*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75185 ***
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1916 so weit
wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht
mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
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DER
AMEISENLÖWE
EINE BIOLOGISCHE, TIERPSYCHOLOGISCHE
UND REFLEXBIOLOGISCHE UNTERSUCHUNG
VON
DR. FRANZ DOFLEIN,
O. PROFESSOR DER ZOOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG I./BR.
MIT 10 TAFELN UND 43 ABBILDUNGEN IM TEXT
[Illustration]
JENA
VERLAG VON GUSTAV FISCHER
1916
Alle Rechte vorbehalten.
Vorwort.
Die vorliegende Arbeit wurde schon vor einer Reihe von Jahren begonnen.
Erst während der Kriegszeit kam ich dazu, sie zum vorläufigen Abschluß
zu bringen. Es war nicht immer leicht, beim Donner der Geschütze der
nahen Front die Beobachtungen im Freien und im Laboratorium in Ruhe
durchzuführen. Um so unvergeßlicher werden mir die Zeit dieser Arbeit
und die Eindrücke bleiben, die sie brachte. Meinem Verleger bin ich
sehr zu Dank verpflichtet für die Bereitwilligkeit, die Arbeit in der
jetzigen Zeit herauszugeben und so liberal auszustatten.
Die Durchführung der experimentellen Untersuchungen wurde mir sehr
erleichtert durch neue Einrichtungen meines Instituts, welche
ursprünglich zu anderen Zwecken aus einer Zuwendung der +Freiburger
Wissenschaftlichen Gesellschaft+ beschafft worden waren. Ihr sei
hiermit auch öffentlich gedankt.
+Freiburg+ i./Br. im März 1916.
=Franz Doflein.=
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Einleitung 1
I. +Vorkommen des Ameisenlöwen+ 4
II. +Bau des Ameisenlöwen+ 6
a) Aeußere Morphologie 6
b) Färbung und Zeichnung 23
III. +Das Verhalten des Ameisenlöwen in freier Natur+ 24
IV. +Das Verhalten des Ameisenlöwen unter experimentellen
Bedingungen+ 28
1. Das Totstellen 28
2. Die Bereitschaftsstellung 36
3. Die Umdrehreaktion 38
4. Die Wanderbewegungen 45
5. Das Einbohren in den Sand 49
6. Der Bau der Sandtrichter 51
7. Der Ameisenfang 59
V. +Sinnesorgane und Sinnesreaktionen des Ameisenlöwen+ 63
1. Bau und Funktion der Augen 63
2. Die Lichtsinnesreaktionen 67
3. Temperatursinn und Thermotaxis 80
4. Interferenz von Phototaxis und Thermotaxis 86
5. Der Tastsinn und seine Organe 87
a) Die Sinneshaare der Körperoberfläche 87
b) Die Erscheinungen der Tangorezeption 93
6. Thigmotaxis 104
7. Chemische Sinne 109
VI. +Die wichtigsten Reflexe des Ameisenlöwen+ 111
VII. +Die Reizbarkeit des Ameisenlöwen+ 116
VIII. +Abriß der Lebensgeschichte des Ameisenlöwen+ 117
IX. +Abschluß und Ergebnisse+ 126
Literaturverzeichnis 135
Erklärung der Tafeln 137
Die Ameisenlöwen, die Larven einer Gruppe der planipennen Neuropteren,
haben schon seit langer Zeit die Aufmerksamkeit der Naturbeobachter auf
sich gelenkt. Die alten Naturforscher haben zahlreiche Schilderungen
ihrer eigenartigen Lebensweise gegeben, welche fast stets als
Musterbeispiel planmäßigen, intelligenten Handelns beschrieben wurde.
Ameisenlöwen im eigentlichen Sinn des Wortes sind nur die Larven
gewisser Arten und Gattungen der Gruppe -- bei uns in Deutschland
die Larven von Arten der Gattung Myrmeleo, während z. B. die nahe
verwandten Arten der in Süddeutschland an vielen Orten vorkommenden
Gattung Ascalaphus frei umherschweifend sich meist von Blattläusen
ernähren, wie das ja auch viele andere Neuropterenlarven tun.
Die echten Ameisenlöwen trifft man aber nur selten frei umherwandernd.
In der Regel findet man sie in der Tiefe eines in feiner Erde oder Sand
eingesenkten Trichters bis zu den Mandibeln eingewühlt. Die Mandibel
strecken sie aus dem Sand weit klaffend hervor, bereit, jedes Insekt
zwischen ihnen zu erfassen, welches den steilen Hang des Trichters mit
seinem weichenden Boden herabgeglitten ist. Der Sturz der Ameisen wird
häufig herbeigeführt oder befördert dadurch, daß der Ameisenlöwe Sand
und Steinchen in die Höhe schleudert, welche das Opfer treffen oder
es beim Herabrollen mitreißen, oft auch Partien der Trichterwand zum
Herabgleiten bringen.
Die herabstürzende Ameise wird sofort von den zusammenklappenden
Mandibeln der räuberischen Larve erfaßt und in einer eigenartigen Weise
ausgesaugt, auf die wir später noch eingehen werden.
Der Bau der seltsamen Tierfalle, das Schießen nach den Opfern -- das
ganze Benehmen des Ameisenlöwen -- macht den Eindruck einer ganz
besonderen tierischen Leistung, und man glaubt, einem raffinierten
Räuber gegenüberzustehen.
So ist das Tier auch meist beurteilt worden, und die zahlreichen
Schilderungen in der Literatur laufen fast stets auf eine Hervorhebung
der Tierintelligenz hinaus. Es ist aber sehr verwunderlich, daß ein
so leicht erreichbares Objekt niemals einer genauen analytischen
Untersuchung und gewissenhafter Beobachtung unterzogen wurde. Ja, unter
den zahlreichen Schilderungen der Lebensweise des Ameisenlöwen scheint
immer eine sich auf die andere zu stützen, und es wurde im Laufe der
Zeit nicht allzuviel an kritisch beobachteten Tatsachen den alten
Beschreibungen hinzugefügt.
Wie bei so vielen einheimischen Tieren, gehen die Schilderungen der
Lebensweise des Ameisenlöwen meist auf die Beschreibung +Rösels von
Rosenhof+ zurück. Diese Beschreibung enthält aber neben sehr richtigen
Beobachtungen einige auffällige Irrtümer; es berührt einen ganz
seltsam, daß man den gewissenhaften +Rösel von Rosenhof+ auch einmal
in einigen Dingen richtigstellen muß, während er sonst so oft späteren
Beobachtern gegenüber recht behalten hat.
+Rösels+ Schilderung ist ohne weitere Kritik in die meisten Lehrbücher
und in Schilderungen des Insektenlebens übergegangen; so steht sie
noch in der letzten (3.) Auflage von +Brehms+ Tierleben, wo sie ohne
weiteres als richtig hingenommen wird. „Ausdauer und +Schlauheit+“
werden da als die wesentlichen Eigenschaften hervorgehoben, welche den
Ameisenlöwen zu seinen eigenartigen Leistungen befähigen; sie sollen
ihm ersetzen, was ihm „durch den Mangel anderer Naturanlagen versagt
worden ist“ (+Brehm+).
Der Bau des Trichters wird im Anschluß an +Rösel+ folgendermaßen
geschildert: Das Tier baut unter ruckweisen, rückwärts gerichteten
Bewegungen. „Es beginnt den Bau mit einem kreisförmigen Graben,
dessen Größe durch seine eigene bedingt wird, und dessen Außenrand
gleichzeitig den der zukünftigen Wohnung absteckt. In der Mitte steht
demnach ein stumpfer Sandkegel, welchen er auf eine ebenso fördernde,
wie sinnreiche Weise zu beseitigen versteht. Er wühlt sich da, wo er
den ersten Kreis eben vollendete, mit dem Hinterleib in den Sand, und
in einer immer enger werdenden Schraubenlinie zurückweichend, bringt
er mit dem nach innen liegenden Vorderfuß den Sand auf seinen breiten,
schaufelartigen Kopf und wirft ihn mit demselben so gewandt und mit
solcher Gewalt über den Außenrand des ersten Grabens, daß er mindestens
5 cm weit wegfliegt. Dann und wann ruht er aus; ist er aber bei der
Arbeit, so erzeugen die flinken Bewegungen einen ununterbrochenen
Sandregen. Der innere Kegel nimmt mit jedem Umgang immer mehr ab, wie
sich von selbst versteht, und schwindet vollständig mit der Ankunft
des kleinen Minengräbers im Mittelpunkt, wo er sich mit Ausschluß der
Zangen einwühlt und Platz greift. Um sich die Arbeit, welche eine
bedeutende Muskelkraft in Anspruch nimmt, zu erleichtern, geht er
nicht von Anfang bis zu Ende in derselben Richtung, sondern dreht sich
von Zeit zu Zeit um, damit einmal das linke Bein Handlangerdienste
verrichte, wenn es bisher das rechte getan hatte. Kommen gröbere
Sandkörner in den Weg, was nicht ausbleibt, so werden sie einzeln
aufgeladen, noch größere, welche sich nicht werfen lassen, wohl gar auf
dem Rücken hinausgetragen. Man hat beobachtet, daß in dieser Hinsicht
mißlungene Versuche öfter wiederholt werden, und daß erst dann, wenn
sich alle Bemühungen erfolglos zeigten, ein anderer Platz in der
Nachbarschaft ausgesucht wurde, um hier die Arbeit in Erwartung eines
glücklicheren Erfolgs von vorn zu beginnen.“
In fast allen zusammenfassenden Darstellungen findet sich diese
Schilderung nach +Rösel+ wiederholt; neue Originaluntersuchungen des
interessanten Vorgangs finden sich kaum. Nur eine Beschreibung von
+Redtenbacher+ fand ich, welche auf eigenen Beobachtungen fußt.
+Redtenbachers+ Beobachtungen stimmen in vielen Punkten mit den
meinigen überein, doch weichen sie auch in einigen nicht unwesentlichen
Einzelheiten von ihnen ab. Dies ist vielleicht darauf zurückzuführen,
daß er die nahe verwandte Art Myrmeleo europaeus M’L. untersuchte,
während mir M. formicarius L. wohl in all meinen Versuchen vorlag. In
späteren Abschnitten, so besonders in demjenigen über Trichterbau, wird
auf die verschiedenen Abweichungen unserer Beobachtungen im einzelnen
hingewiesen werden.
Welch seltsam durcheinandergehende Anschauungen über die Handlungen des
Ameisenlöwen von den verschiedenen Autoren geäußert werden, lehrt jeder
Blick in die Literatur, welche allerdings mehr von Dilettanten als von
sorgfältig und kritisch beobachtenden Fachleuten herrührt. Man beachte
nur, wie schwer den Beobachtern einzelner Vorgänge, wenn sie ohne
größeren Zusammenhang, ohne planmäßige Arbeit registriert werden, ihre
Beurteilung fällt. So als Beispiel die kurzen Notizen von +Chapman+ und
+Lucas+ in des letzteren Arbeit (1906).
Meine Beobachtungen am Ameisenlöwen weichen von der Mehrzahl der
vorhandenen Beschreibungen so sehr ab, ihre Analyse ergibt zudem eine
so von der herrschenden sich unterscheidende theoretische Beurteilung
der physiologischen Grundlagen der Handlungen des Tieres, daß eine
ausführliche Darstellung gerechtfertigt erscheint.
I. Vorkommen des Ameisenlöwen.
Seit einer Reihe von Jahren (seit 1910) beobachte ich Ameisenlöwen,
experimentiere mit ihnen und beachte ihr Vorkommen. Ich habe sie auf
der oberbayrischen Hochebene, in der weiteren Umgebung von München,
beobachtet, erhielt sie aus Landshut a. d. Isar zugeschickt, fand sie
in den bayrischen Alpen bei Garmisch. In großer Menge kommen sie an
der Salzach in der Nachbarschaft von Burghausen vor. Mein wichtigstes
Beobachtungs- und Versuchsmaterial stammt aber aus der Umgebung von
Freiburg i. Br., wo Ameisenlöwen sowohl auf den Schwarzwaldausläufern
in der Nähe der Stadt, als auch im eigentlichen Schwarzwald, wie in
Kaiserstuhl und Vogesen sehr häufig sind.
Meist fand ich die Trichter der Larven an Waldrändern, auf Lichtungen,
an Wegböschungen, am Rand von Hecken und Buschwerk, auch an
heidekrautbewachsenen offenen Stellen. Wo Kiefernwälder gedeihen,
pflegen auch für Ameisenlöwen die geeigneten Existenzbedingungen
vorzuliegen.
Nie fand ich sie im tiefen Schatten des Waldes, immer ist Sonnenschein
eine der notwendigen Bedingungen für ihr Vorkommen. Doch beobachtete
ich sie bei uns in Deutschland nie in ganz offenem Gelände, wo sie
wohl im Mittelmeergebiet und in südlichen, regenarmen Gebieten leben.
Schutz vor Regen, der die Trichter zusammenschwemmen, die Erd- und
Sandkörner zusammenbacken würde, ist eine notwendige Vorbedingung für
ihr Vorkommen.
So finden wir denn die Trichter meist an überdachten Stellen,
wo Wurzeln eines Baumes, Rasenpolster, Felsen und Steine etwas
unterwühlt und beständigen atmosphärischen Einflüssen unterworfen
sind. Unter solchen vorstehenden Böschungen, also vor allem an Wald-
und Straßenrändern gibt es immer Stellen, welche in der Regel dem
Regen unzugänglich sind und nur bei ganz schweren Regengüssen naß
werden. Der Wind und das langsam durchrieselnde Wasser haben aber eine
verarbeitende Wirkung auf deren Material. Es wird in feine Körner und
Staub zerlegt, welche an der Böschung herabrieseln und sich da der
Schwere nach anordnen, so daß oben das feinste Material liegen bleibt,
während die größeren und schwereren Stücke die Böschung hinabrollen.
Besonders da, wo unter dem schützenden Dach eine der Wagrechten sich
annähernde Ebene feinsten Materials sich bildet und wo dessen Schicht
eine gewisse Dicke erreicht, siedeln sich die Ameisenlöwen mit Vorliebe
an (Abb. 1).
[Illustration: Abb. 1. Typischer Fundort von Ameisenlöwen: Böschung an
einem sandigen Hang, von Wurzeln überdacht. Photographische Aufnahme
bei Freiburg i./Br.]
Dabei machen sie keinen großen Unterschied in dem Material, aus welchem
ihr „Sand“ besteht. Ich fand sie ebenso im Quarzsand, wie in dem aus
Tuff und Löß stammenden Staubsand des Kaiserstuhls. Auch in Humus
bauen sie ihre Trichter. Es muß das Material nur hinreichend trocken
sein, und aus Gründen, die wir später kennen lernen werden, müssen die
einzelnen Partikel ein gewisses Gewicht besitzen. So kommen sie nicht
leicht in dem feinen Kalkstaub der bayrischen Hochebene vor, wohl
aber in dem grobkörnigen Kalksand des Gebirgsrandes, bevorzugen aber
den aus Buntsandstein, Granit, Gneis usw. sich bildenden schweren,
feinkörnigen Sand.
Nach heftigen Regengüssen findet man die Ameisenlöwen bewegungslos
unter den eingestürzten Trichtern im nassen Sand. Erst wenn dieser
wieder ziemlich trocken geworden ist, wird der Trichter neu gebaut.
Das Vorkommen an den charakteristischen Fundorten ist wohl zum Teil
dadurch bedingt, daß die Muttertiere die Eier gleich an geeigneten
Stellen ablegen werden. Meine Experimente weisen aber auch darauf hin,
daß die Larven zum Trichterbau geeignete Stellen durch aktive Wanderung
aufsuchen können.
II. Bau des Ameisenlöwen.
a) Aeußere Morphologie.
Zum Verständnis der Bewegungen und der Reizreaktionen des Ameisenlöwen
ist -- wie aus den späteren Abschnitten dieser Untersuchung klar
werden wird -- eine genaue Kenntnis des Baues dieses merkwürdigen
Tieres unbedingt notwendig. Die bisher vorliegenden Beschreibungen
berücksichtigen die für uns wichtigen Einzelheiten kaum. Daher habe
ich im Verlauf meiner Forschungen -- wie es jeweils die Experimente
und Beobachtungen am lebenden Tier nötig machten -- viele Einzelheiten
seines Baues untersucht, welche ich im nachfolgenden gemeinsam mit dem
früher schon von dem Tier Bekannten darstellen will.
[Illustration: Abb. 2. Myrmeleo formicarius L. Ameisenlöwe, vom Rücken
gesehen, in typischer Haltung, nur 2 Beinpaare sichtbar. Vergr. 10mal.]
[Illustration: Abb. 3. Kopf des Ameisenlöwen, von oben gesehen.
Vergr. 60mal. _A_ Auge. _F_ Fühler. _Md_ Oberkiefer. _E.H_ dessen
Endhaken. _Rb_ Randborsten. _Ä.Br_ Aeußere Borstenreihen. _J.Br_ Innere
Borstenreihen. _Stb_ Stirnborsten. _Bb_ Obere Reihe von Gelenkhaaren am
Kiefergelenk. _Z₁_–_Z₃_ Innenzähne des Oberkiefers.]
[Illustration: Abb. 4. Kopf des Ameisenlöwen, von unten gesehen.
Vergr. 60mal. _A_ Auge. Unterkiefer (_Mx_) aus der Rinne (_Ri_) des
Oberkiefers (_Md_) herausgeklappt. _F_ Fühler. _W_ Wimperreihe unter
dem Auge. _M_ Mittelstück der Unterlippe. _Gl_ deren „Glossa“. _Lt_
Lippentaster. _L_ Lippenborsten. _E_ unteres Ende der Kieferrinne.]
Bei dem ruhig auf einer Unterlage mit der Bauchseite aufliegenden
Ameisenlöwen -- es sei hier zunächst nur von den vollkommen oder
annähernd erwachsenen Individuen die Rede -- sehen wir von oben auf
einen ungefähr wappenschildförmigen Körper, dessen Vorderrand einen
bogenförmigen Ausschnitt zeigt; von den „Schultern“ aus erweitert sich
der Körperumriß noch etwas, um dann nach hinten bis zur abgerundeten
Hinterleibsspitze allmählich zuzulaufen. Der Querschnitt des Körpers
ist hochoval, der Leib beim gut genährten Tier hochgewölbt und prall.
Den vorderen Teil des Leibes bilden die beiden großen und breiten
hinteren Thorakalsegmente; der Metathorax sieht fast genau so aus,
wie die an ihn sich anschließenden Segmente des Abdomens; er grenzt
an den Mesothorax mit einem schwach konkaven Bogen, während seine
hintere Begrenzung schwach konvex nach vorn ist. Auch der Mesothorax
hat an der Rückenseite eine konkave Vorderkontur, hinter welcher
eine tiefe Einbuchtung nach hinten verläuft, die von einem wulstigen
Rand eingefaßt ist. Der vordere Rand des Mesothorax überwölbt das
hintere Ende des Prothorax. Vor dem Hinterrand des Mesothorax bildet
sich bei Längskontraktion des Körpers, wie auch auf dem Metathorax
und den Abdominalgliedern ein dem Segmentrand paralleler Wulst.
Ueber den eigentlichen Körperumriß ragt wie ein +Hals+ der bedeutend
schmälere Prothorax hervor (Abb. 2). Er ist nur etwa so breit wie der
Kopf, hat bogenförmige Seitenränder und auf der Mitte der Rückenfläche
einen Längswulst. Der hintere Teil des Prothorax kann unter die oben
erwähnte Vorwölbung des Mesothorax zurückgezogen werden. Von unten sind
die drei Thorakalglieder relativ glatt, abgesehen von einem Wulst in
der Mittellinie und den durch die Einlenkung der Beinpaare bedingten
Vertiefungen. Dazu kommen an den Seiten des Meso- und Metathorax jene
„Schultern“ mit ihren Borstenbüscheln, die nachher im Zusammenhang mit
dem Borstenkleid des ganzen Tieres besprochen werden sollen.
Der Hinterleib (Abb. 2) besteht aus 9 deutlich sichtbaren Ringen,
welche bis zum sechsten allmählich, dann plötzlich kleiner werden.
In der Richtung von vorn nach hinten sind die Hinterleibsringe
untereinander etwa gleich breit. Doch sind infolge der Verlängerung
der Zwischensegmenthäute zwischen je zwei der Chitinringe sogenannte
Zwischensegmente eingeschoben, deren es also bei 3 Brust- und 9
Hinterleibsringen im ganzen auch 12 gibt. Jeder Ring stellt infolge
seiner Wölbung einen den Körper umfassenden, wulstartigen Gürtel
dar; über das ganze Abdomen verlaufen sowohl auf der Ober- wie auf
der Unterseite parallel dem hochgewölbten Mittelteil je zwei Furchen
von vorn nach hinten, welche meist ziemlich seicht sind und nur bei
ausgehungerten Individuen sich stärker vertiefen. Sie liegen etwas
näher der Rückenmitte als dem Seitenrand.
Der Kopf ist, von oben (Abb. 3) betrachtet, etwa herzförmig, da die
Stirn konkav ausgeschnitten ist und sein Umriß gegen den „Hals“ zu
etwas zuläuft. Gegen die Stirnbucht vertieft sich auch die Stirnfläche,
während die beiden Vorderecken wulstig verdickt sind. Letztere beiden
tragen die +Augen+ und +Fühler+. Von unten ist der Kopf stark gewölbt,
sehr glatt und glänzend (Abb. 4). In der Mundregion ist eine tiefe
Bucht. Gegen den Hals hin ist die Unterseite des Kopfes schwach
kinnartig vorgewölbt.
Von den +Mundteilen+ fallen äußerlich zunächst nur die mächtigen
Mandibel, die Oberkiefer, auf. Sie sind große, hakenförmige Bildungen,
etwa von gleicher Länge wie der ganze Kopf (Abb. 3).
Die Mandibel verlaufen in ihrem basalen Teil ziemlich gerade, um gegen
das Ende in einer säbelförmigen Krümmung nach innen umzubiegen. Außer
einer Einbuchtung an der Basis ist der Außenrand glatt, allerdings sehr
dicht mit Borsten bestanden. Der Innenrand zeigt an entsprechender
Stelle wie der Außenrand eine Ausbuchtung, so daß an der Basis der
Mandibel auf diese Weise eine Einbuchtung entsteht (Abb. 3 und 4). Die
gerade Strecke des Innenrandes trägt in gleichmäßigem Abstand drei
mächtige, feste, spitze Zähne, welche schief nach vorn gerichtet sind.
Sie sind wie die Mandibel selbst von oben nach unten abgeflacht. Der
Endhaken der Mandibel ist auch flach und an der Außenseite ganzrandig.
Auch ist er borstenlos (Abb. 3). Die Innenseite der Spitze ist jedoch
gezähnelt; und zwar sind es 8-10 Sägezähne, welche mit ihrer Spitze
nach hinten gerichtet sind. Die Reihe dieser Sägezähne geht dann auf
die Unterseite der Mandibel über und bildet da eine Reihe schiefer
Rillen und Höcker (vgl. Abb. 5). Das Ganze ist ein vorzügliches
Hilfsmittel, um Beutetiere während des Aussaugens festzuhalten. An der
Außenseite sind nach vorn gerichtete Zähne vorhanden, welche wohl beim
Bohren der Wunde Dienste leisten.
Der Innenrand der Mandibel trägt eine Reihe mittellanger, sehr
kräftiger Borsten, welche stumpf, ungezähnt und ungefiedert sind. Eine
von ihnen steht vor dem vordersten Zahn, zwischen den Zähnen meist
zwei, manchmal auch drei, hinter dem hintersten Zahn auch zwei bis
drei, in der inneren Einbuchtung noch zwei kleinere. Der Außenrand
trägt eine größere Anzahl sehr kräftiger und besonders langer Borsten,
deren erste etwa gegenüber dem ersten Zahn, meist etwas weiter vorn
steht. Zwischen ihnen stehen kleinere Borsten. Sie alle sind am
vorderen Teil der Mandibel glattrandig, an deren Basis eigenartig
gezähnelt. Auf der Oberseite der Mandibel finden sich ferner zwei
Reihen von kurzen, kräftigen Borsten, welche schwach gekrümmt sind und
in zwei Hauptgruppen stehen. Eine meist einfache Reihe (Abb. 3 _J.Br_)
verläuft parallel dem Innenrand der Mandibel, eine im proximalen Teil
doppelte Reihe parallel dem Außenrand (Abb. 3 _Ä.Br_). Alle diese
Borsten sind schief nach vorn geneigt (Abb. 3 und 4).
[Illustration: Abb. 5. Endhaken der Maxille (des Unterkiefers).]
An der Unterseite findet sich nur am Außenrand in der Nähe der Basis
eine Gruppe von Borsten, die einigermaßen dicht stehen, glatt, gekrümmt
und nach vorn gerichtet sind (Abb. 4). An der Unterseite zieht sich
ferner bis zur Spitze der Mandibel eine +Rinne+ hin, welche an der
Basis breiter, an der Spitze schmäler ist, und deren äußerer Rand dem
Außenrand der Mandibel parallel verläuft (Abb. 4 _Ri_). Sie wird von
Wülsten begrenzt, von denen der äußere stärker entwickelt ist.
[Illustration: Abb. 6. Basis der rechten Mandibel, mit schuppenförmigen
gezähnelten Höckern.]
[Illustration: Abb. 7. Basis der rechten Maxille, ebenfalls mit
Schuppen bedeckt.]
Der untere Teil der Mandibel steckt im Kopfe drin; er endet mit
verschiedenen zipfelförmig ausgezogenen Ansatzstellen für die
Beißmuskeln, nach einwärts ziehenden Abductores und nach abwärts
ziehenden Adductores. Oberhalb derselben ist die Mandibel nach
innen halbkugelig angeschwollen. Die Wölbung dieses Gebildes ist
durch zahlreiche schuppenförmige, nach vorn gerichtete, gezähnelte
Granulationen rauh. Offenbar dienen diese Granulationen dazu, um die
Mandibel in den verschiedensten Stellungen zu +sperren+. Auch werden
sie ermöglichen, daß sie ohne Muskelwirkung zuhalten, wenn sie über
einer Ameise zusammengebissen wurden (Abb. 6).
In derselben Region zeigt die in der Rille der Mandibel verborgene
+Maxille+ eine entsprechende Verbreiterung, die ebenfalls mit
solchen Schuppen bedeckt ist (Abb. 7). Sonst zeigt die Maxille auf
ihrer Oberfläche weder Haare noch Zähne. Nur an der Spitze ist sie
mit Zähnchen versehen, welche umgekehrt wie beim Oberkiefer an der
Innenseite nach vorn, an der Außenseite nach hinten gerichtet sind
(Abb. 5). Sie ist sehr schlank, säbelförmig und hat auf beiden Seiten
ganz glatte Ränder (Abb. 4 _Mx_). Sie ist abgeplattet und hat selbst
auf der Oberseite eine Rinne und bildet so mit der Rinne der Mandibel,
in welche sie ganz genau hineinpaßt, eine Röhre, durch welche der
Ameisenlöwe seine Nahrung einsaugt und der Mundhöhle zuleitet. Nach
+Dewitz+ sind die am Ober- und Unterkiefer befindlichen beiden
Längsleisten eine „Führung“, dazu bestimmt, den beiden eng vereinigten
Mundgliedmaßen eine Verschiebung in der Längsrichtung zu gestatten,
ohne daß die beiden Teile auseinanderklappen.
Ventral schließen sich an die Maxillen die Bestandteile der Unterlippe
an. Ich unterscheide ein in der Mitte leicht eingekerbtes einheitliches
Mittelstück (Abb. 4 _M_), aus welchem jederseits eine schwach
bewegliche Glossa (Abb. 4 _Gl_) hervorragt, welche den viergliedrigen
Labialtaster (Abb. 4 _Lt_) trägt. Alle Teile tragen kurze starre und
einige längere Borsten. Auffallend ist die sehr regelmäßige Verteilung
der letzteren auf dem Mittelstück. Zwischen den Glossen stehen 2 große
Borsten, 2 ebensolche weiter hinten auf der Kinnfläche, je eine in
den äußeren Winkeln, und auch die kleineren Borsten sind symmetrisch
verteilt (vgl. Abb. 3).
Der Zugang in die Mundhöhle befindet sich, wie besonders +Lozinski+
nachgewiesen hat, in den äußersten Winkeln der eigenartig
zusammengepreßten Mundspalte. Dort, wo die Kiefer ihren Gelenken
zustreben, steht die Mundspalte beiderseits etwas offen, und hier
findet die Verbindung zwischen der Mundhöhle und den Längskanälen der
Mandibel statt. Die Mundspalte ist nicht etwa zugewachsen, sondern
zusammengepreßt und wird durch Einfügung von Fortsätzen in Rinnen
zusammengehalten. Dabei spielt ein als Labrum gedeutetes Plättchen am
Oberrand des Kopfes eine besondere Rolle.
Zu beiden Seiten der Unterlippe finden sich zwei bewegliche Stücke im
Skelett des Kopfes. Sie werden von verschiedenen Untersuchern als Cardo
und Stipes der Mandibel gedeutet.
Im untersten Teil der Maxille findet sich ferner nach +Lozinski+ eine
Drüse, welche ihr Sekret in den Kanal entleert und wohl als Giftdrüse
zu deuten ist.
Oberhalb des Ansatzes der Mandibel ragt der Kopf bogenförmig vor. An
der äußersten Kante sitzen die +Augen+. Diese stellen kegelförmige
Höcker dar, welche schief nach außen und etwas nach oben gerichtet sind
(Abb. 3 und 4 _A_). Die exponierte Lage der Augen bringt es mit sich,
daß sie leicht aus dem Sande hervorragen, wenn der übrige Tierkörper in
ihm verborgen ist. Das Auge besteht aus einem Chitinzapfen, dessen Wand
dunkelbraun pigmentiert ist. Nur an einigen Stellen sind kreisförmige
Unterbrechungen des pigmentierten Chitins; hier befinden sich die
Linsen, welche sehr stark kuppelförmig über den äußeren Umriß des
Augenkegels vorragen (Abb. 4). Ich zähle auf der unteren Fläche 1 Linse
und deren 6 auf der oberen Fläche des Augenstiels, also insgesamt 7
Linsen. Der feinere Bau der Augen wird weiter unten bei Besprechung des
Lichtsinnes des Ameisenlöwen beschrieben. Unterhalb des Augenkegels
zieht sich im Bogen bis zur Stirn, fast wie eine Wimperreihe aussehend,
eine Reihe feiner, flacher und gefiederter Borsten hin (Abb. 3 _Bb_).
Etwas vor dem Auge, unterhalb dieser Wimperreihe und oberhalb des
Mandibelursprungs entspringt jederseits die +Antenne+ (Abb. 3 und 4
_F_). Sie beginnt mit einem starken Basalglied, auf welches eine aus
kleineren Gliedern zusammengesetzte Antennengeißel folgt. Das erste
Geißelglied ist doppelt so lang und etwas dünner als die folgenden
Glieder; diese, 11-13 an der Zahl, sind untereinander gleich groß,
jeweils am inneren Rande etwas schmäler als am äußeren. Sie stecken
infolgedessen dütenförmig eins in dem anderen. Das letzte Glied der
Antenne ist etwa dreimal so lang wie diese Geißelglieder, ebenso breit
wie diese und am äußersten Ende mit einem feinen, stiftchenförmigen,
wahrscheinlich hohlen Fortsatz versehen. Auf den Gliedern der Antennen
finden sich keine Haare. Der erwähnte Unterschied in der Zahl der
Antennenglieder bei den verschiedenen Individuen ist wahrscheinlich
darauf zurückzuführen, daß die beiden Geschlechter schon im
Larvenzustand zu unterscheiden sind. Wir werden später noch weitere
Angaben hierüber machen.
Auch an der Unterseite des Kopfes, zwischen dem Auge und der Antenne
einerseits und der Mandibelbasis andererseits verläuft eine ähnliche
Wimperreihe, wie wir sie oberhalb der Mandibel antrafen (Abb. 4 _W_).
Doch besteht diese untere Wimperreihe aus sehr groben, kurzen, stumpfen
und an der Längskante feingesägten Borsten. Zwischen ihnen stehen
einige feine, dünne Borsten, wie wir sie in der oberen Wimperreihe
antrafen. Da einzelne der Borsten dieser unteren Reihe Spitzen
besitzen, so nehme ich an, daß der Mangel von Spitzen auf der Abnützung
derselben beruht. Die nach vorn gerichteten Spitzen erfahren sicher bei
den Bewegungen des Tieres durch den Widerstand des Sandes eine starke
Abnützung. Auch andere Borsten der Kopfregion zeigen abgebrochene oder
abgenützte Spitzen. Jene untere Borstenreihe vermag wohl auch infolge
ihrer Anordnung das Eindringen von feinen Sandteilchen in das Gelenk
der Maxille zu verhindern.
Die Oberseite des Kopfes ist ähnlich wie die Mandibel mit zahlreichen
schwarzen, starken Borsten besetzt (Abb. 3). Dieselben stecken alle mit
Kugelgelenken in wulstigen Pfannen, welche von der Chitinbedeckung des
Kopfes gebildet werden. Vorn und am Seitenrand sind die Borsten lang
und dick, vor allem auch in der Umgebung der Augen. Am Vorderrande des
Kopfes sind sie gerade nach vorn gestreckt; an den Seitenrändern des
Kopfes sind sie etwas nach innen gebogen und ragen mit ihren Spitzen
gerade nach vorn. Auf der Mitte der Stirnregion steht eine regelmäßig
angeordnete Gruppe von 9 starken Borsten (vgl. Abb. 3). Weiter nach
hinten auf der Oberseite des Kopfes sind die Haare etwas kürzer und
dünner; alle stehen nach vorn und sind etwas nach unten gekrümmt. Ganz
ähnlich verhält sich die Behaarung auf der Unterseite des Kopfes, doch
ist sie häufig sehr viel schwächer als auf der Oberseite. Auch besteht
sie in der Hauptsache aus untereinander gleich großen, relativ kleinen
Haaren; nur am Rand und vor allem vorn in der Augenregion steht eine
Anzahl langer und starker Borsten. Die Region hinter der Unterlippe
und das Kinn sind fast borstenfrei; doch lassen die wenigen hier
vorhandenen Haare eine auffallend symmetrische Anordnung erkennen (Abb.
3).
Der Kopf ist an seinem Uebergang zum Hals stark verschmälert und
steckt mit seinem Ansatz in dem letzteren wie in einem Futteral.
Der +Hals+ oder das +erste Thorakalglied+ ist lang und schmal. Auf
reinen Chitinpräparaten macht er den Eindruck, als sei er aus zwei
Segmenten aufgebaut. Der hintere Teil kann unter den Vorderrand des
zweiten Brustringes zurückgezogen werden. Der vordere Teil wird als
ein sogenanntes Zwischensegment angesehen. In der Mitte befindet
sich eine Gelenkstelle. Der Vorderrand des ganzen Halsgliedes sowie
derjenige des mittleren Gelenkes ist mit einer Reihe nach vorn
stehender Borsten bestanden. Ueberhaupt sind Ränder und Oberfläche des
Halses mit Borsten vollkommen bedeckt. Seitlich vorn findet sich ein
zitzenförmiger Höcker, der einige Borsten trägt (Abb. 2). Im hinteren
Teil der zweiten Hälfte dieses Gliedes befindet sich der Ursprung des
ersten Beinpaares. Die Beinpaare werden wir nachher im Zusammenhang
beschreiben.
[Illustration: Abb. 8. Kapsel des ersten Stigmas mit Eingang in das
Tracheensystem. Vergr. 200mal.]
Es folgt nun das +zweite Thorakalglied+, welches schon um ein gutes
Stück breiter ist als der Hals. Es zeigt an den Seiten des Körpers
wulstige Vorragungen, welche mit Gruppen langer, dicker Borsten
besetzt sind. Man unterscheidet beiderseits zwei solche Wülste, von
denen der eine kleinere dem Hals näher liegt, während der größere mehr
nach außen gewendet ist. Die Region dieses äußeren Wulstes habe ich
oben als die „Schulter“ bezeichnet (vgl. Abb. 2). Der Vorderrand des
zweiten Thorakalgliedes zeigt jene muldenförmige Eindellung, welche
wir schon früher geschildert haben. An deren Vorder- und Hinterrand
stehen mit den Spitzen nach vorn gekehrte Reihen starker Borsten. Auch
auf der Oberfläche des Gliedes finden sich zahlreiche Borstengruppen.
Die Spitzen aller sind nach vorn gekehrt. Die Eindellung hinter
dem wulstigen Vorderrand verbreitert sich nach den Seiten hin;
an ihrer tiefsten Stelle ist eine scheibenförmige Region dicken,
glänzenden und harten Chitins erkennbar. Diese Stellen entsprechen
den Bildungsstellen der Flügel. Sie wiederholen sich auf dem dritten
Thorakalglied. An der Unterseite des zweiten Thorakalgliedes sitzen
an den vorderen Ecken die zwei Oeffnungen des ersten Stigmenpaares;
diese befinden sich auf vorragenden kapselförmigen Ausbauchungen der
Körperwand, welche ungefähr die Form einer Taschenuhr besitzen. Sie
stehen mit ihrer vorderen Schmalkante nach vorn und unten vom Körper
ab. Sie sind an ihrem Vorderrand mit einem schmalen, längsverlaufenden
Schlitz versehen. Die Ränder dieses Schlitzes sind mit Zähnen besetzt,
welche die Enden von rippenartigen Verdickungen der Chitinwand des
ganzen Gebildes darstellen. Die Zähne greifen eng zusammen und bilden
so einen sehr schmalen Durchgang, durch welchen Staub und Sand nicht
in die Atemröhre eindringen können. Letztere beginnt mit einer weiten
Tracheenblase, von der große, bald sich verästelnde Tracheen von
typischem Bau in den Körper eindringen. Der Eingang in die Haupttrachee
ist von einer deckelartigen Bildung überdacht (Abb. 8).
[Illustration: Abb. 9. Gelenkfläche zwischen erstem und zweitem
Thorakalglied mit Bremshöckern. Vergr. 500mal.]
Nicht weniger eigenartig als diese Stigmenkapseln ist die Fläche,
welche die Gelenkverbindung zwischen dem ersten und zweiten
Thorakalsegment bildet. Rechts und links von der Mittellinie,
welche durch dünneres Chitin und zwei parallele Reihen von Borsten
gekennzeichnet ist, befinden sich je zwei Höcker, welche seitlich fast
bis zu den Stigmenkapseln reichen (Abb. 9). Die Oberfläche dieser
Höcker ist vollständig mit kleinen Granulationen bedeckt, wie wir sie
schon an der Basis der Mandibel und Maxillen kennen gelernt haben. Sie
sind aber mehr kugelig abgerundet als jene. Wie dort, so dienen sie
offenbar auch hier zur Bremsung der Bewegung der beiden Thorakalglieder
gegeneinander. Wir werden später sehen, daß gerade in diesem Gelenk
die für den Schnapp- und Umdrehreflex wichtigste Bewegung ausgeführt
wird. Ich nehme daher an, daß wie bei den Mundgliedmaßen das rauhe
Höckerfeld insofern als Bremse wirkt, als es bei kontrahiertem Muskel
die Gelenkbewegung bis zu einem gewissen Moment hindert. Wird die
Bremsung aufgehoben, so erfolgt ganz plötzlich die schnellende Bewegung
des betreffenden Gliedes. Auch kann mit Hilfe der Bremsung die Bewegung
in jeder Phase gestoppt werden. Aehnliche Höckerfelder finden sich an
den ventralen Gelenkflächen der hinteren Abdominalsegmente.
Auf dem hinteren Teil der Unterfläche des zweiten Thorakalgliedes,
ziemlich weit gegen den Außenrand hin, liegt die Einlenkungsstelle des
zweiten Beinpaares.
Das dritte Thorakalglied fügt sich direkt in den Verband der
Hinterleibsglieder ein. Sie sind alle durch tiefe Einkerbungen
voneinander getrennt. Am Hinterrande jedes Gliedes verläuft ähnlich
wie am Vorderrand ein verstärkter Wulst des Chitins. Diese Wülste
sind stets mit einer oder mehreren Reihen von Borsten besetzt, deren
Spitzen nach vorn gekehrt sind, meist auch eine Wendung gegen die
Mittellinie hin zeigen (Abb. 2). In der Nähe der Mittellinie des
Rückens findet sich überhaupt eine Anhäufung von Borsten. Auch an den
Seiten entlang zeigt jedes Segment einen mit langen, nach verschiedenen
Seiten abstehenden Borsten besetzten, fast halbkugeligen Wulst, ähnlich
wie wir deren zwei am Vorderrande des zweiten Thorakalgliedes an der
„Schulter“ kennen lernten. Derjenige auf dem dritten Thorakalglied ist
der größte von allen und zeigt auch die stärkste Borstenbedeckung (Abb.
2). Vom dritten Thorakalglied an bilden diese Wülste an den beiden
Seiten des Hinterleibes zwei gegen die Schwanzspitze konvergierende
Reihen.
Der Metathorax ist auch ähnlich dem Mesothorax hinter dem Wulst,
welcher seinen Vorderrand einfaßt, muldenförmig eingedellt. Dahinter
befindet sich eine Rinne, welche in der Mittellinie nach vorn
ausgebogen, seitlich um zwei flache Mulden nach hinten gebogen ist.
Diese Mulden sind mit hartem glänzendem Chitin ausgekleidet, wie jene
auf dem Mesothorax, und sie entsprechen auch den Stellen, an denen sich
ein Flügelpaar entwickeln wird.
[Illustration: Abb. 10. Mikrophotographie des Hinterleibsendes eines
Ameisenlöwen. Nach einem reinen Chitinpräparat. Die Spinnröhre
schimmert durch.]
Auch die Bauchseite des ganzen Hinterleibes ist mit Borstenreihen
besetzt, deren Spitzen im allgemeinen nach vorn gekehrt sind. Die
Borsten der Unterseite sind meist viel länger und zarter als diejenigen
der Oberseite (Abb. 10). Auf der Mitte jedes Abdominalsegments zieht
sich quer über die Breite des ganzen Tieres ein breites Band von
mittelgroßen, nach vorn gerichteten Borsten. Zwischen diesen stehen
in regelmäßigen Abständen, symmetrisch zur Mittellinie angeordnet,
+sechs+ ähnliche, nur kleinere Wülste, wie wir sie am Seitenrand
des zweiten und dritten Thorakalsegments kennen lernten. Dieselben
sind mit einer Lage stärkeren Chitins bedeckt als ihre Umgebung und
tragen auf stark entwickelten Gelenkknöpfen 6-14, ja oft noch mehr
sehr lange Borsten. Diese Wülste samt ihrem Borstenbesatz werden auf
den hinteren Abdomensegmenten immer kräftiger. Es sind schließlich
nur mehr 4, zuletzt 2. Ihre starren Borsten stehen nach allen Seiten
ab. Die letzten Segmente des Abdomens sind mit sehr zahlreichen, sehr
starken Borsten bedeckt, welche fast alle nach hinten stehen; nur
wenige sind nach der Seite gerichtet. Auf dem letzten Abdomensegment
kann man jederseits eine seitliche Gruppe von langen, starken Borsten
unterscheiden. Zwischen ihnen finden sich kurz vor dem Hinterende, nahe
der Mittellinie 4 sehr starke, kurze, stumpfe, nach hinten gerichtete
Borsten. An der Hinterleibsspitze selbst stehen etwa 8 ebensolche
Borsten, umgeben von einem Kranz etwas kleinerer, um welche dann die
vorhin erwähnten langen Borsten sich anordnen (Abb. 10). Jene kurzen
Borsten der Hinterleibsspitze zeigen fast stets deutliche Spuren
starker Abnützung. Sie spielen eine wesentliche Rolle bei der Arbeit,
welche die Hinterleibsspitze beim Einbohren in den Sand zu leisten hat.
[Illustration: Abb. 11. Abdominale Stigmenöffnung mit ihrer beborsteten
Umgebung. Vergr. 400mal.]
Es bleibt noch nachzutragen, daß sich auf der Unterseite des dritten
Thorakalsegments, ziemlich weit gegen die Außenkante gelegen,
jederseits eine zweite Stigmenöffnung findet, welche ähnlich wie die
ersten eine senkrecht auf die Längsachse des Tieres verlaufende,
spaltförmige Oeffnung besitzt. Auch sie ist mit dem fein gezähnelten
Verschluß versehen wie das vorige Stigmenpaar, hinter welchem sie aber
bei weitem an Größe zurückbleibt. Diese Stigmenöffnung hat nur etwa
ein Viertel des Durchmessers der ersten, ist aber etwas größer als die
abdominalen Stigmen, deren jedes Segment außer dem letzten ein Paar an
der Bauchseite nahe dem Seitenrand trägt (Abb. 11). Nur das Stigma des
dritten Thorakalsegments ist stark nach oben gerückt.
Auch das dritte Beinpaar ist auf seinem Segment weit gegen den
Außenrand der Bauchseite eingelenkt.
Alle Beinpaare sitzen so am Körper, daß in der Regel ihre Endglieder
nach vorn oder höchstens nach den Seiten gerichtet sind, was für
die Rückwärtsbewegung des Tieres von Bedeutung ist. Sie sitzen alle
auffallend weit außen am Körper.
[Illustration: Abb. 12. Endglieder des dritten Beinpaares mit
Stellungshaaren, Endklauen und Klauenmuskel. Vergr. 50mal.]
Die Beine selbst sind alle stark behaart. Auf den beiden vorderen
Beinpaaren finden sich fast ausschließlich lange und dünne Haare,
deren Spitzen nach vorn gerichtet sind. Am ersten und zweiten Beinpaar
sind besonders an Femur und Tibia die Haare sehr regelmäßig in geraden
Reihen den Kanten der Glieder entlang eingepflanzt. An den Gelenken,
besonders der proximalen Beinglieder, finden sich Borstenreihen, wie
ich sie seinerzeit bei anderen Arthropoden als „+Stellungshaare+“
bezeichnet habe. Ich gab ihnen diesen Namen, weil sie als Tasthaare
infolge ihrer Stellung an den Gelenken durchaus geeignet sind, um das
Tier über die gegenseitige Haltung seiner Glieder zu unterrichten.
Bekanntlich fehlt bei den Arthropoden eine sensible Innervation der
Muskeln. Es kann also bei diesen Tieren keinen dem Muskelsinn der
Wirbeltiere vollkommen entsprechenden Sinn geben. Bei den äußerst
präzisen Bewegungen, welche sehr viele Arthropoden haben, müssen wir
aber doch annehmen, daß der Muskelsinn irgendwie ersetzt ist. Es ist
durch neue Untersuchungen bekannt geworden, daß tatsächlich sensible
Nerven zu den Gelenken der Arthropoden ziehen. Diese Nerven werden wohl
in der Regel die von mir beschriebenen Stellungshaare innervieren.
Auch sonst zeigen die Beine des Ameisenlöwen einige bemerkenswerte
Eigentümlichkeiten. Zunächst ist schon ihre Stellung am Körper eine
sehr eigenartige. Das erste Beinpaar ist meist geradeaus zu beiden
Seiten des Kopfes nach vorn gestreckt, dabei liegen Coxa, Trochanter
und Femur dem Kopf und Hals ziemlich parallel, während Tibia und
Endglieder etwas abgespreizt sein können. Das zweite Beinpaar ist meist
vom Körper sehr stark abgestreckt, wobei alle Glieder beinahe eine
gerade Linie bilden können. Das dritte Beinpaar dagegen ist stets stark
eingebogen. Die Tibia ist im Winkel gegen das Femur stark eingeknickt.
Der nach vorn gerichtete Rand dieses Beinpaares, also speziell der
Vorderrand der Tibia, muß beim Graben im Sand stark mithelfen. So sehen
wir ihn denn nicht, wie die übrigen Beinglieder, mit relativ langen und
dünnen Haaren, sondern mit starken und kurzen Borsten bedeckt (Abb.
12). An dem Endglied jedes der 6 Beine sitzt ein Paar starke, gekrümmte
Klauen, welche gegeneinander beweglich sind. Diese Beweglichkeit wird
durch einen eigenartigen Mechanismus bewirkt. Die beiden Klauen, deren
konvexer Rand abgerundet, deren konkaver Rand jedoch scharf ist,
bestehen ausschließlich aus Chitin. Sie sind miteinander durch eine
starke Chitinspange verbunden, welche im Endglied des Beines sich
befindet. Diese elastische Spange hat die Gestalt eines Halbringes; die
Enden dieses Halbringes sind mit den Klauen in fester Verbindung. In
der Ruhestellung werden durch die Elastizität dieses Ringes die Klauen
auseinandergespreizt. Nun sitzt an der höchsten Stelle der Wölbung
des Ringes die Sehne eines Muskels an. Es ist dies ein kräftiger, aus
mehreren Bündeln zusammengesetzter Muskel, welcher das ganze letzte
Fußglied (die Tibia) durchzieht, in dessen oberen Teil er fächerförmig
sich ausbreitet. Die Klauen mit ihrem Ring und ihrer basalen Umhüllung
durch das Chitin des sehr kurzen eigentlichen Tarsalgliedes sind in der
kreisförmigen unteren Oeffnung des Chitinpanzers des letzten Fußgliedes
fest verankert. Wenn nun der Muskel, welchen ich den +Klauenmuskel+
nennen will, sich kontrahiert, so muß, da eine Bewegung sonst nicht
möglich wäre, der Chitinring seine Form verändern; er wird in die Länge
gezogen, und dadurch werden automatisch die beiden Klauen, besonders
mit ihrem Spitzenteil, einander genähert. Sie greifen zusammen, und
ich habe öfter gesehen, daß dabei Sandkörnchen und andere Gegenstände
zwischen den Klauen erfaßt werden. Die Sehne des Klauenmuskels ist aus
zwei parallel laufenden dünnen Fasern zusammengesetzt. Beim ersten und
zweiten Beinpaar ist das kurze Tarsalglied frei, beim dritten Beinpaar
jedoch mit der Schiene verwachsen.
b) Färbung und Zeichnung.
Nimmt man einen Ameisenlöwen aus dem Sand, so ist er infolge des
anhaftenden Staubes grau und unscheinbar. Benetzt man ihn jedoch mit
Wasser, so tritt seine charakteristische Färbung deutlich hervor.
Die Grundfarbe des ganzen Körpers ist ein fahles, erdiges, helles
Gelb. Manche Individuen sind etwas dunkler, gelbbraun, manchmal sogar
rotbraun oder gar dunkelbraun gefärbt. Von dem hellen Grundton heben
sich die zahlreichen Haare und Borsten, welche dunkelbraun oder schwarz
gefärbt sind, scharf ab. Am hellsten ist die Oberseite der Beine.
Ueber die Mitte der ganzen Rückenseite des Tieres zieht sich ein
breites, rötliches Band. Diese Färbung, welche bei jüngeren Tieren mehr
fleischfarbig, bei älteren mehr braun zu sein pflegt, dehnt sich auf
dem dritten Thorakalsegment und dem ersten Abdominalsegment weit nach
den Seiten aus (vgl. Abb. 2).
Die Mandibel sind in der Hauptsache bleich gelblich gefärbt; doch
zieht sich über die Mitte ihrer Oberfläche ein brauner Streifen;
das hakenförmige Ende sowie die Spitzen der großen Stacheln sind
dunkelbraun gefärbt. Auch die Taster und Fühler und die Umgebung der
Augen sind dunkelbraun.
Ueber die ganze Rückenseite sind nun ferner Flecken dunkelbraunen
und schwarzen Pigments verteilt. Auf dem Kopf und den ersten
Thorakalsegmenten bilden sie ein Doppelband, welches eine hellere
schmale Mittelzone freiläßt. Auf dem Rücken, vor allem des Abdomens
sind diese dunkeln Flecken regelmäßig angeordnet. Sie finden sich
in Querreihen am Vorderrand besonders der vorderen Segmente; am
auffallendsten sind aber die Längsreihen. Von ihnen kann man 9
unterscheiden; am deutlichsten ausgeprägt ist die Mittellinie und
zu ihren beiden Seiten je eine parallele Linie großer, in die
Quere gezogener Flecken. Zwischen der Mittellinie und den beiden
Hauptseitenlinien ziehen je eine, außerhalb der Hauptseitenlinien je
zwei Linien kleinerer, rundlicher Pigmentflecke hin. Je ein Flecken ist
auf je einem Segment angeordnet; in der Mittellinie liegen vielfach
auf jedem Segment zwei in der Quere ausgedehnte strichförmige Flecken;
in den Hauptseitenlinien sind solche meist zu einem gelappten Flecken
zusammengeflossen. Zwischen diesen 9 Hauptreihen können noch zerstreute
oder andeutungsweise in Reihen angeordnete kleinere Flecken vorkommen.
Bemerkenswert ist, daß auf den Pigmentflecken fast stets entweder
Gruppen und Büschel von Haaren oder einzelne, besonders starke Borsten
stehen.
Noch auffälliger ist die Fleckung der Unterseite. Die Grundfarbe
ist da mehr wachsgelb; fast schwarze, hier und da dunkelbraune
Pigmentflecken bilden in der Hauptsache 7 Längslinien. Relativ klein
und schwach sind die Flecken der Mittellinie, deren Ränder oft
verwischt sind. Unregelmäßig gelappt und oft in mehrere Teilflecke
zerlegt sind die Flecken der ersten seitlichen Linien. In einigem
Abstand von ihnen folgen Doppellinien, welche die Basis des zweiten
und dritten Beinpaares umfassen. In diesen 6 seitlichen Längslinien
ist im allgemeinen eine Verkleinerung der Flecken von vorn nach hinten
festzustellen.
Nahe dem Seitenrand zieht sich schließlich jederseits eine Reihe heller
brauner Flecken hin, welche etwa die Spitze der die Borstenbüschel
tragenden Warzen einnehmen.
Auch auf der Unterseite des zweiten Beinpaares finden sich einige
hellrotbraune, auf der des dritten Beinpaares mehrere (3-5) hell- und
dunkelbraune Flecken. Die Klauen aller Beinpaare sind dunkelbraun.
Die Unterseite des Kopfes ist mit kleinen, ziemlich symmetrisch
angeordneten dunkelbraunen Fleckchen bedeckt.
III. Das Verhalten des Ameisenlöwen in freier Natur.
Zum Unterschied von seinen Verwandten sieht man unsere gewöhnlichen
einheimischen Ameisenlöwen in der Natur selten frei herumlaufen. Man
findet sie fast stets in ihrem Trichter eingegraben. Je nach der
Größe der Tiere können diese Trichter verschieden groß sein. Die
kleinsten, die ich gesehen habe, hatten kaum einige Millimeter im
Durchmesser, während die größten 10-12 cm breit waren. Uebrigens hängt
die Größe der Trichter außer von der Größe ihrer Erbauer, wie wir
später sehen werden, auch von deren physiologischem Zustand und von
der physikalischen Beschaffenheit des Sandes oder der Erde, in dem sie
gebaut sind, ab.
Wir haben früher schon geschildert, daß sich die Trichter der
Ameisenlöwen an solchen Stellen finden, wo unter einer überhängenden
Böschung gleichmäßig feine Sand- oder Erdmassen von trockener
Beschaffenheit sich angehäuft haben (vgl. Abb. 1). Die Oertlichkeit
ist vor Wind geschützt, so daß dort der feine Sand sich ansammeln und
die Wärme an schönen Tagen gespeichert werden und nachwirken kann.
An solchen Stellen fällt das Licht meist hauptsächlich von einer
Seite ein; fast stets kann relativ helles Licht von der Seite, welche
der Böschung abgewandt ist, bis in die Tiefe des Trichters dringen.
Vielfach kann man nun beobachten, daß die eingegrabenen Ameisenlöwen
insofern eine bestimmte Stellung zum einfallenden Licht einnehmen, als
das Vorderende ihres Kopfes vom Einfall der Lichtstrahlen abgekehrt
ist (Abb. 13). Ich habe so gut wie immer die Tiere in der angegebenen
Stellung gefunden, oft 10-20 Trichter hintereinander daraufhin
kontrolliert. Nachdem ich diese Feststellung gemacht hatte und vorher
schon ihre physiologischen Grundlagen experimentell erforscht hatte,
konnte ich ohne Suchen aus jedem Trichter den Ameisenlöwen mit einem
Griff der Pinzette herausfischen.
[Illustration: Abb. 13. Einstellung des Ameisenlöwen am Grund seines
Trichters. Der Pfeil gibt die Richtung des Lichteinfalls an.]
Der Körper des Ameisenlöwen ist am Grunde des Trichters vollkommen in
den Sand eingewühlt, wobei er eine Neigung von 45 Grad einnimmt. Die
Hinterleibsspitze ist schief nach unten gerichtet, Teile des Kopfes
sehen am Grunde des Trichters gerade aus dem Sand heraus. Meist sind
nur Teile der Stirn mit den Augen und Fühlern sowie die Mundwerkzeuge
vom Sande unbedeckt. So liegt das Tier bewegungslos; stundenlang sehen
wir an ihm keine Veränderung, wenn in seiner Umgebung keine solche
erfolgte (Abb. 14).
[Illustration: Abb. 14. Stellung des Ameisenlöwen am Grund seines
Trichters.]
In der Regel dauert es aber bei Tage nicht allzu lange, bis ein Vorgang
in der Umgebung das Tier aus seiner Ruhe aufstört. Die sonnigen
Waldränder und Böschungen, an denen die Ameisenlöwen vorkommen, sind
der Tummelplatz zahlreicher beweglicher Insekten. Vor allem sehen wir
da Ameisen und Spinnen auf andere Insekten Jagd machen. Diese Räuber,
sowie herumlaufende Käfer, anfliegende Dipteren und Hymenopteren
geraten gelegentlich an den Rand eines Ameisenlöwentrichters. Dann
lösen sie wohl am oberen Rande des Trichters einige Sandkörnchen los,
welche in die Tiefe hinabrollen und auf den Kopf der Larve fallen.
In den meisten Fällen entledigt sich diese ihrer sofort, indem sie
sie mit einer eigentümlichen Schleuderbewegung wieder gegen den
oberen Trichterrand wirft. Nicht selten aber ereignet es sich, daß
eines der Tiere beim Betreten des Trichterrandes an dessen steiler
Wand hinabrutscht. Es kann vorkommen, daß es, ohne Halt zu finden,
in einem Zug bis in die Tiefe des Trichters hinunterfällt. Wenn sich
dabei nicht allzu viele von den Sandkörnern der Trichterwand losgelöst
haben, so daß der Kopf des Ameisenlöwen noch freiliegt, dann fällt
das Opfer direkt zwischen die Kiefer des unten lauernden Räubers.
Dieser hält nämlich in hungerndem Zustand seine Mandibeln soweit
klaffend auseinander, daß sie einen sehr stumpfen Winkel zueinander
oder gar mit dem Vorderrand der Stirn eine nahezu gerade Linie bilden.
Sobald das Insekt unten angelangt ist, schnappen die Kiefer über ihm
zusammen und lassen nicht wieder los. Das Opfer beginnt je nach seinem
Temperament mehr oder weniger stürmische Bewegungen zu machen, um sich
aus der Umklammerung zu befreien. Ist es aber richtig gefaßt worden,
so gelingt ihm dies niemals. Der Ameisenlöwe steckt so fest im Sand,
daß selbst größere und schwerere Tiere ihn nicht aus seiner Verankerung
herauszureißen vermögen; ja sie verschütten bei ihren Bewegungen
ihn und oft sogar sich selbst immer tiefer in den von den Seiten
herabrieselnden Sand. Der Ameisenlöwe selbst sucht durch nach hinten
gerichtete Bewegungen sich immer tiefer einzuwühlen.
Der Ameisenlöwe hat seinen Namen daher, daß seine normale Beute
Ameisen sind. Diese gewandten und beweglichen Tiere vermögen sich oft
beim Herabrutschen noch an der Wand des Trichters anzuklammern, ja
sogar, wenn dieser nicht zu steil ist, wieder aufwärts zu kriechen.
Unter ihren Tritten lösen sich dann Sandkörnchen los, welche wiederum
auf den unten lauernden Ameisenlöwen hinabkollern. Kaum wird er von
den Sandkörnchen berührt, so beginnt er einen Hagel von solchen nach
oben gegen die Böschungen des Trichters zu schleudern. Indem diese
hinabrollen, reißen sie Teile der Böschung mit sich, und in den meisten
Fällen wird die emporkletternde Ameise dabei mitgenommen und fällt in
die für sie offenstehende Falle.
Die vom Ameisenlöwen erfaßte Beute wird nicht eher losgelassen, bis
sie ausgesaugt ist. Zu diesem Geschäft dient der Larve der Apparat von
Saugröhren, den Mandibel und Maxillen der beiden Seiten zusammen bilden
und dessen feinen und eigenartigen Bau wir oben geschildert haben. Die
Nahrungsaufnahme im einzelnen findet an anderer Stelle ihre Darstellung.
Von dem ausgesaugten Insekt bleibt die leere Chitinhülle zurück,
welche der Ameisenlöwe von seinen Kiefern abstreift. Nach einiger
Zeit wird sie mit dem naturgemäß auf seinen Kopf herabsickernden Sand
von ihm weggeschleudert. So finden wir denn sehr oft, wenn längere
Windstille vorausgegangen ist, in der Nähe eines solchen Trichters
einen ganzen Kranz von ausgesaugten Ameisenleichen. Um sie herum liegen
die Steinchen, die das Tier ebenfalls fortgeschleudert hat. Liegt der
Trichter nahe am Rand einer Böschung, so zieht sich von ihm ein Wall
von Sand und Steinchen nach unten, ähnlich den Schutthaufen am Ausgange
von Bergwerken.
Wer in freier Natur mit Sorgfalt und Beobachtungsgabe die Trichter von
Ameisenlöwen beobachtet, wird mit Leichtigkeit feststellen, daß sie
an solchen Orten sich befinden, wo infolge der örtlichen Bedingungen
Ameisen und andere Insekten zu den geeigneten Tageszeiten in Menge
umherschweifen. Die Bemerkung des sizilianischen Zoologen +Comes+, daß
er stundenlang die Umgebung von Trichtern der Ameisenlöwen beobachtet
habe, ohne eine Ameise oder den Fang einer solchen zu bemerken, braucht
daher kaum erwähnt zu werden. Wer so viele Ameisen in die Trichter der
Larve im Freien fallen sah, wie ich, wird wohl an der Tauglichkeit der
Beobachtungsmethoden jenes Forschers zweifeln.
IV. Das Verhalten des Ameisenlöwen unter experimentellen Bedingungen.
1. Das Totstellen.
Fängt man im Freien Ameisenlöwen ein, oder holt man sie in der
Gefangenschaft aus ihren Trichtern oder aus dem Sand heraus, so
pflegen sie vollkommen starr, wie leblos, liegenzubleiben. In freier
Natur kommt es beim Fangen der Ameisenlöwen häufig vor, daß der
Sand ihrer Trichter abrutscht, oder daß sie selbst die Sandböschung
hinabgleiten. Es ist dann sehr schwer sie aufzufinden, da sie ihrer
Umgebung außerordentlich ähnlich sehen. Wir haben zwar früher gehört,
daß der Ameisenlöwe eine charakteristische Zeichnung besitzt, auch
sind seine Mundteile und Partien seines Kopfes sehr dunkel gefärbt.
Um diese Färbungen zu erkennen, muß man aber ein unter normalen
Verhältnissen gefangenes Tier erst abwaschen; denn zwischen den
zahlreichen Haaren, welche seinen Körper bedecken, haften unzählige
feinste Sandpartikelchen fest, welche jeweils dem Tier vollkommen die
Färbung seiner Umgebung verleihen. Diese täuschende Aehnlichkeit mit
der Umgebung wird zu einer für das Tier außerordentlich nützlichen
Eigenschaft, da es in den ersten Minuten, nachdem es aus dem Sand
herausgewühlt ist, völlig bewegungslos verharrt. Hat man beim Fangen
durch Ungeschicklichkeit ein Tier auf die gleichförmige Sandfläche
fallen lassen, so ist es für unser Auge wie verschwunden. Will man es
noch einfangen, ist am zweckmäßigsten die Umgebung des Fundortes ganz
scharf im Auge zu behalten; dann wird man nach einigen Minuten an den
neu beginnenden Bewegungen des Tieres oder an rieselnden Sandkörnern
den Ort wahrnehmen, an dem es sich befindet. Die Bewegungslosigkeit,
welche das Tier dem Auge des Menschen entzieht, mag es auch vor
natürlichen Verfolgern, z. B. insektenfressenden Käfern, Eidechsen oder
Vögeln, schützen.
Es gleicht also dieses +Totstellen+ des Tieres den Gewohnheiten, welche
wir bei vielen anderen Tieren als charakteristische Schutzanpassungen
kennen. Sehr viele Krebse und Insekten, aber auch höhere Tiere,
wie z. B. Reptilien, Vögel, ja selbst manche Säugetiere nehmen im
Moment der Gefahr eine starre Haltung ein. Vielfach genügt schon die
Bewegungslosigkeit, um sie vor ihren Verfolgern, deren Augen vorwiegend
auf Bewegungsehen eingerichtet sind, zu sichern. Sehr häufig wird die
Wirkung der Bewegungslosigkeit durch eine weitgehende Aehnlichkeit
mit der Umgebung verstärkt, so z. B. bei Blatt- und Stabheuschrecken,
Krebsen mit sympathischer Färbung usw.
Die Dauer des Totstellens ist bei den verschiedenen Individuen des
Ameisenlöwen und bei demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten
eine ganz verschieden lange. Im allgemeinen kann man beobachten,
daß ein Tier, welches ohne übermäßige Gewaltanwendung aus dem Sand
herausgenommen worden ist, etwa 3-5 Minuten lang vollkommen stillhält.
Dann erst beginnt es mit ganz langsamen vorsichtigen Bewegungen. Diese
Frist ist bei hoher Temperatur der Umgebung kürzer, bei niederer länger.
Es kommt aber auch vor, wenn auch selten, daß aus dem Sand
herausgenommene Tiere sich sofort wieder zu bewegen beginnen. Es ist
dies besonders bei hoher Temperatur, oder wenn die Individuen durch
fortgesetzte Reize in Erregung versetzt sind, der Fall.
Beispiele:
1 Individuum 3. Sept. 1915 totgestellt 10ᑋ 37′, umgedreht 10ᑋ 39′,
1 „ „ „ „ „ 10ᑋ 40′, „ 10ᑋ 44′,
1 „ „ „ „ „ 10ᑋ 42′, „ 10ᑋ 50′,
1 „ „ „ „ „ 10ᑋ 50′, „ 11ᑋ 06′,
1 „ „ „ „ „ 10ᑋ 44′, „ 11ᑋ 14′.
Viel häufiger aber bleiben die Tiere länger, oft sogar sehr viel länger
als 5 Minuten, in ihrer starren Haltung. Oft dauert das Totstellen eine
halbe, ja oft mehrere Stunden. Bisweilen ist es bei meinen Experimenten
vorgekommen, daß die Tiere mehrere Tage lang bewegungslos verharrten,
was zunächst nur dadurch festgestellt werden konnte, daß die Tiere
ihren Platz nicht verlassen hatten. In einzelnen Fällen wurde der
exakte Nachweis für die Bewegungslosigkeit dadurch erbracht, daß die
Tiere auf ein berußtes Registrierpapier gelegt wurden, auf welchem
jede einigermaßen erhebliche Bewegung des Körpers und der Gliedmaßen
sich hätte aufzeichnen müssen. Wenn wir in einem späteren Abschnitt
die Bewegungsweise des Tieres genauer analysiert haben werden, wird
sich ohne weiteres ergeben, daß das Verbleiben des Tieres am Orte
schon allein dafür spricht, daß es keine seiner sehr typischen
Körperbewegungen, auch keine erheblichen Gliedmaßenbewegungen während
der Zwischenzeit ausgeführt hatte. Meist wurden bei diesen Versuchen
die Tiere auf den Rücken gelegt. Ein Exemplar beobachtete ich im Jahre
1911, welches 10 Tage lang regungslos an der Oberfläche des Sandes lag,
gerade nur mit der Schwanzspitze eingewühlt. Am 17. November reagierte
es auf die Erschütterung beim Oeffnen der Glasdose mit Bewegung und
Schnappen. Eine dargebotene, zwischen die Mandibel gehaltene Ameise
wurde gepackt und ausgesaugt. Es handelte sich also nicht um ein
absterbendes Tier; immerhin ist hervorzuheben, daß die Beobachtung in
den Anfangsmonaten des Winters erfolgte, welche für die Ameisenlöwen
eine relative Ruheperiode darstellen.
Einerlei, ob die Tiere auf dem Bauch oder auf dem Rücken lagen, stets
nahmen sie während des Totstellens eine typische Haltung ein. Der Kopf
war tief geneigt, die Schwanzspitze nach unten eingebogen, somit der
ganze Körper stark nach der Bauchseite eingekrümmt. Die Kiefer waren
beinahe geschlossen, der Kopf etwas angezogen. Zu seinen beiden Seiten
ragten die Beine des ersten Paares gerade nach vorn, während das dritte
Beinpaar an den Hinterleib angezogen war und nicht über dessen Umriß
seitlich hervorschaute. Das zweite Beinpaar dagegen war nach den Seiten
weit vom Körper abgespreizt und stand von dessen Längsachse entweder
in einem rechten oder doch in einem Winkel von annähernd 90 Grad ab.
Während der ganzen Zeit hielt das Tier seinen Körper sehr steif. Durch
Biegungsversuche mit Nadel und Pinzette ließ sich feststellen, daß die
Gelenke der Körpersegmente starr gehalten werden, so daß der Körper
sich nicht biegen ließ. Das gleiche gilt für die Mundgliedmaßen und das
zweite Beinpaar. Das letztere ist in den Gelenken vollkommen gesperrt,
so daß man das Tier mit einer Nadel an einem Bein vollkommen umdrehen
kann. Das erste und dritte Beinpaar dagegen bleiben in den Gelenken
weich und beweglich; man kann ihnen künstlich beliebige Stellungen
geben, während das zweite Beinpaar bei Biegungsversuchen stets wieder
in seine starre Haltung zurückschnellt.
Während des Totstellens bleiben Körper, Kopf und Beine in ganz starrer
Haltung und werden nicht bewegt. Nur an den Antennen, den Lippentastern
und den Mandibeln kann man dann und wann ein leises Zucken und Zittern
erkennen.
Die Starrheit ist am ausgesprochensten kurz nach Eintritt des
Totstellens; dann kann sie sich auch auf das erste und zweite Beinpaar
erstrecken. Allmählich werden die Gelenke wieder weich, zuerst
an der Mandibel, dann an den Beinpaaren, und zuletzt am zweiten;
endlich werden auch die Gelenke des Kopfes, Halses und Rumpfes wieder
beweglich. Die anfangs herabgesetzte Reizbarkeit steigert sich nun
wieder, und man kann schwer an dem Tier experimentieren, ohne es zu
kräftigen Reflexen und neuer Beweglichkeit zu erwecken.
In der freien Natur in ihrem Sand findet man die Tiere in der starren
Haltung auch nach starkem Regenwetter vor. An Orten, an denen man
ihr Vorkommen genau aufgezeichnet hat, kann man sie dann unter den
verschütteten Trichtern im nassen Sand eingebacken finden. Bei solchen
Individuen dauert es oft ziemlich lange, bis sie wieder normale
Bewegungen ausführen. Dasselbe gilt auch für Tiere, welche man in
der Gefangenschaft stark mit Wasser benetzt hat. Dabei scheint die
Abkühlung der wesentliche Faktor zu sein, welcher den Starrezustand
verlängert.
Durch alle möglichen Reize läßt sich jedoch die Dauer des Totstellens
verkürzen. Haucht man z. B. das starr daliegende Tier aus einiger
Entfernung an, so beginnt es schwache Bewegungen mit den Mandibeln, oft
nur mit einer derselben, auszuführen. Nicht selten fangen dann Kopf
und Thorax, Beine und Hinterleib zu zucken an, worauf das Tier sich in
normale Bewegung setzt. Liegt es auf dem Rücken, so findet vorher die
Umdrehreaktion statt. Wie wir später sehen werden, kommen hierbei als
auslösende Reize sowohl die Wärme des Hauches als auch der Druck der
Luftbewegung in Betracht.
Das Totstellen der Ameisenlöwen kann in jeder beliebigen Körperstellung
erfolgen; das Tier kann auf dem Bauch oder auf dem Rücken liegen, und
je nach der Beschaffenheit des Untergrundes kann eventuell der Kopf,
das Hinterteil oder eine der Seiten nach unten gekehrt sein. Ja, man
kann das Tier mit dem Kopf oder dem Hinterende des Abdomens nach unten
senkrecht in den Sand stecken. Es bleibt dann oft besonders lange
in starrer Haltung in dieser Stellung sich tot stellend, bis es ihm
gelingt, wiederum durch Schleuderbewegungen oder Bohrbewegungen sich
in normale Lage zu bringen.
Um über das Wesen dieser merkwürdigen Erscheinung des Totstellens
genauere Aufschlüsse zu verschaffen, habe ich vielerlei Experimente
angestellt. Aus denselben ergibt sich, daß die Reizempfindlichkeit des
Tieres während dieses Zustandes nicht vollkommen erloschen ist.
Der Tastsinn reagiert ganz deutlich. Auf Berührung des Rumpfes, vor
allem aber des Kopfes, der Mandibel und der Beine mit Nadeln oder
feinen Borsten, erfolgen deutliche Bewegungen. Diese Reizbarkeit ist am
geringsten, unmittelbar nachdem der Zustand des Totstellens eingetreten
ist. Sie läßt sich bemessen nach der Zahl der Tastreize, welche
notwendig sind, um eine der reflektorischen Bewegungen herbeizuführen.
Näheres über die Anordnung solcher Versuche findet sich unten im
Kapitel über den Tastsinn (S. 87).
Auch die unten (S. 109) geschilderten Reaktionen des Geruchssinnes
erfolgen während des bewegungslosen Zustandes.
Fassen wir alle physiologischen Besonderheiten dieser biologisch für
den Ameisenlöwen sicherlich wertvollen Reaktion zusammen, so kommen wir
zu folgenden Ergebnissen, welche unsere bisherigen Kenntnisse über das
Totstellen der Tiere in manchen Punkten ergänzen.
Die Unbeweglichkeit ist der typische Zustand, in welchem wir den
Ameisenlöwen in der Natur vorfinden. Er kann stundenlang in der oben
geschilderten Haltung verharren oder in einer Stellung, welche ich als
die Bereitschaftsstellung (vgl. unten S. 36) bezeichne.
+Mangold+ hat 1914 eine vergleichende Studie über ähnliche Zustände im
gesamten Tierreich veröffentlicht, in welcher er zu dem Resultat kommt,
daß das Totstellen der niederen Tiere durchaus vergleichbar mit der
Hypnose der höheren Wirbeltiere ist. Unzweifelhaft muß man ihm insofern
recht geben, als die meisten Symptome des Totstellens mit einigen der
körperlichen Erscheinungen während der Hypnose übereinstimmen.
Auch beim Ameisenlöwen hat man durchaus den Eindruck, daß er während
des Totstellens sich in einem schlafähnlichen Zustand befindet, aus dem
er nach einiger Zeit von selbst erwacht oder aus dem er durch Reize
erweckt wird. Allerdings ist es bei einem so träg beweglichen Tier sehr
schwierig, den Eintritt des Schlafzustandes sowie sein Aufhören mit
Sicherheit festzustellen. Denn bei einem Tier, welches normalerweise
so wenig sich bewegt, ist es kaum möglich, Wach- und Schlafzustand zu
unterscheiden.
Steckt ein Ameisenlöwe in trockenem, warmem Sand, vor allem wenn er
am Grund seines Trichters sitzt, so pflegt er auf feine Reize zu
reagieren. Wie er sich dann in Bereitschaftsstellung befindet, so ist
sein Nervensystem zu sehr prompten Reflexreaktionen vollkommen bereit.
Wärme und starkes Licht (Sonnenschein) tragen sehr zur Erhöhung der
Reflexerregbarkeit bei.
Ist das Tier „hungrig“, d. h. hat es längere Zeit keine Ameise
gefangen, dann ist es sogar in hohem Maße reizbar. Leise
Berührungsreize, rieselnder Sand usw. führen sofort den Schnappreflex
herbei, durch den immer wieder der Trichter in einen fangbereiten
Zustand versetzt wird. Ist das Tier ganz mit Sand bedeckt, wie das der
Fall ist, nachdem es gefressen hat, oder wenn es durch vergebliche
Fangversuche ermüdet ist, so bleibt dennoch die Reizbarkeit groß. Leise
Berührung des umgebenden Sandes hat entweder eine Schleuderbewegung
oder ein Rückwärtsbewegen des Tieres zur Folge.
Solange es im Sand steckt, ist es also trotz vollkommener Ruhe nicht
im Zustand des Totstellens; allerdings bei Kälte, oder wenn der
Sand feucht oder naß ist, ist das Tier vollkommen unbeweglich und
sehr schwer zu Reizbewegungen zu veranlassen. Dann nimmt es auch
keine Bereitschaftsstellung ein. Offenbar liegen aber da besondere,
allgemein physiologische Gründe vor, welche die Reizbarkeit herabsetzen
und die Reizleitung verlangsamen und welche mit der Abkühlung des
gesamten Tierkörpers zusammenhängen. Wenn wir aber das Tier unter
normalen Verhältnissen, also bei Trockenheit und Wärme, aus dem Sand
herausnehmen, dann entsteht momentan jener Zustand, den wir als das
Totstellen bezeichnen. Es fragt sich nun zunächst, welche Ursache die
auslösende für diesen Zustand ist.
+Mangold+ ist der Ansicht, daß beim Tier mechanische Bewegungshemmung
zur Hervorrufung der Hypnose unerläßlich sei; meist werde sie
durch Sinnesreize unterstützt. Wie bei den anderen Wirbellosen, so
scheint mir aber auch beim Ameisenlöwen die mechanische Hemmung eine
untergeordnete Rolle zu spielen.
Zwar begünstigt das Legen des Tieres in die Rückenlage das Eintreten
des Totstellens. Aber auch nach dem Umdrehen und ohne vorhergehende
Rückenlage können die Tiere im Zustand des Totstellens für lange
Zeiträume verharren. Selbst Individuen, die man ganz vorsichtig aus dem
Sand in Bauchlage heraushebt, stellen sich tot.
Es müssen also hauptsächlich die Reize, welche beim Herausholen aus dem
Sand einwirken, von Bedeutung sein. Als solche kämen in Betracht:
1) die allgemeine Aenderung der Reizsituation,
2) die mehr oder weniger grobe Berührung des Tieres.
Der zweite Punkt wird am besten zuerst zu erledigen sein, da er
unzweifelhaft den wichtigsten Reiz darstellt. Stärkere, plötzliche
mechanische Reizung führt beim Ameisenlöwen den Zustand des Totstellens
herbei. Packt man ein Tier fest mit der Pincette, so führt es zunächst
starke reflektorische Bewegungen aus, die je nach der Körperregion,
die man angefaßt hat, verschieden sein können. Läßt man das Tier
los, so bleibt es sofort unbeweglich liegen und zwar eventuell
längere Zeit. Auch sonst kann man im Experiment jedes Individuum
durch grobes Zufassen und darauf folgendes Loslassen zum Totstellen
veranlassen. Die Hauptursache für das Totstellen ist also sicherlich
ein starker mechanischer Reiz. Damit verbundene Lageänderung ist zwar
begünstigend, aber nicht unerläßliche Vorbedingung für das Eintreten
des bewegungslosen Zustandes.
Die allgemeine +Aenderung der Reizsituation+ spielt aber nach meinen
Erfahrungen ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie kann sich erstrecken auf
1) die Belichtungsverhältnisse und
2) die Berührungszustände.
Sonstige Sinnesreize spielen keine sehr wesentliche Rolle, wenigstens
konnte ich keinen Einfluß von chemischen Reizen feststellen. Die
allgemeine Einwirkung der Temperatur ist natürlich von Bedeutung, und
zwar indem Kälte als Förderung, Wärme als Störung des Zustandes wirkt.
Temperaturveränderung kann aber wohl kaum so rasch einwirken, um an
der Auslösung des Totstellens beteiligt zu sein. Ich fand jedenfalls
keinerlei Anzeichen einer solchen Wirkung.
Das Licht ist aber sicherlich von Einfluß auf die Bewegungen
des Ameisenlöwen. Besondere Kapitel werden uns über die große
Abhängigkeit des Ameisenlöwen vom Licht belehren (S. 67). Es zeigt
sich bei Belichtungsexperimenten, daß starkes von oben einfallendes
oder diffuses Licht auch bei Ausschaltung der Wärmewirkung die
Beweglichkeit des Tieres hemmt, während Dunkelheit sie fördert.
Derartige Beleuchtungsverhältnisse werden aber selten auf einen aus
dem Sand genommenen Ameisenlöwen einwirken. Meist wird es sich um
bestimmt gerichtetes Licht handeln, über dessen Einfluß -- und zwar
Bewegung fördernden Einfluß -- wir später Genaueres erfahren werden.
Immerhin können wir mit dem bewegunghemmenden Einfluß starker diffuser
Belichtung rechnen.
Noch wesentlicher scheint mir der Reiz zu sein, welcher durch das
plötzliche Aufhören des allseitigen Sanddruckes bedingt wird. Wir
werden später sehen, daß bei der Kombination von Reizen, welche
das Stillliegen des Tieres in seinem Trichter bewirken, gerade der
Sanddruck von Bedeutung ist. Sein plötzliches Aufhören ist nach meinen
Versuchen sicher fördernd für das Eintreten des Totstellens. Aber es
bewirkt nicht unbedingt das Totstellen.
Der Zustand des Totstellens ist auch beim Ameisenlöwen durch
physiologische Besonderheiten ausgezeichnet, entsprechend denen, die
bei anderen Tierarten beschrieben wurden. Zunächst ist das Verhalten
der Muskulatur charakteristisch.
Ist das Totstellen durch eine kräftige Berührung des Tieres
herbeigeführt worden, so zeigt seine Muskulatur einen erheblichen
Tonus. Haltung von Körper und Gliedmaßen weist darauf hin, daß die
Beugemuskulatur sich in einem Kontraktionszustand befindet. Alle
Gelenke sind in einer fixen Stellung; die Glieder der Extremitäten und
des übrigen Körpers können nicht gegeneinander verstellt werden. Die
kontrahierte Muskulatur stellt allen Versuchen, dem Körper oder den
Gliedern eine andere Haltung zu geben, starken Widerstand entgegen. Das
dauert aber meist nur ganz kurze Zeit; dann werden alle Gelenke weich,
sie nehmen den Zustand an, den man als Flexibilitas cerea zu bezeichnen
pflegt. Man kann den Gliedern jede beliebige Stellung zueinander geben,
und sie bleiben in ihr stehen. Wie schon oben geschildert, behalten die
Glieder des zweiten Beinpaares am längsten ihre Starrheit, am kürzesten
diejenigen des dritten Beinpaares.
Gleichzeitig steigert sich die Reizbarkeit des Tieres; während sofort
nach Eintritt des Totstellens schon gröbere Reize notwendig waren,
um Reflexbewegungen des Tieres auszulösen, genügen nach Verlauf der
ersten 2-3 Minuten leichte Berührungen, um den Umdreh-, Schnapp- und
Eingrabreflex herbeiführen.
Von vornherein ist die Reizbarkeit des Tieres zwar herabgesetzt,
aber nicht aufgehoben. Die Reize, mit denen man Reflexbewegungen und
damit Aufhören des Totstellens herbeiführen kann, sind hauptsächlich
Berührungsreize und Wärme. Berührung beliebiger Stellen der
Ober- und Unterseite des Tieres, der Mandibel, der Beine führt zu
Reflexbewegungen.
Wärme, d. h. Erhitzung der Umgebung des Tieres auf ca. 40° C führt
zu sofortiger Aufhebung des Totstellzustandes und zu sehr lebhafter
Bewegung. Beim Anhauchen kommt also als Reiz neben dem Tastreiz die
Wärme sicherlich in Betracht.
2. Die Bereitschaftsstellung.
Bei Tieren aus fast allen Gruppen des Tierreichs, welche man genauer
studiert, findet man, daß sie auf leichte Reize bestimmter Art eine
besondere Stellung und Haltung des Körpers einnehmen. Häufig wird
diese Stellung als eine Droh- und Trutzstellung angesehen. In vielen
Fällen bedeutet sie auch tatsächlich eine Bereitschaft zu Angriff
oder Verteidigung; die Tiere bringen Gliedmaßen, Sehnen, Mundteile in
diejenige Stellung, von der aus sie am schnellsten und erfolgreichsten
diese ihre Waffen zur Schädigung eines etwaigen Gegners oder einer
Beute verwenden können. Ebenso oft handelt es sich aber auch um eine
Bereitschaft zur Flucht, zum Verbergen, zum Einwühlen in die Erde usw.
Ich habe in unserem „Tierbau und Tierleben“ dargestellt, daß die
Tiere, vor allem die höheren Formen, je nachdem wie sie sich in
Gefahr verhalten, in zwei Gruppen eingeteilt werden können, deren
Abgrenzung uns das Verständnis vieler biologischer und psychologischer
Eigentümlichkeiten der Arten eröffnet. Damals habe ich diese
biologischen Gruppen nicht benannt; es erleichtert die Erörterung
mancher Fragen, wenn man einen solchen Gegensatz durch besondere Worte
festlegt. Ich will in Zukunft die Tiere nach ihrem Verhalten in Gefahr
als +Trutztiere+ und +Fluchttiere+ unterscheiden. Scheinbar schwer in
diese Gruppen einzuordnen sind jene Tiere, welche sich bei Eintritt
einer Gefahr totstellen. Ich habe aber in meinem biologischen Werk
auseinandergesetzt, daß es sich beim Totstellen fast stets um eine
durch Besonderheiten des Baues und der Färbung der Tiere geförderte
+Flucht in die Unsichtbarkeit+ handelt.
In diesem Sinne gehört der Ameisenlöwe zu den Fluchttieren. Das weiche,
zarthäutige Tier wäre ja gegen alle seine Feinde, wie Vögel und
Eidechsen, wehrlos. Zur raschen Flucht ist es infolge seiner geringen
Beweglichkeit nicht geeignet. So ist es erklärlich, wenn wir bei ihm
weder eine Bereitschaftsstellung zur Flucht noch eine solche zur
Verteidigung finden.
Wohl zeigt aber der Ameisenlöwe eine sehr charakteristische
+Bereitschaftsstellung+ zum Fang seiner Beute, welche er mit vielen
festsitzenden oder sehr träg beweglichen Tieren gemein hat. Ein Polyp
oder eine Actinie halten ihre um die Mundöffnung angeordneten Tentakel
nach oben ausgebreitet, von wo die Beute an sie herankommen kann.
Squilliden und Mantiden verhalten sich mit ihrem viel komplizierteren
Körperbau in den Grundzügen ganz entsprechend. Sie warten in einer
charakteristischen Bereitschaftsstellung auf ihre Beute. Eine solche
zeigt auch der Ameisenlöwe in freier Natur.
[Illustration: Abb. 15. Ameisenlöwe in Bereitschaftsstellung außerhalb
des Sandes, von der Seite gesehen.]
[Illustration: Abb. 16. Ameisenlöwe in Bereitschaftsstellung außerhalb
des Sandes, von oben gesehen.]
Beobachten wir einen Ameisenlöwen bei warmem Wetter und Sonnenschein
in seinem Sandtrichter, so sehen wir ihn eine bestimmte Körperhaltung
einnehmen. Sein schief nach unten im Sand steckender Rumpf ist mit der
Hinterleibsspitze nach unten gekrümmt. Die Beine haben keine andere
Stellung als während des Totstellens. Der Kopf dagegen ist steil nach
oben gerichtet, wobei die Biegung in dem Kopf-Halsgelenk erfolgt.
Seine Vorderseite ist direkt nach vorn gewandt. Die Fühler sind weit
abgespreizt und ebenso die Mandibel mehr oder weniger weit, meist
maximal, auseinandergesperrt (Abb. 15 und 16). Von diesem Zustand
aus erfolgt außerordentlich leicht der Schnappreflex, welcher fast
stets zur Ergreifung eines die Rückenseite des Tieres berührenden
Gegenstandes führt.
Aus dieser Bereitschaftsstellung erfolgt im Trichter stets die
Ergreifung der Ameisen. Leichte Reize, z. B. durch das Herabrollen
von Sandkörnchen veranlaßt, bringen das Tier zur Annahme der
Bereitschaftsstellung. Auch experimentell kann man außerhalb des Sandes
durch leichte Berührungsreize der Oberseite von Hals und Thorax das
Tier ohne weiteres in die Bereitschaftsstellung bringen. Dabei hebt das
Tier Kopf und Vorderteil sehr stark in die Höhe, so daß auch das erste
Beinpaar schief in die Luft ragt und den Boden nicht berührt. In dieser
Stellung kann es oft lange Zeit verweilen, wobei die Gliedmaßen ähnlich
starr sind wie beim Totstellen. Meist sinkt aber außerhalb des Sandes
nach einiger Zeit der Kopf auf die Unterlage herunter, während die
Mandibel weit gespreizt bleiben.
Ist das Tier in seinem Trichter nicht in Bereitschaftsstellung,
so nimmt es nach einem Reiz letztere zuerst an, um dann erst den
Schnappreflex auszuführen. So erklärt es sich, wenn z. B. +Comes+
glaubt, daß eine Ameise erst nach einigem Zappeln am Grunde des
Trichters von der Larve gefaßt werde. Normalerweise aus der
Bereitschaftsstellung heraus erfolgt die Ergreifung der Ameise in einem
Bruchteil einer Sekunde.
3. Die Umdrehreaktion.
In der Natur kommt es gelegentlich vor, daß Ameisenlöwen bei ihren
Wanderungen einen Abhang hinunterkollern und dann auf dem Rücken
liegenbleiben. Dasselbe ereignet sich häufig, wenn man die Tiere fängt.
Nach einer kurzen Zeit des Totstellens pflegen sie sich dann in die
Bauchlage umzudrehen.
Um diese +Umdrehreaktion+ genauer zu prüfen, wurden zahlreiche
Experimente von mir ausgeführt, bei denen das Tier schnell, ohne Druck
und sonstige gröbere Reizung aus dem Sand genommen und auf den Rücken
gelegt wurde. In der Mehrzahl der Fälle sind die Reize, welche bei
diesem Vorgang auf das Tier einwirken, immerhin stark genug, um zu
veranlassen, daß es sich totstellt. Wenn die charakteristische Frist
abgelaufen ist, also, wie wir gehört haben, in der Regel 3-5 Minuten,
erfolgt ganz plötzlich das Umdrehen des Tieres auf seine Bauchseite.
Die Umdrehung geht in einem Bruchteil einer Sekunde vor sich; es ist
daher sehr schwer, die Einzelhandlungen zu beobachten, welche das Tier
dabei vornimmt.
Man kann ziemlich deutlich sehen, daß eine Durchbiegung des ganzen
Körpers erfolgt, wobei hauptsächlich starke Einknickung in den Gelenken
zwischen Kopf und erstem Thorakalsegment und zwischen dem ersten und
zweiten Thorakalsegment stattfindet. Indem auch der Hinterleib nach
unten durchgebogen wird, macht das Tier sozusagen einen hohlen Rücken.
Nach Annahme dieser Stellung gibt es sich plötzlich einen Stoß nach der
einen Seite und rollt auf seine Bauchseite herum.
Bei der Schnelligkeit der Bewegung war es nicht ganz leicht, den Hebel
ausfindig zu machen, welcher diese Seitwärtsbewegung verursacht. Es
lag am nächsten, ihn in einer der Extremitäten des Tieres zu suchen.
Um dies festzustellen, wurden folgende Experimente durchgeführt. Am
3. Juni 1912 wurde einem frisch gefangenen großen Exemplar das linke
Mittelbein am Hüftgelenk amputiert; es trat ein sehr großer, klarer,
gelblicher Blutstropfen hervor. Keine Bewegung oder sonstige Reaktion
des Tieres zeigte eine Wirkung der Amputation an. Das Tier vermochte
sich noch sehr gut umzudrehen, weder die Schnelligkeit noch die
Promptheit der Reaktion war irgendwie beeinträchtigt.
Darauf wurde dem Tier auch das rechte Mittelbein amputiert. Es
machte nun zuerst vergebliche Umdrehungsversuche, offenbar unter der
Einwirkung der Operation, welche wohl eine Schwächung des Tieres
oder, exakter ausgedrückt, eine Herabsetzung des Tonus seiner Gewebe
zur Folge hatte. Nach wenigen Minuten konnte es aber wieder die
Umdrehreaktion mit vollkommener Präzision ausführen.
Da nur die Mittelbeine hinreichend weit über den Körper hervorstehen,
um bei der Umdrehreaktion eine Hebelwirkung auszuüben, während Vorder-
und Hinterbeine dem Körper angeschmiegt gehalten werden, mußte die
Ursache der Seitwärtsbewegung ganz anderswo gesucht werden. Es bot sich
mir ein einfaches Mittel, um trotz der Schnelligkeit der Umdrehung
die einzelnen Phasen derselben festzulegen. Ich legte die Tiere auf
berußtes Registrierpapier und ließ sie da ihre Umdrehungsreaktion
ausführen. Hat man die Tiere mit dem Rücken auf das Registrierpapier
gelegt, so empfiehlt es sich, sie nicht aus dem Auge zu lassen,
denn in vielen Fällen setzen sie sich nach der Umdrehung sofort in
Bewegung, und es kann dann vorkommen, daß sie über die Umdrehungsspur
hinwegkriechen und diese dadurch unlesbar machen. Man muß sie also
nach erfolgter Umdrehung sorgfältig und schnell vom Registrierpapier
abheben.
Ist das mit genügender Sorgfalt geschehen, so erkennt man, daß der
Umdrehungsvorgang auf dem Registrierpapier nur eine ganz geringe
Spur hinterlassen hat. Die Abbildungen zeigen deutlich, daß nur
das hinterste Körperende und die Kopfregion eine kräftige Spur
aufgezeichnet haben, während von dem dazwischen liegenden Körper nur
die Spitzen einiger vorstehenden Borsten durch feine Striche Zeugnis
ablegen. Ist das Tier nach der linken Seite herübergeklappt, so sieht
man nach der rechten Seite zu einen kräftigen Strich schief nach vorn
ziehen (Abb. 17). Die Beobachtung zeigt uns ohne weiteres, daß es sich
um den Abdruck einer oder beider Mandibel handelt. Sie waren also der
Hebel, welcher bei der Drehung gewirkt hat. Indem beim Stemmen der Kopf
eine Drehung nach der einen Seite macht und nach dieser Seite kräftig
vorgestoßen wird, kippt der Körper nach der anderen Seite hinüber.
Dabei bleiben vielfach beide Mandibel geschlossen; oft aber sieht man,
daß die eine stark abgespreizt wird. Es ist stets die in der Richtung
der Kopfabbiegung gelegene, so daß also durch sie die Hebelbewegung
wesentlich unterstützt wird.
[Illustration: Abb. 17. Zwei Aufzeichnungen von Umdrehreaktionen des
Ameisenlöwen p und p². + Licht-, − Dunkelseite. Kopf (Vorderende) des
Tieres in der Richtung des Pfeils, also rechts in der Abbildung. Man
beachte auf der +-Seite jeder Aufzeichnung den kräftigen, von der
Mandibel gezogenen Strich. Die Umdrehung erfolgte jedesmal nach der
Schattenseite −, also nach unten in der Abbildung.]
Beim Abbiegen des Kopfes nimmt an der Krümmung das erste
Thorakalsegment teil; es bildet dann mit dem Kopf ein einheitliches
System. Die Bewegung erfolgt mit einem sehr starken Ruck; es ist dies
eine der typischen Reflexbewegungen des Tieres, auf deren vielseitige
Bedeutung wir später noch oft werden zurückkommen müssen.
Der Umdrehreflex tritt stets nach längerer oder kürzerer Zeit ein;
ein lebenskräftiges Tier bleibt nie viele Stunden lang auf dem Rücken
liegen. Die Tendenz zum Umdrehen überwiegt auf die Dauer immer über
jene zum Totstellen. Nach erfolgter Umdrehung bleibt aber das Tier oft
in der Bauchlage noch lange, sich tot stellend, liegen (vgl. S. 29).
Diese eigentümliche Umdrehreaktion veranlaßt unwillkürlich zur Stellung
einiger Fragen:
1. Haben die Tiere eine Tendenz, sich regelmäßig nach einer bestimmten
Seite zu drehen?
2. Welcher Sinn erlaubt es den Tieren, zwischen Oben und Unten zu
unterscheiden?
Bei den verschiedenen Umdrehversuchen war mir aufgefallen, daß
tatsächlich die Tiere die ausgesprochene Tendenz zeigten, nach einer
bestimmten Seite sich umzudrehen. Ich vermutete zuerst, daß es sich
um ein ähnliches Phänomen handeln könne, wie es +Jennings+ bei dem
Seestern +Asterias Forreri+ beschrieben hat. Dieses Tier zeigt
die Tendenz, sich nach demjenigen Arm umzudrehen, auf den es beim
Niedersinken im Wasser zuerst auffiel. Auch bei dem Ameisenlöwen
beeinflußt ein äußerer Reiz die Umdrehungsrichtung.
Schon bei den auf Rußpapier registrierten Umdrehversuchen fiel es auf,
daß die Aufzeichnung der Mandibel stets nach einer bestimmten Seite
zeigte, und zwar war es fast stets die dem Lichte zugewandte Seite. Der
Körper wälzt sich beim Umdrehen immer vom Licht weg. Um festzustellen,
ob es sich dabei um eine regelmäßige Erscheinung handle, habe ich eine
große Anzahl von Umdrehungsversuchen gemacht und genau beobachtet.
Zu diesen Versuchen legte ich die Tiere so auf die Unterlage, daß
ihre Längsachse dem Einfall der Lichtstrahlen gegenüber senkrecht
stand; das Licht fiel also auf eine Seite des Tierkörpers, während die
andere im Schatten war. Ich drehte dann die Tiere ohne starke Reizung
auf die Rückseite und beobachtete die Umdrehung. Am 15. Sept. 1914
wurde mit 5 Exemplaren experimentiert, von denen No. 1 sich siebenmal
nacheinander nach der Schattenseite umdrehte; ebenso No. 2 siebenmal,
No. 4 fünfmal, No. 5 fünfmal. No. 3 jedoch war sehr lebhaft und drehte
sich häufig unmittelbar, nachdem es in die Rückenlage gebracht war,
um. Dann erfolgte die Drehung bald nach der Licht-, bald nach der
Schattenseite. Ich drehte die Tiere meist in der Weise um, daß ich mit
einer Präpariernadel unter das zweite Bein der einen Seite faßte und
das Tier um seine Längsachse drehte. Manchmal schien es mir, als drehe
sich das Tier bei sehr rascher Umdrehung nach der Seite, an welcher das
Bein angefaßt worden war. Es ließ sich aber in dieser Beziehung keine
Regelmäßigkeit feststellen.
Es spielt also bei der Umdrehreaktion das Licht offenbar eine
bestimmende Rolle. Es lag daher nahe, die Frage zu untersuchen, ob
nicht der Lichtsinn es sei, welcher dem Tier die Unterscheidung
zwischen Unten und Oben gestattet, ähnlich wie dies bei vielen
freischwimmenden Wassertieren der Fall ist. Zur Untersuchung dieser
Frage wurden Exemplare des Ameisenlöwen im Dunkelzimmer auf eine
Glasplatte gebracht, welche durch eine elektrische Glühlampe von 32 HK
von unten beleuchtet war. Die Tiere wurden auf dieser Glasplatte auf
die Rückenseite gedreht. Alle drehten sich nach kurzer Zeit, trotz der
die Augen wie normales Oberlicht treffenden Unterbeleuchtung, rasch
und sicher um. Es ist also nicht das Licht, welches ihre Orientierung
zur Erdoberfläche vermittelt. Sie haben keinen +Lichtrückenreflex+
(+Buddenbrock+).
Bei der Unterbeleuchtung zeugten die Tiere nach erfolgter Umdrehung
eine große Lebhaftigkeit und bewegten sich in sehr merkwürdigen
Haltungen rasch hin und her. Wir werden später sehen, daß das Licht
eine sehr wesentliche und ihre Bewegungen richtende Einwirkung auf sie
hat.
Um festzustellen, ob die Tiere zwischen Oben und Unten unterscheiden
können, wurden noch weiter folgende Experimente gemacht. Es wurden
Exemplare von Ameisenlöwen mit Hilfe eines Wachsklümpchens an einem
Faden befestigt, mit dessen Hilfe sie frei aufgehängt wurden. Bei
mehreren Individuen wurde der Faden in der Mitte der Rückenfläche auf
dem dritten Thorakalsegment, bei anderen an der Bauchseite zwischen
den Basalgliedern des zweiten und dritten Beinpaares befestigt. Die
aufgehängten Individuen nahmen eine ganz bestimmte Haltung ein.
Einerlei, ob sie mit der Rücken- oder mit der Bauchseite nach unten
gerichtet waren, hatten sie den Bauch etwas eingekrümmt, hielten den
Kopf und Hals sehr tief, schief gegen die Bauchseite gerichtet, die
Hinterleibsspitze eingekrümmt, wie dies die nebenstehenden Abbildungen
(Abb. 18) zeigen. Alle Beinpaare waren vom Körper abgespreizt, vor
allem das erste und zweite, aber auch das dritte; letzteres war vor
allem bei denjenigen Exemplaren der Fall, welche mit der Bauchseite
nach oben aufgehängt waren. Das zweite Beinpaar wurde, wie beim
Totstellen, ganz steif gehalten, während das erste und dritte Paar
auch ziemlich starr waren, sich aber immerhin biegen ließen. Die ganze
Haltung entsprach also im allgemeinen der beim gewöhnlichen Totstellen;
dem entspricht wohl auch die erste Reaktion der aufgehängten Tiere.
[Illustration: Abb. 18. Ameisenlöwen an Fäden aufgehängt. a Bauchseite
nach oben; b Rückenseite nach oben; c Reaktion des letzteren.]
Die aufgehängten Exemplare bleiben auffallend lange Zeit vollkommen
unbeweglich. Es kann dies 20 Minuten, eine halbe Stunde, unter
Umständen auch stundenlang dauern. Dann beginnen sie scheinbar spontan
Bewegungen auszuführen. Es sind dies Zappel- oder Ruderbewegungen
aller sechs Beine; auf diese folgen Einkrümmung des Kopfes nach oben
und unten, ebenso der Hinterleibsspitze; dazu kommen eigenartige
nutierende Bewegungen des Kopfes, als ob dieser ein Widerlager suchte.
Auch ohne daß er ein solches findet, werden typische +Schleuderreflexe+
ausgeführt. Diese sind mit dem +Schnappreflex+ kombiniert und
führen oft zur Erfassung des Aufhängefadens mit den Mandibeln des
Tieres. Da es vollkommen ausgeschlossen ist, von dem Tier unter den
Verhältnissen des Experiments alle Reize auszuschließen, während man
das Tier beobachtet, so zweifle ich sehr, daß die Bewegungen nur
zentral ausgelöst sind. Sie sind nämlich sehr leicht durch dem Tier
experimentell applizierte Reize zu veranlassen. So wirken z. B. schon
relativ geringe Erschütterungen auf das Tier ein; man braucht bloß auf
den Tisch zu klopfen oder den Stab zu berühren, an welchem der das Tier
tragende Faden aufgehängt ist. Vor allem wirken aber Berührungsreize,
und zwar sowohl Berührung der Oberseite als auch der Unterseite. Mit
der Bauchseite nach unten hängende Tiere, unter welche man einen
Spachtel, ein Stück Pappe oder Stoff hält, führen sofort den Schleuder-
und Schnappreflex aus. Es geschieht dies nicht nur bei Berührung der
ganzen Unterseite, sondern auch, wenn nur ein Teil derselben, des
Kopfes, des Rumpfes oder nur der hinterste Teil des Hinterleibes
berührt wird. Allerdings scheint die Reizempfindlichkeit gegen das
Hinterende des Abdomens etwas abzunehmen (vgl. unten Abschn. V, 5.
Tastsinn).
Der Umdrehreflex, welcher, wie wir noch genauer sehen werden, mit dem
Schleuderreflex vollkommen identisch ist, wird ganz in derselben Weise
ausgeführt, wenn statt der Unterseite irgendeine Stelle der Oberseite
des Tieres, also seines Kopfes, Rumpfes oder Hinterleibes berührt wird.
Ganz das Entsprechende geschieht, wenn die Beine einem solchen Reiz
ausgesetzt werden.
Die Bewegungen der hängenden Tiere hören immer nach einiger Zeit auf,
und es tritt wieder vollkommene Bewegungslosigkeit ein. Nach einer
Pause von verschiedener Länge (5 Minuten, eine halbe Stunde, oft auch
viele Stunden) werden die Bewegungen wieder aufgenommen. Oft geschieht
das auf einen deutlichen äußeren Reiz hin; noch öfter konnte ich einen
solchen nicht wahrnehmen. In den meisten Fällen, in denen solche
beobachtet wurden, handelte es sich um Erschütterungsreize oder Reizung
durch Luftbewegung. Auch Wärme und Lichtreize haben den gleichen Effekt.
Es ergibt sich also aus all diesen Versuchen, daß bei dem Tier wohl
kein besonderes Sinnesorgan geotropischer Natur vorhanden ist.
Jedenfalls brauchen wir ein solches zur Erklärung des Umdrehreflexes
nicht heranzuziehen. Vielmehr handelt es sich um eine auf Reiz hin
erfolgende, vollkommen automatisch ablaufende, typische Bewegung,
welche von dem Tier in jeder Lage ausgeführt wird. Nur wenn das Tier
zufällig auf der Rückenseite auf einer festen Unterlage liegt, führt
die reflektorische Bewegung zur Umdrehung. Es ist genau dieselbe
Bewegung, welche beim Sandschleudern angewandt wird, welche unter
bestimmten örtlichen Verhältnissen zur Umdrehung führt. Wir können also
feststellen, daß die Umdrehreaktion durch den +Schleuderreflex+ bewirkt
wird. Manchmal ist er mit dem +Schnappreflex+ kombiniert (vgl. S. 62).
Und es sind +Berührungsreize+, welche den Umdrehreflex auslösen.
Offenbar wirkt die Berührung der Unterseite des Tieres mit der
Unterlage beruhigend auf das Tier, wenn das Tier selbst auf diese
einen gleichmäßigen, sich nicht ändernden Druck ausübt. Bei Rückenlage
wirkt aber der Druck des eigenen Gewichtes als Reiz, welcher vor
allem bei Bewegungen des Tieres selbst den Umdrehreflex auslöst.
Es ist also der Umdrehreflex durch Tangorezeption bewirkt, die
verschiedene Empfindlichkeit der Ober- und Unterseite des Tieres wird
die Unterscheidung von Oben und Unten ermöglichen. Es ist daher nicht
angebracht, von +Geotaxis+ beim Ameisenlöwen zu sprechen, wie es
+Comes+ tut. Hervorzuheben ist, daß auf dem Rücken liegende Tiere viel
länger ruhig liegenbleiben, ohne die Umdrehung auszuführen, wenn man
ihnen etwas Sand auf die Bauchseite streut. Aber es wird dadurch die
Umdrehung nicht vollkommen verhindert. Nach kürzerer oder längerer Zeit
erfolgt sie dennoch.
4. Die Wanderbewegungen.
Während bei manchen Verwandten des Ameisenlöwen, z. B. bei der bei
uns in Süddeutschland nicht seltenen Gattung Ascalaphus, die Larven,
frei umherwandernd, sich ihre Nahrung suchen, findet man unsere
gewöhnlichen Ameisenlöwen in der freien Natur selten auf der Wanderung.
Experimentell kann man sie leicht zu Wanderungen veranlassen, welche
zum Teil gar nicht unbeträchtliche Leistungen darstellen. Hat man
sie aus dem Sand herausgegraben, oder haben sie eine Umdrehreaktion
ausgeführt, so pflegen sie nach einiger Zeit sich in Bewegung zu setzen.
Die Art ihrer Bewegung ist sehr charakteristisch; sie erfolgt nämlich
+stets nach rückwärts+, die Hinterleibsspitze wird vorangeschoben, der
Kopf folgt nach. Genauere Untersuchungen und zahlreiche Experimente
haben mir gezeigt, daß das Tier sich überhaupt nur rückwärts zu
bewegen vermag. Darauf deutet schon seine ganze Organisation hin: die
hinten zugespitzte Gestalt des Körpers, die nach vorn gerichteten
Borstenbüschel und -ringe auf dem ganzen Körper, die Stellung und
Einlenkung der Beine. Bei den vielen Hunderten von Experimenten, die
ich mit dem Tier ausführte, kamen nur einige wenige Fälle vor, in denen
das Tier sich für eine minimale Strecke mit dem Kopf nach vorn bewegte.
Diese Tatsache ist schon lange bekannt. Ebenso ist oft beobachtet
worden, daß diejenigen Myrmecoleontiden, welche keine Trichter bauen,
alle vorwärts zu laufen vermögen. Ja, es gibt auch trichterbauende
Formen, welche vorwärts laufen können.
Die Bewegung erfolgt stets ruckweise. Auch macht das Tier fast stets,
wenn es einige Zentimeter zurückgelegt hat, eine mehr oder minder lange
Ruhepause, ehe es sich von neuem in Bewegung setzt.
Um die Bewegungsweise des Tieres im einzelnen zu studieren, legt man
es am besten auf eine durchsichtige Glasscheibe und beobachtet von
unten die Tätigkeit des Hinterleibes und der Beinpaare. Unter Umständen
kann dann das Tier mit etwas gehobenem Hinterleib auf seinen sechs
Beinen geradezu laufen. Meist ähnelt aber die Bewegung dem gewohnten
Kriechen. Es kommt auch vor, daß es auf einer Glasplatte nur auf dem
zweiten und dritten Beinpaar läuft, wobei die Hauptarbeit dem dritten
Paar zufällt. Man sieht aber in der Regel, daß die Hinterleibsspitze
zuckende Bewegungen ausführt, welche allerdings auf der glatten
Unterlage keine sehr große Wirkung haben. Das vorderste Beinpaar wird
ruhig gehalten, das zweite Beinpaar macht plötzliche schwankende
Bewegungen, während das dritte Beinpaar unablässig den Körper nach
rückwärts stößt. Der Erfolg der einzelnen Bewegungen macht sich auf
einer rauhen Unterlage viel ausgesprochener geltend. Da kann sich die
Hinterleibsspitze und überhaupt ein größerer Teil der Unterseite des
Hinterleibes dem Boden anstemmen, die beweglichen Beinpaare finden
ein Widerlager und können geregelter arbeiten. Man kann die Tätigkeit
der einzelnen Teile mit Deutlichkeit verfolgen, wenn man das Tier die
Spur seiner Bewegungen auf berußtem Papier selbst aufzeichnen läßt.
Man vergleiche die dieser Untersuchung beigegebenen zahlreichen Bilder
von Kriechspuren des Tieres. Man wird erkennen, daß die tatsächlich
unbewegten Vorderbeine oft gar keine Spur hinterlassen haben. Oft
sieht man aber auch parallel der äußersten Begrenzung der Spur feine
Linien verlaufen, welche von dem vordersten Beinpaar herrühren, das
auf der Unterlage nachschleift, auch gelegentlich gleichzeitig mit
dem zweiten Beinpaar wippende Bewegungen ausführt. Die Mittelbeine,
welche abwechselnd hebelnde Bewegungen machen, haben diese in den
feinen, etwas zittrigen Linien aufgezeichnet, welche die Kriechspur
außen begleiten. An den Unterbrechungen erkennt man, daß sie oft
abwechselnd tätig sind. Dabei kommt oft ein eigenartiges Schwanken
und Schaukeln des Tierkörpers zustande; die weitausladenden Beine des
zweiten Paares spielen jedenfalls beim Lenken des Körpers eine Rolle.
Dreht sich die Hinterleibsspitze einer bestimmten Richtung zu, so wird
auch das Mittelbein der betreffenden Seite etwas mehr angezogen und zum
Körper in einen stumpfen Winkel gestellt. Wie die Beobachtung und auch
die Aufzeichnungen auf dem Rußpapier zeigen, erfolgen immer mehrere
Zuckungen des Hinterleibes und auch Bewegungen des dritten Beinpaares,
ehe ein Schaukelschritt des Mittelbeinpaares folgt. Letzteres wird
dabei immer ganz steif gehalten. Am stärksten ausgeprägt zeigt sich
der Abdruck der scharrenden Bewegung des dritten Beinpaares. Vielfach
erkennt man auch die Spuren der vorwärts gerichteten Beborstung der
Beine.
Dagegen vermißt man an der Spur des auf der relativ glatten Unterlage,
welche von dem Rußpapier dargeboten wird, kriechenden Tieres einen
deutlichen und regelmäßigen Abdruck der Hinterleibsspitze. Man erkennt
den Abdruck der Hinterleibsspitze streckenweise sehr deutlich auf
Abb. 19. Die Hinterleibsspitze wird offenbar nur dann regelmäßig in
Tätigkeit versetzt, wenn die Unterlage hinreichend rauh ist. Man kann
das z. B. auf nassem Sand, rauhen Steinen, oder wenn man die Tiere
über die Borsten einer Bürste oder über ein Stück Sammet oder Plüsch
hinkriechen läßt, deutlich erkennen. Auch wenn das Tier über trockenen
Sand hinkriecht, ohne sich einzugraben, wirkt bei den Wanderbewegungen
die Hinterleibspitze erheblich mit. Dann gräbt das Tier eine ziemlich
tiefe Furche in die Oberfläche des Sandes ein.
[Illustration: Abb. 19. Rußspur eines Ameisenlöwen. Der Pfeil gibt die
Bewegungsrichtung an.]
Es kommt häufig vor, daß ein Tier sehr lange Zeit bewegungslos an einer
Stelle liegt. Es bedarf aber besonderer Anlässe, um einen Ameisenlöwen
zu einer sehr lange dauernden Wanderung zu veranlassen. Wir werden in
den späteren Abschnitten erfahren, welche Reize die Wanderbewegungen
des Tieres fördern und welche sie hemmen.
An dieser Stelle müssen wir als wichtige Tatsache hervorheben, daß
jedes Tier nach mehr oder minder langer Ruhepause sich in Bewegung
setzt, wenn nicht ganz bestimmte Einwirkungen dies verhindern. Wirken,
sobald das Tier sich in Bewegung setzt, Reize von bestimmter Stärke
aus einer bestimmten Richtung auf das Tier ein, so wird dadurch die
Richtung seiner eigenen Bewegungen auf das deutlichste beeinflußt.
Wirken aber keine solchen richtenden Reize auf das Tier ein, so führt
es eigentümlich unorientierte Bewegungen aus. Es wandert, natürlich
immer mit der Hinterleibsspitze voran, in geschlängelten Bahnen, die
oft in sich selbst umkehren und in welche oft ganz kleine Kreisbahnen
oder Spiralen eingeschaltet sind, umher (Abb. 20). Diese gleichsam
tastenden Wanderungen entsprechen jener Bewegungsweise, welche ich in
meiner Untersuchung über die Biologie der Garneelen den +Suchgang+
genannt habe. Wie ich dort auseinandergesetzt habe, handelt es sich
entweder um zentral oder doch vom Tierkörper selbst ausgelöste,
vielleicht aber auch um durch minimale Reize veranlaßte Bewegungen,
welche dem Tier die Möglichkeit geben, Reize der verschiedensten Art
aufzufangen, die dann ihrerseits die Richtung, Schnelligkeit und
Dauer der Bewegung der Tiere bestimmen. Dieser +Suchgang+ gehört also
zu den bei den Tieren so allgemein verbreiteten +Versuchs-+ oder
+Probierbewegungen+.
Wenn Tiere hungern oder sonstwie sich nicht ganz wohl befinden, ferner
wenn in dem Aufbewahrungsgefäß die Sandschicht zu dünn ist, um den Bau
von Trichtern zu erlauben, findet man auf der Oberfläche des Sandes
flache Furchen, die kreuz und quer verlaufen, kreis- und spiralförmig,
sich durchkreuzen usw. Das Tier war auf der Suche nach den Reizen, die
ihm einen bestimmten Ort anweisen sollten.
[Illustration: Abb. 20. Versuchsbewegungen eines Ameisenlöwen auf
Rußpapier, von ihm selbst aufgezeichnet.]
5. Das Einbohren in den Sand.
Hat man im Freien beim Versuch des Fanges einen Ameisenlöwen fallen
lassen, so kann man, nachdem die Zeit des Totstellens verstrichen
ist und oft unmittelbar, nachdem er die Umdrehreaktion ausgeführt
hat, sehen, daß er sich unter ruckweisen Bewegungen nach rückwärts
sehr schnell in den Sand eingräbt. Dabei führt er zunächst genau
dieselben Bewegungen aus, die wir ihn bei seinen Wanderungen auf
einer rauhen Unterlage vornehmen sahen. Wir sehen genau dieselben
zuckenden Bewegungen der Hinterleibsspitze; das erste Beinpaar wird
ruhig gehalten, während das zweite die pendelnden und das dritte die
scharrenden Bewegungen ausführt. Was ist aber hier die Folge dieser
automatischen Bewegungen? Der Bau des Körpers des Ameisenlöwen zwingt
die Bewegung in dem aus zahlreichen feinen Partikeln bestehenden Sand
in eine ganz bestimmte Richtung. Bei der Bewegung im Sand zeigt sich
die Bedeutung der Form des Körpers und seines Borstenkleides in einem
überraschenden Licht. Die kegelförmige Hinterleibsspitze bohrt sich
voraus in den Sand, der Körper drängt nach, und erst von den Schultern
an beginnt die schmälere Zone, welche leicht aus dem Sand vorragt
und sich so erhält. Wühlt sich das Tier aber weiter in den Sand ein,
so bietet die Schulterregion mit ihren Borstenbüscheln ein weiteres
wirksames Widerlager.
Die kurzen starren Borsten, welche die Hinterleibsspitze umgeben,
drängen bei deren Vorstoßen die Sandkörner zur Seite; sind aber die
hintersten Segmente des Hinterleibes einmal in den Sand eingedrungen,
so zeigt sich die auffällige Wirkung der, wie wir früher gesehen haben,
insgesamt nach vorn gerichteten Borsten und Borstenkränze des ganzen
Körpers. Zwischen den rollenden und gleitenden Körnchen des trockenen
Sandes könnte ein glatter Körper überhaupt keinen Halt gewinnen; ein
Tier, welches sich mit glattem Körper in diesem beweglichen Medium von
der Stelle bringen wollte, müßte dafür einen großen Aufwand an Kraft
leisten; es müßte mit breiten, flächenhaften Hebeln sich vorwärts
rudern oder sonstwie besondere Bewegungseinrichtungen besitzen. Statt
dessen sehen wir den Körper des Ameisenlöwen an zahllosen Stellen mit
seinen Borsten an den rollenden Sandkörnern einen Widerstand gewinnen.
Dadurch, daß die Borsten alle in mehr oder weniger ausgesprochener
Weise nach vorn gerichtet sind, liefert dieser Widerstand eine
Druckkomponente nach hinten. Nach jeder Bewegung in den Sand hinein
hakt der Körper des Ameisenlöwen in dem rollenden Material geradezu
fest; er kann nicht wieder zurückgleiten. Ist er schon auf glatter
Unterlage zu einer Vorwärtsbewegung unfähig, so zeigt sich dies
im Sande in noch viel ausgesprochenerem Maße. Durch die zuckenden
Bewegungen seines Hinterleibes, welche durch die schiebenden Bewegungen
vor allem des dritten Beinpaares noch unterstützt werden, muß das Tier
sehr rasch und sicher in den Sand eingebohrt werden. Wir sehen es denn
auch tatsächlich oft in 4-5 Sekunden unter dem Sand verschwinden.
Die wesentlichste Komponente bei dem Einwühlen in den Sand bilden
die nach hinten und unten gerichteten zuckenden Bewegungen des
Hinterleibes. Tiere, denen man die beiden Mittelbeine amputiert, können
ebenso, wie sie recht gut rückwärts wandern, sich absolut sicher in
den Sand eingraben. Nicht einmal die Schnelligkeit der Reaktion ist
beeinträchtigt. Ja, selbst die Amputation sämtlicher Beinpaare hindert
ein Tier nicht, sich rasch und vollständig in den Sand einzuwühlen.
In wie ausgesprochener Weise die Bewegungen des Hinterleibes für die
Lokomotion des Tieres maßgebend sind, beweist folgender Versuch: Läßt
man einen Ameisenlöwen mit dem Hinterleib voran in eine Glasröhre
hineinkriechen, deren innerer Durchmesser ungefähr genau der größten
Breite seines Hinterleibes entspricht, so findet das Tier, dessen
Körper von den Seiten etwas zusammengedrückt wird und dadurch etwas
an Höhendurchmesser zunimmt, reichlich Berührungspunkte an der Wand
der Glasröhre. Es kriecht in der Röhre vollkommen normal rückwärts,
auch wenn seine Beine nirgends in Berührung mit der Innenfläche der
Glasröhre kommen und sich somit nirgends anstemmen können. Ja, es
spreizt sich mit seinen Borstenkränzen so gut an den Wänden fest, daß
es nicht herauszuschütteln ist.
Bei seiner Rückwärtsbewegung ist das erste Beinpaar in Ruhe; das zweite
ist, im Falle die Röhre eng genug ist, an der Röhrenwand angestemmt,
hat aber, da es nur vereinzelte Zuckungen ausführt, keinen wesentlichen
Anteil an der Rückwärtsbewegung. Das dritte führt reflektorisch die
zappelnden Bewegungen aus, die wir vorhin beschrieben, ohne allerdings
dabei die Unterlage zu berühren. Es arbeitet also ohne Nutzeffekt. Eine
Berührung mit der Röhrenwand führen hauptsächlich die Haarpolster an
den Schultern des Tieres herbei. Die Rückwärtsbewegung erfolgt durch
abwechselndes Aufwärts- und Abwärtskrümmen des Hinterleibes und des
Kopfabschnittes. Der Körper macht sich also, wie die untenstehende
Abbildung 21 zeigt, abwechselnd an der Rücken- und dann an der
Bauchseite hohl. Indem dabei jeweils die Hinterleibsspitze sich fest an
die Glasröhrenwand anstemmt, schiebt sich der Körper durch die Röhre
nach hinten. Ist die Glasröhre so weit, daß der Rücken ihre obere
Wand nicht berührt, so bleibt die Bauchseite des Tieres stets konkav,
und das Tier bewegt sich, allerdings langsam, nur durch die zuckenden
Bewegungen der Hinterleibsspitze, welche sich an der Unterseite der
Glasröhre reibt.
[Illustration: Abb. 21. Ameisenlöwe, gezwungen, in eine Glasröhre zu
kriechen.]
Beim Einwühlen in den Sand arbeiten die Beinpaare naturgemäß mit. Die
beiden vorderen räumen Sand unter dem Kopf und Hals weg, so daß dieser
Sand über diesen Körperteilen zusammenstürzt. Auch die Bewegungen des
dritten Beinpaares schaufeln den Sand auf die Seiten und den Rücken des
Körpers. Auch stemmen, besonders am Anfang des Einwühlens, die beiden
vorderen Beinpaare kräftig nach vorn. Dadurch werden die im nächsten
Abschnitt geschilderten Vorgänge eingeleitet.
6. Der Bau der Sandtrichter.
Meine Beobachtungen über den Bau der Sandtrichter weichen von früheren
Angaben zunächst insofern ab, als die Ameisenlöwen ihre Trichter
jedenfalls in anderer Weise bauen +können+, als es +Rösel von Rosenhof+
geschildert hatte. Die von mir beobachteten Tiere fertigten ihre
Trichter stets in einer viel einfacheren Weise an.
Ist ein auf die Oberfläche einer mehrere Zentimeter dicken Sandschicht
gelegter Ameisenlöwe aus seinem Starrezustand erwacht, so beginnt er,
wie wir früher gesehen haben, sich rückwärts zu bewegen und mit der
Schwanzspitze voran sich einzubohren. Nach wenigen Sekunden pflegt er
im Sand verschwunden zu sein und bleibt in manchen Fällen ruhig unter
der Sandfläche liegen, um erst später sich weiter zu bewegen. Dann kann
er entweder Wanderungen unter dem Sand antreten, oder er beginnt mit
dem Bau des Trichters. Frische und gesunde Tiere pflegen aber sofort,
wenn sie sich im Sand eingewühlt haben, den Trichterbau einzuleiten.
[Illustration: Abb. 22. Photographie eines Sandtrichters eines
Ameisenlöwen in der natürlichen Umgebung. Verkl. ⅔.]
Dies geht auf folgende Weise vor sich. Nachdem Rumpf und Hals
und meist der größere Teil der beiden vorderen Beinpaare im Sand
verschwunden sind, beginnt der Kopf in ihn einzutauchen. Kaum haben
sich einige Sandkörner auf der Oberfläche des Kopfes angesammelt, so
führt das Tier eine eigentümliche Bewegung aus, mit welcher es den
Sand hoch in die Höhe schleudert. Diese Bewegung besteht in einer
plötzlichen, ruckweisen Umbiegung des Kopfes, des Halses und der ersten
Rumpfsegmente nach oben und hinten. Wir werden diese Bewegung, welche
für das Tier außerordentlich typisch ist, später genau analysieren. Es
genüge hier, hervorzuheben, daß sie in der Regel auf einen Tastreiz
hin erfolgt; sie kann sowohl in der Mittellinie direkt nach hinten
als auch in beliebigen Winkeln von ihr abweichend erfolgen. Während
im ersteren Falle der Horizontalschnitt von Kopf und Hals, welche
zusammen einen sehr spitzen Winkel mit dem Rumpf bilden können, dessen
Horizontaldurchschnittsebene in der Querrichtung parallel bleibt, ist
er im zweiten Fall in verschiedenen Winkeln gegen sie verdreht. (Vgl.
hierzu die Beobachtungen über lokalisierten Tastreiz und entsprechende
Reizfolgen im Kapitel über Tastreiz S. 87.) Wir bezeichnen diese
reflektorische Bewegung als den +Schleuderreflex+.
In der Regel erfolgen mehrere Schleuderbewegungen in rascher
Aufeinanderfolge nacheinander. Indem sie infolge der Winkelneigungen
von Kopf und Hals nach verschiedenen Richtungen erfolgen, entsteht
ein gleichmäßig abfallender Trichter im Sand, der schon eine gewisse
Tiefe besitzt. Oft begnügt sich das Tier hiermit und bleibt ganz ruhig
am Grunde seines Trichters sitzen, wobei der Körper von der unteren
Spitze des Trichters schief nach der einen Seite abwärts in den Sand
ragt (Abb. 14 S. 26). Der vordere Teil des Kopfes mit Augen und Fühlern
pflegt aus dem Sand hervorzuragen. Vielfach nimmt das Tier bereits
jetzt eine Bereitschaftsstellung an, die wir oben beschrieben haben,
und von der man in diesem Moment nur in den weit auseinanderklaffenden
Kiefern ein Anzeichen wahrnimmt.
Fast stets pflegen nach einiger Zeit von den Trichterwänden
Sandkörnchen auf die obere Kopfseite des Ameisenlöwen herabzufallen,
welcher sie sofort durch Schleuderbewegungen nach oben an den Rand
des Trichters befördert. Jede Luftbewegung, jede Temperaturänderung
veranlaßt ein solches Herabrieseln von Sandkörnchen. Da bei jeder
Schleuderbewegung mehr Sand hinaufgeschleudert wird, als vorher
herabgerieselt war, so vertieft sich auf diese Weise der Trichter nicht
unwesentlich. Dabei führt der Ameisenlöwe auch kriechende Bewegungen
aus, durch die er sich tiefer in den Sand einwühlt, wobei er aber in
der Regel den Mittelpunkt des Trichters nicht allzusehr verschiebt. Er
muß also durch eine enge Spiralbewegung den Körper etwa um eine durch
die Lage des Kopfes gekennzeichnete Achse bewegen. Die verschiedenen
Kriechspuren auf Rußpapier, welche in den Abbildungen (z. B. Abb. 20)
dargestellt sind, geben ein Beispiel von diesen Spiralbewegungen,
welche für den Ameisenlöwen sehr charakteristisch sind, und welche
zu den früher (S. 47) schon charakterisierten Versuchsbewegungen des
Tieres gehören.
Bei diesen Drehungen und infolge der Fähigkeit, den Sand in allen
möglichen Winkeln abzuschleudern, hat der Ameisenlöwe die Möglichkeit,
einen vollkommen gleichmäßig von einem kreisförmigen oberen Umfang
zu der in senkrechter Richtung unter dem Mittelpunkt dieses Kreises
gelegenen Trichterspitze abfallenden Trichter zu bauen; es stellt
also die Innenfläche des Trichters einen gleichmäßigen Kegelmantel
dar. Daß das Tier in gleichmäßig feinem Sand das aus dem Trichter
entfernte Material tatsächlich ganz regelmäßig nach allen Seiten
wegschleudert, konnte ich durch folgenden Versuch nachweisen. Ueber
einer Sandfläche, in welcher ein Ameisenlöwe gerade seinen Trichter
einzuwühlen begann, brachte ich im Abstand von 3-4 cm eine auf der
unteren Seite durch Wasserdampf beschlagene Glasscheibe an. Damit das
Wasser nicht verdunstete, war der Sand mit dem Tier in einem besonderen
Gefäß in eine dicht abgeschlossene Glasschale gebracht, auf deren Boden
feuchter Sand lag. Die von dem Ameisenlöwen in die Höhe geschleuderten
Sandkörner blieben an der benetzten Scheibe haften und bildeten
eine regelmäßige kreisförmige Fläche, welche, der Verlängerung des
Trichterwinkels entsprechend, größer als die kreisförmige Umgrenzung
des Trichters selbst war. Bei allen untersuchten Tieren ergab das
Experiment dasselbe Resultat. Es folgt daraus, daß regelmäßig die Tiere
in einem bestimmten Zeitraum den ganzen Umkreis ihres Trichters mit
ihren Schleuderbewegungen bestreichen.
Nicht ganz so regelmäßig verläuft die Arbeit, wenn ein Ameisenlöwe in
Sand baut, dem größere Steinchen oder sonstige Partikel beigemischt
sind. In grobem Material braucht ein Ameisenlöwe, besonders ein kleines
Tier, zur Anlage eines Trichters oft sehr lange Zeit; denn nach jeder
Schleuderbewegung folgt eine sehr lange Pause. Die Leistungen, welche
die Tiere dabei vollbringen, sind vielfach gar nicht gering. So habe
ich die Steinchen, welche ein mittelgroßer Ameisenlöwe von etwa 10 mm
Gesamtlänge (gemessen einschließlich der Mandibel) bis zu 10 cm weit
wegzuschleudern vermochte, gewogen und fand folgende Gewichte: 4½ mg,
15 mg, 35 mg, 43 mg. Es ist von Interesse, demgegenüber die Gewichte
der Tiere selbst festzustellen. Es wiegen:
1. Exemplar von 6 mm Länge 13 mg
2. „ „ 7,5 „ „ 14 „
3. „ „ 7 „ „ 15 „
4. „ „ 10 „ „ 22 „
5. „ „ 12 „ „ 28 „
6. „ „ 13,5 „ „ 70 „
Die großen Steinchen werden offenbar von dem Tier mit besonderer
Kraftanstrengung weggeschleudert; denn sie fliegen so weit weg, daß
sie nicht mehr in den Trichter zurückfallen. In einem Material,
welches aus feinen und groben Partikeln gemischt ist, erfolgt durch
die Schleuderbewegung eine Sortierung. Die groben Partikel sind
weiter hinaus an die Peripherie geschafft, während der Trichter
selbst schließlich nur aus ganz feinem Sand besteht. Ein Wegtragen
der größeren Steine auf dem Rücken, wie es frühere Autoren angeben,
habe ich nie beobachten können. Ich bin auch der Ansicht, daß die
Sortierung des Sandes rein mechanisch vor sich geht, durch die Schwere
der Partikel bewirkt. Die schweren Teilchen fliegen relativ weit weg;
von den feinen rollt ein Teil den Abhang des Trichters wieder herunter.
Daß, wie z. B. +Redtenbacher+ annimmt, die langzähnigen Kiefer als
Sieb für den geschleuderten Sand wirkten, indem nur die groben
Teile geworfen würden, die feinen durchrieselten, scheint mir keine
erhebliche Rolle zu spielen.
[Illustration: Abb. 23. Sandtrichter von Ameisenlöwen, gerade von oben
photographiert. Nat. Größe.]
Ich habe einige Versuche gemacht, um den Einfluß festzustellen, welchen
das Gewicht und die Kohärenz der Partikel, in denen das Tier baut,
auf seine Bautätigkeit ausübt. Ich ließ Tiere sich in verschiedene
Substanzen eingraben, wie z. B. in feines Weizenmehl, in grobe
Eisenfeilspäne u. dgl. Da die Mehlstäubchen sehr fein und leicht sind,
werden sie leicht sich eine Zeitlang in der Luft schwebend erhalten und
wieder an Ort und Stelle niedersinken. Beim Zusammenpressen haften sie
leicht aneinander. Man sieht denn auch, daß es den Ameisenlöwen leicht
gelingt, sich im Mehl einzugraben; aber sie bringen in dieser Substanz
keinen richtigen Trichter fertig. Die Tiere wühlen geradezu Gänge durch
das Mehl. Sie fühlen sich in demselben offenbar sehr unbehaglich, denn
es verschmiert ihnen alle Gelenke, haftet an der Oberfläche des Körpers
und verstopft die Atemlöcher. Tiere, welche in Mehl gegraben haben,
führen von Zeit zu Zeit die Putzbewegungen aus, von denen wir später
Näheres hören werden. Ein Exemplar, welches am 21. Sept. 1914 auf Mehl
gesetzt wurde, hatte sich in 5 Minuten, ein anderes in 15 Minuten
eingegraben. Nur eines von ihnen hatte bis zum 22. Sept. einen relativ
regelmäßigen Trichter von minimalem Umfang fertiggebracht.
In Eisenfeilspänen dagegen gelang das Eingraben sehr prompt; die
schweren Eisenkörnchen wurden von dem Tier leicht hoch in die Luft
geschleudert. Sie hafteten gar nicht aneinander, und so entstand ein
schöner regelmäßiger Trichter.
Je trockener und gleichmäßiger der Sand ist, um so größere Trichter
bauen die Ameisenlöwen. Ferner hängt der Umfang des Baues von Wärme
und Sonnenschein ab. Bei heißem, sonnigem Wetter werden die größten
Trichter gebaut. Hungrige Tiere, die unruhig sind und sehr leicht
durch herabrieselnde Sandkörner zum Schleuderreflex gereizt werden,
vergrößern im Lauf der Zeit ihren Trichter oft beträchtlich. So hängt
also die Größe des Trichters nicht direkt von dem Körperumfang des
Erbauers ab. Kleine Tiere können unter günstigen Umständen ebenso große
oder größere Trichter bauen als ausgewachsene Tiere unter ungünstigen.
Wird der Sand, in welchem die Ameisenlöwen leben, nass, so können die
Tiere in ihm sich nur mit Mühe oder gar nicht vorwärtsbewegen. Sie
liegen dann ganz regungslos. Legt man Ameisenlöwen auf befeuchteten
Sand, so können sie sich nur dann noch in ihn eingraben, wenn er mäßig
feucht ist. Einen Trichterbau bringen sie in diesem Fall aber nicht
fertig. Weder das Eingraben noch der Trichterbau gelingt ihnen, wenn
der Sand in erheblicherem Maße durchnäßt ist.
Diese letzteren Beobachtungen bekräftigen meine Annahme, daß beim
Trichterbau das Schleudern die Hauptsache ist und daß die Grabtätigkeit
dabei keine Rolle spielt. Dafür spricht ferner, daß auch Tiere mit
amputierten Beinen noch vollkommen normale Trichter bauen können. Bei
normalen Tieren helfen natürlich die Beine insofern mit, als sie,
ähnlich wie beim Einwühlen, Sand zur Seite und auf Kopf und Hals des
Tieres schaufeln.
Wir sehen also, daß der +Schleuderreflex+, den wir oben als Ursache
der Umdrehreaktion kennen lernten, auch beim Bau der Sandtrichter die
wichtigste Bewegung darstellt. Die Sandtrichter entstehen automatisch
infolge von Reizen, welche den Schleuderreflex auslösen.
Es sei hier noch darauf hingewiesen, daß zu gewissen Zeiten des Jahres
unsere einheimischen Ameisenlöwen keine Trichter bauen. Zu allen Zeiten
des Jahres unterlassen die in der Vorbereitung zur Verpuppung stehenden
Individuen den Trichterbau.
Jedenfalls geht aus meinen Beobachtungen hervor, daß der Trichterbau
in der Regel in viel einfacherer Weise vor sich geht, als es +Rösel
von Rosenhof+ in der S. 2 zitierten Schilderung beschrieben hat. Es
mußte für mich natürlich von Wichtigkeit sein, festzustellen, ob ein
so gewissenhafter Beobachter wie der treffliche +Rösel+ wirklich den
Vorgang aus der Phantasie konstruiert hatte, oder ob besondere Gründe
vorlagen, die seine unrichtige Schilderung veranlaßten. Ich suchte nach
Versuchsanordnungen, welche die tatsächlichen Grundlagen für seine
Beobachtungen liefern konnten.
Nun läßt sich wirklich nachweisen, daß, wenn man einem Ameisenlöwen
eine zu wenig tiefe Sandschicht darbietet, so daß er beim Einwühlen
bald den Boden des sanderfüllten Gefäßes erreicht, er mit in Spiralen
verlaufenden Versuchsbewegungen den Sand zu durchfurchen beginnt.
Selten gelingt dem Tier dabei der Bau eines einigermaßen regelmäßigen
Trichters, stets spielen auch dann die Schleuderbewegungen eine
Hauptrolle.
Dauert der Trichterbau längere Zeit, und bei normal fertiggebauten
Trichtern kann man dieselbe Beobachtung machen, so ändert das Tier je
nach dem Lichteinfall -- also der scheinbaren Wanderung der Sonne am
Himmel folgend -- nach den Gesetzmäßigkeiten, die wir in einem späteren
Kapitel (S. 63) kennen lernen werden, seine Einstellung zum Licht.
Da das Tier nicht direkt seitlich kriechen und dabei seinen Kopf im
Mittelpunkt des Trichters liegen lassen kann, sondern in Spiralen den
Mittelpunkt umkriechen muß, so erfolgen Bewegungen, welche an die von
+Rösel+ beschriebenen erinnern.
Niemals aber konnte ich einen Trichterbau beobachten, welcher
genau in der von ihm beschriebenen Weise ablief. Da außer +Rösel+
zahlreiche andere Beobachter Schilderungen gegeben haben, welche
jener sehr entsprechen, so will ich wenigstens eine Möglichkeit
der Erklärung unserer abweichenden Darstellung versuchen. Meine
Beobachtungen betreffen wohl alle die Larven des Myrmecoleo formicarius
L. Möglicherweise hatten +Rösel+ und andere Beobachter Larven von
Myrmecoleo europaeus M. L. vor sich. Vielfach ist das sogar aus den
beigegebenen Abbildungen der Imago mit den gefleckten Flügeln zu
entnehmen. +Redtenbacher+ gibt direkt an, daß sich seine Beobachtungen
auf M. europaeus beziehen. Auch er beschreibt, daß die Larve voraus
einen Kreis beschreibt, der den Umfang des künftigen Trichters umfaßt.
Dadurch entstehe außen ein erhöhter Wall, innen bleibe ein kurzer
Kegelstutz zurück, der dann durch neue Kreisbewegungen weggearbeitet
werde, wobei immer durch Bewegungen der inneren Beine Sand auf den Kopf
und von diesem weggeschleudert werde. Meine Versuchstiere haben niemals
auch nur Andeutungen dieser umständlichen Baumethode gezeigt.
Es ist daher die Möglichkeit zuzugeben, daß die Bauweise bei
Myrmecoleo europaeus von derjenigen von M. formicarius abweicht.
Sehr wahrscheinlich scheint mir diese Annahme aber nicht zu sein.
Es wäre sehr merkwürdig, daß eine nahe verwandte Form einen viel
umständlicheren Weg zum Trichterbau einschlägt, wenn M. formicarius ihn
in so einfacher Weise erfolgreich durchführen kann.
Wahrscheinlicher scheint mir die Annahme, daß die früheren Beobachter
+Versuchsbewegungen+ des Tieres sahen und auf Grund von ihnen
die Bautätigkeit des Ameisenlöwen sich zurechtlegten. In dieser
Annahme wurde ich durch Schilderungen und Skizzen bestärkt, welche
+Redtenbacher+ von „Irrfahrten“ des Ameisenlöwen gibt, welche durchaus
meinen Versuchsbewegungen entsprechen (vgl. meine Abbildung 20, S. 48;
ferner Taf. I, Fig. 1, Taf. III, Fig. 3, Taf. IV, Fig. 4).
Ebensowenig wie +Redtenbacher+ konnte ich jemals beobachten, daß
die Larve sich Steine und andere größere Partikel auf den Rücken lädt
und in „Sisyphus“-Arbeit zur Seite schleppt, obwohl dies +Bonnet+
und +Mac Cook+ ausführlich bestätigt haben. Ich glaube, daß hier
falsche Deutungen zufälliger Vorkommnisse vorliegen.
Doch möchte ich zum Schluß noch einmal betonen, daß ich es für nicht
ausgeschlossen halte, daß bei den verschiedenen Arten der Trichterbau
auf etwas verschiedener Grundlage sich vollzieht.
7. Der Ameisenfang.
Ein Ameisenlöwe am Grunde seines Sandtrichters befindet sich entweder
in einer Ruhelage oder in Bereitschaftsstellung. Im ersteren Fall kann
je nach der Beschaffenheit des Untergrundes sein Körper verschiedene
Stellungen einnehmen; sein Kopf kann nach oben oder unten geneigt sein,
die Mundwerkzeuge sind mehr oder weniger zusammengeklappt, ja, sie
können sogar unsymmetrisch zueinander stehen. Bei der Ruhelage bedeckt
sich auch sehr leicht der Kopf des Tieres mit Sandkörnern. Das Tier
pflegt sehr wenig reizbar zu sein, und es können ihm in diesem Zustand
selbst Ameisen über den Kopf laufen, ohne daß eine Bewegung erfolgt.
Wir werden später sehen, daß diese Ruhelagen durch verschiedene
Ursachen bedingt sein können.
Normalerweise finden wir einen Ameisenlöwen, besonders dann, wenn er
seit längerer Zeit nichts gefressen hat, und wenn es warm und sonnig
ist, in Bereitschaftsstellung (vgl. S. 36). Die Beine sind dann etwas
angezogen, das Hinterleibsende nach unten gekrümmt; Kopf und Hals sind
in einem stumpfen Winkel nach oben gekehrt. Mindestens die Mandibel,
meist aber die ganze Stirnregion des Kopfes, ja oft auch der Hals
schauen aus dem Sand heraus. Die Mandibel können so schief nach oben
gerichtet sein, daß sie frei in die Luft ragen. In der Regel liegen sie
aber an der Wand des Trichters, welche der Körperachse des Ameisenlöwen
gegenübersteht, der Sandoberfläche glatt auf. Wie wir früher gesehen
haben, liegt der Körper des Ameisenlöwen stets in der dem Lichteinfall
abgewendeten Richtung; die Mandibel liegen also an der am meisten
beleuchteten Wand des Trichters, so daß man vielfach ihre Bewegungen
deutlich verfolgen kann.
Naht sich ein Tier, vor allem eine Ameise dem Rand des Trichters, so
ist es in Gefahr in die Tiefe des Trichters hinabzustürzen. Ameisen,
welche den Rand eines Trichters betreten, pflegen sehr aufgeregte
Bewegungen zu machen. Sie stürzen dann sehr häufig in einem Zug bis
auf den Grund des Trichters hinab, wo ganz plötzlich die Mandibel des
Ameisenlöwen über ihnen zusammenschnappen. Ist durch diesen Vorgang das
Tier wie von einer Falle um die Mitte seines Körpers erfaßt worden, so
gelingt es ihm sehr selten, sich wieder zu befreien. Es führt heftige
zappelnde Bewegungen aus, welche mehrere Minuten, ja oft noch länger
anhalten. In der Regel führt der Ameisenlöwe, wenn er eine Ameise
eingefangen hat, einige zuckende Bewegungen mit dem Hinterleib aus,
durch welche er tiefer im Sand versinkt und sich besser verankert.
Manche Beobachtungen weisen darauf hin, daß letztere Handlung nicht
immer ohne Bedeutung ist. Ausgewachsene oder auch nur mittelgroße
Ameisenlöwen werden durch die Bewegungen einer Ameise sehr selten aus
ihrer Lage verschoben. Auch wenn ein größerer Ameisenlöwe eine Spinne
oder ein anderes Insekt erfaßt hat, das ihn an Größe übertrifft, wird
meistens die Verankerung ausreichen. Es ist dies aber nicht immer der
Fall. So konnte ich z. B. einmal beobachten, daß ein sehr kleiner
Ameisenlöwe ein Exemplar der Ameisenart Lasius flavus, welches größer
war als er selbst, mit den Mandibeln erfaßte. Jener kleine Ameisenlöwe
hatte erst einen minimalen Trichter gegraben; er wäre in der freien
Natur wohl kaum in die Lage gekommen, die große Ameise zu erwischen.
Bei der künstlichen Fütterung fiel sie ihm zum Opfer. Sie riß aber
mit Leichtigkeit den kleinen Räuber aus dem Sand heraus und schleppte
ihn eine Strecke weit mit sich. Es entspann sich ein heftiger Kampf,
da der Ameisenlöwe nicht losließ; während die Ameise ihn über den
Sand hinzog, machte er unablässig die typischen Bewegungen mit der
Hinterleibsspitze, um sich einzubohren. Er wird aber von der Ameise
fortgeschleppt, die ihn schließlich in den Hinterleib beißt und zu
stechen sucht. Daraufhin erlahmt er und bleibt wie tot liegen, während
die Ameise davonläuft.
In der Bereitschaftsstellung sind die Mandibel des Ameisenlöwen
weit auseinandergespreizt; bei leiser Reizung werden sie noch mehr
gespreizt. Wenn in diesem Zustand ihre Innenseite von irgendeinem
harten Gegenstand berührt wird, so schnappen sie ganz plötzlich
zusammen. Eine Ameise, welche in den Trichter hinabfällt, wird also
in der Regel mit der Hälfte ihres Körpers hindurchfallen, ehe die
Mandibel über ihr zusammenklappen. In manchen Fällen gelingt es
aber dem Ameisenlöwen nur den Kopf, die Antennen oder ein Bein der
Ameise zu erfassen. Die weit vorragenden Zähne an der Innenfläche
der Mandibel ermöglichen das Festhalten auch so dünner Gegenstände.
In solchen Fällen gelingt es dem Ameisenlöwen meistens nicht, die
Ameise in eine zum Aussaugen geeignete Lage zwischen seine Mandibel
zu bringen. Dann wird das Tier nach einiger Zeit losgelassen, um von
neuem eingefangen zu werden. Meist hat es genügend Zeit, um einen Teil
der Trichterböschung hinaufzuklettern, worauf es von dem Ameisenlöwen
mit einem Hagel von Sandkörnern wieder heruntergeschossen wird. Es
kann vorkommen, daß sich diese Fangversuche mehrmals hintereinander
wiederholen, ehe der Ameisenlöwe sein Opfer richtig zu erfassen vermag
(s. auch unten S. 62). Aber auch dann folgen die Vorgänge sehr rasch
aufeinander, und es vergehen meist nur einige Sekunden, bis das Tier
gefangen ist.
Ist der Trichter, welchen der Ameisenlöwe gebaut hat, erst ganz seicht,
so gelingt es ihm meist nicht, mit Hilfe des Schleuderreflexes eine
Ameise zu fangen. Das ist aber nur eine Ausnahme.
Es läßt sich leicht zeigen, daß es nur ein Berührungsreiz ist, welcher
das Zuschnappen der gesperrten Mandibel veranlaßt. Berührt man nämlich
deren Innenseite mit einer Präpariernadel, einem Draht, einer Pinzette
oder einem Stück Holz, so schnappen die Mandibel kräftig zusammen. Ja,
man kann bei geschicktem Vorgehen auch durch Berührung mit einem Faden,
den man in den Trichter hinabläßt und mit welchem man die Innenseite
der Mandibel berührt, das Zuschnappen der Zangen herbeiführen. Da auch
in diesem Falle das Tier fest zuschnappt und nicht losläßt, so kann man
es an dem Faden, wie an einer Angel, aus seinem Trichter hervorziehen.
Das Schnappen erfolgt auch bei Berührung mit allen möglichen
Fremdkörpern, an welche das Tier gelegentlich stößt; nur muß der Stoß
einigermaßen heftig erfolgen. Tiere z. B., welche bei Lichtexperimenten
sehr lebhaft gegen die Lichtquelle kriechen (vgl. S. 75), stoßen oft,
wenn sie in größerer Anzahl beisammen sind, aneinander, fahren dann
aufeinander los und schnappen zu, lassen sich aber meist sogleich
wieder los.
Beim Schnappen fassen die Mandibel fest zusammen und lassen das, was
sie gefaßt haben, zunächst nicht los. So erklärt sich das Festhalten
der gefangenen Ameise, das Angelexperiment usw. Erst nach einigen
Minuten pflegen die offenbar tonisch kontrahierten Adduktoren wieder zu
erschlaffen und den festgehaltenen Gegenstand loszulassen. Sicherlich
sind auch dabei die von mir geschilderten Bremsvorrichtungen am
Basalteil von Maxille und Mandibel von Bedeutung (vgl. S. 12 und Abb. 6
u. 7).
Der Schnappreflex tritt selten ohne Beugung des Kopfes nach hinten
auf. Immerhin kommt es vor, daß ein Tier die Mandibel zuklappt, ohne
gleichzeitig eine Kopfbewegung nach rückwärts durchzuführen.
Fast stets sind Schnapp- und Schleuderreflex miteinander so
zeitlich verbunden, daß auf den Schleuderreflex der Schnappreflex
unmittelbar folgt. Näheres über die Lokalisierung dieser Reflexe im
Zentralnervensystem findet sich weiter unten.
Wir stellen also an dieser Stelle zusammenfassend fest, daß auch beim
Ameisenfang der wichtige +Schleuderreflex+ die Hauptbewegung ist; doch
kombiniert er sich für den speziellen Zweck mit dem +Schnappreflex+.
Der +Schleuderreflex+ erklärt nun einige weitere eigentümliche, beim
Ameisenfang zu beobachtende Ereignisse, die wir zum Teil früher schon
beschrieben haben. Es ist ja eine der merkwürdigsten Eigentümlichkeiten
des Ameisenlöwen, daß er durch Schleudern des Sandes eine ihm
entronnene Beute in seinen Besitz zu bringen vermag. Ist z. B. eine
Ameise beim Absturz seinen Mandibeln entronnen, so versucht sie
schleunigst die Böschung des Trichters hinaufzuklettern. Bei ihren
krampfhaften Bewegungen lösen sich Sandkörnchen los und rieseln auf das
Vorderende des Ameisenlöwen herab.
Der dadurch hervorgerufene Reiz hat einen Schleuderreflex zur Folge,
durch welchen oft sofort das Opfer herabbefördert wird. Mit den
hinunterrieselnden Sandkörnern und etwa mitgerissenen Teilen der
Böschung fällt es in die wieder aufgesperrten Mandibel des Räubers.
Gelingt aber das Herabschießen nicht sofort, so kann sich der
Schleuderreflex mehrmals hintereinander wiederholen. Früher oder
später wird fast immer die Beute getroffen. Aus einem in gutem Zustand
befindlichen Trichter entrinnt eine Ameise selten, wenn der Besitzer
nicht gerade vorher reichlich gefressen hat.
Bei dem Sandbombardement kann man leicht feststellen, daß kein Zielen
stattfindet; die Schüsse gehen nach den verschiedensten Richtungen,
wie wir oben auch für den Trichterbau feststellten. Aber dadurch,
daß in sehr rascher Folge die verschiedenen Seiten der Trichterwände
bestrichen werden, gerät der Sand auf der ganzen Böschung ins
Weichen, und die Ameise muß in das Zentrum des Trichters und in die
aufgesperrten Kiefer des Ameisenlöwen fallen.
Der ganze Vorgang ist ein rein automatischer; die Erreichung seines
Endzweckes beruht auf einem Zusammenwirken des Reflexes mit den
Eigentümlichkeiten des Körperbaues des Ameisenlöwen.
V. Sinnesorgane und Sinnesreaktionen des Ameisenlöwen.
In den nachfolgenden Abschnitten sollen die Ergebnisse dargestellt
werden, welche zahlreiche Experimente mir über die Sinnesreaktionen
des Ameisenlöwen geliefert haben. Wie man sehen wird, erlaubt die
Analyse der Sinnesreaktionen einen sehr tiefen Einblick in die kausalen
Grundlagen der komplizierten Handlungen dieses merkwürdigen Tieres.
Eine genügende Basis für die Untersuchung der Sinnesreaktionen haben
wir nur dann, wenn wir den Bau der Sinnesorgane hinreichend genau
kennen. Ich habe daher mit meinen experimentellen Untersuchungen eine
Erforschung des noch unvollkommen bekannten Baues der Sinnesorgane des
Ameisenlöwen verbunden. Ferner habe ich das Nervensystem des Tieres
wenigstens in seinen wesentlichen Grundzügen untersucht. Ich will
nun der Beschreibung der einzelnen Sinnesreaktionen die Schilderung
der zugehörigen Sinnesorgane vorausschicken, soweit ich solche habe
nachweisen und in ihrem Bau untersuchen können.
1. Bau und Funktion der Augen.
Die paarigen Augen des Ameisenlöwen stellen eigenartige kegelförmige
Vorragungen an den beiden äußersten Vorderecken des Kopfes dar. Sie
sind Höcker von unregelmäßig wulstiger Oberfläche, da die Linsen der
Einzelaugen sich jeweils halbkugelig über sie vorwölben. Die klaren
Linsen der Einzelaugen heben sich scharf von dem dunkelbraunen Chitin
des Augenkegels ab.
+R. Hesse+ war der erste, welcher die eigenartigen Augen der
Myrmecoleolarve untersuchte. Er beschreibt die Augen als an beiden
Seiten des Kopfes jederseits der Fühler auf zwei kleinen Höckern,
zu je +sieben+, nahe beieinander stehend; sechs davon seien von der
Dorsalseite sichtbar, das siebente nur von der ventralen. Da die Linsen
teils auf zapfenförmigen Vorragungen des Augenhöckers stehen, teils
aus dessen Wand sich direkt vorwölben, und da die Pigmentierung den
Augenhöcker selbst undurchsichtig macht, ist die Zählung nicht ganz
leicht (Abb. 24). Es wird oft ein Auge durch den Unterbau des anderen
oder durch Teile des Höckers verdeckt. An Exuvien, an denen das Pigment
aufgehellt war, glaubte ich manchmal 8 Augen zu zählen; sechs davon
sind immer deutlich von oben sichtbar, zwei nur von unten. Doch kam es
mir ebenso oft vor, als habe +Hesse+ recht und als fände sich nur ein
Auge auf der Unterseite, wie es auch die meisten früheren Untersucher
angegeben hatten.
Die Linsen sind bikonvex gewölbt und deutlich geschichtet; sie sind
sehr klar, durchsichtig und stark lichtbrechend. Sie heben sich sehr
stark von dem umgebenden pigmentierten Chitin ab. Auf den Schnitten
erkennt man, daß nur die äußerste Schicht dieses Zwischenchitins
pigmentiert ist.
[Illustration: Abb. 24. Rechtes Auge eines Ameisenlöwen, gesehen von
oben (o.) und von unten (u.).]
[Illustration: Abb. 25. Rechter Augenzapfen des Ameisenlöwen mit
umgebenden Haaren. Gesehen von oben und etwas von der Mediana. Vergr.
10mal.]
Wie schon +Hesse+ hervorhebt, sind die einzelnen Augen verschieden
gerichtet. Sie divergieren nicht unerheblich, und da der Strahlengang
durch die Lagerung des Pigments und die Form der Linse sicherlich
optisch sehr gut isoliert ist, müssen die einzelnen Augen ganz
verschiedene Sehfelder haben.
Von den 7 Augen ist eines fast horizontal nach vorn, zwei nach vorn
seitlich und eines nach hinten seitlich gerichtet. Die zwei auf der
oberen Fläche des Augenhöckers gelegenen sind nach oben und etwas nach
vorn resp. den Seiten gekehrt, während das einzige auf der Unterfläche
nach außen und hinten schaut (Abb. 25). So sind also Linsen nach
fast allen Seiten gerichtet; nur nach hinten ist keines der Augen in
ausgesprochener Weise gewendet. Da aber mehrere von ihnen auf stärker
vorragenden Zapfen sitzen, der ganze Augenhöcker sich nicht unerheblich
über die Kopfoberfläche erhebt und alle Linsen sehr stark gewölbt sind,
so können wohl auch Lichtstrahlen von hinten unter Umständen in eines
oder das andere der Augen gelangen.
[Illustration: Abb. 26. Schnitt durch das rechte Auge eines
Ameisenlöwen. Vergr. 25mal.]
Wie +Hesse+ hervorhebt, sind die Augen in ihrem Bau nicht ganz einfach;
zwischen Linse und Netzhaut ist ein Glaskörper eingeschaltet. Die
Netzhaut besteht aus einer größeren Anzahl von Sinneszellen.
Ueberlegen wir uns die Leistungsfähigkeit dieser Augen, so wäre
zunächst die Funktion jedes der Einzelaugen zu erörtern. Zum mindesten
sind die Augen als Richtungsaugen zu bewerten. Jedes einzelne Auge
ist geradezu wie ein kleines optisches Instrument gebaut. Es ist fast
röhrenförmig, und im durchscheinenden Präparat kann man deutlich
erkennen, daß von jeder Linse geradezu eine Röhre von Pigment
nach hinten führt, welche mit der pigmentierten Oberfläche die
Strahlenisolation sehr vollkommen bewirken muß.
Wir werden unten sehen, daß wir tatsächlich annehmen dürfen, daß das
Auge von Myrmeleo als Richtungsauge funktioniert.
Eine andere Frage ist es, ob es gleichzeitig Bilder der umgebenden
Objekte zu liefern vermag. Die große Anzahl von Sehzellen (30-40)
läßt es durchaus möglich erscheinen, daß Bilder von nicht allzu
umfangreichen Objekten wahrgenommen werden. Dabei müßte man allerdings
die Annahme machen, daß jedes der Augen ein eigenes Bild entwirft.
Zwar läßt sich bei Untersuchung der Augennerven nachweisen, daß die
Nerven aller Augen sich zu einem einheitlichen Strang vereinigen,
der einheitlich ins Gehirn eintritt. Auch ist in den Verlauf dieses
einheitlichen Sehnerven ein eigenartiges Gebilde eingeschaltet, welches
an ein Ganglion opticum erinnert, und welches dazu beitragen könnte,
die von den verschiedenen Augen aufgenommenen Eindrücke zu einem
einzigen zu vereinigen. Es bildet ja unzweifelhaft die Gruppe von Augen
bei Myrmecoleo eine Uebergangsform zwischen Ocellen und Komplexaugen
(Abb. 26).
Bis jetzt habe ich aber keinerlei Beobachtungen machen können, welche
dafür sprächen, daß die Wahrnehmung von Bildern umgebender Objekte
irgendeinen Einfluß im Leben des Ameisenlöwen ausübte. Annäherung
kleiner und größerer Gegenstände übte niemals irgendeinen wahrnehmbaren
Einfluß auf die Tiere aus. Ich habe viele Versuche gemacht mit
Annäherung von hellen und dunkeln, auch farbigen Gegenständen. Sie
lösten keinerlei Reaktion aus, ebensowenig wie plötzliche Beschattung
oder Belichtung mit Hilfe von kleinen Objekten. Auch in freier Natur
machte ich keine Beobachtungen, welche die Angaben früherer Autoren
hätten bestätigen können, daß ein Ameisenlöwe seine Beute mit den Augen
wahrnehme, um alsbald mit Sand nach ihr zu schießen. Wir haben gesehen,
daß das Schleudern des Sandes nach allen Seiten erfolgt, und ich konnte
stets im Freien ein Herabrieseln von Sandkörnern am Trichterrand
wahrnehmen, ehe der Ameisenlöwe zu schleudern begann. Ich führe daher
die Auslösung des Schleuderreflexes im Trichter vorwiegend auf taktile
Reize zurück.
Wir werden in dem kommenden Abschnitt sehen, daß die Ameisenlöwen
in der Richtung ihrer Bewegungen durchaus von dem Einfall der
Lichtstrahlen abhängig sind. Wir werden auch sehen, daß es nicht die
Lichtstärke, sondern die Richtung der Lichtstrahlen ist, welche dabei
maßgebend ist. Bei all jenen dort angeführten Versuchen konnte ich
niemals eine Reaktion auf Unterschiede der Lichtstärke feststellen.
Ich muß aber an dieser Stelle einfügen, daß es mir in einigen wenigen
Fällen gelang, bei Tieren, welche durch andauernde Versuche sehr stark
gereizt waren, eine Schreckreaktion auf Belichtung und Beschattung
nachzuweisen. Es war dies aber nur einmal bei zwei Exemplaren der Fall,
welche beim Anknipsen und Ausdrehen einer 32-kerzigen Metallfadenlampe,
sowohl beim Aufleuchten als beim Erlöschen der Flamme zusammenzuckten,
indem sie die Mundgliedmaßen schlossen, mit dem Hinterleib eine
zuckende und mit den Beinen eine scharrende Bewegung ausführten. Diese
Reaktion erfolgte im ganzen zweimal hintereinander und zwar bei beiden
Tieren. Ich konnte sie seither nie mehr herbeiführen und bin mir über
ihre Bedeutung nicht klar geworden.
Jedenfalls geht aus meinen Erfahrungen hervor, daß die Augen sehr
deutlich auf Licht reagieren. Ihr Bau ist nichts weniger als
rudimentär. Im Gegenteil -- wie schon +Hesse+ hervorhob -- stellen
sie eine Uebergangsbildung zwischen Ocellen und Komplexaugen dar. So
ist denn die seltsame Annahme von +Comes+, daß der Ameisenlöwe nicht
sieht, ganz aus der Luft gegriffen. Weder der Bau der Augen läßt eine
solche Annahme zu, noch, wie wir gleich sehen werden, seine Reaktionen.
Vollkommen haltlos ist die Behauptung von +Comes+, der Ameisenlöwe
müsse, wie etwa der Maulwurf, rudimentäre Augen haben, da er im Sand
wühlend lebe. Weder lebt das Tier im Sand wühlend, noch sind seine
Augen im geringsten rudimentär, wovon man sich bei ganz oberflächlicher
morphologischer Untersuchung leicht überzeugen kann. Und nun kommen
noch dazu die sehr charakteristischen Lichtreaktionen des Ameisenlöwen!
2. Die Lichtsinnesreaktionen.
Schon bei meinen ersten Versuchen im Jahre 1910 fiel mir auf, daß die
im Experiment ausgeführten Bewegungen des Ameisenlöwen durch das Licht
beeinflußt werden. Ja, schon die Orte seines Vorkommens im Freien und
die Körperhaltung der Tiere in ihren Sandtrichtern wiesen auf bestimmte
Beziehungen zum Lichte hin. Legt man eine Anzahl von Ameisenlöwen in
ein Gefäß auf einem Tisch, so kann man mit Sicherheit darauf rechnen,
nach einiger Zeit sämtliche Tiere an der Fensterseite angesammelt zu
sehen.
Um das Verhalten des Ameisenlöwen gegen das Licht zu prüfen, wurden
sehr zahlreiche Experimente durchgeführt. Im September 1912 wurden
Versuche mit Tieren gemacht, welche in einem dunkeln Kasten, in
den durch einen schmalen Schlitz von der einen Seite her Licht
einfiel, untergebracht waren. So wurden z. B. am 27. Sept. 3 Tiere in
verschiedenen Stellungen in den Schlitzkasten gesetzt. Nach 10 Minuten
hatten alle drei ihren Kopf vom Licht weggedreht, waren aber gegen das
Licht zu gekrochen. In einem zweiten Experiment wurden 3 Tiere mit
dem Kopf gegen das Licht zu parallel nebeneinander gestellt. Nach 10
Minuten hatten alle drei ihren Kopf vom Licht weggedreht und hatten
sich mit dem Hinterende voran dem Lichteinfall entgegenbewegt.
Diese Versuche wurden ergänzt durch Experimente, welche mit Tieren
in einer runden Glasschale mit flachem Boden von 35 cm Durchmesser
ausgeführt wurden. In deren Mitte wurden mehrere Ameisenlöwen in
beliebigen Stellungen hingelegt, nach einer halben Stunde waren sie
alle drei an der Lichtseite der einseitig beleuchteten Glasschale
angelangt, und zwar, wie ja nach dem, was wir über die Kriechbewegung
der Tiere kennen gelernt haben, selbstverständlich ist, mit dem
Hinterende voran. Darauf wurde die Schale um 180° gedreht; nach einer
halben Stunde waren sämtliche Individuen wieder mit abgewandtem Kopf
an der Lichtseite angelangt. Dies ließ ich mehrmals hintereinander
wiederholen, wobei die Reaktionszeit kürzer wurde und schließlich bis
auf 10 Minuten für den ganzen Vorgang herabsank.
[Illustration: Abb. 27. Rußspur der phototaktischen Bewegung eines
Ameisenlöwen. Von + her Lichteinfall. Vor der orientierten Bewegung
Versuchskreis.]
Die angeführten Versuche waren aber nicht genügend, um die
Reaktionsweise des Tieres richtig zu beurteilen. Denn bei der
Beobachtung des einzelnen Tieres stellte sich häufig heraus, daß
es, einseitig einfallenden Lichtstrahlen ausgesetzt, zunächst in der
Richtung von der Lichtquelle weg sich bewegte. Ueber die Zusammenhänge
wurde ich mir erst klar, als ich die Tiere dem einseitigen Lichteinfluß
auf einem rußgeschwärzten Registrierpapier aussetzte. Für dies
Experiment muß das Registrierpapier vollkommen eben ausgespannt sein.
Es muß ferner eine gewisse Länge und Breite haben, um dem Tier die
Möglichkeit zu gewissen Exkursionen zu geben, ohne daß es dabei an den
Rand des Papiers oder an einen festen Gegenstand gerät. Sonst würde die
Klarheit des Resultates durch die Interferenz mit anderen Reizwirkungen
getrübt, wie wir das später vor allem bei Besprechung der Thigmotaxis
genauer erörtern werden.
[Illustration: Abb. 28. Rußspur der phototaktischen Bewegung eines
Ameisenlöwen. Von + Lichteinfall.]
Die Kriechspur, welche ein Ameisenlöwe auf einem solchen,
unter Berücksichtigung aller Vorsichtsmaßregeln ausgespannten,
Registrierpapier bei einseitigem Lichteinfall hinterläßt, ist sehr
charakteristisch. Ist das Tier im Anfang des Experiments mit seinem
Hinterende direkt der Lichtquelle zugewandt, so kann es vorkommen,
daß es ohne weitere Körperbewegung direkt derselben entgegenkriecht.
Es kann aber auch bei dieser Anfangsstellung sich ereignen, daß es
zunächst Bewegungen ausführt, wie sie ganz regelmäßig sind, wenn das
Tier beim Beginn des Experiments in irgendeinem Winkel zum Einfall
des Lichtes angeordnet war oder gar auf den Rücken gelegt wurde. In
letzterem Fall dreht sich das Tier natürlich zunächst um, und dann
führt es bei jeder Anfangsstellung, die einen Winkel zum Einfall der
Lichtstrahlen bildet, ja auch dann, wenn es mit der Körperachse zu den
Lichtstrahlen parallel stand, dem Licht aber das Vorderende zuwandte,
einige charakteristische Bewegungen aus. Es macht nämlich, wie wir aus
den Kriechspuren direkt ablesen können, zunächst einen oder mehrere
Kreise oder Teile von solchen oder Spiralen mit dem Hinterende voran.
Das sind die typischen +Versuchsbewegungen+, der +Suchgang+ des Tieres
(vgl. S. 48). Oft haben diese Versuchskreise einen so großen Radius,
daß man ein recht großes Versuchsgefäß anwenden muß, damit das Tier
nicht an den Rand stößt, wobei Berührungsreize sein Verhalten stark
beeinflussen würden. Bei diesen Versuchsbewegungen gewinnt es offenbar
die richtige Orientierung zur Lichtquelle und wandert nun oft in langer
gerader Bahn auf sie zu, Beispiele hierfür liefern die Abb. 27, 28 und
Taf. I, Fig. 1.
Das Tier führt also so lange unorientierte Bewegungen aus, bis es
seinen Körper in eine symmetrische Orientierung zum einfallenden Licht
gebracht hat. Es handelt sich also um eine +Phototaxis+ im eigentlichen
Sinne des Wortes.
Man hat sich gewöhnt, die Orientierungsbewegungen beweglicher
Organismen unter der Bezeichnung +Taxis+ zusammenzufassen, und sie
damit den Erscheinungen des +Tropismus+ gegenübergestellt, unter
welchem Ausdruck man die durch Reize bewirkten Krümmungen festsitzender
Organismen versteht.
Hier bei dem Ameisenlöwen beobachten wir nun eine durch das Licht
beeinflußte, gerichtete Bewegung, eine +Phototaxis+. Solche
phototaktische Reaktionen sind bei vielen Organismen bekannt.
Meist handelt es sich um das Aufsuchen einer für die betreffende
Organismenart optimalen Beleuchtungszone. Beim genaueren Studium
der meisten „taktisch“ reagierenden Organismen hat es sich nun
herausgestellt, daß die Ansammlung in einer bestimmten Region auf eine
komplizierte Reizreaktion zurückzuführen ist. Bei solchen Tieren oder
Pflanzen läßt sich nämlich eine Unterschiedsempfindlichkeit gegen die
+Intensität+ einwirkender Reize nachweisen. Die Richtung, aus der
die reizauslösende Kraft den Organismus trifft, ist dabei mehr oder
weniger gleichgültig. Bei einer bestimmten Abweichung der Intensität
der einwirkenden Kraft vom Optimum nach oben oder nach unten, wobei
der Betrag des Unterschiedes, +die Reizschwelle+, einen bestimmten
Wert erreichen muß, führt der Organismus eine „Schreckbewegung“
aus, welche ihn in die Region des Optimums zurückführt. So werden
Tiere oder bewegliche Pflanzen in „chemischen Fallen“, „Lichtfallen“
usw. gefangen. Wo sie an eine Grenze der optimalen Region kommen,
schrecken sie zurück und werden in jener Zone auf diese Weise rein
automatisch festgehalten. Man bezeichnet diese Reaktionsweise als
„+phobotaktische+“ Bewegung. +Unterschiedsempfindlichkeit+ und
+Schreckreaktion+ spielen bei ihr die ausschlaggebende Rolle, maßgebend
ist die Intensität der einwirkenden Kraft, also des Lichtes, die
Konzentration der chemischen Substanz usw.
Im Anfang der auf die Untersuchung der Reizbewegungen gerichteten
Forschungen glaubte man in den Taxien stets Bewegungen erblicken zu
müssen, welche die Einstellung des Körpers des betreffenden Organismus
in eine bestimmte Bewegungsrichtung bewirkten. Man nahm an, daß die
Organismen sich in ein Kraftfeld einstellten, wobei die symmetrisch
einander entsprechenden Teile des Körpers eine symmetrische Stellung zu
den Kraftlinien einnähmen. Man nannte diese Art der Körpereinstellung
„+topotaktische+“ Bewegung. Der Organismus stellt bei dieser Art
der Reaktion die Hauptachse seines Körpers in einer bestimmten
Weise zur Richtung der den Reiz auslösenden Kraft ein. Die meisten
Reizreaktionen, welche man ursprünglich für derartige topotaktische
hielt, haben sich bei genauerer Analyse als phobotaktische
herausgestellt. Nur die +Galvanotaxis+ der Infusorien scheint noch ein
einwandfreier Fall topotaktischer Reizeinstellung zu sein.
Es ist nun bemerkenswert, daß die auffälligste Lichtreaktion des
Ameisenlöwen durchaus eine topotaktische Reaktion zu sein scheint.
Einige Experimente zeigten mit aller Deutlichkeit, daß beim
Ameisenlöwen die Richtung der einfallenden Lichtstrahlen eine
symmetrische Einstellung des Tierkörpers und die aus ihr sich
ergebende Richtung der Bewegung des Tieres bestimmen. Ein Experiment
bestand darin, daß Exemplare des Ameisenlöwen auf eine Drehscheibe
gelegt wurden, welche einseitig einfallendem Licht ausgesetzt wurde.
Die Drehscheibe wurde langsam gedreht, da die Ameisenlöwen, wie wir
gesehen haben, ziemlich langsam reagierende Tiere sind. In den meisten
Fällen mußte man nach einer teilweisen Umdrehung die Drehscheibe
anhalten; dann stellte sich nach einigen Sekunden bis Minuten das Tier
mit der Hinterleibsspitze voran in die Richtung der einfallenden
Lichtstrahlen. Bei besonders erregbaren Individuen, oder, wenn man die
Erregbarkeit durch Erwärmung oder andere Hilfsmittel gesteigert hatte,
konnte man selbst bei andauernder langsamer Drehung der Drehscheibe ein
fortgesetztes ruckweises Einstellen der Hinterleibsspitze gegen die
Richtung der Lichtquelle beobachten.
[Illustration: Abb. 29. Vollkommen unorientierte Bewegungen von drei
Individuen in diffusem Licht.]
[Illustration: Abb. 30. Rußspuren von zwei Individuen A und B in
vollständiger Dunkelheit. Beobachtungszeit 11ᑋ 45′ bis 12ᑋ 45′.
Bewegungen vollkommen unorientiert (Versuchsbewegungen). Relativ
lebhafte Bewegung.]
Zur Ergänzung dieser Versuche wurden Ameisenlöwen vollkommen diffusem
Tageslicht oder ebensolchem künstlichen Licht ausgesetzt. Da die
Tiere sich in solchem meist sehr träge bewegen, ist es nicht leicht,
festzustellen, ob sie überhaupt von dessen Einwirkung beeinflußt
werden. Hat man mehrere Individuen auf eine Versuchsplatte gesetzt,
so kann man, nachdem das Licht eine längere oder kürzere Zeit
eingewirkt hat, feststellen, daß die verschiedenen Individuen nach den
verschiedensten Richtungen orientiert sind. Bei diesen Experimenten
wurde in Zeitabständen von 10 Minuten, einer halben Stunde, 1, 2, 3,
6, 12 und 24 Stunden beobachtet. Diese Experimente wurden weiterhin
dadurch kontrolliert, daß die Tiere der Einwirkung des diffusen Lichtes
auf berußtem Registrierpapier ausgesetzt wurden. Wie z. B. die Abb. 29
zeigt, haben während der Versuchsdauer die Tiere zahlreiche, vollkommen
unorientierte Bewegungen ausgeführt. Sie sind im Kreis, in Spiralen, in
Schlangenlinien und in allen möglichen Windungen umhergekrochen; kurz
sie haben nur Versuchsbewegungen ausgeführt. Ganz das entsprechende
Bild zeigt sich, wenn starkes Licht direkt von oben auf die
Versuchstiere fällt; es wirkt dann vollkommen wie diffuses Licht, dem
es ja auch im Reizeffekt entsprechen muß (Taf. III, Fig. 3), da es nur
indirekt zu den Augen gelangt.
Ebenso unorientiert sind die Bewegungen, welche die Tiere bei
vollkommener Dunkelheit ausführen. Dies ließ sich natürlich nicht
direkt beobachten; das Registrieren (Abb. 30) verrät uns aber auch
in diesem Fall, daß während der Versuchsdauer die Bewegungen ganz in
derselben Weise verliefen, wie im diffusen Licht. Ein Vergleich der
beiden nebeneinander stehenden Abbildungen S. 72 und 73 zeigt dies aufs
deutlichste. Besonders auffallend ist bei den letzteren Versuchen, daß
die Tiere sich oft lange Zeit hindurch in einem engen Kreis an Ort und
Stelle bewegen.
[Illustration: Abb. 31. Vollkommen unorientierte Versuchsbewegungen
eines Tieres mit lackierten Augen bei von + einfallendem einfarbigem
starkem Licht.]
Von Bedeutung waren die Versuche, welche ich mit Tieren anstellte,
deren Augen durch Bepinseln mit Asphaltlack der Wirkung der
Lichtstrahlen entzogen waren. Waren beide Augen gleichmäßig gut
lackiert, so verhielt sich das Tier genau so wie die Individuen im
diffusen Licht oder in völliger Dunkelheit; die Bewegungen waren
vollkommen unorientiert. Die Aufzeichnung (Abb. 31 und 32) zeigt dies
deutlich.
Es fragt sich nun, ob außer dieser ausgesprochen topischen Reaktion
auch eine phobotaktische Beeinflussung bei dem Ameisenlöwen
vorkommt. Es wäre ja möglich, daß eine Unterschiedsempfindlichkeit
für Belichtung von verschiedener Intensität bei dem Tiere vorhanden
wäre, welche unter Umständen die Individuen zwänge, sich in einem
bestimmten Beleuchtungsoptimum anzusammeln. Verschiedene Beobachtungen
scheinen für eine solche Annahme zu sprechen. Schon die Beobachtung
in der freien Natur könnte darauf hinweisen. Wir finden ja die
Fundorte der Ameisenlöwen an Orten mit einer ziemlich gleichmäßigen
Beleuchtungsintensität.
[Illustration: Abb. 32. Rußspur der Versuchsbewegungen eines Exemplars
mit lackierten Augen bei einseitig von + einfallendem Licht. Bewegung
unorientiert, vom Licht abgewandt.]
Bei den vorhin beschriebenen Experimenten hatte sich gezeigt, daß
Uebertragung in völlige Dunkelheit bei normalen Tieren eine erhöhte
Beweglichkeit auszulösen pflegt. Die Tiere führen eine Menge von
Versuchskreisen in verhältnismäßig kurzer Zeit aus; das dauert
ziemlich lange, wenn nicht irgendein neuer Reiz sie zwingt, eine
bestimmte Richtung einzuschlagen. Dazu kam noch folgende Beobachtung.
Bei den Versuchen, welche das Vorhandensein der topotaktischen
Lichtorientierung bewiesen, wurden die Tiere vielfach in großen
Glasaquarien dem von einer Seite einfallenden Licht ausgesetzt.
Einerlei nun, ob das Licht stark oder schwach war, kamen in vielen
Fällen die zur Lichtquelle hinkriechenden Tiere an der dieser
zugekehrten Wand des Aquariums nicht zur Ruhe. Sie arbeiteten
vielmehr in unablässigen Bewegungen mit dem Hinterende voran
gegen die Aquarienwand, wobei sie oft ihren Hinterleib senkrecht
aufrichteten und immer wieder umfielen; trotzdem ließen sie nicht
ab von ihren Bemühungen. Es ist dies um so bemerkenswerter, als, wie
wir später sehen werden, die Berührung mit den beiden in der Kante
zusammenstoßenden Aquarienwänden einen starken thigmotaktischen Reiz
auf sie ausüben mußte, der sie unter anderen Umständen zu einer ganz
anderen Orientierung gezwungen hätte. Allerdings zeigte sich diese
große Beweglichkeit fast nur bei Tieren, welche durch wiederholte Reize
erregt waren. Immerhin lag die Möglichkeit vor, daß sie sich andauernd
bewegten, da die Lichtintensität, der sie ausgesetzt waren, nicht ihrem
Optimum entsprach.
Um also die Frage nach einer vorhandenen phobischen Lichtreaktion zu
klären, mußten neue Versuche angestellt werden, welche bei der trägen
Beweglichkeit, der Körpergröße der Tiere und den vielen Fehlerquellen,
welche durch ihre eigenartige Reizbiologie bedingt sind, sehr schwierig
durchzuführen waren.
Sehr starkes diffuses Licht scheint die Bewegung der Tiere eher zu
lähmen als zu steigern. In sehr starkem Licht blieben bei vielen
Versuchen die Tiere oft stundenlang ganz regungslos liegen. Das war
allerdings nur dann der Fall, wenn durch besondere Einrichtungen
verhindert war, daß die Umgebung der Tiere sich erheblich erwärmte.
Eine Reihe von Versuchen wurde in der Weise angestellt, daß ein Gefäß
durch Anwendung eines Deckels in der einen Hälfte verdunkelt wurde,
während die andere Hälfte stark beleuchtet wurde. Ohne daß wesentliche
Unterschiede zutage traten, wurden zur Beleuchtung elektrisches
Bogenlicht von etwa 1000 HK, elektrisches Glühlicht von 50 und 100 HK,
direktes Sonnenlicht und einseitig einfallendes Tageslicht verwendet;
es mußte nur verhindert werden, daß jene künstlichen Lichtquellen
den Untergrund erwärmten (vgl. unten S. 80). Die Versuche wurden in
der Weise angestellt, daß in beiden Hälften des Gefäßes, sowohl in
der Licht- als auch in der Dunkelhälfte Ameisenlöwen auf berußtem
Registrierpapier niedergesetzt wurden. Zwischen den Tieren in den
beiden Hälften zeigte sich insofern ein Unterschied, als die Exemplare
in der Lichthälfte meist viel länger unbeweglich blieben und sich
auch später viel weniger bewegten als die Tiere der Dunkelhälfte.
Bei ihren Bewegungen passierten nun Tiere aus beiden Hälften
gelegentlich die Schattengrenze. Dabei stockten sie in keiner Weise,
wie sowohl direkte Beobachtung zeigte als auch das seltene Vorkommen
von Versuchsbewegungen an den Kriechspuren zu schließen erlaubt. Es
schien also keine Unterschiedsempfindlichkeit in Frage zu kommen. Ein
Unterschied zeigte sich insofern, als die Tiere der Dunkelhälfte,
sobald sie in der Nähe der Schattengrenze in den Bereich der
Lichtstrahlen gelangten, durch dieselben orientiert wurden und darauf
vielfach geradeswegs der Lichthälfte zukrochen; denn auch bei der
Anwendung diffusen Lichtes erfolgt ein Lichteinfall schief von oben am
Deckel vorbei von der Lichthälfte in die Dunkelhälfte hinein. Für die
Tiere in der Dunkelhälfte gibt es also eine lokalisierte Lichtquelle,
nach der sie sich orientieren können (vgl. hierzu die Rußspuren Fig. 4,
Taf. IV, und Fig. 5 u. 6, Taf. V u. VI).
[Illustration: Abb. 33. Lichtversuch in parallelen, halbverdunkelten
Kästen.]
Daß die Unterschiedsempfindlichkeit keine wesentliche Bedeutung bei
den Lichtreaktionen der Ameisenlöwen hat, geht aus folgenden Versuchen
hervor. Einige Kästen wurden parallel nebeneinander aufgestellt (Abb.
33). Licht fiel auf sie von einer Seite her ein. Nun wurden einige
dieser Kästen in der dem Lichte zugewandten (Abb. 33 _a_ und _b_),
andere in der dem Lichte abgewandten Hälfte verdunkelt (Abb. 33 _c_
und _d_). In sie wurden Ameisenlöwen entweder in die dunkle oder in
die helle Hälfte gesetzt. Die in die helle Hälfte gesetzten Tiere
krochen stets, wie nach unseren früheren Versuchen vorauszusehen war,
der Lichtquelle zu. Im Falle also die abgewandte Hälfte verdunkelt
war, kamen sie gar nicht in die dunkle Hälfte hinein (Abb. 33 _d_). Im
anderen Falle krochen sie unter dem Einfluß der richtenden Strahlen auf
die dunkle Hälfte los und überschritten ohne Stocken die Schattengrenze
(Abb. 33 _a_). In der dunklen Hälfte machten sie Versuchsbewegungen,
welche sie eventuell wieder unter den Einfluß des Lichtes brachten.
Die von vornherein in die dunkle Hälfte gesetzten Individuen führten
zunächst Versuchsbewegungen aus, welche ziemlich komplizierte Wege
einschlagen und recht lange dauern konnten; falls sie dabei zufällig in
den Bereich der Lichtstrahlen gelangten, orientierten sich die Tiere
sofort nach dem Einfall des Lichtes. In den Kästen also, in denen die
dunkle Hälfte an der lichtabgewandten Seite sich befand, überschritten
die Tiere ohne Stocken die Lichtgrenze und bewegten sich im hellen
Gebiet geradlinig der Lichtquelle zu (Abb. 33 _c_). Die Individuen
in dem Kasten, dessen verdunkelte Seite der Lichtquelle zugewandt
war, gerieten nur gelegentlich bei Versuchsbewegungen, bei denen auch
sie ohne Zögern die Schattengrenze überschritten, so weit ins Helle,
daß die richtenden Lichtstrahlen auf sie einwirken konnten (Abb. 33
_b_). Sie kehrten dann um und überschritten wiederum ohne Stocken die
Schattengrenze, um im Dunkeln von neuem Versuchsbewegungen auszuführen.
Daß an der Schattengrenze mitunter Versuchsbewegungen vorkommen (vgl.
Taf. IV, Fig. 4; Taf. V, Fig. 5), mag sich aus der Einwirkung des
richtenden Reizes des Lichtes erklären. Jeder neue Reiz kann, wie wir
sahen, vor der Orientierung zunächst Versuchsbewegungen auslösen.
Weiterhin wurden Versuche angestellt, bei denen abgestufte Helligkeiten
den Ameisenlöwen dargeboten wurden, so daß sie die Möglichkeit gehabt
hätten, eine für sie optimale Region aufzusuchen.
Zunächst wurden die Tiere einem gleichmäßigen Lichtgefälle ausgesetzt,
wie es durch Anwendung eines +Oltmannsschen Prismas+ erzeugt wird.
Kollege +Oltmanns+ war so liebenswürdig, mir einige dieser Apparate zur
Verfügung zu stellen, welche er seinerzeit bei seinen Versuchen über
die Lichtreaktionen von +Volvox+ benützt hatte. Diese Prismen bestehen
aus zwei im spitzen Winkel zueinander geneigten Glasscheiben, zwischen
welche mit Tusche grau gefärbte Gelatine gegossen ist. Es wird dadurch
erzielt, daß an dem Ende, an welchem die Glasplatten zusammenstoßen,
durch die hier dünne Schicht reichlich Licht durchfällt, während am
entgegengesetzten Ende die dickere Schicht das Licht zum großen Teil
absorbiert. Die gleichmäßige Verschmälerung des Zwischenraumes hat eine
gleichmäßige Zunahme des durchfallenden Lichtes zur Folge.
Setzte ich nun Tiere diesem Lichtgefälle aus, so krochen sie stets aus
der dunklen Hälfte in die helle Hälfte. Wie aber die Rußspur Taf. VII,
Fig. 7 RR zeigt, handelte es sich von vornherein nicht um bestimmt
gerichtete Bewegungen. Unter zahlreichen Versuchsbewegungen strebten
die Tiere im großen und ganzen dem hellen Ende der Versuchsfläche zu.
Aber auch dort setzten sie ihre Versuchsbewegungen fort, die sie oft
wieder in das dunkle Ende zurückführten. Eine Ansammlung oder auch
nur ein längerer andauernder Aufenthalt der Versuchstiere in einer
Region von bestimmter Lichtintensität ließ sich nicht mit Sicherheit
nachweisen. Immerhin zeigte die Fig. 7 RR der Tafel VII eine gewisse
Verdichtung der Spuren in einer Region von mittlerer Helligkeit. Das
stimmt mit den Resultaten einer größeren Anzahl von anderen Versuchen
überein, in denen durch übereinander gelegte Papierblätter das auf die
Versuchsfläche einfallende Licht in verschieden hohem Maße abgeblendet
war. Auch dann zeigte sich nicht selten ein durch Anhäufung der Spuren
gekennzeichneter Aufenthalt der Tiere in einer Region von mittlerer
Helligkeit.
Bei den früheren Versuchen haben wir aber gesehen, daß die Tiere
nicht eine mittlere Helligkeit aufsuchen, sondern daß ein Optimum für
sie weit höher liegen müßte, falls überhaupt ein solches für sie in
Betracht kommt.
Einige Versuche, die weiterhin zur Klärung dieser Frage angestellt
wurden, sowie gelegentliche Nebenergebnisse früher erwähnter Versuche
lassen für diese Anhäufung der Spuren in einer bestimmten Region eine
andere Deutung zu. Verdunkelt man beide Enden eines Versuchskastens, so
daß nur in der Mitte senkrecht von oben her Licht einfallen kann, so
führen die Tiere, in das belichtete Feld gesetzt, Versuchsbewegungen
aus, bei denen sie mehr oder weniger tief in den Schatten hineingeraten
können. Die Bewegungen sind in dem diffusen Oberlicht, unseren
früher gemachten Erfahrungen entsprechend, unorientiert. Ebenso
unorientiert werden sie oft, wenn die Tiere tief in die Schattenregion
hineingeraten. Es kommt aber häufig vor, daß die Tiere sich lange
an der Licht-Schattengrenze entlang und dieser parallel bewegen.
Dabei zeigen sie eine ausgesprochene Tendenz, sich immer wieder dem
Lichtfeld zuzuwenden. Ganz entsprechend verhielten sich die Tiere bei
den früher geschilderten Versuchsanordnungen, wenn das Licht von der
Seite her einfiel, auf welcher die Versuchsfläche durch einen Deckel
verdunkelt war. Die Fig. 6 FF, Taf. VI, und Fig. 4 GG, Taf. IV, zeigen
die Kriechspuren von Tieren, welche bei dieser Versuchsanordnung ins
Dunkle gesetzt worden waren und dort Versuchsbewegungen ausführten, die
sie in den Bereich des einfallenden Lichtes führten. Sie krochen dann
in das helle Feld, gerieten unter den Einfluß des einseitigen starken
Lichtes, wurden durch dasselbe wieder an die Licht-Schattengrenze
gelockt und führten an dieser entlang Versuchsbewegungen aus, die
sie bald ins Licht, bald wieder in den Schatten führten. Hier
scheint es sich sicherlich nicht um eine Unterschiedsempfindlichkeit
zu handeln, sondern um die Einwirkung der abwechselnd von der
einen und dann von der anderen Seite einfallenden Lichtstrahlen.
Unterschiedsempfindlichkeit brauchen wir also zur Erklärung dieser
Erscheinungen nicht anzunehmen, wenn es auch möglich ist, daß eine
solche vorhanden ist. Jedenfalls weist die Tatsache, daß die Tiere
jedesmal eine gewisse Zeit brauchten, ehe sie nacheinander auf die
Einwirkungen der schwächeren und stärkeren, abwechselnd von links und
rechts auf sie fallenden Lichtstrahlen reagierten, darauf hin, daß eine
Adaptation an die Lichtstärke vorkommt.
3. Temperatursinn und Thermotaxis.
Bei den Vorbereitungen zu einigen Experimenten hatte ich an den
Ameisenlöwen Reaktionen beobachtet, welche auf das Vorhandensein eines
Temperatursinnes schließen ließen. Als ich z. B. zur Untersuchung des
Umdrehreflexes Tiere mit Hilfe eines Wachstropfens an einem Faden
aufhängte (vgl. S. 43), führten sie bei Annäherung einer warmen Nadel
oder eines erhitzten Spachtels sehr lebhafte Bewegungen aus. Es hatte
nicht den Anschein, als wären diese Bewegungen nur auf eine Erhöhung
der Stoffwechselprozesse zurückzuführen; denn die Bewegungen bestanden
in den typischen Reflexen, welche auch auf andere Reize hin erfolgen.
Es waren Bewegungen mit den Beinen, mit dem Hinterleib und vor allem
der typische Schleuderreflex. Um diese Reflexe auszulösen, mußte ein
ziemlich stark erwärmter Gegenstand sehr nahe an den Tierkörper
herangebracht werden. Natürlich wurde sorgfältig eine Berührung mit dem
Tierkörper selbst vermieden.
Das Vorkommen des Ameisenlöwen in freier Natur weist darauf hin, daß
ein Wärmesinn bei diesem Tier möglicherweise eine Rolle spielen kann.
Er kommt nämlich niemals an feuchten, kühlen und schattigen Orten vor.
Im Innern des Waldes, wo die Sonne nicht hinscheint, fehlt er. Dies
könnte nun auf den Einfluß zurückzuführen sein, den die Feuchtigkeit
auf die Beschaffenheit des Untergrundes hat. Das spielt sicher eine
gewisse Rolle, aber daß es nicht der ausschlaggebende Faktor ist,
dafür spricht die Tatsache, daß fast stets die Ameisenlöwen an Nord-,
Nordost- und Nordwestabhängen unserer Mittelgebirge fehlen, auch
wenn das Gelände offen und die Untergrundverhältnisse die denkbar
günstigsten sind.
Auch sonst bei Insekten, besonders bei Ameisen und Bienen, hat man
Erscheinungen beobachtet, welche als Anzeichen eines Temperatursinnes
betrachtet worden sind. Ein solcher ist aber niemals durch eingehendere
experimentelle Untersuchungen festgestellt worden. Ich habe daher
bei dem Ameisenlöwen eine Reihe von Versuchen ausgeführt, welche mir
ein gesetzmäßiges Reagieren des Tieres auf Temperaturunterschiede
sicherzustellen scheinen.
Selbstverständlich muß bei derartigen Untersuchungen in Betracht
gezogen werden, daß höhere Temperaturen die Beweglichkeit des Tieres
stark erhöhen. Die ausgiebigsten Wanderungen machen die Tiere, die
schönsten Trichter bauen sie, den Sand schleudern sie am weitesten,
wenn sie bei einer Temperatur von 25-30° C gehalten werden. Hält
man sie in vollkommener Dunkelheit auf einem gleichmäßig erwärmten
Untergrund, so führen sie außerordentlich lebhafte Bewegungen aus, wie
man daraus erkennen kann, daß ein Registrierpapier schon nach einer
halben Stunde von ihren Spuren nach allen Richtungen durchzogen wird.
Dabei handelt es sich, wie die Kreise, Bogen und Spiralen der Fährten
erkennen lassen, um typische Versuchsbewegungen (s. Rußkurven Taf. II,
Fig. 2).
Um festzustellen, ob die Wärme des Untergrundes auf die Bewegung der
Tiere einen richtenden Einfluß ausübt, brachte ich sie zunächst in
ein Sandbad, welches von der Seite her erwärmt wurde. Die durch einen
Mikrobrenner erzeugte Wärme pflanzte sich in der dicken Sandschicht
so langsam fort, daß an dem einen Ende eine Temperatur von 35° C,
an dem anderen Ende, 40 cm davon entfernt, eine solche von nur 20°
C herrschte. Dazwischen fanden sich Stellen, an denen sich an der
Oberfläche des Sandes 30 und 25° C messen ließen. Ich setzte nun an
die vier den angegebenen Temperaturen entsprechenden Stellen je einen
Ameisenlöwen. Alle vier gruben sich innerhalb von 5 Minuten vollkommen
ein und hatten in ebenso kurzer Zeit je einen tiefen, gleichmäßigen
Trichter ausgeworfen. Die Temperatur hatte sie in der Wahl des
Ortes, an dem sie sich eingruben, nicht beeinflußt. Sämtliche ihnen
dargebotenen Temperaturen waren für ihre Bewegungen geeignet gewesen;
und, wie wir später sehen werden, mußte der Berührungsreiz der rauhen
Sandoberfläche über den Wärmereiz überwiegen.
Das zeigte sich schon deutlich bei einigen Kontrollexperimenten,
welche ich an dieses erste anschloß. Ich setzte auf das Sandbad
Schalen aus Glas oder aus Papier-mâché, deren Innenseite vollkommen
glatt war. Die Substanz dieser Schalen nahm nach etwa einer halben
Stunde Temperaturen an, welche genau entsprechend denjenigen des
darunterliegenden Sandes abgestuft waren, wie ich durch Messungen
mit kleinen Quecksilberthermometern feststellte. Ich regulierte die
Temperatur wiederum in der Weise, daß sie von 35° auf 20° C abfiel.
Setzte ich in diese Schalen Exemplare von Ameisenlöwen an verschiedenen
Stellen des Bodens nieder, so fanden sie sich nach Ablauf von einer
halben bis dreiviertel Stunde fast alle in der wärmeren Hälfte des
Gefäßes angesammelt. Das gleiche Resultat ergab sich bei Wiederholungen
dieses Versuches. Aber es war kein glattes und klares Resultat; denn
einzelne Individuen waren immer durch Interferenz von Licht und
Berührungsreizen am Aufsuchen der Wärmeregion verhindert. Um saubere
Ergebnisse zu erlangen, führte ich die Versuche im Dunkeln weiter. In
der vollkommen lichtdichten Dunkelkammer wurden breite Flächen von
berußtem Registrierpapier auf dem Boden von Glasaquarien ausgespannt,
welch letztere in Sandbäder gestellt wurden. Auch da ließ sich durch
Anwendung eines Mikrobrenners eine gleichmäßig abgestufte Temperatur
erzielen, welche sich auch dem Registrierpapier mitteilte. Bei dem
ersten Versuch, welcher eine Stunde lang dauerte, hatten die Tiere,
wohl unter der vereinigten Einwirkung von Dunkelheit und Wärme, sehr
lebhafte Versuchsbewegungen ausgeführt. Es zeigte sich dabei deutlich,
daß diejenigen Individuen, welche ohne weitere Störungen in die Region
von etwa 28-35° geraten waren, sich dauernd in derselben bewegten. Das
gleiche Resultat ergaben weitere Experimente (Rußaufzeichnung Taf. IX,
Fig. 9).
Aus ihnen folgt also, daß die Tiere eine deutliche
Unterschiedsempfindlichkeit für verschiedene Temperaturen besitzen.
Das Optimum für sie liegt auffallend hoch. Sie suchen es auf, indem
sie bei ihren Versuchsbewegungen eine Wendung ausführen, wenn sie
in eine Region von zu hoher oder zu niedriger Temperatur gelangen.
Die hohe Temperatur veranlaßt sie zu andauernden, sehr lebhaften
Bewegungen, welche sie aber stets nur bis zur Grenze der optimalen
Region führen. Sind also Tiere bei ihren Versuchsbewegungen, bei ihrem
Suchgang, in die optimale Region geraten, so sind sie gleichsam in
einer +Temperaturfalle+ gefangen, aus der sie nicht mehr heraus können.
Es liegt also eine ganz ähnliche Beeinflussung durch die Wärme vor,
wie sie +Jennings+ bei seinen bekannten Versuchen mit Infusorien für
chemische und andere Einflüsse nachgewiesen hat.
+Comes+ gibt in einer am Schluß des letzten Kapitels kritisch
besprochenen Arbeit an, daß der Ameisenlöwe stets den höheren
Temperaturen zustrebe. Aus seinen Angaben ist nicht mit Sicherheit
zu entnehmen, wie er seine Experimente angestellt hat. Nur das ist
sicher, daß er den Einfluß des Einfalles der Lichtstrahlen nicht
ausgeschaltet hat. Ferner hat er zum Nachweis der Wärmeempfindlichkeit
den Trichterbau seiner Versuchstiere herangezogen. Wir haben aber
oben gesehen, daß die Ameisenlöwen bei jeder günstigen Temperatur auf
geeignetem Untergrund stets sofort zu bauen beginnen. Da aus +Comes’+
Angaben hervorzugehen scheint, daß für den Ameisenlöwen keine optimale
Temperatur vorliegt oder doch jedenfalls das Maximum sehr hoch liegt,
so habe ich noch einige Ergänzungsversuche zur Kontrolle seiner
Angaben angestellt. Durch Einrichtung eines Sandbades mit Stoffen von
sehr verschiedener Wärmeleitung gelang es mir, auf dem Raum von ½ m
Abstufungen von 15-70° C zu erzielen. Das Sandbad war mit Torfmull,
Sand + Torfmull, Quarzsand und Eisenfeilspänen in verschiedenen Lagen
angefüllt. Im Dunkeln angestellte Versuche (23. Okt. 1915) ergaben
wiederum eine Tendenz der Tiere, sowohl die niedere als die hohe
Temperaturzone zu vermeiden. Sie sammelten sich zwischen 25° und
40° C an, indem sie sowohl aus der kühlen als auch der heißen Zone
wegkrochen. Wiederum wurden zuerst Versuchsbewegungen ausgeführt. Die
optimale Zone wurde im Verlauf von solchen erreicht, und ihre Grenzen
dann nicht mehr überschritten. Nur aus dem Gebiet der größten Hitze
erfolgte nach kurzen Versuchsbewegungen ein offenbar rascher Rückzug.
Immerhin ist es möglich, daß unsere einheimischen Ameisenlöwen an
ein tieferes Temperaturmaximum angepaßt sind als die sizilianischen.
Dort mögen in den Sommermonaten im Sand wohl Temperaturen von 60-70° C
erreicht werden.
Nach der oben von uns gegebenen Definition liegt also eine
ausgesprochene phobische +Thermotaxis+ vor. Das erzielte Ergebnis
veranlaßte mich, etwas eingehendere Versuche über den +Temperatursinn+
selbst und seinen Sitz anzustellen. Die Versuche wurden in der Weise
ausgeführt, daß eine dünne, spitze erwärmte Stahlnadel in die Nähe
der Körperoberfläche des Tieres gebracht wurde. Die Nadel mußte sehr
warm sein, wenn sich überhaupt eine Reaktion zeigen sollte. Sie zeigte
sich aber dann schon, wenn die Nadel bis auf ½ cm der Körperoberfläche
genähert wurde. Die Reaktion auf die Annäherung der Nadel war dann
sehr charakteristisch und präzis. Es erfolgte ein deutliches, oft
lebhaftes Zurückweichen des Tieres. Als empfindlich gegen die von der
Nadel ausstrahlende Wärme erwiesen sich Mandibel, Kopf, Hals, Beine,
Vorderrumpf und Schultern sowie, in geringerem Grade, das Hinterteil
des Abdomens.
Bei diesen Versuchen stellte sich eine ähnliche lokale Reizbarkeit
heraus, wie wir sie später beim Studium der Tastreize kennen lernen
werden. Bei Reizung der Seitenteile des Körpers erfolgte eine
Kopfwendung nach der Seite, an welcher der Reiz appliziert worden
war. Selten kam es bis zur Ausbildung des Schnappreflexes. Stets
wich das Tier vor der Hitze zurück; ja der Wärmereiz veranlaßte es
unter Umständen sogar, seine Fluchtbewegungen in der Richtung mit dem
einfallenden Licht durchzuführen.
Die Ergebnisse dieser Versuche könnten wohl als Beweis für das
Vorhandensein eines Wärmesinnes gedeutet werden. Ich habe allerdings
vergeblich nach Sinnesorganen oder freien Nervenendigungen in der
Körperoberfläche des Tieres gesucht, welche man als die spezifischen
Apparate des Wärmesinnes betrachten könnte. Wir haben ja allerdings
früher schon erfahren, daß die Körperoberfläche der Ameisenlöwen von
einem dichten Mantel von Sinneshaaren bedeckt ist; wir sahen auch, daß
diese Haare in ihrem Bau erheblich voneinander abweichen. Es wäre daher
immerhin möglich, daß einer dieser Haartypen etwas mit dem Wärmesinn
zu tun hat. So dachte ich eine Zeitlang, die eigenartigen Gabelhaare
des Abdomens könnten dem Wärmesinn dienen. Ich mußte von dieser Annahme
zurückkommen, als ich feststellte, daß Wärmeempfindlichkeit auch in den
Regionen nachweisbar ist, z. B. am Kopf, wo keine solchen Gabelhaare
vorkommen. Wahrscheinlicher scheint mir die Annahme, daß dieselben
Sinneshaare, welche den Tastsinn vermitteln, auch die Werkzeuge des
Wärmesinnes sind. Sie wären dann Wechselsinnesorgane im Sinne von
+Nagel+. Man wird dabei kaum daran denken, daß die zentripetale
Nervenfaser verschiedenartige Erregungen dem Zentralnervensystem
zuzuleiten vermag. Es wird sich wohl in Uebereinstimmung mit der
Theorie von +Johannes Müller+ um spezifische Energien handeln, welche
die Leitungsbahn durchlaufen. Ihre Erregung wird aber durch eine
Transformation im Empfangsapparat veranlaßt werden. Nun kann man
sich sehr gut vorstellen, daß eine ganz entsprechende Erregung der
Nervenendfasern sowohl durch mechanische Berührung der Tasthaare als
auch durch eine etwa eintretende Deformation derselben durch die Wärme
erfolgen könnte. Letztere Annahme läge besonders bei dünnwandigen und
hohlen Haartypen nahe.
Einige weitere Versuche wurden angestellt, um Aufschluß darüber
zu verschaffen, ob etwa auch ein +Kältesinn+ bei den Ameisenlöwen
nachweisbar sei. Bekanntlich sind beim Menschen Kälte- und Wärmesinn
voneinander vollkommen getrennt und vielfach auf gesonderte
Hautgebiete beschränkt. Wir haben auch Anlaß, anzunehmen, daß bei
anderen Wirbeltieren ähnliche Verhältnisse vorliegen. Bei einem
wirbellosen Tier ist aber bisher noch niemals auch nur die Andeutung
eines Kältesinnes entdeckt worden. Meine Experimente mit den
Ameisenlöwen hatten auch keinen eindeutigen Erfolg. Versuche, ob
eine Unterschiedsempfindlichkeit bei starker Abkühlung eines Teiles
des Untergrundes sich bemerkbar mache, hatten kein Resultat. Die
auf dem durch untergelegtes Eis abgekühlten Teile einer Glasplatte
niedergesetzten Individuen wurden durch die Einwirkung der Kälte
vollkommen bewegungslos; sie begannen erst dann sich zu regen, als das
Eis unterhalb vollkommen weggetaut war.
Individuen, welche ich auf einen Eisblock setzte, wanderten auf ihm
herum, wie auf einem Stein. Solange ihnen die Kälte noch erlaubte, sich
zu bewegen, krochen sie beständig am Umkreis des Eisklumpens herum,
wobei sie den Hinterleib an seine feste Oberfläche dicht anpreßten. Es
zeigte sich also ein deutliches Ueberwiegen der Thigmotaxis über einen
etwaigen Kältereiz.
Annäherung eines kleinen Eisstückchens oder einer mit Eis abgekühlten
Metallnadel hatte keine Wirkung. Wurde jedoch ein Teil der Mandibel
des Kopfes, Halses oder der Oberseite des Rumpfes mit einem kleinen
Eisstück berührt, so erfolgte ein auffallend rasches und heftiges
Zucken, unter Umständen sogar ein ausgesprochener Schnappreflex. Dabei
bissen oft die Mandibel in den Eisklumpen hinein. Ebenso war die
Berührung mit einer in Eis abgekühlten Nadel von auffallend starker
Wirkung; sie war viel deutlicher als die Berührung mit einer Nadel,
welche Zimmertemperatur angenommen hatte.
Wenn also auch diese Versuche nur für eine Reizung durch Berührungsreiz
sprechen, so ist doch die Verstärkung des Reizes durch die niedere
Temperatur des berührenden Gegenstandes beachtenswert.
4. Interferenz von Phototaxis und Thermotaxis.
Von besonderem Interesse sind die Versuche, bei denen die Tiere
gleichzeitig einer Einwirkung von Wärme und einseitig einfallendem
Licht ausgesetzt waren. Die Experimente wurden in der Dunkelkammer
ausgeführt; die Tiere wurden auf berußtes Registrierpapier gesetzt,
welches auf dem Boden von Glasaquarien lag. Letztere waren im Sandbad
einseitig erwärmt. Durch die eine Aquarienwand, welche von der Stelle
der stärksten Erwärmung am weitesten entfernt war, fiel das Licht einer
50-kerzigen Glühlampe ein.
War die dem Licht abgewandte Seite der Unterlage, auf welcher das
Tier kroch, schwach erwärmt, so zeigte sich eine deutliche Hemmung
der phototaktischen Reaktion. Das Tier kroch eine Zeitlang in
Versuchsbewegung auf der erwärmten Fläche umher, bis es schließlich
doch sich zum Licht orientierte und dann ohne Zögern in gerader
Richtung auf die Lichtquelle zuwanderte (Taf. I, Fig. 1).
Bei anderen Experimenten wurden die Tiere erst dann auf das
Registrierpapier gesetzt, nachdem dies, wie in den früheren Versuchen,
die Temperaturen der Sandunterlage angenommen hatte; es war also
ein Temperaturgefälle von 35-20° C vorhanden. Die Tiere zeigten nun
verschiedene Reaktion, je nach ihrem Ausgangspunkt. Von 3 Exemplaren
eines Versuches ging z. B. das eine, welches bei etwa 20° C des
Untergrundes seine Wanderung begann, zuerst in einem Versuchskreis
umher und setzte dann seinen Weg immer abwechselnd zum Licht und zur
Wärme hinbiegend fort; schließlich wandte es sich energisch dem Licht
zu. Das zweite Exemplar hatte, bei etwa 20° beginnend, sich gleich
zum Wärmeoptimum gewandt, in dessen Gebiet es unter auffallenden
Pendelbewegungen dauernd verblieb. Das dritte Exemplar, welches bei
etwa 35° niedergesetzt worden war, wanderte zuerst ein Stück auf das
Licht zu, kehrte aber dann in die Wärmeregion zurück (Rußspur Taf. X,
Fig. 10).
Die übrigen Versuche ergaben stets dasselbe Resultat (vgl. auch Fig. 8,
Taf. VIII). Die zahlreichen Versuchskreise, die schwankenden, gleichsam
zwischen Licht und Wärme pendelnden Bewegungen, verrieten deutlich, daß
beide Reize die Tiere beeinflußten. War das Licht noch stark genug,
so wirkte es stets richtend auf die Körperhaltung des Tieres ein.
War die Temperatur hoch genug, so ließ sie das Tier nicht aus ihrem
Bereich heraus. Das Tier hatte eine Tendenz, nicht über die Grenze
der warmen Region hinaus zu kriechen; dazu wurde es aber gezwungen,
wenn das einfallende Licht es nötigte, seine Hinterleibsspitze gegen
die Lichtquelle zu wenden. Dann mußte die Vorwärtsbewegung das Tier
ohne weiteres über die Grenze der optimalen Wärmeregion hinausführen.
Solange die Wärme noch einwirkte, blieb die Bewegung des Tieres
schwankend, immer wieder zur Wärmeregion hinstrebend. War das Tier
aber einmal über die Region des Optimums hinausgelangt, so wanderte es
unbehindert geradeaus der Lichtquelle zu.
5. Der Tastsinn und seine Organe.
a) Die Sinneshaare der Körperoberfläche.
Wir haben früher die starke Behaarung der Körperoberfläche des
Ameisenlöwen geschildert und haben gesehen, daß die Art ihrer
Verteilung, die Stärke und Richtung der Haare wichtige Beziehungen zu
den Lebensgewohnheiten des Tieres erkennen lassen. Wir wollen hier in
Kürze den feineren Bau der Haare und ihre Innervierung schildern.
Schon früher habe ich erwähnt, daß es verschiedene Typen von Haaren
beim Ameisenlöwen gibt. Alle möglichen Längen- und Dickenausdehnungen
sind vertreten, der gesamte Charakter der Haare ist bald grob und
fest, bald zart und dünn. Die verschiedenen Borstentypen sind auf der
Abbildung des ganzen Tieres Abb. 2, S. 7, und auf der Photographie des
Hinterleibsendes Abb. 10, S. 19, gut zu unterscheiden.
Zunächst erkennen wir an allen Stellen des Körpers, welche bei den
Bewegungen des Tieres mechanisch beansprucht werden, kurze, dicke, oft
fast kegelförmige Borsten. Solche finden wir an der Hinterleibsspitze
und an der Vorderkante der Tibia des dritten Beinpaares, also an den
Stellen, welche beim Rückwärtsarbeiten durch den Sand einen Druck auf
dessen rollende Körner ausüben müssen. Diese „+Stemmborsten+“, wie ich
sie nennen will, bestehen aus schwarzbraunem bis schwarzem, massigem
Chitin. Ihre Oberfläche zeigt eine feine Rillung und Zähnelung, wie
wir sie gleich auch bei anderen Haartypen kennen lernen werden. Sie
ist aber meist nicht deutlich zu erkennen; denn diese Stemmborsten
zeigen fast stets unverkennbare Zeichen der Abnützung; ihre Oberfläche
ist abgeschliffen und die Spitzen sind abgestumpft, oft wie
abgebrochen. Die Stemmborste sitzt in einer tiefen Gelenkgrube, deren
Chitinumwallung sehr kräftig ist. Eine färbbare, sehnenartige Spannhaut
befestigt sie im Umkreise des Grundes der Grube. Ein kreisrunder
Porus führt in das Innere des Körpers. Soweit ich an den schwer
herzustellenden Präparaten erkennen konnte, führt durch diesen Porus
eine Nervenfibrille in das Innere der Stemmborste, wo sich trotz der
Dunkelfärbung der dicken Chitinwandung ein feiner Zentralkanal erkennen
läßt (Abb. 34).
Nach +Lozinski+ läßt sich an diesen Stemmborsten jeweils eine
einzellige Drüse nachweisen. Möglicherweise dient diese zum
Einschmieren der Borsten. Als Anzeichen ihrer Tätigkeit konnte
ich nicht selten Verklebung von Sandkörnchen in der Umgebung des
Hinterendes beobachten. +Lozinski+ ist der Ansicht, daß der Kanal zur
Entleerung des Drüsensekrets die ganze Stemmborste der Länge nach
durchsetzt (?). Ich konnte im distalen Teil der Borste keinen Kanal
erkennen. Wohl bestätigte ich das Vorkommen der Drüsenzellen, habe aber
mehr den Eindruck, als entleere sie ihr Sekret auf die Gelenkhaut der
Stemmborste.
[Illustration: Abb. 34. Stemmborste vom Hinterleibsende eines
Ameisenlöwen. Drüsenzellen und Nervenfasern sichtbar. Vergr. 50mal.]
[Illustration: Abb. 35. Langborste von einem seitlichen Thoraxwulst.
Vergr. 50mal.]
Diese Stemmborsten gehen am Hinterleibsende direkt in eine Borstenform
über, welche länger und bedeutend schlanker ist. Die nebeneinander
stehenden Borsten bilden am Hinterleibsende eine Uebergangsreihe
von den kurzen stumpfen, zu langen spitzen Formen. Diese letzteren
sind bei großen Exemplaren des Ameisenlöwen ½–1 mm lang. Sie sitzen
außer am Hinterleibsende am Kopf, Thorax, an den Extremitäten, auf
den Wülsten des Abdomens und sind für das Aussehen des Tieres sehr
charakteristisch. Verschiedene Formen der Borsten und der unten zu
beschreibenden Haare sind auf den Abb. 2, 6, 8, 9, 10 und 12 genau
dargestellt.
[Illustration: Abb. 36. Gelenk und Innervierung einer Langborste.
Vergr. 100mal.]
Sie sitzen in tiefen, großen, kapselartigen Gelenkgruben und sind
sehr beweglich. Ihre Oberfläche ist längsgerillt, auf den Rillen
sitzen Zähnchen mit nach vorn gerichteten Spitzen. Ueberall, wo
die Haare stark in Anspruch genommen werden, schleift sich die
Oberflächenstruktur sehr ab; die Haare sind dann vor allem in der
Spitzenregion ganz glatt. Die Gelenkkapsel ist nach innen von einem
runden Porus durchsetzt, durch den die Nervenfibrille in den Körper
tritt (Abb. 36). Für sie ist im Haar ein feiner Kanal vorhanden,
welcher aber nicht sehr weit nach vorn in die kompakte Chitinmasse
des Haares eindringt. Ich bezeichne diesen Haartypus als die
„+Langborsten+“.
Zwischen ihnen, welche meist in Büscheln vereinigt an den am meisten
nach außen vorragenden Stellen des Körpers stehen, finden wir viele
kleinere Haare. Diese sind dick und stämmig und hakenförmig nach
vorn gebogen. Sie sind ebenso schwarz oder dunkelbraun gefärbt, wie
die bisher beschriebenen Haartypen. Sie stehen meist felderweise
beieinander und spielen eine Hauptrolle beim Anstemmen des Körpers
an die Sandpartikel. Ich nenne sie die „+Kurzborsten+“. Sie finden
sich vor allem an der Rücken- und Bauchseite auf den Flächen der
Abdomenglieder. Sie sind im Prinzip genau so gebaut, wie die
Langborsten, auch innerviert, dickchitinig, gerillt und gezähnelt.
Gewöhnlich gehen sie in der Nachbarschaft der Langborstengruppen
ganz allmählich in solche über, so daß man dicht nebeneinander alle
Uebergänge findet.
Stemmborsten, Langborsten und Kurzborsten bilden zusammen eine
Gruppe; wie sie alle durch Uebergänge verbunden sind, so haben sie
in gewisser Beziehung gemeinsame Funktionen. Sie haben alle Druck-
und Berührungsreize, welche den Körper treffen, zuerst aufzufangen.
Neben der reizbiologischen Bedeutung haben sie eine wichtige
mechanische Funktion zu erfüllen, indem sie alle an der Erhöhung des
Reibungswiderstandes gegen den rollenden Sand und an der Stemmwirkung
bei den Bewegungen des Tieres im Sand und auf Oberflächen beteiligt
sind. Sie alle tragen auch die Spuren ihrer Tätigkeit. Vor allem ihre
Spitzenregionen sind meist abgeschliffen und oft abgestumpft oder
abgebrochen, während frisch aus der Häutung entstandene Haare eine
sehr fein skulptierte Oberfläche aufweisen. Vor allem die Kurzborsten
sind vielfach spitzenlos. Sie scheinen viel härter und spröder zu sein
als die Langborsten. Besonders der längste Typus der letzteren, der
auf den Seitenwülsten des Abdomens sitzt, scheint sehr elastisch und
biegungsfest zu sein; sie sind selten an der Spitze abgebrochen; aber
ihre sehr lang ausgezogenen, dünnen, zarten Spitzenregionen machen
durchaus den Eindruck, als seien sie im Sand abgeschliffen, geglättet
und verdünnt.
Diesen drei Sorten von +Borsten+ stehen zwei Formen von Haaren
gegenüber, welche meist zwischen den Borsten verteilt und unter deren
Schutz offenbar feineren Funktionen dienen. Die beiden Typen sind durch
relative Kleinheit, Zartheit und Durchsichtigkeit des Chitins, große
Biegsamkeit und geringere Elastizität von den Borsten unterschieden.
Ich unterscheide zunächst die „+Fiederhaare+“. Sie sitzen an den
verschiedensten Stellen des Körpers, so am Vorderrand des Kopfes, am
ganzen Körper, vor allem an der Ober- und Unterseite des Thorax und
Abdomens. Sie fehlen auf den Mandibeln und der Unterlippe, sind selten
auf Ober- und Unterseite des Kopfes und sind auf den Gliedmaßen nur
durch Uebergangsformen zu den Langborsten vertreten, deren es auch
sonst auf dem Körper vielerlei gibt.
+Fiederhaare+ nenne ich diese Form, weil sie durch in Reihen
angeordnete Chitinborsten ein gefiedertes Aussehen haben; allerdings
stehen die Fiedern nicht wie bei Federn in zwei symmetrischen Reihen,
sondern es sind 8-10 Reihen um den Haarschaft angeordnet, gerade
Reihen, welche offenbar den Zahnreihen der verschiedenen Borstentypen
entsprechen (Abb. 37). Die Fiedern stehen also nach allen Seiten vom
Haar ab und geben diesem eine sehr große Oberfläche. Sie sperren
die Haare auseinander und verhindern da, wo mehrere von ihnen dicht
beieinander stehen, daß sie sich untereinander verflechten.
[Illustration: Abb. 37. Fiederhaare vom Stirnrand des Ameisenlöwen.
Vergr. 100mal. _H₁_–_H₄_ vier verschiedene Typen der Fiederhaare.]
Die Fiederlänge kann sehr verschieden sein, und es finden sich alle
Uebergänge zu den Langborsten mit ihren Zahnreihen (vgl. Abb. 37 _H₄_).
Die Fiederhaare sind vielfach sehr zart gebaut, so daß sie sich
zwischen den Borsten der Oberfläche des Körpers anschmiegen. Sie sind
auch gelenkig dem Chitinpanzer eingefügt. Ein feiner Nervenstrang führt
durch ihre Gelenkpfanne und das Chitin zur Sinneszelle, deren Fortsatz
mit denen anderer benachbarter Haare sich zu einem Nervenstrang
vereinigt (Abb. 37).
Der letzte Typus, den ich erwähne, sind die „+Gabelhaare+“; auch sie
sitzen gelenkig in einer Grube der Cuticula, durch deren Bodenporus
sie innerviert werden. Sie bestehen aus einem ganz kurzen Basalteil,
der sich in zwei lange gefiederte Aeste gabelt. Diese streben in
rechtem Winkel vom Basalteil auseinander, so daß sie fast parallel zur
Oberfläche des Chitinpanzers gelagert sind. Meist sind die Gabeläste
etwas wellig gebogen. Sie sind stets so zart gebaut, wie die dünnsten
der Fiederhaare (Abb. 38).
[Illustration: Abb. 38. Gabelhaar von der Unterseite des Abdomens des
Ameisenlöwen. Vergr. 100mal.]
Das wären die wichtigsten fünf Haartypen von Myrmecoleo formicarius.
Außer ihnen und den zahlreichen Zwischenformen, welche zwischen
den vier erstbeschriebenen Typen vorkommen, gibt es einige weitere
Haarbildungen, auf welche ich hier nicht eingehe. Sie sind in anderem
Zusammenhang erwähnt: so die Haare auf den Lippentastern (S. 13), die
Haarreihen über den Gelenkgruben der Mundgliedmaßen (S. 14) und auf den
letzteren (S. 11) und schließlich die Stellungshaare der Gelenke (S.
21).
b) Die Erscheinungen der Tangorezeption.
Wir haben gesehen, daß der ganze Körper des Ameisenlöwen mit Haaren
bedeckt ist, welche sämtlich durch Sinneszellen mit dem Nervensystem
in Verbindung stehen. Wir dürfen wohl annehmen, daß diese Haare zum
größten Teil im Dienste des Tastsinnes stehen. Dies wird ja allgemein
für alle Arthropoden angenommen; allerdings gibt es bisher noch kaum
exakte Versuche, welche die Berechtigung dieser Annahme beweisen. Meist
findet man in der Literatur nur gelegentliche Beobachtungen als Belege
angeführt. Allerdings ist zuzugeben, daß die allgemeine Verbreitung
der Sinneshaare, die Härte und Festigkeit des Chitinpanzers und dessen
Durchbohrungen an der Basis der Sinneshaare mit dem Durchtritt der
Nervenendigung, wichtige morphologische Wahrscheinlichkeitsbeweise für
die Funktion der Arthropodenhaare als Organe des Tastsinnes sind. Es
gibt ja viele Beobachtungen, welche das Vorhandensein des Tastsinnes
bei den Arthropoden sicherstellen.
Ich habe in meiner Abhandlung über „Lebensgewohnheiten und Anpassungen
bei dekapoden Krebsen“ eine Anzahl von Beobachtungen über die Rolle
der Sinneshaare als Tastorgane bei diesen Tieren veröffentlicht.
Die Ameisenlöwen haben sich nun als ganz besonders günstige Objekte
für experimentelle Untersuchung des Tastsinnes erwiesen. Ich habe
daher ziemlich ausgedehnte Versuche mit ihnen angestellt, über deren
wichtigste Ergebnisse ich folgendes berichten kann.
Die Ameisenlöwen reagieren auf Berührung mit festen Gegenständen durch
Bewegungen einzelner Körperteile. Je nach der Intensität des ausgeübten
Druckes und je nach der gereizten Körperstelle treten verschiedene
Reflexbewegungen auf. Sie bestehen in kurzen Zuckungen der Gliedmaßen,
der Mandibel oder des Kopfes; ferner in der Ausführung des Schleuder-
und Schnappreflexes, sowie der charakteristischen Zuckungsbewegungen
mit dem Hinterleibsende.
Es ist nun sehr interessant, daß nicht immer gleich starke Reize die
gleichen Erfolge haben. Schon verschiedene Temperaturen der Umgebung
veranlassen sehr große Verschiedenheiten im Reizerfolg des gleichen
Reizes. Aber auch unter ganz gleichen äußeren Verhältnissen reagiert
vielfach ein Tier auf einen ganz leichten Reiz, während ein anderes
auf einen zehn-, fünfzig-, ja hundertmal so starken Reiz gar nicht
reagiert. Auch zeigt sich eine sehr deutliche +Summationswirkung+
aufeinander folgender Berührungsreize.
Ich will zunächst die Methode beschreiben, mit welcher ich die
meisten hierhergehörigen Versuche durchgeführt habe. Daß überhaupt
eine ausgesprochene Reizbarkeit der einzelnen Körperregionen
für Berührungsreize vorhanden ist, davon hatte ich bei meinen
verschiedenen Experimenten zahllose Beweise gelegentlich beobachtet.
Jede Berührung mit einer Pinzette oder irgendeinem anderen Instrument
konnte bei den Tieren deutliche Reaktionen hervorrufen; vor allem
war dies der Fall bei Berührung mit einer spitzen Präpariernadel.
Um mir über die Empfindlichkeit der Tiere gegen Tastreize ein
klares Bild zu verschaffen, mußte ich eine Methode anwenden, welche
einen zahlenmäßigen Vergleich der einzelnen Resultate zuließ. Ich
benützte zu diesem Zweck ein Verfahren, welches durch +v. Frey+
für die Untersuchung der Tastempfindlichkeit der menschlichen Haut
ausgebildet worden ist. Zu diesem Zweck werden Borsten von gleicher
Länge rechtwinklig an der Spitze eines Stäbchens befestigt. Tastreize
mit diesen Borsten werden erzielt, indem die Borste mit ihrer Spitze
senkrecht auf die Oberfläche der zu prüfenden Körperregion aufgesetzt
wird, worauf ein Druck, der zur Krümmung der Borste führt, ausgeübt
wird. Je nach der Dicke der Borste ist dieser Druck verschieden stark.
Ich benützte zu meinen Versuchen 3 cm lange Stücke von Pferdeborsten
und Menschenhaaren, welche senkrecht von der Längsachse des sie
tragenden Stabes abstanden. Nach dem Vorgang +v. Freys+ wurden diese
Borsten in folgender Weise geeicht. An einer feinen chemischen Wage
wurde festgestellt, einem wie schweren Gewicht sie Widerstand zu
leisten vermögen. Stemmt man das Ende der Borste wider die eine
Wagschale und belastet die andere mit zunehmend schweren Gewichten, so
tritt ein Moment ein, in welchem das gerade sich krümmende Haar der
belasteten Wagschale das Gleichgewicht zu halten vermag.
Ich wandte zu meinen Versuchen 6 verschiedene Tastborsten an, deren
Krümmungselastizität in der angegebenen Weise auf folgende Zahlen
festgestellt worden war:
Tastborste 0 0,0045 g
„ 1 0,07 g
„ 2 0,12 g
„ 3 0,22 g
„ 4 0,63 g
„ 5 1,8 g
Man sieht, es sind recht beträchtliche Druckverschiedenheiten, welche
mit diesen Borsten erzielt werden können. Um so auffallender sind
manche der erzielten Resultate.
Es kam vor, daß einzelne Individuen der Reihe nach mit sämtlichen
Borsten, von den dünnsten bis zu den dicksten, mehrmals betastet werden
konnten, ohne irgendeine Reaktion zu zeigen. In anderen Fällen genügte
eine kurze Berührung mit der Tastborste 1 oder 2, um eine sehr lebhafte
Reaktion herbeizuführen. Offenbar hängt die Reaktion also in hohem Maße
von inneren Zuständen des gereizten Tieres ab. Es zeigte sich aber
bald, daß es bis zu einem gewissen Grade gelingt, diese Zustände zu
beherrschen.
Experimentiert man z. B. mit einem Tier, das im typischen Zustand
des Totstellens sich befindet, so kann man es durch wiederholte
Applikation von Tastreizen auf die gleiche Region des Körpers nach
einiger Zeit zu einer Reaktion bringen. Ist diese einmal eingetreten,
so zeigt sich das Tier sofort auch für viel feinere Reize empfindlich.
Die Empfindlichkeit ist dann auch nicht auf die vorher gereizte
Körperregion beschränkt, sondern erstreckt sich auf eine mehr oder
minder große Partie der Umgebung, oft auch auf den ganzen Körper. Hat
man z. B. ein Tier zehnmal mit der Tastborste 5 auf die Halsregion
gedrückt, und ist nach der zehnten Berührung eine Reaktion erfolgt, so
kann in den meisten Fällen mit Borste 2 oder 3 schon nach ein oder zwei
Berührungen der gleichen Region oder irgendeiner Gegend des Rückens
eine Reaktion ausgelöst werden. Dagegen hat sich die Erhöhung der
Reizbarkeit nicht bis auf die Bauchseite ausgedehnt.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß es mit der angegebenen Methodik ganz
ausgeschlossen ist, ein absolutes Maß der Reizbarkeit aufzustellen.
Dasselbe Tier, welches anfänglich auf grobe Berührungen mit der
Tastborste 5 gar nicht reagierte, zeigt nach einer Reihe von Versuchen,
schon nach wenigen Minuten eine hohe Empfindlichkeit, selbst gegen
Berührung mit der Tastborste 0. Wollen wir also die Empfindlichkeiten
der verschiedenen Regionen des Körpers direkt miteinander vergleichen,
so verwenden wir am besten ein Tier, dessen Reizbarkeit durch
künstliche Einwirkung erhöht worden ist. Ich habe sowohl mit Tieren
experimentiert, bei denen die Reizbarkeit durch Summation von
Berührungsreizen, als auch mit solchen, bei denen das gleiche Resultat
durch Erwärmung der Umgebung erzielt worden war. Obwohl bei letzterer
Methode die vorbereitende Reizung sicherlich eine weniger lokalisierte
gewesen ist, ergaben sich dennoch in allen Fällen übereinstimmende
Resultate.
Die Reflexe, durch welche die Tastreize beantwortet werden, sind sehr
charakteristisch und je nach den gereizten Körperregionen verschieden.
Wird die Innenseite der Mandibel, die Vorder- oder Oberseite des Kopfes
oder werden die Fühler berührt, so erfolgen zunächst leise zitternde
Bewegungen an dem berührten Körperteil, und die Tiere machen einige
kurze +Rückwärtsbewegungen+ unter Verwendung des ersten und vor allem
des zweiten Beinpaares. Die gleiche Bewegung erfolgt bei Berührung des
ersten und zweiten Beinpaares selbst. Auch wenn bei diesen Versuchen
nur die eine Seite des Körpers gereizt wird, erfolgt doch die Bewegung
vollkommen symmetrisch entsprechend der Mittellinie. Die Berührung des
Beines der einen Körperseite führt nicht zu einer Drehung von oder zu
dieser Seite. Am ausgesprochensten ist dieses Rückwärtsweichen dann,
wenn eine multiple Berührung der betreffenden Regionen vorgenommen
wurde. Wurde statt mit einer Borste mit einem Pinsel oder mit einer
kleinen Bürste eine etwas ausgedehntere Region des Kopfes oder der
Beine gereizt, so erfolgte eine oft sehr lebhafte, manchmal einige
Sekunden andauernde Rückwärtsbewegung. Spätere Versuche zeigten
allerdings, daß dies nur für wenig reizbare Tiere gilt. Sehr reizbare
Tiere reagieren in ausgesprochen lokalisierter Weise.
Das gilt bei allen Tieren für die Reflexe bei Berührung der Oberseite
des Halses, der übrigen Thorakalsegmente oder des Abdomens. Bei
leichter Reizung ging das Tier sogleich in die Bereitschaftsstellung
über; war die Reizung nur etwas intensiver, so trat sofort ein sehr
energischer Schleuder- oder gar Schnappreflex ein. Meist wurde dabei
die zur Reizung verwendete Borste zwischen den Mandibeln gefaßt, so daß
man das Tier an ihr emporheben konnte.
Von ganz besonderem Interesse war nun die ausgesprochene
+Reizlokalisation+, welche sich bei diesen Versuchen auf das
deutlichste nachweisen ließ. Reizte man eine Stelle in der Nähe der
Medianlinie des Rückens, so erfolgte das Zurückbiegen des Kopfes beim
Schnappreflex vollkommen symmetrisch in dieser Medianlinie. Reizte
man eine Stelle links oder rechts von der Medianlinie, so bogen sich
Kopf und Hals in einem ganz entsprechenden Winkel der gereizten Stelle
zu; also um so weiter nach außen, den Körperrändern zugewandt, als
die Reizstelle an denselben gewählt war. Reizte man eine Stelle des
Abdomenrückens, die weiter nach hinten gelegen ist, also etwa in der
Nähe des Hinterendes des Tieres, so fand eine stärkere Durchbiegung,
an der sich mehr Segmente des Vorderkörpers beteiligten, statt. Der
Kopf und der Hals wurden bei diesen Reaktionen ganz flach nach hinten
über den Rücken des Abdomens gelegt. Auch bei diesen Versuchen fand
eine ganz ausgesprochene Lokalisation, eine feinste Reaktion auf jede
asymmetrische Lagerung des Reizpunktes statt. Fast stets wurde die
Reizborste mit großer Sicherheit von den Mandibeln ergriffen. Sehr
reizbare Tiere wenden auch bei leichter Reizung der beiden vorderen
Beinpaare den Kopf unter Biegung des Halses stark nach der gereizten
Seite; ja, sie führen nach der reizenden Borste den typischen
Schnappreflex aus, wenn die Reizung intensiver wird.
Reizt man das auf der Bauchseite liegende Tier von unten her mit
einer Tastborste an der Bauchregion der Hinterleibsspitze, so
erfolgt eine Kontraktion der Längsmuskulatur; dieselbe führt nicht
nur zu einer Verkürzung und Verdickung des Hinterleibes, sondern
auch, da die Verkürzung ventral stärker ist, zu einer Einkrümmung
der Hinterleibsspitze nach unten. Diese Reaktion tritt noch viel
auffälliger als bei Reizung mit einer einfachen Borste bei multipler
Reizung, z. B. mit einem Pinsel, ein.
Befindet sich das Tier in Rückenlage, so ist bei Tastreiz der
Hinterleibsspitze diese Reaktion viel weniger ausgesprochen. Wohl
wird auch dann die Längsmuskulatur kontrahiert, also der Hinterleib
verkürzt; aber eine ausgesprochene Einkrümmung der Hinterleibsspitze
findet nicht statt, da die Tendenz, den Rücken für den Umdrehreflex
hohl zu machen, also die umgekehrte Krümmungstendenz, überwiegt.
Denn fast regelmäßig zeigt sich bei Reizung der Bauchseite eines auf
dem Rücken liegenden Tieres als sehr prompter Erfolg der Umdrehreflex.
Im allgemeinen kann man dabei keine ausgesprochene Wirkung des
lokalisierten Reizes wahrnehmen. Einerlei, ob ein Feld rechts oder
links, vorn oder hinten an der Bauchseite gereizt wird, das Tier dreht
sich nach der Seite um, welche ihm nach den früher (S. 41) berichteten
Experimenten vom Licht vorgeschrieben wird. Ein Schnappen nach der
Bauchseite findet niemals statt; Hals und Kopf beugen sich immer gegen
den Rücken zu. Wir sehen von neuem, daß der Schnappreflex und der
Umdrehreflex identisch sind.
Trotzdem läßt sich auch bei diesen Experimenten die Lokalisation des
Reizes an besonderen Reflexen erkennen. Verwendet man nämlich zu den
Versuchen ein Tier von geringer Reizbarkeit, oder operiert man mit den
niedersten Nummern der Reizborsten, so kann man folgende Beobachtungen
machen. Bei Applikation einer unsymmetrischen Reizung zeigt sich, daß
zunächst ganz langsam die Mandibel der gereizten Seite abgespreizt
wird; dann wird der Kopf nach der gleichen Seite gebeugt, worauf der
Umdrehreflex plötzlich mit Wendung nach der anderen Seite erfolgt.
Dieses letzte Experiment gelingt vor allem dann, wenn man in diffusem
Licht oder in tiefer Dämmerung das Tier reizt, so daß ein Einfluß der
Lichtrichtung nicht in Frage kommt.
Als Gradmesser für die Erregbarkeit des Tieres durch einen lokalen
Reiz können wir also die ausgelöste Reflexbewegung betrachten. Ein
wenig reizbares Tier zeigt als erste Anzeichen der Reizung schwache
Bewegungen der gereizten Körperstelle oder seiner Nachbarschaft. Steigt
die Erregung, so werden diese schwachen Bewegungen der Mandibel, des
Kopfes, der Extremitäten oder der Rumpfsegmente ausgesprochener. Bei
noch stärkerer Erregung geht das Tier in Bereitschaftsstellung über;
der stärkste Ausdruck der Reizbarkeit sind die typischen Reflexe,
wie der Schleuder-, der Schnappreflex und die Bohrbewegung des
Hinterleibsendes. Bei allmählicher Steigerung der Erregbarkeit sieht
man also z. B. am Vorderende des Körpers leichte Bewegung der Mandibel,
des Kopfes und Halses, dann Bereitschaftsstellung, darauf Schleuder-
und schließlich Schnappreflex aufeinander folgen. Meist aber sind
letztere beide miteinander verschmolzen.
Experimentiert man mit einem schwach reizbaren Tier, so kann man
nun feststellen, daß die verschiedenen Regionen des Körpers in
verschiedener Weise reizbar sind. Es kann z. B. vorkommen, daß ein
sehr schwach reizbares Tier auf Berührung mit Tastborste 5 gar nicht
reagiert, wenn die Rückenseite der letzten Hinterleibssegmente mit ihr
mehrmals berührt werden; eine ganz leichte Reaktion tritt ein, wenn
die Vorder- und Hinterleibssegmente oder das erste Thorakalsegment auf
der Rückenseite in derselben Weise gereizt werden. An den Mandibeln,
der Oberseite des Kopfes, den drei Beinpaaren verursacht der gleiche
Reiz bereits den Uebergang zur Bereitschaftsstellung. Auf der Oberseite
des ersten und zweiten Thorakalsegmentes jedoch löst er bereits den
typischen Schnappreflex aus.
Ebenso kann man nachweisen, daß, wenn das erste und zweite
Thorakalsegment auf ihrer Rückenseite schon durch die Tastborsten
0 oder 1 reizbar sind, man steigend höhere Nummern verwenden muß,
um Mandibel, Kopf, Beine und schließlich die hinteren Regionen des
Hinterleibsrückens mit dem gleichen Erfolg zu reizen.
Es folgt also aus diesen Versuchen, die in großer Zahl und in vielen
Modifikationen von mir ausgeführt wurden, daß im großen und ganzen auf
der Rückenseite die Reizbarkeit des Tieres auf dem ersten und zweiten
Thorakalsegment am größten ist, etwas geringer an Mandibeln, Kopf
und Beinen, und daß sie vom dritten Thorakalsegment über das Abdomen
hin nach hinten allmählich abnimmt. Etwas anders ist die Verteilung
der Reizbarkeit an der ventralen Seite des Tieres. Hier ist gerade
das Hinterleibsende am reizbarsten; verfolgt man die Oberfläche der
Bauchseite nach vorn, so erstreckt sich die Zone hoher Reizbarkeit
hauptsächlich längs der Mittellinie nach vorn. An den Rumpfseiten nimmt
die Reizbarkeit nach vorn hin rasch ab. Die Unterseite der Beine und
die umgebende Ventralseite der Thorakalsegmente weist ungefähr die
zweite Stufe der Reizbarkeit auf. Die Unterseite des Kopfes ist dagegen
auffällig wenig reizbar.
Es erfordert eine ziemlich große Anzahl von Experimenten, um sich über
diese Verhältnisse Klarheit zu verschaffen. Denn abgesehen davon, daß
man im voraus gar nicht wissen kann, bei welcher Reizbarkeitsstufe
des Tieres man das Experiment beginnt, es steigert sich auch die
Empfindlichkeit im Verlauf des Experiments oft sehr rasch. So kann
es kommen, daß man im Verlauf des Experiments mit immer feineren
Tastborsten die gleichen Resultate erzielt, wie vorher mit den groben.
Ein Tier z. B., welches zuerst in der vorhin angegebenen Stufenfolge
bei der Reizung mit Tastborste 5 reagierte, ergibt nach einiger Zeit
deutliche Reaktionen stärkster Art bei Reizung des Rückens, des
Hinterleibsendes mit Tastborste 3, bei Reizung der Kopfregion mit
Tastborste 2 und bei Reizung des ersten und zweiten Thorakalsegmentes
sogar schon mit Borste 0. Ja, nach einiger Zeit kann die Erregung des
Tieres so weit gestiegen sein, daß alle Regionen des Körpers schon auf
die zartesten Berührungen mit Tastborste 0 reagieren.
Zum Beleg dieser Feststellungen gebe ich im nachfolgenden einige meiner
Versuchsprotokolle.
1) +Reizung der Dorsalseite von Thorakalsegment II mit einer
Tastborste.+ (Die Reizungen wurden unmittelbar hintereinander in
der Reihenfolge der Tabelle ausgeführt. In der Tabelle ist die Zahl
der Berührungen, welche angewandt werden mußten, bis eine Reaktion
erfolgte, angegeben; das Zeichen + bedeutet einen Schnappreflex, die
0, daß keine Reaktion erfolgte.)
No. der Borste Zahl der Berührungen Reaktion
4 22mal +
3 100 „ 0
4 37 „ +
3 100 „ 0
4 26 „ +
3 24 „ +
3 5 „ +
3 7 „ +
2 3 „ +
2 3 „ +
2 5 „ +
2 3 „ +
1 100 „ { 0;
{kleine Bewegungen
2 2 „ +
1 50 „ 0
2 22 „ +
2 5 „ +
2 7 „ +
1 60 „ +
2) +Reizung der Bauchseite in der Nähe des Hinterendes+; + bedeutet
einen Umdrehreflex; sonst Bezeichnungen wie in Tabelle 1.
No. der Borste Zahl der Berührungen Reaktion
4 5mal +
1 100 „ 0
4 3 „ +
2 120 „ { 0;
{nur von Berührung 50 ab
{leichte Zuckung mit Beinpaar
{ 2 und 3
4 1 „ +
1 3 „ +
1 60 „ 0
1 50 „ 0
3) +Reizung der Bauchseite in der Nähe des Hinterendes+; sehr träges
Individuum.
No. der Borste Zahl der Berührungen Reaktion
4 50mal kleine Bewegungen
5 25 „ +
4 60 „ 0
Nadel 15 „ schwach
4) +Reizung der Dorsalseite des dritten Thorakalsegments+ bei
demselben Individuum wie Tabelle 3.
No. der Borste Zahl der Berührungen Reaktion
4 12mal kleine Bewegungen
4 24 „ „ „
4 40 „ „ „
5 10 „ angedeuteter Schnappreflex
5 20 „ „ „
Nadel 5 „ + Schnappreflex
Diese Tabellen zeigen ganz deutlich, wie im allgemeinen die Reizbarkeit
einer Körperregion sich durch wiederholte Reize steigern läßt. Sie
zeigen aber auch, daß in der Regel nach wiederholten Reizungen eine
Ermüdung eintritt. Merkwürdigerweise ist in den meisten Fällen nach
den durch solche Ermüdungen bedingten Pausen die Reizbarkeit nicht
auffallend herabgesetzt, sondern immer noch sehr viel höher, als im
Anfang des Experiments.
Wir haben erwähnt, daß mitunter die Reizbarkeit so weit gesteigert
sein kann, daß die feinsten Reizmittel genügen, um einen starken
Reflex auszulösen. Es genügen dann nicht nur Berührungen mit den
zartesten Gegenständen, sondern diese Berührungen brauchen auch nur
einmal zu erfolgen, um den vollen Effekt zu haben. Die derart durch
Berührungsreize in Erregung versetzten Individuen führen überhaupt
alle Reaktionen mit der größten Promptheit und Raschheit und sehr
schnell und oft hintereinander aus. So kann man z. B. ein derart
gereiztes Individuum immer wieder rasch hintereinander mit Hilfe des
Umdrehreflexes Purzelbaum schlagen lassen. Man muß es zu diesem Zweck
immer wieder rasch in die Rückenlage bringen.
So führte z. B. am 3. Okt. 1914 Exemplar a auf wiederholten Reiz in 4
Min. 45 Sek. 114 Umdrehungen aus; erst nach Verlauf von 3½ Minuten trat
etwas Ermüdung ein, welche sich in Verlangsamung der Reaktion kundgab.
Nach Ablauf der 4 Min. 45 Sek. erfolgte 20 Sek. lang trotz 10maliger
Reizung keine Reaktion. Darauf aber trat wieder die volle Reizbarkeit
ein, wie sich daraus schließen ließ, daß das Tier ohne weiteres noch
ungefähr 100 Umdrehungen ausführte.
Die verschiedene Erregbarkeit der einzelnen Körperregionen steht in
einem deutlichen Zusammenhang mit den morphologischen Grundlagen des
Tastsinnes. Die Regionen, welche am stärksten reizbar sind, tragen
im allgemeinen das dichteste Kleid von Sinneshaaren. Auch sind sie am
reichsten an den zarten, dünnen Haaren, welche offenbar die reizbarsten
sind. Es läßt sich leicht nachweisen, daß die Haare selbst durch
Berührung reizbar sind. Besonders die Haare auf den Schultern und an
den Seiten des Körpers, sowie einige der auf Kopf- und Brustsegmenten
stehenden Haarbüschel sind so lang, daß man die Berührung einzelner
Haare leicht durchführen kann, ohne den Chitinpanzer des Tieres mit
Nadel oder Borste zu erreichen. Jede Biegung des Haares, überhaupt
jeder Druck auf dasselbe führt zu der für die betreffende Körperregion
charakteristischen Reaktion.
Am reizbarsten sind die +Fiederhaare+ und die +Langborsten+, doch
scheinen alle Haartypen -- wie sie ja auch alle innerviert sind -- für
Berührungsreize empfindlich zu sein. Allerdings für die sehr zarten und
kleinen Gabelhaare kann ich dies nicht mit Bestimmtheit sagen, da ich
unter dem Mikroskop keine derselben einzeln zu reizen vermochte. Es
ist nicht ausgeschlossen, daß sie im Dienst eines ganz anderen Sinnes
stehen.
Es zeigt sich aber bei den Versuchen mit den Tastborsten, daß in den
reizbarsten Regionen des Körpers eine Berührung des Chitinpanzers mit
ihnen genügt, um die Reaktionen auszulösen. Genauere Beobachtung zeigt,
daß in all diesen Regionen das Chitin der Körperbedeckung sehr dünn
und leicht deformierbar ist. Man sieht ohne weiteres, daß es dem Druck
der Borste nachgibt und sich einbiegen läßt. Unzweifelhaft haben diese
Formveränderungen ähnliche Verschiebungen und sonstige Einwirkungen auf
die Basis der in der Umgebung eingepflanzten Haare zur Folge, wie die
Berührung der Haare selbst. Die weniger empfindlichen Körperstellen,
wie z. B. die Unterseite des Kopfes, die Oberseite des Unterleibsendes,
haben das dickste Chitin.
Jene Ameisenlöwen, welche ich zur Analyse des Umdrehreflexes mit
Hilfe eines Wachstropfens an einem Faden aufgehängt hatte (vgl.
S. 42), zeigten eine sehr hohe Empfindlichkeit in der Region des
Wachstropfens und um denselben herum. Offenbar wurden die durch ihn
zusammengekitteten Haare sehr leicht gleichzeitig gereizt, und jeder
Druck auf ihn führte zu einer Formveränderung der ganzen Umgebung.
Sehr bemerkenswert ist auch folgende Beobachtung. Reizt man ein
sehr lebhaftes Tier mehrmals an derselben Stelle, so kommt es unter
Umständen zu einer Nachwirkung des Reizes, indem das Tier, auch ohne
noch einmal gereizt zu werden, nach derjenigen Stelle schnappt, an der
es zum letztenmal gereizt wurde.
Für die große Empfindlichkeit des Tastsinnes bei dem Ameisenlöwen
sprechen auch meine Beobachtungen, daß er sehr intensiv auf
Erschütterungen und Luftbewegungen reagiert. Besonders ausgesprochen
sind die Reaktionen auf Erschütterung. Sie treten besonders dann klar
zutage, wenn das Tier auf einem Untergrund liegt, welcher seinen
Sinneshaaren zahlreiche Berührungspunkte darbietet, wenn er also z. B.
auf einem rauhen Untergrund, auf den Borstenenden einer Bürste, auf
Sammet oder auf einer Sandfläche liegt. Hat man das Tier mit seiner
Unterseite auf eine Holz-, Metall- oder Glasplatte gebracht, so genügt
ein leises Klopfen auf diese, um das Tier zu deutlichen Reaktionen zu
veranlassen. In der Regel kommt es dabei nur zu den für leichte Reize
typischen Reaktionen. Vor allem auf Sand jedoch kann auf diese Weise
die ganze Serie der Reflexe ausgelöst werden. Ich habe oft beobachtet,
daß ein auf der Straße vorüberfahrendes Automobil oder sonstiges
Fuhrwerk oder ein hastig durch das Zimmer gehender Mensch genügende
Erschütterungen verursachte, um bei den Tieren Bewegungen oder sogar
den Schleuderreflex herbeizuführen. Am auffälligsten zeigte sich diese
Erschütterungsreizbarkeit bei jenen Tieren, welche ich zur Prüfung des
Umdrehreflexes an Fäden aufgehängt hatte. Ganz geringe Erschütterungen
pflanzten sich durch den Faden in der Weise auf sie fort, daß sie
mit sehr energischen Bein- und Kopfbewegungen und ausgesprochenen
Schnappreflexen reagierten.
Auch Luftbewegungen lösen alle Reflexe unter Umständen aus. Ein frei
daliegendes Tier, welches sich totstellt, kann durch Anblasen oder
durch irgendeine im Zimmer durch Oeffnen von Fenstern hervorgerufene
Luftbewegung zu all seinen Reflexen veranlaßt werden. So habe ich
früher schon angegeben, daß Anblasen eines der einfachsten Mittel
darstellt, um ein sich totstellendes Tier zu erwecken. Auch der
Umdrehreflex eines auf dem Rücken liegenden Ameisenlöwen wird sehr
leicht durch Anblasen herbeigeführt. Noch deutlicher treten alle diese
Reaktionen ein, wenn man, statt sie anzublasen, die Tiere anhaucht.
Wahrscheinlich kommt da zu dem Bewegungsreiz noch der Wärmereiz hinzu.
Ich nehme natürlich an, daß sowohl Erschütterung als auch Luftbewegung
in der Weise auf die Tiere einwirken, daß eine Bewegung der Haare
durch sie bewirkt wird. Die Haare sitzen ja, wie wir gesehen haben,
gelenkig im Chitin, und es ist leicht, sich vorzustellen, daß durch
Erschütterung und Luftbewegung sie in ähnlicher Weise aus ihrer Lage
gebracht werden, wie durch Berührung mit einem festen Gegenstand.
In der Regel wird in zusammenfassenden Darstellungen angegeben, daß
die +Fühler der Insekten+ der besondere Sitz auch des Tastsinnes
dieser Tiere seien. Meine Befunde beim Ameisenlöwen scheinen nun diese
Annahme für diese Art nicht zu bestätigen. Bei all meinen Versuchen ist
es mir sehr aufgefallen, daß die Fühler auf Berührungsreize nur sehr
wenig reagierten. In der Regel bewegten sie weder sich selbst, wenn
sie berührt wurden, noch zeigte sich an irgendeinem anderen Teil des
Körpers eine reflektorische Bewegung. Wir werden aber später sehen,
daß die Antennen sich auf Reize anderer Art sehr deutlich zu bewegen
vermögen (S. 110). Gelegentlich bewegten sie sich immerhin auch auf
reine Tastreize. Das ist vor allem in Wärme und Licht der Fall, wenn
die Tiere sehr reizbar sind; dann machen sie nach mehrmaliger Berührung
und Verbiegung der Antennen kurze ruckweise Bewegungen rückwärts, ohne
allerdings mehr als 1-2 mm weit zu kommen, worauf sie wieder ganz ruhig
werden.
6. Thigmotaxis.
Die +Thigmotaxis+, auch Stereotaxis genannt, die als Stereotropismus
bei Pflanzen vielfach studiert wurde, hat auch unter den Tieren eine
weite Verbreitung und große Bedeutung. Wir finden sie vor allem in
charakteristischer Weise bei festgewachsenen Tieren ausgebildet, deren
Wurzelgeflechte, Verzweigungen usw. durch ihre Wirkung der Unterlage
angeschmiegt werden. Viel weniger beachtet wurde die Thigmotaxis
bisher bei den freibeweglichen Tieren. Zwar ist das Musterbeispiel für
Thigmotaxis bei den Tieren ein freibewegliches Infusor, Paramaecium.
Es ist dies auch das einzige Tier, bei welchem bisher die Thigmotaxis
einigermaßen analysiert und auf ihre Interferenz mit anderen Reizen
untersucht wurde. Für freibewegliche, vielzellige Tiere findet sich
zwar in der Literatur nicht selten das Vorkommen von Thigmotaxis
angegeben, aber eine genauere Untersuchung hat es noch nicht gefunden.
Es wurde oft die Bedeutung thigmotaktischer Reizbarkeit für Würmer,
bodenbewohnende und sonstige lichtscheue Insekten erwähnt. Neuerdings
wurde wiederholt auf die nahen Beziehungen zwischen Thigmotaxis und
Rheotaxis bei Planarien, Fischen usw. hingewiesen (vgl. +Steinmann+).
In meiner Arbeit über die Lebensgewohnheiten von dekapoden Krebsen habe
ich auf die Wichtigkeit der Thigmotaxis speziell für die Arthropoden
aufmerksam gemacht und den engen Zusammenhang dieser Reaktion mit
der Tangorezeption, dem Tastsinn, betont. Ich zeigte dort, daß die
Garneelen durch Thigmotaxis veranlaßt werden, sich in den Ecken und
Winkeln des Aquariums aufzuhalten. Wesentlich für das Zustandekommen
des thigmotaktischen Reizes war, nach meinen damaligen Beobachtungen,
die Berührung einer größeren Anzahl von Tasthaaren der Körperoberfläche
mit irgendwelchen Gegenständen der Umgebung des Tieres. Eine solche
Berührung veranlaßt das Tier zu einer Ruhestellung und manchmal zu
eigenartigen Körperhaltungen. Mein Schüler +v. Kaulbersz+ hat bei
Asellus aquaticus ebenfalls einige Beobachtungen gemacht, welche für
das Vorkommen von Thigmotaxis bei diesem Tier sprechen.
Unter Thigmotaxis verstehen wir eine automatische Reizreaktion,
bei welcher ein Tier einen mehr oder minder großen Teil seiner
Körperoberfläche mit einem festen Gegenstand in Berührung bringt und
dadurch gezwungen wird, eine bestimmte Körperhaltung einzunehmen.
Häufig wird auch durch Thigmotaxis insofern ein Einfluß auf die
Bewegungen des Tieres ausgeübt, als es durch Reiz an einer bestimmten
Stelle verankert wird. In der Regel wird bei thigmotaktischen
Reaktionen durch den Berührungsreiz die Muskulatur des betreffenden
Tieres auf der berührten Körperseite kontrahiert und dadurch
eine Wendung des Tierkörpers gegen den berührten Gegenstand hin
herbeigeführt.
Bei allen meinen Versuchen erwiesen sich die Ameisenlöwen als ganz
besonders geeignete Objekte zur Untersuchung der Thigmotaxis. Viele der
Bewegungen des Tieres sind durch Thigmotaxis in hohem Grade beeinflußt.
Bei all den früher geschilderten Experimenten traten infolge der
Thigmotaxis sehr häufig erhebliche Störungen auf. Die Wirkung der
verschiedenen Reize, welche ich auf das Tier einwirken ließ, wurde sehr
regelmäßig durch das Eingreifen thigmotaktischer Reize abgeändert;
bei allen Experimenten mußte ich danach trachten, die Einwirkung
thigmotaktischer Reize zu verhindern. Das war um so notwendiger, als
nach dem Ergebnis der unten angeführten Versuche die Thigmotaxis sich
als wirksamer als alle übrigen Reizqualitäten erwies.
Läßt man ein Tier in absoluter Dunkelheit umherkriechen, so wird es
so lange Versuchsbewegungen ausführen, d. h. in Bogen und Kreisen
sich bewegen, bis es an einen festen Gegenstand stößt. In meinen
Versuchsgefäßen war derselbe meist die aus Glas, Holz, Pappdeckel oder
Papier bestehende Wand. Bei den Versuchen in absoluter Dunkelheit
reichte das berußte Registrierpapier bis an diese Wand heran. War ein
Ameisenlöwe bei seinen Versuchsbewegungen mit einem Teil seines Körpers
wider die Wand angestoßen, so hatte das eine Annäherung seines Körpers
an dieselbe zur Folge, bei welcher stets eine möglichst ausgedehnte
Partie der Oberfläche des Körpers der Wand angeschmiegt wurde.
Naturgemäß stieß das Tier in der Regel beim Rückwärtskriechen zuerst
mit der Hinterleibsspitze an die feste Wand. Die Folge der Berührung
war, daß diejenige Körperseite, welche beim Anstoßen einen kleineren
Winkel zur Wand bildete, an die letztere angenähert wurde; denn die
Folge der thigmotaktischen Reizung ist die Kontraktion der Muskulatur
des Abdomens auf der gereizten Seite. Wenn das Tier seine Bewegung
fortsetzte, folgte es von nun an, mit der Hinterleibsspitze voran,
immer der Wandkontur. In den Versuchsbehältern war es infolgedessen
immer genötigt, in den Ecken umzubiegen, und so kam es vor, daß
manche Individuen ein- oder mehreremal am ganzen Rand des Gefäßes
entlang liefen (Taf. IV, Fig. 4; Taf. V, Fig. 5). Fast stets führte
aber das Tier, in einer Ecke angelangt, Versuchsbewegungen aus, bei
denen dann die Hinterleibsspitze bald an die eine, bald an die andere
der in der Ecke zusammenlaufenden Kanten geriet. So konnte durch den
thigmotaktischen Reiz manches Tier veranlaßt werden, nach Erreichung
einer Ecke und nach Ausführung einiger Versuchsbewegungen auf demselben
Wege umzukehren, auf dem es zur Ecke gelangt war.
Bei den Versuchen im Dunkeln konnten auch andere Hindernisse durch
thigmotaktische Reizung den vorher unorientierten Bewegungen der Tiere
eine bestimmte Richtung geben. Um den Tieren genügend Spielraum für
ihre ausgiebigen Versuchsbewegungen zu geben, war ich oft genötigt,
verschiedene Streifen des berußten Registrierpapiers nebeneinander
auf dem Pappdeckelboden des Versuchsgefäßes zu befestigen. Es gelang
niemals, die Stücke so glatt nebeneinander auszuspannen, daß nicht
eine Kante bemerkbar gewesen wäre. Dazu kam, daß die Papiere mit Hilfe
von Reißnägeln auf dem Untergrund ausgespannt werden mußten. Das
ergab für den feinen Tastsinn des Ameisenlöwen eine genügende Anzahl
von Hindernissen. Und so ließ sich denn stets eine Einwirkung dieser
Hindernisse auf die Bewegungsrichtung der Tiere feststellen. Auf
zahlreichen der von mir fixierten Registrierungen finden sich durch
Thigmotaxis beeinflußte Bewegungen an diesen Kanten entlang und oft im
Kreis um die Köpfe der Reißnägel herum (Fig. 5, Taf. V).
Ganz entsprechende Ergebnisse stellten sich ein, wenn die Tiere, statt
bei gleichmäßiger Temperatur und im Dunkeln, unter der Einwirkung
bestimmter Temperatur- oder Lichtreize untersucht wurden. Ueber beide
Reizarten überwog stets die Thigmotaxis. War z. B. ein Tier bei seinen
Wanderbewegungen im optimalen Wärmefeld an einen festen Gegenstand
gestoßen, so konnte es, wenn dieser eine längere Ausdehnung besaß,
durch die Thigmotaxis gezwungen werden, das Wärmeoptimum zu verlassen.
Es kroch dann oft in langer gerader Bahn bis in eine Region, in welcher
unter Umständen eine sehr niedrige Temperatur herrschte.
Noch interessanter waren die Ergebnisse der Versuche über die
Interferenz von Phototaxis und Thigmotaxis. Wir haben früher gesehen,
daß bei einseitig einfallendem Licht jeder normale Ameisenlöwe sich
nach einigen Versuchsbewegungen in die Richtung der Lichtstrahlen
einstellt und dann geradeaus der Lichtquelle zuwandert. Indem man
Ameisenlöwen an rauhen Kanten, z. B. an einem ungehobelten Brett
oder an einem Sammetband entlangkriechen läßt, kann man sie zwingen,
direkt von der Lichtquelle wegzukriechen. Ja, man kann ihnen durch
entsprechende Versuchsanordnungen jede beliebige Bewegungsrichtung
aufzwingen, ohne daß die Richtung der Lichtstrahlen ihren sonst so
bedeutenden Einfluß zur Geltung bringt.
Wir haben früher schon gesehen, daß Berührung der Körperhaare
Bewegungen des Tieres auslöst. Wir sahen ferner, daß multiple
Berührungen eine erhöhte Wirkung haben. Wenn wir uns schließlich
daran erinnern, welch zarte Tastborsten die Ameisenlöwen zu erregen
vermochten, und daß sie für Erschütterungen und Luftbewegungen
empfindlich sind, so wird es uns nicht verwundern, daß unter Umständen
ihr eigenes Körpergewicht und leise von ihnen ausgeführte Bewegungen
genügen, um entsprechende Reizwirkungen zu verursachen. Legt man
z. B. einen Ameisenlöwen auf die Borstenspitzen einer Kleiderbürste,
so genügt oft der durch das eigene Körpergewicht veranlaßte Reiz auf
die Bauchseite, um das Tier zur Ausführung des Einbohrreflexes zu
veranlassen. Auch die Rückenseite ist in ähnlicher Weise reizbar; Tiere
in Rückenlage werden oft bei Auflegen auf die Borsten einer Bürste zu
sofortigem Umdrehreflex veranlaßt. Die Natur dieser Reizung wird uns
noch klarer, wenn wir sehen, daß das Anblasen der Tiere in dieser
Situation prompteste Reizerfolge herbeiführt.
[Illustration: Abb. 39. Ameisenlöwe, in Glasröhre durch Thigmotaxis
gezwungen, in der Richtung der Lichtstrahlen zu kriechen, sich aber
nach Verlassen der Röhre sofort diesen entgegen wendend.]
Wir verstehen daher, daß ein Tier, welches von verschiedenen Seiten
thigmotaktisch gereizt wird, leicht dadurch zu einer anhaltenden
Fortbewegung veranlaßt wird. So kriechen z. B. Tiere, welche man
in Glasröhren zwängt, deren Lumen so weit ist, daß die Tiere mit
den beiden Schultern und bei Bewegungen abwechselnd mit der Bauch-
und Rückenseite am Glas anstoßen, oft in langer, anhaltender und
ziemlich rascher Bewegung durch die Glasröhren hindurch. Gerade
dies abwechselnde Anstoßen ist bei dem Vorgang von Bedeutung, da es
verhindert, daß das Tier durch allseitige Reizung zur Ruhe kommt.
Unbekümmert um alle sonstigen Reize erfolgen solche Wanderungen in der
Richtung, in welcher man die Glasröhre angeordnet hat, wobei das Tier
immer mit dem Hinterende voran kriecht. Man kann solche Glasröhren
z. B. ganz beliebig zum Einfall der Lichtstrahlen orientieren. Die
Thigmotaxis siegt stets über die Phototaxis und zwingt das Tier, die
Röhre entlang zu wandern; es macht nicht einmal Versuche, in der
Röhre sich umzudrehen, wenn dieselbe auch weit genug ist, um eine
Umdrehung zu erlauben. Bei meinen Versuchen wandte ich Glasröhren
von 50, 70 und 100 cm Länge an. Waren dieselben in die Achse der
Lichtstrahlen gelegt, und steckte man die Tiere mit dem Hinterteil
voran in die der Lichtquelle zugewandte Oeffnung, so krochen sie in
ziemlich raschem Tempo durch die ganze Glasröhre bis zu deren dem Licht
abgewandter Oeffnung. Sie krochen also entgegengesetzt der Richtung der
Lichtstrahlen. Kaum waren sie aber aus dem Hinterende der Glasröhre
hervorgekrochen, als sie nach einer ganz kurzen Versuchskurve sich
umdrehten und parallel der Röhre der Lichtquelle wieder zukrochen (Abb.
39). Der Bogen der Versuchsbewegung verhinderte es meistens, daß das
Tier seine Rückwanderung in Kontakt mit der Glasröhre ausführte. Aber
auch das kam in einzelnen Fällen vor, so daß dann die Tiere unter der
doppelten Einwirkung von Photo- und Thigmotaxis rasch und sicher der
Lichtquelle zuwanderten.
Ich habe sehr verschiedene Lichtintensitäten bei den Versuchen
angewandt; stets sah ich aber die Thigmotaxis auch über die stärksten
Lichtreize überwiegen.
Der Berührungsreiz einer Körperseite des Tieres führt also durch
Kontraktion der Muskulatur dieser Körperseite stets eine Biegung des
Körpers nach dieser Seite herbei. So sehen wir den Hinterleib bei
Berührung von unten durch den Sand sich nach unten biegen und so in
den Sand eindringen. Jede Berührung der Körperseiten veranlaßt deren
Anschmiegung an die berührende Fläche. Die thigmotaktische Reaktion
ist also eine reflektorische Bewegung des Tierkörpers. Arbeiten diese
reflektorischen Bewegungen mit den Wirkungen anderer Reflexe zusammen,
so kommen jene eigenartigen Bewegungskombinationen zustande, welche wir
in den letzten Abschnitten kennen lernten.
Wirkt aber thigmotaktische Reizung von allen Seiten auf den
Ameisenlöwen ein, so erfolgt eine leichte Kontraktion seiner gesamten
Längsmuskulatur, und das Tier bleibt in Ruhestellung, wenn nicht
ein neuer Reiz es zur Bewegung veranlaßt. So bleibt es ruhig und
unbeweglich liegen, wenn es, im Sand eingewühlt oder am Grunde seines
Trichters sitzend, allseitig von den Sandkörnern umhüllt ist.
7. Chemische Sinne.
Im Anfang meiner Versuche fand ich keine Erscheinungen, welche auf eine
wesentliche Mitwirkung der chemischen Sinne bei den Lebenserscheinungen
der Ameisenlöwen hinwiesen. So wurden z. B. am 11. Okt. 1911 einem
Ameisenlöwen beide Antennen nahe der Basis abgeschnitten. Das so
operierte Tier drehte sich in normaler Weise um und wühlte sich in den
Sand ein. Es baute nicht nur einen vollkommenen Trichter, sondern fing
am 12. Okt. in der üblichen Weise eine Ameise durch Schleudern mit Sand
und saugte sie aus. Es lebte noch wochenlang, baute aber von Anfang
November ab keine ordentlichen Trichter mehr. Statt dessen wanderte es,
wie die Furchen auf der Oberfläche des Sandes verrieten, auf diesem
vielfach hin und her. Es nahm späterhin keine Ameisen mehr an, selbst
wenn man sie ihm längere Zeit zwischen die Kiefer hielt.
Es ist aber sehr zweifelhaft, ob dies abnorme Benehmen mit der
Amputation der Antennen zusammenhängt. In sämtlichen Jahren, in denen
ich die Ameisenlöwen beobachtete, benahmen sich nämlich um dieselbe
Jahreszeit viele unverletzte Individuen genau wie jenes operierte Tier
(vgl. S. 125). Solche Tiere, welche, aus dem Sand gegraben, nicht
in Bereitschaftsstellung sich befinden, schnappen nicht nach den
Ameisen. Die Ameisen können ihnen auf dem Kopf, den Mandibeln, dem
Hals herumklettern, ohne daß sie schnappen. Auch zerdrückte Ameisen,
von denen eventuell wirksame Geruchsstoffe in stärkerem Maße ausgehen
könnten, als von den lebenden Tieren, führen zu keiner Reaktion. Reizt
man jedoch zur gleichen Zeit die Ameisenlöwen durch Berührung mit
Borsten, so führen sie den Schnappreflex aus und fassen dabei auch
gelegentlich Ameisen, die man ihnen vorhält. Die letzteren geraten
ihnen dann meist nur zwischen die soliden Zähne der Mandibel. Sie
verursachen keine Erhöhung der Erregung des Tieres. Der Ameisenlöwe
macht keine Versuche, sie fester zu fassen, und sie werden auch nicht
ausgesaugt. Auch Berührung mit toten Ameisen führt nur zu einem Reflex,
wie er sonst durch irgendeinen Tastreiz ausgelöst werden kann, also
z. B. zum Schnappreflex, oder wenn das Tier sich außerhalb des Sandes
befindet, zur Rückwärtsbewegung. Es scheint also in all diesen Fällen
der Tastreiz weit wirksamer zu sein als ein chemischer Reiz.
Dennoch gaben mir andere Versuche die Gewißheit, daß auch beim
Ameisenlöwen die Antennen der Sitz der Chemorezeption und zwar eines
dem Geruchsinn ähnlichen Sinnes sind. Ich habe oben schon angeführt,
daß die Antennen in sehr geringem Grade durch Berührung reizbar sind.
Bei meinen Versuchen, welche zur Feststellung dieser Tatsache führten,
beobachtete ich einmal, daß ein Ameisenlöwe in ganz eigenartiger Weise
auf die Annäherung einer Nadel an seine Antennen reagierte. Wenn die
Nadel bis auf 3 oder 5 mm den Antennen genähert wurde, zogen sie sich
langsam vor ihr zurück; sie wurden dabei im Gelenk des Basalgliedes
nach hinten gebogen. Es machte zunächst vollkommen den Eindruck,
als sei die Annäherung der Nadel von dem Tier gesehen worden. Das
konnte aber nicht der Fall sein, wie Versuche mit einer anderen Nadel
bewiesen. Die Antennen reagierten nämlich nicht nur nicht auf die
Annäherung, sondern nicht einmal auf die Berührung mit dieser zweiten
Nadel. Diese zweite Nadel war nämlich vor dem Experiment von mir aufs
sorgfältigste durch Ausglühen, Abwischen mit Alkohol und Eintauchen in
Aether gereinigt worden. Jene erste Nadel, welche ich nur aus Versehen
benützt hatte, war aber an ihrer Spitze mit einem kleinen Tropfen
vertrockneten Kanadabalsams verschmutzt. Verschiedene Tiere zeigten bei
Annäherung dieser Nadel wiederum deutliche Reaktionen mit den Antennen.
Ich tauchte darauf die Spitze einer reinen Nadel in Nelkenöl und
näherte sie bis auf 3 mm den Antennen eines Tieres. Das hatte sehr
zuckende Bewegungen der Antennen, ja selbst ein Zucken des Kopfes zur
Folge.
Ich stellte daraufhin weitere Versuche an, indem ich Nadeln mit anderen
stark riechenden Stoffen benetzte und an die Antennen annäherte. Ich
bekam aber keine deutliche Reaktion bei Anwendung von Ammoniak, Aether
und Chloroform. Ebensowenig reagierten die Antennen bei Annäherung
einer zerquetschten Ameise.
Sehr bemerkenswert war aber die Beobachtung, daß bei Berührung der
Antennen mit einem mit jenen Geruchsstoffen benetzten Pinsel die
Antennen stets charakteristische schwingende Bewegungen ausführten.
Dies trat auch bei Tieren ein, deren Antennen auf Berührung mit einem
trockenen Pinsel gar nicht reagierten.
Die Versuche mit dem Kanadabalsam und Nelkenöl zeigen also deutlich,
daß von diesen Stoffen ein Reiz auf die Antennen des Ameisenlöwen
ausgeübt wird, welcher sich durch die Luft fortpflanzt. Dieser Reiz
kann nur in einer chemischen Einwirkung bestehen, und da er durch die
Luft übertragen wird, so entspricht er vollkommen denjenigen Reizen,
welche bei anderen Tieren und den Menschen für den Geruchssinn adäquat
sind. Wir dürfen also mit gutem Recht das Vorkommen eines Geruchssinnes
bei dem Ameisenlöwen annehmen.
VI. Die wichtigsten Reflexe des Ameisenlöwen.
In den vorstehenden Kapiteln haben wir gesehen, daß alle komplizierten
Handlungen im Leben des Ameisenlöwen auf eine Anzahl von Bewegungen
zurückzuführen sind, welche durch bestimmte Reize ausgelöst werden.
Durch einen peripheren Reiz wird die Kontraktion einer Anzahl von
Muskeln veranlaßt. Es handelt sich also offenbar um +Reflexe+. Wir
haben die Handlungen des Tieres also auf eine Reihe von Reflexen
zurückgeführt.
Die wichtigsten dieser Reflexe sind folgende:
1) +der Einbohrreflex+,
2) +der Schleuderreflex+,
3) +der Schnappreflex+.
Wir wollen diese in den früheren Abschnitten in ihren Wirkungen
studierten Reflexe noch einmal kurz zusammenfassend schildern.
1. +Der Einbohrreflex.+ Er besteht in zuckenden Bewegungen der
Hinterleibsspitze, welche sich in der Regel mehrmals hintereinander
wiederholen. Diese sind durch eine ruckweise abwechselnde Kontraktion
der ventralen und dorsalen Längsmuskulatur des Hinterleibes bedingt.
Die Bewegung wird durch taktile Reize der Unterseite des Abdomens
ausgelöst.
2. +Der Schleuderreflex.+ Er besteht ebenfalls in ruckweisen
Bewegungen, die sich mehrmals hintereinander wiederholen können. Die
Art der Bewegungen ist bedingt durch den Bau der Gelenke zwischen Kopf
und Thorakalsegmenten. Die Bremseinrichtungen auf diesen Gelenken
halten bei gespannten Muskeln die vorn gelegenen Körperteile zurück, so
daß sie plötzlich in die Höhe schnellen. Hier ist es die Kontraktion
der dorsalen Längsmuskulatur, welche das Emporschnellen von Kopf und
erstem Thorakalsegment, manchmal auch die dorsale Umbiegung weiterer
Thorakalsegmente verursacht. Der Schleuderreflex erfolgt entweder in
der Sagittalachse des Tieres nach oben und hinten oder in beliebigem
Winkel seitlich von ihr. Die Richtung der Bewegung ist durch die
gereizte Stelle bedingt; sie findet in der Richtung auf diese Stelle
hin statt. Das ist durch eine Zerteilung der bewegenden Muskulatur in
zahlreiche kleine Bündel ermöglicht.
3. +Der Schnappreflex.+ Dieser betrifft hauptsächlich die Bewegung der
Mundgliedmaßen. Er kann allein für sich erfolgen oder in Verbindung
mit dem Schleuderreflex. Fast stets ist letzteres unter natürlichen
Verhältnissen der Fall. Die Bewegung besteht in einer Aufrichtung des
Kopfes und vor allem im Zuschnappen der Mundgliedmaßen. Letzteres
wird durch ein im Kopf befindliches kräftiges Muskelsystem bewirkt.
Auch hier wird das plötzliche Zuschnappen durch Bremsvorrichtungen
an den Gelenken der Mundgliedmaßen begünstigt, welche bei gespannter
Muskulatur jene in einer bestimmten Stellung zurückhalten können.
Ausgelöst wird der Schnappreflex durch Berührung der Mundgliedmaßen
oder der vorderen Regionen des Kopfes. Fast stets erscheint er aber mit
dem Schleuderreflex in einen Vorgang verkettet. Dann erfolgt er auf
die gleichen Reize hin, welche jenen auslösen.
Außer diesen wichtigsten Reflexen lassen sich natürlich am Ameisenlöwen
eine größere Anzahl weiterer reflektorischer Bewegungen feststellen.
Ich habe sie meist nicht so genau studiert, wie die genannten
Grundreflexe, welche die Lebenserscheinungen des Ameisenlöwen
beherrschen. So ist der Uebergang in die Bereitschaftsstellung (S.
36) eine Reflexbewegung, das gleiche gilt für die Putzbewegungen und
überhaupt für die Beinbewegungen beim Wandern, Wühlen und Graben. Auch
das Aussaugen der gefangenen Beute und das Loslassen nach dem Fressen
sind reflektorisch bedingt. Die Handlungen, welche für das Leben des
Ameisenlöwen besonders charakteristisch sind, lassen sich aber alle auf
die erwähnten drei Grundreflexe zurückführen. Wir sahen ja früher, daß
Tiere, welche der Beine und der Antennen beraubt sind, ohne ihre Hilfe
dennoch Trichter bauen und Ameisen fangen können.
Die drei Grundreflexe sind also für die lebenswichtigsten Handlungen
des Ameisenlöwen ausschlaggebend. Es wäre nun hier die Frage noch zu
erörtern, ob bei diesem Tier auch noch besondere +Abwehrreflexe+
vorkommen, wie sie bei anderen Tieren meist so auffällig sind. Der
wichtigste Schutz des Ameisenlöwen ist das +Totstellen+. Stark
gereizte Tiere verwenden aber auch den Schnappreflex in einer Weise,
welche durchaus an die Abwehrreflexe anderer Tiere erinnert. Schon
daß das Schnappen immer nach einer gereizten Stelle der Oberfläche
des Körpers stattfindet, gibt dieser Handlung den Charakter einer
Abwehrhandlung. So sehen wir also den zu so vielen Zwecken dienenden
Schleuder- und Schnappreflex noch eine weitere Verrichtung im Leben des
Ameisenlöwen leisten.
Auch die Bewegungen, welche zum +Putzen+ der Oberfläche des
Tierkörpers dienen, werden als Abwehrbewegungen benützt. Ist ein
Tier an der Oberfläche, z. B. in der Nähe der Augen, der Antennen,
der Mundgliedmaßen oder der Stigmenöffnungen, mit sehr feinem
Staub, z. B. Ruß, bedeckt worden, so führt es mit den Extremitäten,
besonders mit dem dritten Beinpaar putzende, schabende Bewegungen aus.
Dieselben Bewegungen treten ein, wenn das Tier in den entsprechenden
Regionen einem mechanischen Reiz anderer Art ausgesetzt wird. Unter
Umständen werden dann die Bewegungen so heftig, daß sie den Eindruck
von Abwehrbewegungen machen. Man sieht also aus alle dem, daß der
Ameisenlöwe, bei dem das Totstellen solche entbehrlich macht,
eigentlicher Abwehrreflexe entbehrt.
Sämtliche geschilderte Reflexe sind vom Gehirnganglion des Ameisenlöwen
unabhängig. Amputiert man einem Exemplar den Kopf, so findet
trotzdem der Einbohr- und der Schleuderreflex unverändert statt. Der
Schnappreflex kann natürlich nicht mehr ausgeführt werden. Reizt man
mit einer Nadel die Unterseite des Abdomens, so findet noch regelrecht
die Einziehung der Hinterleibsspitze und die Kontraktion des ganzen
Abdomens statt. Doch hört sehr bald die rhythmische Wiederholung dieser
Bewegung auf. Berührung der Region zwischen den Beinen führt Abwehr-
resp. Kriechbewegungen der dritten Beine herbei, Berührung der Region
zwischen den zwei vorderen Beinpaaren ein Vorneigen des Halses und
Zusammenbiegen der Beine, verbunden mit Zusammenkrümmen des ganzen
Körpers nach der Bauchseite. Am ausgesprochensten erhalten sind die
Reaktionen bei Reizung der Rückenseite. Die erhaltenen Thorakalsegmente
führen noch vollkommen regelrecht den +Schleuderreflex+ aus. Ja, was
besonders bemerkenswert ist, die Bewegung erfolgt ganz entsprechend
dem lokalisierten Reiz, also bei Reizung der rechten Körperseite nach
dieser hin, bei Reizung der linken Seite nach links. Die Richtung der
Bewegung geht wie beim unverletzten Tier genau auf den gereizten Ort
los.
In einzelnen Fällen erhielt ich die Reflexe 24 Stunden nach Abschneiden
des Kopfes noch ganz deutlich. Das erste und dritte Beinpaar wurden
in der typischen Totstellhaltung gehalten, das zweite dagegen schief
nach oben, steil emporgerichtet. Bei Berührung der Unterseite des
Hinterleibes erfolgte noch Schabreflex des dritten Beinpaares
und Zappeln des zweiten Beinpaares, ferner deutliche Einkrümmung
der Hinterleibsspitze ventralwärts. Bei Berührung der Oberseite
der erhaltenen Thorakalsegmente stellte sich noch ein schwacher
Schleuderreflex und leichtes Zurückkriechen ein.
[Illustration: Abb. 40. Anordnung des Nervensystems des Ameisenlöwen.
Vergr. 20mal. _A_ Antenne. _Au_ Auge. _G.f._ Ganglion frontale.
_G.opt._ Ganglion opticum. _O.Schg._ Oberschlundganglion. _U.Schg._
Unterschlundganglion. _1. Thg._, _2. Thg._, _3. Thg._ 1.–3.
Thorakalganglion. _1.–9. Abdg._ 1.–9. Abdominalganglion.]
Beginnt man mit der Abtrennung der Abdominalsegmente von hinten,
so findet der Schleuderreflex noch statt, wenn nur mehr wenige der
vorderen Segmente erhalten sind. Ja sogar, wenn nur mehr das dritte
und zweite Thorakalsegment mit dem Kopf zusammenhängen, wird er
noch ausgeführt. Beim weiteren Vorrücken der Durchschneidung bis
auf das erste Thorakalsegment findet der Schleuderreflex nur mehr
andeutungsweise statt. Schließlich der abgeschnittene Kopf allein
kann natürlich, schon weil die zugehörigen Muskeln fehlen, den
Schleuderreflex nicht mehr ausführen. Wie ich aber in Bestätigung der
Angaben von +Comes+ feststellen konnte, findet noch am abgeschnittenen
Kopf der Schnappreflex statt. Die Mandibel, welche während der
Ausführung des Schnittes nach der Schere geschnappt hatten, bleiben
fest zugekniffen. Um einen erfaßten Gegenstand, also die Pinzette,
eine Nadel oder Borste, bleiben sie fest geschlossen. Nur mit Gewalt
gelingt es, sie zu öffnen, worauf sie sofort wieder zuschnappen. Es
liegt also ein tonischer Krampf der Schließmuskeln vor, der mindestens
eine Stunde nach dem Abschneiden des Kopfes anhält. Die Kraft dieser
Muskeln ist sehr erheblich, und es kostet eine gewisse Anstrengung,
die Mandibel auseinanderzuzwängen, ohne sie zu zerbrechen. Läßt
man sie zuschnappen, so wird dadurch der Kopf oft 10-20 cm weit
fortgeschleudert. Beobachtungen, welche ich an dem länger in einer
feuchten Kammer aufgehobenen Kopf machen konnte, veranlassen mich, in
den letztbeschriebenen Erscheinungen kein reines Nerv-Muskelphänomen
zu erblicken. Die Mandibel bleiben nämlich am abgeschnittenen Kopf 24,
48 Stunden und länger fest geschlossen und schnappen beim gewaltsamen
Oeffnen immer wieder automatisch zu. Ich bin geneigt, diese Erscheinung
wenigstens zum Teil auf die mechanischen und morphologischen Grundlagen
der Schnappbewegung zurückzuführen. Ich erinnere hier noch einmal an
die eigenartige Beschuppung der Gelenke von Mandibel und Maxille,
welche sicherlich bei geeigneter Gegenreibung eine starke Bremsung der
Mundgliedmaßen herbeiführen muß. Im einzelnen ist mir der Vorgang noch
nicht ganz klar geworden, da es mir noch nicht gelang, die Muskulatur
des Kopfes und ihre Innervierung vollkommen zu erforschen.
VII. Die Reizbarkeit des Ameisenlöwen.
Reizbiologisch und reizphysiologisch ist der Ameisenlöwe insofern ein
sehr merkwürdiges Tier, als er sich normalerweise in einem Zustand
der Unterempfindlichkeit befindet. Ganz selten findet man ihn bereit,
sofort und intensiv auf Reize zu reagieren. Das ist in der Regel nur
dann der Fall, wenn er in freier Natur im Sand sitzt, so daß nur der
Kopf herausschaut, und wenn eine hohe Temperatur, etwa 25-35° C, ihn
umgibt.
Dann sitzt er in +Bereitschaftsstellung+ in seinem Trichter, und die
von den Ameisen ins Rollen gebrachten Sandkörner veranlassen ihn zu
kräftigen Schleuder- und Schnappreflexen. Aber selbst dann kann es
vorkommen, daß mehrere Reize, d. h. wiederholtes Herabrollen von Sand
notwendig ist, ehe die erste Reaktion erfolgt.
Nimmt man das Tier aus dem Sand, so erfolgt stets zunächst das
Totstellen. Bei Wärme kann man experimentell von dem Tier dann stets
sofort Reizreaktionen erhalten; es ist unter solchen Umständen sehr
leicht aus dem „Schlafzustand“ zu erwecken.
Die Regel ist aber bei allen Reizen, daß die Tiere zuerst mehr träge
reagieren, und erst nach einer Reihe von Reizungen werden, offenbar
infolge der Summation der Reizwirkung, die Reizbeantwortungen immer
präziser und kräftiger. Wir haben dafür früher zahlreiche Beispiele
kennen gelernt.
Vor allem ist es der beim Ameisenlöwen im Sinnesleben ja so sehr
überwiegende Tastsinn, durch dessen wiederholte Reizung man das Tier in
einen Erregungszustand versetzen kann, in welchem alle Sinnesorgane auf
leichtere Reizungen antworten als vorher.
Alle von mir studierten Reflexe des Ameisenlöwen lassen sich durch
Tastreize herbeiführen; eine Ausnahme machen vielleicht die noch
nicht genauer studierten Reflexe, welche beim Aussaugen der Nahrung,
beim Spinnen des Kokons usw. eine Rolle spielen. Doch habe ich einige
Anhaltspunkte, daß auch bei ihnen der Tastreiz eine Hauptrolle spielt.
Bemerkenswert ist aber die Tatsache, daß im allgemeinen bei Tastreiz
genau dieselben Reflexbewegungen auftreten, welche auch durch andere
Reize, so besonders durch Wärmereiz, auch durch Lichtreiz, vielleicht
durch chemische Reize ausgelöst werden. Dabei ist festzustellen,
daß nächst dem Berührungsreiz am stärksten der thermische, dann der
photische und zuletzt der chemische in bezug auf die Stärke der
Reizwirkung anzuordnen sind.
VIII. Abriß der Lebensgeschichte des Ameisenlöwen.
Meine Beschäftigung mit dem Ameisenlöwen lehrte mich auch sein Leben
und Verhalten im Freien kennen, so daß ich die Kenntnisse über seine
Lebensgeschichte in einigen Punkten ergänzen kann. Ich stelle in diesem
Abschnitt kurz alles zusammen, was man über die Schicksale dieses
Tieres im Laufe eines Jahreszyklus bisher weiß, wobei ich meine neuen
Befunde gleichzeitig mit den früheren Kenntnissen darstelle.
Aus dem Ei kriecht eine kleine Larve aus, welche in den Hauptzügen des
Baues vollkommen der alten Larve gleicht. Das Auskriechen aus dem Ei
habe ich selbst nicht beobachtet, aber ich fand vielfach sehr kleine,
wenige Millimeter lange Larven im Freien. Diese kleinen Larven bauen
schon kleine Trichter, die selbst nur wenige Millimeter Durchmesser
erreichen. Ich fand sie meist nur im allerfeinsten, staubartigen Sand.
Schon ganz kleine Larven sind imstande, Ameisen, vor allem Lasius- und
Myrmicaarten zu bewältigen und auszusaugen. Ich vermute aber, daß sie
auch allerhand andere Tiere, so z. B. Blattläuse und junge Spinnen,
in ihren Sandlöchern fangen. Ich schließe dies teils aus dem Umstand,
daß sich in der Umgebung ihrer Löcher Häute von solchen Tieren finden,
teils aus einigen Beobachtungen; allerdings handelte es sich bei
letzteren um Tiere in der Gefangenschaft, welche gelegentlich solche
kleine Arthropoden fingen, die ihnen gegeben wurden. Mit der Größe
der Tiere wächst die Größe ihrer Trichter, und sie werden immer mehr
befähigt, auch große Ameisen zu bewältigen. Selten sieht man, daß ein
Ameisenlöwe, wenn er noch so klein ist, vergeblich um eine Ameise
kämpft. Die Größe des Trichters hängt aber nicht allein von der Größe
seines Erbauers ab. Wir sahen ja oben, daß bei steigender Wärme, nach
starker Reizung usw. das gleiche Tier einen viel größeren Trichter zu
bauen vermag als vorher.
Schon bei recht jungen Tieren kann man im Larvenzustand
Geschlechtsunterschiede erkennen. Es sind nämlich die Weibchen größer
als die Männchen. Nicht sicher ist mir ein Unterschied, den ich bei
einer Anzahl von Tieren beobachtete; ich zählte nämlich bei manchen
Exemplaren statt der üblichen Zahl von 15 Antennengliedern deren 17-18.
Ich hielt letztere für Männchen, doch konnte ich das nicht mit aller
Sicherheit feststellen, da es sich um ausgekochte Chitinpräparate
handelte. Möglicherweise sind aber die Unregelmäßigkeiten in den Zahlen
der Antennenglieder auf die häufig vorkommenden Regenerationen und
vielleicht auch Hyperregenerationen nach Verletzungen zurückzuführen.
Ich beobachtete sehr kleine Larven sowohl im Frühsommer als auch im
Spätherbst. Im Frühling gab es auch kleine Tiere, aber die kleinsten
Formen fehlten. Ich ziehe daraus den Schluß, daß die Eier von Myrmeleo
nicht überwintern. Es überwintern vielmehr erstens Larven und zweitens
Puppen. Die überwinternden Larven gehören verschiedenen Altersstufen
an. Zum Teil sind es Tiere, welche früh im Sommer aus den Eiern
gekrochen waren und schon eine Wachstumsperiode von größerer Ausdehnung
hinter sich hatten, wenn der Winter kam. Man findet im Spätherbst und
im ersten Frühling große stattliche Ameisenlöwen, welche sich früh im
Sommer schon verpuppen und früh ausschlüpfen. Das Einspinnen in die
Kokons findet im allgemeinen hier Mitte Mai bis Mitte Juni statt. Der
Aufenthalt im Kokon dauert 3-4 Wochen; davon verbringt das Tier 2-3
Wochen als Larve und nur 1 Woche als Puppe. Die Imagines erscheinen
Anfang oder Mitte Juni. Von ihnen stammen Larven ab, welche schon früh
im Sommer aus den Eiern auskriechen und ähnlich, wie ihre Eltern, ein
gut Stück gewachsen sein können, ehe die Winterszeit eine Unterbrechung
herbeiführt.
Es hat mancherlei Kontroversen über die Entwicklungszeit der
Ameisenlöwen schon gegeben, bedingt durch das eigenartige Vorkommen
junger Larven zu verschiedenen Jahreszeiten. Während manche Beobachter
den Ameisenlöwen für ein einjähriges Tier erklärten, waren andere
der Meinung, er sei zwei- oder gar mehrjährig. Nach meiner Ansicht
ist diese Verschiedenheit dadurch zu erklären, daß infolge der
Schwierigkeiten der Nahrungsbeschaffung die Tiere verschieden
rasch heranwachsen. Ist der Sommer kalt und regnerisch, so wird es
im Herbst viele Hungertiere geben, welche noch unverpuppt in den
Winter hineingehen, da sie noch nicht erwachsen sind. Diese sind
im nächsten Jahr erst ziemlich spät geschlechtsreif, so daß ihre
Nachkommen ebenfalls unverpuppt in den Winter gehen müssen. Diese
Formen überkreuzen sich nun mit anderen, die früh zur Begattung
kamen und daher Larven erzeugten, die sich schon vor dem Winter
verpuppten. So können wir wohl sagen, daß es ein- und zweijährige
Ameisenlöwen gibt, der Zyklus ist aber nicht absolut festgelegt,
sondern von äußeren Bedingungen abhängig. Meine Erfahrungen stimmen
also gut mit den Schlußfolgerungen +Redtenbachers+ überein. Manche
Verschiedenheiten in den Angaben der Autoren erklären sich wohl durch
die verschiedene geographische Lage und die besonderen klimatischen
Bedingungen ihres Beobachtungsortes. So mag die rasche Entwicklung der
von mir beobachteten Individuen durch das warme Klima der Freiburger
Gegend bedingt sein. In anderen Gegenden Deutschlands habe ich
keine Aufzeichnungen gemacht. Auch können verschiedenen Autoren die
verschiedenen Arten von Myrmeleo vorgelegen haben.
Was nun die Ernährung der Ameisenlöwen anlangt, so sind sicher die
wichtigste Beute der erwachsenen Individuen Ameisen. Gelegentlich
saugen auch sie eine Spinne oder ein Insekt aus, das in ihren Trichter
gerät, so z. B. Fliegen, Wespen, selbst Käfer, oft Raupen. Nicht selten
töten und saugen sie ihre eigenen Artgenossen aus. Das geschieht
besonders in der Gefangenschaft, wenn man ihrer viele auf engem Raum
beisammen hält. So kann es kommen, daß von einem großen Sandkasten voll
Ameisenlöwen nur einige wenige zur Verpuppung gelangen, die sich auf
Kosten der übrigen ernährt haben und herangewachsen sind.
Beim Ameisenfang kann man oft sehen, daß eine erbeutete Ameise sich
noch heftig durch Bewegungen zu wehren sucht. Der Ameisenlöwe zieht
sie dann vielfach unter den Sand. Schneller aber, als daß es durch
Erstickung oder durch das Aussaugen bewirkt sein könnte, hören die
Bewegungen des Opfers auf. Man kommt daher unwillkürlich auf die Idee,
daß das rasche Sterben durch Giftentwicklung erzielt sein könnte.
Tatsächlich befindet sich an der Basis der Maxille eine Drüse, welche
+Lozinski+ genauer untersucht hat und für eine Giftdrüse hält. Die
Giftwirkung des Drüsensekrets ist nun nicht gesichert. Experimente
darüber liegen nicht vor. Auch ist das Absterben der Opfer nicht immer
so prompt, daß man mit Sicherheit auf eine Giftwirkung schließen müßte.
Die Frage ist also noch unentschieden.
Auch sehr junge und kleine Tiere fangen schon Ameisen und saugen sie
aus. Ich habe oft beobachtet, daß Exemplare von nur 2-3 mm Länge eine
ebenso große oder größere Ameise überwältigten, wenn sie richtig in
ihrem Sandtrichter saßen. Doch halte ich es für wahrscheinlich, daß sie
in der ersten Jugend auch andere Insekten, vor allem kleine Spinnen und
Blattläuse häufig fangen. Ich fand wenigstens deren Reste nicht selten
in der Umgebung der Trichter.
Da auch die jüngsten Tiere, welche ich untersuchte, nur rückwärts zu
laufen vermochten, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, daß etwa
die jungen Larven nach Art ihrer Verwandten auf Wanderung gehen und
Blattläuse suchen. Das wäre mit dem Reflexautomatismus ihrer Bewegungen
kaum zu vereinigen. Die auf Insektenraub ausziehenden Ameisenlöwenarten
sind alle zum Vorwärtsgehen befähigt.
Auch scheint es mir nicht wahrscheinlich, daß normalerweise die jungen
Ameisenlöwen im Herbst noch keine Trichter bauen und noch nicht
fressen. In der Freiburger Gegend fand ich jedenfalls im Herbst sehr
zahlreiche ganz kleine Larven in ganz kleinen Trichtern beim Fang
beschäftigt.
Wir wollen nun kurz einen Blick auf die Art der Nahrungsaufnahme und
Ernährung des Ameisenlöwen werfen, wenn ich auch im Verlauf dieser
meiner Untersuchung kaum etwas zur Vermehrung unserer Kenntnisse in
dieser Beziehung beitragen konnte.
Ein Ameisenlöwe, der eine Ameise gefangen hat, hält sie, sobald sie
bewegungslos geworden ist, ruhig zwischen seinen Mandibeln und saugt
sie mit Hilfe des zwischen Maxille und Mandibel gebildeten Rohres
aus. Dabei ist es nicht ganz sicher, ob das Aussaugen sich auf Blut
und Gewebssäfte beschränkt, oder ob, wie bei anderen Insekten, eine
Vorverdauung außerhalb des Körpers stattfindet. Bei den Larven
von Dytiscus z. B. wird durch die Mandibelröhren in die Beute ein
enzymhaltiger Saft eingespritzt, der dort eine Auflösung der Muskeln
und übrigen Gewebe bewirkt, welche sodann in verflüssigtem Zustand
eingesogen werden. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß beim
Ameisenlöwen der Vorgang ebenso abläuft. Alles spricht jedenfalls
dafür, daß auch dies Tier nur flüssige Nahrung aufnimmt. Ich habe
eine größere Anzahl von den Larven ausgesaugte Ameisen untersucht und
konnte im Innern ihres Chitinpanzers keinerlei Organe mehr finden.
Sowohl Muskeln fehlten im Thorax, ja selbst in den Extremitäten und dem
Kopf, als auch alle Organe des Abdomens und der übrigen Körperteile.
Es ist also durchaus wahrscheinlich, daß sie gelöst worden sind. Die
Annahme, welche z. B. +Dewitz+ machte, daß durch Hin- und Herreiben
der Maxille und Mandibel aneinander eine Art von Kautätigkeit ausgeübt
werde, ist jedenfalls überflüssig. Der Pharynx ist in ähnlicher Weise
gebaut, wie bei anderen saugenden Insekten, der Oesophagus sehr eng.
Bei jenen anderen Insekten mit Verdauungsanfang außerhalb des eigenen
Körpers ist es strittig, ob der verdauende Saft aus besonderen Drüsen
oder aus dem Mitteldarm kommt. Letzteres ist in jenen Fällen sicher
das Wahrscheinlichere, und auch in unserem Fall dürfen wir dies wohl
annehmen. Immerhin ist festzustellen, daß paarige, in den hinteren
Pharynx einmündende Speicheldrüsen beim Ameisenlöwen vorhanden sind.
Deren Sekret muß mindestens eine verdünnende Wirkung auf den Saft, der
gesaugt wird, ausüben. Auch ist anzunehmen, daß ein derartiges Sekret
zur Verdichtung der Saugröhre in ihrem Anschluß an den Körper des
Opfers dienen mag, doch könnte dies auch die Funktion der Maxillendrüse
sein.
Das, was der Ameisenlöwe aus der Ameise saugt, ist zum größten Teil
zu seiner Ernährung ausnutzbar. Viele Rückstände fester Art bleiben
jedenfalls im Darmkanal nicht übrig. Sie würden auch keinen normalen
Ausweg aus diesem finden, denn der Ameisenlöwe hat einen geschlossenen
Mitteldarm; im Enddarm findet sich kein Kot, denn er hat keine
Verbindung mit Magen und Mitteldarm. Es liegen hier also ähnliche
Verhältnisse vor, wie bei den Larven aculeater Hymenopteren. Schon
+Réaumur+ (1742) war dies bekannt, wie auch +Rösel von Rosenhof+
(1755). Und +Ramdohr+ (1811) hatte schon erkannt, daß der Enddarm
den „Seidenstoff“ enthält, von dem wir noch hören werden, daß er das
Produkt der Malpighischen Gefäße ist und mit Hilfe der Analröhre
zum Gespinst des Kokons verarbeitet wird. +Burmeister+, +Dufour+,
+v. Siebold+, +Brauer+, +Gerstäcker+ und vor allem +Meinert+ trugen
allmählich dazu bei, die merkwürdigen Bau- und Funktionsverhältnisse
des Ameisenlöwendarms klarzulegen. Letzterer und besonders +Rengel+
(1908) haben das eigenartige Problem definitiv gelöst.
Auf den beim erwachsenen Ameisenlöwen etwa 8 mm langen, dünnwandigen
Oesophagus folgt nach einer kropfartigen Ausbuchtung des letzteren ein
großer und weiter Magen als Anfangsteil des Mitteldarms. In diesem
Magenteil ist eine schwarzbraune, flüssige Inhaltsmasse enthalten.
Sie dringt aber nicht weiter als in den 8-10 mm langen Magen ein, der
mehrfach gekrümmt ist und sich in einen kompakten +Stiel+ fortsetzt.
Es ist dies noch ein Teil des Mitteldarms, und er erstreckt sich bis
zu der Stelle, wo die 8 Malpighischen Gefäße einmünden. Dieser Teil
des Mitteldarms hat +kein Lumen+, der Magen ist also nach hinten
verschlossen. Der solide Strang ist etwa ¾ mm lang.
Im Innern des Mitteldarmstranges finden sich Nester von regenerativen
Zellen, wie sich solche auch zwischen den Epithelzellen des Magens,
also des verdauenden Mitteldarmteils finden.
An den Mitteldarmstrang schließt sich der Enddarm an, der von der
Einmündungsstelle der Malpighischen Gefäße an wieder ein Lumen hat.
Deren Exkrete und in der späteren Zeit den Spinnstoff hat er nach außen
zu leiten. Spuren von Faeces können in ihm naturgemäß niemals, solange
die Larvenzeit dauert, enthalten sein.
Während der Metamorphose der Puppe tritt, wie immer bei den Insekten,
eine vollkommene Erneuerung des Darmepithels ein; bei dieser
Gelegenheit wird ein Lumen, das vom Magen zum Enddarm durchgeht,
gebildet. Wenn diese Wachstumsvorgänge abgeschlossen sind, kann der
Ameisenlöwe zum erstenmal in seinem Leben Faeces abgeben. Das geschieht
in der Regel beim ersten Flug der Imago. Ich habe keine Anzeichen davon
gefunden, daß etwa bei den einzelnen Häutungen der Larve der Inhalt des
Magens mitentleert würde.
Die erste Faecesentleerung der „Landlibelle“, wie +Rösel von Rosenhof+
die Imago des Ameisenlöwen nannte, hat in der Wissenschaft, wie das
Tier selbst, eine Geschichte. Schon +Réaumur+ hatte bemerkt, daß die
Imagines bald nach ihrem Ausschlüpfen einen biskuitförmigen Körper
fallen lassen. Er besteht aus einer schwarzen Zentralmasse, einer
dicken braunen und schwarzen geschichteten Schale, welche diese
umhüllt, und am dünnen Ende aus einem rosa gefärbten, pfropfenähnlichen
Aufsatz. +Rösel+ hielt das Gebilde, wie +Réaumur+, für ein Ei, glaubte
aber, es werde vor der Begattung abgelegt und wäre daher nicht
entwicklungsfähig.
Schon +Dutrochet+ (1818) nahm an, daß die „Exkremente“ des Tieres bei
der Verwandlung in den Magen der Puppe und von dort in den der Imago
übergingen, um dann ½ Stunde nach dem Ausschlüpfen ausgestoßen zu
werden. Aehnliches vermutete +Burmeister+, und +v. Siebold+ hielt den
ausgestoßenen Körper für reinen Harn. Erst +Gerstäcker+ unterschied die
verschiedenen Teile des Gebildes und stellte fest, daß der schwarze
Zentralteil aus Nahrungsresten der Larve bestehe, die Hülle aus
Chitinmembranen des Darmes, die bei der Darmhäutung abgestoßen würden,
und daß sie Harnsäure enthält, wie denn der pfropfenförmige, rosa
gefärbte Aufsatz ganz aus +Harnsäure+ besteht. Es ist also der gesamte
Magen- und Darminhalt der Larvenzeit, welcher hier entleert wird und
dabei aus dem Enddarm das Produkt der Malpighischen Gefäße, das diese
vor ihrer Umwandlung in Spinndrüsen (s. unten) absonderten, mitnimmt.
Erst +Rengel+ (1908) stellte die Gewebeveränderungen fest, welche
während der Metamorphose dem Darm ein durchgehendes Lumen verschaffen.
[Illustration: Abb. 41. Zwei Kokons des Ameisenlöwen auf der Oberfläche
des Sandes. Photographie nach der Natur. Nat. Gr.]
Im Mai und Juni und dann noch einmal später im Herbst findet man viele
Larven des Ameisenlöwen mit dem Spinnen des Puppenkokons beschäftigt.
Ist der Kokon fertig, so stellt er eine kleine Kugel von etwa 2 cm
Durchmesser dar, welche vollkommen mit feinen, kleinen Sandkörnern an
der Oberfläche bedeckt ist (Abb. 41). Diese sind mit dem Spinnstoff
an die Hülle angeklebt, welche die Larve um sich hergestellt hat. Sie
bildet eine kleine kugelige Kammer mit glatter, weißer Wand.
Die Ameisenlöwen haben keine besonderen Spinndrüsen, sondern ihre
Malpighischen Gefäße, welche in der Zahl von 8 an der Grenze von
Mittel- und Enddarm in letzteren einmünden, wandeln sich während
des letzten Abschnittes der Larvenzeit in Spinndrüsen um. Das hat
+Lozinski+ (1911) in einer sorgfältigen Arbeit nachgewiesen. Während
des früheren Larvenlebens sind die Malpighischen Gefäße normal
funktionierende Exkretionsorgane. Gegen Ende des Larvenlebens werden
aber die Wandzellen größer, bekommen sehr große verästelte Kerne und
beginnen Spinnstoff auszuscheiden. Dieser gelangt durch das sogenannte
Coecum in den Afterdarm des Ameisenlöwen. Der Afterdarm ist an seinem
Ende in eine ausstülpbare chitinige Röhre umgestaltet, welche als
Spinnapparat dient (vgl. Abb. 10, S. 19). Aus ihrer beweglichen feinen
Spitze kommt der Seidenfaden in noch weichem Zustand heraus und kann in
den verschiedensten Richtungen bewegt und angeklebt werden.
[Illustration: Abb. 42. Mandibel der Larve (a), der Puppe (b) und der
Imago (c) von Myrmeleo formicarius L. (nach +Lucas+). Vergr. 15mal.]
Wie +Lucas+ gezeigt hat, kriecht der Ameisenlöwe noch im Puppenzustand
zum Teil aus dem Kokon heraus; die Imago entschlüpft der am
Rücken platzenden Puppenhaut, nachdem sie zu einem Drittel aus dem
Kokon hervorgestreckt ist. Vorher hat die Puppe mit den kräftigen,
gezähnelten Puppenmandibeln (Abb. 42 b), welche wie Hüllen die
Imagomandibel umgeben, ein kreisrundes Loch mit glatten Rändern in
die Kokonhülle genagt. So hat das Tier in seinen drei Stadien ihren
Sonderbedürfnissen angepaßte Mandibelformen ausgebildet: jene für
den Ameisenfang so geeigneten langen, stark gezähnelten Mandibel der
Larve, die kräftigen, grob gezähnelten Mandibel der Puppe, welche
nur zur Befreiung aus dem Kokon dienen, und schließlich die zarten,
ganzrandigen Mandibel der Imago, welche ihr zu -- soviel ich weiß --
heute noch nicht genauer bekannten Zwecken notwendig sind.
[Illustration: Abb. 43. Imago von Myrmeleo formicarius L. (nach +Hesse+
und +Doflein+). Vergr. 2mal.]
Fast das ganze Jahr hindurch kann man an den geeigneten Stellen die
offenen Trichter der Ameisenlöwen beobachten. Nur im November, Dezember
und Januar habe ich sie im Freien nicht gesehen. War das Wetter
warm und sonnig, so fand ich in einigen Fällen sogar in der ersten
Novemberwoche und in Freiburg sogar im warmen Winter 1911/12 in der
letzten Januarwoche einige Trichter mit lebhaften Tieren im Freien.
Die dazwischenliegende Zeit ist also die einzige, in der ich sie nicht
im Freien bemerkte. Meist ist zu dieser Zeit die Erde feucht oder
gefroren; die wichtigsten Voraussetzungen für das Trichterbauen fehlen
also.
Aber was viel eigentümlicher ist, die Tiere, welche ich in der gleichen
Zeit im warmen Zimmer, möglichst der Sonne ausgesetzt, bei einer
Durchschnittstemperatur von 17° C hielt, bauten auch keine Trichter
mehr. Sie saßen in feinem, trockenem Sand, Feuchtigkeit wurde ihnen
zeitweise gespendet, Ameisen zur Fütterung reichlich geboten -- aber
sie bauten keinen Trichter, fingen keine Ameisen, reagierten überhaupt
nicht auf diese und waren nicht dazu zu bringen, sie auszusaugen.
Ich bemerke ausdrücklich, daß es sich bei diesen Beobachtungen um Tiere
von ganz verschiedener Größe handelte; es kam also keine Verwechslung
mit jenem Ruhestadium vor, welches der Verpuppung vorausgeht. Etwa 14
Tage lang, ehe das Spinnen des Kokons beginnt, bauen ja die Larven auch
keine Trichter, fressen nicht und halten sich still unter dem Sand.
Es ist also im Lebensablauf des Ameisenlöwen eine charakteristische
Periodizität[1] festzustellen. In dem Teil des Jahres, in dem sie
normalerweise nicht zum Trichterbau und Ameisenfangen kommen, liegen
sie in einem Starrezustand unter der glatten Bodenoberfläche. Sie sind
dann schwer zu Reflexen zu reizen, und die natürlichen Verhältnisse
bringen keine der adäquaten Reize an sie heran. Ja selbst, wenn unter
experimentellen Bedingungen die geeignetsten Umgebungsverhältnisse
ihnen angeboten werden, überwiegt der Einfluß der Periodizität über die
der speziellen Reize.
[1] Zusatz bei der Korrektur: Die Beobachtungen des Winters 1915/16
haben mich in der Beurteilung dieser Vorgänge wieder zweifelhaft
gemacht. Im Zimmer gehaltene Tiere verschiedener Größen bauten
diesen ganzen Winter hindurch normale Trichter, fraßen gut und
zeigten größere Lebhaftigkeit als in den drei letzten Wintern.
Was die Ursache des verschiedenen Verhaltens war, suche ich noch
festzustellen.
IX. Abschluß und Ergebnisse.
Ueberblicken wir die Gesamtheit der in diesem Werk niedergelegten
Beobachtungen und Versuchsergebnisse, so gelangen wir zu dem Schluß,
daß die eigenartigen Lebenserscheinungen des Ameisenlöwen durchaus
nicht, wie frühere Beobachter annahmen, durch hohe psychische
Fähigkeiten des Tieres bedingt sind. Alle vom Vergleich mit dem
menschlichen Handeln hergenommenen Ausdrücke, welche zur Bezeichnung
seiner Leistungen angewandt wurden, wie Klugheit, Schläue und ähnliche,
sind bei diesem Tier verkehrter angewandt, als bei den meisten anderen.
Wir haben ja gesehen, daß es ein Tier ist, welches durch seine
Organisation vollkommen +gezwungen+ ist, seine Handlungen in jener Art
durchzuführen, welche seit altersher das Staunen und die Bewunderung
der Naturforscher und Laienbeobachter hervorgerufen hat.
Solange das Tier Larve ist, ist es ein reiner +Reflexautomat+, es
funktioniert wie eine kleine Maschine. Eine Insektenlarve, welche im
Freien lebt, hat eine Menge von Lebensschwierigkeiten, die ihr die
umgebende Außenwelt bereitet, zu überstehen. Vielfach werden gerade
bei den Insekten durch das Muttertier viele von diesen Schwierigkeiten
ausgeschaltet, so für Nahrungserwerb, Schutz, Behausung usw. gesorgt.
Im Ameisenlöwen haben wir eine Larve vor uns, welche in den meisten
Dingen vollkommen auf sich selbst angewiesen ist. Ihr Körper muß von
vornherein so beschaffen sein, daß sie allen Gefahren begegnen, alle
Hindernisse überwinden kann. So finden wir denn den kleinen Automaten
kurz nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei ebenso vollkommen, als wenn er
herangewachsen, nach einem Jahr voll Erlebnissen, bereit ist, die
Puppenruhe anzutreten.
Sehr auffällig ist die geringe Zahl von Reflexen, welche die
wichtigsten Handlungen des Ameisenlöwen bedingen. Daß es dem Tier
möglich ist, mit einer so geringen Anzahl von typischen Bewegungen
seine Hauptlebensfunktionen zu erfüllen, erklärt sich aus dem engen
Zusammenhang zwischen dem Körperbau und den Reflexen. Der ganze Körper
des Tieres ist in engster, +einseitigster Weise+ an das Leben im
Sand und die Art der Nahrungserwerbung +angepaßt+. Die äußere Form
des Kopfes, Halses und Rumpfes, die Zuspitzung des Hinterleibes,
der Bau und die Einlenkung der Beine und vor allem die Menge der
in zweckmäßigster Weise angeordneten Borsten bedingen die Art der
Bewegungen des Tieres. Was an allen andern Orten, unter allen anderen
Bedingungen der Umgebung den Ameisenlöwen zu einem hilflosen Geschöpf
macht, das gibt ihm im lockeren Sand eine vollkommene Ueberlegenheit
über andere Tiere.
Wie weit die Anpassung an das Leben in Sand und Staub geht, zeigt
uns eine Untersuchung der Stigmenöffnungen (Abb. 8, S. 16). Die
Hauptstigmenöffnung, durch welche das Tier seine Atemluft einzieht,
liegt ganz vorn am Rumpf, an der Stelle, welche bei der normalen
Haltung des Tieres in der Bereitschaftsstellung kaum vom Sand bedeckt
ist. Nach hinten zieht sich den Körper entlang die Reihe kleinerer
Stigmen. Alle diese Atemöffnungen sind in vollendeter Weise vor dem
Eindringen von Sand- und Staubteilchen in die Atemröhren geschützt. Wie
bei vielen anderen Insekten verschließt ein feines Gitter den äußeren
Eingang. Feine zahnartige Fortsätze greifen von beiden Seiten über die
spaltförmige Atemöffnung und stellen so einen sehr wirksamen Verschluß
dar. Nie findet man bei der Sektion der Tiere in dem blasenförmigen
Anfangsteil der Atemröhren ein noch so kleines Sandkorn. Und zu allem
Ueberfluß ist am Eingang des großen Tracheenstammes, welcher vom
Hauptstigma ausgeht, ein Deckel vorgeklappt, welcher die Luft zu einem
Umweg nötigt, so daß alle festen Bestandteile vor dem Eintritt des
Luftstromes in die zartwandige Trachee abgelagert werden müssen.
Das Tier ist von Geburt an durch seinen Bau und seine Reflexe zur
Erfüllung der Erfordernisse seiner eigenartigen Lebensführung
vollkommen fertig. Nun fragt es sich, wie es möglich ist, daß ein so
sehr von den speziellen Bedingungen seiner Umgebung abhängiges Tier
relativ so häufig sein kann. In den Gegenden, in denen die Ameisenlöwen
überhaupt vorkommen, gibt es sie meist in großen Mengen. Ich habe bei
Burghausen a. d. Salzach, im Kaiserstuhl, in Schwarzwald und Vogesen
oft hunderte der Trichter auf engem Raum beieinander gefunden.
Die Imago legt bald, nachdem sie aus der Puppe ausgeschlüpft ist, ihre
Eier in den Sand ab. Es sind nach den Beobachtungen von +Brischke+
nur wenige (5) Eier von weißlicher Farbe und ovaler Form, welche
miteinander verklebt sind. An schönen Sommerabenden in der Dämmerung
sieht man das fertige Insekt in derselben Gegend an den Böschungen und
Waldrändern umherfliegen, wo die Sandtrichter der Ameisenlöwen in Menge
sich befinden und wo auch sie, die „Landlibelle“, ihre Entwicklung
durchgemacht hat. Solche Stellen sind immer dadurch ausgezeichnet,
daß, wenn die Kühle des Abends die Luft durchdringt, sie selbst den
gröberen Sinnesorganen des Menschen durch die von ihnen ausgestrahlte
Wärme auffallen. Nachdem wir bei den Larven eine so ausgesprochene
Thermotaxis gefunden haben, liegt es durchaus nahe, anzunehmen, daß
auch das fertige Insekt thermotaktisch ist und so zu den Stellen
hingeleitet wird, welche für die Entwicklung seiner Eier günstig
sind, wie ja auch bei vielen anderen Insektenmüttern Reflexe oder
Instinkte es sind, welche die Unterbringung der Brut am richtigen Orte
ermöglichen. Aber wir wollen hier keine Hypothesen aufstellen. Die
Biologie der Imago zu untersuchen, ist eine noch in Angriff zu nehmende
Aufgabe.
Was wir von der Larve selbst wissen, das genügt vollkommen, um die
Larve, wenn sie in geeigneter Gegend aus dem Ei schlüpft, an den Ort
zu bringen, wo sie gedeihen kann. Liegt sie beim Ausschlüpfen auf
hartem Stein oder feuchter Erde, so wird sie, sobald die Sonnenstrahlen
sie treffen, zu wandern beginnen. Das Licht wird ihr die Richtung
angeben, die von den Böschungen und Abhängen ausstrahlende Wärme ihr
dabei helfen. Solange sie im diffusen Licht sich befindet, wird sie
in Versuchsbewegungen Spiralen und Kreise durchwandern. Der Zufall
wird sie an eine warme und sonnige Stelle führen, wo sie sich weiter
bewegt und weiter sucht. Das wird in der Gegend, wo das Ei abgelegt
wurde, leicht eine der geeigneten Böschungen sein. Indem sie der Wärme
entgegenwandert, gerät sie in den Schatten, die Phototaxis dreht sie
herum und führt sie an den Rand des Schattens. Unterdessen führt
die Hinterleibsspitze tastende Bewegungen aus, und sowie geeignete
Wärme- und Lichtverhältnisse das Tier umgeben, sobald es den trockenen
und feinen Sand findet, der die Reflexe ins Gleichgewicht bringt,
entsteht der Trichter. Das Tier ist mit Hilfe seiner Reflexe an seiner
Stelle angelangt und kann nun dauernd dableiben, wenn einige weitere
Voraussetzungen erfüllt sind. Zunächst müssen Ameisen in genügender
Menge sich herumtreiben, so daß die Falle auch Gelegenheit bekommt,
in Tätigkeit zu treten. Ist das nicht der Fall, so bemächtigt sich
des Tieres neue Ruhelosigkeit, es wandert und baut bald in neuer
Umgebung einen neuen Trichter, dort auf seine Beute lauernd. Hat es den
geeigneten Ort gefunden, so bleibt es dort bis zu seiner Verpuppung.
Ich habe nicht selten denselben Trichter am gleichen Ort durch Monate
hindurch beobachtet. Die Orte des Vorkommens, die kleinen Böschungen
an steilen Abhängen, sind oft derart, daß man nicht annehmen kann, daß
die Larve mit eigenen Kräften zu ihnen hingelangt ist. Ihre Wanderungen
werden sich kaum über weite Entfernungen erstrecken. Die Wahl des
Ortes im allgemeinen muß wohl in der Hauptsache der flugfähigen Mutter
zugeschrieben werden.
Kleine Wanderungen finden aber unzweifelhaft statt; so habe ich in
einigen Fällen nach langandauerndem trocknem Wetter Trichter ziemlich
weit über die überhängende Böschung vorgeschoben gesehen, so daß Regen
in sie einfallen konnte. Sie wurden bei Regenwetter, das kurz anhielt,
zurückverlegt. Hielt es länger an, so lagen die Tiere in starrem
Zustand unter der Erde oder dem Sand, bis sie durch Trockenheit und
Wärme wieder erweckt, beim Wandern und Suchen den nahen trockenen
Unterstand fanden und da ihren Trichter gruben.
Der gesetzmäßige Ablauf der Reflexbewegungen bringt es mit sich, daß
man in einer bestimmten Gegend mit Sicherheit die Orte des Vorkommens
von Ameisenlöwen voraussagen kann. Man findet sie stets an Süd-,
Südost- und Südwesthängen und entsprechend gelegenen Waldrändern.
Der Untergrund muß die Bildung trocknen, feinen, sandartigen Bodens
ermöglichen. Es müssen überhängende Böschungen und Baumwurzeln,
Raine vorhanden sein. Und an solchen Stellen ist die Bedingung, daß
Ameisen da sein müssen, stets erfüllt. Windschutz ist eine weitere
Voraussetzung, von der die Anhäufung feinen Sandes abhängt.
In einer solchen Gegend kann man mit Sicherheit auf einen Weg- oder
Waldrand losgehen und sich sagen: da müssen Ameisenlöwen sein. Man wird
sie an den erwarteten Stellen finden. Die Trichter werden so liegen,
daß die Sonne in ihre Tiefe hineinfällt und dort wird man aus dem Sand
die Kiefer des Tieres in Bereitschaftsstellung hervorschauen sehen, mit
der weiten Oeffnung der Böschung zugekehrt, also vom Licht abgewandt.
Dorther wird man in vielen Fällen die Ameisen in die geöffnete Falle
hinabrollen sehen.
Nichts ist so sehr geeignet, den gesetzmäßigen Ablauf erforschter
Vorgänge zu bestätigen, als die Voraussage bestimmter Erscheinungen. So
wie wir, ohne ihn vorher gekannt zu haben, den Fundort von Ameisenlöwen
in einer Landschaft im Voraus bestimmen können, so können wir auf
Grund der Reflexerscheinungen auch voraussagen, an welchem Ort im
Laboratorium wir ein Exemplar wiederfinden werden, das uns etwa während
der Experimente entwischt ist. Während der vielen Jahre, die ich bisher
mit dem Ameisenlöwen experimentierte, ist mir kein Exemplar verloren
gegangen, das im Zimmer oder Laboratorium mir durchging. Nachdem ich
die wichtigsten Reflexe einmal festgelegt hatte, konnte ich mit großer
Sicherheit den Ort bestimmen, an dem es infolge der Photo-, Thigmo-
und Thermotaxis nach einiger Zeit angelangt sein mußte. Ich fand es
regelmäßig in der Nähe des Fensters, der Heizung, in einem Winkel
zwischen Wand und Boden und konnte es wieder in sein Aufbewahrungsgefäß
zurückversetzen.
So haben wir denn im Verlauf unserer Untersuchungen den Ameisenlöwen
als einen vollkommenen +Reflexautomaten+ kennen gelernt. Keine
Handlung, kein Vorgang wies auf eine höhere psychische Fähigkeit hin.
Und doch habe ich unablässig nach Andeutungen von solchen gesucht.
Schließlich ist es mir auch gelungen eine Tatsache festzustellen,
welche scheinbar, wenn auch nicht mit aller Sicherheit auf das
Vorkommen +mnemischer+ Vorgänge hinweist.
Ich habe früher (S. 108) von Versuchen berichtet, bei denen ich
Ameisenlöwen zwang, mit der Hinterleibsspitze voran, in eine Glasröhre
zu kriechen. Wir sahen, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen in
die Glasröhren eintraten und diese durchkrochen. Bot ich ihnen aber
Glasröhren an, welche im Verhältnis zu ihrem Körperumfang zu eng
waren, so machten sie zunächst die üblichen Versuchsbewegungen mit der
Hinterleibsspitze. Sie drängten und arbeiteten mit dem Hinterleib in
die Glasröhre hinein, kamen aber nicht weiter. Immer wieder machten sie
Versuchsbewegungen und gerieten dabei auch gelegentlich mit der einen
Körperseite an die Außenwand der Glasröhre. Sofort ließen sie mit ihren
Bemühungen nach und wanderten nun an der Außenwand der Glasröhre, in
thigmotaktischer Berührung mit ihr, bis an ihr Ende.
Hatte ich die Ameisenlöwen dies Experiment mehrmals durchmachen
lassen, so schien es mir, als brauchten sie immer kürzere Zeit, um den
Seitenweg zu finden. Systematische Versuche, die ich dann durchführte,
ergaben aber sehr schwankende Ergebnisse. Bald trat eine Abkürzung
der Versuchszeit ein, bald war eine solche nicht zu bemerken. Eine
Gesetzmäßigkeit war nicht festzustellen. So werde ich denn diese
Versuche, vielleicht mit abgeänderter Anordnung fortsetzen, habe aber
nicht allzugroße Zuversicht, bei meinem Versuchsobjekt Andeutungen
eines höher ausgebildeten Gedächtnisses zu finden.
Weit mehr, als ich jemals erwartete, habe ich also den Ameisenlöwen als
+Reflexautomaten+ erkannt; nicht einmal kompliziertere Instinkte konnte
ich als Grundlage seiner so erstaunlichen Handlungen nachweisen.
Dem entspricht auch der Bau seines +Zentralnervensystems+ (Abb. 40, S.
115). Dessen Gehirnganglion ist im Verhältnis zur Größe des Körpers
recht klein; es ist hauptsächlich in die Quere gezogen und verlängert
sich seitlich in die Augennerven, in deren Verlauf die spindelförmigen
Ganglia optica eingeschaltet sind. Das Oberschlundganglion ist im
Verhältnis nicht sehr viel größer als das Unterschlundganglion. Die
Sphären der Sinnesorgane, also die Ursprungsstellen von Sehnerv und
Antennennerv, sind nicht sehr umfangreich. Besonders auffallend ist
der geringe Umfang und die geringe Entwicklung des sogenannten
pilzförmigen Körpers, den man bei den Insekten mit höheren Instinkten,
bei denen er stark entwickelt ist, als den Sitz der Fähigkeit zur
Bildung von Assoziationen ansieht. So bemerken wir, daß auch in dieser
Hinsicht die körperlichen Grundlagen im zu erwartenden Verhältnis
zu den Leistungen des Tieres stehen. Das Bauchmark besteht aus
zwei getrennten Ganglien im ersten und zweiten Thorakalsegment,
welche entsprechend ihrer Aufgabe, die beiden ersten Extremitäten
zu innervieren, relativ groß sind. Das gleiche gilt vom dritten
Thorakalganglion. Dies ist, sowie sein zugehöriges Segment mit den
Abdominalsegmenten eng verbunden ist, selbst mit den 9 Ganglien des
Abdomens zu einer Kette vereinigt, in der zwischen den Ganglienpaaren
kaum Kommissuren erkennbar sind. Das Bauchmark erreicht nur etwa
die Hälfte der Länge des Hinterleibes der Larve (Abb. 40, S. 115);
es sind also, wie so häufig bei Insekten, die Ganglienpaare eng
zusammengedrängt und das Bauchmark konzentriert. Von seinem Ende
gehen drei starke periphere Nerven gegen das Hinterleibsende. Die
Topographie des Zentralnervensystems muß bei operativem Eingreifen zu
experimentellen Zwecken sehr berücksichtigt werden.
Meine Arbeit war in den wesentlichen Ergebnissen bereits fertig
gestellt und das Manuskript lag fast abgeschlossen vor, als ich durch
Zufall auf eine Arbeit des sizilianischen Zoologen +Comes+ stieß,
welche sich mit Tropismen des Ameisenlöwen beschäftigt. Bis dahin hatte
ich angenommen, daß noch keine Untersuchung der Reflexbiologie des
Tieres vorläge.
Die Lektüre der Arbeit, welche in den Akten der Akademie von Catania
erschienen ist, brachte mir keine sehr wesentliche Förderung. Zwar
steht der Autor bei der Zusammenfassung der Resultate auf einem
ähnlichen theoretischen Standpunkt wie ich. Auch er führt die Reaktion
des Ameisenlöwen im Wesentlichen auf +Reflexe+ zurück. Es ist ihm aber
nicht gelungen, die Reflexe im Einzelnen zu analysieren und er scheint
mir allzu schnell bereit gewesen zu sein, aus den wenigen beobachteten
Tatsachen die vorausgesetzten Schlüsse zu ziehen. Vor allem hat
er einen Fehler begangen, dem man immer wieder bei gelegentlichen
reflexbiologischen Arbeiten begegnet. Dieser prinzipielle Fehler ist
es, der mich veranlaßt, an dieser Stelle auf die Arbeit von +Comes+
noch einmal kurz einzugehen, nachdem ich in den verschiedenen Kapiteln
dieses Werkes schon die Einzelheiten seiner Angaben an der Hand meiner
Experimente kritisiert habe.
Vor allem hat +Comes+ versäumt, was, wie gesagt, ein Fehler sehr vieler
reflexbiologischer Arbeiten ist, vor dem Experimentieren genau das
Verhalten des Tieres unter normalen Verhältnissen zu studieren. Somit
hatte er keine geeignete Grundlage für die Beurteilung der Reaktionen
des Tieres unter dem Einfluß experimenteller Reize. So war ihm der
starke Einfluß des Lichtes auf den Ameisenlöwen entgangen; da bei
seinen Versuchen, z. B. über Thermotaxis, die Einwirkung des Lichtes
nicht ausgeschaltet war, so können die Resultate jener Versuche keine
Beweiskraft für sich in Anspruch nehmen. Die Bereitschaftsstellung und
die Versuchsbewegungen des Tieres waren ihm vollkommen entgangen. Seine
Durchschneidungsversuche an der Ganglienkette sind zu wenig exakt,
um genauer diskutiert werden zu können, da er versäumt hat, vor den
Experimenten den anatomischen Bau und die Erstreckung der Ganglienkette
im Körper zu studieren. Auch sind seine Definitionen nicht allzu scharf
und logisch. Im Einzelnen habe ich mich ja in den früheren Abschnitten
mit ihm auseinandergesetzt.
Im übrigen ist es sicher verdienstlich, daß er das Problem als erster
angepackt hat und eine Anzahl von typischen Reflexen bei dem Tier
nachwies, welche die eigenartigen Handlungen des Tieres zu erklären
geeignet sind. Er konnte aber nicht tiefer in die Zusammenhänge
eindringen, da er nicht das ganze Leben des Tieres genauer kannte
und daher seine Fragestellungen zum Teil falsch waren. Das ist ein
prinzipieller Fehler, zu dessen Vermeidung bei späteren Untersuchungen
diese Zeilen beitragen möchten.
Wenn ich meine Untersuchungen am Ameisenlöwen vorläufig mit dem
Ergebnis abschließen konnte, daß das Tier +ein reiner Reflexautomat+
ist, so muß ich, um keine Unklarheit über meine allgemeinen
Anschauungen über solche Probleme aufkommen zu lassen, einige
Schlußbemerkungen hinzufügen. Zunächst ist es mir vollkommen klar, daß
ich die Lebensvorgänge beim Ameisenlöwen nicht restlos analysiert habe.
Wer meine Darstellung mit Aufmerksamkeit gelesen hat, wird manches
neue Forschungsprogramm zwischen den Zeilen durchschimmern gesehen
haben. Besonders eine genauere Untersuchung des Nervensystems und der
Muskulatur ist notwendig. Ferner wird das Verhalten der Imago und noch
manches andere zu studieren sein, ehe wir über alle Zusammenhänge volle
Klarheit haben; und gewiß werden während des weiteren Studiums neue
Probleme und Rätsel sich enthüllen, die zu weiteren Aufgaben reizen
müssen.
Sicher haben wir aber im Verlauf der Untersuchung erkannt, daß
die Larve eines höheren, holometabolen Insekts, welche ein sehr
eigenartiges Leben führt, dies als Reflexautomat durchführen kann,
weil ihr Bau in höchst +zweckmäßiger+ Weise den Anforderungen der
Funktionen und des Lebensraumes entspricht. Wir haben im Ameisenlöwen
ein Beispiel von weitestgehender +Anpassung+ des Baues an die
Lebensbedingungen vor uns. Der Bau und die mit ihm vererbte und kaum
veränderliche Funktionsweise der Organe setzt das Tier in den Stand,
sein merkwürdiges und scheinbar so schwieriges Leben durchzuführen.
Dabei ist es nicht fähig, sich an ungewohnte Verhältnisse anzupassen
und geht unter abgeänderten Bedingungen sehr leicht zugrunde.
Somit haben wir in seinem Verhalten einen der Haupttypen der
Lebensweise von Tieren kennen gelernt, den +fest angepaßten Typus+,
bei welchem von der Geburt an das Tier Bau und Fähigkeiten mitbekommt,
welche die feinste Abstimmung auf die normalen Lebensbedingungen der
Art darstellen. Einseitige Anpassung haben wir das eben genannt,
wir können vom Ameisenlöwen auch als von einem +Lebensspezialisten+
sprechen.
Das ist ein Typus, der bei niederen Tieren weit verbreitet ist, wenn
wir auch unter ihnen nicht selten Vertreter des anderen Haupttypus,
des +regulatorischen Typus+ finden. Morphologische und physiologische
Regulationen, welche das Tier an verschiedenartige Lebensbedingungen
während seines individuellen Lebens anzupassen vermögen, sind im ganzen
Tierreich weit verbreitet. Bei den höheren Tieren finden wir aber vor
allem eine +Regulierbarkeit der Handlungen+, eine Anpassungsfähigkeit
des einzelnen Individuums in seinem Verhalten von Fall zu Fall an
die wechselnden Bedingungen der Außenwelt. Diese Anpassungsfähigkeit
hat ihre Grundlage vor allem in den höheren psychischen Fähigkeiten
vieler Tiere, in deren Vermögen zur Speicherung von Erfahrungen und
Eindrücken, zur Bildung von Assoziationen usw. Ich habe Studien an
höheren Organismen durchgeführt, welche aber noch bei weitem nicht
reif zur Veröffentlichung sind, die mich bei manchen Tieren merkwürdig
komplizierte psychische Fähigkeiten erkennen ließen, wie wir sie ja als
solche durch die Forschungen vieler Zoologen und Tierpsychologen schon
längst kennen.
So bin ich denn weit davon entfernt, solche Fähigkeiten zu leugnen,
wenn es mir gelang, in einer hochorganisierten Insektenlarve einen
reinen Reflexautomaten zu enthüllen. Aber es scheint mir die Kenntnis
solcher Automaten notwendig, um die Gesetze zu erforschen, welche die
höheren psychischen Funktionen der Tiere beherrschen. Ja, es scheint
mir, daß die Tierautomaten uns die wesentlichen Grundgesetze kennen
lehren, auf denen sich auch das höhere psychische Leben der Tiere und
des Menschen aufbaut.
Literaturverzeichnis.
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Denkschriften der Kais. Akademie d. Wiss. Wien. Math.-naturw. Kl.
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+Steinmann, P.+, Ueber Rheotaxis bei Tieren des fließenden Wassers.
In: Verh. Naturf. Ges. Basel. Vol. 24. 1913.
Erklärung der Tafeln.
Fig. 1. Versuch Q. Phototaxisversuch. Einfall des Lichts von + her.
Tier, bei − eingesetzt, führt eine Anzahl Versuchsbewegungen aus, um
dann nach erfolgter Drehung (Hinterleibsspitze gegen +) energisch
gegen die Lichtquelle zu kriechen. Die verhältnismäßig zahlreichen
Versuchsbewegungen bei − sind durch Interferenz mit Thermotaxis zu
erklären. Bei − war das Papier leicht erwärmt durch untergelegtes
Sandbad. Temperatur dort etwa 25° C.
Fig. 2. Versuch N. 3 Exemplare bei vollkommener Dunkelheit auf
verschiedenen Stellen des von 20° C auf 35° C ansteigend erwärmten
Grundes niedergelegt. Sehr viele Versuchsbewegungen; zum Teil ganz
kleine Kreise. Sehr lebhafte Bewegungen durch Dunkelheit und Wärme
angeregt. Alle Tiere langten schließlich in der Region bei 35° an,
zum Teil thigmotaktisch am Rand festgehalten und dort weiterwandernd.
Versuchsdauer 11ᑋ 45′ bis 12ᑋ 45′.
Fig. 3. Versuch P. Unorientierte Bewegung mit zahlreichen
Versuchskreisen bei Einfall starken Lichtes direkt von oben. Wirkung
entsprechend vollkommen diffusem Licht. 3 Tiere im Versuch: _A_, _B_
und _C_.
Fig. 4. Versuch GG. Licht von rechts einfallend in der Richtung
des Pfeils. Schattenregion rechts bis zur Linie _X_. Reichliche
Versuchsbewegungen an der Schattengrenze. An den Rändern die Spuren der
durch Thigmotaxis an den Wänden festgehaltenen Individuen.
Fig. 5. Versuch JJ. Licht von rechts einfallend in der Richtung des
Pfeils; Beleuchtung schwach und nicht sehr tief unter das Schattendach
rechts eindringend. Daher Exemplar 2 gar nicht durch das Licht
orientiert. Exemplar 1 viele Versuchsbewegungen ausführend, ehe
Orientierung in der Nähe der Schattengrenze erfolgt. Nach Eintritt
in das Lichtfeld bald Umkehr unter dem Einfluß der Licht+richtung+,
dann im Schatten bald wieder Umkehr zum Licht. Kein Stocken an der
Schattengrenze. Später Thigmotaxis.
Fig. 6. Versuch FF. Lichteinfall von rechts. Rechte Seite bis Linie
_X_ beschattet. 1 Tier im Experiment. Erst Versuchsbewegung, dann
Wanderung zur Helligkeit, im Hellen Umkehr in die Richtung gegen die
Lichtstrahlen, dann viele Versuchsbewegungen an der Schattengrenze,
schließlich energische Wanderung zum Licht und deren Beendigung durch
Thigmotaxis.
Fig. 7. Versuch RR. Ausgeführt 6. Nov. 1914. Lichtgefälle in der
Pfeilrichtung, hergestellt durch +Oltmanns’+ Prisma. Versuch in
Dunkelkammer; Wärmewirkung verhindert durch gekühlten Boden und
Kühlwanne zwischen Licht und Experimentierfläche. _A_ Exemplar zum
erstenmal eingesetzt 10ᑋ 50′, nach geringen Versuchsbewegungen in
der Richtung des stärkeren Lichtes in Bewegung gesetzt, bald durch
Thigmotaxis abgelenkt. _B_ Dasselbe Exemplar noch einmal eingesetzt 11ᑋ
50′. Kriecht auch schwankend, doch direkt in die hellere Zone, bewegt
sich, dort zum Teil thigmotaktisch etwas gestört, im helleren Raum,
ohne Bevorzugung einer bestimmten Region, bleibt aber im Hellen.
Fig. 8. Versuch R. Interferenz von Licht- und Wärmewirkung. Tier _x_
bei 35° Bodentemperatur niedergesetzt, Versuchsbewegung, dann Wanderung
zur höheren Wärme, viele Versuchsbewegungen, kriecht schließlich in die
wärmste Ecke und wird dort thigmotaktisch abgelenkt. Tier _y_ kriecht
sofort von 25° C in die höhere Temperatur, einige Schwankungen gegen
das Licht. Endlich Ankunft in der wärmsten Ecke. Thigmotaxis.
Fig. 9. Versuch K. Thermotaxis. 26. Sept. 1914. Versuch in
vollständiger Dunkelheit in Versuchsdunkelkammer. Ein Tier auf
abgestuft von 20° bis 40° C erwärmten Boden niedergesetzt bei
20°, kriecht sofort in die Wärme; verweilt am längsten unter
Versuchsbewegungen bei 30-35°. Infolge der Dunkelheit und Wärme sehr
lebhaft beweglich, kriecht es weiter und gerät zurück zur Region 20°
C, deren Temperatur sich im Lauf des Experiments erhöht hatte, dann
thigmotaktisch aus dem Versuchsfeld.
Fig. 10. Versuch O. Zusammenwirken von Photo- und Thermotaxis.
Bei + Lichteinfall, bei − dunkelste Region. Die Grade geben die
Bodentemperatur der betreffenden Region an. Tier _a_ beginnt bei 35° C
seinen Weg, ehe das Rußpapier die Temperatur angenommen hatte, kriecht
zuerst aufs Licht zu, wird dann thermotaktisch erregt, kriecht zurück
in die Wärme und verläßt, thigmotaktisch gereizt, das Versuchsfeld.
Tier _b_ kriecht aus dem Licht in die Wärme und verläßt, bei der
Höchsttemperatur thigmotaktisch gereizt, das Versuchsfeld. Tier _c_
macht zuerst einen Versuchskreis, geht dann in die Wärme, schwankt
zwischen Wärme und Licht, um schließlich energisch sich zum Licht zu
wenden.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. -- 4557
[Illustration:
_Taf. I._
Fig. 1. Versuch Q.]
[Illustration:
_Taf. II._
Fig. 2. Versuch N.]
[Illustration:
_Taf. III._
Fig. 3. Versuch P.]
[Illustration:
_Taf. IV._
Fig. 4. Versuch GG.]
[Illustration:
_Taf. V._
Fig. 5. Versuch JJ.]
[Illustration:
_Taf. VI._
Fig. 6. Versuch FF.]
[Illustration:
_Taf. VII._
Fig. 7. Versuch RR.]
[Illustration:
_Taf. VIII._
Fig. 8. Versuch R.]
[Illustration:
_Taf. IX._
Fig. 9. Versuch K.]
[Illustration:
_Taf. X._
Fig. 10. Versuch O.]
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75185 ***
Der Ameisenlöwe
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Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1916 so weit
wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
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unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der
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— End of Der Ameisenlöwe —
Book Information
- Title
- Der Ameisenlöwe
- Author(s)
- Doflein, Franz
- Language
- German
- Type
- Text
- Release Date
- January 23, 2025
- Word Count
- 44,991 words
- Library of Congress Classification
- QL
- Bookshelves
- Browsing: Nature/Gardening/Animals, Browsing: Science - Genetics/Biology/Evolution
- Rights
- Public domain in the USA.