie schwierig und gefaehrlich
es auch fuer Tarent selbst war, in diesen Krieg verwickelt zu werden:
denn die demokratische Machtentwicklung des Staates hatte sich
lediglich auf die Flotte geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf
die starke Handelsmarine Tarents, unter den grossgriechischen
Seemaechten den ersten Rang einnahm, bestand die Landmacht, auf die es
jetzt ankam, wesentlich aus gemieteten Soeldnern und war in tiefem
Verfall. Unter diesen Umstaenden war es fuer die tarentinische Republik
keine leichte Aufgabe, an dem Kampf zwischen Rom und Samnium sich zu
beteiligen, auch abgesehen von der wenigstens beschwerlichen Fehde, in
welche die roemische Politik die Tarentiner mit den Lucanern zu
verwickeln gewusst hatte. Indes bei kraeftigem Willen waren diese
Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden; und beide streitende Teile fassten
die Aufforderung der tarentinischen Gesandten, mit dem Kampf
einzuhalten, in diesem Sinne auf. Die Samniten als die Schwaecheren
zeigten sich bereit, derselben nachzukommen; die Roemer antworteten
durch die Aufsteckung des Zeichens zur Schlacht. Vernunft und Ehre
geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer Gesandten jetzt die
Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu lassen; allein in
Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und man hatte dort
bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch gespielt. Die
Kriegserklaerung gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen unterstuetzte
man lieber gegen Agathokles von Syrakus, der frueher in tarentinischen
Diensten gestanden hatte und in Ungnade entlassen worden war, die
oligarchische Staedtepartei in Sizilien und sandte, dem Beispiel
Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, die in der kampanischen
See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).
Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die
namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden
zu sein scheinen. Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren
Waffenstillstandsvertrag von 403 (351) schon einige Jahre frueher zu
Ende gegangen war. Die roemische Grenzfestung Sutrium hatte eine
zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den heftigen Gefechten, die
unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer in der Regel den
kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius
Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss im
roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen
wiederherstellte, sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch
die Verschiedenheit der Sprache und die geringen Kommunikationen den
Roemern bis dahin fast unbekannt gebliebene etruskische Land. Der Zug
ueber den noch von keinem roemischen Heer ueberschrittenen Ciminischen
Wald und die Pluenderung des reichen, lange von Kriegsnot verschont
gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die roemische
Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte und
die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet
untersagt hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten
etruskischen Macht zu begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen
zusammen. Allein ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg des
Rullianus, die lange im Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am
Vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen Beginnen eine
gefeierte Heldentat und brach den Widerstand der Etrusker. Ungleich den
Samniten, die nun schon seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf
fochten, bequemten sich schon nach der ersten Niederlage drei der
maechtigsten etruskischen Staedte, Perusia, Cortona und Arretium, zu
einem Sonderfrieden auf dreihundert (444 310) und, nachdem im folgenden
Jahre die Roemer noch einmal bei Perusia die uebrigen Etrusker besiegt
hatten, auch die Tarquinienser zu einem Frieden auf vierhundert Monate
(446 308); worauf auch die uebrigen Staedte vom Kampfe abstanden und in
Etrurien vorlaeufig Waffenruhe eintrat.
Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg nicht
geruht. Der Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den
bisherigen auf die Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer
Plaetze; aber im naechsten Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere
Wendung. Rullianus’ gefaehrliche Lage in Etrurien und die ueber die
Vernichtung der roemischen Nordarmee verbreiteten Geruechte ermutigten
die Samniten zu neuen Anstrengungen; der roemische Konsul Gaius Marcius
Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber der
Umschwung der Dinge in Etrurien zerstoerte die neu aufleuchtenden
Hoffnungen. Wieder trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der gegen
die Samniten gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger
in einer grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die
Eidgenossen ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer
Armee, die Buntroecke mit den Gold-, die Weissroecke mit den
Silberschilden wurden hier aufgerieben und die glaenzenden Ruestungen
derselben schmueckten seitdem bei festlichen Gelegenheiten die
Budenreihen laengs des roemischen Marktes. Immer hoeher stieg die Not,
immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308)
legten die Etrusker die Waffen nieder; in ebendemselben ergab die
letzte Stadt Kampaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu
Wasser und zu Lande gleichzeitig angegriffen, unter guenstigen
Bedingungen sich den Roemern. Zwar fanden die Samniten neue
Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den Marsern und
Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten
zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was mit entscheidendem
Gewicht gegen Rom in die Waagschale haette fallen koennen, wenn die
Etrusker noch unter Waffen gestanden haetten, vermehrte jetzt bloss die
Erfolge des roemischen Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren.
Den Umbrern, die Miene machten, einen Zug nach Rom zu unternehmen,
verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der Armee von Samnium den Weg,
ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten hindern koennen, und
dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen. Der Krieg zog
sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden besiegt,
ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen Staemme noch
dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch allmaehlich
Samnium von dieser Seite tatsaechlich allein. Aber unerwartet kam ihnen
Beistand aus dem Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft der Herniker, wegen
ihrer unter den samnitischen Gefangenen vorgefundenen Landsleute von
den Roemern zur Rede gestellt, erklaerte diesen jetzt den Krieg (448
306) - mehr wohl aus Verzweiflung, als aus Berechnung. Es schlossen
auch einige der bedeutendsten hernikischen Gemeinden von vornherein
sich von der Kriegfuehrung aus; aber Anagnia, weitaus die ansehnlichste
Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung durch. Militaerisch ward
allerdings die augenblickliche Lage der Roemer durch diesen
unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der Burgen von
Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch einmal war
den Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia fielen ihnen
in die Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet schnell den
von Rom ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese auch dem in
Samnium stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren. Die Samniten
baten um Frieden, indes vergeblich; noch konnte man sich nicht einigen.
Erst der Feldzug von 449 (305) brachte die letzte Entscheidung. Die
beiden roemischen Konsularheere drangen, Tiberius Minucius und nach
dessen Fall Marcus Fulvius von Kampanien aus durch die Bergpaesse,
Lucius Postumius vom Adriatischen Meere her am Biferno hinauf, in
Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum, sich die
Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der
samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum
erstuermt. Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem
zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und
Arpinum ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den
Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme,
die Marser, Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die
Bedingungen, die Rom gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen
wurden zwar einzeln gefordert, zum Beispiel von den Paelignern, allein
sehr bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis
zwischen den sabellischen Staaten und den Roemern wurde erneuert (450
304).
Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen Friedens
ward auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar
hatten beide Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die
Tarentiner hatten dem langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang
bis zu Ende untaetig zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern
gegen die Bundesgenossen Roms, die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar
hatten sie in den letzten Jahren des Samnitischen Krieges noch einmal
Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten. Teils die bedraengte Lage,
in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe sie selbst brachten,
teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende Gefuehl, dass
Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit
bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten
unerfreulichen Erfahrungen abermals einem Condottiere sich
anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf der spartanische Prinz Kleonymos
mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine ebenso starke, in Italien
angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier, der kleineren
Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22 000
Mann stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee
noetigte er die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine
samnitisch gesinnte Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont
ihnen aufgeopfert ward. Noch standen die Samniten unter Waffen, als
dies geschah; nichts hinderte den Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen
und das Gewicht seines starken Heeres und seiner Kriegskunst fuer die
Freiheit der italischen Staedte und Voelker in die Waagschale zu
werfen. Allein Tarent handelte nicht, wie Rom im gleichen Falle
gehandelt haben wuerde; und Prinz Kleonymos selbst war auch nichts
weniger als ein Alexander oder ein Pyrrhos. Er beeilte sich nicht,
einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr Schlaege zu erwarten standen als
Beute, sondern machte lieber mit den Lucanern gemeinschaftliche Sache
gegen Metapont und liess es in dieser Stadt sich wohl sein, waehrend er
redete von einem Zug gegen Agathokles von Syrakus und von der Befreiung
der sizilischen Griechen. Darueber machten denn die Samniten Frieden;
und als nach dessen Abschluss Rom anfing, sich um den Suedosten der
Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern und zum Beispiel im Jahre 447 (307)
ein roemischer Heerhaufen das Gebiet der Sallentiner brandschatzte oder
vielmehr wohl in hoeherem Auftrag rekognoszierte, ging der spartanische
Condottiere mit seinen Soeldnern zu Schiff und ueberrumpelte die Insel
Kerkyra, die vortrefflich gelegen war, um von dort aus gegen
Griechenland und Italien Piratenzuege zu unternehmen. So von ihrem
Feldherrn im Stich gelassen und zugleich ihrer Bundesgenossen im
mittleren Italien beraubt, blieb den Tarentinern sowie den mit ihnen
verbuendeten Italikern, den Lucanern und Sallentinern, jetzt freilich
nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das auf leidliche
Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint. Bald nachher (451 303)
ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im sallentinischen Gebiet
gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit roemischer
Hilfe abgeschlagen.
Roms Sieg war vollstaendig; und vollstaendig ward er benutzt. Dass den
Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Voelkerschaften
ueberhaupt so maessige Bedingungen gestellt wurden, war nicht
Siegergrossmut, die die Roemer nicht kannten, sondern kluge und klare
Berechnung. Zunaechst und vor allem kam es darauf an, nicht so sehr das
suedliche Italien so rasch wie moeglich zur formellen Anerkennung der
roemischen Suprematie zu zwingen als die Unterwerfung Mittelitaliens,
zu welcher durch die in Kampanien und Apulien schon waehrend des
letzten Krieges angelegten Militaerstrassen und Festungen der Grund
gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und die noerdlichen und
suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch von jeder
unmittelbaren Beruehrung miteinander abgeschnittene Massen
auseinanderzusprengen. Darauf zielten denn auch die naechsten
Unternehmungen der Roemer mit energischer Konsequenz. Vor allen Dingen
benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den in der
Tiberlandschaft einstmals mit der roemischen Einzelmacht
rivalisierenden und noch nicht voellig beseitigten Eidgenossenschaften
der Aequer und der Herniker aufzuraeumen. In demselben Jahre, in
welchem der Friede mit Samnium zustande kam (450 304), ueberzog der
Konsul Publius Sempronius Sophus die Aequer mit Krieg; vierzig
Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig Tagen; das gesamte Gebiet mit
Ausnahme des engen und rauhen Bergtals, das noch heute den alten
Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer Besitz und hier am
Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung Alba mit einer
Besatzung von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer gegen die
streitbaren Marser und die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso zwei Jahre
darauf am oberen Turano, naeher an Rom, Carsioli, beide als
Bundesgemeinden latinischen Rechts.
Dass von den Hernikern wenigstens Anagnia sich an dem letzten Stadium
des Samnitischen Krieges beteiligt hatte, gab den erwuenschten Grund,
das alte Bundesverhaeltnis zu loesen. Das Schicksal der Anagniner war
natuerlicherweise bei weitem haerter als dasjenige, welches ein
Menschenalter zuvor den latinischen Gemeinden im gleichen Fall bereitet
worden war. Sie mussten nicht bloss wie diese das roemische
Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern verloren auch gleich
den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres Gebiets am
oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie
gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man
bedauerte nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen
Gemeinden Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren;
denn da sie die Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband
einzutreten, hoeflich ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu
noetigen, mangelte, musste man ihnen wohl nicht bloss die Autonomie,
sondern selbst das Recht der Tagsatzung und der Ehegemeinschaft auch
ferner zugestehen und damit noch einen Schatten der alten hernikischen
Eidgenossenschaft uebrig lassen.
In dem Teil der volskischen Landschaft, welchen bis dahin die Samniten
im Besitz gehabt, banden aehnliche Ruecksichten nicht. Hier wurden
Arpinum und Frusino untertaenig und die letztere Stadt eines Drittels
ihrer Feldmark beraubt, ferner am oberen Liris neben Fregellae die
schon frueher mit Besatzung belegte Volskerstadt Sora jetzt auf die
Dauer in eine latinische Festung verwandelt und eine Legion von 4000
Mann dahin gelegt. So war das alte Volskergebiet vollstaendig
unterworfen und ging seiner Romanisierung mit raschen Schritten
entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und Etrurien scheidet,
wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und beide durch Festungen
gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die Flaminische wurde,
deckte die Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom verbuendete
Ocriculum nach Narnia, wie die Roemer die alte umbrische Feste Nequinum
umnannten, als sie dort eine Militaerkolonie anlegten (455 299). Die
suedliche, die spaetere Valerische, lief an den Fuciner See ueber die
eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba. Die kleinen
Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die Umbrer,
die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal
Alba, die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang
nicht aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel
sich zwischen Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und
Festungsanlagen zur bleibenden Sicherung Apuliens und vor allem
Kampaniens wurde schon gedacht; durch sie ward Samnium weiter nach
Osten und Westen von dem roemischen Festungsnetz umstrickt. Bezeichnend
fuer die verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man es
nicht notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher
Weise durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die
bisherige Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der
roemischen Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von
dort nach Arretium durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch
brauchbarem Stande halten zu lassen ^4.
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^4 Die Operationen in dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die
Anlage der Chaussee von Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass
schon vor dieser Zeit die Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt
worden ist. Allein eine roemische Militaerchaussee kann sie in dieser
Zeit dennoch nicht gewesen sein, da sie, nach ihrer spaeteren Benennung
der “Cassischen Strasse” zu schliessen, als via consularis nicht
frueher angelegt sein kann als 583 (171); denn zwischen Spurius
Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493, 486), an den natuerlich nicht
gedacht werden darf, und Gaius Cassius Longinus, Konsul 583 (171),
erscheint kein Cassier in den roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.
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Die hochherzige samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede
verderblicher war als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie
handelte danach. Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer
Waffenruhe wieder an sich zu regen; noch standen ferner daselbst
einzelne etruskische Gemeinden gegen die Roemer unter den Waffen und es
wechselten hier kurze Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen
Gefechten. Noch war ganz Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in
offenem Aufstand; noch waren die Festungen in der Anlage begriffen, der
Weg zwischen Etrurien und Samnium noch nicht voellig gesperrt.
Vielleicht war es noch nicht zu spaet, die Freiheit zu retten; aber man
durfte nicht saeumen: die Schwierigkeit des Angriffs stieg, die Macht
der Angreifer sank mit jedem Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum
fuenf Jahre hatten die Waffen geruht und noch mussten all die Wunden
bluten, welche der zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften
Samniums geschlagen hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische
Eidgenossenschaft den Kampf erneuerte. Den letzten Krieg hatte
wesentlich Lucaniens Verbindung mit Rom und die dadurch mitveranlasste
Fernhaltung Tarents zu Gunsten Roms entschieden; dadurch belehrt,
warfen die Samniten jetzt sich zuvoerderst mit aller Macht auf die
Lucaner und brachten hier in der Tat ihre Partei ans Ruder und ein
Buendnis zwischen Samnium und Lucanien zum Abschluss. Natuerlich
erklaerten die Roemer sofort den Krieg; in Samnium hatte man es nicht
anders erwartet. Es bezeichnet die Stimmung, dass die samnitische
Regierung den roemischen Gesandten die Anzeige machte, sie sei nicht
imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen, wenn sie samnitisches
Gebiet betraeten.
Der Krieg begann also von neuem (456 298), und waehrend ein zweites
Heer in Etrurien focht, durchzog die roemische Hauptarmee Samnium und
zwang die Lucaner Frieden zu machen und Geiseln nach Rom zu senden. Das
folgende Jahr konnten beide Konsuln nach Samnium sich wenden; Rullianus
siegte bei Tifernum, sein treuer Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei
Maleventum, und fuenf Monate hindurch lagerten zwei roemische Heere in
Feindesland. Es war das moeglich, weil die tuskischen Staaten auf
eigene Hand mit Rom Friedensverhandlungen angeknuepft hatten. Die
Samniten, welche von Haus aus in der Vereinigung ganz Italiens gegen
Rom die einzige Moeglichkeit des Sieges gesehen haben muessen, boten
das Aeusserste auf, um den drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien
und Rom abzuwenden; und als endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den
Etruskern in ihrem eigenen Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich
in der Tat der etruskische Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal
die Entscheidung der Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten
Anstrengungen, um drei Heere zugleich ins Feld zu stellen, das eine
bestimmt zur Verteidigung des eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall
in Kampanien, das dritte und staerkste nach Etrurien; und wirklich
gelangte im Jahre 458 (296) das letzte, gefuehrt von Egnatius selbst,
durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner im
Einverstaendnis waren, ungefaehrdet nach Etrurien. Die Roemer nahmen
waehrend dessen einige feste Plaetze in Samnium und brachen den
Einfluss der samnitischen Partei in Lucanien; den Abmarsch der von
Egnatius gefuehrten Armee wussten sie nicht zu verhindern. Als man in
Rom die Kunde empfing, dass es den Samniten gelungen sei, all die
ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker von den noerdlichen
gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das Eintreffen der
samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast allgemeinen
Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen Gemeinden
aufs eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften kriegsfertig zu
machen und gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward auch in Rom
jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheiratete in Kohorten
formiert - man fuehlte hueben und drueben, dass die Entscheidung
bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, wie es scheint, mit
Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295) stellten die
Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und den
hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in
Etrurien, welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen
verstaerkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel
roemische Vollbuerger, zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve
gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der
Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war Umbrien, wo die Strassen
aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet
zusammenliefen; nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken,
teils am rechten Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken,
waehrend zugleich die erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien
machte, um womoeglich die etruskischen Truppen von dem Platz der
Entscheidung zur Verteidigung der Heimat abzurufen. Das erste Gefecht
lief nicht gluecklich fuer die Roemer ab; ihre Vorhut ward von den
vereinigten Galliern und Samniten in dem Gebiet von Chiusi geschlagen.
Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig als die
Samniten, die durch die Truemmer ihrer Staedte hindurchgezogen waren,
um auf der rechten Walstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die
Nachricht von dem Einfall der roemischen Reserve in Etrurien ein
grosser Teil der etruskischen Kontingente von der Bundesarmee, und die
Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es am oestlichen Abhang des
Apennin bei Sentinum zur entscheidenden Schlacht kam. Dennoch war es
ein heisser Tag. Auf dem rechten Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit
seinen beiden Legionen gegen das samnitische Heer stritt, stand die
Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf dem linken, den Publius Decius
befehligte, wurde die roemische Reiterei durch die gallischen
Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon begannen hier auch die
Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den Priester Marcus Livius
heran und hiess ihn zugleich das Haupt des roemischen Feldherrn und das
feindliche Heer den unterirdischen Goettern weihen; alsdann in den
dichtesten Haufen der Gallier sich stuerzend suchte und fand er den
Tod. Diese heldenmuetige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten
Feldherrn, war nicht vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen
wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach sich in die feindlichen
Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben; und eben im rechten
Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der Konsular Lucius
Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten linken Fluegel.
Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke
und den Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen, und
endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Tore des
Lagers fiel. 9000 Roemer bedeckten die Walstatt; aber der teuer
erkaufte Sieg war solchen Opfers wert. Das Koalitionsheer loeste sich
auf und damit die Koalition selbst; Umbrien blieb in roemischer Gewalt,
die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten, noch immer in
geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die Heimat.
Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges
ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe
wieder von den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460
(294) um Frieden; Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt alle
dem Bunde gegen Rom beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf
vierhundert Monate. Aber die Samniten dachten anders: sie ruesteten
sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit jenem Mute freier Maenner, der
das Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen kann. Als im Jahre 460
(294) die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten, stiessen sie
ueberall auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius erlitt
eine Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien
eindringen und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris
verwuesten. Im Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn
des Helden des ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei
Aquilonia eine grosse Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen
Kern, die 16 000 Weissroecke, mit heiligem Eide geschworen hatte, den
Tod der Flucht vorzuziehen. Indes das unerbittliche Schicksal fragt
nicht nach Schwueren und verzweifeltem Flehen; der Roemer siegte und
stuermte die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe gefluechtet
hatten. Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die
Eidgenossen gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit
beispielloser Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch
manchen Vorteil im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward
noch einmal (462 292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius,
vielleicht der Sohn des Siegers von Caudium, erfocht sogar fuer sein
Volk einen letzten Sieg, den die Roemer niedrig genug an ihm raechten,
indem sie ihn, als er spaeter gefangen ward, im Kerker hinrichten
liessen (463 291). Aber nichts regte sich weiter in Italien; denn der
Krieg, den Falerii 461 (293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl
mochte man in Samnium sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das
allein noch imstande war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es
waren dieselben Ursachen wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents
herbeifuehrten: das innere Missregiment und der abermalige Uebertritt
der Lucaner zur roemischen Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch
die nicht ungegruendete Furcht vor Agathokles von Syrakus, der eben
damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und anfing, sich gegen Italien
zu wenden. Um das Jahr 455 (299) setzte dieser auf Kerkyra sich fest,
von wo Kleonymos durch Demetrios den Belagerer vertrieben war und
bedrohte nun vom Adriatischen wie vom Ionischen Meere her die
Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig Pyrrhos von Epeiros im
Jahre 459 (295) beseitigte allerdings zum grossen Teil die gehegten
Besorgnisse; allein die kerkyraeischen Angelegenheiten fuhren fort, die
Tarentiner zu beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464 (290) den Koenig
Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schuetzen halfen, und
ebenso hoerte Agathokles nicht auf, durch seine italische Politik die
Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 289) und mit ihm die Macht
der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu spaet; Samnium, des
siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr vorher (464
290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede
geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal
wurden, wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern
keine schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht
einmal Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die
roemische Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen Wege
fortzuschreiten, und ehe man an die unmittelbare Eroberung des
Binnenlandes ging, zunaechst das kampanische und adriatische Litoral
fest und immer fester an Rom zu knuepfen. Kampanien zwar war laengst
untertaenig; allein die weitblickende roemische Politik fand es noetig,
zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei Strandfestungen
anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue Buergerschaften
nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das volle
roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung
der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die
Unterwerfung der Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten
Samnitischen Krieges war, so schloss sich an das Ende des Zweiten
diejenige der Sabiner. Derselbe Feldherr, der die Samniten schliesslich
bezwang, Manius Curius, brach in demselben Jahre (464 290) den kurzen
und ohnmaechtigen Widerstand derselben und zwang die Sabiner zur
unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen Gebiets wurde
von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische Buerger
ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum,
Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio)
aufgezwungen. Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht
gegruendet; die Landschaft kam vielmehr unter die unmittelbare
Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis zum Apennin und den
umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht auf das
Gebiet diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich
gezeigt, dass die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur
gesichert war, wenn sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der
Roemer jenseits des Apennin beginnt mit der Anlegung der starken
Festung Hatria (Atri) im Jahre 465 (289), an der noerdlichen Abdachung
der Abruzzen gegen die picenische Ebene, nicht unmittelbar an der
Kueste und daher latinischen Rechts, aber dem Meere nah und der
Schlussstein des gewaltigen, Nord- und Sueditalien trennenden Keils.
Aehnlicher Art und von noch groesserer Bedeutung war die Gruendung von
Venusia (463 291), wohin die unerhoerte Zahl von 20000 Kolonisten
gefuehrt ward; die Stadt, an der Markscheide von Samnium, Apulien und
Lucanien, auf der grossen Strasse zwischen Tarent und Samnium in einer
ungemein festen Stellung gegruendet, war bestimmt, die Zwingburg der
umwohnenden Voelkerschaften zu sein und vor allen Dingen zwischen den
beiden maechtigsten Feinden Roms im suedlichen Italien die Verbindung
zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu gleicher Zeit auch die
Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt hatte, von
dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich, als die
Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst fast
ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts
bestehende Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich
bis in die Abruzzen und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach
Capua, waehrend die beiden vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia,
gegen Osten und Sueden auf den Verbindungslinien der Gegner angelegt,
dieselben nach allen Richtungen hin isolierten. Rom war nicht mehr
bloss die erste, sondern bereits die herrschende Macht auf der
Halbinsel, als gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt
diejenigen Nationen, welche die Gunst der Goetter und die eigene
Tuechtigkeit jede in ihrer Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im
Rat und auf dem Schlachtfeld sich einander zu naehern begannen und, wie
in Olympia die vorlaeufigen Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf,
so auf der groesseren Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und
Rom sich anschickten zu dem letzten und entscheidenden Wettgang.
KAPITEL VII.
König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens
In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die
Griechen ihre roemischen Herren damit zu aergern, dass sie als die
Ursache der roemischen Groesse das Fieber bezeichneten, an welchem
Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 (323) in Babylon verschied.
Da es nicht allzu troestlich war, das Geschehene zu ueberdenken,
verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem, was haette kommen
moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht gewesen sein soll,
als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den
Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern die Erde streitig
gemacht haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass Alexander mit
solchen Gedanken sich trug; und man braucht auch nicht, um sie zu
erklaeren, bloss darauf hinzuweisen, dass ein Autokrat, der
kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist, nur schwer die
Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines griechischen
Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner
gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein Ende
zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben
zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten
Gelegenheit genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen und
Beziehungen dort anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen
Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes notwendig
auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die
nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die tyrische Kolonie in
eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago
gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes mochten
dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit den
Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene
Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein
griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die
ganze materielle Fuelle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten;
mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gruendung des
Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete sich
sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der
verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer
aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen
Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und
verkuemmert. Bei solchen Verhaeltnissen konnten weder die griechischen
noch die asiatisch-aegyptischen Staaten daran denken, im Okzident
festen Fuss zu fassen und gegen die Roemer oder die Karthager sich zu
wenden. Das oestliche und das westliche Staatensystem bestanden
nebeneinander, ohne zunaechst politisch ineinanderzugreifen; und
namentlich Rom blieb den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich
fremd. Nur Beziehungen oekonomischer Art stellten sich fest; wie denn
zum Beispiel der rhodische Freistaat, der vornehmste Vertreter einer
neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine
Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448
(306) einen Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat,
wie er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der
caeritischen und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung,
die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus
nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen
Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt
Sparta bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen
waren die Werbungen nichts als kaufmaennische Geschaefte, und Sparta,
obwohl es regelmaessig den Tarentinern zu den italischen Kriegen die
Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie
im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der
Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.
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^1 Die Erzaehlung, dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach
Babylon geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin.
nat. 3, 5, 57), aus dem die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen
(Aristos und Asklepiades bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne
Zweifel schoepften. Kleitarchos war allerdings Zeitgenosse dieser
Ereignisse, aber sein Leben Alexanders nichtsdestoweniger entschieden
mehr historischer Roman als Geschichte; und bei dem Schweigen der
zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem voellig
romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Roemer dem
Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und dieser die zukuenftige
Groesse Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin koennen,
diese Erzaehlung zu den vielen anderen durch Kleitarchos in die
Geschichte eingefuehrten Ausschmueckungen zu stellen.
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Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig
Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass
er seinen Stammbaum zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass
er, waere er friedlicher gesinnt gewesen, als “Koenig” ueber ein
kleines Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch
allenfalls in isolierter Freiheit haette leben und sterben koennen. Man
hat ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und allerdings
die Gruendung eines westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros,
Grossgriechenland, Sizilien gebildet haetten, das die beiden italischen
Meere beherrscht und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen
Grenzvoelker des hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder
gedraengt haben wuerde - dieser Gedanke ist wohl gross und kuehn wie
derjenige, der den makedonischen Koenig ueber den Hellespont fuehrte.
Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den oestlichen
und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen
Armee, in der namentlich der Stab vorzueglich war, dem Grosskoenig
vollkommen die Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das neben
Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine
nennenswerte Armee nur durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf
zufaelligen politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im
Perserreich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer
Koalition von Sekundaerstaaten; Alexander hinterliess sein Erbland
vollkommen gesichert durch die unbedingte Untertaenigkeit Griechenlands
und das starke, unter Antipater zurueckbleibende Heer, Pyrrhos buergte
fuer die Integritaet seines eigenen Gebietes nichts als das Wort eines
zweifelhaften Nachbarn. Fuer beide Eroberer hoerte, wenn ihre Plaene
gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches
zu sein; allein eher noch war es ausfuehrbar, den Sitz der
makedonischen Militaermonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent
oder Syrakus eine Soldatendynastie zu gruenden. Die Demokratie der
griechischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich
in die straffen Formen des Militaerstaats nun einmal nicht
zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die griechischen
Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war ein
nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende
Staemme lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des
Despoten war der Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar
erwuenscht. Im Okzident konnten die Roemer, die Samniten, die Karthager
auch ueberwunden werden; aber kein Eroberer haette es vermocht, die
Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln oder aus den roemischen
Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch ins
Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte der
Gegner - ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine
ausfuehrbare, der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung;
jener als die Vollziehung einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser
als ein merkwuerdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem
neuen Staatensystem und einer neuen Phase der Zivilisation, dieser als
eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk ueberlebte ihn, obwohl der
Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Scheitern
aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kuehne und
grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor
allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in
das Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer
scheidet, so muss Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren
Verwandten sowenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable
von Bourbon Ludwig dem Elften.
Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des
Epiroten, eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der
ritterlichen und liebenswuerdigen Persoenlichkeit desselben, aber mehr
doch noch dem Umstande gilt, dass er der erste Grieche ist, der den
Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen jene unmittelbaren
Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spaetere
Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der
modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen
der Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem
Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen
Kraft - dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst
durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen
Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher
appelliert hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder
spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt. Wenn aber auf der
Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist ihr
Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht
politischen Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen,
dass der Sieg Roms ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der
ueber Gallier und Phoeniker, und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken
beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild beiseite
gelegt ist.
Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser (um
Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer
Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen
Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und
dann das Leben verlor (441 313). Sein damals sechsjaehriger Sohn ward
von dem Herrn der illyrischen Taulantier, Glaukias, gerettet und im
Laufe der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein Knabe, von Demetrios
dem Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes Fuerstentum
(447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der Gegenpartei
wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger Fuerstensohn
im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn zu
beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter
Antigonos machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall
Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem
Urteile des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt
der erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglueckliche Schlacht bei
Ipsos brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den Hof des Gruenders
der Lagidendynastie, wo er durch sein kuehnes und derbes Wesen, seinen
alles nicht Militaerische gruendlich verachtenden Soldatensinn nicht
minder des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog
als durch seine maennliche Schoenheit, der das wilde Antlitz, der
gewaltige Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen Damen. Eben
damals gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal in
Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus
die Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm
daheim zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen,
wie der epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine
Politik zu nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der
Koenigin Berenike einen Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen
Zwecke, indem er dem jungen Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin
Antigone zur Gemahlin gab und dem geliebten “Sohn” zur Rueckkehr in die
Heimat seinen Beistand und seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296).
Zurueckgekehrt in sein vaeterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die
tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums, hingen mit
angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen Juengling,
dem “Adler”, wie sie ihn hiessen. In den um die makedonische Thronfolge
nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der
Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem
ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra,
ja selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit
geringeren Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der
Makedonier selbst. Ja, als Demetrios durch seine eigene Torheit in
Makedonien vom Thron gestuerzt war, trug man dort dem ritterlichen
Gegner, dem Verwandten der Alexandriden, denselben freiwillig an (467
287). In der Tat, keiner war wuerdiger als Pyrrhos, das koenigliche
Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen
Zeit, in der Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit gleichbedeutend zu
werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos’ persoenlich unbefleckter und
sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des makedonischen
Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten
von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das
Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben
Pyrrhos recht eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich
Alexander in seinem Haus, im Freundeskreise allen menschlichen
Beziehungen sein Herz offen erhielt und das in Makedonien so verhasste
orientalische Sultanwesen stets von sich abgewehrt hatte; er, der
gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das
seltsam ueberspannte makedonische Nationalgefuehl, das den elendesten
makedonischen Herrn dem tuechtigsten Fremden vorzog, die unvernuenftige
Widerspenstigkeit der makedonischen Truppen gegen jeden nicht
makedonischen Fuehrer, welcher der groesste Feldherr aus Alexanders
Schule, der Kardianer Eumenes erlegen war, bereitete auch der
Herrschaft des epeirotischen Fuersten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der
die Herrschaft ueber Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht
fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht auch zu hochherzig war, um
sich dem Volke gegen dessen Willen aufzudraengen, ueberliess schon nach
siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner einheimischen
Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467 287). Aber
der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte, der Schwager des
Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von
Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und
wissenschaftliche Abhandlungen ueber die Kriegskunst schrieb, konnte
unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass er zu gesetzter Zeit
im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters durchsah und
von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern und
Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den
Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu
wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die
Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen
Thron, so war ueberhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte
der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke
in die Weite. Die Koenige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl
sonst in nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen,
dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die
treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie fuehrte, dessen
war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhaeltnisse sich
so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte, was vierzig
Jahre frueher Pyrrhos’ Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von
Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt
hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen Plaene
zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer die
hellenische Nation zu gruenden.
Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) fuer Italien
herbeigefuehrt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung
einer neuen Ligue gegen die roemische Uebermacht kam diesmal von den
Lucanern. Dieser Voelkerschaft, die durch ihre Parteinahme fuer Rom die
Tarentiner waehrend der Samnitischen Kriege gelaehmt und zu deren
Entscheidung wesentlich beigetragen hatte, waren dafuer von den Roemern
die Griechenstaedte in ihrem Gebiet preisgegeben worden; und demgemaess
hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in Gemeinschaft mit den
Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu bezwingen. Die
Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner, Stenius
Statilius, und aufs aeusserste bedraengt, wandten sich, ganz wie einst
die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen
hatten und ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und
Selbstaendigkeit, mit der Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den
roemischen Senat. Da das Buendnis mit diesen durch die Anlage der
Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden war, gewaehrten die
Roemer das Begehren der Thuriner und geboten ihren Bundesfreunden von
der Stadt, die sich den Roemern ergeben habe, abzulassen. Die Lucaner
und Brettier, also von den maechtigeren Verbuendeten betrogen um den
Anteil an der gemeinschaftlichen Beute, knuepften Verhandlungen an mit
der samnitisch-tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition
der Italiker zustande zu bringen; und als die Roemer sie durch eine
Gesandtschaft warnen liessen, setzten sie den Gesandten gefangen und
begannen den Krieg gegen Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469
285), indem sie zugleich nicht bloss die Samniten und die Tarentiner,
sondern auch die Norditaliker, die Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen,
mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu vereinigen. In der Tat erhob sich
der etruskische Bund und dang zahlreiche gallische Haufen; das
roemische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treu gebliebenen
Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter den Mauern dieser Stadt von den
senonischen Soeldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel
mit 13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zaehlten zu Roms
Bundesgenossen: die Roemer schickten demnach Gesandte an sie, um ueber
die Stellung von Reislaeufern gegen Rom Klage zu fuehren und die
unentgeltliche Rueckgabe der Gefangenen zu begehren. Aber auf Befehl
des Senonenhaeuptlings Britomaris, der den Tod seines Vaters an den
Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen die roemischen Boten
und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz Norditalien,
Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es konnten
grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen Landschaften diesen
Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es nicht bereits getan,
sich gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die Samniten, immer fuer
die Freiheit einzustehen willig, den Roemern den Krieg erklaert zu
haben; aber geschwaecht und von allen Seiten eingeschlossen, wie sie
waren, konnten sie dem Bunde wenig nuetzen, und Tarent zauderte nach
seiner Gewohnheit. Waehrend unter den Gegnern Buendnisse verhandelt,
Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner zusammengebracht wurden,
handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die Senonen zu empfinden, wie
gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen. Der Konsul Publius
Cornelius Dolabella rueckte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was
nicht ueber die Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und
dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen Nationen (471
283). Bei einem vorzugsweise von seinen Herden lebenden Volke war eine
derartige massenhafte Austreibung wohl ausfuehrbar; wahrscheinlich
halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die gallischen Schwaerme
bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien, Griechenland,
Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten Nachbarn und Stammgenossen
der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die furchtbar
schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich
mit den Etruskern, die noch den Krieg fortfuehrten und deren senonische
Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht mehr als Mietlinge fochten,
sondern als verzweifelte Raecher der Heimat; ein gewaltiges
etruskisch-gallisches Heer zog gegen Rom, um fuer die Vernichtung des
Senonenstammes an der Hauptstadt der Feinde Rache zu nehmen und
vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben Senonen es getan,
Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber den Tiber in
der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den
Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr
darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine
Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bundesgenossen im
Stich und schlossen fuer sich mit den Roemern Frieden (472 282). So war
das gefaehrlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln
ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig zusammenfand, und
dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den Jahren
469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte
bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii
gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472
282) der Konsul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der
Stadt, befreite dieselbe, schlug die Lucaner in einem grossen Treffen
und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren
nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre Retter
erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen
blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii
und namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager
Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten
Vorteil. Die Vernichtung der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende
Strecke des adriatischen Litorals in die Haende gegeben; ohne Zweifel
im Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die
schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich dieser Kueste
sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283) eine
Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der
ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte
eine roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen
Gewaesser, offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort
die roemischen Besitzungen zu decken.
Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden
gelebt. Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen
Vernichtung der Senonen zugesehen, sich die Gruendung von Venusia,
Hatria, Sena, die Besetzung von Thurii und Rhegion gefallen lassen,
ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die roemische Flotte auf ihrer
Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in die tarentinischen
Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker ging,
schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber; die alten Vertraege,
die den roemischen Kriegsschiffen untersagten, oestlich vom Lakinischen
Vorgebirg zu fahren, wurden in der Buergerversammlung von den
Volksmaennern zur Sprache gebracht; wuetend stuerzte der Haufen ueber
die roemischen Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart
ueberfallen, nach heftigem Kampfe unterlagen; fuenf Schiffe wurden
genommen und deren Mannschaft hingerichtet oder in die Knechtschaft
verkauft, der roemische Admiral selbst war in dem Kampf gefallen. Nur
der souveraene Unverstand und die souveraene Gewissenlosigkeit der
Poebelherrschaft erklaert diese schmachvollen Vorgaenge. Jene Vertraege
gehoerten einer Zeit an, die laengst ueberschritten und verschollen
war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gruendung von
Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die
Roemer im guten Glauben an das bestehende Buendnis in den Golf
einfuhren - lag es doch gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere
Verlauf der Dinge zeigt, den Tarentinern durchaus keinen Anlass zur
Kriegserklaerung darzubieten. Wenn die Staatsmaenner Tarents den Krieg
an Rom erklaeren wollten, so taten sie bloss, was laengst haette
geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die Kriegserklaerung statt
auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen Vertragsbruch zu
stuetzen, so liess sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja die
Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Wuerde erachtet hat, das
Einfache einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur
Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt
ueberfiel, war eine Torheit nicht minder als eine Barbarei, eine jener
entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, wo die Gesittung ploetzlich
das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit vor uns hintritt,
gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als vermoege die
Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet auszuwurzeln.
Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen nach dieser
Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung infolge der
Ueberrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften
die Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik den Lucanern
preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom gedraengt hatte,
schwer fuer ihren Abfall von der hellenischen Partei zu den Barbaren.
Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei solcher
Macht und nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag im
Interesse Roms, die tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich
gelten zu lassen, und die leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb
den Antrag, den eine Minoritaet in begreiflicher Erbitterung stellte,
den Tarentinern sofort den Krieg zu erklaeren. Vielmehr wurde die
Fortdauer des Friedens roemischerseits an die maessigsten Bedingungen
geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefangenen,
Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls der
Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach
Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu
geben, ein roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium
einrueckte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu
vergeben, diese Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust
der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein
Abkommen noch moeglich sei. Allein der Versuch, den Frieden zu
erhalten, scheiterte - sei es an dem Widerspruch derjenigen Tarentiner,
die die Notwendigkeit erkannten, den Uebergriffen Roms je eher desto
lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es bloss an der
Unbotmaessigkeit des staedtischen Poebels, der sich mit beliebter
griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in
unwuerdiger Weise vergriff. Nun rueckte der Konsul in das tarentinische
Gebiet ein; aber statt sofort die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er
noch einmal auf dieselben Bedingungen den Frieden; und da auch dies
vergeblich war, begann er zwar die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten
und schlug die staedtischen Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen
wurden ohne Loesegeld entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf,
dass der Kriegsdruck der aristokratischen Partei in der Stadt das
Uebergewicht geben und damit den Frieden herbeifuehren werde. Die
Ursache dieser Zurueckhaltung war, dass die Roemer die Stadt nicht dem
Epeirotenkoenig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben
auf Italien waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische
Gesandtschaft zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache
zurueckgekehrt; der Koenig hatte mehr begehrt, als sie zu bewilligen
Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die Buergerwehr vor
den Roemern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man sich sattsam
ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom, den die
Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend bereit
waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende
Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die
roemische Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen
Soldaten. Die Parteien hielten in der Stadt sich fast die Waage;
endlich blieb die Oberhand der Nationalpartei, wobei ausser dem wohl
gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal ueberhaupt einem Herrn,
lieber einem Griechen als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die
Furcht der Demagogen mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, durch
die Umstaende erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht
saeumen werde, Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten
Schaendlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er
erhielt den Oberbefehl ueber die Truppen der Tarentiner und der
uebrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht,
in Tarent Besatzung zu halten. Dass die Stadt die Kriegskosten trug,
versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen, in Italien nicht
laenger als noetig zu bleiben, vermutlich unter dem stillschweigenden
Vorbehalt, die Zeit, waehrend welcher er dort noetig sein werde, nach
eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch waere ihm die Beute fast unter
den Haenden entschluepft. Waehrend die tarentinischen Gesandten - ohne
Zweifel die Haeupter der Kriegspartei - in Epeiros abwesend waren,
schlug in der von den Roemern jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung
um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem roemisch Gesinnten
uebertragen, als die Rueckkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen
Traktat in Begleitung von Pyrrhos’ vertrautem Minister Kineas die
Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Bald fasste eine festere Hand
die Zuegel und machte dem klaeglichen Schwanken ein Ende. Noch im
Herbst 473 (281) landete Pyrrhos’ General Milon mit 3000 Epeiroten und
besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm folgte zu Anfang des Jahres 474
(280) nach einer stuermischen, zahlreiche Opfer fordernden Ueberfahrt
der Koenig selbst. Er fuehrte nach Tarent ein ansehnliches, aber
buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen, den
Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem
makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die Koenig
Ptolemaeos von Makedonien vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils aus
aetolischen, akarnanischen, athamanischen Soeldnern; im ganzen zaehlte
man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschuetzen, 500 Schleuderer, 3000
Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel weniger, als dasjenige Heer
betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre zuvor den Hellespont
ueberschritt.
Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der
Koenig kam. Zwar hatte der roemische Konsul, sowie er die Soldaten
Milons anstatt der tarentinischen Miliz sich gegenueber aufziehen sah,
den Angriff auf Tarent aufgegeben und sich nach Apulien zurueckgezogen;
aber mit Ausnahme des Gebietes von Tarent beherrschten die Roemer so
gut wie ganz Italien. Nirgends in Unteritalien hatte die Koalition eine
Armee im Felde, und auch in Oberitalien hatten die Etrusker, die allein
noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge (473 281) nichts als
Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe der Koenig zu Schiff
ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen Truppen uebertragen und
ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld stellen zu
koennen erklaert; zu diesen grossen Worten bildete die Wirklichkeit
einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos
uebertragen, war noch erst zu schaffen, und vorlaeufig standen dazu
hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der Koenig
befahl die Anwerbung eines italischen Soeldnerheeres mit tarentinischem
Gelde und hob die dienstfaehigen Leute aus der Buergerschaft zum
Kriegsdienst aus. So aber hatten die Tarentiner den Vertrag nicht
verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie eine andere Ware fuer ihr
Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art Kontraktbruch, dass der
Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber zu erfechten. Je mehr die
Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich gefreut hatte, des
laestigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger stellte man
jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den Saeumigen musste mit
Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der
Friedenspartei Recht, und es wurden sogar mit Rom Verbindungen
angeknuepft oder schienen doch angeknuepft zu werden. Pyrrhos, auf
solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan wie eine
eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser einquartiert, die
Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (συσσίτια)
suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore
mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner
wurden als Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem
gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln
waren notwendig, da es schlechterdings unmoeglich war, sich in
irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der
Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen
im Felde beginnen.
Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um
vor allem die Treue der Bundesgenossen, das heisst der Untertanen zu
sichern, erhielten die unzuverlaessigen Staedte Besatzung und wurden
die Fuehrer der Partei der Unabhaengigkeit, wo es notwendig schien,
festgesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl Mitglieder
des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg selbst wurden grosse
Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausgeschrieben, von
allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent eingemahnt, ja
die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die
Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der
Hauptstadt. Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius
in Etrurien ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht
war natuerlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel
als moeglich ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent
zu erreichen und ihn zu hindern, die Samniten und die uebrigen gegen
Rom in Waffen stehenden sueditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu
vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das Umsichgreifen des Koenigs
sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in den
Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion
liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen Roms
ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius -
entriss den Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die
Haende zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der
Nationalhass der Kampaner gegen die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so
konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen ueber
das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in den Bund aufnehmen,
welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern niedergemacht hatte; und
so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und
Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen Soeldnern
des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher Weise
gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung
die umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische
Besatzung niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen
gelang es den Roemern, durch ein schwaches Korps, das an die lucanische
Grenze rueckte, und durch die Besatzung von Venusia die Lucaner und
Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, waehrend die
Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden
Zahl von Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul
Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur
Deckung der tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und
Pandosia ^2 mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen
aufgestellt (474 280). Die Roemer erzwangen unter Deckung ihrer
Reiterei den Uebergang ueber den Siris und eroeffneten die Schlacht mit
einem hitzigen und gluecklichen Reiterangriff; der Koenig, der seine
Reiter selber fuehrte, stuerzte und die griechischen Reiter, durch das
Verschwinden des Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den
feindlichen Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die
Spitze seines Fussvolks, und von neuem begann ein entscheidenderes
Treffen. Siebenmal trafen die Legionen und die Phalanx im Stoss
aufeinander und immer noch stand der Kampf. Da fiel Megakles, einer der
besten Offiziere des Koenigs, und weil er an diesem heissen Tage die
Ruestung des Koenigs getragen hatte, glaubte das Heer zum zweitenmal,
dass der Koenig gefallen sei; die Reihen wurden unsicher, schon meinte
Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine saemtliche
Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes
durch die Reihen des Fussvolks schreitend, belebte den sinkenden Mut
der Seinigen. Gegen die Reiter wurden die bis dahin zurueckgehaltenen
Elefanten vorgefuehrt; die Pferde scheuten vor ihnen, die Soldaten
wussten den gewaltigen Tieren nicht beizukommen und wandten sich zur
Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die nachsetzenden Elefanten
loesten endlich auch die geschlossenen Glieder des roemischen
Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der trefflichen
thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter den
Fluechtenden an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius
Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten
verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht,
so waere das roemische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest
der roemischen Truppen ueber den Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust
war gross: 7000 Roemer wurden tot oder verwundet von den Siegern auf
der Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Roemer selbst
gaben, wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld zurueckgebrachten
Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos’ Heer
hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten
bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten
waren gefallen. Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die
altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als
die roemische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung
durch den Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen
liess, mag der Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war,
spaeterhin diesen Sieg einer Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er
auch nicht so toericht war, wie die roemischen Poeten nachher gedichtet
haben, in der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten
Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen. Politisch
kam zunaechst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte;
vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Roemer fuer
Pyrrhos ein unschaetzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf
diesem neuen Schlachtfeld sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend
etwas, musste der Sieg von Herakleia dem hinsiechenden Bunde der
Italiker Einigkeit und Energie einhauchen. Aber auch die unmittelbaren
Ergebnisse des Sieges waren ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war
fuer die Roemer verloren; Laevinus zog die dort stehenden Truppen an
sich und ging nach Apulien. Die Brettier, Lucaner, Samniten vereinigten
sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem
Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstaedte
saemtlich dem Koenig zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die roemische
Besatzung aus; von ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er sie
den Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also
traten zu Pyrrhos ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter
den Latinern zeigte sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie
schwer sie auch lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu
entledigen. Venusia, obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen,
hielt unerschuetterlich fest an Rom. Den am Siris Gefangenen, deren
tapfere Haltung der ritterliche Koenig durch die ehrenvollste
Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer
einzutreten; allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht,
sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm
bei ihm Dienste.
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2 Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren
Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.
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Pyrrhos bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger
Militaer, um das Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu
gewiegter Staatsmann, um nicht denjenigen Augenblick, der ihm die
guenstigste Stellung gewaehrte, rechtzeitig zum Friedensschluss zu
benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten Eindruck der gewaltigen
Schlacht, es in Rom durchsetzen zu koennen, dass die griechischen
Staedte in Italien frei wuerden und zwischen ihnen und Rom eine Reihe
Staaten zweiten und dritten Ranges als abhaengige Verbuendete der neuen
griechischen Macht ins Leben traeten; denn darauf gingen seine
Forderungen: Entlassung aller griechischen Staedte - also namentlich
der kampanischen und lucanischen - aus der roemischen Botmaessigkeit
und Rueckgabe des den Samniten, Dauniern, Lucanern, Brettiern
abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich Aufgabe von Luceria und
Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch schwerlich vermieden
werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst zu beginnen, wenn
die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien gewonnen,
vielleicht Afrika erobert war.
Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos’ vertrauter
Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler,
den seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem
Staatsmann der Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen
laesst, hatte Auftrag, die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer
seine Besiegten in der Tat empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen,
den Wunsch des Koenigs, selber nach Rom zu kommen, zu erkennen zu
geben, durch die im Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch
ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch wohlangebrachte
Geschenke die Gemueter zu des Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, alle
Kuenste der Kabinettspolitik, wie sie an den Hoefen von Alexandreia und
Antiocheia erprobt waren, gegen die Roemer zu versuchen. Der Senat
schwankte; manchen erschien es der Klugheit gemaess, einen Schritt
zurueck zu tun und abzuwarten, bis der gefaehrliche Gegner sich weiter
verwickelt haben oder nicht mehr sein wuerde. Indes der greise und
blinde Konsular Appius Claudius (Zensor 442 312, Konsul 447, 458 307,
296), der seit langem sich von den Staatsgeschaeften zurueckgezogen
hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den Senat
fuehren liess, hauchte die ungebrochene Energie einer gewaltigen Natur
mit seinen Flammenworten dem juengeren Geschlecht in die Seele. Man
antwortete dem Koenig das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und
seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, solange
auswaertige Truppen auf italischem Gebiet staenden, und das Wort wahr
zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der
Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat, statt mit seiner
Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen maennlichen
Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren lassen - er
erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm erschienen sei
wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu Gesicht
bekommen.
Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen in Kampanien eingerueckt
war, brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom,
um den Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu
erschuettern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Roemer liessen
sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des Heroldes, “an die
Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu lassen”, hatte gleich nach
der Schlacht von Herakleia die junge Mannschaft sich scharenweise zur
Aushebung gedraengt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem aus
Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte Laevinus, staerker als vorher,
dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen denselben Capua und vereitelte
dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen anzuknuepfen. So straff war
die Haltung der Roemer, dass ausser den unteritalischen Griechen kein
namhafter Bundesstaat es wagte, vom roemischen Buendnis abzufallen. Da
wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche Landschaft,
deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen
Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den Uebergang ueber den Liris
und gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen
von Rom entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm entgegen; aber ueberall
schlossen die Staedte Latiums ihm die Tore, und gemessenen Schrittes
folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach, waehrend von Norden der
Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit den Etruskern durch einen
rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden hatte, eine zweite
roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst die Reserve unter dem
Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig machte.
Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts uebrig als
umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten
Heeren der beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot sich keine
Gelegenheit, einen Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter herankam,
raeumte der Koenig das feindliche Gebiet und verteilte seine Truppen in
die befreundeten Staedte; er selbst nahm Winterquartier in Tarent.
Hierauf stellten auch die Roemer ihre Operationen ein; das Heer bezog
Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats die
am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter
Zelten kampierten.
So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den
Etrurien im entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und
des Koenigs unvermuteter Rueckzug, der die hochgespannten Hoffnungen
der italischen Bundesgenossen gaenzlich taeuschte, wogen zum grossen
Teil den Eindruck des Sieges von Herakleia auf. Die Italiker
beschwerten sich ueber die Lasten des Krieges, namentlich ueber die
schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten Soeldner, und der
Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des unpolitischen wie
unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass
die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge
politisch unloesbar sein moege. Die Ankunft einer roemischen
Gesandtschaft, dreier Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius
Fabricius, liess einen Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm
erwachen; allein es zeigte sich bald, dass sie nur Vollmacht hatte,
wegen Loesung oder Auswechselung der Gefangenen zu unterhandeln.
Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entliess zur Feier der
Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass sie es hielten
und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies, hat
man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die Ehrlosigkeit
der spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit bezeichnender
Weise gefeiert.
Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und
rueckte in Apulien ein, wohin das roemische Heer ihm entgegenkam. In
der Hoffnung durch einen entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in
diesen Landschaften zu erschuettern, bot der Koenig eine zweite
Schlacht an und die Roemer verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli
di Puglia) trafen beide Heere aufeinander. Unter Pyrrhos’ Fahnen
fochten ausser seinen epeirotischen und makedonischen Truppen die
italischen Soeldner, die Buergerwehr - die sogenannten Weissschilde -
von Tarent und die verbuendeten Lucaner, Brettier und Samniten,
zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, ueber
8000 Reiter und 19 Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage
die Latiner, Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner,
Frentaner und Arpaner; auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss,
darunter 20000 roemische Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten
in ihrem Heerwesen Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem
Soldatenblick die Vorzuege der roemischen Manipularordnung erkennend,
hatte auf den Fluegeln die lange Front seiner Phalangen vertauscht mit
einer der Kohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in
Faehnlein und, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus
militaerischen Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner eigenen Leute
die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im
Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener
Reihe. Die Roemer fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art
Streitwagen heran, aus denen Feuerbecken an eisernen Stangen
hervorragten und auf denen bewegliche, zum Herablassen eingerichtete
und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren - gewissermassen das
Vorbild der Enterbruecken, die im Ersten Punischen Krieg eine so grosse
Rolle spielen sollten.
Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint
als der uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten
Tage im Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und
sumpfigen Flussufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen,
ihre Linie zu entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu
bringen. Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Roemern in der
Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne
Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestoert entfalten konnte.
Vergeblich stuerzten sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren
Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem
Angriff von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen
Legionen zum Weichen zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der
Elefanten die auf den roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch
Pfeile und Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Straenge
zerschnitten hatte und nun die Elefanten gegen die roemische Linie
anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das Weichen der
Bedeckungsmannschaft der roemischen Wagen gab das Signal zur
allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da
das nahe Lager die Verfolgten aufnahm. Dass waehrend des Haupttreffens
ein von der roemischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das
schwach besetzte epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt
habe, meldet nur der roemische Schlachtbericht; wenn es aber auch
richtig ist, so haben doch die Roemer auf alle Faelle mit Unrecht
behauptet, dass die Schlacht unentschieden geblieben sei. Beide
Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das roemische Heer ueber
den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des Schlachtfeldes blieb.
Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen Berichte auf
roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den Verwundeten
war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte,
waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war es ein
Sieg, den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare
Lorbeeren; als Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig
Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos
bedurfte eines glaenzenden Erfolges, der das roemische Heer aufloeste
und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoss zum
Parteiwechsel gab; da aber die roemische Armee und die roemische
Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das
nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf laengere
Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben und in
die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer diesmal
in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich, dass
militaerisch die Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso
nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige Koalition den
Vergleich nicht aushielt mit der festgegruendeten roemischen Symmachie.
Wohl konnte das Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen
Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von
Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die
Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die Roemer
schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit
mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel,
wie die griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen
und gewaltigen Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen
Kombinationen. Pyrrhos fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig
seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus,
weil die militaerische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen,
bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben
wuerde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, dass er
den ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen Pflicht sich zu
entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen, boten
bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.
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^3 Diese Zahlen scheinen glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl
an Toten und Verwundeten, fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer
sogar auf roemischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier
Platz finden um an einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich
ist, die fast ausnahmslose Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu
zeigen, in denen die Luege bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.
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Nach Agathokles’ Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an
jeder leitenden Macht. Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten
unfaehige Demagogen und unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten
die Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft
ungestoert aus. Nachdem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die
Zeit gekommen, um zu dem seit Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel
endlich den letzten Schritt zu tun und die ganze Insel unter ihre
Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus.
Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago den Besitz
der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und die
Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen, dass sie ihre Rettung
suchen musste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswaertiger Hilfe; und
niemand konnte diese gewaehren als Koenig Pyrrhos. Pyrrhos war des
Agathokles Tochtermann, sein Sohn, der damals sechzehnjaehrige
Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder Beziehung die
natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn von Syrakus; und
wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus Ersatz darin
finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So
trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter aehnlichen
Bedingungen dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um
475 279), und durch eine seltene Fuegung der Dinge schien sich alles zu
vereinigen zum Gelingen der grossartigen, zunaechst auf den Besitz von
Tarent und Syrakus gebauten Plaene des Epeirotenkoenigs.
Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen
und sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich
enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten
Handelsvertraege jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen
Pyrrhos (475 279), dessen Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn
Pyrrhos roemisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht
angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und
die Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle Karthago
die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den
Roemern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht
gehalten sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide
Staaten sich das Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu
schliessen. Der Zweck des Vertrages war auf roemischer Seite, einen
Angriff auf Tarent moeglich zu machen und Pyrrhos von der Heimat
abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht
ausfuehrbar war, auf seiten der Karthager, den Koenig in Italien
festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen
zu koennen ^4. Es lag also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich
des Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke
karthagische Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von
Ostia, wohin Mago sich begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag
abzuschliessen, nach der sizilischen Meerenge. Die Mamertiner, die fuer
ihre Frevel gegen die griechische Bevoelkerung Messanas die gerechte
Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien und Italien ans Regiment
kam, schlossen sich eng an die Roemer und Karthager und sicherten
diesen die sizilische Seite des Passes. Gern haetten die Verbuendeten
auch Rhegion auf der gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt
gebracht; allein verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung
unmoeglich, und ein Versuch der vereinigten Roemer und Karthager, sich
der Stadt mit gewaffneter Hand zu bemaechtigen, schlug fehl. Von dort
segelte die karthagische Flotte nach Syrakus und blockierte die Stadt
von der Seeseite, waehrend gleichzeitig ein starkes phoenikisches Heer
die Belagerung zu Lande begann (476 278). Es war hohe Zeit, dass
Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die
Angelegenheiten keineswegs so, dass er und seine Truppen dort entbehrt
werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476 (278) Gaius Fabricius
Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte Generale, hatten
den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und obwohl bisher die Roemerin
diesem Kriege nur Niederlagen erlitten hatten, waren nicht sie es,
sondern die Sieger, die sich ermattet fuehlten und den Frieden
herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch, ein leidliches
Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem Koenig einen
Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den
Koenig zu vergiften. Zum Dank gab der Koenig nicht bloss alle
roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei, sondern er fuehlte sich so
hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, dass er zur
Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen Frieden
antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und
Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden
bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere
Antwort. Wollte der Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende
fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstoeren lassen, so blieb
ihm nichts anderes uebrig, als seine italischen Bundesgenossen
preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz der wichtigsten
Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken.
Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich
zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner
Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den
Klagen und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige
bessere Zeiten oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in
Tarent zurueck, des Koenigs Sohn Alexander in Lokri und mit der
Hauptmacht schiffte noch im Fruehjahr 476 (278) sich Pyrrhos in Tarent
nach Syrakus ein.
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^4 Die spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis
die Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die
karthagische Hilfe in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig
gewesen, und die Tatsachen sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht
landete, erklaert sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach
daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und
karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor Rhegion kaempften
die Karthager allerdings fuer Rom.
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Nach Pyrrhos’ Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo
niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner
ueberall sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes
der Kampf ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben
mochte, woran teils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges
schuld war, teils wohl auch die Erschoepfung der Roemer, von deren
furchtbaren Verlusten das Sinken der Buergerrolle von 473 (281) auf 479
(275) um 17000 Koepfe zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem
Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische Pflanzstadt
Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den
guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug
man sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unternommener Angriff
auf die verschanzten Hoehen den Roemern viele Leute kostete, und wandte
sich alsdann nach dem suedlichen Italien, wo die Lucaner und Brettier
geschlagen wurden. Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu
ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den Roemern zuvor; die epeirotische
Besatzung machte alsdann sogar einen gluecklichen Ausfall gegen das
belagernde Heer. Indes gelang es endlich dem Konsul dennoch, dieselbe
durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und der unverteidigten
Stadt sich zu bemaechtigen (477 277). Wichtiger war es, dass die
Lokrenser, die frueher die roemische Besatzung dem Koenig ausgeliefert
hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat suehnend, die epeirotische
erschlugen; womit die ganze Suedkueste in den Haenden der Roemer war
mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man
im wesentlichen doch wenig gefoerdert. Unteritalien selbst war laengst
wehrlos; Pyrrhos aber war nicht bezwungen, solange Tarent in seinen
Haenden und ihm damit die Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben
wieder zu erneuern, und an die Belagerung dieser Stadt konnten die
Roemer nicht denken. Selbst davon abgesehen, dass in dem durch Philipp
von Makedonien und Demetrios den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg
die Roemer gegen einen erfahrenen und entschlossenen griechischen
Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren, bedurfte es dazu einer
starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den Roemern
Unterstuetzung zur See verhiess, so standen doch Karthagos eigene
Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, dass es diese haette
gewaehren koennen.
Pyrrhos’ Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte
ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der
Dinge veraendert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien
Griechenstaedte in kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt
der sikeliotischen Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen
Besitzungen entrissen. Kaum vermochten mit Hilfe der damals auf dem
Mittelmeer ohne Nebenbuhler herrschenden karthagischen Flotte sich die
Karthager in Lilybaeon, die Mamertiner in Messana, und auch hier unter
steten Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umstaenden waere in
Gemaessheit des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen,
den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit
seiner Flotte den Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt aber war
man eben von keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu
sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe
erst angeboten, als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese
ihrerseits hatten nichts getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den
Sturz der karthagischen Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener
Verletzung der Vertraege hatte Karthago sogar dem Koenig einen
Sonderfrieden angetragen und gegen den ungestoerten Besitz von
Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen sizilischen Besitzungen zu
verzichten, sogar dem Koenig Geld und Kriegsschiffe zur Verfuegung zu
stellen, natuerlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur Erneuerung des
Krieges gegen Rom. Indes es war einleuchtend, dass mit dem Besitz von
Lilybaeon und der Entfernung des Koenigs die Stellung der Karthager auf
der Insel ungefaehr dieselbe geworden waere, wie sie vor Pyrrhos’
Landung gewesen war; sich selbst ueberlassen waren die griechischen
Staedte ohnmaechtig und das verlorene Gebiet leicht wiedergewonnen. So
schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und ging
daran, sich selber eine Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und
Kurzsichtigkeit haben dies spaeter getadelt; es war vielmehr ebenso
notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht durchzufuehren.
Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht
ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte, um Lilybaeon zu
erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim anzugreifen, wie es
Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so grossem Erfolg
getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im Sommer 478 (276),
wo er Karthago gedemuetigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit
Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien behauptete, und wo die
neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknuepfen, sichern
und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag.
Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos’ Stellung beruhte auf seiner
fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos
hatte in Aegypten herrschen sehen; er respektierte die
Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Vertrauten zu Amtleuten ueber
die Staedte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab anstatt der
einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern, sprach
Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus und
selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am
lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und
beherrschte Sizilien nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern
als Koenig. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Begriffen
sich ein guter und weiser Regent zu sein duenken und auch wirklich
sein, so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung des
Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer
Freiheitsagonie aller Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das
karthagische Joch dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue
Soldatenregiment. Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den
Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes
karthagisches Heer wagte wieder, sich auf der Insel zu zeigen und,
ueberall von den Griechen unterstuetzt, machte es reissende
Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die Pyrrhos ihm lieferte, war das
Glueck wie immer mit dem “Adler”; allein es hatte sich bei dieser
Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der Insel war und was
kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich entfernte.
Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos einen
zweiten: er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent.
Augenscheinlich musste er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der
Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz
verdraengt und damit den Unzufriedenen den letzten Rueckhalt
abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; hier war
nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den
uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt
wenig gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb,
den nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine
glaenzende Wiederkehr auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn
er die Klagen der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie
sie Pyrrhos sich gestellt hatte, koennen nur geloest werden von
eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefuehl zu
beherrschen vermoegen; und eine solche war Pyrrhos nicht.
Die verhaengnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres
478 (276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der
karthagischen ein heftiges Gefecht zu bestehen und buesste darin eine
betraechtliche Anzahl Schiffe ein. Die Entfernung des Koenigs und die
Kunde von diesem ersten Unfall genuegten zum Sturz des sikeliotischen
Reiches; auf sie hin weigerten alle Staedte dem abwesenden Koenig Geld
und Truppen und der glaenzende Staat brach schneller noch als er
entstanden war wiederum zusammen, teils weil der Koenig selbst die
Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen seiner
Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung
fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht nur kurze Zeit der
Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos’ Unternehmen gescheitert, der
Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer,
der es fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg
nicht mehr als Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um in wildem
Wuerfelspiel sich zu betaeuben und womoeglich im Schlachtgetuemmel
einen Soldatentod zu finden. An der italischen Kueste angelangt, begann
der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions zu bemaechtigen, aber mit
Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den Angriff ab, und in dem
hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig selbst verwundet, indem
er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen ueberrumpelte er
Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen Besatzung
schwer buessten, und pluenderte den reichen Schatz des
Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen. So
gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000
Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem
und nicht mehr begruessten die Italiker in ihnen ihre Retter; das
Vertrauen und die Hoffnung, damit man den Koenig fuenf Jahre zuvor
empfing, waren gewichen, den Verbuendeten Geld und Mannschaft
ausgegangen. Den schwer bedraengten Samniten, in deren Gebiet die
Roemer 478/79 (276/75) ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig
im Fruehjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent auf dem
Arusinischen Felde den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich
mit seinem von Lucanien heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte.
Aber die Heeresabteilung, die den Roemern in die Flanke zu fallen
bestimmt war, verirrte sich waehrend des Nachtmarsches in den Waeldern
und blieb im entscheidenden Augenblick aus; und nach heftigem Kampf
entschieden auch hier wieder die Elefanten die Schlacht, aber diesmal
fuer die Roemer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers
aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute
sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Haende fielen 1300
Gefangene und vier Elefanten - die ersten, die Rom sah, ausserdem eine
unermessliche Beute, aus deren Erloes spaeter in Rom der Aquaedukt,
welcher das Aniowasser von Tibur nach Rom fuehrte, gebaut ward. Ohne
Truppen, um das Feld zu halten, und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine
Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung nach Italien gesteuert hatten,
die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch in der Heimat
fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab. Verzweifelnd an
dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen liess
Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479
275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und
gemessenen Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem verzweifelten
Spieler eine Aussicht eroeffnen mochte. In der Tat gewann er nicht
bloss schnell zurueck, was von seinem Reiche war abgerissen worden,
sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach der
makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas’ ruhiger und
umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und der
Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine
letzten Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg
mehr und fand sein Ende in einem elenden Strassengefecht im
peloponnesischen Argos (482 272).
In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam
verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der
Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in
die Zuegel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich
abwesend, gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des
Koenigs Entfernung in der Stadt die Friedenspartei die Oberhand
gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos darin den Befehl fuehrte, wies ihre
Anmutungen ab und liess die roemisch gesinnten Staedter in dem Kastell,
das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet hatten, auf ihre eigene
Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen beliebte, ohne darum
seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos’ Tode eine karthagische
Flotte in den Hafen einlief und Milon die Buergerschaft im Begriff sah,
die Stadt an die Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem roemischen
Konsul Lucius Papirius die Burg zu uebergeben (482 272) und damit fuer
sich und die Seinigen freien Abzug zu erkaufen. Fuer die Roemer war
dies ein ungeheurer Gluecksfall. Nach den Erfahrungen, die Philipp vor
Perinth und Byzanz, Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht
hatten, laesst sich bezweifeln, ob die damalige Strategik ueberhaupt
imstande war, eine wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See
her zugaengliche Stadt zur Uebergabe zu zwingen; und welche Wendung
haetten die Dinge nehmen moegen, wenn Tarent das in Italien fuer die
Phoeniker geworden waere, was in Sizilien Lilybaeon fuer sie gewesen
war! Indes das Geschehene war nicht zu aendern. Der karthagische
Admiral, da er die Burg in den Haenden der Roemer sah, erklaerte, nur
vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage gemaess den
Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und ging
unter Segel nach Afrika; und die roemische Gesandtschaft, welche wegen
der versuchten Okkupation von Tarent Aufklaerung zu fordern und
Beschwerde zu fuehren nach Karthago gesandt ward, brachte nichts
zurueck als die feierliche und eidliche Bekraeftigung dieser
angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man denn auch in Rom
vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten, vermutlich durch
Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Roemern zurueck;
aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern
niedergerissen werden.
In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch ward, unterwarfen sich
endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die
Haelfte des eintraeglichen und fuer den Schiffbau wichtigen Silawaldes
abtreten mussten.
Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die
Strafe fuer den gebrochenen Fahneneid wie fuer den Mord der
rheginischen Buergerschaft und der Besatzung von Kroton. Es war
zugleich die allgemeine Sache der Hellenen gegen die Barbaren, welche
Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron, unterstuetzte
darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln und
Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der roemischen Expedition gegen
Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in
Sizilien, die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt
zog sich sehr in die Laenge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier
die Meuterer hartnaeckig und lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von
den Roemern erstuermt, was von der Besatzung uebrig war, in Rom auf
offenem Markte gestaeupt und enthauptet, die alten Einwohner aber
zurueckgerufen und soviel moeglich in ihr Vermoegen wieder eingesetzt.
So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertaenigkeit gebracht.
Nur die hartnaeckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des
offiziellen Friedensschlusses noch als “Raeuber” den Kampf fort, sodass
sogar im Jahre 485 (269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt
werden mussten. Aber auch der hochherzigste Volksmut, die tapferste
Verzweiflung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich
auch den samnitischen Bergen die Ruhe.
Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe
von Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als
Zwingburgen fuer Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491
263), als Vorposten gegen die Gallier Ariminum (486 268), in Picenum
Firmum (um 490 264) und die Buergerkolonie Castrum novum; die
Fortfuehrung der grossen Suedchaussee, welche an der Festung Benevent
eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia erhielt, bis zu
den Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des
letzteren Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und
Nachfolger des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden
vorbereitet. Die neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch
einige Kriege mit den kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch
dieselben geschmaelert ward, den Picentern (485, 486 269, 268), von
denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum verpflanzt ward, den
Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den umbrischen
Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung der
Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese
Anlagen ward die Herrschaft Roms ueber das unteritalische Binnenland
und die ganze italische Ostkueste vom Ionischen Meer bis zur keltischen
Grenze ausgedehnt.
Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also
geeinigte Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf
die Seeverhaeltnisse im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu
werfen. Es waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um
die Herrschaft in den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im
ganzen ueberwog trotz der grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389
406-365), Agathokles (437-465 317-289) und Pyrrhos (476-478 278-276)
voruebergehend zur See erlangten, doch hier Karthago und sank Syrakus
mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges herab. Mit Etruriens
Bedeutung zur See war es voellig vorbei; die bisher etruskische Insel
Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die maritime
Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle
gespielt hatte, ward durch die roemische Okkupation gebrochen. Die
tapferen Massalioten behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewaessern;
aber in die Vorgaenge auf den italischen griffen sie nicht wesentlich
ein. Die uebrigen Seestaedte kamen kaum noch ernstlich in Betracht.
Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen
Gewaessern herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt
von Haus aus und ist in der Zeit seiner Frische seinen alten
Traditionen niemals so untreu geworden, dass es die Kriegsmarine
gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so toericht gewesen, bloss
Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte zum Schiffbau die
schoensten Staemme, welche die geruehmten unteritalischen bei weitem
uebertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen
allein schon, dass man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene
Flotte zu besitzen. Indes waehrend der gefaehrlichen Krisen, welche die
Vertreibung der Koenige, die inneren Erschuetterungen in der
roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und die ungluecklichen Kriege
gegen die Etrusker und die Kelten ueber Rom brachten, konnten die
Roemer sich um den Stand der Dinge auf dem Mittelmeer nur wenig
bekuemmern, und bei der immer entschiedener hervortretenden Richtung
der roemischen Politik auf Unterwerfung des italischen Kontinents
verkuemmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts
(ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen die Rede, ausser dass auf
einem roemischen das Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach
Delphi gesandt ward (360 394). Die Antiaten freilich fuhren fort, ihren
Handel mit bewaffneten Schiffen und also auch gelegentlich das
Piratengewerbe zu betreiben und der “tyrrhenische Korsar” Postumius,
den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte allerdings ein Antiate
gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener Zeit zaehlten sie
schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so wuerde bei der
Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als ein Vorteil
gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall
der roemischen Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung der
latinischen Kuesten durch eine griechische, vermutlich sizilische
Kriegsflotte im Jahre 405 (349), waehrend zugleich keltische Haufen das
latinische Land brandschatzend durchzogen. Das Jahr darauf (406 348),
und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck dieser bedenklichen
Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und die Phoeniker von
Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen Bundesgenossen,
einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische Urkunde,
von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf uns
gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die
libysche Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle
ausgenommen, nicht zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr
gleich den einheimischen auf Sizilien, soweit dies karthagisch war, und
in Afrika und Sardinien wenigstens das Recht, gegen den unter Zuziehung
der karthagischen Beamten festgestellten und von der karthagischen
Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen. Den Karthagern
scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier Verkehr
zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmaessigen
latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde
den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu
nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen
- noch gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in
dieselbe Zeit gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen
Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass er
laengere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward; durch denselben
verpflichteten sich die Roemer, gegen welche Zusicherungen
tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser oestlich vom
Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig vom
oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.
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^5 Die Nachweisung, dass die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde
nicht dem Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist
in der Roemischen Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S.
320f., gegeben worden.
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Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der
roemische Senat scheint sie als solche empfunden und die guenstige
Wendung, die die italischen Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der
demuetigenden Vertraege mit Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit
aller Energie benutzt zu haben, um die gedrueckte maritime Stellung zu
verbessern. Die wichtigsten Kuestenstaedte wurden mit roemischen
Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen Kolonisierung
wahrscheinlich in diese Zeit faellt; ferner an der Westkueste Antium im
Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441
(313), womit, da Ardea und Circeii bereits frueher Kolonisten empfangen
hatten, alle namhaften Seeplaetze im Gebiet der Rutuler und Volsker
latinische oder Buergerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der
Aurunker Minturnae und Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen
Paestum und Cosa im Jahre 481 (273), und am adriatischen Litoral Sena
gallica und Castrum novum um das Jahr 471 (283), Ariminum im Jahre 486
(268), wozu noch die gleich nach der Beendigung des Pyrrhischen Krieges
erfolgte Besetzung von Brundisium hinzukommt. In der groesseren Haelfte
dieser Ortschaften, den Buerger- oder Seekolonien ^6, war die junge
Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und lediglich bestimmt,
die Kuesten zu ueberwachen. Die gleichzeitige wohlueberlegte
Bevorzugung der unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen
Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion,
Lokri, Thurii, Herakleia, und deren gleichartige und unter
gleichartigen Bedingungen gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum Landheer
vollendete das um die Kuesten Italiens gezogene roemische Netz.
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^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa,
Sena gallica und Castrum novum.
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Aber mit einer staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden
Generationen haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner
des roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und
Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die
Kriegsmarine des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss
gebracht ward. Einen gewissen Grund dazu legte schon nach der
Unterwerfung von Antium (416 338) die Abfuehrung der brauchbaren
Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die gleichzeitige Verfuegung
indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu enthalten haetten
^7, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie ohnmaechtig
damals die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre
Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als
sodann die sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in
die roemische Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche
jede dieser Staedte sich verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige
Kriegshilfe zu stellen, zu einer roemischen Flotte wenigstens wieder
einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden weiter infolge eines eigens
deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei Flottenherren (duoviri
navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im Samnitischen
Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert selbst
die merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur
Gruendung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um
446 (308) geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie
wenig aber mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre
448 (306) erneuerte Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und
Sizilien betreffenden Bestimmungen des Vertrages von 406 (348)
unveraendert blieben, wurde den Roemern ausser der Befahrung der
oestlichen Gewaesser jetzt weiter die frueher gestattete des
Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen
Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die
Festsetzung auf Korsika ^8 untersagt, sodass nur das karthagische
Sizilien und Karthago selbst ihrem Handel geoeffnet blieben. Man
erkennt hier die mit der Ausdehnung der roemischen Kuestenherrschaft
steigende Eifersucht der herrschenden Seemacht: sie zwang die Roemer,
sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen, sich von den Produktionsplaetzen
im Okzident und im Orient ausschliessen zu lassen - in diesen
Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der oeffentlichen
Belohnung des phoenikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen
Ozean ihm nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit Aufopferung seines
eigenen auf eine Sandbank gefuehrt hatte - und ihre Schiffahrt auf den
engen Raum des westlichen Mittelmeers vertragsmaessig zu beschraenken,
um nur ihre Kueste nicht der Pluenderung preiszugeben und die alte und
wichtige Handelsverbindung mit Sizilien zu sichern. Die Roemer mussten
sich fuegen; aber sie liessen nicht ab von den Bemuehungen, ihr
Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine durchgreifende Massregel
in diesem Sinne war die Einsetzung der vier Flottenquaestoren
(quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste in Ostia,
dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von Cales,
damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus die kampanischen
und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus die
transapenninischen Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des
vierten ist nicht bekannt. Diese neuen staendigen Beamten waren zwar
nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Kuesten zu ueberwachen und zum
Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die Absicht des
roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See wiederzugewinnen und
teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von
Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich
von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich
zutage. Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des
letzten italischen Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang
Koenig Pyrrhos die beiden grossen Staedte noch einmal - es war das
letzte Mal - zum Abschluss einer Offensivallianz; allein die Lauigkeit
und Treulosigkeit dieses Buendnisses, die Versuche der Karthager, sich
in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums
durch die Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr
die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.
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^7 Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari
Antiati populo est) wie an sich glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht
bloss von Kolonisten, sondern auch noch von der ehemaligen, in der
Feindschaft gegen Rom aufgenaehrten Buergerschaft bewohnt. Damit im
Widerspruch stehen freilich die griechischen Berichte, dass Alexander
der Grosse († 431 323) und Demetrios der Belagerer († 471 283) in Rom
ueber antiatische Seeraeuber Beschwerde gefuehrt haben sollen. Der
erste aber ist mit dem ueber die roemische Gesandtschaft nach Babylon
gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem
Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er die Piraterie im
Tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung
abschaffte, und undenkbar ist es gerade nicht, dass die Antiaten auch
als roemische Buerger ihr altes Gewerbe noch trotz des Verbots unter
der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird indes auch auf die
zweite Erzaehlung nicht zu geben sein.
^8 Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen
Vertraegen bestimmt, es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager
roemischen Boden betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen
beiden neutral bleiben (ut neque Romani ad litora Carthaginiensium
accederent neque Carthaginienses ad litora Romanorum - Corsica esset
media inter Romanos et Carthaginienses). Das scheint hierher zu
gehoeren und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen Vertrag
verhindert worden zu sein.
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Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen
Seestaaten zu stuetzen. Mit Massalia bestand das alte enge
Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung
von Rom nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem
Schatzhaus der Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die
Kelten ward in Massalia fuer die Abgebrannten gesammelt, wobei die
Stadtkasse voranging; zur Vergeltung gewaehrte dann der roemische Senat
den massaliotischen Kaufleuten Handelsbeguenstigungen und raeumte bei
der Feier der Spiele auf dem Markt neben der Senatorentribuene den
Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben dahin gehoeren
die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit
Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Kueste,
von den Roemern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsvertraege und
vor allem die fuer Karthago sehr bedenkliche Annaeherung, welche
unmittelbar nach dem Ende des Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und
Syrakus stattfand.
Wenn also die roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung
der Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die
eigene Kriegsmarine der Roemer keineswegs war, was sie nach der
geographischen und kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen,
so fing doch auch sie an, allmaehlich sich aus der voelligen
Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400 (354) herabgesunken war,
wieder emporzuarbeiten; und bei den grossen Hilfsquellen Italiens
mochten wohl die Phoeniker mit besorgten Blicken diese Bestrebungen
verfolgen.
Die Krise ueber die Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte
heran; zu Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien
unter der Herrschaft der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt.
Welche politische Befugnisse dabei die roemische Gemeinde den
saemtlichen uebrigen italischen entzog und in ihren alleinigen Besitz
nahm, das heisst, welcher staatsrechtliche Begriff mit dieser
Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt,
und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise,
fuer diesen Begriff an einem allgemeingueltigen Ausdruck ^9.
Nachweislich gehoerten dazu nur das Kriegs- und Vertrags- und das
Muenzrecht, so dass keine italische Gemeinde einem auswaertigen Staat
Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur verhandeln und kein Courantgeld
schlagen durfte, dagegen jede von der roemischen Gemeinde erlassene
Kriegserklaerung und jeder von ihr abgeschlossene Staatsvertrag von
Rechtswegen alle uebrigen italischen Gemeinden mit band und das
roemische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es
ist wahrscheinlich, dass die formulierten Befugnisse der fuehrenden
Gemeinde sich nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knuepften
hieran tatsaechlich viel weitergehende Herrschaftsrechte sich an.
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^9 Die Klausel, dass das abhaengige Volk sich verpflichtet, “die Hoheit
des roemischen freundlich gelten zu lassen” (maiestatem populi Romani
comiter conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser
mildesten Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend
spaeterer Zeit aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die
privatrechtliche Bezeichnung der Klientel, so treffend sie eben in
ihrer Unbestimmtheit das Verhaeltnis bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1),
ist schwerlich in aelterer Zeit offiziell auf dasselbe angewendet
worden.
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Im einzelnen war das Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der
fuehrenden Gemeinde standen, ein hoechst ungleiches, und es sind in
dieser Hinsicht, ausser der roemischen Vollbuergerschaft, drei
verschiedene Klassen von Untertanen zu unterscheiden. jene selbst vor
allem ward so weit ausgedehnt, als es irgend moeglich war, ohne den
Begriff eines staedtischen Gemeinwesens fuer die roemische Kommune
voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet war bis dahin hauptsaechlich
durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, dass das
suedliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern
entrissenen Strecken am Sacco und am Anio, der groesste Teil der
sabinischen Landschaft und grosse Striche der ehemals volskischen,
besonders die pomptinische Ebene in roemisches Bauernland umgewandelt
und meistenteils fuer deren Bewohner neue Buergerbezirke eingerichtet
waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua abgetretenen
Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese ausserhalb Rom
domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener
Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden hoechstens
Marktflecken (fora et conciliabula). In nicht viel anderer Lage
befanden sich die nach den oben erwaehnten sogenannten Seekolonien
entsandten Buerger, denen gleichfalls das roemische Vollbuergerrecht
verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete. Gegen den Schluss
dieser Periode scheint die roemische Gemeinde damit begonnen zu haben,
den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher oder nah
verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren; welches
wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso
vermutlich auch fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im
eigentlichen Latium, dann am Ausgang dieser Periode (486 268) auf die
sabinischen Staedte erstreckt ward, die ohne Zweifel damals schon
wesentlich latinisiert waren und in dem letzten schweren Krieg ihre
Treue genuegend bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die nach ihrer
frueheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte Selbstverwaltung
auch nach ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; mehr aus
ihnen als aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen
Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der
Zeit die roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die
roemische Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis in
die Naehe von Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach
Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von einer eigentlichen
Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl
Bundesstaedte latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba,
Circeii, sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils ausserhalb
derselben die Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des falernischen
Gebiets, der Stadt Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, ebenfalls
volles Buergerrecht besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt
oder in Doerfern vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien
zerstreut sich fanden.
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^10 Dass Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so
auch zuerst dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich
wahrscheinlich, und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung
die Stadt von Cicero (Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.
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Unter den untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine
suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in
Rechten und Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward
durch die Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom
roemischen Praetor erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel
die bisherigen Ordnungen wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht
sprach fuer sie der roemische Praetor oder dessen jaehrlich in die
einzelnen Gemeinden entsandte “Stellvertreter” (praefecti). Den besser
gestellten von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die
Selbstverwaltung und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die
eigenen Beamten, welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den
Gemeinden schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die
eigene Verwaltung genommen, und es war dies ohne Zweifel die
drueckendste unter den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit. Indes
zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das
Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert
waren, der Vollbuergerschaft einzuverleiben.
Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertaenigen
Gemeinden war die der latinischen Staedte, welche an den von Rom inner-
und selbst schon ausserhalb Italien gegruendeten autonomen Gemeinden,
den sogenannten latinischen Kolonien ebenso zahlreichen als
ansehnlichen Zuwachs erhielt und stetig durch neue Gruendungen dieser
Art sich vermehrte. Diese neuen Stadtgemeinden roemischen Ursprungs,
aber latinischen Rechts wurden immer mehr die eigentlichen Stuetzen der
roemischen Herrschaft ueber Italien. Es waren dies nicht mehr
diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum
gestritten worden war - nicht jene alten Glieder des albischen Bundes,
welche der Gemeinde Rom von Haus aus sich gleich, wo nicht besser
achteten und welche, wie die gegen Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen
Krieges verfuegten furchtbar strengen Sicherheitsmassregeln und die
nachweislich lange noch fortzuckenden Reibungen namentlich mit den
Praenestinern beweisen, die roemische Herrschaft als schweres Joch
empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter oder in Rom
aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und mit Ausnahme von Praeneste
und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch selbstaendige Gemeinden.
Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast
ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt-
und Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders
gearteter Landschaften durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an
Rom geknuepft waren, die als kleine Tyrannen der umliegenden Distrikte
ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom halten mussten wie die
Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge der steigenden
materiellen Vorteile des roemischen Buergertums, aus ihrer wenngleich
beschraenkten Rechtsgleichheit mit den Roemern immer noch einen sehr
ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel ein Teil der
roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu werden pflegte und
die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des Staats ihnen
wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig blieben allerdings auch
hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten Selbstaendigkeit nicht aus.
Venusinische Inschriften aus der Zeit der roemischen Republik und
kuerzlich zum Vorschein gekommene beneventanische ^11 lehren, dass
Venusia so gut wie Rom seine Plebs und seine Volkstribune gehabt und
dass die Oberbeamten von Benevent wenigstens um die Zeit des
Hannibalischen Krieges den Konsultitel gefuehrt haben. Beide Gemeinden
gehoeren zu den juengsten unter den latinischen Kolonien aelteren
Rechts; man sieht, welche Ansprueche um die Mitte des fuenften
Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese sogenannten Latiner,
hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft und in jeder Beziehung
sich ihr gleich fuehlend, fingen schon an, ihr untergeordnetes
Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller Gleichberechtigung zu
streben. Deswegen war denn der Senat bemueht, diese latinischen
Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom waren, doch nach Moeglichkeit
in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken und ihre
bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit
umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den
nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die
Aufhebung des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer
ehemaligen vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der
wichtigsten denselben zustaendigen politischen Rechte ist schon
dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah
ein weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher
nicht angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen
Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu beschraenken. Fuer
die im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und ebenso fuer
alle spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung
vor den uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche
Gleichstellung ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und
Wandel sowie im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den
bisher gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle
Freizuegigkeit, die Befugnis eines jeden ihrer Buerger, durch
Uebersiedelung nach Rom das volle Buergerrecht daselbst zu gewinnen,
fuer die spaeter eingerichteten latinischen Pflanzstaedte beschraenkt
auf diejenigen Personen, welche in ihrer Heimat zu dem hoechsten
Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen blieb es gestattet, ihr
koloniales Buergerrecht mit dem roemischen zu vertauschen. Es erscheint
hier deutlich die vollstaendige Umaenderung der Stellung Roms. Solange
Rom noch, wenn auch die erste, doch nur eine der vielen italischen
Stadtgemeinden war, wurde der Eintritt selbst in das unbeschraenkte
roemische Buergerrecht durchgaengig als ein Gewinn fuer die aufnehmende
Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses Buergerrechts den
Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft als Strafe ihnen
auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein herrschte und die
uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich um: die
roemische Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu bewahren,
und machte darum der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende; obwohl die
Staatsmaenner dieser Zeit doch einsichtig genug waren, wenigstens den
Spitzen und Kapazitaeten der hoechstgestellten Untertanengemeinden den
Eintritt in das roemische Buergerrecht gesetzlich offenzuhalten. Auch
die Latiner also hatten es zu empfinden, dass Rom, nachdem es
hauptsaechlich durch sie sich Italien unterworfen hatte, jetzt ihrer
nicht mehr so wie bisher bedurfte.
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^11 V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C.
Falcilius L. f. consol dedicavit.
^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das
ehemalige Recht von Ariminum, das heisst, setzt der Redner hinzu, das
Recht der “zwoelf Kolonien”, welche nicht die roemische Civitaet, aber
volles Commercium mit den Roemern hatten. Ueber wenige Dinge ist soviel
verhandelt worden wie ueber die Beziehung dieses Zwoelfstaedterechts;
und doch liegt dieselbe nicht fern. Es sind in Italien und im
Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen frueh wieder
verschwundenen, im ganzen vierunddreissig latinische Kolonien
gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - Ariminum,
Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona,
Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und
da Ariminum von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese
neue Ordnung zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen
mit, weil dies die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische
Kolonie war -, so heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das
ariminensische. Damit ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen
Gruenden die hoechste Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle
nach Aquileias Gruendung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten
Kolonien zu den Buergerkolonien gehoerten.
Den Umfang der Rechtsschmaelerung der juengeren latinischen Staedte im
Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir uebrigens nicht voellig zu
bestimmen. Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich,
aber freilich nichts weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p.
590, 62. Frg. Vat. p. 130 Dind.), ein Bestandteil der urspruenglichen
bundesgenoessischen Rechtsgleichheit war, so ist sie jedenfalls den
juengeren nicht mehr zugestanden worden.
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Das Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag
selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne
Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse,
wie zum Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in
voellige Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies
nicht der Fall war, wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten
verhaeltnismaessig sehr umfassende Rechte; wieder andere, wie zum
Beispiel die tarentinischen und die samnitischen Vertraege, moegen sich
der Zwingherrschaft genaehert haben.
Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, dass nicht bloss die
latinische und hernikische, von denen es ueberliefert ist, sondern
saemtliche italische Voelkergenossenschaften, namentlich auch die
samnitische und die lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur
Bedeutungslosigkeit abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner
italischen Gemeinde mit anderen italischen die Verkehrs- oder
Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame Beratschlagungs- und
Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in verschiedener
Weise, dafuer gesorgt worden sein, dass die Wehr- und Steuerkraft der
saemtlichen italischen Gemeinden der fuehrenden zur Disposition stand.
Wenngleich auch ferner noch die Buergermiliz einer- und die Kontingente
“latinischen Namens” anderseits als die wesentlichen und integrierenden
Bestandteile des roemischen Heeres angesehen wurden und ihm somit sein
nationaler Charakter im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht
bloss die roemischen Passivbuerger zu demselben mit herangezogen,
sondern ohne Zweifel auch die nichtlatinischen foederierten Gemeinden
entweder, wie dies mit den griechischen geschah, zur Stellung von
Kriegsschiffen verpflichtet, oder, wie dies fuer die apulischen,
sabellischen und etruskischen auf einmal oder allmaehlich verordnet
worden sein muss, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen Italiker
(formula togatorum) eingetragen. Durchgaengig scheint dieser Zuzug eben
wie der der latinischen Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne
dass doch die fuehrende Gemeinde erforderlichenfalls verhindert gewesen
waere, mehr zu fordern. Es lag hierin zugleich eine indirekte
Besteuerung, indem jede Gemeinde verpflichtet war, ihr Kontingent
selbst auszuruesten und zu besolden. Nicht ohne Absicht wurden darum
vorzugsweise die kostspieligsten Kriegsleistungen auf die latinischen
oder nichtlatinischen foederierten Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine
zum groessten Teil durch die griechischen Staedte instand gehalten und
bei dem Rossdienst die Bundesgenossen, spaeterhin wenigstens, in
dreifach staerkerem Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft
angezogen, waehrend im Fussvolk der alte Satz, dass das
Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein duerfte als das
Buergerheer, noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb.
Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefuegt und
zusammengehalten ward, laesst aus den wenigen auf uns gekommenen
Nachrichten sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhaeltnis,
in welchem die drei Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der
Vollbuergerschaft standen, ist nicht mehr auch nur annaehernd zu
ermitteln ^13 und ebenso die geographische Verteilung der einzelnen
Kategorien ueber Italien nur unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau
zugrunde liegenden leitenden Gedanken liegen dagegen so offen vor, dass
es kaum noetig ist, sie noch besonders zu entwickeln. Vor allem ward,
wie gesagt, der unmittelbare Kreis der herrschenden Gemeinde teils
durch Ansiedelung der Vollbuerger, teils durch Verleihung des
Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie es irgend moeglich war, ohne
die roemische Gemeinde, die doch eine staedtische war und bleiben
sollte, vollstaendig zu dezentralisieren. Als das Inkorporationssystem
bis an und vielleicht schon ueber seine natuerlichen Grenzen ausgedehnt
war, mussten die weiter hinzutretenden Gemeinden sich in ein
Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; denn die reine Hegemonie als
dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So stellte sich, nicht
durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern durch das
unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die Klasse der
herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den Mitteln der
Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung der
Beherrschten durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und
Einrichtung einer moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer
Gemeinden, sowie die Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den
verschiedenen Kategorien der Untertanen. Wie Cato in seinem
Hausregiment dahin sah, dass die Sklaven sich miteinander nicht allzu
gut vertragen moechten, und absichtlich Zwistigkeiten und Parteiungen
unter ihnen naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im grossen; das
Mittel war nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung
desselben Mittels war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die
Verfassung nach dem Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment
der wohlhabenden und angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit
der Menge in einer natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition
stand und durch seine materiellen und kommunalregimentlichen Interessen
darauf angewiesen war, auf Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste
Beispiel in dieser Beziehung gewaehrt die Behandlung von Capua, welches
als die einzige italische Stadt, die vielleicht mit Rom zu rivalisieren
vermochte, von Haus aus mit argwoehnischer Vorsicht behandelt worden zu
sein scheint. Man verlieh dem kampanischen Adel einen privilegierten
Gerichtsstand, gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt in jeder
Hinsicht eine Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht
unbetraechtliche Pensionen - sechzehnhundert je von jaehrlich 450
Stateren (etwa 200 Taler) - auf die kampanische Gemeindekasse an. Diese
kampanischen Ritter waren es, deren Nichtbeteiligung an dem grossen
latinisch-kampanischen Aufstand 414 (340) zu dessen Scheitern
wesentlich beitrug und deren tapfere Schwerter im Jahre 459 (295) bei
Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen das kampanische Fussvolk
in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen Kriege von Rom
abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die roemische Praxis:
die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der abhaengigen Gemeinden
durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das roemische Interesse
auszubeuten, gibt die Behandlung, die Volsinii im Jahre 489 (265)
widerfuhr. Es muessen dort, aehnlich wie in Rom, die Alt- und
Neubuerger sich gegenuebergestanden und die letzteren auf gesetzlichem
Wege die politische Gleichberechtigung erlangt haben. Infolge dessen
wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den roemischen Senat mit
dem Gesuch um Wiederherstellung der alten Verfassung; was die in der
Stadt herrschende Partei begreiflicherweise als Landesverrat
betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen Strafe zog. Der
roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger und liess, da die
Stadt sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische Exekution nicht
bloss die in anerkannter Wirksamkeit bestehende Gemeindeverfassung von
Volsinii vernichten, sondern auch durch die Schleifung der alten
Hauptstadt Etruriens das Herrentum Roms den Italikern in einem Exempel
von erschreckender Deutlichkeit vor Augen legen.
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^13 Es ist zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht
genuegende Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der
waffenfaehigen roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf
etwa 20000 veranschlagen. Nun ist aber von Albas Fall bis auf die
Eroberung von Veii die unmittelbare roemische Mark nicht wesentlich
erweitert worden; womit es vollkommen uebereinstimmt, dass von der
ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um das Jahr 259 (495)
an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der roemischen
Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Buergerbezirke nicht
errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss
der Geborenen ueber die Gestorbenen, durch Einwanderungen und
Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch
schlechterdings unmoeglich, mit den engen Grenzen eines Gebiets von
schwerlich 30 Quadratmeilen die ueberlieferten Zensuszahlen in
Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffenfaehigen
roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts
zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392), wofuer
eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese
Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf einer Linie
stehen und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius
Tullius hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete
aeltere Zensusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen
Traditionen, die eben in ganz detaillierten Zahlenangaben sich gefallen
und sich verraten.
Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts beginnen die
grossen Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle ploetzlich und
betraechtlich steigen musste. Es ist glaubwuerdig ueberliefert, wie an
sich glaublich, dass um 416 (338) man 165000 roemische Buerger zaehlte,
wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre vorher, als man gegen Latium
und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief, das erste Aufgebot
zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den grossen
Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zaehlte man im
fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem
ersten Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige Buerger. Diese
Zahlen sind sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich
nicht vollstaendig brauchbar: dabei naemlich sind wahrscheinlich die
roemischen Vollbuerger und die nicht, wie die Kampaner, in eigenen
Legionen dienenden “Buerger ohne Stimme”, wie zum Beispiel die
Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend doch die letzteren faktisch
durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen (Roemische
Forschungen, Bd. 2, S. 396).
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Aber der roemische Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das
einzige Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene
Maessigung der Gewalthaber ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden
die Autonomie gelassen oder verliehen, die einen Schatten von
Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil an Roms militaerischen und
politischen Erfolgen und vor allem eine freie Kommunalverfassung in
sich schloss - so weit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es
keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit einer
in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit
auf das gefaehrlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die
Untertanen zu besteuern. Hoechstens den abhaengigen keltischen Gauen
moegen Tribute auferlegt worden sein; soweit die italische
Eidgenossenschaft reichte, gab es keine zinspflichtige Gemeinde. Darum
endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die Untertanen mit, aber
doch keineswegs von der herrschenden Buergerschaft abgewaelzt; vielmehr
wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhaeltnis bei weitem staerker
als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich wiederum die
Gesamtheit der Latiner bei weitem staerker in Anspruch genommen als die
nichtlatinischen Bundesgemeinden; so dass es eine gewisse Billigkeit
fuer sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach
ihm die Latinerschaft den besten Teil fuer sich nahmen.
Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der italischen
zuzugpflichtigen Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle sich zu
bewahren, genuegte die roemische Zentralverwaltung teils durch die vier
italischen Quaesturen, teils durch die Ausdehnung der roemischen Zensur
ueber die saemtlichen abhaengigen Staedte. Die Flottenquaestoren hatten
neben ihrer naechsten Aufgabe auch von den neugewonnenen Domaenen die
Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der neuen Bundesgenossen zu
kontrollieren; sie waren die ersten roemischen Beamten, denen
gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen ward und
bildeten zwischen dem roemischen Senat und den italischen Gemeinden die
notwendige Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spaetere
Munizipalverfassung zeigt, in jeder italischen ^14 Gemeinde die
Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte, jedes vierte oder fuenfte
Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu der die Anregung
notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den Zweck gehabt
haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat den
Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens
zu bewahren.
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^14 Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die
sogenannte Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen
Gemeinden vor, deren Verfassung nicht nach dem latinischen Schema
konstituiert ist.
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Mit dieser militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits
des Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von
Rhegion wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen
eines neuen, ihnen allen gemeinsamen Namens zusammen, der “Maenner der
Toga”, was die aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker,
was die urspruenglich bei den Griechen gebraeuchliche und sodann
allgemein gangbar gewordene Bezeichnung ist. Die verschiedenen
Nationen, welche diese Landschaften bewohnten, moegen wohl zuerst sich
als eine Einheit gefuehlt und zusammengefunden haben teils in dem
Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor allem in der
gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine
italische Gemeinde mit diesen gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen
und die Gelegenheit nutzen, um die Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so
brach doch auf die Laenge das gesunde Nationalgefuehl notwendig sich
Bahn. Wie der “gallische Acker” bis in spaete Zeit als der rechtliche
Gegensatz des italischen erscheint, so sind auch die “Maenner der Toga”
also genannt worden im Gegensatz zu den keltischen “Hosenmaennern”
(bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des
italischen Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen
Einfaelle sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle
gespielt. Indem die Roemer teils in dem grossen Nationalkampf an die
Spitze traten, teils die Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und
Hellenen innerhalb der sogleich zu bezeichnenden Grenzen gleichmaessig
noetigten, unter ihren Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin
schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und
staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name Italia, der urspruenglich
und noch bei den griechischen Schriftstellern des fuenften
Jahrhunderts, zum Beispiel bei Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien
eignet, ueber auf das gesamte Land der Togatraeger. Die aeltesten
Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten Wehrgenossenschaft oder des
neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in die Gegend von
Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis an den Aesis
oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern
kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des
Apennin, Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum,
Glieder der Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische
Buergergemeinden waren, doch als geographisch ausserhalb Italien
gelegen. Noch weniger konnten die keltischen Gaue des Apennin,
wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der Klientel
von Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt werden. Das neue
Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im
Zuge, eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende
latinische Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und
einzelne latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur
die Entwicklung dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des
latinischen Rockes Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache
war. Dass aber die Roemer schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten,
zeigt die uebliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze
zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft ^16. Was immer von
diesem grossartigen politischen Bau sich noch erkennen laesst, daraus
spricht der hohe politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und
die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so
verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation
spaeterhin unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem
grossen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so
fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der
roemischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat
anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der
Reihe der politischen Maechte geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in
das System der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle
Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom durch die beiden
feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von Alexandreia
nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch
zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel schon
eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der
aegyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen um
Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den
bestimmenden Einfluss in Griechenland, mit dieser demnaechst um die
Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte nicht fehlen, dass die
neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen
und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis hineingezogen
ward, den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen Nachfolgern
zum Tummelplatz abgesteckt hatten.
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^15 Diese aelteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen
Ortschaften ad fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der
Strasse nach Florenz, die zweite an der Kueste unweit Livorno lag.
Etwas weiter suedlich von dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada
noch jetzt fiume della fine, valle della fine (Targioni Tozzetti,
Viaggi. Bd. 4, S. 430).
^16 Im genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich
nicht. Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem
Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve
nominisve Latini quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia
imperare solent]; ebenso wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der
peregrinus unterschieden und heisst es im Senatsbeschluss ueber die
Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus neve nominis Latini
neve socium quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird von diesen
drei Gliedern sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen und
neben den Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii
gedacht (W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied
in der Bedeutung waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii
Italici (Sall. Iug. 40), so korrekt sie an sich ist, ist dem
offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl ein Italia, aber nicht
Italici kennt.
KAPITEL VIII.
Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität
In der Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb
der roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle
Neuerung die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst
und in untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die
einzelnen Buerger auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des
Beamten zu suchen, wegen Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae)
zu erkennen. Bei allen Bussen von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern,
oder, nachdem durch Gemeindebeschluss vom Jahre 324 (430) die
Viehbussen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020
Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die
Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt
damit das Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes
Gewicht. Unter den vagen Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich
alles, was man wollte, bringen und durch die hoeheren Stufen der
Vermoegensbussen alles, was man wollte, erreichen; es war eine
Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbitraeren Verfahrens weit
mehr offenbart als beseitigt, dass diese Vermoegensbussen, wo sie nicht
gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Haelfte des
dem Gebuessten gehoerigen Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen
Kreis gehoeren schon die Polizeigesetze, an denen die roemische
Gemeinde seit aeltester Zeit ueberreich war: die Bestimmungen der
Zwoelf Tafeln, welche die Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die
Mitgabe von mehr als einem Pfuhl und mehr als drei purpurbesetzten
Decken sowie von Gold und flatternden Kraenzen, die Verwendung von
bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die Raeucherungen und
Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein untersagten, die
Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens zehn beschraenkten
und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten - gewissermassen
das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus den staendischen
Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie gegen
Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige Aneignung von
okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und aehnliche
Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das
Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis
eines jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen
Ordnungswidrigkeit eine Busse zu erkennen und, wenn diese das
Provokationsmass erreichte und der Gebuesste sich nicht in die Strafe
fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe des
fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen
Lebenswandels sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher,
Zauberei und aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In
innerlicher Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit
aufkommende Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das
roemische Budget und die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils
um von sich aus Luxussteuern aufzulegen, welche von den Luxusstrafen
nur der Form nach sich unterschieden, teils besonders um auf die
Anzeige anstoessiger Handlungen hin dem tadelhaften Buerger die
politischen Ehrenrechte zu schmaelern oder zu entziehen. Wie weit schon
jetzt diese Bevormundung ging, zeigt, dass solche Strafen wegen
nachlaessiger Bestellung des eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass
ein Mann wie Publius Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von
den Zensoren des Jahres 479 (275) aus dem Ratsherrenverzeichnis
gestrichen ward, weil er silbernes Tafelgeraet zum Werte von 3360
Sesterzen (240 Taler) besass. Allerdings hatten nach der allgemein fuer
Beamtenverordnungen gueltigen Regel die Verfuegungen der Zensoren nur
fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst durchgaengig fuer die naechsten
fuenf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von den naechsten Zensoren
nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber
nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis von einer so
ungeheuren Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus einem Unteramt
an Rang und Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern das erste
ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser doppelten, mit
ebenso ausgedehnter wie arbitraerer Machtvollkommenheit versehenen
Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten. Dieselbe
hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel genuetzt und viel
geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden
fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass bei
der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen
Sittlichkeit und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese
Zeit recht eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch
doch von diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle
Freiheit hauptsaechlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die
gewaltige und oft gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der
guten alten Ordnung und Sitte in der roemischen Gemeinde eben auf
diesen Institutionen beruhen.
Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber
dennoch deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz
sich geltend. Die meisten Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche mit
dem Solonischen Gesetz uebereinkommen und deshalb mit Grund fuer
materielle Neuerungen gehalten werden duerfen, tragen diesen Stempel;
so die Sicherung des freien Assoziationsrechts und der Autonomie der
also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber die Grenzstreifen, die
dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe des Diebstahls, indem
der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich fortan durch Leistung des
doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen konnte. Das Schuldrecht
ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein Jahrhundert nachher,
durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung ueber das
Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach aeltestem
roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den Todesfall bisher
geknuepft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von
dieser Schranke befreit, indem das Zwoelftafelgesetz oder dessen
Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft beilegte, welche dem
von den Kurien bestaetigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt
zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen
Durchfuehrung der Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar
absolute vaeterliche Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift,
dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt
zurueckfallen, sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine -
streng genommen freilich widersinnige - Rechtsdeduktion die
Moeglichkeit angeknuepft ward, dass sich der Vater freiwillig der
Herrschaft ueber den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht wurde
die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen
ebenso notwendig wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche
Gewalt verknuepft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche
Gewalt geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur
Lockerung der Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen
Noetigung zum ehelichen Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium),
mit deren Einfuehrung Camillus als Zensor im Jahre 351 (403) seine
oeffentliche Laufbahn begann.
Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch
wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung. Vor
allen Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der
oberrichterlichen Gewalt durch die gesetzliche Aufzeichnung des
Landrechts und die Verpflichtung des Beamten, fortan nicht mehr nach
dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem geschriebenen Buchstaben
im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303, 304 451, 450).
Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege taetigen
roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom
erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden
nachgeahmte Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die
Schnelligkeit und Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den
Aedilen kam natuerlich zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern
sie teils fuer die auf offenem Markt abgeschlossenen Verkaeufe, also
namentlich fuer die Vieh- und Sklavenmaerkte die ordentlichen
Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es waren, welche in dem
Buss- und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder, was nach
roemischem Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten.
Infolgedessen lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das
ebenso unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in
ihrer Hand. Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die
geringen Leute gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289)
ernannten drei Nacht- oder Blutherren (tres viri nocturni oder
capitales) zu: sie wurden mit der naechtlichen Feuer- und
Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht ueber die Hinrichtungen
beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus eine
gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknuepft hat ^1. Mit der
steigenden Ausdehnung der roemischen Gemeinde wurde es endlich, teils
mit Ruecksicht auf die Gerichtspflichtigen, notwendig in den
entfernteren Ortschaften eigene, wenigstens fuer die geringeren
Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, was fuer die
Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die
entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten
Anfaenge einer neben der eigentlich roemischen sich entwickelnden
roemisch-munizipalen Jurisdiktion.
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^1 Die frueher aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits
der aeltesten Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten
Staatsordnung Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische
Chronologie bis auf Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12).
Wahrscheinlich ist die gut beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465
(289) ernannt wurden (Liv. ep. 11), einfach festzuhalten und die auch
sonst bedenkliche Deduktion des Faelschers Licinius Macer (bei Liv. 7,
46), welche ihrer vor 450 (304) Erwaehnung tut, einfach zu verwerfen.
Anfaenglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten der spaeteren
magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den
Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung
derselben auf die Gemeinde uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.),
ist auf jeden Fall, da es den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit,
erst nach Einsetzung der Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die
Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen.
^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der Kolonie
Antium zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist an sich
klar, dass wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine
Rechtshaendel alle in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften wie Antium
und Sena sich nicht durchfuehren liess.
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In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die
meisten gegen Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die
wohl schon frueher uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der
Rechtsfrage vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch
einen vom Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des
Koenigtums gesetzliche Vorschrift; und dieser Trennung hat das
roemische Privatrecht seine logische und praktische Schaerfe und
Bestimmtheit wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde die
bisher der unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung
ueber den Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und
neben dem Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die
Magistratsgewalt einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im
Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur
rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach
Verhoerung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf
die Buergerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem
Weiterverhoer (anquisitio), und wenn er nach dreimaliger Verhandlung
vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde im vierten
Termin das Urteil von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen.
Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen
die Saetze, dass das Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des
Hauses eine Verhaftung stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft
zu vermeiden und es jedem angeklagten und noch nicht verurteilten
Buerger zu gestatten sei, durch Verzicht auf sein Buergerrecht den
Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht das Vermoegen, sondern die
Person betrafen, sich zu entziehen - Saetze, die allerdings keineswegs
gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten also nicht
rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich
fuer die Beschraenkung der Todesstrafe von dem groessten Einfluss
gewesen sind. Indes wenn das roemische Kriminalrecht fuer den starken
Buergersinn wie fuer die steigende Humanitaet dieser Epoche ein
merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so litt es dagegen praktisch namentlich
unter den hier besonders schaedlich nachwirkenden staendischen
Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene konkurrierende
Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen Gemeindebeamten war
die Ursache, dass es in dem roemischen Kriminalverfahren eine feste
Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan nicht
mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen
und von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen
Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals verleugnete, ueberdies noch
die Behandlung der polizeilichen Bussen auf das aeusserlich sehr
aehnliche Kriminalverfahren nachteilig zurueckwirkte, wurde nicht etwa
missbraeuchlich, sondern gewissermassen verfassungsmaessig die
Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach festem Gesetz, sondern
nach dem willkuerlichen Belieben der Richter gefaellt. Auf diesem Wege
ward das roemische Kriminalverfahren vollstaendig grundsatzlos und zum
Spielball und Werkzeug der politischen Parteien herabgewuerdigt; was um
so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren zwar
vorzugsweise fuer eigentliche politische Verbrechen, aber doch auch
fuer andere, zum Beispiel fuer Mord und Brandstiftung zur Anwendung
kam. Dazu kam die Schwerfaelligkeit jenes Verfahrens, welche im Verein
mit der republikanisch hochmuetigen Verachtung des Nichtbuergers es
verschuldet hat, dass man sich immer mehr gewoehnte, ein summarisches
Kriminal- oder vielmehr Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe
Leute neben jenem foermlichen zu dulden. Auch hier ueberschritt der
leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die natuerlichen
Grenzen und fuehrte Institutionen herbei, die wesentlich dazu
beigetragen haben, die Roemer allmaehlich der Idee einer festen
sittlichen Rechtsordnung zu entwoehnen.
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^3 Man pflegt die Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu
preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des
Himmels anzustaunen; vermutlich besonders, um sich die Scham zu
ersparen ueber die Nichtswuerdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein
Blick auf das beispiellos schwankende und unentwickelte roemische
Kriminalrecht koennte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren
Vorstellungen auch diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach
scheinen moechte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein
krankes ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen
Verhaeltnissen, von welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor
allem abhaengt, liegen die Ursachen der Trefflichkeit des roemischen
Zivilrechts hauptsaechlich in zwei Dingen: einmal darin, dass der
Klaeger und der Beklagte gezwungen wurden, vor allen Dingen die
Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu motivieren
und zu formulieren; zweitens darin, dass man fuer die gesetzliche
Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ bestellte und dies an die
Praxis unmittelbar anknuepfte. Mit jenem schnitten die Roemer die
advokatische Rabulisterei, mit diesem die unfaehige Gesetzmacherei ab,
soweit sich dergleichen abschneiden laesst, und mit beiden zusammen
genuegten sie, soweit es moeglich ist, den zwei entgegenstehenden
Forderungen, dass das Recht stets fest und dass es stets zeitgemaess
sein soll.
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Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der roemischen
Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen
hielt man einfach fest an der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den
Aber- wie den Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee
der Vergeistigung alles Irdischen, auf der die roemische Religion
beruhte, noch am Ende dieser Epoche war, beweist der vermutlich doch
erst infolge der Einfuehrung des Silbercourants im Jahre 485 (269) neu
entstandene Gott “Silberich” (Argentinus), der natuerlicherweise des
aelteren Gottes “Kupferich” (Aesculanus) Sohn war.
Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie frueher; aber auch hier
und hier vor allem ist der hellenische Einfluss im Steigen. Erst jetzt
beginnen den hellenischen Goettern in Rom selber sich Tempel zu
erheben. Der aelteste war der Tempel der Kastoren, welcher in der
Schlacht am Regillischen See gelobt und am 15. Juli 269 (485)
eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich knuepft, dass
zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem
Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar
nach der Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen
Markt am Quell der Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend
gesehen worden seien, traegt ein durchaus unroemisches Gepraege und ist
ohne allen Zweifel der bis in die Einzelheiten gleichartigen Epiphanie
der Dioskuren in der beruehmten, etwa ein Jahrhundert vorher zwischen
den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras geschlagenen Schlacht
in sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische Apoll wird
nicht bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem Einfluss
griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach besonderen
Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute
(360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt
gebaut (323 431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende
dieser Periode fuer die Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter
Weise mit der alten roemischen Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4,
und fuer den von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach
Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463 291). Einzeln wird in
schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das Eindringen
auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326
428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen
zu tun.
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^4 In der spaeteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl
zuerst bei der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv.
10, 31; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1].
Leipzig 1843, S. 472).
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In Etrurien dagegen wird, waehrend die Nation in politischer
Nichtigkeit und traeger Opulenz stockte und verdarb, das theologische
Monopol des Adels, der stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und
sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei und das Bettelprophetenwesen sich
allmaehlich zu jener Hoehe entwickelt haben, auf der wir sie spaeter
dort finden.
In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende
Veraenderungen nicht ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die
zur Bestreitung der Kosten des oeffentlichen Gottesdienstes
angewiesenen Prozessbussen um das Jahr 465 (289) verfuegt wurde, deutet
auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie es die vermehrte Zahl
der Staatsgoetter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich brachte. Unter
den ueblen Folgen des Staendehaders ist es schon angefuehrt worden,
dass man den Kollegien der Sachverstaendigen einen unstatthaften
Einfluss einzuraeumen begann und sich ihrer bediente, um politische
Akte zu kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschuettert,
teils den Pfaffen ein sehr schaedlicher Einfluss auf die oeffentlichen
Geschaefte zugestanden ward.
Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein.
Die uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen
auf der Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel
zu Pferde fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht
haben mag, war in der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die
altdorische Hoplitenphalanx von wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe
ersetzt worden, welche fortan das Schwergewicht des Kampfes uebernahm,
waehrend die Reiter auf die Fluegel gestellt und, je nach den
Umstaenden zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich als Reserve
verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr
gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die
Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch
Aufloesung und Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die
Teilung der alten legio von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die
alte dorische Phalanx hatte durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert
und vor allem dem Spiess beruht und den Wurfwaffen nur eine beilaeufige
und untergeordnete Stellung im Treffen eingeraeumt. In der
Manipularlegion wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen beschraenkt
und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich
italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes
viereckiges oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner
Spitze, das vielleicht urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle
erfunden worden war, aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder
ueberging und von dem vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn
bis zwanzig Schritten in die feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich
gewann das Schwert eine bei weitem groessere Bedeutung als das kurze
Messer der Phalangiten hatte haben koennen; denn die Wurfspeersalve war
zunaechst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert die Bahn zu
brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige
Lanze, auf einmal auf den Feind geworfen werden musste, so wurden in
der neuen italischen Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch
vorhandenen, aber in der Schlachtordnung unaufloeslich fest
verknuepften Einheiten taktisch voneinander gesondert. Das geschlossene
Quadrat teilte sich nicht bloss, wie gesagt, in zwei gleich starke
Haelften, sondern jede von diesen trat weiter in der Tiefrichtung
auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der Principes und
das der Triarier, von ermaessigter, wahrscheinlich in der Regel nur
vier Glieder betragender Tiefe und loeste in der Frontrichtung sich auf
in je zehn Haufen (manipuli), so dass zwischen je zwei Treffen und je
zwei Haufen ein merklicher Zwischenraum blieb. Es war nur eine
Fortsetzung derselben Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der
verkleinerten taktischen Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den
Vordergrund trat, wie dies aus der schon erwaehnten entscheidenden
Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht.
Eigentuemlich entwickelte sich auch das System der Lagerverschanzung;
der Platz, wo der Heerhaufe wenn auch nur fuer eine einzige Nacht sein
Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit einer regelmaessigen Umwallung
versehen und gleichsam in eine Festung umgeschaffen. Wenig aenderte
sich dagegen in der Reiterei, die auch in der Manipularlegion die
sekundaere Rolle behielt, welche sie neben der Phalanx eingenommen
hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeaendert; nur
wurden jetzt jeder der zwei Legionen des regelmaessigen Heeres ebenso
viele Kriegstribune vorgesetzt, wie sie bisher das gesamte Heer
befehligt hatten, also die Zahl der Stabsoffiziere verdoppelt. Es
duerfte auch in dieser Zeit sich die scharfe Grenze festgestellt haben
zwischen den Subalternoffizieren, welche sich ihren Platz an der Spitze
der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen hatten und in
regelmaessigem Avancement von den niederen in die hoeheren Manipel
uebergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen
vorgesetzten Kriegstribunen, fuer welche es kein regelmaessiges
Avancement gab und zu denen man gewoehnlich Maenner aus der besseren
Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer von Bedeutung geworden sein,
dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die Stabsoffiziere
gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392 (362)
ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl vergeben ward.
Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht
unveraendert. Nach wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in
seinem Lager dienenden Mann den Kopf vor die Fuesse zu legen und den
Stabsoffizier so gut wie den gemeinen Soldaten mit Ruten auszuhauen;
auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss wegen gemeiner Verbrechen
erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet hatte, von
dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung sich hatte
ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war. Dagegen bedingt
die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere militaerische
Schule als die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht der
Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener
Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie vor
Buergerheer blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht, dass
man die bisherige Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab und
sie nach dem Dienstalter ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt ein
unter die leichtbewaffneten, ausserhalb der Linie besonders mit
Steinschleudern fechtenden “Sprenkler” (rorarii) und avancierte aus
diesem allmaehlich in das erste und weiter in das zweite Treffen, bis
endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an Zahl
schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden
Triarierkorps sich zusammenfanden.
Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die naechste Ursache
der ueberlegenen politischen Stellung der roemischen Gemeinde geworden
ist, beruht wesentlich auf den drei grossen militaerischen Prinzipien
der Reserve, der Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der
Verbindung von Offensive und Defensive. Das Reservesystem war schon in
der aelteren Verwendung der Reiterei angedeutet, hier aber durch die
Gliederung des Heeres in drei Treffen und die Aufsparung der
Veteranenkernschar fuer den letzten und entscheidenden Stoss
vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die
orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten
Reitergeschwader den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde
durch die roemische Verbindung des schweren Wurfspiesses mit dem
Schwerte, wie mit Recht gesagt worden ist, ein aehnlicher Erfolg
erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung durch die Einfuehrung der
Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem Schwertkampf genau
in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff mit dem
Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den
Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges
miteinander zu verbinden und die Schlacht je nach Umstaenden zu
verweigern oder zu liefern, und im letzteren Fall sie unter den
Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern einer Festung zu schlagen - der
Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt durch Stillsitzen.
Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine roemische oder
wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen
Phalangentaktik ist, leuchtet ein; wenn gewisse Anfaenge des
Reservesystems und der Individualisierung der kleineren Heerabteilungen
schon bei den spaeteren griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon
begegnen, so folgt daraus nur, dass man die Mangelhaftigkeit des alten
Systems auch hier empfunden, aber doch nicht vermocht hat, sie zu
beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die Manipularlegion im
Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden und ob sie auf
einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich nicht mehr
nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen gruendlich
verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die keltische
Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die
Gliederung der Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten
und allein gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat; und
damit stimmt es zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der
bedeutendste roemische Feldherr der Gallierzeit, Marcus Furius
Camillus, als Reformator des roemischen Kriegswesens erscheint. Die
weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg anknuepfenden
Ueberlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit Sicherheit
einzureihen ^5; so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der
langjaehrige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des
roemischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten
Kriegskuenstler aus der Schule des grossen Alexander auf die
Verbesserung des Technischen im roemischen Heerwesen nachhaltig
eingewirkt hat.
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^5 Nach der roemischen Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich
viereckige Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden
Hoplitenschild (clupeus, αςπίς)von den Samniten den spaeteren
viereckigen Schild (scutum, θυρεός) und den Wurfspeer (veru) entlehnten
(Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51, 38; Verg. Aen. 7, 665; Fest.
v. Samnites p. 327 Mueller und die bei Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2,
S. 241 angefuehrten). Allein dass der Hoplitenschild, das heisst die
dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern, sondern den Hellenen
unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten. Was das Scutum
anlangt, so wird dieser grosse zylinderfoermig gewoelbte Lederschild
allerdings wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten
sein, als die Phalanx in Manipel auseinandertrat; allein die
unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus dem Griechischen macht
misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den Samniten. Von den
Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda aus σφενδόνη, wie
fides aus σφίδη, oben). Das Pilum gilt den Alten durchaus als roemische
Erfindung.
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In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und
politische Grundlage sowohl der roemischen Gemeinde als des neuen
italischen Staates. Aus den roemischen Bauern bestand die
Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als Soldaten mit dem Schwerte
gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten mit dem Pfluge. Die
Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte die furchtbaren
inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts herbei, an denen
die junge Republik zugrunde gehen zu muessen schien; die Wiedererhebung
der latinischen Bauernschaft, welche waehrend des fuenften teils durch
die massenhaften Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das
Sinken des Zinsfusses und die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward,
war zugleich Wirkung und Ursache der gewaltigen Machtentwicklung Roms -
wohl erkannte Pyrrhos’ scharfer Soldatenblick die Ursache des
politischen und militaerischen Uebergewichts der Roemer in dem
bluehenden Zustande der roemischen Bauernwirtschaften. Aber auch das
Aufkommen der Grosswirtschaft in dem roemischen Ackerbau scheint in
diese Zeit zu fallen. In der aelteren Zeit gab es wohl auch schon einen
- wenigstens verhaeltnismaessig - grossen Grundbesitz; aber dessen
Bewirtschaftung war keine Gross-, sondern nur eine vervielfaeltigte
Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf die mit der aelteren
Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch der spaeteren bei
weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387 (367), dass
der Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhaeltnismaessige Zahl
freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl als die aelteste Spur der
spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden ^6; und es
ist bemerkenswert, dass gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe
wesentlich auf dem Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muss
dahingestellt bleiben; moeglich ist es, dass die karthagischen
Pflanzungen auf Sizilien schon den aeltesten roemischen Gutsbesitzern
als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das Aufkommen des
Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das Varro um die Zeit
der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten Wirtschaftsweise in
Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln, wie weit diese
Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich gegriffen hat; nur
daran, dass sie noch nicht Regel gewesen sein und den italischen
Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, laesst die Geschichte des
Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam, vernichtete
sie die aeltere, auf dem Bittbesitz beruhende Klientel; aehnlich wie
die heutige Gutswirtschaft grossenteils durch Niederlegung der
Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in Hoffeld entstanden ist. Es
ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der Bedraengnis des kleinen
Ackerbauernstandes eben das Einschraenken dieser Ackerklientel hoechst
wesentlich mitgewirkt hat.
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^6 Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen
Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten
Laendereien; obgleich uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann,
um den Beinamen zu erklaeren.
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Ueber den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die
schriftlichen Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die
Muenzen. Dass in Italien, von den griechischen Staedten und dem
etruskischen Populonia abgesehen, waehrend der ersten drei Jahrhunderte
Roms nicht gemuenzt ward und als Tauschmaterial anfangs das Vieh,
spaeter Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde schon gesagt. In die
gegenwaertige Epoche faellt der Uebergang der Italiker vom Tausch- zum
Geldsystem, wobei man natuerlich zunaechst auf griechische Muster sich
hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhaeltnissen, dass in
Mittelitalien statt des Silbers das Kupfer zum Muenzmetall ward und die
Muenzeinheit sich zunaechst anlehnte an die bisherige Werteinheit, das
Kupferpfund; womit es zusammenhaengt, dass man die Muenzen goss, statt
sie zu praegen, denn kein Stempel haette ausgereicht fuer so grosse und
schwere Stuecke. Doch scheint von Haus aus zwischen Kupfer und Silber
ein festes Gleichungsverhaeltnis (250 : 1) normiert und die
Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf ausgebracht worden zu sein, so dass
zum Beispiel in Rom das grosse Kupferstueck, der As, dem Werte nach
einem Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich
bemerkenswerter ist es, dass die Muenze in Italien hoechst
wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben von den Dezemvirn,
die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch zur Regulierung
des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich verbreitete ueber
eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und ostitalischer
Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen Stellung, die Rom
schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete.
Wie alle diese Gemeinden formell unabhaengig nebeneinander standen, war
gesetzlich auch der Muenzfuss durchaus oertlich und jedes Stadtgebiet
ein eigenes Muenzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und
norditalischen Kupfermuenzfuesse in drei Gruppen zusammenfassen,
innerhalb welcher man die Muenzen im gemeinen Verkehr als gleichartig
behandelt zu haben scheint. Es sind dies teils die Muenzen der
noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen etruskischen und der
umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium, teils die des
oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber nach
dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der
italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhaeltnis
gesetzt zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien seit alter Zeit
gangbar waren und deren Fuss sich auch die italischen Einwanderer, zum
Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien
daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Roemer selbst fuer ihre
unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach wird auch der italische
Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein, welche unter sich
verkehrten gleich fremden Voelkern.
Im ueberseeischen Verkehr bestanden die frueher bezeichneten
sizilisch-latinischen, etruskisch-attischen und
adriatisch-tarentinischen Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort
oder gehoeren ihr vielmehr recht eigentlich an; denn obwohl die
derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe vorkommenden Tatsachen der
Obersicht wegen schon bei der ersten Periode zusammengefasst worden
sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf die
gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfuer die Muenzen.
Wie die Praegung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuss und
das Eindringen des italischen und besonders latinischen Kupfers in
Sizilien fuer die ersten beiden Handelszuege zeugen, so spricht die
eben erwaehnte Gleichstellung des grossgriechischen Silbergeldes mit
der picenischen und apulischen Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen
Spuren fuer den regen Verkehr der unteritalischen Griechen, namentlich
der Tarentiner mit dem ostitalischen Litoral. Dagegen scheint der
frueher wohl lebhaftere Handel zwischen den Latinern und den
kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung gestoert
worden zu sein und waehrend der ersten hundertundfuenfzig Jahre der
Republik nicht viel bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in
Capua und Cumae den Roemern in der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem
Getreide zu Hilfe zu kommen, duerfte eine Spur der zwischen Latium und
Kampanien veraenderten Beziehungen sein, bis im Anfang des fuenften
Jahrhunderts die roemischen Waffen die alten Verhaeltnisse
wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es noch gestattet
sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte des
roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen
Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der erste Barbier aus
Sizilien nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem gemalten
Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus Attika, daneben aus
Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien gesandt
ward, um dort zur Ausschmueckung der Grabgemaecher zu dienen und ueber
dessen merkantilische Verhaeltnisse wir zufaellig besser als ueber
irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel unterrichtet sind.
Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der
Tarquinier fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden
Gefaesse des aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des
dritten Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die
zahlreicheren des strengen Stils der ersten (450-400), die des
vollendet schoenen der zweiten Haelfte des vierten (400-350)
angehoeren, und die ungeheuren Massen der uebrigen, oft durch Pracht
und Groesse, aber selten durch vorzuegliche Arbeit sich auszeichnenden
Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert (350-250) beizulegen sein
werden. Es waren allerdings wieder die Hellenen, von denen die Italiker
diese Sitte der Graeberschmueckung entlehnten; aber wenn die
bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen in
engen Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und
barbarischer Verschwendung weit ueber das urspruengliche und
schickliche Mass ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend, dass es in
Italien lediglich die Laender der hellenischen Halbkultur sind, in
welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet; wer solche Schrift zu
lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen
Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar
zu den Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut
erstickende etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen
blieb das schlichte samnitische Wesen diesem toerichten Luxus zu allen
Zeiten fern; in dem Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso
fuehlbar wie in dem Mangel einer samnitischen Landesmuenze die geringe
Entwicklung des Handelsverkehrs und des staedtischen Lebens in dieser
Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, dass auch Latium,
obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und Kampanien und
mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz
enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen
der ganz abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen
Praeneste, dass wir hierin den Einfluss der strengen roemischen
Sittlichkeit, oder, wenn man lieber will, der straffen roemischen
Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten Zusammenhange damit stehen
die bereits erwaehnten Interdikte, welche schon das Zwoelftafelgesetz
gegen purpurne Bahrtuecher und den Goldschmuck als Totenmitgift
schleudert, und die Verbannung des silbernen Geraetes mit Ausnahme des
Salzfasses und der Opferschale aus dem roemischen Hausrat wenigstens
durch das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Ruege; und
auch in dem Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen
Luxus feindlichen Sinn wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch
solche Einwirkung von oben her laenger als Volsinii und Capua eine
gewisse aeussere Einfachheit bewahren, so werden sein Handel und
Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Bluete von Haus aus
beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden duerfen und
nicht minder den Einfluss der neuen Machtstellung Roms empfunden haben.
Zu der Entwicklung eines eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer
unabhaengigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die
Ursache war neben der frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen
Zentralisierung des Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war
im Altertum ueblich und in der Tat eine notwendige Konsequenz der
Sklaverei, dass die kleineren staedtischen Geschaefte sehr haeufig von
Sklaven betrieben wurden, welche ihr Herr als Handwerker oder Kaufleute
etablierte, oder auch von Freigelassenen, fuer welche der Herr nicht
bloss sehr oft das Geschaeftskapital hergab, sondern von denen er sich
auch regelmaessig einen Anteil, oft die Haelfte des Geschaeftsgewinns
ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren ohne
Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass
die dem grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in
Rom zu konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im
fuenften Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister
verfertigt und nach Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet
worden ^7. Allein da der Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum
groessten Teil in die Kassen der grossen Haeuser floss, so kam ein
industrieller und kommerzieller Mittelstand nicht in entsprechender
Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die Grosshaendler und
grossen Industriellen scharf von den grossen Grundbesitzern. Einerseits
waren die letzteren seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und
Kapitalisten und in ihren Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und
Lieferungen und Arbeiten fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es
bei dem starken sittlichen Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen
auf den Grundbesitz fiel, und bei seiner politischen
Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende dieser Epoche einige
Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon in dieser Zeit gewoehnlich,
dass der glueckliche Spekulant mit einem Teil seiner Kapitalien sich
ansaessig machte. Es geht auch aus der politischen Bevorzugung der
ansaessigen Freigelassenen deutlich genug hervor, dass die roemischen
Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege die gefaehrliche Klasse
der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.
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^7 Die Vermutung, dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer
die Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein
Kampaner, gewesen sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten
praenestinischen Grabsteine widerlegt, auf denen unter andern
Macolniern und Plautiern auch ein Lucius Magulnius des Plautius Sohn
(L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
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Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand
noch eine streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war
das grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen.
Deutlich weist darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt
zusammengedraengten Sklaven, wovon die sehr ernsthafte
Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419) zeugt, und noch mehr die
steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich werdende Menge der
Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die Freilassungen
gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen Rechte
der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten.
Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse
Majoritaet der freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel
widmen musste, sondern es war auch die Freilassung selbst bei den
Roemern, wie gesagt, weniger eine Liberalitaet als eine industrielle
Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an dem Gewerb- oder
Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand als bei
dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die
Zunahme der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der
kommerziellen und industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in
Hand gegangen sein.
Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des
staedtischen Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der
staedtischen Polizei. Es gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser
Zeit an, dass die vier Aedilen unter sich die Stadt in vier
Polizeibezirke teilten und dass fuer die ebenso wichtige wie schwierige
Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren und
groesseren Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze,
fuer die gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die
Beseitigung den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere,
uebler Gerueche, fuer die Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend-
und Nachtstunden und ueberhaupt fuer die Offenhaltung der
Kommunikation, fuer die ununterbrochene Versorgung des
hauptstaedtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, fuer die
Vernichtung gesundheitsschaedlicher Waren und falscher Masse und
Gewichte, fuer die besondere Ueberwachung von Baedern, Schenken,
schlechten Haeusern von den Aedilen Fuersorge getroffen ward.
Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die Epoche der grossen
Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der
Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und
der grosse Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der Stadt ebenso wie
den fronenden Buergern ein Greuel gewesen sein, und es ist
bemerkenswert, dass das vielleicht bedeutendste Bauwerk der
republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel am
Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als
einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige zurueckzulenken
suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit
einer Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer
sicher nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte
selbst der Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der
Verhaeltnisse zu stemmen. Appius Claudius war es, der in seiner
epochemachenden Zensur (442 312) das veraltete Bauernsystem des
Sparschatzsammelns beiseite warf und seine Mitbuerger die oeffentlichen
Mittel in wuerdiger Weise gebrauchen lehrte. Er begann das grossartige
System gemeinnuetziger oeffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas,
Roms militaerische Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der
Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat und noch heute in seinen
Truemmern Tausenden und Tausenden, welche von roemischer Geschichte nie
ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt von der Groesse Roms. Ihm
verdankt der roemische Staat die erste grosse Militaerchaussee, die
roemische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius’ Spuren folgend,
schlang der roemische Senat um Italien jenes Strassen- und
Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und ohne das,
wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der Simplonstrasse
die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine militaerische
Hegemonie bestehen kann. Claudius’ Spuren folgend, baute Manius Curius
aus dem Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite hauptstaedtische
Wasserleitung (482 272) und oeffnete schon einige Jahre vorher (464
290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo er oberhalb
Terni in die Nera sich stuerzt, das heute noch von ihm durchflossene
breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schoenen Tal von Rieti
fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum und auch fuer sich eine
bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst in den
Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der hellenischen
Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein anderes. Um die
Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln das Silbergeschirr
sich zu zeigen ^8 und das Verschwinden der Schindeldaecher in Rom
datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue Hauptstadt
Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen allmaehlich ab und fing
nun auch an, sich zu schmuecken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den
eroberten Staedten zu Roms Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu
berauben; aber dafuer prangten an der Rednerbuehne des Marktes die
Schnaebel der Galeeren von Antium und an oeffentlichen Festtagen laengs
der Hallen am Markte die von den Schlachtfeldern Samniums
heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders der Ertrag der
Bruechgelder diente zur Pflasterung der Strassen in und vor der Stadt
oder zur Errichtung und Ausschmueckung oeffentlicher Gebaeude. Die
hoelzernen Buden der Fleischer, welche an den beiden Langseiten des
Marktes sich hinzogen, wichen zuerst an der palatinischen, dann auch an
der den Carinen zugewandten Seite den steinernen Hallen der
Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz zur roemischen Boerse. Die
Bildsaeulen der gefeierten Maenner der Vergangenheit, der Koenige,
Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen Gastfreundes, der
den Zehnmaennern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben sollte,
die Ehrensaeulen und Denkmaeler der grossen Buergermeister, welche die
Veienter, die Latiner, die Samniten ueberwunden hatten, der
Staatsboten, die in Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der
reichen Frauen, die ueber ihr Vermoegen zu oeffentlichen Zwecken
verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter griechischer Weisen und
Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden auf der Burg oder
auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die roemische
Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom selber eine Grossstadt.
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^8 Der wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius
Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde
schon gedacht. Fabius’ befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228),
dass die Roemer zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus
ergeben haetten (αισθέσθαι τού πλόντου), ist offenbar nur eine
άbersetzung derselben Anekdote ins Historische; denn die Besiegung der
Sabiner faellt in Rufinus’ erstes Konsulat.
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Endlich trat denn auch Rom als Haupt der roemisch-italischen
Eidgenossenschaft wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in
das hellenische Geld- und Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die
Gemeinden Nord- und Mittelitaliens mit wenigen Ausnahmen einzig
Kupfercourant, die sueditalischen Staedte dagegen durchgaengig
Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und Muenzsysteme
gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in Italien
gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf die
Praegung von Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz
Italien geltender Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in
Rom zentralisiert, nur dass Capua seine eigene, zwar unter roemischem
Namen, aber auf abweichenden Fuss gepraegte Silbermuenze auch ferner
behielt. Das neue Muenzsystem beruhte auf dem gesetzlichen
Verhaeltnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem feststand;
die gemeinsame Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr
pfuendigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der
Denarius, in Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines roemischen Pfundes,
eine Kleinigkeit mehr als die attische Drachme. Zunaechst herrschte in
der Praegung noch die Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der
aelteste Silberdenar hauptsaechlich fuer Unteritalien und fuer den
Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie aber der Sieg der Roemer
ueber Pyrrhos und Tarent und die roemische Gesandtschaft nach
Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben
mussten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl
nachdenklich diese neuen roemischen Drachmen betrachten, deren flaches,
unkuenstlerisches und einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen
wunderschoenen der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich
duerftig und unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie
die Barbarenmuenzen des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot
und Korn ungleich sind, sondern mit ihrer selbstaendigen und
gewissenhaften Praegung von Haus aus jeder griechischen ebenbuertig
sich an die Seite stellen.
Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Voelkerkaempfen
um Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von
der Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwaeltigung
der Samniten und der italischen Griechen bewegten, der Blick sich
wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die
Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm
ebenfalls ueberall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch
welche die roemische Buergerschaft die Fesseln des
Geschlechterregiments sprengte und die reiche Fuelle der nationalen
Bildungen Italiens allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu
bereichern. Durfte auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den
grossen Gang der Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der
individuellen Gestaltung hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch
seine Aufgabe nicht, wenn er, aus der zertruemmerten Ueberlieferung
einzelne Bruchstuecke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten
Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben
stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als frueher das roemische in
den Vordergrund trat, so ist dies nicht bloss in den zufaelligen
Luecken unserer Ueberlieferung begruendet; vielmehr ist es eine
wesentliche Folge der veraenderten politischen Stellung Roms, dass die
latinische Nationalitaet die uebrigen italischen immer mehr verdunkelt.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass in dieser Epoche die
Nachbarlaender, das suedliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland
sich zu romanisieren anfingen, wovon der fast gaenzliche Mangel von
Sprachdenkmaelern der alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter
roemischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme
der Sabiner in das volle Buergerrecht am Ende dieser Periode spricht
dafuer, dass die Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste
Ziel der roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien
zerstreuten Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht
bloss militaerisch, sondern auch sprachlich und national die
vorgeschobenen Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung der
Italiker ueberhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im
Gegenteil scheint der roemische Senat den Gegensatz der latinischen
gegen die uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu
haben und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in
den offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden
noch nicht. Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst
die staerkste Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen
Sprache und Sitte in Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits
an, die uebrigen italischen Nationalitaeten zu untergraben.
Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem
anders begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es
war dies die Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit
ueber die uebrigen Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach
allen Seiten hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht
unberuehrt. Die merkwuerdigste Erscheinung in dieser Art bietet
Apulien, das seit dem fuenften Jahrhundert Roms allmaehlich seine
barbarische Mundart ablegte und sich im stillen hellenisierte. Es
erfolgte dies aehnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch
Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen
Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht
es fuer die letztere Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten
Landschaften der Poediculer und Daunier die Hellenisierung
vollstaendiger durchfuehrten als die Tarent naeher wohnenden, aber
bestaendig mit ihm hadernden Sallentiner, und dass die am fruehesten
graezisierten Staedte, zum Beispiel Arpi, nicht an der Kueste gelegen
waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen staerkeren Einfluss uebte
als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklaert sich teils aus
seiner Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen
nationalen Bildung, teils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm
minder fremd als die uebrigen italischen gegenueberstehenden
Nationalitaet. Indes ist schon frueher darauf aufmerksam gemacht
worden, dass auch die suedlichen sabellischen Staemme, obwohl zunaechst
sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen das hellenische Wesen in
Grossgriechenland knickten und verdarben, doch zugleich durch die
Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils griechische Sprache
neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und Nolaner, teils
wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die Lucaner
und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls die Ansaetze
einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser Epoche
angehoerenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien
rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus
fernergeblieben sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des
beginnenden und immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In
allen Zweigen der roemischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung
und Muenzwesen, in der Religion, in der Bildung der Stammsage stossen
wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang des fuenften
Jahrhunderts, das heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint der
griechische Einfluss auf das roemische Wesen in raschem und stets
zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung
der auch sprachlich merkwuerdigen “graecostasis”, einer Tribuene auf
dem roemischen Markt fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst
die Massalioten. Im folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme
Roemer mit griechischen Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus,
Philon, Sophos, Hypsaeos aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein;
so der nichtitalische Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem
Grabmal anzubringen, wovon die Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul
456 (298), das aelteste uns bekannte Beispiel ist; so die gleichfalls
den Italikern fremde Weise, ohne Gemeindebeschluss an oeffentlichen
Orten den Vorfahren Ehrendenkmaeler zu errichten, womit der grosse
Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel
der Bellona Erzschilde mit den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren
aufhaengen liess (442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem
roemischen Volksfest eingefuehrte Erteilung von Palmzweigen an die
Wettkaempfer; so vor allem die griechische Tischsitte. Die Weise, bei
Tische nicht wie ehemals auf Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu
liegen; die Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die
Stunde zwischen zwei und drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung;
die Trinkmeister bei den Schmaeusen, welche meistens durch Wuerfelung
aus den Gaesten fuer den Schmaus bestellt werden und nun den
Tischgenossen vorschreiben, was, wie und wann getrunken werden soll;
die nach der Reihe von den Gaesten gesungenen Tischlieder, die freilich
in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesaenge waren - alles dies ist in
Rom nicht urspruenglich und doch schon in sehr alter Zeit den Griechen
entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebraeuche bereits gemein, ja
zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einfuehrung
spaetestens in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch
die Errichtung der Bildsaeulen des “weisesten und des tapfersten
Griechen” auf dem roemischen Markt, die waehrend der Samnitischen
Kriege auf Geheiss des pythischen Apollon stattfand; man waehlte,
offenbar unter sizilischem oder kampanischem Einfluss, den Pythagoras
und den Alkibiades, den Heiland und den Hannibal der Westhellenen. Wie
verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon im fuenften Jahrhundert
unter den vornehmen Roemern war, beweisen die Gesandtschaften der
Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer, wenn auch nicht im
reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach
Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fuenften Jahrhundert
die jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften widmeten,
durchgaengig die Kunde der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich
erwarben.
So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam
vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die Erde sich untertaenig zu
machen; und die sekundaeren Nationalitaeten, wie die samnitische,
keltische, etruskische, verloren, von zwei Seiten her bedraengt, immer
mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft.
Wie aber die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem
Hoehepunkt ihrer Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher
Beruehrung anfangen sich zu durchdringen, tritt zugleich ihre
Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche Mangel alles Individualismus in dem
italischen und vor allem in dem roemischen Wesen gegenueber der
unendlichen stammlichen, oertlichen und menschlichen Mannigfaltigkeit
des Hellenismus in voller Schaerfe hervor. Es gibt keine gewaltigere
Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der
roemischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das
Gemeinwesen nach innen wie nach aussen begruendet, in ihr das einige
Italien erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts
und der Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der
Strassen- und Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in
ihr die Kapitolinische Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen
gezeichnet. Aber die Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die
einzelnen Steine herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind
spurlos verschollen und die italischen Voelkerschaften nicht voelliger
in der roemischen aufgegangen als der einzelne roemische Buerger in der
roemischen Gemeinde. Wie das Grab in gleicher Weise ueber dem
bedeutenden wie ueber dem geringen Menschen sich schliesst, so steht
auch in der roemischen Buergermeisterliste der nichtige Junker
ununterscheidbar neben dem grossen Staatsmann. Von den wenigen
Aufzeichnungen, welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist
keine ehrwuerdiger und keine zugleich charakteristischer als die
Grabschrift des Lucius Cornelius Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul
war und drei Jahre nachher in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum
mitfocht. Auf dem schoenen Sarkophag in edlem dorischen Stil, der noch
vor achtzig Jahren den Staub des Besiegers der Samniten einschloss, ist
der folgende Spruch eingeschrieben:
Corneliús Lucíus - Scípió Barbátus,
Gnaivód patré prognátus, - fórtis vír sapiénsque,
Quoiús fórma vírtu - teí parísuma fúit,
Consól censór aidílis - queí fuít apúd vos,
Taurásiá Cisaúna - Sámnió cépit,
Subigít omné Loucánam - ópsidésque abdoúcit.
Cornelius Lucius - Scipio Barbatus,
Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug wie tapfer,
Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen,
Der Konsul, Zensor war bei - euch wie auch Aedilis,
Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium,
Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln.
So wie diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen
anderen, die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben,
es nachruehmen, dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner
gewesen; aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl
nicht bloss Schuld der Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier,
Fabier, Papirier und wie sie weiter heissen, uns in einem menschlich
bestimmten Bild entgegentritt. Der Senator soll nicht schlechter und
nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein als die Senatoren alle; es
ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein Buerger die
uebrigen uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und
hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit.
Jene Ausschreitungen straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in
der Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die
Buerger muessen sich alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich
sei.
Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische
Individualentwicklung sich geltend; und die Genialitaet und
Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die entgegengesetzte Richtung
den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es ist nur ein einziger Mann
hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke gleichsam
inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307, 296),
der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf
die lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die
Beschraenkung des vollen Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen
Leute gesprengt, der das alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius
Claudius datieren nicht bloss die roemischen Wasserleitungen und
Chausseen, sondern auch die roemische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie
und Grammatik - die Veroeffentlichung eines Klagspiegels,
aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprueche, selbst Neuerungen in
der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf ihn darum noch nicht
unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener Oppositionspartei
beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm war
vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige maechtig,
der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem
fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und
gewoehnlicher Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an
dem oeffentlichen Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner
Amtsfuehrung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein
Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebraeuchen
entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der politischen Buehne
abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in
der entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate ueberwand und
Roms vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und feierlich
aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die
Goetter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie
des einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der
eine unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte
politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen
Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum
Rate gingen und an der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner
lauschten, auf deren Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So
wurden ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der
Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen Gemeinwesen kommt es auf keinen
Menschen besonders an, weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn,
und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht wird jede
Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden
wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer
bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der
bequemen Laesslichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen
Lebens.
KAPITEL IX.
Kunst und Wissenschaft
Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im
Altertum im engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste.
Das schon in der vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluss,
zunaechst als ausserordentliche Feier, geordnete Dankfest der
roemischen Gemeinde, die “grossen” oder “roemischen Spiele”, nahm
waehrend der gegenwaertigen an Dauer wie an Mannigfaltigkeit der
Belustigungen zu. Urspruenglich beschraenkt auf die Dauer eines Tages
wurde das Fest nach der gluecklichen Beendigung der drei grossen
Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367) jedesmal um einen
Tag verlaengert und hatte am Ende dieser Periode also bereits eine
viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das Fest
wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und
Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367)
seinen ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein
bestimmtes Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen,
jaehrlich wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb
die Regierung beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich
das Hauptstueck, das Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss des
Festes stattfinden zu lassen; an den uebrigen Tagen war es wohl
zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber ein Fest zu geben, obwohl
Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler, Possenreisser und
dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen oder nicht
gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat eine
wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig
erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen
wird: man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage im
Rennplatz ein Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene
Vorstellungen auf demselben zur Unterhaltung der Menge. Um indes nicht
auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu werden, wurde fuer die Kosten des
Festes eine feste Summe von 200000 Assen (14500 Taler) ein fuer allemal
aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist auch bis auf die
Punischen Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen Mehrbetrag
mussten die Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus ihrer
Tasche decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit
oft und betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue
Buehne im allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon
ihr Name (scaena σκηνή). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer
Spielleute und Possenreisser jeder Art bestimmt, unter denen die
Taenzer zur Floete, namentlich die damals gefeierten etruskischen, wohl
noch die vornehmsten sein mochten; indes war nun doch eine oeffentliche
Buehne in Rom entstanden und bald oeffnete dieselbe sich auch den
roemischen Dichtern.
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^1 Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2,
S. 40) und, schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch
(Cam. 42) von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen
Gruenden schlagend die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42
(F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1,
S. 313) zeigt, vielmehr von den roemischen Spielen zu verstehen; Dionys
hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im Verkehrten beharrlich, den
Ausdruck ludi maximi missverstanden.
Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach der Ursprung des
Volksfestes, statt wie gewoehnlich auf die Besiegung der Latiner durch
den ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am
Regiller See zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7,
71). Dass die wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen
Angaben in der Tat auf das gewoehnliche Dankfest und nicht auf eine
besondere Votivfeierlichkeit gehen, zeigt die ausdrueckliche Hinweisung
auf die jaehrliche Wiederkehr der Feier und die genau mit der Angabe
bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.) stimmende
Kostensumme.
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Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische “Vaganten” oder
“Baenkelsaenger” (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt
und von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit
gestikulierendem Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war
natuerlich das einzige, das es damals gab, das sogenannte saturnische.
Eine bestimmte Handlung lag den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig
scheinen sie dialogisiert gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach
dem Muster jener eintoenigen, bald improvisierten, bald rezitierten
Ballaten und Tarantellen vorstellen duerfen, wie man sie heute noch in
den roemischen Osterien zu hoeren bekommt. Dergleichen Lieder kamen
denn auch frueh auf die oeffentliche Buehne und sind allerdings der
erste Keim des roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge der
Schaubuehne sind in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern
in bemerkenswerter Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die
Zwoelf Tafeln treten dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem
sie nicht bloss auf Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man
auf einen Mitbuerger verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere
Kriminalstrafen setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei der
Bestattung verbieten. Aber weit strenger als durch die gesetzlichen
Restriktionen ward die beginnende Kunstuebung durch den sittlichen Bann
getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des roemischen Wesens gegen
diese leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. “Das
Dichterhandwerk”, sagt Cato, “war sonst nicht angesehen; wenn jemand
damit sich abgab oder bei den Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein
Bummler.” Wer nun aber gar Tanz, Musik und Baenkelgesang fuer Geld
betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden Bescholtenheit
eines jeden durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen
Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das
Mitwirken bei den landueblichen maskierten Charakterpossen als ein
unschuldiger jugendlicher Mutwille betrachtet ward, so galt das
Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld und ohne Masken
geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand dabei mit
dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe.
Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig fuer
unfaehig erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der
Buergerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein
schon bezeichnend genug ist, die Buehnendirektion betrachtet als zur
Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig, sondern es ward auch der Polizei
wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmaessigen
Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt eingeraeumt.
Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter Auffuehrung
ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso
reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es
waren auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden
Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung
und Einsperrung zu verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass
Tanz, Musik und Poesie, wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen
Buehne sich zeigten, den niedrigsten Klassen der roemischen
Buergerschaft und vor allem den Fremden in die Haende fielen; und wenn
in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt eine zu geringe Rolle
spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich beschaeftigt haetten,
so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte sakrale und profane
Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar
hochgehaltene latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische
unterdrueckt war, schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden.
Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele
noch die Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt
haben, sondern wurden je nach Beduerfnis regelmaessig von den
Vortragenden selbst verfertigt. Von schriftstellerischen Arbeiten aus
dieser Zeit wusste man spaeterhin nichts aufzuzeigen als eine Art
roemischer ‘Werke und Tage’, eine Unterweisung des Bauern an seinen
Sohn ^2, und die schon erwaehnten pythagoreischen Gedichte des Appius
Claudius, den ersten Anfang hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig
geblieben ist von den Dichtungen dieser Epoche nichts als eine und die
andere Grabschrift im saturnischen Masse.
Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so gehoeren auch die
Anfaenge der roemischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der
gleichzeitigen Aufzeichnung der merkwuerdigen Ereignisse wie der
konventionellen Feststellung der Vorgeschichte der roemischen Gemeinde.
Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an das Beamtenverzeichnis
an. Das am weitesten zurueckreichende, das den spaeteren roemischen
Forschern vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint
aus dem Archiv des kapitolinischen Jupitertempels herzuruehren, da es
von dem Konsul Marcus Horatius an, der denselben am 13. September
seines Amtsjahres einweihte, die Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher
auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln Publius Servilius und Lucius
Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291 der Stadt 463) bei
Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis: von da an jedes
hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu
schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass- und
Schriftgelehrten der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche die
Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und
also mit der aelteren Monat- eine Jahrtafel verbinden; beide werden
seitdem unter dem - eigentlich nur der Gerichtstagtafel zukommenden -
Namen der Fasten zusammengefasst. Diese Einrichtung mag nicht lange
nach der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein, da in der Tat, um
die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu koennen, die
offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches
Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der
Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen
Brande (364 390) zugrunde gegangen und die Liste des
Pontifikalkollegiums nachher aus der von dieser Katastrophe nicht
betroffenen kapitolinischen, so weit diese zurueckreichte, ergaenzt
worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis zwar in den
Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus den
Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen
aber von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen
zurueckgeht, leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt
dasselbe nur unvollkommen und annaehernd wieder, da die
Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht einmal mit einem ein
fuer allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus mancherlei
Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die haeufig
zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der
Rechnung nach Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser
Vorsteherliste die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den
Antritts- und Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen
Interregnen mit anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein.
Ausserdem aber wurde die Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in
der Weise hergerichtet, dass man durch Akkommodation jedem Kalenderjahr
ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte, Fuelljahre
einlegte, welche in der spaeteren (Varronischen) Tafel mit den Ziffern
379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist
die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im
ganzen, mit dem roemischen Kalender in Uebereinstimmung, also insoweit
chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst
dies verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen
entziehen sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der Hauptsache
gleichfalls richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509) liegt,
ist chronologisch verschollen.
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^2 Erhalten ist davon das Bruchstueck:
Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst du, Knabe,
Einernten grosse Spelte.
Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin
als das aelteste roemische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius
p. 93 M; Serv. georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).
^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlass zum Verdacht und
moegen spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl der Jahre von der
Koenigsflucht bis zum Stadtbrande auf 120 abzurunden.
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Eine gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in
sakralen Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des
kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste
lief.
Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer
Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem
Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik, ganz
wie aus den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die
mittelalterliche, hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der
Anlegung einer foermlichen, die Namen saemtlicher Beamten und die
merkwuerdigen Ereignisse Jahr fuer Jahr stetig verzeichnenden Chronik
(liber annalis) durch die Pontifices. Vor der unter dem 5. Juni 351
(403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20.
Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik
keine Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen
derselben fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der
Stadt an, glaublich zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen
und die von Gemeinde wegen gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst
seit der zweiten Haelfte des fuenften Jahrhunderts regelmaessig in die
Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein nach hat die Einrichtung
eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit zusammenhaengt, die
eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum Zweck der
Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre in
der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch
nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex
obliege, Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit,
Finsternisse und Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer
angesehener Maenner, die neuen Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse der
Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben und diese Anzeichnungen in
seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu jedermanns Einsicht
aufzustellen, war man damit von einer wirklichen Geschichtschreibung
noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige Aufzeichnung noch am
Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie der Willkuer
spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender Deutlichkeit
die Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456 (298) in
den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die
spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen
Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden
Bericht zu gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das
Stadtbuch noch in seiner urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich
daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben vermoegen.
Indes gab es solche Stadtchroniken nicht bloss in Rom, sondern jede
latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen
besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea,
Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit
dieser Stadtchroniken haette vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen
lassen, wie es fuer das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der
verschiedenen Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in
Rom spaeterhin es vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische
oder hellenisierende Luege zu fuellen.
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^4 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein
Kollege in Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach
der Grabschrift erobert Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz
Lucanien.
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Ausser diesen freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten
offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten
und vergangenen Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen
vorgekommen sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient
haetten. Von Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich
in den vornehmen Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so
wichtigen Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum zu
bleibendem Gedaechtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen
Listen, die wenigstens auch die Aemter nannten, fand nicht bloss die
Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich hieran auch
wohl frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden, welche
in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von
dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden
wesentlich nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des
Toten, sondern auch in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner
Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in fruehester Zeit
traditionell von einer Generation auf die andere ueber. Manche
wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch manche
dreiste Verdrehung und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt
werden.
Aber wie die Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren
ebenfalls in diese Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und
konventionellen Entstellung der Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer
waren natuerlich dieselben wie ueberall. Einzelne Namen, wie die der
Koenige Numa, Ancus, Tullus, denen die Geschlechtsnamen wohl erst
spaeter zugeteilt worden sind, und einzelne Tatsachen, wie die
Besiegung der Latiner durch Koenig Tarquinius und die Vertreibung des
tarquinischen Koenigsgeschlechts mochten in allgemeiner, muendlich
fortgepflanzter wahrhafter Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte
die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die
Fabiererzaehlungen mehrfach hervortreten. In anderen Erzaehlungen
wurden uralte Volksinstitutionen, besonders mit grosser Lebendigkeit
rechtliche Verhaeltnisse symbolisiert und historisiert; so die
Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung vom Tode des Remus, die
Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des Koenigs Tatius, die
Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden Ordnung in der Sage von
Horatius Cocles ^5, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde in
der schoenen Erzaehlung von den Horatiern und Curiatiern, die
Entstehung der Freilassung und des Buergerrechts der Freigelassenen in
derjenigen von der Tarquinierverschwoerung und dem Sklaven Vindicius.
Ebendahin gehoert die Geschichte der Stadtgruendung selbst, welche Roms
Ursprung an Latium und die allgemeine latinische Metropole Alba
anknuepfen soll. Zu den Beinamen der vornehmen Roemer entstanden
historische Glossen, wie zum Beispiel Publius Valerius der
“Volksdiener” (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten um
sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den heiligen Feigenbaum
und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in grosser
Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber
ein Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis
erwuchsen. Eine gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen
Maerchen, die Feststellung der Reihe der sieben Koenige, die ohne
Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer
Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang
offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in
dieser Epoche stattgefunden: die Grundzuege der Erzaehlung und
namentlich deren Quasichronologie treten in der spaeteren Tradition mit
so unwandelbarer Festigkeit auf, dass schon darum ihre Fixierung nicht
in, sondern vor die literarische Epoche Roms gesetzt werden muss. Wenn
bereits im Jahre 458 (296) die an den Zitzen der Woelfin saugenden
Zwillinge Romulus und Remus in Erz gegossen an dem heiligen Feigenbaum
aufgestellt wurden, so muessen die Roemer, die Latium und Samnium
bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt nicht viel anders
vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die Aboriginer, das
sind die “Vonanfanganer”, dies naive Rudiment der geschichtlichen
Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465 (289) bei
dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der
Chronik, dass sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fuegt und wenn
nicht bis auf die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis
auf die Entstehung der Gemeinde zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und
es ist auch ausdruecklich bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das
Gruendungsjahr Roms angab. Danach darf angenommen werden, dass das
Pontifikalkollegium, als es in der ersten Haelfte des fuenften
Jahrhunderts anstatt der bisherigen spaerlichen und in der Regel wohl
auf die Beamtennamen sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der
Anlegung einer foermlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu
Anfang fehlende Geschichte der Koenige Roms und ihres Sturzes
hinzufuegte und, indem es auf den Einweihungstag des kapitolinischen
Tempels, den 13. September 245 (509), zugleich die Stiftung der
Republik setzte, einen freilich nur scheinhaften Zusammenhang zwischen
der zeitlosen und der annalistischen Erzaehlung herstellte. Dass bei
dieser aeltesten Aufzeichnung der Urspruenge Roms auch der Hellenismus
seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu bezweifeln; die
Spekulation ueber Ur- und spaetere Bevoelkerung, ueber die Prioritaet
des Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen
Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die
Truebung der echt nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen
Egeria durch die Einmischung fremdlaendischer pythagoreischer
Urweisheit scheint keineswegs zu den juengsten Bestandteilen der
roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.
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^5 Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius
(nat. 36, 15, 100).
^6 Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert
und rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche
zwischen der Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet
ward. Wodurch man gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum
Beispiel die oben eroerterte Feststellung des Flaechenmasses.
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Analog diesen Anfaengen der Gemeinde sind auch die Stammbaeume der
edlen Geschlechter in aehnlicher Weise vervollstaendigt und in
beliebter heraldischer Manier durchgaengig auf erlauchte Ahnen
zurueckgefuehrt worden; wie denn zum Beispiel die Aemilier, Calpurnier,
Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen des Numa: Mamercus, Calpus,
Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von dem Sohne des
Pythagoras Mamercus, der “Wohlredende” (αιμύλος) genannt, abstammen
wollten.
Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden hellenischen
Reminiszenzen diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter
wenigstens relativ eine nationale genannt werden, insofern sie teils in
Rom entstanden, teils ihre Tendenz zunaechst nicht darauf gerichtet
ist, eine Bruecke zwischen Rom und Griechenland, sondern eine Bruecke
zwischen Rom und Latium zu schlagen.
Es war die hellenische Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen
Aufgabe sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgaengig das
Bestreben, mit der allmaehlich sich erweiternden geographischen Kunde
Schritt zu halten und mit Hilfe ihrer zahllosen Wander- und
Schiffergeschichten eine dramatisierte Erdbeschreibung zu gestalten.
Indes verfaehrt sie dabei selten naiv. Ein Bericht wie der des
aeltesten Rom erwaehnenden griechischen Geschichtswerkes, der
sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424):
dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heisst nach der
brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher, einfach die
Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier historisierender
und von aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht ist eine seltene
Erscheinung. Im ganzen ist die Sage, und je spaeter desto mehr,
beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt darzustellen als von
den Griechen entweder ausgegangen oder doch unterworfen; und frueh zog
sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den Westen. Fuer Italien sind
weniger die Herakles- und Argonautensage von Bedeutung geworden, obwohl
bereits Hekataeos († nach 257 497) die Saeulen des Herakles kennt und
die Argo aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean, aus diesem
in den Nil und zurueck in das Mittelmeer fuehrt, als die an den Fall
Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit der ersten aufdaemmernden Kunde
von Italien beginnt auch Diomedes im Adriatischen, Odysseus im
Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn wenigstens die letztere
Lokalisierung schon der Homerischen Fassung der Sage nahe genug lag.
Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die Landschaften am
Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet der
Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340)
schloss, und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich
dieser. Von troischen Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts;
bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall ueber die in der Heimat
zurueckbleibenden Troer. Erst der grosse Mythenwandler Stesichoros
(122-201 632-553) fuehrte in seiner ‘Zerstoerung Ilions’ den Aeneas in
das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat,
Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden
gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm ruehren die
seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel her,
namentlich die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem
Soehnchen und dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem
brennenden Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer
mit den sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in
dem troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen
Vorgebirges, schon deutlich hervortritt ^7. Den alten Dichter leitete
dabei das Gefuehl, dass die italischen Barbaren den Hellenen minder
fern als die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen und der
Italiker dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer
gleich gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue
Troerfabel mit der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich
weiter ueber Italien verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400)
kamen Odysseus und Aeneas durch die thrakische und molottische
(epeirotische) Landschaft nach Italien, wo die mitgefuehrten troischen
Frauen die Schiffe verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gruendet und sie
nach dem Namen einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich, nur minder
unsinnig, erzaehlte Aristoteles (370-432 384-322), dass ein
achaeisches, an die latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den
troischen Sklavinnen angezuendet worden und aus den Nachkommen der also
zum Dableiben genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen
Frauen die Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich
Elemente der einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen
Sizilien und Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die
Kunde bis nach Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms
Entstehung, welche der Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete,
sind Odysseus-, Aeneas- und Romulusfabeln ineinandergeflossen ^8. Aber
der eigentliche Vollender der spaeter gelaeufigen Fassung dieser
Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der sein
Geschichtswerk 492 (262) schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst
Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom
gruendet; er muss auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die
Aeneassage eingeflochten haben, da bei ihm Dido Karthagos Gruenderin
ist und Rom und Karthago ihm in demselben Jahre erbaut heissen. Den
Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben der eben zu der Zeit und an
dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich vorbereitenden Krise zwischen den
Roemern und den Karthagern, offenbar gewisse nach Sizilien gelangte
Berichte ueber latinische Sitten und Gebraeuche; im wesentlichen aber
kann die Erzaehlung nicht von Latium heruebergenommen, sondern nur die
eigene nichtsnutzige Erfindung der alten “Sammelvettel” gewesen sein.
Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgoetter in Lavinium
erzaehlen hoeren; aber dass diese den Lavinaten als die von den
Aeneiaden aus Ilion mitgebrachten Penaten gaelten, hat er ebenso sicher
von dem Seinigen hinzugetan, wie die scharfsinnige Parallele zwischen
dem roemischen Oktoberross und dem Trojanischen Pferde und die genaue
Inventarisierung der lavinischen Heiligtuemer - es waren, sagt der
wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe von Eisen und Kupfer und ein
toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die Penaten noch
Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem geschaut werden; aber Timaeos
war einer von den Historikern, die ueber nichts so genau Bescheid
wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der
den Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er -
wie hier - sich auf urkundliche Beweisstuecke berufe. In der Tat war
der sizilische Rhetor, der das Grab des Thukydides in Italien zu zeigen
wusste und der fuer Alexander kein hoeheres Lob fand, als dass er
schneller mit Asien fertig geworden sei als Isokrates mit seiner
‘Lobrede’, vollkommen berufen, aus der naiven Dichtung der aelteren
Zeit den wuesten Brei zu kneten, welchem das Spiel des Zufalls eine so
seltsame Zelebritaet verliehen hat.
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^7 Auch die troischen Kolonien” auf Sizilien, die Thukydides,
Pseudoskylax und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer
troischen Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen
Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den
Troern zurueckgehen.
^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom gefluechtete Frau
Rome oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem Koenig der
Aboriginer Latinos und gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos und
Telegonos. Der letzte, der ohne Zweifel hier als Gruender von Tusculum
und Praeneste auftritt, gehoert bekanntlich der Odysseussage an.
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Inwieweit die hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie
zunaechst in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang
gefunden hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen
an den odysseischen Kreis, welche spaeterhin in den Gruendungssagen von
Tusculum, Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon
in dieser Zeit sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die
Abstammung der Roemer von Troern oder Troerinnen musste schon am
Schluss dieser Epoche in Rom feststehen, da die erste nachweisliche
Beruehrung zwischen Rom und dem griechischen Osten die Verwendung des
Senats fuer die “stammverwandten” Ilier im Jahre 472 (282) ist. Dass
aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung ist,
beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige
Lokalisierung; und die Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre
Ausgleichung mit der roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall
erst der Folgezeit an.
Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so
genannt ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte,
liess sie in einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen
Historie ebenso bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die
gleichzeitige italische Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum
dass Theopomp von Chios (schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die
Kelten beilaeufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos,
Herakleides von Pontos († um 450 300) einzelne Rom betreffende
Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit Hieronymos von Kardia, der
als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege
erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich Quelle fuer
die roemische Geschichte.
Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschaetzbare
Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304
(451, 450). Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln bekannte Weistum
ist wohl das aelteste roemische Schriftstueck, das den Namen eines
Buches verdient. Nicht viel juenger mag der Kern der sogenannten
“koeniglichen Gesetze” sein, das heisst gewisser, vorzugsweise sakraler
Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahrscheinlich von dem
Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung nicht, wohl aber zur
Gesetzweisung befugt war, unter der Form koeniglicher Verordnungen zu
allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ausserdem sind vermutlich schon seit
dem Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch die
wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig schriftlich verzeichnet
worden; wie denn ueber deren Aufbewahrung bereits in den fruehesten
staendischen Kaempfen mitgestritten ward.
Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte,
stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich
fest. Sowohl den jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke
herausgegriffenen Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige
Maenner sich wenden zu koennen, welche den Rechtsgang kannten und nach
Praezedentien oder in deren Ermangelung nach Gruenden eine Entscheidung
an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices, die es gewohnt waren,
sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Goetterverehrung
bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu werden,
gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und
Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die
Tradition, die dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die
Formeln der rechten Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der
all diese Klagen zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die
Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von Appius Claudius oder von
dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht. Indes dieser
Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste Wissenschaft zu
formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da. Dass die
Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem
Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist
begreiflich, wenn auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische
Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und der erste
plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese
Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmassung
Spaeterer ist als Ueberlieferung.
Dass die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen
italischen Sprachen vor diese Periode faellt und schon zu Anfang
derselben die lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen
die freilich durch ihre halb muendliche Tradition stark modernisierten
Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln, welche wohl eine Anzahl veralteter
Woerter und schroffer Verbindungen, namentlich infolge der Weglassung
des unbestimmten Subjekts, aber doch keineswegs, wie das Arvalied,
wesentliche Schwierigkeiten des Verstaendnisses darbieten und weit mehr
mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien uebereinkommen.
Wenn die Roemer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Muehe hatten,
Urkunden des fuenften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher,
dass es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten
eine Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden
Rechtweisung und Gesetzesredaktion auch der roemische Geschaeftsstil
zuerst sich festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner
entwickelten Gestalt, an feststehenden Formeln und Wendungen, endloser
Aufzaehlung der Einzelheiten und langatmigen Perioden der heutigen
englischen Gerichtssprache nichts nachgibt und sich dem Eingeweihten
durch Schaerfe und Bestimmtheit empfiehlt, waehrend der Laie je nach
Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Aerger nichtsverstehend
zuhoert. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle Behandlung der
einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir sahen,
das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und
griff die Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und
der feineren Konsonanten aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten
Jahrhundert unserer Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen.
Hiergegen trat aber eine Reaktion ein: im Oskischen werden die
zusammengefallenen Laute d und r, im Lateinischen die
zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder mit seinem
eigenen Zeichen versehen; o und u, fuer die es im oskischen Alphabet
von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt hatte und die im
Lateinischen zwar urspruenglich geschieden waren, aber zusammenzufallen
drohten, traten wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar das i in
zwei lautlich und graphisch verschiedene Zeichen aufgeloest; endlich
schliesst die Schreibung sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum
Beispiel bei den Roemern vielfaeltig s durch r ersetzt ward. Die
chronologischen Spuren fuehren fuer diese Reaktion auf das fuenfte
Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war um das Jahr 300 (450)
noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden; der erste des
Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius nannte, war
der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r anstatt des s
wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel
steht die Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen Aussprache im
Zusammenhang mit dem steigenden Einfluss der griechischen Zivilisation,
welcher eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des italischen
Wesens bemerklich macht; und wie die Silbermuenzen von Capua und Nola
weit vollkommener sind als die gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom,
so scheint auch Schrift und Sprache rascher und vollstaendiger sich im
kampanischen Lande reguliert zu haben als in Latium. Wie wenig trotz
der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und Schreibweise noch
am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus dem Ende
des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen namentlich
in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut und n im
Inlaut und in der Unterscheidung der Vokale o u und e i die groesste
Willkuer herrscht ^9; es ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig die
Sabeller hierin schon weiter waren, waehrend die Umbrer von dem
regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig beruehrt worden sind.
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^9 In den beiden Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und
des gleichnamigen Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut
der Beugungen regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal
Gnaivod; es steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios;
cosol, cesor und consol censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi),
hec (Nom. Sing.) neben aidilis, cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist
bereits vollstaendig durchgefuehrt; man findet duonoro (= bonorum),
ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, plusima. Unsere
inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen nicht
ueber den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne
Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und die
aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf neu
gefundenen Grabschriften von Praeneste.
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Durch diese Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der
elementare Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen
war, eine gewisse Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste
griechische, die Zwoelf Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so
wurden auch beide in ihrer Heimat die wesentliche Grundlage des
Unterrichts und das Auswendiglernen des juristisch-politischen
Katechismus ein Hauptstueck der roemischen Kindererziehung. Neben den
lateinischen “Schreibmeistern” (litteratores) gab es natuerlich, seit
die Kunde des Griechischen fuer jeden Staats- und Handelsmann
Beduerfnis war, auch griechische Sprachlehrer (grammatici ^10), teils
Hofmeister-Sklaven, teils Privatlehrer, die in ihrer Wohnung oder in
der des Schuelers Anweisung zum Lesen und Sprechen des Griechischen
erteilten. Dass wie im Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei dem
Unterricht der Stock seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11.
Die elementare Stufe indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht
ueberstiegen haben; es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung
zwischen dem unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer.
Dass die Roemer in den mathematischen und mechanischen Wissenschaften
zu keiner Zeit sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich
auch fuer die gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches
mit Sicherheit hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn
versuchten Regulierung des Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf
der alten, hoechst unvollkommenen Trieteris beruhenden vertauschen mit
dem damaligen attischen der Oktaeteris, welcher den Mondmonat von 29½
Tagen beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf 368¾ a vielmehr auf
365¼ Tage ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner Jahrlaenge
von 354 Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf je
acht Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die
roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des
geltenden Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus
nicht die Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu
verkuerzen, also diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu
22 und 21 Tagen anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und
theologische Bedenken, namentlich die Ruecksicht auf das eben in die
betreffenden Februartage fallende Jahrfest des Terminus, zerruetteten
die beabsichtigte Reform in der Art, dass der Schaltjahrfebruar
vielmehr 24- und 23taegig ward, also das neue roemische Sonnenjahr in
der Tat auf 366¼ Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus folgenden
praktischen Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung
der bei den jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren
Rechnung nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich
gewoehnte, wo es auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen
eines Sonnenjahrs von 365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen
Jahre von 304 Tagen zu rechnen. ueberdies kam besonders fuer
baeuerliche Zwecke der auf das aegyptische 365¼taegige Sonnenjahr von
Eudoxos (blueht 386 368) gegruendete Bauernkalender auch in Italien
frueh in Gebrauch.
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^10 Litterator und grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und
Maître; die letztere Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch
nur dem Lehrer des Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu.
Litteratus ist juenger und bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern
den gebildeten Mann.
^11 Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als
ein Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt:
wenn nun du darauf nach Hause kamst,
In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin;
Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt,
Faerbte deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
—————————————————————-
Einen hoeheren Begriff von dem, was auch in diesen Faechern die
Italiker zu leisten vermochten, gewaehren die Werke der mit den
mechanischen Wissenschaften eng zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst.
Zwar eigentlich originelle Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber
wenn durch den Stempel der Entlehnung, welcher der italischen Plastik
durchgaengig aufgedrueckt ist, das kuenstlerische Interesse an
derselben sinkt, so heftet das historische sich nur um so lebendiger an
dieselbe, insofern sie teils von einem sonst verschollenen
Voelkerverkehr die merkwuerdigsten Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so
gut wie vollstaendigen Untergang der Geschichte der nichtroemischen
Italiker fast allein uns die verschiedenen Voelkerschaften der
Halbinsel in lebendiger Taetigkeit nebeneinander darstellt. Neues ist
hier nicht zu sagen; aber wohl laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit
und auf breiterer Grundlage ausfuehren, was schon oben gezeigt ward,
dass die griechische Anregung die Etrusker und die Italiker von
verschiedenen Seiten her maechtig erfasst, und dort eine reichere und
ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine verstaendigere und innigere Kunst
ins Leben gerufen hat.
Wie voellig die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer
aeltesten Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist
frueher dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die
pyramidalisch gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder
nicht wesentlich verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken.
Von einer Weiterbildung der Architektur bei den Etruskern waehrend
dieser Epoche hat sich keine Spur erhalten; wir begegnen hier weder
einer wesentlich neuen Rezeption noch einer originellen Schoepfung -
man muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen, wie das von Varro
beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das lebhaft an
die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden
erinnert.
Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb Jahrhunderte
der Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen, und es ist
schon gesagt worden, dass mit der Einfuehrung der Republik die
Kunstuebung eher gesunken als gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit
kaum ein anderes architektonisch bedeutendes latinisches Bauwerk zu
nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am Circus erbaute Cerestempel,
der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen Stiles gilt. Aber
gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das italische und
namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige Bogenbau.
Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer
italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der
Epoche der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen
noch nicht kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das
schraege Dach ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt
eine juengere, aus der rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung
der Hellenen sein, wie ihn denn die griechische Tradition auf den
Physiker Demokritos (294-397 460-357) zurueckfuehrt. Mit dieser
Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem roemischen ist auch
vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen wird, dass
die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches ueber
das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus
spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei
welchen das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr
als wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern
der republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch
in Italien nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie
man auch ueber die Erfindung des Bogens selbst denken mag, die
Anwendung im grossen ist ueberall und vor allem in der Baukunst
wenigstens ebenso bedeutend wie die Aufstellung des Prinzips; und diese
gebuehrt unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften Jahrhundert beginnt
der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken- und
Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich
verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den
Griechen fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und
besonders fuer die ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht
griechischen der Vesta, angewendeten Form des Rundtempels und des
Kuppeldachs ^12.
————————————————————-
^12 Eine Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat,
ist der Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom
Viereck aus. Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform
an die Vorstellung des Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne
umgebenden Weltalls (Fest. v. rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast.
6, 267f.); in der Tat ist dieselbe wohl einfach darauf
zurueckzufuehren, dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren bestimmte
Raeumlichkeit als die bequemste wie die sicherste Form stets die
kreisrunde gegolten hat. Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der
Hellenen ebenso wie der Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des
Penatentempels; es war natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den
Altar der Vesta - und die Feuerkammer - das heisst den Vestatempel -
rund anzulegen, so gut wie dies mit der Zisterne und der Brunnenfassung
(puteal) geschah. Der Rundbau an sich ist graecoitalisch wie der
Quadratbau und jener der Kammer eigen, wie dieser dem Wohnhaus; aber
die architektonische und religioese Entwicklung des einfachen Tholos
zum Rundtempel mit Pfeilern und Saeulen ist latinisch.
————————————————————
Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht
unwichtigen Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet
oder gar von Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch aus
den festgefuegten Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren
unzerstoerbaren Chausseen, aus den breiten, klingend harten Ziegeln,
aus dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude redet die unverwuestliche
Soliditaet, die energische Tuechtigkeit des roemischen Wesens.
Wie die tektonischen, und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und
zeichnenden Kuenste auf italischem Boden nicht so sehr durch
griechische Anregung befruchtet, als aus griechischen Samenkoernern
gekeimt. Dass dieselben, obwohl erst die juengeren Schwestern der
Architektur, doch wenigstens in Etrurien schon waehrend der roemischen
Koenigszeit sich zu entwickeln begannen, wurde bereits bemerkt; ihre
hauptsaechliche Entfaltung aber gehoert in Etrurien, und um so mehr in
Latium, dieser Epoche an, wie dies schon daraus mit Evidenz hervorgeht,
dass in denjenigen Landschaften, welche die Kelten und Samniten den
Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts entrissen, von etruskischer
Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die tuskische Plastik warf sich
zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit in gebranntem Ton, in Kupfer
und in Gold, welche Stoffe die reichen Tonlager und Kupfergruben und
der Handelsverkehr Etruriens den Kuenstlern darboten. Von der
Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei betrieben wurde, zeugen die
ungeheuren Massen von Reliefplatten und statuarischen Arbeiten aus
gebranntem Ton, womit Waende, Giebel und Daecher der etruskischen
Tempel nach Ausweis der noch vorhandenen Ruinen einst verziert waren,
und der nachweisliche Vertrieb derartiger Arbeiten aus Etrurien nach
Latium. Der Kupferguss stand nicht dahinter zurueck. Etruskische
Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von kolossalen, bis zu
fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii, dem
etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend
Bronzestatuen gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien,
wie wohl ueberall, weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch
durch den Mangel eines geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die
lunensischen (carrarischen) Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet.
Wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der suedetruskischen Graeber
gesehen hat, der wird die Nachricht nicht unglaublich finden, dass die
tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika geschaetzt wurden. Auch die
Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist, doch auch in Etrurien
vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen, uebrigens den
bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in der
Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei
ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler.
Vergleichen wir hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so
erscheint es zunaechst gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm.
Allein bei genauerer Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht
entziehen, dass sowohl die sabellische wie die latinische Nation weit
mehr als die etruskische Faehigkeit und Geschick fuer die Kunst gehabt
haben muessen. Zwar auf eigentlich sabellischem Gebiet, in der Sabina,
in den Abruzzen, in Samnium, finden sich Kunstwerke so gut wie gar
nicht und mangeln sogar die Muenzen. Diejenigen sabellischen Staemme
dagegen, welche an die Kuesten der Tyrrhenischen oder Ionischen See
gelangten, haben die hellenische Kunst sich nicht bloss wie die
Etrusker aeusserlich angeeignet, sondern sie mehr oder minder
vollstaendig bei sich akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein
in der einstmaligen Landschaft der Volsker deren Sprache und
Eigentuemlichkeit spaeterhin sich behauptet haben, haben sich bemalte
Terrakotten gefunden von lebendiger und eigentuemlicher Behandlung. In
Unteritalien ist Lucanien zwar in geringem Grade von der hellenischen
Kunst ergriffen worden; aber in Kampanien wie im brettischen Lande
haben sich Sabeller und Hellenen wie in Sprache und Nationalitaet so
auch und vor allem in der Kunst vollstaendig durchdrungen und es stehen
namentlich die kampanischen und brettischen Muenzen mit den
gleichzeitigen griechischen so vollstaendig auf einer Linie der
Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von ihnen unterscheidet.
Weniger bekannt, aber nicht weniger sicher ist es, dass auch Latium
wohl an Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an Kunstsinn und
Kunstuebung hinter Etrurien zurueckstand. Offenbar hat die um den
Anfang des 5. Jahrhunderts erfolgte Festsetzung der Roemer in
Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales in eine latinische Gemeinde,
der falernischen Landschaft bei Capua in einen roemischen
Buergerbezirk, zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern
aufgeschlossen. Zwar mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen
Etrurien fleissig gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet
nirgends eine Spur, dass die latinischen Gewerke gleich den
etruskischen Goldschmieden und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig
gewesen sind. Zwar sind die latinischen Tempel nicht gleich den
etruskischen mit Bronze- und Tonzierat ueberladen, die latinischen
Graeber nicht gleich den etruskischen mit Goldschmuck angefuellt worden
und schillerten die Waende jener nicht wie die der etruskischen von
bunten Gemaelden. Aber nichtsdestoweniger stellt sich im ganzen die
Waage nicht zum Vorteil der etruskischen Nation. Die Erfindung des
Janusbildes, welche wie die Gottheit selbst den Latinern beigelegt
werden darf, ist nicht ungeschickt, und originellerer Art als die
irgendeines etruskischen Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit
den Zwillingen lehnt wohl an aehnliche griechische Erfindungen sich an,
ist aber in dieser Ausfuehrung sicher wenn nicht in Rom, so doch von
Roemern erfunden; und es ist bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von
den Roemern in und fuer Kampanien gepraegten Silbermuenzen auftritt. In
dem oben erwaehnten Cales scheint bald nach seiner Gruendung eine
besondere Gattung figurierten Tongeschirrs erfunden worden zu sein, das
mit dem Namen der Meister und des Verfertigungsorts bezeichnet und in
weitem Umfang bis nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. Die vor
kurzem auf dem Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen
von gebranntem Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik
genau den gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes
schliesst dies nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom
gearbeitet haben. Der Bildner Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten
Tonfiguren fuer den uralten Cerestempel verfertigt hat, scheint kein
anderer gewesen zu sein als der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von
Himera (um 300 450). Am belehrendsten sind diejenigen Kunstzweige, in
denen uns teils nach alten Zeugnissen, teils nach eigener Anschauung
eine vergleichendes Urteil gestattet ist. Von latinischen Arbeiten in
Stein ist kaum etwas anderes uebrig als der am Ende dieser Periode in
dorischem Stil gearbeitete Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius
Scipio; aber die edle Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen
etruskischen Werke. Aus den etruskischen Graebern sind manche schoene
Bronzen alten strengen Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und
dergleichen Geraetstuecke erhoben worden; aber welches dieser Werke
reicht an die im Jahre 458 (296) am ruminalischen Feigenbaum auf dem
roemischen Markte aus Strafgeldern aufgestellte bronzene Woelfin, noch
heute den schoensten Schmuck des Kapitols? Und dass auch die
latinischen Metallgiesser so wenig wie die etruskischen vor grossen
Aufgaben zurueckschraken, beweist das von Spurius Carvilis (Konsul 461
293) aus den eingeschmolzenen samnitischen Ruestungen errichtete
kolossale Erzbild des Jupiter auf dem Kapitol, aus dessen Abfall beim
Ziselieren die zu den Fuessen des Kolosses stehende Statue des Siegers
hatte gegossen werden koennen; man sah dieses Jupiterbild bis vom
Albanischen Berge. Unter den gegossenen Kupfermuenzen gehoeren bei
weitem die schoensten dem suedlichen Latium an; die roemischen und
umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast bildlos und oft
wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem 452 302
dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol ausfuehrte, erwarben
in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch gebildeter
Kunstrichter der augusteischen Epoche; und es werden von den
Kunstenthusiasten der Kaiserzeit wohl auch die caeritischen, aber mit
noch groesserem Nachdruck die roemischen, lanuvinischen und
ardeatischen Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. Die
Zeichnung auf Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die
Handspiegel, sondern die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen
Umrissen schmueckte, ward in Latium in weit geringerem Umfang und fast
nur in Praeneste geuebt; es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter
den etruskischen Metallspiegeln wie unter den praenestinischen
Kaestchen, aber es war ein Werk der letzteren Gattung, und zwar ein
hoechst wahrscheinlich in dieser Epoche in der Werkstatt eines
praenestinischen Meisters entstandenes Werk ^13, von dem mit Recht
gesagt werden konnte, dass kaum ein zweites Erzeugnis der Graphik des
Altertums so wie die ficoronische Cista den Stempel einer in Schoenheit
und Charakteristik vollendeten und noch vollkommen reinen und ernsten
Kunst an sich traegt.
—————————————————————————-
^13 Novius Plautius goss vielleicht nur die Fuesse und die
Deckelgruppe; das Kaestchen selbst kann von einem aelteren Kuenstler
herruehren, aber, da der Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf
Praeneste beschraenkt hat, kaum von einem anderen als einem
praenestinischen.
——————————————————————————
Der allgemeine Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine
gewisse barbarische Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils
der voellige Mangel innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister
fluechtig skizziert, verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft
den Fleiss; an die Stelle des leichten Materials und der maessigen
Verhaeltnisse griechischer Werke tritt bei den etruskischen ein
renommistisches Hervorheben der Groesse und Kostbarkeit oder auch bloss
der Seltsamkeit des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht
nachbilden, ohne zu uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das
Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur
Zote, und immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die
urspruengliche Anregung zuruecktritt und die etruskische Kunst sich auf
sich selber angewiesen findet. Noch auffallender ist das Festhalten an
den hergebrachten Formen und dem hergebrachten Stil. Sei es, dass die
anfaengliche freundlichere Beruehrung mit Etrurien hier den Hellenen
den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine spaetere Epoche der
Feindseligkeit aber den juengeren Entwicklungsstadien der griechischen
Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher
ist, dass die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation die
Hauptsache dabei tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven
Stufe, auf welcher sie bei ihrem ersten Eindringen daselbst sich
befunden hatte, wesentlich stehen - bekanntlich ist dies die Ursache
gewesen; weshalb die etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene
Tochter der hellenischen, solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr
noch als das strenge Festhalten des einmal ueberlieferten Stils in den
aelteren Kunstzweigen beweist die unverhaeltnismaessig elende
Behandlung der spaeter aufgekommenen, namentlich der Bildhauerei in
Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf Muenzen, wie rasch aus
der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend sind die
gemalten Gefaesse, die in den juengeren etruskischen Grabstaetten in so
ungeheurer Anzahl sich finden. Waeren dieselben so frueh wie die mit
Umrissen verzierten Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den
Etruskern gangbar geworden, so wuerde man ohne Zweifel auch sie in
Menge und in wenigstens relativer Guete dort fabrizieren gelernt haben;
aber in der Epoche, in welcher dieser Luxus emporkam, misslang die
selbsttaetige Reproduktion vollstaendig, wie die vereinzelten mit
etruskischen Inschriften versehenen Gefaesse beweisen, und man
begnuegte sich darum, dieselben zu kaufen, statt sie zu formen.
Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter
Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung der suedlichen und der
noerdlichen Landschaft. Es ist Suedetrurien, hauptsaechlich die Bezirke
von Caere, Tarquinii, Volci, die die gewaltigen Prunkschaetze besonders
von Wandgemaelden, Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten
Tongefaessen bewahren; das noerdliche Etrurien steht weit dahinter
zurueck, und es hat zum Beispiel sich kein gemaltes Grab noerdlich von
Chiusi gefunden. Die suedlichsten etruskischen Staedte Veii, Caere,
Tarquinii sind es, die der roemischen Tradition als die Ur- und
Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten; die noerdlichste Stadt
Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen etruskischen
Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in
Suedetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien
vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten
Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in Suedetrurien
wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten
Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen
Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich
sehr entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist
nicht zu bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der
suedlichen Haelfte Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier
beginnende Romanisierung der etruskischen Kunst verderblich werden; was
Nordetrurien, auf sich allein beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten
vermochte, zeigen die wesentlich ihm angehoerenden Kupfermuenzen.
Wenden wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch
dies keine neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren
Kulturepoche vorbehalten, aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der
hellenischen Tektonik verschiedene Architektur zu entwickeln und sodann
mit dieser harmonisch eine neue Bildnerei und Malerei zu entfalten. Die
latinische Kunst ist nirgend originell und oft gering; aber die frisch
empfindende und taktvoll waehlende Aneignung des fremden Gutes ist auch
ein hohes kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat die latinische
Kunst barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie voellig
im Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der
Kunst Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher
aelteren etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro
immerhin mit Recht angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel
von griechischen Kuenstlern ausgefuehrten nur “tuscanische” Tonbilder
die roemischen Tempel verzierten; aber dass doch vor allem der
unmittelbare Einfluss der Griechen die latinische Kunst bestimmt hat,
ist an sich schon klar und liegt auch in eben diesen Bildwerken sowie
in den latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu Tage. Selbst die
Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den
Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet
auf die Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen
Kunstanregung. Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo
die latinische Kunst ihre frischesten Blueten trieb; die roemischen
Asse und die roemischen Denare werden von den latinischen Kupfer- und
den seltenen latinischen Silbermuenzen an Feinheit und Geschmack der
Arbeit bei weitem uebertroffen und auch die Meisterwerke der Malerei
und Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium, Ardea an. Auch
stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten realistischen und
nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem uebrigen
Latium sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben kann.
Aber im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten
Haelfte desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der
roemischen Kunst. Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere
Bogen- und Strassenbau begann, in welcher Kunstwerke wie die
Kapitolinische Woelfin entstanden, in welcher ein angesehener Mann aus
einem altadeligen roemischen Geschlechte den Pinsel ergriff, um einen
neugebauten Tempel auszuschmuecken und dafuer den Ehrenbeinamen des
“Malers” empfing. Das ist nicht Zufall. Jede grosse Zeit erfasst den
ganzen Menschen; und wie starr die roemische Sitte, wie streng die
roemische Polizei immer war, der Aufschwung, den die roemische
Buergerschaft als Herrin der Halbinsel oder richtiger gesagt, den das
zum erstenmal staatlich geeinigte Italien nahm, tritt auch in dem
Aufschwung der latinischen und besonders der roemischen Kunst ebenso
deutlich hervor wie in dem Sinken der etruskischen der sittliche und
politische Verfall der Nation. Wie die gewaltige Volkskraft Latiums die
schwaecheren Nationen bezwang, so hat sie auch dem Erz und dem Marmor
ihren unvergaenglichen Stempel aufgedrueckt.
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Römische Geschichte — Buch 2
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— End of Römische Geschichte — Buch 2 —
Book Information
- Title
- Römische Geschichte — Buch 2
- Author(s)
- Mommsen, Theodor
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- February 1, 2002
- Word Count
- 89,364 words
- Library of Congress Classification
- DG
- Bookshelves
- DE Sachbuch, Browsing: History - European, Browsing: History - General
- Rights
- Public domain in the USA.
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